Mördertreffpunkt Pigalle: Krimi Quartett 4 Thriller

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14. Kapitel

Als ich am nächsten Morgen erwachte, war es zehn Uhr. Luise war nicht da. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel: Bin zum Einkaufen gegangen. Dein Frühstück steht auf dem Tablett.

Auf dem Tablett stand eine halb volle Kanne Kaffee, zwei Brötchen mit Marmelade und ein weichgekochtes Ei. Frühstück wie immer. Luise würde es nie lernen.

Ich warf das Ei in den Abfalleimer, holte mir das Telefon ins Esszimmer und wählte Blums Nummer. Es dauerte lange, bis er endlich abhob.

„Blum.“

Seine Stimme klang verschlafen.

„Ich habe Sie in der vergangenen Nacht beobachtet“, sagte ich ohne Umschweife.

Der Maler schwieg.

„Haben Sie gehört, was ich sagte?“

„Ich hab’s vernommen“, brummte er missgelaunt.

„Sie haben Ihre Sache recht gut gemacht“, lobte ich.

„Es tut gut, das zu hören“, höhnte er.

„Nur sollten Sie beim Gehen etwas vorsichtiger sein“, fuhr ich ungerührt fort. „Sie trampeln wie ein Elefant den Berg hinauf. Das ist nicht gut. Es könnte Sie jemand sehen, und dann war alles umsonst. Mein Plan gelingt nur dann, wenn Sie beim Hinaufgehen nicht gesehen werden.“

„Ihr Plan ist große Scheiße.“

„Für Sie vielleicht“, sagte ich. „Aber nicht für mich. Für mich ist er lebenswichtig.“

„Für Sie!“, stieß er heftig hervor. „Ich bin ein Idiot, dass ich überhaupt darauf eingegangen bin. Wissen Sie, was Sie sind? Sie sind …“

„Vielen Dank“, unterbrach ich ihn laut und hart. „Ich kann auf Ihre Komplimente verzichten. Sie haben genau das zu tun, was ich Ihnen sage. Jeden weiteren Kommentar können Sie sich sparen. Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen äußerst vorsichtig sein, wenn Sie sich meinem Haus nähern, und das werden Sie verdammt noch mal auch tun! Haben Sie mich verstanden?“

Er schwieg wieder, und ich grinste. Ich hätte viel darum gegeben, wenn ich jetzt sein Gesicht hätte sehen können. Sicher war es knallrot vor Zorn.

„Ob Sie mich verstanden haben?“, brüllte ich in den Hörer.

„Ja doch“, erwiderte er gereizt. „Ich habe Sie verstanden. Sie reden schließlich laut genug.“

„Na fein. Dann kann ich mich also auf Sie verlassen?“

Er schwieg wieder.

„Hören Sie“, sagte ich ärgerlich. „Ich bezahle Sie verdammt gut, dann kann ich auch eine Antwort auf meine Fragen verlangen. Aber wenn Sie sich stur stellen wollen, dann sagen Sie es. Ich kann auch anders, und ich kann verdammt ungemütlich werden.“

„Wollen Sie mir drohen?“

„Fassen Sie es auf wie Sie wollen. Aber halten Sie sich an unsere Vereinbarung.“

„Sie können mir nicht drohen. Wenn es Ihnen nicht passt, dann werfe ich alles hin. Ich höre auf. Dann können Sie sich für Ihre Dreckarbeit einen anderen suchen.“

Ich überlegte nur eine Sekunde. Dann sagte ich schnell: „Gut, wie Sie wollen. Ich bin in einer halben Stunde bei Ihnen und hole die fünftausend Euro ab. Sie haben sie doch noch, oder?“

Eine Weile war es still, und ich grinste. Ich hatte den richtigen Ton angeschlagen. Ich war sicher, dass er von dem Geld keinen Pfennig mehr hatte. Er hatte bestimmt damit einen Teil seiner Schulden beglichen.

„Ich habe nicht gesagt, dass ich aufhöre“, sagte er endlich. „Ich lasse mir nur nicht gern drohen. Ich könnte ja auch zur Polizei gehen.“

„Was können Sie?“ Ich lachte aus vollem Hals. „Sagen Sie das doch noch mal.“

„Ich könnte zur Polizei gehen und denen eine nette Geschichte erzählen.“

„Und was wollen Sie denen erzählen?“

„Die Wahrheit.“

„Und was glauben Sie damit erreichen zu können?“

„Dass sich die Polizei für Sie interessiert. Sie spielen nämlich ein verdammt schmutziges Spiel.“

„Haben Sie etwas Schriftliches gegen mich in der Hand?“, fragte ich.

„Nein. Aber die Frau von gegenüber hat mich in der vergangenen Nacht aus Ihrem Haus kommen sehen. Ich sah, wie sich der Vorhang bewegte. Das ist für die Polizei sicher Beweis genug.“

„Das ist natürlich ein Beweis“, sagte ich grinsend. „Aber ein Beweis gegen Sie.“

„Gegen mich? Und weshalb gegen mich? Ich bin doch derjenige, der zur Polizei geht.“

„Sicher“, sagte ich in einem fast freundlichen Ton. „Sie gehen zur Polizei und erzählen denen Ihre Geschichte, und die kommen zu mir und wollen wissen, was an der Geschichte dran ist, und ich erzähle denen dann eine ganz andere Geschichte, und ich wette mit Ihnen, dass man mir glauben wird.“

„Und weshalb sollte man Ihnen glauben und nicht mir?“, erkundigte er sich mit unsicherer Stimme.

„Mein lieber Herr Blum“, sagte ich fröhlich. „Für wie dumm halten Sie mich eigentlich? Glauben Sie wirklich, ich wäre zu Ihnen gekommen, ohne mir vorher alles genau zu überlegen. Sehen Sie, ich habe selbstverständlich damit gerechnet, dass Sie mit solch einem Unsinn kommen oder mich gar erpressen wollen, und deshalb habe ich vorgesorgt. Ich habe etwas Schriftliches in der Hand.“

„Den Zettel, den ich geschrieben habe?“

„Genau den.“

„Aber das ist doch …“

Er verstummte, und ich lachte.

„Sehen Sie, Herr Blum, langsam beginnen Sie zu begreifen. Der Zettel, auf den Sie mir ein paar liebe Worte geschrieben haben, wird mir nicht nur einen guten Dienst erweisen, sondern auch schützen. Ich brauche ihn natürlich in erster Linie für den Zweck, den ich Ihnen angab. Aber wenn ich ihn nur dafür gebraucht hätte, hätte es doch genügt, wenn ich ihn kurz vor Abschluss unseres Geschäfts von Ihnen verlangt hätte. Aber ich habe ihn gleich zu Anfang von Ihnen verlangt, und ich habe mir etwas dabei gedacht.“

„Und was haben Sie damit vor?“

„Nichts“, sagte ich. „Gar nichts. Es sei denn, Sie rennen tatsächlich zur Polizei.“

„Und dann?“

„Dann werde ich denen meine Geschichte erzählen, und die dürfte Ihnen ziemliche Unannehmlichkeiten einbringen.“

„Und was wollen Sie denen erzählen?“

„Ganz einfach. Ich werde ihnen sagen, dass Sie meiner Frau nachsteigen. Ich werde sagen, ich hätte einen Blumenstrauß abgefangen, an dem dieser Zettel hing, und ich werde erklären, ich hätte Sie dabei erwischt, wie Sie nachts in mein Haus eindringen wollten und dass ich Sie verprügelt hätte. Aus Wut wären Sie dann zur Polizei gerannt und hätten denen dieses Schauermärchen erzählt. Was glauben Sie, wem man mehr Glauben schenken wird? Ihnen oder mir?“

„Sie sind doch das mieseste Schwein, das mir je begegnet ist“, zeterte er.

„Ich bin vorsichtig, das ist alles“, entgegnete ich und hielt mich mühsam zurück. „Und jetzt hoffe ich, dass die Fronten klar sind. Sie werden das Spielchen spielen, bis ich halt sage. Dann zahle ich Sie aus, und Sie können von hier verschwinden. Ist das klar?“

„Hätte ich mich nur nie mit Ihnen eingelassen“, stöhnte der Maler.

„Sie haben sich aber mit mir eingelassen, und jetzt halten Sie auch bis zum Schluss durch. Am Mittwoch fahre ich erneut weg. Sie werden also in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag das Spielchen fortsetzen. Den nächsten Termin gebe ich Ihnen wieder rechtzeitig bekannt.“

Er sagte nichts mehr, und ich legte auf.

15. Kapitel

Die nächsten zwei Wochen vergingen sehr schnell. Ich war viel auf Reisen, stellte unseren Kunden die neue Kollektion vor und versuchte nebenbei noch, neue Kunden zu finden. Und ich hatte Glück. Ich lernte einen wichtigen Mann eines großen Warenhauses kennen. Wir kamen sehr gut ins Gespräch, und ich zeigte ihm meine Muster und nannte ihm meine Preise. Die Muster gefielen ihm, aber beim Preis zog er die Nase kraus und schüttelte den Kopf. Dann sagte er mir, was er allerhöchstens zahlen würde, und mir blieb die Luft weg, und diesmal schüttelte ich den Kopf.

Wir wurden uns nicht einig, aber er versprach, mit mir in Verbindung zu bleiben.

Ich bekam auch ohne das Warenhaus genug Aufträge zusammen, und mein Schwiegervater war wieder sehr zufrieden mit mir. Die Vollbeschäftigung war garantiert.

Ich war jedoch noch nicht durch. Ich musste noch vier Kunden aufsuchen, und einen von ihnen hielt ich mir bewusst bis zum Schluss auf. Es war ein Kaufhaus in Augsburg. Wir belieferten dieses Kaufhaus schon seit Jahren mit unseren Artikeln, und sie würden auch dieses Jahr wieder bestellen. Ich behielt es deshalb zurück, weil es in meinem Plan eine Rolle spielte. Das heißt, es war weniger das Kaufhaus; vielmehr deshalb, weil Augsburg von Ulm in knapp eineinhalb Stunden zu erreichen war. Ich würde also nicht mehr als drei Stunden unterwegs sein. Wenn ich Glück hatte, schaffte ich es sogar in zwei Stunden. Mein Wagen war sehr schnell, und zu der Zeit würde die Autobahn sicher nicht zu voll sein.

Das Kaufhaus in Augsburg stand in meinem Terminplan am Mittwoch, den 5. September. Jetzt hatten wir Sonntag den 2. September, und ich saß zu Hause und trank mit Luise Kaffee.

In den vergangenen zwei Wochen hatte ich jeden Tag bei Sabine angerufen. Jedenfalls hatte ich es jeden Tag versucht. Sie war aber meistens nicht zu Hause, und wenn sie zu Hause war, war das Gespräch sehr kurz und wenig ermunternd. Sabine glaubte mir noch immer nicht, dass ich mich scheiden lassen würde, und sie wollte nichts mehr von mir wissen. Sie bat mich jedes Mal, ich sollte sie nicht mehr anrufen und ihr auch keine Blumen mehr schicken. Aber ich rief sie weiter an, und ich schickte ihr jeden zweiten Tag Blumen.

Ich hatte sie jetzt schon drei Tage nicht mehr sprechen können, weil sie nicht zu Hause war. Dabei hatte ich am Samstagabend erst um elf Uhr angerufen. Aber das würde sicher besser werden. Sie würde bald merken, dass ich anders war, als andere Männer.

 

Nach dem Kaffeetrinken zog ich mich um, warf meine Tennistasche in den Wagen und fuhr zum Tennisplatz. Sterzel war schon da, und wir unterhielten uns noch eine Weile, bis ein Platz frei wurde.

Ich gewann den ersten Satz mit sechs zu vier, und den zweiten Satz mussten wir beim drei zu null für mich abbrechen, weil unsere Stunde um war. Ich war sehr zufrieden mit mir, und ich fühlte mich so gut wie schon lange nicht mehr.

Nach dem Duschen tranken wir noch zwei Bier zusammen, und Sterzel erinnerte mich wieder an meine Zähne. Ich sagte, ich müsste noch eine Woche reisen, dann hätte ich wieder Luft, und ich könnte jeden Tag zu ihm kommen. Als er wieder von meiner schlechten Gesichtsfarbe anfing, wechselte ich schnell das Thema, und zehn Minuten später brachen wir auf.

Ich fuhr zum Bahnhof und rief von unterwegs Sabine an. Sie hob nach dem dritten Klingeln ab.

„Ach, du bist es“, sagte sie ohne Begeisterung.

„Ich komme gerade vom Tennisspielen“, berichtete ich. „Was hast du heute gemacht?“

„Nichts“, sagte sie. „Ich war den ganzen Tag zu Hause.“

„Ich versuche schon seit drei Tagen dich zu erreichen. Aber du bist nie zu Hause.“

„Ich habe zu tun. Außerdem habe ich dir schon ein paar Mal gesagt, dass du mich nicht mehr anrufen sollst. Ich will nicht, dass du mich anrufst.“

„Liebling, warum willst du mir nicht glauben, dass ich mich scheiden lassen werde?“

„Hör zu, Wilhelm. Es ist mir völlig egal, ob du dich scheiden lässt oder nicht. Ich liebe dich nicht mehr, und ich kann und will dich nicht mehr heiraten. Es ist aus zwischen uns. Hast du das jetzt endlich begriffen?“

Der Schock saß, und ich schwieg erst mal eine Weile. Dann sagte ich. „Du redest irr. Wir werden heiraten. Ich habe den endgültigen Beweis, dass mich meine Frau betrügt. Ich werde noch diese Woche die Scheidung einreichen.“

„Du hast einen Beweis?“

Das klang schon wieder interessierter.

„Ja.“

„Was für einen Beweis? Hast du sie mit einem anderen erwischt?“

„Nein. Es ist etwas anders. Ich werde es dir erzählen, wenn es so weit ist.“

„Und was wird dein Schwiegervater dazu sagen?“

„Nichts. Er wird es richtig finden, dass ich mich scheiden lasse."

„Das glaubst du doch selbst nicht.“, kam es erneut von ihr.

„Du wirst es schon sehen.“

„Na, dann viel Glück. Du wirst sicher wieder eine andere Frau finden.“

„Ich habe sie schon gefunden“, sagte ich. „Du wirst diese Frau sein.“

„Nein, Wilhelm, das werde ich nicht. Zwischen uns ist es aus. Ich kann nicht mehr, und ich will auch nicht mehr. Rufe mich bitte nicht mehr an.“

„Du glaubst mir also immer noch nicht“, stellte ich ruhig fest.

„Was spielt das für eine Rolle, ob ich dir glaube oder nicht? Ich werde dich nicht heiraten, und ich möchte dich auch nicht mehr wiedersehen. Leb wohl, Wilhelm, und alles Gute für die Zukunft.“

Danach legte Sabine auf.

16. Kapitel

Am Montagmorgen fuhr ich nach Memmingen. Alex Blum hatte von mir seine Anweisungen bekommen. Aber er wusste noch immer nicht, dass am Mittwoch sein letzter Einsatz war.

In Memmingen ging ich zuerst in ein Juweliergeschäft. Ich kaufte ein mit Diamanten besetztes Armband, ließ es mir einpacken und schickte es per Einschreiben an Sabine.

Anschließend rief ich bei ihr an. Sie war nicht zu Hause.

Danach rief ich in ihrem Betrieb an, und man sagte mir, sie wäre in einer Besprechung. Als ich am Nachmittag erneut anrief, war sie noch immer in der Besprechung.

Abends rief ich sie zu Hause an. Sie hob ab, und als ich mich meldete, legte sie wieder auf. Ich wählte sofort erneut ihre Nummer, aber sie hob nicht mehr ab.

Sie wird sicher anders werden, wenn ich erst einmal Witwer bin, dachte ich. Sie wurde zu oft enttäuscht, und jetzt glaubt sie mir nicht.

Ich fuhr nach Hause.

Geschäftlich gesehen war meine Fahrt nach Memmingen ein Erfolg gewesen. Ich brachte zwei Aufträge mit nach Hause.

Am nächsten Morgen ging ich in die Firma. Seit zwei Jahren legte mir meine Sekretärin jeden Morgen die Tageszeitung auf den Schreibtisch, auch wenn ich nicht da war. Meistens hatte ich die Zeitung ungelesen in den Papierkorb geworfen. In den letzten drei Wochen hatte ich jedoch jede Ausgabe sorgfältig durchgelesen. Aber über Klaus Pawelka hatte nichts in der Zeitung gestanden.

An diesem Morgen fand ich eine kleine Notiz. Eine Frau hatte Pawelka als vermisst gemeldet, und die Polizei schloss ein Verbrechen nicht aus. Laut Zeitungsbericht war Pawelka dreimal vorbestraft, und er galt in seinem Bekanntenkreis als Raufbold. Die Polizei ermittelte in dieser Richtung. Bisher habe sich jedoch noch keine konkrete Spur ergeben.

Und so wird es auch bleiben, dachte ich und faltete die Zeitung zusammen. Sie werden nie etwas finden.

Ich steckte die Zeitung wie üblich in den Papierkorb und ging ins Vorzimmer hinaus.

„Wann habe ich heute meinen Termin in Heidenheim, Frau Klinger?“, fragte ich meine Sekretärin.

„Um vierzehn Uhr“, erwiderte sie ohne nachsehen zu müssen.

„Gut. Dann werde ich jetzt fahren.“

Ich ging zur Tür. Dort drehte ich mich noch einmal um.

„Haben Sie eigentlich mein Zimmer in Augsburg schon bestellt?“, erkundigte ich mich.

„Ja, Herr Bastian. Wie üblich im gleichen Hotel.“

„Bestellen Sie es wieder ab. Das Hotel gefällt mir nicht mehr. Es ist nicht mehr das, was es einmal war. Ich werde mir ein neues suchen.“

„Aber dann weiß ich ja nicht, wo Sie zu erreichen sind. Sie wissen doch, dass Herr Grashofer …“

„Ich weiß. Ich melde mich bei ihnen, wenn ich weiß in welchem Hotel ich untergekommen bin“, unterbrach ich sie, „damit mein Schwiegervater ruhig schlafen kann.“

Sie erlaubte sich ein kleines Lächeln, und ich lächelte zurück. Anschließend fuhr ich nach Heidenheim.

17. Kapitel

Ich war gegen neunzehn Uhr wieder zurück. Ich fuhr sofort in die Firma. Es war niemand mehr im Büro. Auch mein Schwiegervater war schon nach Hause gefahren.

Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und rief Sabine an.

Sie hob sofort ab.

„Wendel.“

„Ja, ich bin’s. Aber leg jetzt bitte nicht gleich wieder auf.“

„Ich denk ja gar nicht daran!“, fauchte mich Sabine an. „Ich habe dir nämlich einiges zu sagen.“

„Fein“, sagte ich. „Ich dir auch.“

„Sag mal, bist du jetzt völlig verrückt geworden?“, rief Sabine erregt. „Ich habe dich gebeten, mich in Ruhe zu lassen, und du schickst mir so ein wertvolles Armband …“

„Hat es dir gefallen?“

„Nein, zum Teufel, es hat mir nicht gefallen, und die Kette auch nicht. Ich werde beides in eine Schachtel packen und an dich zurückschicken. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?“

„Ich wollte dir eine kleine Freude machen.“

„Glaubst du, ich bin käuflich?“

„Ich will dich nicht kaufen.“ Ich wurde ebenfalls ein wenig lauter. „Es sollte nur eine kleine Aufmerksamkeit sein. Ein Geschenk.“

„Ich will von dir keine Geschenke!“, schrie Sabine.

„Sabine“, sagte ich jetzt wieder völlig ruhig. „Ich liebe dich.“

„O Gott“, stöhnte sie. „Hast du denn immer noch nicht begriffen? Es ist aus. Vorbei. Ich liebe dich nicht mehr … Ich will nichts mehr von dir wissen …“

„Du weißt nicht was du sagst“, unterbrach ich sie sanft. „Du bist verbittert, und du glaubst mir nicht, dass ich mich scheiden lasse. Ich akzeptiere das, hörst du? Ich verstehe, dass du mir nicht glaubst. Deshalb rufe ich dich jeden Tag an; deshalb schicke ich dir Blumen und Geschenke. Ich möchte, dass du weißt, wie sehr ich dich liebe. Ich rufe dich an und schicke dir Blumen und Geschenke, bis ich dir beweisen kann, dass ich es ernst mit der Scheidung meine.“

Eine Weile war es still. Dann sagte Sabine: „Gut, wie du willst. Dann muss ich dir jetzt die Wahrheit sagen, damit du endlich begreifst. Du willst es ja nicht anders.“

Sie machte eine kleine Pause, und ich hielt vor Schreck den Atem an. In meiner Brust machte sich langsam ein dumpfer Schmerz breit.

„Es ist mir völlig egal, ob du dich scheiden lässt oder nicht“, fuhr Sabine ruhig fort. „Du bist mir völlig gleichgültig. Ich empfinde überhaupt nichts mehr für dich. Ich kann dich nicht mehr sehen, und ich kann deine Stimme nicht mehr hören. Ich bin fertig mit dir, und ich weiß jetzt, dass ich dich nie richtig geliebt habe … Lass dich scheiden, bring deine Frau um oder bring dich selbst um. Es ist mir egal. Es kümmert mich nicht. Und wenn ich jetzt gleich den Hörer auflege, dann habe ich dich eine Sekunde später vergessen. Hast du es jetzt endlich begriffen?“

Der Schmerz war fast unerträglich, und ich bekam plötzlich fast keine Luft mehr. Ich konnte auch nicht sprechen. Ich saß nur da, hielt den Hörer umklammert und schnappte nach Luft.

Sabine musste das gehört haben. Aber sie verlor darüber kein Wort. Ungerührt fuhr sie fort: „Und jetzt bitte ich dich zum letzten Mal: Ruf mich nicht mehr an und schicke mir auch keine Blumen und Geschenke mehr. Ich werde die Annahme verweigern. Und nun lebe wohl, Wilhelm.“

Sie legte auf, und ich krümmte mich auf meinem Stuhl und glaubte sterben zu müssen. Aber ich starb nicht. Der Schmerz ließ wieder nach, und ich konnte wieder atmen.

Und dann überkam mich plötzlich unbeschreiblicher Hass, und der Hass richtete sich gegen Luise. Wenn sie in diesem Augenblick vor mir gestanden hätte, hätte ich sie auf der Stelle erwürgt.

Luise ist an allem schuld, dachte ich. Sabine hätte mich vor einem halben Jahr geheiratet, wenn Luise nicht gewesen wäre. Und Grashofer, dieser Dreckskerl, mit seinem verdammten Vertrag.

Ich hätte sie in diesem Augenblick beide kaltblütig erwürgen können.

Aber bald gewann die Vernunft wieder die Oberhand. Ich musste mich zusammennehmen. Ich hatte einen Plan, einen sehr guten Plan, und ich stand kurz vor der Endphase. Es würde nicht mehr lange dauern, und ich wäre beide los, und die Firma gehörte mir allein.

Sabine wird es sich bestimmt noch einmal überlegen, dachte ich. Das kann nicht ihr Ernst gewesen sein.

Und dann fiel mir ein, dass Sabine sich schon immer einen Sportwagen gewünscht hatte. Wenn Grashofer und seine Tochter tot waren, konnte ich es mir leisten, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Dann konnte sie gar nicht mehr nein sagen, und sie würde es auch nicht.

Ich nahm den Hörer ab und wählte die Nummer von dem Maler. Er war zu Hause.

Ich sagte: „Morgen Abend wieder. Diesmal wird es Ihr letzter Einsatz sein.“

„Und dann ist es zu Ende?“, fragte er überrascht.

„Ja.“

„Warum so schnell?“

„Sind Sie nicht froh darüber?“

„Doch …“

„Was fragen Sie dann?“

„Weil Sie etwas von sechs Wochen sagten.“

„Ich habe es mir anders überlegt“, sagte ich. „Die Frau von gegenüber hat gestern eine Andeutung gemacht. Ich muss jetzt etwas unternehmen.“

„Ist mir auch recht“, sagte der Maler aufatmend. „Ich habe die Nase gestrichen voll von dieser Drecksarbeit.“

„Nur noch ein Mal, dann haben Sie es überstanden und sind um vierzehntausend Euro reicher“, sagte ich. „Ich komme am Donnerstag zu Ihnen und zahle Sie aus.“

„Dann kann ich also meine Abreise nach Berlin schon mal planen?“

„Das können Sie.“

„Gut. Also noch ein Mal.“

„Ja. Morgen Abend. Aber diesmal früher. Sagen wir so um zehn oder halb elf.“

„Warum diesmal früher?“, wollte er wissen.

„Dann sind Sie früher fertig“, antwortete ich so gleichgültig wie möglich.

„Das ist doch nicht der einzige Grund, oder?“

„Nein“, gab ich zu. „Ich hoffe, dass Sie dann auch noch von anderen Leuten gesehen werden.“

„Ist das nötig?“, fragte er misstrauisch.

„Ja. Ich möchte ganz sicher gehen. Zwei oder drei Zeugen sind besser als einer.“

Er schwieg eine Weile. Dann sagte er langsam: „Ich weiß nicht. Das passt mir nicht.“

„Was passt Ihnen daran nicht?“, erkundigte ich mich laut. „Es hat sich nichts geändert. Sie gehen wie immer zu Fuß hinauf und fahren mit dem Taxi zurück. Nur die Zeit ist anders. Dafür sind Sie auch früher fertig. Je früher Sie es hinter sich haben, desto besser ist es doch.“

 

„Das schon, aber …“

„Was aber?“

„Die Zeit“, sagte der Künstler. „Zehn Uhr ist verdammt früh. Da könnten mich eine Menge Leute sehen.“

„Umso besser.“

„Auch auf dem Hinweg könnte ich gesehen werden.“

Er kam meinen Plänen geradezu entgegen. Es hätte nicht besser kommen können,

„Da haben Sie allerdings recht“, sagte ich und tat, als müsste ich nachdenken. „Aber ich möchte eben doch nicht darauf verzichten. Es wäre sicherlich ein großer Vorteil für mich, wenn Sie am letzten Abend von mehreren Leuten gesehen werden. Das würde meinen Schwiegervater mit Sicherheit überzeugen.“

Ich schwieg einige Sekunden. Dann sagte ich: „Ich hab’s! Es wird eben ein kurzer Besuch werden. Sie bestellen schon von Ihrer Wohnung aus das Taxi für halb elf vor mein Haus. Dann marschieren Sie wie üblich zu Fuß hinauf, sodass Sie vor zehn Uhr oben sind. Sie verstecken sich bis halb elf in meinem Garten, und dann kann der Film wie immer abrollen. Für meinen Schwiegervater wird der kurze Besuch logisch sein. Es ist ein Abschiedsbesuch. Sie reisen spätestens am Freitag ab, und ich bringe am Freitag den Stein ins Rollen.“

„Gut. Einverstanden. Ich bestelle das Taxi für halb elf.“

„Fein. Ich komme am Donnerstag und zahle Sie aus. Sie waren ein guter Mitarbeiter, und ich werde mich bestimmt eines Tages erkenntlich zeigen.“

Er sagte nichts. Er legte einfach auf.

Ich lehnte mich im Stuhl zurück und zündete mir eine Zigarette an. Meine Hände zitterten wie Espenlaub. Ich war noch immer erregt. Aber ich wusste, dass das nichts mit meinem Plan zu tun hatte. Es war das Telefongespräch, das ich mit Sabine geführt hatte. Der Schock saß noch immer sehr tief, und ich wollte es einfach nicht glauben.

Aber umso leichter würde ich jetzt Luise umbringen können. Es würde mir nichts ausmachen. Ich gab ihr die Schuld, dass es so weit gekommen war.

Für mich war sie bereits tot.

Und wenige Tage später würde Hans-Georg ihr folgen. Er wird die Schande nicht ertragen können und sich das Leben nehmen. Natürlich würde ich dabei etwas nachhelfen müssen. Grashofer würde selbstverständlich einen Abschiedsbrief hinterlassen, dafür würde ich sorgen.

Ich hatte für alles einen Plan, es konnte nichts schiefgehen. Danach würde ich als alleiniger Besitzer die Firma übernehmen, und Sabine würde mich heiraten.

Es gab nichts, an das ich nicht gedacht hätte. Die ganze Sache würde sicher eine Menge Staub aufwirbeln, und Gerüchte würden die Runde machen. Aber niemand würde mir etwas beweisen können.

Niemand.