Killerrache: Krimi Koffer 9 Romane

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Max Herter hatte uns alles, was er herausgefunden hatte, zu einem Datendossier zusammengestellt.

Rudi und ich saßen im Anschluss an die Sitzung in unserem gemeinsamen Dienstzimmer und arbeiteten die Unterlagen durch. Ich sah mir vor allem die Liste der Personen an, die damals bei der Schießerei verdächtigt worden waren, daran beteiligt gewesen zu sein. Der Einzige, in dessen Fall es immerhin zu einer Anklage gekommen war, hieß Reza Tannous. Er war mehrfach wegen Körperverletzung und illegalem Waffenbesitz vorbestraft und war damals Türsteher im ‚Abraxas’ gewesen. Inzwischen galt er als rechte Hand und Mann fürs Grobe in Benny Farkas’ Organisation. Da seine letzte Bewährung wegen einer Schlägerei erst in einem Monat auslief, war seine Adresse bekannt.

„Steht da irgendwo, weshalb es nicht zum Prozess gekommen ist?“, fragte Rudi.

„Vermutlich reichten die Beweise einfach nicht aus“, erwiderte ich.

Gegen Mittag fuhren wir zu Rademachers ehemaligem Revier und besprachen uns mit seinem direkten Vorgesetzten Herrn Kassavetes, dem Leiter der Drogenabteilung.

„Thorben Rademacher war ein hervorragender Polizist, der gute Erfolge verbuchen konnte“, sagte Kassavetes. „Es ist schade, dass seine Karriere diesen Knick bekam und man ihn nach Moabit abschob. Aber da war er ja nicht allein betroffen.“

„Es wurde noch ein Beamter namens Sebastian Maybaum verdächtigt, Beweismittel manipuliert und Kleinkriminelle zu Spitzeldiensten erpresst zu haben“, sagte ich.

„Ja. Maybaum verrichtet heute in einer anderen Dienststelle seinen Dienst. Ich habe ihn neulich beim Schieß-Training getroffen. Er arbeitet jetzt im Innendienst. Und das, obwohl gegen keinen der beiden auch nur ein Prozess eröffnet worden ist!“

„Es erschien damals wohl einigen Leuten opportun wohl, die beiden aus der Schusslinie zu nehmen.“

„Ja, so kann man das auch nennen!“, erwiderte er gallig.

„Man hatte bei Ihren Ermittlungen noch einen dritten Beamten im Visier“, stelle ich fest. „Sein Name war Tom Subotitsch.“

„Tom ist noch hier im Revier. Allerdings können Sie heute nicht mit ihm sprechen.“

„Warum nicht?“

„Er ist zu einer Fortbildung nach Frankfurt gefahren. Man bringt da den Angehörigen von Drogenabteilungen im ganzen Land die Anwendung neuer Drogen-Schnelltests bei.“

„Dann ist er morgen wieder hier?“

„Er hat zwei Wochen Urlaub genommen. Ich glaube, der Tod von Rademacher hat ihn sehr mitgenommen.“

„Die beiden standen sich nahe?“

„Ja, sie waren eng befreundet und arbeiteten im Dienst als Team zusammen: Maybaum, Rademacher und Subotitsch. Und ich hatte selten ein so erfolgreiches Team.“

„Sie haben dafür gesorgt, dass Manuel Bentz und die Führungsriege der ‚Killer Bandoleros’ hinter Gitter kamen!“

Kassavetes machte einen etwas überraschten Eindruck. Sein Lächeln wirkte verkrampft. „Sie scheinen ja bereits gut informiert zu sein.“

„Ein Informant namens Ede Gerighauser spielte dabei eine entscheidende Rolle.“

„Schon möglich!“, murmelte Kassavetes. „Worauf wollen Sie hinaus?“

„Auf gar nichts.“

„So?“

„Ich will es nur verstehen.“

„Ah, ja...“

„Also?“

Kassavetes behauptete: „Die Sache war sauber. Gerighauser hat sich – im Gegensatz zu ein paar anderen, die sich erst bezahlen und nachher von Erpressung und Manipulation herumschwadronieren – nie an die Justiz gewandt.“

„Vielleicht, weil er gesehen hatte, dass die anderen Verfahren nicht einmal vor Gericht kamen.“

„Wenn man auf der einen Seite die verworrene Aussage eines Junkies und Drogendealers hat, während auf der anderen Seite die Karriere eines Musterpolizisten auf dem Spiel steht, wird man sich wohl dafür entscheiden, letzterem zu glauben.“

„Ja, das könnte Gerighauser auch gedacht haben.“

„Fangen Sie jetzt auch an, uns irgendetwas anzuhängen?“, fragte Kassavetes etwas ungehalten. Eine tiefe Furche erschien auf seiner Stirn.

„Ich frage mich, warum Sie sich angegriffen fühlen, es ging doch um Rademacher – und nicht um Sie!“, erwiderte Rudi.

„Und letztlich versuchen wir nur, die Sache aufzuklären, um seinen Mörder zu fassen. Daran sollte doch auch Ihnen gelegen sein – gleichgültig, was da vielleicht noch nachträglich über Ihren Musterpolizisten ans Tageslicht kommen mag“, ergänzte ich.

Kassavetes atmete tief durch.

„Wissen Sie, in unserem Job können Sie nur zurechtkommen, wenn das Team zusammenhält“, sagte er dann.

„Ich hoffe, dass schließt nicht ein, Straftaten zu decken“, hielt ich ihm entgegen.

Er zögerte mit seiner Antwort und erklärte schließlich. „Sie können mir glauben, dass ich mindestens ebenso daran interessiert bin, Rademachers Mörder zu fassen wie Sie!“

„Kommen wir zu Ede Gerighauser zurück. Hatten auch Maybaum und Subotitsch Kontakt zu ihm?“

„Soweit ich weiß, ja.“

„Rademacher hat sich nachweislich nach seinem Ausscheiden aus dem Drogendezernat noch mit Gerighauser getroffen. Haben Sie dafür irgendeine Erklärung?“

Kassavetes runzelte die Stirn. „Nein, das wundert mich.“

„Weshalb?“

„Gerighauser gilt sein ein paar Wochen als spurlos verschwunden. Glauben Sie, dass er was mit Thorbens Tod zu tun hat?“

„Seine Eltern und seine Schwester wurden im Gefolge der Verhaftung von Manuel Bentz und seinen ‚Killer Bandoleros’ umgebracht.“

„Die Morde konnten leider nicht aufgeklärt werden, sonst säße Manuels Bruder Lionel, der sich großspurig ‚Der King’ – der König – nennen lässt, längst in einer JVA.“

„Aber wenn Gerighauser für seine Dienste erpresst wurde, hätte er allen Grund, auch sauer auf Rademacher zu sein.“

„Das ist allerdings wahr...“, murmelte Kassavetes nachdenklich.

„Warum ist Gerighauser nicht geschützt worden gekommen?“, fragte jetzt Rudi. „Eigentlich wäre das doch in seinem Fall üblich.“

Kassavetes vollführte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf und sah erst Rudi und dann mich einen Moment lang an. „Rademacher meinte, er hätte ihm das angeboten, aber Gerighauser wollte das nicht. Er würde der Polizei, der Staatsanwaltschaft und allen anderen, die mit dem Staat zu tun hätten, nicht trauen. Einem wie ihm würden die sowieso nicht helfen...“

„Und für dieses Gespräch gibt es keine Zeugen?“, fragte ich. „Oder waren Subotitsch und Maybaum dabei?“

„Es tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung.“

Ich holte ein paar zusammengefaltete Computerausdrucke aus der Innentasche meiner Jacke und reichte sie Kassavetes.

„Was ist das?“, fragte er, noch ehe er die Blätter auseinandergefaltet hatte.

„Die ausgedruckten Datenblätter jener Personen, auf deren Anzeige hin damals die internen Ermittlungen eingeleitet wurden. Vielleicht können Sie uns etwas dazu sagen. Schließlich sind alle wegen Drogendelikten vorbestraft und hatten verschiedentlich mit Beamten Ihrer Abteilung zu tun.“

Kassavetes warf einen Blick auf die Blätter. „Rafi Mustafi war die treibende Kraft. Ein Kleindealer, der uns wiederholt ins Netz gegangen war. Ich erinnere mich genau an den Fall. Rademacher und Maybaum haben ihn als Informanten angeworben, nachdem er mit einer kleinen Menge Crack verhaftet wurde. Später behauptete er, Rademacher und Maybaum hätten ihm gedroht, sie könnten die Beweismittel so manipulieren, dass er für Jahre in den Knast wandern würde. Nur deswegen habe er als Informant gedient!“

„Und die beiden anderen?“, fragte ich.

„Victor Beinhauer und Benjamin Braun kamen erst aus ihren Löchern, als die Ermittlungen schon liefen. Zu einer Zeugenaussage vor Gericht kam es nie.“

„Weshalb nicht?“

„Beinhauer war plötzlich verschwunden und tauchte erst zwei Monate nach der Verhandlung wieder auf, als er nach einer Prügelei festgenommen wurde.“

„Könnte ihn jemand überzeugt haben, dass es besser für ihn wäre, nicht auszusagen?“, hakte ich nach.

„Das ist reine Spekulation, Herr Kubinke.“

„Aber möglich.“

Kassavetes zuckte die Schultern. „Vielleicht entsprach es auch einfach nicht der Wahrheit, was er behauptete und da hat er kalte Füße bekommen.“

„Und was ist mit Nummer drei?“

„Benjamin Braun? Der hat seine Aussage offiziell zurückgezogen. War eine ziemlich große Blamage für die Staatsanwaltschaft.“

„Wenn die Sache so eindeutig war, dann verstehe ich nicht, weshalb Maybaum und Rademacher versetzt wurden!“

Kassavetes lachte heiser auf. „Auf meinem Mist ist das nicht gewachsen, dass können Sie mir glauben. Das kam von ganz oben aus dem Rathaus. Man wollte wohl nicht den Anschein erwecken, dass wir die Augen zumachen, wenn einer von uns mal einen Fehltritt begeht.“

 

„Mal ganz ehrlich, Herr Kassavetes. Würden Sie denn die Augen in einem solchen Fall schließen?“, mischte sich jetzt Rudi ein.

Herr Kassavetes schluckte. Er stand von seinem Platz auf, ging zum Fenster, blickte kurz hinaus und kratzte sich am Kinn.

„Über allem steht immer noch das Gesetz“, sagte er schließlich. „Auch über einem Polizisten.“

„Es freut mich, dass Sie so denken, Herr Kassavetes“, erwiderte ich.

Er hob die Augenbrauen.

„War es das? Wir haben hier nämlich in diesem Dezernat auch noch einen Job zu erledigen!“

Ich nickte. „Das war’s.“

Wir wandten uns zum Gehen.

Kurz vor dem Ausgang von Kassavetes’ Büro fragte ich noch: „Hatte Rademacher eigentlich eine Freundin?“

„Nichts Festes. Jedenfalls nicht in den letzten zwei Jahren. Davor hatte er eine längere Beziehung und ich glaube, die beiden wollten auch heiraten. Ich glaube, der Job hat sie dann wohl auseinander gebracht. Es ist für eine Partnerin nicht unbedingt angenehm, mit einem Polizisten verheiratet zu sein. Die Überstunden, die unregelmäßigen Arbeitszeiten, und die ständige Gefahr, dass man den geliebten Menschen nicht wieder sieht, weil irgendein Irrer ihm eine Kugel in den Kopf knallt...“

„Sagt Ihnen der Name Christine Wistanow etwas?“

„Nein, tut mir leid, Herr Kubinke. Jedenfalls nicht aus dem Stegreif.“

„Sie hat behauptet, mit Rademacher eine Beziehung geführt zu haben.“

„Fragen Sie Subotitsch und Maybaum. Die kannten Thorben Rademacher noch etwas besser als ich.“







15



Christine Wistanow ging in Begleitung ihres Anwaltes Karlheinz Bandella die Stufen des Gerichtsgebäudes hinunter. Bandella war ein untersetzter Mann mit hoher Stirn und ziemlich beleibt. Sein Hals war so dick, dass er den obersten Hemdknopf stets offen und die Krawatte gelockert tragen musste. Aber vor Gericht pflegte Bandella äußerst überzeugend und sehr energisch aufzutreten.

„Eigentlich können Sie mit dem Verlauf zufrieden sein – und die Kaution bewegt sich doch in einem annehmbaren Bereich.“

„Wenn ich sie selbst bezahlen müsste, wäre ich ruiniert!“, erwiderte Christine.

Karlheinz Bandella lächelte breit. „Jetzt übertreiben Sie aber, Christine! Ich soll Ihnen übrigens Grüße von Herr Farkas ausrichten.“

„Danke...“

Ein blauer Ford hielt vor dem Gerichtsgebäude. Zwei Männer stiegen aus. Einer von ihnen war flachsblond, der andere dunkelhaarig.

„Frau Christine Wistanow?“

„Wer zum Teufel ist das denn?“, fragte Karlheinz Bandella.

Die beiden Männer kamen auf Christine Wistanow und ihren Anwalt zu.

„Jürgen Carnavaro, BKA“, sagte der Blonde und hielt seinen Ausweis sowohl Christine als auch Bandella entgegen.

„Sie schon wieder?“, schimpfte die junge Frau.

„Meinen Kollegen Oliver Medina kennen Sie bereits ebenfalls!“, sagte Jürgen.

„Das grenzt schon an Schikane, was Sie hier machen!“, ereiferte sich die junge Frau. „Erst nehmen Sie mich mit fragwürdiger Begründung fest, lassen mich eine Nacht in einer Ihrer Gewahrsamszellen schmoren und von penetranten Idioten verhören, ehe ich endlich vor einem Richter stehe, der mich freilässt – und jetzt tauchen Sie schon wieder auf! Soll das ganze Spiel vielleicht von vorne beginnen!“

„Beruhigen Sie sich, Frau Wistanow. Den Grund dafür, dass Sie festgenommen wurden, kann Ihnen Ihr Anwalt erklären.“

„Ich bin Karlheinz Bandella und möchte, dass Sie meine Mandantin bis zur Verhandlung in Ruhe lassen. Sie hat alles, was es zur Sache zu sagen gibt, zu Protokoll gegeben. Im Übrigen tut es ihr ausdrücklich leid, Sie in irrtümlicher Notwehr attackiert zu haben, Herr Carnavaro, was ich hiermit im Auftrag meiner Mandantin vortragen möchte.“

„Wir möchten Miss Wistanow ein paar Fragen stellen, die im Zuge neuer Ermittlungsergebnisse aufgetaucht sind.“

„Meine Mandantin braucht sich nicht selbst belasten und wird keine Aussage machen“, erklärte Karlheinz Bandella.

„Ihre Mandantin behauptet, die Lebensgefährtin von Herr Thorben Rademacher gewesen zu sein, aber es scheint ihr ziemlich gleichgültig zu sein, was mit Rademacher geschehen ist.“

„Ich beantworte Ihre Fragen, wenn Sie mich dann in Ruhe lassen!“, entschied Christine Wistanow.

„Ich habe Ihnen davon abgeraten!“, stellte Bandella noch einmal klar. „Aber Sie müssen ja wissen, was Sie tun.“

„Der .22er Revolver, den wir Ihnen abgenommen haben, wurde bei einer Schießerei im Club ‚El Abraxas’ verwendet - genau wie die Waffe, mit der Rademacher ermordet wurde.“

„Worauf wollen Sie hinaus? Dass meine Mandantin etwas mit dem Tod Ihres Kollegen Rademacher zu tun hat? Es handelt sich um unterschiedliche Waffen, wenn ich das richtig verstanden habe und mir ist schleierhaft, wie Sie da einen Zusammenhang konstruieren können, Kommissar Carnavaro!“

„Zwei Waffen mit einer Gemeinsamkeit. Da glaube ich nicht an einen Zufall, Frau Wistanow. Sie sind wegen mehrerer Delikte vorbestraft und haben als Prostituierte gearbeitet...“

„Das tut nichts zur Sache“, behauptete Bandella.

„Das tut sehr wohl etwas zur Sache“, widersprach Jürgen. „Es wäre nämlich denkbar, dass die Beziehung zwischen Ihrer Mandantin und Herrn Rademacher keineswegs eine reine Liebesbeziehung war, sondern Frau Wistanow auf Rademacher angesetzt wurde.“

„Wer sollte so etwas tun? Und aus welchem Grund?“, ergriff nun Christine Wistanow das Wort und verzog ihren Mund zu einem geschäftsmäßigen, kalten Lächeln. „Das ist doch alles vollkommen absurd, Kommissar Carnavaro. Ich habe einen Mann verloren, bei dem ich gerade geglaubt habe, die Liebe meines Lebens zu finden und Sie behandeln mich wie einen potentiellen Täter. Dabei bin ich ein Opfer.“ Sie schluckte. Ihr Gesicht wurde dunkelrot. Sie bedeckte kurz die Augen mit der Hand und fasste sich im nächsten Moment wieder.

„Wenn das der Wahrheit entspricht, dann gibt es doch keinen Grund, uns nicht zu sagen, von wem Sie die Waffe haben.“

Sie schluckte.

„Diese Waffen werden unter der Hand verkauft. Sie wissen doch, wie das ist.“

„Sagen Sie keinen Ton mehr, die wollen Sie nur hereinlegen!“, mischte sich Bandella ein. „Die haben nichts gegen Sie in der Hand!“

„Illegaler Waffenbesitz ist keine Kleinigkeit“, sagte Jürgen. „Wenn Sie uns weiterhelfen, dann wird sich das sicher günstig auswirken und Ihnen vielleicht eine Bewährung einbringen. Trotz Ihrer Vorstrafen!“

„Ich kann Ihnen dazu nichts sagen“, erklärte sie.

„Meine Mandantin hat alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt!“, fügte Bandella hinzu. Er hakte sich bei ihr unter und führte sie davon.

Jürgen atmete tief durch. Er wandte den Kopf in Ollis Richtung, der nur mit den Schultern zuckte.

„Einen Versuch war es wert“, meinte unser Kollege.

„Christine Wistanow muss die Waffe von jemandem aus dem Umkreis von Benny Farkas bekommen haben. Jemandem, der irgendetwas mit der Schießerei damals zu tun hatte.“

„Ach, Jürgen, du weißt, über viele Ecken diese illegalen Schießeisen oft verkauft werden!“

„Es lohnt sich vielleicht trotzdem, in Farkas' Umgebung herumzustochern.“







16



Wir riefen auf der Polizeidienstelle an, zu der Sebastian Maybaum strafversetzt worden war, um mit ihm einen Gesprächstermin zu vereinbaren. Wir verabredeten uns für fünf Uhr in einer Kneipe an der Jakob Kramer Straße.

„Vorher kann ich leider nicht. Hier geht es mal wieder drunter und drüber!“, meinte er.

„In Ordnung. Wir werden pünktlich sein, Herr Maybaum“, versprach ich und unterbrach die Verbindung.

„Große Worte, Harry!“, lautete Rudis Kommentar.

„Wieso?“

„Um die Zeit ist Rush Hour, da ist es fast unmöglich pünktlich zu sein, zumal wir einmal von Nord nach Süd durch den Großraum Berlin fahren müssen!“

„Alles eine Frage der Planung, Rudi. Wir fahren einfach früh genug los, dann stellt sich das Problem nicht. Außerdem wollte ich in erster Linie sicherstellen, dass er pünktlich ist.“

Ich sah auf die Uhr. „Wir könnten unterwegs Reza Tannous einen Besuch abstatten. Seine Bewährung läuft noch...“

„Was ihn vielleicht gesprächsbereit stimmt!“

„...und wir haben auch eine aktuelle Adresse von ihm.“

„Tannous war damals der einzige Verdächtige bei der Schießerei im ‚Abraxas’. Soll er uns mal erklären, wie zwei Waffen, die damals eingesetzt wurden, plötzlich wieder in Gebrauch sind!“

„Falls er bereit ist, uns darauf eine Antwort zu geben.“







17



Wir erreichten das Ende der Gertrude Benrath Straße, wo Reza Tannous eine Traumetage mit Ausblick auf eine Parkanlage bewohnte.

 

„Tannous’ Geschäfte scheinen nicht schlecht zu gehen“, meinte Rudi. „Aufgestiegen vom Türsteher zur rechten Hand von Benny Farkas, das ist ja auch eine steile Karriere.“

„Letzteres müssen wir ihm erst einmal nachweisen“, meinte ich.

„Das letzte Mal, dass ihm jemand was nachweisen konnte, war, als er vor zwei Jahren wegen Körperverletzung angezeigt und verurteilt wurde.“

„Es wundert mich, dass er noch Bewährung bekommen hat!“

„Mit einem guten Anwalt. Wer hier wohnt, kann sich auch eine gute Verteidigung leisten.“

Ich hatte die dazu vorliegenden Unterlagen nur kurz überflogen. Offenbar war Tannous vor zwei Jahren im Kampf um einen Parkplatz ausgerastet und hatte den Fahrer eines Lieferwagens aus dem Wagen gezerrt und verprügelt.

Die Bewährung endete in vier Wochen und seit seiner Verurteilung hatte er sein cholerisches Temperament offenbar besser unter Kontrolle gehabt.

Das Gebäude, in dem Tannous residierte, hatte einen hohen Sicherheitsstandard. Es gab überall Kameras und in der Eingangshalle musste man sich bei den Angehörigen eines privaten Sicherheitsdienstes anmelden, wenn man jemanden besuchen wollte.

Wir wandten uns an den diensthabenden Security Guard, der hinter einem Würfel aus Panzerglas seinen Platz hatte und zeigten ihm unsere Ausweise.

„Kubinke, BKA. Dies ist mein Kollege Kommissar Meier. Wir möchten mit Herr Reza Tannous sprechen.“

„Einen Augenblick.“

Der Security Guard fragte über eine Sprechanlage bei Tannous an. Die Antwort konnten wir nicht verstehen, da der Security Guard sie über einen Ohrhörer empfing.

Es folgte ein kleiner Wortwechsel.

„Ich verstehe“, sagte der Uniformierte schließlich und wandte sich anschließend an uns: „Es tut mir leid, Herr Tannous ist nicht zu Hause. Wenn Sie weitergehende Befugnisse haben, stehen wir Ihnen gerne mit einem elektronischen Generalschlüssel zur Verfügung.“

„Mit weitergehenden Befugnissen meinen Sie wohl einen Durchsuchungsbefehl“, schloss ich.

„Zum Beispiel.“

„Nein, den haben wir leider nicht“, sagte ich.

„Mit wem haben Sie denn gerade gesprochen?“, fragte Rudi.

„Mit Herrn Tannous’...“ Der Mann zögerte und schien nach dem passenden Begriff zu suchen. „...Dauerbesuch“, brachte er schließlich hervor.

„Eine Frau?“

„Ja, Herr Tannous hat ihr einen eigenen elektronischen Schlüssel für seine Wohnung anfertigen lassen und sie kann hier ein- und ausgehen, als ob Sie eine Hausbewohnerin wäre.“

Ich zog ein Foto von Christine Wistanow aus der Jackentasche und zeigte es meinem Gegenüber. „Ist sie das?“

„Das Gesicht stimmt. Sie ist übrigens gerade erst eingetroffen und in ihre Etage gefahren. So ungefähr vor zehn bis zwanzig Minuten. Warten Sie, ich schau mal nach, wie sie heißt...“

„Wir kennen sie als Christine Wistanow“, sagte ich. „Und wir möchten jetzt mindestens ebenso gerne mit ihr sprechen wie mit Herrn Tannous.“

„Soll ich Frau Wistanow noch mal anrufen?“

„Nein, wir gehen hinauf. Ich bin überzeugt davon, dass sie uns öffnen wird!“, erwiderte ich.