Mördertreffpunkt Pigalle: Krimi Quartett 4 Thriller

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„Wozu?“

„Sieh mal nach. Da ist ein Päckchen für dich.“

Er öffnete das Handschuhfach, beugte den Kopf nach vorn und blickte in das überfüllte Fach.

Diesen Moment nutzte ich. Ich schlug zweimal zu. Ich traf ihn im Genick. Er sackte in sich zusammen, ohne einen Laut von sich zu geben.

Ich stieg aus dem Wagen, drückte leise die Tür ins Schloss und blieb zwei Minuten bewegungslos stehen. Ich horchte in die Nacht hinein und hielt manchmal sogar den Atem an. Es war nichts zu hören. Nur der Wind rauschte leise in den Laubbäumen, und schwacher Verkehrslärm drang an mein Ohr. Ich ging ein Stück am Ufer entlang, blieb stehen und horchte erneut.

Nichts. Ich war allein. Jedenfalls auf dieser Seite des Baggersees.

Ich ging zum Wagen zurück, zerrte Pawelka heraus und warf ihn ins Wasser. Ich blieb ein paar Minuten neben ihm stehen, bis ich sicher war, dass er nie wieder aufstehen würde.

Anschließend ging ich zum Kofferraum, holte eine Luftmatratze, eine Stahlplatte, die gut fünfzig Pfund wog, und zwei Schneeketten heraus. Ich pumpte die Luftmatratze auf, legte die Stahlplatte auf Pawelkas Brust, wickelte die Schneeketten um seinen Körper und zog sie so fest zusammen, wie ich nur konnte. Danach prüfte ich den Sitz der Stahlplatte. Sie bewegte sich kaum, und die Ketten saßen gut.

Es war jetzt so dunkel, dass ich kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte. Ein starker Wind war aufgekommen und hatte eine schwarze Wolke vor den Mond getrieben. Aber das störte mich nicht. Ich tastete nach der Luftmatratze, rollte den schweren Körper hinauf und zog mich aus. Wenig später stieß ich die Luftmatratze ins Wasser und schwamm hinter ihr bis zur Mitte des Sees. Dort kippte ich die Leiche ins Wasser und schwamm wieder zurück.

In der Dunkelheit verlor ich die Orientierung, und ich brauchte eine Weile, bis ich meinen Wagen wiederfand. Während ich mich anzog, überkam mich das große Zittern. Mein Körper flog nur so, und ich brauchte ziemlich lange, bis ich die Kleider über meinen nassen Körper gestreift hatte.

Ich schob das Zittern auf die Kälte. Das Wasser war sehr kalt gewesen, und es wehte ein frischer Wind.

Endlich saß ich wieder im Wagen. Ich zitterte noch immer wie Espenlaub, und in meiner Brust begann es zu rumoren. Ein dumpfer Schmerz breitete sich aus, und ich rollte mich auf dem Sitz wie ein Igel zusammen.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich so dalag. Als ich schließlich in der Lage war, den Wagen zu starten, war es eine halbe Stunde nach Mitternacht. Ich fühlte mich elend und mir war schlecht. Der Schmerz in meiner Brust hatte nachgelassen und das Zittern auch.

Das Wasser war zu kalt, dachte ich. Viel zu kalt. Ich hätte mir den Tod holen können.

Dann fuhr ich langsam nach Hause.

9. Kapitel

Ich hielt meinen Termin beim Zahnarzt am nächsten Morgen ein. Punkt acht Uhr war ich in der Praxis. Ich hatte zwar nicht sehr gut geschlafen, aber ich fühlte mich frisch und ausgeruht, und ich hatte auch keine Schmerzen mehr. Ich fühlte mich so gut wie schon lange nicht mehr.

Sterzel schweißte den Zahn wieder an die Platte, und ich wunderte mich darüber, wie schnell das ging. Aber dann dauerte es doch noch eine Weile, bis er die Abdrücke für die neuen Zähne gemacht hatte.

Als er fertig war, zog er sich einen Stuhl heran.

Wir verabredeten uns für Mittwochnachmittag um sechzehn Uhr zum Tennisspielen. Es würde mir sicher guttun. Es war schon eine Weile her, seit ich zum letzten Mal einen Tennisschläger in der Hand hatte.

Sterzel freute sich auf das Match. Er war sicher, mich diesmal besiegen zu können. Bisher war ihm das noch nicht gelungen.

Anschließend ging ich in den Betrieb. Hans-Georg Grashofer grinste mich an.

„Na, hat man wieder einen Menschen aus dir gemacht?“

„Ich war schon immer ein Mensch“, erwiderte ich laut. Fast etwas zu laut. Ich war verärgert. Aber Hans-Georg Grashofer merkt nichts.

„Nein, gestern warst du kein Mensch.“ Er lachte laut auf. „Gestern hast du ausgesehen wie ein Vampir.“

Er konnte noch immer darüber lachen. Aber so war er schon immer gewesen. Schadenfreude war für ihn stets die schönste Freude. Über peinliche Missgeschicke anderer konnte er sich ausschütten vor Lachen. Erzählte man ihm aber einen wirklich guten Witz, dann saß er da und starrte einen an, als hätte er die Pointe nicht verstanden. Er hatte sie natürlich schon verstanden, aber er konnte nicht darüber lachen. Über meinen ausgefallenen Zahn lachte er nun schon zwei Tage, und er würde sicher noch lange darüber lachen.

Ich riss mich zusammen, brachte sogar ein Lächeln zustande und zeigte ihm meine Zähne.

„Nichts mehr mit Vampir“, sagte ich. „Der Zahn ist wieder drin.“

„Schade“, meinte er immer noch lachend. „Du warst einfach köstlich. Ich hätte gestern im Mövenpick ein Foto von dir machen sollen.“

Das hätte mir gerade noch gefehlt.

Ich ging zur Tür. „Ich mach mal eine Runde durch den Betrieb“, sagte ich. „Morgen will sich Schöller Junior den Betrieb ansehen.“

„Dann sieh zu, dass auch ein bisschen aufgeräumt wird“, sagte er. „Ich bin an dem Auftrag sehr interessiert.“

„Wir werden ihn bekommen“, versicherte ich ihm. „Und wenn ich am Freitag noch mal nach Hamburg fahren muss.“

Ich ging hinaus, bevor er noch etwas darauf erwidern konnte.

Der Tag verging nur langsam. Der Rundgang durch die Fertigungshallen hatte eine Stunde gedauert. Ich hatte meine Anweisungen gegeben und war danach in mein Büro gegangen. Aber ich konnte mich nicht auf die Arbeit konzentrieren.

In Gedanken ging ich noch einmal meinen Plan durch. Es gab nichts daran auszusetzen. Ich hatte an alles gedacht, und es konnte nichts schiefgehen.

Und dann dachte ich an Sabine. Ich war überzeugt, dass sie genauso in mich verliebt war, wie ich in sie. Aber sie hatte es nie gezeigt. Wir hatten nur ein einziges Mal miteinander geschlafen, und das war für mich das Schönste gewesen, das ich je erlebt hatte. Von diesem Tag an war es um mich geschehen. Ich war verrückt nach ihr.

Für Sabine war diese eine Nacht, die wir zusammen verbracht hatten, genauso schön. Nur hatte sich das bei ihr zu meinem Leidwesen anders gezeigt. Sie war stiller und ruhiger geworden, und manchmal wirkte sie sogar kühl.

Aber ich spürte bald woran das lag. Ohne dass sie es ausgesprochen hatte, wusste ich, dass sie Angst hatte, sich rettungslos in mich zu verlieben, weil sie wusste, dass ich verheiratet war. Wenn ich nicht verheiratet wäre, wären wir längst ein Paar. Aber noch bin ich verheiratet, und Sabine würde sich nicht ändern, solange ich es war. Deshalb musste Luise sterben. Sie war mir im Weg, und ich hasste sie wie die Pest. Ich könnte sie noch heute mit einem Lächeln auf den Lippen erschießen. Aber ich musste noch warten. In spätestens drei Wochen würde ich sie für immer los sein, und wenig später ihren Vater auch. Dann wäre ich endlich der alleinige Besitzer der Firma, und Sabine würde meine Frau werden.

An Pawelka dachte ich nicht. Pawelka war tot. Er würde meine Pläne nicht mehr durchkreuzen können.

Plötzlich klingelte pausenlos das Telefon, und ich kam endlich auf andere Gedanken.

10. Kapitel

Um sechzehn Uhr verließ ich den Betrieb und fuhr zum Hauptbahnhof. Ich hatte noch etwas Zeit, und ging in ein Blumengeschäft mit Fleurop-Dienst und schickte an Sabines Adresse fünfzig Orchideen. Sabine liebte Orchideen über alles, und sie würde sich sicher riesig darüber freuen.

Anschließend ging ich in ein Juweliergeschäft und kaufte eine Perlenkette für achttausend Euro. Ich ließ sie mir schön einpacken und versteckte sie im Kofferraum meines Wagens.

Hannes Schöller kam kurz nach siebzehn Uhr an. Ich hatte telefonisch ein Zimmer für ihn im Bundesbahnhotel bestellt, und ich brachte ihn sofort dorthin.

Am Abend machten wir einen Bummel durch Ulms Nachtleben, und gegen drei Uhr morgens kam ich ziemlich angetrunken nach Hause.

Am nächsten Morgen holte ich Schöller um neun Uhr ab und führte ihn durch den Betrieb. Nach dem Mittagessen fuhr Schöller weiter nach München, zu einem unserer schärfsten Konkurrenten. Den Auftrag, den ich erhofft hatte, bekam ich noch nicht, obwohl ich ihm preislich sehr entgegenkam. Aber er wollte sich erst noch bei der Konkurrenz umsehen. Danach würde er sich entscheiden.

Mir war es auch so recht. Wir vereinbarten einen Termin für den kommenden Montag in Hamburg, und ich war sehr zufrieden und zuversichtlich. Ich war sicher, dass ich mit ihm einig werden würde. Bei dem Preis, den ich ihm geboten hatte, konnte die Konkurrenz nicht mehr mitziehen.

Ich fuhr in die Firma und erklärte meinem Schwiegervater, dass ich am Freitag nach Hamburg fahren müsse, weil Schöller sich erst noch ein Angebot von der Konkurrenz einholen wolle. Hans-Georg Grashofer war enttäuscht. Aber ich konnte ihn sehr schnell wieder beruhigen. Ich versicherte ihm, dass wir den Auftrag bekommen würden, weil mich Schöller sonst bestimmt nicht jetzt schon nach Hamburg bestellt hätte. Das leuchtete ihm ein, und er lachte wieder.

Um sechzehn Uhr traf ich mich mit Sterzel auf dem Tennisplatz. Er war ganz scharf auf ein Spiel: Er wollte mich endlich einmal schlagen.

Und er schaffte es diesmal auch. Er gewann den ersten Satz mit sieben zu fünf. Im zweiten Satz schlug er mich mit sechs zu drei, und er freute sich riesig darüber.

Mir war es egal. Ich wusste, dass er nur hatte gewinnen können, weil ich mich nicht richtig auf das Spiel konzentrieren konnte. Ich war in Gedanken bei Sabine. Wenn das Flugzeug keine Verspätung gehabt hatte, musste sie jetzt zu Hause sein. Und die Blumen musste sie auch schon bekommen haben.

 

Nachdem wir uns geduscht und umgezogen hatten, gingen wir noch auf ein Bier ins Clubheim.

Ich sagte: „Ich spiele in letzter Zeit einfach zu wenig. Dabei sollte ich es öfter tun; es tut mir gut. Aber der Betrieb lässt einem ja keine Zeit.“

„Du arbeitest zu viel“, sagte Sterzel ernst.

„Das musst gerade du mir sagen.“

„Klar, ich arbeite auch sehr viel“, gab er zu. „Aber ich mache Pausen. Ich mache dreimal im Jahr Urlaub, und das jedes Mal für mindestens zwei Wochen.“

„Das kann ich mir nicht leisten.“

„Nun hör aber auf. Ich fange gleich an zu weinen.“

„Ich meine das nicht finanziell“, sagte ich grinsend. „Es ist die Fabrik. Sechs Wochen Urlaub im Jahr sind bei mir einfach nicht drin. Nicht einmal drei Wochen.“

„Ich weiß nicht, was bei euch in der Firma möglich ist und was nicht. Aber ich kann dir sagen, was passiert, wenn du so weitermachst.“

„Und was wird passieren?“

Er nahm einen Schluck Bier und sah mich eine Weile nachdenklich an.

Schließlich sagte er langsam: „Ich finde, du bist noch zu jung, um als reichster Mann auf dem Friedhof zu landen.“

Ich lachte. „Ich doch nicht.“

„Das haben andere vor dir auch schon gesagt.“

„Aber ich fühle mich ausgezeichnet.“

Ich fühlte mich tatsächlich gut. Das Spiel hatte mir gutgetan.

„Möglich, dass du dich gut fühlst“, sagte er. „Aber mir gefällt die Farbe in deinem Gesicht nicht. Sind in deiner Familie schon mal Herzfehler aufgetreten?“

„Nein.“ Ich stieß unwillkürlich ein bitteres Lachen aus. Der Herzfehler, an dem mein Vater mit einundvierzig Jahren gestorben war, wurde durch ein Stück Blei verursacht. Nach einem Banküberfall mit zwei seiner Kumpane, hatte er sich auf eine Schießerei mit der Polizei eingelassen. Dabei wurde mein Vater getötet. Die anderen beiden entkamen. Sie wurden nie gefasst.

Mein Vater war ein intelligenter, liebenswerter Mann. Wir kamen immer gut miteinander zurecht, und ich mochte ihn sehr. Aber für das Milieu, in dem er sich bewegte, hatte er ein viel zu weiches Herz. Ich weiß nicht, wie er auf die schiefe Bahn geraten war. Ich weiß nur, dass wir von dem lebten, was er von seinen gelegentlichen Beutezügen nach Hause brachte. Das Meiste davon brachte meine Mutter mit ihren Liebhabern durch. Mein Vater wusste, dass sie eine Menge Liebhaber hatte, aber er unternahm nichts. Er ließ sich einfach alles gefallen, von seiner Frau und von seinen Freunden.

Ich hasste meine Mutter, weil sie die Gutmütigkeit meines Vaters schamlos ausnutzte, und ich hasste seine Freunde, weil sie ihn verspotteten und verlachten.

Als mein Vater ums Leben kam, war ich vierzehn Jahre alt. Ich sah meine Mutter nicht weinen. Vaters Tod ging ihr überhaupt nicht nahe. Es war ihr völlig egal. Zwei Tage nach seiner Beerdigung ging sie zum ersten Mal auf den Strich. Sie tat im Grunde genommen nichts anderes als vorher. Nur dass sie jetzt Geld dafür verlangte.

Zwei Monate später steckte mich das Jugendamt in ein Heim. Meine Mutter hatte das veranlasst. Ich hatte sie gewürgt. Ich wollte sie umbringen. Aber es gelang mir nicht. Sie war stärker und raffinierter. Sie kannte alle Tricks, und sie rammte mir das Knie in den Unterleib, sodass mir schwarz vor Augen wurde. Ich krümmte mich stöhnend auf dem Boden, und sie stieß mit den Füßen nach mir. Ich konnte fast nichts sehen, aber ich bekam trotzdem eines ihrer Beine zu fassen und brachte sie zu Fall. Sie trat mir mit dem freien Fuß ins Gesicht und konnte sich befreien. Ich war halb besinnungslos vor Schmerzen, und meine Mutter rannte in die Küche, holte einen Stock und schlug mich fast zum Krüppel.

Daraufhin steckte mich das Jugendamt in ein Heim in einer Kleinstadt in Süddeutschland, und dort bot man mir die Möglichkeit, Strickmaschinenführer zu lernen. Ich arbeitete in einem Betrieb und wohnte im Heim.

Mit der Zeit entwickelte ich einen unheimlichen Ehrgeiz. Ich wollte in allem der Beste sein, und ich war es auch. Während die anderen Jungs vom Heim abends bis zehn Uhr in den Kneipen hockten, saß ich in meinem Zimmer am Tisch und entwarf reihenweise Pullis, Westen, Kleider und Kostüme. Manchmal zeigte ich meine Entwürfe dem Meister, und der lobte mich immer und sagte, ich wäre ein richtiger Künstler.

Das gab mir das notwendige Selbstvertrauen, und ich wusste, dass ich es eines Tages schaffen würde. Ich beendete meine Lehre mit sehr gut und arbeitete noch ein Jahr in dem Betrieb. Dann erfuhr ich von Grashofer und seiner einzigen Tochter. Ich kündigte und fing bei Grashofer in Ulm an.

Ich hatte die Intelligenz von meinem Vater geerbt, und das kalte Herz von meiner Mutter. Und kalte Herzen sind meistens gesund, und mein Vater hatte auch ein gesundes Herz, bevor es von einer Kugel durchbohrt worden war. Es gab zwar schon Herzfehler in unserer Familie, aber keine, wie Bernd Sterzel meinte.

Sterzel sagte: „Also, ich weiß nicht … Ich kann mich natürlich täuschen …“

„Ich bin so gesund wie ein Gaul“, erklärte ich, und als ob ich es ihm dadurch beweisen könnte, leerte ich mein Glas in einem Zug und zündete mir eine Zigarette an. Ich nahm einen kräftigen Zug, lachte und blies ihm den Rauch ins Gesicht.

Er wedelte mit der Hand den Rauch fort und sagte: „Ich meine es ernst, Wilhelm. Du solltest dich wirklich einmal gründlich untersuchen lassen.“

„Lass uns lieber das Thema wechseln, Bernd“, sagte ich. „Das ist mir viel zu morbid.“

„Das glaube ich dir. Aber auch harte Burschen fallen einmal auf die Nase.“

„Und ich bin hart?“, fragte ich amüsiert.

„Du bist ein harter Knochen“, bestätigte mir Sterzel. „Und ich bewundere dich wirklich. Aber man kann alles übertreiben. Vor allem die Härte gegen sich selbst, und du bist zweifellos zu hart gegen dich. Du verlangst zu viel von dir, und so etwas rächt sich eines Tages.“

„Du bist ein Schwarzmaler“, sagte ich lächelnd. „Ich weiß schon, wie weit ich gehen kann. Und jetzt ändern wir aber wirklich das Thema.“

Wir redeten noch eine Weile vom Tennis, und ich prophezeite ihm, dass ich ihn das nächste Mal wieder schlagen würde. Anschließend verabschiedeten wir uns.

Ich fuhr sofort in die Firma. Hans-Georg Grashofer hatte den Betrieb schon verlassen, und ich konnte in Ruhe telefonieren.

Ruhig und bedächtig wählte ich die Nummer von Sabine. Aber die Ruhe war nur äußerlich. Innerlich war ich aufgewühlt und erregt. Sabine war die erste Frau in meinem Leben, die ich wirklich liebte, und ich wollte sie haben. Sie musste mir gehören.

Sie hob nach dem dritten Klingeln ab.

„Wendel.“

„Hallo, Sabine.“

Eine Weile war es still. Dann sagte sie leise: „Ach du bist es.“

„Ja, ich. Wie geht es dir, Sabine?“

„Gut.“

„Hast du meine Blumen schon bekommen?“

„Ja.“

„Gefallen sie dir?“

„Ja. Sie sind sehr schön.“

„Wie war es in New York?“

„Sehr schön. Und lehrreich.“

„Du, ich habe dich sehr vermisst.“

Sie sagte nichts.

„Ich muss dich unbedingt wiedersehen.“

„Hör zu, Wilhelm. Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns nicht mehr sehen.“

„Warum? Ist da ein anderer Mann?“

„Nein, es gibt keinen anderen.“

„Warum sollen wir uns dann nicht mehr sehen?“

„Ich weiß nicht …“ Sie zögerte. „Du bist verheiratet, und ich …“

Jetzt war es heraus. Sie hatte das ausgesprochen, was ich schon längst geahnt hatte.

„Ich komme am Freitag nach Hamburg“, sagte ich. „Dann reden wir über alles.“

„Am Freitag?“

„Ja.“

„Da wird es nicht gehen. Ich habe für Freitag schon eine Verabredung.“

Sie log. Es war ganz offensichtlich, dass sie log.

„Du kannst für Freitag noch gar keine Verabredung haben, weil du erst heute zurückgekommen bist.“

„Ich bin gestern schon zurückgekommen“, sagte sie.

„Aber du wolltest doch …“

„Ja, ich weiß. Aber ich bin eben einen Tag früher geflogen.“

„Dann wirst du die Verabredung absagen.“

„Das kann ich nicht.“

„Doch, du kannst.“

„Ich kann nicht, und ich will auch nicht.“

„Da ist also doch ein anderer Mann.“

„Nein, es gibt keinen anderen. Ich will überhaupt keinen Mann. Ich habe die Schnauze voll von Männern.“

„Mein Gott, Sabine, was ist nur in dich gefahren?“

„Nichts. Ich habe nur nachgedacht, und ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass ich immer nur Pech mit Männern habe. Alles ist immer so aussichtslos, wenn ich einen Mann kennenlerne. Für ein Verhältnis bin ich mir zu schade.“

„Hör zu, Sabine, lass uns wenigstens darüber reden.“

„Nein, bitte nicht. Es hat ja doch keinen Sinn. Es ist besser, wir sehen uns nicht mehr.“

Es half alles nichts. Ich musste ihr wenigstens eine Andeutung machen.

„Sabine, ich glaube, bei mir wird sich in nächster Zeit etwas ändern.“

„Mach dir doch nichts vor“, sagte Sabine. „Du weißt so gut wie ich, dass sich bei dir nichts ändern wird.“

„Glaub mir, Sabine, es wird sich bestimmt was ändern. Ich habe nämlich etwas entdeckt.“

„Was hast du entdeckt?“

Nach kurzem Zögern sagte ich: „Ich glaube, meine Frau betrügt mich.“

Eine Weile war es still.

Dann sagte sie: „Glaubst du es nur, oder weißt du es?“

„Ich weiß es. Mir fehlt nur noch der endgültige Beweis. Aber den werde ich auch noch bekommen.“

„Und was hilft uns das?“

„Ich werde mich scheiden lassen.“

„Pah! Du kannst dich doch gar nicht scheiden lassen. Wenn du dich scheiden lässt, sitzt du auf der Straße; das hast du selbst gesagt.“

„Wenn ich einen vernünftigen Scheidungsgrund habe wird er mich nicht rauswerfen.“

„Und das wäre ein vernünftiger Scheidungsgrund?“

„Ja.“

„Ich glaube es nicht.“

„Lass uns am Freitag darüber reden, Sabine.“

„Ich habe dir schon gesagt, dass ich nicht da bin.“

„Ich hole dich um acht Uhr ab.“

„Ich bin nicht da“, wiederholte sie.

„Bitte sei vernünftig …“

„Ich bin vernünftig.“

„Dann warte auf mich.“

„Ja, vielleicht. Vielleicht warte ich auf dich. Aber ich verspreche gar nichts.“

„Gut, dann bis Freitag.“

„Ja. Tschüss.“

Sie beendete das Gespräch, und ich blickte eine Weile den Hörer an, bevor ich ihn zur Seite legte.

Sie ist ziemlich durcheinander, dachte ich. Wahrscheinlich war sie in New York zu viel allein und hatte zu viel Zeit zum Nachdenken. Ich werde sie wieder auf andere Gedanken bringen müssen.

Ich erhob mich und fuhr nach Hause.