Mördertreffpunkt Pigalle: Krimi Quartett 4 Thriller

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

18. Kapitel

Das monotone Trommeln der Regentropfen gegen die Fensterscheiben weckte mich am Mittwochmorgen. Ich hatte eine schlechte Nacht hinter mir, und ich fühlte mich wie gerädert.

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor sieben, und ich musste aufstehen.

Stöhnend erhob ich mich und ging zum Fenster. Es regnete in Strömen, und der Himmel war grau in grau. Es sah nicht so aus, als würde es heute noch einmal aufhören. Ich blieb lange am Fenster stehen und starrte hinaus. Ich hatte mir so ein Wetter gewünscht. Alles klappte wie am Schnürchen, und außer Pawelka war bis jetzt nichts dazwischen gekommen. Aber dafür konnte ich nichts. Das konnte ich unmöglich mit einkalkulieren.

Pawelkas Beseitigung hatte gut geklappt. Es war schon fast beängstigend, wie gut alles klappte. Aber ich war noch nie ein ängstlicher Mensch gewesen. Es klappte eben alles so gut, weil ich es gut geplant hatte.

Ich wandte mich um und ging zum Bett zurück. Die andere Betthälfte war leer. Luise war schon aufgestanden, um das Frühstück zu richten. Sicher würde wieder ein weichgekochtes Ei auf dem Tisch stehen und zwei aufgeschnittene Brötchen mit Butter und Marmelade, und sie wird dann daneben sitzen und zusehen, wie ich ein Brötchen aß und das andere Brötchen sowie das Ei stehen ließ, und beim nächsten Mal würde sie dann wieder dasselbe hinstellen.

Aber diesmal würde es kein nächstes Mal geben.

„Sie wird den morgigen Tag nicht mehr erleben“, murmelte ich vor mich hin.

Ich zog meinen Schlafanzug aus, ging ins Bad und duschte mich abwechselnd warm und kalt. Das Wasser tat mir gut; es erfrischte mich, und ich fühlte mich hinterher wesentlich besser.

Nachdem ich mich angezogen hatte, ging ich ins Esszimmer. Luise hatte den Tisch schon gedeckt, und mein Frühstück bestand, wie ich befürchtet hatte, aus zwei Brötchen und einem weichgekochten Ei.

Ich setzte mich an den Tisch, schob demonstrativ das eine Brötchen und das Ei zur Seite und trank die erste Tasse Kaffee in kleinen Schlucken aus. Danach aß ich mein Marmeladebrötchen, während Luise mir Kaffee nachschenkte.

„Du hast doch irgendwelche Sorgen“, sagte Luise, nachdem sie sich wieder an den Tisch gesetzt hatte.

„Sorgen?“ Ich wischte mir den Mund mit einer Serviette ab. „Ich wüsste nicht welche.“

„Das weiß ich auch nicht“, meinte Luise. „Aber irgendetwas hast du. Etwas bedrückt dich.“

„Wie kommst du darauf?“, fragte ich und leerte meine zweite Tasse Kaffee.

„Du siehst so anders aus. So … so … Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll … Einfach zum Fürchten.“

„Na, du bist gut“, lachte ich gepresst. „Findest deinen Ehemann zum Fürchten.“

„So war das auch wieder nicht gemeint“, erklärte Luise und wurde rot. „Ich fürchte mich nicht vor dir. Ich meine nur, du siehst nicht gut aus.“

„Ich sehe aus wie immer“, sagte ich.

„Nein, das stimmt nicht“, widersprach Luise. „Seit einigen Wochen bist du irgendwie anders. Du hast dich verändert. Vor allem deine Augen …“

„Was ist mit meinen Augen?“

„Ich weiß nicht …“ Sie zögerte. Ihr Gesicht war jetzt so rot wie eine überreife Tomate. „Ein Maler würde sagen, du hast den bösen Blick.“

„Was habe ich?“

Ich starrte sie wütend an.

Luise senkte den Blick. „Jetzt bist du mir böse, nicht wahr?“

„Natürlich bin ich das!“, fauchte ich sie an. „Der böse Blick. Du hast sie wohl nicht alle.“

„Es war ja auch nicht so gemeint“, verteidigte Luise sich kleinlaut. „Ich meinte doch nur …“

Sie brach hilflos ab und schüttelte den Kopf. Sie wagte nicht, mich anzusehen.

Und plötzlich hatte ich das Gefühl, als dürfte ich sie in diesem verwirrten Zustand nicht sich selbst überlassen. Etwas in mir warnte mich. Ich musste versuchen, einzulenken und sie beruhigen. Wenn ich sie jetzt so verließ, würde sie bestimmt sofort ihren Vater anrufen und ihm alles erzählen. Vielleicht würde sie ihn sogar um Rat fragen.

Aber ob sie ihn nun um Rat fragte oder ob sie sich über mich beschwerte, beides wäre schlecht für mich. Ich musste verhindern, dass sie überhaupt mit ihrem Vater darüber sprechen würden. Er könnte Verdacht schöpfen, wenn Luise heute Nacht tot in ihrem Bett aufgefunden wird. Ich musste jedes Risiko vermeiden.

„Entschuldige, Luise, wenn ich etwas heftig geworden bin“, sagte ich sanft. „Aber du sagst immer etwas und meinst es dann doch nicht so. Wie soll ich unterscheiden zwischen dem was du sagst und auch so meinst und zwischen dem was du sagst und nicht so meinst? Es ist sehr schwer für mich. Du müsstest dich einfach klarer ausdrücken …“

„Ja, ich weiß, dass ich dumm bin“, erwiderte sie leise. „Ich kann mich eben nicht so gut ausdrücken. Ich sage immer, was mir gerade einfällt, und meistens ist das falsch.“

„Nein, es ist nicht falsch“, widersprach ich ruhig, obwohl ich ihr am liebsten den Hals umgedreht hätte. „In gewissem Sinn hast du sogar recht. Ich habe ein Problem, das mich schon seit einiger Zeit beschäftigt. Aber damit muss ich alleine fertig werden. Ich möchte dich nicht damit belasten.“

„Aber das ist doch Unsinn“, entgegnete Luise, und die Röte wich aus ihrem Gesicht. „Wir sind verheiratet, um Freud und Leid miteinander zu teilen. Wenn du ein Problem hast, dann musst du mir das sagen. Ich möchte daran teilhaben. Alles was dich angeht, geht auch mich an und wer weiß, vielleicht kann ich dir sogar helfen.“

Luise stand auf, holte die Kaffeekanne und schenkte mir abermals Kaffee nach.

„Damit könntest du gar nicht so unrecht haben“, sagte ich und unterdrückte mühsam meine aufkommende Wut. Ich war wütend, weil mich Luise zu diesem Gespräch gezwungen hatte. „Aber ich habe deshalb nichts gesagt, weil es etwas ist, das niemand außer uns etwas angeht. Und da ich weiß, dass du deinem Vater immer alles erzählst, habe ich es eben für mich behalten. Ich werde versuchen, alleine damit fertig zu werden. Es gibt eben Dinge zwischen Eheleuten, die nur sie allein etwas angehen. Da haben auch deren Eltern nichts dabei zu suchen. Auch dein Vater nicht. Wenn er sich da einmischt, würde es nur noch schlimmer werden. Er würde alles nur noch komplizierter machen, und es ist schon kompliziert genug.“

„Wenn es etwas ist, das nur uns beide angeht, dann werde ich Vater nichts sagen“, versicherte mir Luise und wurde prompt wieder rot. Weil sie sich ertappt fühlte.

Ich nahm einen Schluck Kaffee, wiegte bedenklich den Kopf hin und her und sagte dann: „Gut, wenn du mir versprichst, dass dein Vater nichts davon erfährt, werden wir morgen Abend darüber reden.“

„Warum nicht jetzt gleich?“

„Weil ich jetzt keine Zeit habe“, erklärte ich. „Um über mein Problem zu reden, brauchen wir Zeit, und die habe ich nicht. Ich bin ohnehin schon zu spät dran.“

Ich erhob mich, schlüpfte in meine Jacke, nahm meine Koffer auf und ging zum Wagen.

Luise folgte mir.

„Kannst du mir nicht wenigstens eine Andeutung machen?“, erkundigte sie sich.

Luise war neugierig wie die meisten Frauen. Was ich ihr da eröffnet hatte, würde ihr keine Ruhe lassen. Sie würde den ganzen Tag darüber nachgrübeln, was ich da wohl für ein Problem hatte, und sie würde sich sicherlich fragen, ob nicht sie das Problem wäre.

„Nein, Luise, es ist sinnlos, über ein ernstes Problem Andeutungen zu machen, die der andere ganz sicher falsch verstehen würde. Lassen wir es dabei. Ich komme morgen Abend gegen acht Uhr nach Hause, und dann können wir ausgiebig darüber reden.“

„Gut, wenn du meinst …“

Es gefiel ihr ganz und gar nicht. Ich sah es ihr an. Es würde ein schrecklicher Tag und eine noch schrecklichere Nacht für sie werden.

Vor allem eine schreckliche Nacht.

Eine Nacht mit einer folgenschweren Begegnung.

Einer Begegnung mit dem Tod.

19. Kapitel

Es regnete den ganzen Tag.

Ich war sehr froh darüber, denn das würde mein Vorhaben wesentlich erleichtern. Zu meiner guten Planung kam nun auch noch eine Portion Glück; das Glück des Tüchtigen. Ich war immer schon ein tüchtiger Mensch gewesen. Was ich angepackt hatte, hatte Hand und Fuß gehabt. Ich hasste halbe Sachen. Nur Stümper gaben sich mit halben Sachen zufrieden, und ich hatte mich noch nie zu den Stümpern gezählt.

Meine Sekretärin hatte für zehn Uhr einen Termin vereinbart. Ich war auf die Minute pünktlich, und der Chef des Bekleidungshauses empfing mich wie einen alten Freund. Wir hatten uns von Anfang an gut verstanden, und ich war aus diesem Haus noch nie ohne Auftrag herausgekommen.

Eine Stunde lang unterhielten wir uns über alles Mögliche, nur nicht über das Geschäft. Dann kamen wir zum geschäftlichen Teil.

Da Beierlein von Strickwaren nicht allzu viel verstand, holte er noch einen Fachmann hinzu, und seine Sekretärin begutachtete ebenfalls meine Muster.

Um ein Uhr aß ich zu Mittag, und danach ging es wieder weiter. Bis kurz vor fünf Uhr saßen wir über den Mustern und tranken eine Menge Kaffee. Dann hatten wir es geschafft. Das heißt, ich hatte es geschafft, denn ich hatte einen dicken Auftrag in der Tasche.

Und schließlich kam der Punkt, der mir manchmal ein wenig Herzklopfen bereitet hatte. Ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht, dass ich nach Abschluss eines Geschäfts den Chef oder den Einkäufer zum Abendessen einlud. Ich hatte auch Beierlein immer zum Essen eingeladen. Aber er hatte meine Einladung stets abgelehnt, und so hatte ich auch diesmal eine Ablehnung mit einkalkuliert.

Und ich hatte Glück. Beierlein lehnte auch diesmal dankend ab, und ich atmete auf.

 

Mein Hotel hatte ich mir schon ausgesucht. Ich fuhr in die Maximilianstraße und buchte im Hotel „Drei Linden“ ein Einzelzimmer.

Um halb acht Uhr abends ging ich in eine Bar mit Tanzmusik. Es war eine Art Diskothek für die reifere Jugend. Junge Leute unter achtzehn Jahren waren dort eine Seltenheit. Die Musik war die gleiche, wie in tausend anderen Diskotheken auch. Sie war so gemischt wie das Publikum.

Ich war schon sehr oft in diesem Tanzlokal gewesen, und schon als ich es zum ersten Mal betreten hatte, wusste ich, dass es einmal von Bedeutung für mich sein würde. Von der Anlage und von der Art her, eignete sich dieses Lokal hervorragend für meinen Plan.

Die Einrichtung erstreckte sich über drei Etagen. Die mittlere Etage, auf der sich die Tanzfläche sowie die Bar befanden, und die untere Etage, waren von der oberen zur Hälfte einzusehen, sofern es die Lichtverhältnisse zuließen. Oben befanden sich nur Tische und Stühle, und nach neun Uhr abends fand man dort nur selten einen freien Platz.

Über eine Treppe kam man zur mittleren Etage. Rechts neben der Treppe hatte die Live-Band ihre Instrumente aufgebaut. Um die Tanzfläche herum standen kleine Tische mit zwei Stühlen. Über die Tanzfläche gelangte man in die Bar, die auch noch über eine zweite, sehr enge Treppe aus der oberen Etage zu erreichen war.

Unten gab es lauter kleine Nischen, in denen sich hauptsächlich Liebespaare aufhielten.

Wenn das Lokal voll war, fasste es gut und gern dreihundert Leute. Und meistens war es voll. Ich hoffte, dass es auch an diesem Abend zum Bersten gefüllt sein würde.

Aber der Hauptvorteil dieses Lokals war für mich der ständige Wechsel des Publikums. Hier gingen die Leute aus und ein wie in einem Kaufhaus während des Schlussverkaufs, und kaum jemand achtete auf die Kommenden und Gehenden.

Ich setzte mich an die Bar und bestellte einen Whisky. Bis jetzt war noch nicht sehr viel los. Die oberen Tische waren zur Hälfte besetzt. Um die Tanzfläche saßen vier Paare und unterhielten sich leise. Unten saß noch niemand. Jedenfalls nicht soweit ich sehen konnte.

An der Bar saßen zwei Türken. Sie unterhielten sich in ihrer Sprache und lachten sehr laut. Neben mir saß eine etwa dreißigjährige Frau, mit dunklem, vollem Haar und derben Gesichtszügen. Hinter der Bar stand ein junger, gutaussehender Mann mit blauschwarzem Haar und schmalem Oberlippenbart. Er war mit einem weißen Hemd und einer engen, schwarzen Hose bekleidet.

Ich prägte mir sein Gesicht genau ein und warf auch ab und zu einen Blick auf die Frau neben mir. Dabei bemerkte ich, dass sie mich beobachtete. Sie hätte es sicher gern gehabt, wenn ich ein Gespräch mit ihr angefangen hätte. Aber das durfte ich nicht. Das hätte mein Alibi gefährden können. Ich war zwar überzeugt, dass ich mein Alibi gar nicht brauchen würde, weil ich alles zu gut eingefädelt hatte. Aber sicher ist sicher. Ich wollte nichts dem Zufall überlassen.

Ich fing also kein Gespräch mit der Frau an. Ich hätte ohnehin nicht gewusst, was ich sagen sollte. Ich saß nur da, trank meinen Whisky und hing meinen Gedanken nach.

Nach dem zweiten Whisky pur, bestellte ich mir nur noch Whisky mit Cola, um nicht betrunken zu werden. Ich brauchte in dieser Nacht einen klaren Kopf.

Kurz nach acht Uhr begann die Band zu spielen, und das Lokal füllte sich langsam. Ich setzte mich mit dem Rücken zur Bar und sah eine Weile den tanzenden Paaren zu. Ich sah gern zu, wenn andere tanzten. Ich selbst tanzte nicht. Ich war beim Tanzen so tollpatschig wie ein Bär. Ich trampelte meinen Partnerinnen ständig auf den Zehen herum, weil ich einfach kein Gehör für Musik hatte.

Nachdem der erste Tanz zu Ende war, überwand die Frau neben mir ihre Scheu und machte einen Annäherungsversuch. Sie beugte sich zu mir und bat mich mit tiefer, wohlklingender Stimme um Feuer.

Ich gab ihr Feuer und wandte ihr dann wieder den Rücken zu. Ich hatte nichts gegen Frauen, die selbst die Initiative ergriffen, wenn ihnen ein Mann gefiel. Ich brauchte das sogar, weil ich selbst nicht den Mut hatte, Frauen anzusprechen. Aber an diesem Abend wäre es geradezu gefährlich gewesen, wenn ich mit der Frau näheren Kontakt gesucht hätte.

Als die nächste Tanzrunde begann, rutschte die Frau vom Barhocker und stellte sich demonstrativ an den Eingang der Bar. Sie wollte damit den anderen Männern zeigen, dass sie nicht zu mir gehörte.

Sie hatte aufs richtige Pferd gesetzt. Schon eine Minute später kam ein Bulle von einem Mann auf sie zu und schleppte sie auf die Tanzfläche.

Während sie tanzte, zahlte ich, rutschte ebenfalls vom Hocker und ging durch das inzwischen gefüllte Lokal. Ich setzte mich in der unteren Etage an einen Tisch, bestellte bei der Bedienung einen Whisky pur und zahlte gleich. Als ich mich unbeobachtet fühlte, schüttete ich den Whisky unter den Tisch. Ich wartete, bis die Tanzrunde zu Ende war. Dann ging ich über die leere Tanzfläche nach oben und bestellte mir dort bei der Bedienung einen Whisky mit Cola.

Einen Platz zum Sitzen hatte ich nicht gefunden. Ich stand mit einigen anderen am Geländer und blickte auf das Treiben neben und unter uns.

Um viertel vor neun ging ich wieder hinunter an die Bar. Sie war jetzt so voll, dass ich Mühe hatte, zur Theke vorzudringen und meine Bestellung aufzugeben.

Das Gedränge an der Bar war genau das Richtige. Darauf hatte ich gebaut.

Ich bekam meinen Whisky mit Cola und zog mich wieder zurück. Mit dem Glas in der Hand lehnte ich mich an die Wand und suchte im Halbdunkel nach einer Ablage. Ich entdeckte einen hervorstehenden Balken und stellte mein Glas darauf ab. Anschließend ging ich nach unten und trat ins Freie.

Es war zehn Minuten vor neun Uhr, als ich vor der Diskothek stand. Durch die offene Tür drang die Musik ins Freie, und ich wandte mich sofort dem schützenden Dunkel zu.

Der starke Regen vom Tage war inzwischen in einen Nieselregen übergegangen, und auf der Straße standen jetzt tiefe Pfützen.

Auf dem Weg zu meinem Wagen kam mir in den Sinn, Sabine anzurufen. Ich überlegte nur eine Sekunde und schon wählte ich ihre Nummer.

Als sie abhob, sagte ich: „Bitte, leg nicht gleich wieder den Hörer …“

Aber sie hatte schon aufgelegt.

Ich versuchte es sofort von Neuem, und das Besetzzeichen drang an mein Ohr.

Ich setzte mich in meinen Wagen und fuhr so schnell es ging nach Ulm. Der Regen ließ kein allzu schnelles Fahren zu. Aber dafür war die Autobahn ziemlich frei. Ich brauchte eine Stunde und zwanzig Minuten. Genau fünfzehn Minuten nach zehn Uhr lenkte ich den Wagen in den Mähringer Weg ein. Danach bog ich links ab in den Weinbergweg und gleich darauf rechts in die Ochsensteige. Dort stellte ich meinen Wagen zwischen einigen Bäumen so ab, dass er von der Straße aus nicht zu sehen war, und lief über Schleichwegen zu meinem Haus.

Als ich in die Nähe meines Grundstückes kam, wurde ich langsamer. Lautlos trat ich an die Hecke heran, ging in die Knie und robbte vorsichtig daran entlang, bis ich zu dem Loch kam. Ich steckte den Kopf hinein, hielt den Atem an und horchte in die Nacht.

Außer dem monotonen Rauschen des Regens war nichts zu hören, und ich reckte mich ein Stück nach vorn, um in den Garten sehen zu können. Soweit ich sehen konnte, war nichts Ungewöhnliches erkennbar.

Ich wagte nicht, durch das Loch zu schlüpfen, weil ich Angst hatte, Blum könnte mich entdecken. Aber ich konnte mich auch nicht außerhalb der Hecke aufrichten, weil ich sonst das Taxi nicht sehen konnte. Also kauerte ich weiterhin auf Händen und Knien und wartete ab. Es konnte ja nicht mehr lange dauern. Wir hatten halb elf vereinbart.

Der Regen prasselte auf das Laub der Hecke und tropfte dann auf meinen Rücken. Ich war schon völlig durchnässt, und langsam kroch die Kälte durch meine Kleider. Aber ich bewegte mich nicht. Reglos wartete ich in meiner äußerst unbequemen Position bis das Taxi vorfuhr.

Als es endlich vor dem Gartentor hielt, waren höchstens fünf Minuten vergangen. Aber mir waren sie wie fünf Stunden vorgekommen.

Ich sah das Taxi nicht. Ich sah nur das schwache Scheinwerferlicht durch die Hecke, und ich hörte das Brummen eines Dieselmotors durch den Regen.

Und gleich darauf entdeckte ich Blum. Er ging, ohne sich zu beeilen, die langgezogene Steintreppe zum Gartentor hinunter. Er musste neben der Haustür unter dem Vordach gestanden haben. Blum war der ideale Mann für mich gewesen. Ich hätte mir keinen besseren vorstellen können.

Danach hörte ich eine Autotür zuschlagen, ich kroch durch das Loch und versuchte, mich aufzurichten. Aber es gelang mir nur mühsam. Meine Knochen waren wie steif gefroren.

Nachdem ich meine Knie ein wenig massiert hatte, ging es wieder. Ich umrundete den Swimmingpool und ging zur Eingangstür. Im Schlafzimmer brannte noch Licht. Aber damit hatte ich gerechnet. Luise konnte nicht schlafen. Sicher würde sie noch immer über unser Gespräch beim Frühstück nachgrübeln.

Ich schloss leise auf und ging ins Wohnzimmer. In der ersten Schublade des Wohnzimmerschranks bewahrte ich meine Pistole auf. Ich nahm sie an mich und steckte auch den Schalldämpfer ein, den ich mir schon vor zwei Jahren besorgt hatte, um auch mal in meinem Garten schießen zu können. Die Pistole war auf mich zugelassen. Ich besaß einen Waffenschein.

Langsam ging ich zur Schlafzimmertür und öffnete sie.

Luise lag im Bett und las. Als ich eintrat, blickte sie erschrocken hoch.

„Was machst du denn hier?“, fragte sie erstaunt. „Ich dachte, du wolltest erst morgen zurückkommen.“

„Ich bin früher fertig geworden“, antwortete ich knapp.

Ich ging langsam auf sie zu.

Luise trug ihr rosarotes, baumwollenes Nachthemd, das ihr bis zu den Knöcheln reichte. Ich hasste dieses schreckliche Nachthemd. Aber Luise mochte es, und sie hatte sich gleich drei Stück davon gekauft.

Auf dem Nachttisch stand ein Radio, und sie hatte es ganz leise eingeschaltet. Die Musik war kaum zu hören.

„Mein Gott, wie siehst du denn aus?“, fragte Luise plötzlich und legte das Buch zur Seite. „Du bist ja ganz nass.“

„Ich bin gelaufen“, entgegnete ich.

„Wie gelaufen?“

„Na eben gelaufen.“

Ich setzte mich auf den Bettrand.

„Und deine Kleider!“, rief sie auf einmal aus. „Du bist ja schmutzig! Mein Gott, hast du einen Unfall gehabt?“

„Nein, ich hatte keinen Unfall.“

In der rechten Hand, die ich hinter meinem Rücken versteckt hatte, hielt ich die Pistole. Mit der linken Hand drehte ich das Radio lauter.

„Mein Gott, was ist bloß los?“ Sie sah mich mit angstgeweiteten Augen an.

Ich drehte die Musik noch lauter.

Einen Augenblick später hielt ich ihr die Pistole an die Schläfe und drückte ab, bevor sie realisierte was geschah und schreien konnte.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?