Atemlose Spannung für den Urlaub: Vier Krimis: Krimi Quartett

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12

Wir trafen uns mit Katrina Gintert, einer energiegeladenen, quirligen Enddreißigerin. Sie war die Chefin des Security Service, der für die Sicherheit bei der Veranstaltung mit MdB Moldenburg verantwortlich gewesen war. Die Büros und der Fuhrpark von Gintert SECURITY INC. lagen ganz im Süden von Wismar an der Südspitze von Fellworn. Ein unscheinbares Flachdachgebäude, ein Parkplatz für den Fuhrpark der Firma und ein Schießstand, der offenbar gegen Bezahlung auch Privatpersonen und Touristen zur Nutzung angeboten wurde, gehörten zur Firma.

Katrina Gintert empfing uns in ihrem Büro.

Wir stellten uns kurz vor und sie bot uns an, uns zu setzen.

“Möchten Sie einen Kaffee?”, fragte sie. “Manche würden sagen, dass es dafür ein bisschen spät ist, aber ich trinke das Zeug rund um die Uhr.”

“Nein danke”, sagte ich und auch Rudi lehnte ab.

“Wir würden gerne unmittelbar zur Sache kommen”, sagte mein Kollege.

“Sie gestatten sicher, dass ich mir einen eingieße. Und was Ihr Anliegen angeht, habe ich schon vorgearbeitet.”

Katrina Gintert ging zu ihrer Kaffeemaschine und goss sich eine sehr große Tasse Kaffee ein. Die Tasse, die sie dafür benutzte, hatte schätzungsweise den Volumeninhalt eines Bierkrugs.

“In welcher Weise haben Sie denn vorgearbeitet?”, fragte ich. “Sie wissen doch noch gar nicht, was wir Sie fragen wollen.”

“Sie werden sich fragen, wie ein Attentäter in die Veranstaltung mit MdB Moldenburg gelangen konnte, obwohl so umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden”, schloss Katrina Gintert. “Und Sie werden sich außerdem fragen, ob nicht möglicherweise einer oder mehrere meiner Mitarbeiter in der Sache drinstecken könnten…”

“Kurz gesagt, wir brauchen sämtliche Personaldaten Ihrer Leute”, sagte ich. “Dafür gibt es auch einen richterlichen Beschluss.”

Katrina Gintert öffnete eine Schublade ihres Schreibtischs und holte eine Mappe hervor. Diese schob sie anschließend über den Tisch. “Vielleicht können wir das Ganze etwas abkürzen.”

“Abkürzen?”

“Ich habe Ihnen die Daten der Mitarbeiter herausgesucht, die arabisch klingende Namen tragen, in den Personalbögen angegeben haben, muslimischen Glaubens zu sein und nicht länger als drei Monate bei uns beschäftigt waren.”

“Sie erfragen bei der Einstellung Ihrer Leute die Religionszugehörigkeit?”, wunderte sich Rudi.

“Natürlich. Sehen Sie, wir sorgen hier bei allen Veranstaltungen in Wismar sowie in den Hotels für die Sicherheit. Und wenn beispielsweise eine große Hochzeitsfeier nach irgendeinem Ritus, der jetzt nicht ganz so allgemein verbreitet ist, stattfindet, dann möchte ich schon, dass da auch ein paar Mitarbeiter eingeteilt werden, die mit den Besonderheiten dieser Situation vertraut sind.”

Ich nahm die Mappe entgegen. Gerade mal ein halbes Dutzend Datenbögen waren darin zu finden. Ausdrucke in mäßiger Qualität.

“Ich danke Ihnen für diese Unterlagen”, sagte ich diplomatisch. “Aber das reicht uns leider nicht.”

“Aber…”

“...die von Ihnen gewünschte Abkürzung ist uns einfach etwas zu kurz”, ergänzte Rudi.

“Wir brauchen die Daten aller Ihrer Angestellter. Und zwar möglichst in elektronischer Form. Entweder auf einem Datenträger oder Sie senden die Datei direkt an unsere Kollegen in Quardenburg.” Ich legte ihr den entsprechenden Beschluss auf den Tisch. “Und hier ist im Übrigen die rechtliche Grundlage dafür.”

Katrina Gintert schluckte.

Die Mappe, die sie mir gegeben hatte, war nichts als ein Köder, den wir schlucken sollten, in der Hoffnung, dass wir dann Ruhe gaben. Aus irgendeinem Grund wollte sie es vermeiden, uns die vollständigen Personaldaten ihres Unternehmens zu geben.

Möglicherweise waren da ein paar Leute mit zweifelhafter oder sogar krimineller Vergangenheit dabei und sie fürchtete negative Publicity. Die Sicherheitsbranche war von jeher ein Bereich, in dem sich immer auch zweifelhafte Existenzen tummelten. Polizisten, die aus dem Dienst geflogen waren, weil sie sich nicht an die Regeln gehalten hatten, gab es da ebenso wie ehemalige Kriminelle. Natürlich betraf das nur einen kleinen Anteil, aber erfahrungsgemäß übte diese Branche einfach eine gewisse Anziehungskraft auf Leute aus, die schon in einem anderen Zusammenhang an den Umgang mit Waffen gewöhnt waren.

“Ich habe über fünfhundert Angestellte”, sagte Katrina Gintert.

Das entsprach ungefähr auch meiner vorsichtigen Schätzung. “Ich bewunderte Sie für Ihr Organisationstalent und Ihren unternehmerischen Elan”, sagte ich. “Aber an unserem berechtigten Anliegen ändert das leider nichts.”

“Sie werden mir sicher eine gewisse Frist einräumen”, sagte sie.

“Wie lange?

“Der Mitarbeiter, der sich um diese Dinge kümmert, ist leider schon nicht mehr hier im Haus…”

“Dann rufen Sie ihn her! Wir brauchen die Daten sofort. Und von einer Frist ist in dem Durchsuchungsbeschluss auch nicht die Rede”, stellte ich klar.

Katrina Gintert hob die Augenbrauen. Ihr Blick hatte die gewinnende Freundlichkeit völlig verloren. Sie nippte an ihrem Kaffee, um etwas Zeit zu gewinnen. “Brauche ich jetzt einen Anwalt?”, fragte sie.

“Brauchen wir jetzt die Unterstützung von zwanzig Kollegen der Landespolizei, die mal eben Ihre Büros umkrempeln und sämtliche Computer und Datenträger konfiszieren, um sie so schnell wie möglich nach Quardenburg zu transportieren?”, fragte ich zurück.

Kooperation oder Nicht-Kooperation, das war jetzt die Frage. Und der Spielball lag im Feld von Katrina Gintert.

“Scheint, als wären Sie nicht zu Kompromissen bereit”, sagte sie schließlich.

“Wenn dieser Kompromiss bedeutet, dass ein eiskalter Killer einen noch größeren Vorsprung bekommt, als er ihn ohnehin schon hat, dann bin ich in der Tat dagegen”, gab ich zurück.

“Sie bekommen die Daten”, sagte Katrina Gintert schließlich. “Aber nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich es nicht gutheißen kann, wie Sie fünfhundert Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma unter einen pauschalen, unbegründeten Generalverdacht nehmen, der für uns alle Existenzbedrohend sein kann!! Das ist nämlich ein sehr sensibles Gewerbe, wenn Sie verstehen, was ich meine. Da reichen manchmal schon Gerüchte aus, um eine Existenz zu vernichten und dafür zu sorgen, dass jemand kein Bein mehr an den Boden bekommt.”

“Seien Sie versichert, dass Ihre Mitarbeiter keineswegs unter Generalverdacht gestellt werden”, sagte ich. “Es ist vielmehr umgekehrt: Es ist uns daran gelegen, Sie und Ihre Leute zu entlasten.”

“Das freut mich zu hören”, murmelte Katrinas Gintert schmallippig.

13

Wir bekamen die Daten von Katrina Gintert auf einem Datenträger.

Später, als wir bereits in dem Hotel waren, in dem Dorothea Schneidermann uns für die Nacht eingemietet hatte, schickten wir die Daten über Rudis Laptop nach Quardenburg. Wir hatten in Rudis Zimmer ein provisorisches Büro eingerichtet und ich telefonierte mit Dr. Lin-Tai Gansenbrink, der IT-Spezialistin unseres Ermittlungsteam Erkennungsdiensts.

Glücklicherweise war sie noch an ihrem Arbeitsplatz. Aber bei ihr waren Überstunden nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Und das galt natürlich insbesondere dann, wenn wir zusammen an einem Fall arbeiteten, der diese Tragweite hatte. Ein Attentat auf einen MdB war schließlich alles andere als seine Kleinigkeit.

“Ich habe heute den ganzen Tag die Reaktionen in den einschlägigen sozialen Netzwerken verfolgt”, berichtete sie. “Teilweise habe ich dazu auch die Hilfe von ein paar Kollegen in Anspruch genommen, die über Sprachkenntnisse in Arabisch, Urdu und Persisch verfügen.”

“Und? Sind dabei neue Erkenntnisse zu Tage getreten?”, fragte ich.

“Das weiß ich noch nicht so genau. Die Erkenntnisse verbergen sich ja manchmal in dem zu Grunde liegenden Material und werden erst durch eine eingehende Analyse wirklich sichtbar.”

“Mit anderen Worten: Nichts Neues.”

“Sagen wir es mal so: Ich hätte eigentlich ein anderes Ergebnis erwartet.”

“Wie darf ich das verstehen?”

Lin-Tai hatte durchaus manchmal die Angewohnheit, stillschweigend vorauszusetzen, dass ihr Gegenüber ihre Gedankensprünge mitzuvollziehen vermochte. Und sie setzte dabei auch gewisse Vorkenntnisse einfach voraus, über die in Wahrheit wahrscheinlich nur eine sehr kleine Anzahl von Personen verfügten, die sich sehr profunde Kenntnisse in den Bereichen IT, Mathematik und Statistik erworben hatten. Ich gebe gerne zu, dass ich nicht zu diesem erlauchten Kreis zählte.

“Wenn Terroristen mit islamistischem Hintergrund ein Attentat dieser Größenordnung verüben, dann gibt es ein bestimmtes Reaktionsmuster in verschiedenen sozialen Netzwerken”, erklärte Lin-Tai. “Ich spreche jetzt nicht von Bekenner-Videos und ähnlichem! Die gibt es dann meistens auch. Ich spreche vielmehr von weltweit vernetzten Kreisen, die selbst zwar keine terroristischen Aktionen begehen, die den Tätern aber ideologisch nahestehen. Einige haben sogar mit den Tätern Kontakt. Wir gehen davon aus, dass durch tatsächliche Mitwisser und Mitglieder von terroristischen Gruppen nach Attentaten gezielt Informationen gestreut werden, die dann im Netz später Wellen von Postings auslösen. Oft beginnen diese Posting-Wellen bereits, bevor die traditionellen Medien darüber berichten. Und das Wichtigste! Sie haben mathematische Ausbreitungsmuster, die sich identifizieren lassen, weil ihnen bestimmte Charakteristika eigen sind.”

“Und wie ist die Lage im Fall des Attentats auf MdB Moldenburg?”

“Nichts. Kein Muster. Keine typische Posting-Lawine in den Netzwerken. Ein bisschen nachträgliche Gehässigkeit bei bestimmten Hass-Postern, die dafür bekannt sind. Aber auch da nur in deutschsprachigen Foren.”

 

“Wie meinen Sie das?”

“Deswegen habe ich ja meine Fremdsprachenbewanderten Kollegen hinzugenommen, da ich mich bei meiner Analyse ungern auf Übersetzungsprogramme verlassen und außerdem gezielt nach bestimmten, in diesen Postings immer wieder benutzten Begriffen suchen wollte.”

“Und?”

“Überall, wo man Arabisch, Urdu oder Persisch spricht, weiß so gut wie niemand etwas vom Tod eines deutschen MdBs. Ausnahmen sind lediglich einige fremdsprachige Communitys in Deutschland. Das ist äußerst seltsam, wenn man voraussetzt, dass MdB Moldenburg einem internationalen Terror-Anschlag zum Opfer gefallen sein soll.”

“Sie zweifeln das an?”

“Wenn ich ehrlich bin, besteht dazu eigentlich kein Anlass. Und es gibt ja auch einige unabweisbare Fakten, die genau in diese Ermittlungsrichtung zeigen.”

“Wie zum Beispiel den Mord an Franz Lutterbeck.”

“Dieser Jurist hat zwar die Anti-Terror-Operationen im Ausland juristisch legitimiert und sich damit sicherlich bei Al-Qaida und Co. keine Freunde gemacht. Aber in seiner Zeit als Staatsanwalt und als Strafverteidiger dürfte er sich auch nicht nur Sympathien auf allen Seiten erworben haben.”

“Sie meinen, es gäbe noch andere, die einen Grund hätten, Lutterbeck umzubringen.”

“Ja.”

“Und gleichzeitig Moldenburg?”

Ich hörte Lin-Tais Seufzen durch das Telefon. “Harry, ich will, Sie nicht von der Theorie abbringen, dass es sich um einen Anschlag von Terroristen handelt, die das tun, weil sie glauben, dadurch ins Paradies zu kommen. Alles was ich Ihnen sagen kann ist folgendes: Verlieren Sie andere mögliche Ermittlungsansätze nicht aus den Augen. Die Netz-Reaktionen sind jedenfalls nicht so, wie es dem mathematischen Muster entspräche. Sowas kommt vor, Harry. Aber eine mögliche Ursache dafür wäre eben auch, dass etwas ganz anderes hinter den beiden Morden steckt.”

“Wie auch immer. Ich habe Ihnen die Personaldaten der Sicherheitsfirma geschickt.”

“Das ist nett. Ich habe heute Mittag bereits die Daten des Catering Service bekommen, der für die Verpflegung der hohen Herrschaften in der Werner Bretzler Halle verantwortlich war. Vielleicht kommt etwas dabei heraus.”

“Ich höre dann wahrscheinlich morgen wieder von Ihnen.”

“Ganz sicher. Machen Sie auch Schluss, Harry. Es fällt selbst am Telefon auf, dass Sie verzweifelt versuchen, ein Gähnen zu unterdrücken.”

“Es beruhigt mich, dass Sie das sagen, Lin-Tai.”

“Wieso?”

“Weil Sie sich irren. Und weil ich auf Grund dieser Tatsache sicher weiß, dass Sie die Kamera meines Smartphones doch noch nicht gehackt haben, sondern sich tatsächlich auf Ihre Ohren verlassen haben.”

“Auf der Kamera Ihres Smartphones sieht man nur Dunkelheit, weil Sie das Gerät gerade ans Ohr pressen, Harry!”, gab Lin-Tai zurück.

Ich beendete das Gespräch.

Rudi hatte unterdessen etwas über die Personen recherchiert, die uns Katrina Gintert in ihrer Mappe als Top-Verdächtige präsentiert hatte.

“Norbert Merendan ist wegen Drogenhandels und Körperverletzung im Gefängnis gewesen. Dort hat er sich der Organisation ‘German Sharia’ angeschlossen und zum Islam bekehren lassen.”

“Das macht ihn noch nicht zu einem Terroristen. Was ist ‘German Sharia’ für eine Organisation?”

“Die verstehen sich als eine Art deutscher Arm von Terrornetzwerken wie Al-Qaida. Zumindest hat sich die Organisation dorthin entwickelt. Als Merendan ihr beitrat scheint der Schwerpunkt von ‘German Sharia’ noch etwas anders gewesen zu sein…”

“Gefangenenseelsorge?”

“So kann man das nennen. Aber die Gruppe hat sich in eine bestimmte Richtung entwickelt und gilt heute als ein Sammelbecken für radikale Hassprediger.”

“Wo ist dieser Merendan jetzt?”

“Er hat seit kurzem hier in Wismar eine Adresse. Seit er bei Katrina Gintert vor zwei Wochen einen Job fand.”

“Wir sollten ihn zumindest mal befragen.”

“Falls er noch hier ist, Harry. Andererseits könnte gerade das die beste Tarnung des Täters sein. Wenn er sich gleich nach dem Attentat davongemacht hätte, wäre man vermutlich gleich auf ihn aufmerksam geworden.”

Ich sah auf die Uhr. “Ist zwar ein bisschen spät für einen Besuch, aber bevor er uns durch die Lappen geht…”

14

Wir machten uns also nochmal auf den Weg, stiegen in den Wagen und fuhren die paar Kilometer bis zum Nordende von Fellworn. Norbert Merendan - oder Idris Muhammad, wie er sich zwischenzeitlich nach seinem Eintritt bei ‘German Sharia’ auch genannt hatte - lebte offenbar zurzeit bei einem Kollegen, der ebenfalls bei Gintert angestellt war. Das Haus lag auf der dem Meer abgewandten, weniger mondänen Seite der schmalen Insel. Kein Wunder. Spitzenverdiener waren Katrina Gintert’ Security Guards ganz sicher nicht, aber trotzdem erwartete man vermutlich von ihnen, dass sie in der Nähe ihres Einsatzortes wohnten, um ständig verfügbar zu sein.

“Katrina McGinis hat sich bei uns ja so bitter darüber beklagt, dass wir ihre gesamten Angestellten unter Generalverdacht stellen würden”, meinte Rudi. “Aber eins sage ich dir, die Vorauswahl, die sie uns quasi zum Fraß hingeworfen hat, war auch nicht ganz ohne plumpes Vorurteil.”

“Du meinst, abgesehen von diesem Merendan sind das Fehltreffer?”

“Da ist eine Frau mit arabischem Vornamen dabei, die angegeben hat, der syrisch-orthodoxen Gemeinde anzugehören. Das sind Christen. Und dann war da noch ein gewisser Omar Alfombra in der Liste. Das klang für Frau Gintert offenbar arabisch. Alfombra ist aber spanisch. Der Mann ist Spanier und kommt aus Madrid, wie ich herausbekommen konnte.”

“Frau Gintert Schnell-Fahndung eben!”

“Aber auch ein blindes Huhn findet manchmal ein Korn. Was diesen Merendan betrifft.”

“Trägt er seinen neuen Namen eigentlich nicht mehr öffentlich? Ich meine Namensänderungen sind in Deutschland nicht so leicht möglich, aber als eine Art Künstlernamen...”

“Eher Kriegsnamen.”

“Wie auch immer.”

“Bei Gintert hat er sich als Norbert Merendan angemeldet, aber Islam als Glauben angegeben.”

“Wenn er wirklich der Killer war, wäre das ziemlich ungeschickt, oder?”

“Fragen wir ihn einfach selber.”

Wir erreichten das Haus von Florian Arlheim, dessen Haus Norbert Merendan als Adresse angegeben hatte. Ein kleiner, schmuckloser Bungalow. Das Baujahr datierte wahrscheinlich in einer Zeit, da Wismar noch nicht als Party-Meile für Großveranstaltungen aller Art bekannt geworden und die Grundstückspreise noch dementsprechend erschwinglich gewesen waren.

Es standen zwei Fahrzeuge in der Einfahrt. Eines davon war ein Geländewagen. “Der gehört Merendan”, meinte Rudi. “Jedenfalls ist auf diese Nummer so ein Fahrzeug auf seinen Namen zugelassen.”

“Was du alles so schnell überprüft hast…”

“Das war nun wirklich kein Kunststück, Harry.”

“Eines Tages machst du noch Lin-Tai Konkurrenz.”

“Ganz bestimmt nicht.”

Ich hatte den Dienst-Porsche auf der gegenüberliegenden Straßenseite abgestellt. Wir passierten die Einfahrt und standen wenig später vor der Haustür und klingelten.

Ein Mann im Uniform-Hemd der Sicherheitsfirma machte uns auf und unterdrückte ein Gähnen. ‘Florian Arlheim’ stand auf dem Namensschild in Brusthöhe.

“Kriminalinspektor Harry Kubinke, BKA. Dies ist mein Kollege Rudi Meier”, stellte ich uns vor.

“Ich habe mir schon gedacht, dass Sie das sind.”

“Wieso?”

“Sie untersuchen doch den Mord an dem MdB.”

“Das scheint sich schnell herumzusprechen.”

“Also ehrlich gesagt hat mir ein Kollege von Ihrem Wagen erzählt.” Arlheim deutete hinüber zur anderen Straßenseite hin, wo der Dienst-Porsche stand. “Ist ein Dienst-Porsche, allerdings kein normaler… Mein Kollege hat vermutet, dass es ein Hybrid sein könnte.”

“Ihr Kollege hat ein gutes Auge", musste ich zugeben.

“Schon klar.”

“Wenn Ihrem Kollegen der Wagen schon aufgefallen ist, dann werden Sie sicher nachvollziehen können, dass so ein Fahrzeug für den normalen Dienstgebrauch bei Observationen eher nicht so gut zu gebrauchen ist", ergänzte Rudi.

Arlheim sah mich an. “Aber Sie, als Kriminalinspektor werden mit sowas wie Observationen ja wohl kaum noch was zu tun haben, oder irre ich mich da?”

“Herr Arlheim, wir haben ein paar Fragen an…”

“Ich werde Ihnen da nicht viel sagen können. An dem Tag, an dem das mit dem MdB passiert ist, hatte ich Dienst im Hotel Blaue Schaumkrone, ein paar hundert Meter von der Werner Bretzler Halle entfernt. Da war nämlich zur gleichen Zeit eine große private Party angesagt. Mitarbeiter einer Versicherungsgesellschaft, die einmal im Jahr ziemlich über die Stränge schlagen. Da kann es schonmal etwas handgreiflich werden, wenn zuviel getrunken wurde.”

“Eigentlich wollten wir mit Ihrem Kollegen sprechen, Herr Merendan”, sagte ich.

“Sein Wagen steht in der Einfahrt”, ergänzte Rudi. “Er muss also hier sein.”

Arlheims Gesichtsausdruck wurde ernst. “Ich habe ihm ein freies Zimmer überlassen, bis er was gefunden hat”, meine er. “Ist nicht so leicht, hier in Wismar was zu finden. Die Preise sind in den letzten Jahren um ein Vielfaches angestiegen.”

Er drehte sich um und ging ins Haus zurück.

“Norbert?”, rief er. “Hier sind zwei BKA-Kriminalinspektoren, die mit dir reden wollen! Wegen der Sache in der Werner Bretzler Halle.” Es gab keine Antwort. “Norbert?”, fragte Arlheim nochmal.

Ich hatte eine üble Vorahnung. “Herr Norbert Merendan?”, rief ich. “Hier spricht das BKA!”

Rudi hatte bereits seine Dienstwaffe in der Hand.

Ein Geräusch war zu hören, so als würde sich jemand an einem Fenster zu schaffen machen. Ein Rollladen wurde hochgezogen.

“Wo ist das Zimmer?”, fragte ich Arlheim.

“Zweite Tür links.”

“Sie bleiben hier und rühren sich nicht.”

Ich stürmte voran und hielt dabei die Waffe in der Hand. Mit einem Tritt sprang die Tür zur Seite. Das Zimmer, in das ich blickte, wirkte wie ein ehemaliges Kinderzimmer. Vom Alter her war es gut möglich, dass Arlheim schon erwachsene Kinder hatte, die ausgezogen waren und deren Zimmer er jetzt hin und wieder bei Gintert vorübergehend angestellten Hilfskräften zur Verfügung stellen konnte.

Das Fenster stand offen. Der Wind wehte die Gardine herein. Draußen war eine Gestalt an dem Geländewagen.

“Stehenbleiben! BKA!”, rief ich.

Etwas blitzte auf.

Mündungsfeuer. Eine Kugel fuhr dicht neben mir in den Fensterrahmen und fetzte durch das weiche Holz hindurch, um dann irgendwo hinter mir in die Möbel hineinzuschlagen.

Zwei weitere Schüsse wurden abgefeuert. Ich duckte mich.

Einen Augenblick später startete der Geländewagen. Er setzte mit aufheulendem Motor zurück.

“Was ist denn hier los?”, hörte ich eine Frauenstimme sagen. Vermutlich war das Arlheims Frau. Ich bekam noch mit, dass Rudi sie anwies, zu bleiben, wo sie war.

Ich sprang auf, schwang mich durch das Fenster und rannte die Einfahrt entlang. Der Geländewagen raste indessen mit vollkommen überhöhter Geschwindigkeit davon. Der Motor heulte auf. Ich erreichte die Straße und zielte auf die Hinterreifen. Gerade, als der Geländewagen, die nächste Ecke erreichte und vermutlich im nächsten Augenblick abgebogen wäre, erwischte ich den Reifen hinten rechts. Der Wagen brach aus. Anstatt die Kurve zu nehmen, rutschte das Fahrzeug seitwärts in einen Vorgarten hinein. Ein zweiter Schuss sorgte jetzt dafür, dass auch vorne rechts die Luft entwich.