Mördertreffpunkt Pigalle: Krimi Quartett 4 Thriller

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Und dann kam der Tritt vors Schienbein. Mein Schwiegervater legte mir den Partnerschaftsvertrag vor. Ich las ihn aufmerksam durch, und ich war sehr zufrieden, bis ich zur letzten Seite kam.



Dort stand in dicken, fetten Buchstaben, dass dieser Vertrag nur so lange Gültigkeit hat, solange ich Luise ein guter Ehemann wäre. Sollte ich sie einmal schlecht behandeln oder mich gar mit Scheidungsgedanken tragen, könnte der Vertrag mit sofortiger Wirkung für ungültig erklärt werden.



Mir blieb für einen Augenblick vor Wut die Luft weg. Es war schon eine Unverschämtheit, mir nach der Hochzeit und nachdem er mich in den Betrieb eingeführt hatte, einen solchen Vertrag vorzulegen. Wenn ich diesen Vertrag unterschrieb, konnte er mich jederzeit wieder auf die Straße setzen.



Aber ich konnte jetzt nicht mehr zurück, und ich konnte auch nichts gegen diesen Zusatz im Vertrag sagen, sonst wäre alles aus gewesen.



Ich riss mich zusammen und ließ mir nichts anmerken. Ich fühlte Grashofers Blick förmlich auf der Haut, und ich nickte, als ich die letzte Seite durchgelesen hatte und blätterte noch einmal vor und tat so, als wollte ich auf der zweiten Seite noch einmal etwas nachlesen. In Wirklichkeit versuchte ich einfach Zeit zu gewinnen. Ich hob erst den Blick, als ich sicher war, dass man mir nichts ansehen würde.



„Gut“, nickte ich. „Einverstanden.“



Dann nahm ich meinen goldenen Füllfederhalter heraus und unterschrieb.



„Und damit du klar siehst“, fügte Grashofer noch hinzu. „Dieser Zusatz gilt auch, wenn ich erfahren sollte, dass du Luise betrügst.“



Ich sagte nichts. Ich blickte ihm geradewegs in die Augen, bis er den Blick abwandte.







3. Kapitel




Als wir nach dem Essen zum Parkplatz gingen, lachte Grashofer immer noch.



„Weißt du, wie du aussiehst?“



„Nein.“



„Du siehst aus wie ein Vampir.“



Er lachte wieder laut und schallend.



Ich schloss den Wagen auf.



„Ich werde gleich meinen Zahnarzt anrufen“, sagte ich ruhig und ließ ihn einsteigen.



„Tu das, mein Junge“, sagte er grinsend und lehnte sich im Sitz zurück. „Mit dem Gesicht taugst du nicht für den Außendienst.“



Ich grinste ihn an und zeigte ihm meine Zahnlücke, und er lachte wieder aus vollem Hals. Diesmal hatte ich sein Lachen herausgefordert. Es war mir zwar völlig unerklärlich, wie sich ein Mensch so gut und so ausdauernd über das Missgeschick eines anderen amüsieren konnte, aber im Moment kam es mir sehr gelegen. Ich wollte etwas von meinem Schwiegervater, und wenn er fröhlich war, war er zugänglicher.



Als wir vor dem Bürogebäude anhielten, sagte ich: „Hör mal, Hans-Georg, brauchst du mich heute unbedingt im Büro?“



„Warum? Willst du einen blauen Montag machen?“



„Nein“, sagte ich geduldig und zeigte ihm wieder meine Zahnlücke. „Ich möchte mich nur nicht so im Büro zeigen.“



„Das würde ich an deiner Stelle auch nicht tun.“



Er lachte wieder.



„Dann kann ich also gehen?“



„Willst du gleich zum Zahnarzt?“, wollte er wissen.



„Nein. Ich rufe vorher an.“



„Und wenn er dich nicht gleich drannehmen kann?“



„Dann gehe ich nach Hause.“



„Und zeigst dich Luise.“



„Ja.“



Er begann erneut zu lachen, und diesmal klang sein Lachen wie das Wiehern eines Pferdes, und mein Hass gegen ihn flammte wieder auf. Aber ich hatte mich gut in der Gewalt, und er merkte nichts.



„Dann fahr nach Hause zu Luise und grüß sie schön von mir“, sagte er.



„Werde ich machen.“



Er stieg aus und warf die Tür zu. Aber dann riss er sie wieder auf und beugte sich in den Wagen herein.



„Und wenn ihr schon mal ein bisschen Zeit habt … Denkt daran, dass ich gerne Opa werden möchte.“



Auch das noch

, dachte ich.

Mir bleibt auch nichts erspart.



„Du möchtest Opa werden?“, tat ich erstaunt.



„Tu nicht so, als ob du das nicht wüsstest“, entgegnete er etwas verlegen. „Du weißt ganz genau, dass das schon lange mein Wunsch ist.“



Ich zwang mir ein Lächeln auf die Lippen. „Ich will mal sehen, was sich machen lässt.“



Ich legte den Rückwärtsgang ein, und mein Schwiegervater warf die Tür zu. Er blieb vor dem Bürogebäude stehen und sah mir nach, bis ich auf der Straße war.



Ich rief meinen Zahnarzt an. Seine Sprechstundenhilfe war am Apparat, und ich sagte ihr, dass ich ihren Chef sprechen wollte. Ich musste drei Minuten warten, bis er sich endlich meldete.



„Sterzel.“



„Bastian.“



„Hallo, Willi! Nett, dass du wieder einmal was von dir hören lässt. Weißt du, wann wir das letzte Mal zusammen Tennis gespielt haben?“



„Ich weiß nicht. Vielleicht vor sechs oder acht Wochen.“



„Es ist fast ein halbes Jahr her.“



„Jetzt übertreibst du aber“, sagte ich.



„Nein, bestimmt nicht. Ich erinnere mich noch genau. Es war im Januar, und wir haben in der Halle gespielt.“



„Dann wird es Zeit, dass wir wieder mal miteinander spielen“, ergänzte ich.



„Ich würde mich freuen. Rufst du deshalb an?“



„Nein, ich rufe eigentlich als Patient an.“



„Was ist? Hast du Zahnschmerzen?“



„Nein. Mir ist heute beim Mittagessen ein Malheur passiert. Mir ist ein Zahn ausgebrochen …“



„Was habe ich dir gesagt?“, triumphierte er. „Ich habe dir immer gesagt, du sollst dir etwas Ordentliches machen lassen. Aber du hattest ja nie Zeit.“



„Hättest du heute noch Zeit für mich? Mein Schwiegervater sagt, ich sehe aus wie ein Vampir.“



„Das kann ich mir vorstellen“, lachte Bernd Sterzel. „Aber heute geht es wirklich nicht mehr. Ich bin ausgebucht bis in die späten Abendstunden. Komm doch gleich morgen früh um acht Uhr. Dann können wir auch gleich einen Termin für unser nächstes Match vereinbaren.“



Das kam mir sehr gelegen. Ich hatte noch einige Vorbereitungen zu treffen, und das musste sofort erledigt werden. Ich musste den Stein ins Rollen bringen, damit ich es mir morgen nicht wieder anders überlegen konnte.



„Einverstanden“, sagte ich. „Dann bis morgen.“



Ich legte auf, ging zu meinem Wagen und setzte mich hinters Steuer. Ich bog den Innenspiegel herum, blickte hinein und zog ein paar Grimassen. Wenn ich normal sprach und nicht lachte oder die Zähne fletschte, sah man die Zahnlücke gar nicht.



Bei dem was ich vorhatte, gab es nichts zu lachen. Also würde auch niemand meine Zahnlücke entdecken. Und selbst wenn es jemandem auffallen würde, würde das nichts ausmachen. An meinem Plan würde es nichts ändern.



Ich fuhr zu meiner Bank, hob fünftausend Euro ab und fuhr anschließend in die Altstadt.



Nach einigem Suchen fand ich das alte, heruntergekommene Haus. Es lag etwas versteckt hinter einem Fachwerkhaus und war nur über einen mit altem Gerümpel vollgestellten Hof zu erreichen.



Ich fuhr an dem Haus vorbei und lenkte den Wagen aus der schmalen Gasse auf die Straße hinaus. Gut fünfhundert Meter von dem Haus entfernt, stellte ich meinen Wagen vor einer Kneipe ab. Ich fuhr einen BMW, das zurzeit neuste Model. Der Wagen wäre sicher aufgefallen, wenn er längere Zeit vor dem heruntergekommenen Haus gestanden hätte.



Ich ging die schmale Gasse zurück und blieb vor der Haustür stehen. Von der Tür blätterte die braune Farbe ab, und der helle Türrahmen wies eine Menge tiefe Kerben und Kratzer auf. Auf der linken Seite befanden sich zwei Klingeln. Neben der unteren Klingel stand irgendein polnischer oder ungarischer Name. Oben stand in verschnörkelter Schrift: Alex Blum.



Ich drückte auf den oberen Klingelknopf und wartete. Nach einer Weile ertönte der Summer, und ich ging ins Haus. Ich stand in einem halbdunklen, muffig riechenden Gang, von dem eine schmale, steile Holztreppe nach oben führte. Langsam stieg ich hinauf.



Am Ende der Treppe stand ein magerer, nicht mehr ganz junger Mann, mit lockigem, dunklem Haar, das bereits einen Anflug von Grau aufwies. Er war mit einem schäbigen hellen Hemd und einer verwaschenen, mit einer Unzahl von Farbspritzern bedeckten Jeans bekleidet. Tiefe Falten der Entbehrung und Mutlosigkeit durchfurchten sein langes hageres Gesicht.



Ich blieb auf dem letzten Treppenabsatz stehen.



„Alex Blum?“



„Ja?“



Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, wie jemand, der einen Freund erwartet hat und einen Unbekannten sieht. Irgendwie hatte ich auch den Eindruck, als fürchte er sich vor etwas.



Ich kannte den Grund seiner Furcht, und ich hätte fast gelacht. Aber ich blieb ernst und sagte: „Mein Name ist Wilhelm Bastian.“



„Bastian?“ Ich sah, wie der gespannte Ausdruck aus seinen wässrigen dunklen Augen wich. „Sie müssen Luises Mann sein, nicht wahr?“



„Ich bin Luises Mann“, bestätigte ich.



„Nett, Sie einmal kennenzulernen.“ Freude und gleichzeitig Überraschung schwang in seiner sanften, ruhigen Stimme mit. „Was kann ich für Sie tun?“



Er streckte mir die Hand entgegen, und ich drückte sie.



„Können wir hineingehen?“



Ich deutete auf die offene Tür.



„Natürlich“, beeilte er sich zu sagen. „Bitte kommen Sie doch herein.“



Ich trat hinter ihm in ein Zimmer. Abstrakte Gemälde und Kohlezeichnungen hingen an den Wänden, und alle Bilder waren mit einem geschwungenen Alex signiert. Die meisten waren sogar noch datiert mit Monat und Jahreszahl. In der Zimmermitte stand auf ausgebreiteten Zeitungen eine Staffelei. Eine frische Leinwand war aufgespannt, die darauf wartete, zum Leben erweckt zu werden.

 



Die Gemälde an den Wänden wiesen strahlende, fast pulsierende Farben auf. Ich verstehe etwas von Kunst, und Alex Blum verstand zweifellos etwas von seinem Handwerk. Was da an den Wänden hing, waren die Werke einen begnadeten Künstlers. Ich war offen gesagt, sehr beeindruckt.



Luise hatte mir viel von Alex Blum erzählt, und was sie nicht gewusst hatte, hatte ich durch meine Beziehungen in Erfahrung gebracht.



Alex Blum war vierunddreißig Jahre alt und ein ewiger Student der Kunst. Er hatte in München Kunst studiert, hat dann einige Zeit in Oberstdorf gelebt und wohnte nun seit fünf Jahren in Ulm in diesem alten, halb verfallenen Haus. Hier in Ulm gab es nicht so viele Kunststudenten, die Unterricht erteilten, und Alex Blum hatte gehofft, hier Fuß fassen zu können. Aber er hatte es nicht geschafft, obwohl er gut war. In Ulm kannten ihn nur Eingeweihte, die bei ihm Stunden nahmen und seine Bilder bewunderten. Verkauft hatte er jedoch kaum etwas, und er lebte von dem Geld seiner Schüler und von dem gelegentlichen Verkauf eines seiner Bilder, das er zudem noch weit unter seinem Wert hergab.



Man kann gut sein und sein Handwerk verstehen und gute Arbeit machen und trotzdem nicht reich werden. Alex Blum verstand sein Handwerk, aber er war ein armer Schlucker geblieben. Er hatte sogar Schulden machen müssen, um seine Miete bezahlen zu können.



Luise hatte dem Maler mehr Geld zugesteckt, als er für die Unterrichtsstunden verlangt hatte. Sie hatte es mir selbst erzählt, und sie berichtete mir auch von den Schulden. Und von ihr hatte ich auch erfahren, dass Blum beabsichtigte, nach Berlin zu ziehen, dass ihm aber noch das nötige Geld dazu fehlen würde.



Das hatte mich schließlich auf die Idee gebracht, wie ich Luise loswerden könnte. Aber ich brauchte den Maler dazu, und so wie er vor mir stand, war ich sicher, dass er mitmachen würde. Er würde die Chance beim Schopfe packen. Ich musste ihn nur richtig nehmen, und ich glaubte, das richtige Rezept für ihn zu haben.



Alex Blum sagte: „Ich kann Ihnen leider nichts anbieten. Ich habe nichts.“



Ich winkte ab. „Nicht nötig. Ich möchte nur etwas mit Ihnen besprechen.“



„Ja?“



„Darf ich mich setzen?“, fragte ich freundlich. „Es wird vielleicht eine Weile dauern.“



Es gab zwei Stühle in dem Atelier. Ein schwarz gestrichener Holzstuhl und ein Gepolsterter. Blum deutete auf den gepolsterten Stuhl, und ich setzte mich. Er selbst zog sich den schwarzen Stuhl heran und ließ sich mir gegenüber darauf nieder.



Ich hielt ihm meine Zigarettenpackung hin, und er nahm sich eine heraus. Nachdem ich uns beiden angezündet hatte, sagte ich: „Meine Frau hat kürzlich einmal erwähnt, dass Sie nach Berlin umziehen wollen.“



„Das ist richtig.“ Er sah mich nachdenklich an, während er umständlich an seiner Zigarette zog. „Als Künstler hat man dort einfach bessere Möglichkeiten.“



„Aber Sie haben kein Geld, nicht wahr?“ Ich lächelte ihn wissend an. „Sie könnten den Umzug nicht bezahlen. Sie könnten noch nicht einmal Ihre Schulden, die Sie hier an vielen Stellen haben, begleichen.“



„Ist das nicht meine Angelegenheit?“, fragte er mit finsterem Gesicht.



„Natürlich“, lachte ich. „Aber es ist doch so: Wenn man den Problemen auf den Grund geht, ist es immer eine Frage des Geldes.“



„Worauf wollen Sie hinaus?“ Die Stimme des Malers klang scharf, und ich sah, wie seine Hand leicht zitterte. Jetzt hatte ich ihn dort, wo ich ihn haben wollte.



„Finden Sie meine Frau wenigstens nett oder ein bisschen attraktiv?“, fragte ich ruhig.



„Wie bitte?“ Er sah mich völlig verwirrt an.



„Ich will Sie nicht herausfordern.“ Ich lächelte ihn an. „Ich frage nur.“



Alex Blum stand auf und suchte nach einem Aschenbecher. Er brachte eine zurechtgeschnittene Farbdose und stellte sie zwischen uns auf den Boden.



„Hören Sie zu, Herr Bastian.“ Seine Augen wanderten unruhig hin und her. „Ich habe Ihre Frau nicht mehr gesehen, seit sie vor vier Wochen den Kurs beendet hat.“



„Warum verteidigen Sie sich?“, erkundigte ich mich. „Ich habe Ihnen doch nichts vorgeworfen.“



„Es klang aber so. Sie war eine meiner Schülerinnen, das ist alles. Wenn Sie hierher ins Atelier kam, war immer noch eine andere Schülerin hier. Eine ältere Frau. Ich kann Ihnen Name und Adresse der Frau geben, und Sie können sie fragen.“



„Ich habe nicht die Absicht, irgendjemanden zu fragen“, erklärte ich und grinste ihn an. „Und ich kann mich auch nicht erinnern, Ihnen etwas unterstellt zu haben.“



„Was wollen Sie dann?“



„Ich versuche nur herauszufinden, ob Sie Luise abstoßend finden.“



„Abstoßend?“ Er sah mich verblüfft an. „Keine Frau wirkt abstoßend oder hässlich.“



„Sehen Sie, hier gehen unsere Meinungen schon auseinander. Ich finde meine Frau abstoßend, hässlich und widerwärtig. Dieses runde Vollmondgesicht mit den Kuhaugen und der Rattenfrisur kotzt mich an. Ich kann sie nicht mehr sehen. Wenn sie vor mir steht, wird mir übel.“



„Haben Sie getrunken?“, fragte mich der Maler. Er sah mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.



„Ich habe nicht getrunken“, erklärte ich ruhig. „Ich bin stocknüchtern.“



„Dann verstehe ich nicht …“ Er brach ab und zuckte mit den Schultern.



„Aber das ist doch ganz einfach“, sagte ich. „Ich wollte Ihnen damit nur sagen, dass meine Frau nicht mein Typ ist und es auch nie war. Ich weiß, welcher Typ mir liegt, und ich werde ihn auch bekommen. Ich habe noch immer bekommen, was ich mir in den Kopf gesetzt habe.“



„Und was wollen Sie dann von mir?“, fragte er und sah mich verständnislos an.



Ich antwortete nicht gleich. Ich zog langsam an meiner Zigarette und musterte ihn von oben bis unten. Vor diesem Gespräch hatte ich ein wenig Angst gehabt. Aber jetzt stellte ich plötzlich fest, dass es mir sogar Spaß machte. Ich genoss es richtig, und deshalb zögerte ich es noch hinaus.



Nach einigen Sekunden des Schweigens sagte ich: „Sie werden mein Scheidungsgrund sein.“







4. Kapitel




Sein ohnehin fahles Gesicht wurde noch blasser, und seine Augen öffneten sich weit, und an seinem linken Mundwinkel zuckte ein Nerv. Es dauerte eine Weile, bis er sich zu einer Antwort durchgerungen hatte.



„Hören Sie, Herr Bastian“, sagte er mit leicht zitternder Stimme. „Ich habe Ihnen doch vorher schon gesagt, dass zwischen Ihrer Frau und mir überhaupt nichts war. Gar nichts. Sie war meine Schülerin. Ich hatte eine Menge Schülerinnen. Ich lebe davon. Also werde ich doch nicht …“



„Nun regen Sie sich doch nicht auf“, unterbrach ich ihn. „Ich habe mit keinem Wort behauptet, dass Sie mit meiner Frau ein Verhältnis hatten. Aber ich meine, es hätte ja sein können. Schließlich sind Sie ein recht gut aussehender Mann. Ich könnte meine Frau sogar verstehen.“



Sein Körper straffte sich unwillkürlich. „Ich würde niemals mit einer meiner Schülerinnen etwas anfangen.“



„Aber meine Frau hat von Ihnen geschwärmt.“



„Davon habe ich nichts bemerkt.“



„Aber ich. Und mein Schwiegervater auch. Und deshalb habe ich Sie ausgesucht.“



„Ich wüsste nicht …“



„Sehen Sie“, erklärte ich ihm. „Wenn ich noch länger mit Luise verheiratet bin, werde ich noch verrückt. Schon der Gedanke daran macht mich ganz krank. Aber ich sitze in der Falle. Und wissen Sie warum?“



„Nein. Wie sollte ich?“



„Ich werde es Ihnen erklären. Der Vater meiner Frau, Hans-Georg Grashofer, besitzt eine der größten Fabriken hier in Ulm. Nach der Hochzeit mit seiner Tochter hat er mich zu seinem gleichberechtigten Partner gemacht. Ich bin jetzt der Chef von über siebenhundert Arbeitern und Angestellten. Ich habe mein Ziel erreicht. Ich habe alles, was ich mir gewünscht hatte: Geld, Ansehen, Macht und gute Beziehungen zu den höchsten Stellen. Aber ich habe keine Frau, die zu mir passt. Ich habe ein Schreckgespenst, eine dumme Kuh, mit der ich mich nirgends sehen lassen kann. Und das möchte ich ändern. Ich kann mich jedoch nicht scheiden lassen, ohne einen verdammt guten Grund, weil mich mein Schwiegervater sonst auf die Straße setzen würde, und meine ganzen Bemühungen wären umsonst gewesen. Aber mein Schwiegervater ist in manchen Dingen sehr altmodisch, und deshalb brauche ich auch einen altmodischen Scheidungsgrund. Kapieren Sie langsam?“



„Ich kapiere überhaupt nichts“, erklärte er abweisend. „Ich verstehe kein Wort.“



„Ich will eine richtig attraktive Frau, nicht so einen alten, hässlichen Putzlumpen, und ich möchte eine Scheidung, ohne mich mit ihrem Vater zu verfeinden. Und dazu brauche ich einen schönen altmodischen Scheidungsgrund. Das würde mein Schwiegervater akzeptieren. Er würde mich nicht feuern. Luises Verhältnis mit Ihnen …“



„Sie hat kein Verhältnis mit mir!“



„Na schön, dann eben ein ehemaliges Verhältnis. Als Schülerin.“ Ich drückte meine Zigarette im Aschenbecher aus und betrachtete den Künstler. „Sie hat von Ihnen geschwärmt. Es passiert oft, dass Schüler für ihren Lehrer schwärmen. Und es entsteht nicht selten ein Verhältnis daraus.“



Alex Blum erhob sich, hob den Aschenbecher vom Boden auf und sagte in einem eisigen Ton: „Es wäre besser, wenn Sie jetzt gehen würden. Ich habe noch zu tun.“



Mit dieser Reaktion hatte ich gerechnet. Es war an der Zeit, auf die harte Tour umzuschalten. Ich hatte ihm jetzt genug Honig um den Mund geschmiert.



Die Unterhaltung machte mir immer mehr Spaß. Es freute mich sogar, dass er auf die sanfte Tour nicht reagiert hatte. Jetzt würde er mich von einer anderen Seite kennenlernen, und das beherrschte ich noch besser. Es machte mir eine geradezu diabolische Freude, ihn die Macht des Geldes spüren zu lassen.



„Setzen Sie sich wieder!“, fuhr ich ihn an.



Er blickte mir in die Augen und blieb stehen.



„Sie sollen sich setzen, habe ich gesagt!“



„In meiner Wohnung gebe ich den Ton an!“, versetzte er. Aber ich stellte mit Genugtuung fest, dass in seiner Stimme eine Spur von Unsicherheit mitschwang.



„Nicht, solange ich hier bin!“, erwiderte ich hart. „Also nehmen Sie wieder Platz.“



Er ließ sich zögernd auf seinen Stuhl nieder. Die zum Aschenbecher umfunktionierte Farbdose behielt er in der Hand.



Ich zündete mir eine neue Zigarette an und streckte die Hand aus. Er reichte mir den Aschenbecher, und ich stellte ihn auf der Lehne meines Stuhls ab.



„Es ist kein netter Plan“, sagte ich dann kalt. „Aber ich bin auch kein netter Mensch. Das mögen Sie bereits bemerkt haben. Ich kann ziemlich skrupellos sein, wenn es darum geht, ein gestecktes Ziel zu erreichen: sogar rücksichtslos, hart, skrupellos und korrupt, wie es die Situation gerade erfordert. Es war zum Beispiel auch eine Art von Korruption, als ich mich bereit erklärte, Luise zu heiraten. Hans-Georg Grashofer hat mich als Schwiegersohn gekauft, und ich habe mich kaufen lassen. Jeder ist käuflich. Auch Sie. Es kommt nur auf den Preis an.“



Ich legte meine Zigarette im Aschenbecher ab und nahm meine Brieftasche heraus. Sie war prall gefüllt mit Scheinen, und ich merkte, wie er Stielaugen bekam.



„Viertausend sofort, und weitere zehntausend, wenn der Job erledigt ist.“ Ich nahm die viertausend Euro in die linke, und die restlichen tausend Euro in die rechte Hand. „Plus tausend Euro Spesen. Sie werden eine Menge Spesen haben. Aber Tausend sind mehr als genug.



Ich hielt ihm das Geld unter die Nase. Er starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Scheine, und tiefe Falten zeigten sich neben seinem verzerrten Mund.



„Vierzehntausend Euro“, sagte ich. „Genug für eine Reise nach Berlin. Genug zum Überleben, bis Sie Verbindungen zu Galerien angeknüpft haben. Bei Ihrem Talent werden Sie es bald geschafft haben, und Sie werden reich sein. Aber zuvor brauchen Sie ein Startkapital, und ich bin in der Lage, es Ihnen zu beschaffen. Ich gebe Ihnen vierzehntausend Euro. Und was müssen Sie dafür tun? Fast nichts. Nur ein wenig Korruption. Wenn man es genau betrachtet, schenke ich Ihnen das Geld, so wenig müssen Sie dafür tun.“



„Ich rühre Ihr Geld nicht an, bis ich nicht weiß, was Sie von mir …“



„Na also.“ Ich grinste und wedelte mit den Scheinen. „So verstehen wir uns schon besser. Sie sind interessiert. Sie wollen es wissen, nicht wahr?“



Ich grinste noch breiter und schob die Scheine in meiner Hand fächerförmig auseinander. Es waren lauter Hundert-Euro-Scheine, und fünfzig Hunderter auf einem Haufen verfehlten ihre Wirkung nicht.

 



Die Blicke des Malers wechselten von meinem Gesicht zu den Scheinen und wieder zurück.



„Was sind Sie bloß für ein Teufel?“, sagte er gepresst und blicke wieder auf die Scheine.



„Wir alle haben einen Teufel in uns“, lächelte ich. „Auch Sie. Und all die vielen farbigen Scheinchen bringen ihn zum Vorschein. Sie können nichts dagegen tun. Niemand kann dagegen ankämpfen. Die Macht des Geldes macht uns alle zu Teufeln.“



Alex Blum sagte nichts. Er hielt den Blick gesenkt und fuhr sich mit den Händen über die Oberschenkel. Das Geld hatte seine Wirkung getan. Er hatte nur den inneren Schweinehund noch nicht überwunden, und ich war bereit, ihm dabei zu helfen.



Neben der Staffelei stand ein kleines Tischchen voller Papier, Pinsel und Farbe. Ich räumte ihn einfach ab, stellte ihn zwischen uns und legte das Geld auf die Platte.



„Lauter schöne Scheinchen“, sagte ich und verteilte sie auf der ganzen Tischplatte. „Eines schöner als das andere. Und sie könnten alle Ihnen gehören und noch viel mehr dazu. Na, wie ist es?“



Der Maler schwieg. Sein Blick war auf das Geld gerichtet, und ich konnte an seinem Gesicht ablesen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.



Und dann sagte er leise: „Was … was müsste ich dafür tun?“



Er hatte angebissen. Ich wusste, dass es klappen würde. Ich wusste es.



Ruhig sagte ich: „Wie ich vorher schon bemerkte, sind mein Schwiegervater und ich gleichberechtigte Partner. Da ich aber der jüngere und obendrein auch noch der bessere Verkäufer bin, habe ich den Außendienst übernommen. Ich besorge die Aufträge, handle die Preise mit unseren Großabnehmern aus und besuche sämtliche Modemessen im In- und Ausland. Auf den Modemessen schaffe ich es immer wieder, Kontakte zu neuen Kunden zu knüpfen, und so steigt unser Absatz, und die Firma wird immer größer …“



„Das interessiert mich nicht“, unterbrach mich der Maler.



„Sie werden es sich aber anhören müssen“, erklärte ich geduldig. „Für mich ist es wichtig. Ich möchte nämlich, dass Sie wissen, warum ich so und nicht anders handeln kann.“



Ich drückte meine Zigarette im Aschenbecher aus und zündete mir sofort eine neue an.



„Ich bin ein wichtiger Mann in unserem Betrieb“, fuhr ich fort. „Ich habe auch eine Menge dafür tun müssen, um es zu werden. Und jetzt möchte ich es auch bleiben. Aber ich kann es nur bleiben, wenn ich einen verdammt guten Grund zur Scheidung vorbringen kann. Ich bin ein wichtiger Mann und es wäre für die Firma ein großer Verlust, wenn mich mein Schwiegervater rauswerfen würde. Aber er würde es ohne Rücksicht auf die Fabrik tun, wenn ich mich ohne triftigen Grund von seiner Tochter trennen würde. Hätte ich aber einen schönen, altmodischen Grund, würde er das verstehen und akzeptieren, und ich könnte in der Firma bleiben. Sie sehen also, mir bleibt gar keine Wahl. Ich brauche einen Scheidungsgrund, und Sie werden mir helfen. Das heißt, wir helfen uns gegenseitig. Sie liefern mir den Scheidungsgrund, und ich liefere Ihnen das Geld, damit Sie nach Berlin fahren und dort berühmt werden können.“



„Und wie stellen Sie sich die Sache vor?“, wollte er wissen. „Ich habe kein Verhältnis mit Ihrer Frau, und ich bezweifle, dass sie mit mir eins anfangen wird.“



„Das wird auch gar nicht nötig sein“, erklärte ich.



„Aha.“



Er sah mich verständnislos an.



„Sie werden nur so tun, als hätten Sie ein Verhältnis mit meiner Frau.“



„Ich nehme an, Sie sagen mir gleich, wie ich das machen soll.“



„Haben Sie einen Wagen?“, fragte ich.



„Nein. Wovon sollte ich mir auch einen kaufen?“



„Das macht nichts. Sie brauchen auch kein Auto. Sie müssen bis zu meinem Haus ohnehin zu Fuß gehen.“



„Ich bin nicht gut zu Fuß.“



„Sie werden es lernen. Sie werden den Weg nämlich sehr oft gehen müssen.“



„Ich weiß noch immer nicht, wie Sie sich das vorgestellt haben.“



„Es wird für Sie die einfachste Sache der Welt sein“, sagte ich. „Ich wohne auf dem Es