Atemlose Spannung für den Urlaub: Vier Krimis: Krimi Quartett

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26

“Was nimmst du?”

“Wie immer.”

“Du bist auch keiner, der die Abwechslung liebt, was?”

“Nicht, was Drinks angeht.”

Der Mann mit den verkürzten Finger saß in einer Bar in Berlin. Die Einrichtung erinnerte an einen irischen Pub. Der Mann hinter dem Tresen stellte ein Glas hin. Aber der Mann mit dem verkürzten Finger achtete nicht darauf. Er sah zu den Fernseher, der im Hintergrund lief. Es kamen die lokalen Nachrichten.

“Hey, mach mal lauter!”

“Seit wann interessiert dich, was in der großen weiten Welt passiert?”

“Quatsch nicht so viel und mach lauter!”

“Nur weil du es bist!”

“Weder die Polizei von Quardenburg noch das BKA machten Angaben dazu, ob es bei der Explosion der Autobombe Opfer gegeben hat”, sagte die Sprecherin im Studio. “Mein Kollege Achim Hänsels ist vor Ort. Achim, die Ermittlungsbehörden geben sich sehr zugeknöpft. Können Sie das bestätigen?”

“Ja, es gibt nur das sehr dürre Statement eines BKA-Pressesprechers. Dabei wird insbesondere keine Angabe dazu gemacht, ob der Besitzer des explodierten Fahrzeugs zum Zeitpunkt der Detonation bereits im Fahrzeug saß oder nicht. Ich habe selbst mit Anwohnern gesprochen und dazu sehr widersprüchliche Aussagen bekommen. Wir werden also weiterhin auf eine offizielle Stellungnahme warten müssen.”

“Achim, es soll inzwischen Gerüchte darüber geben, wer der Besitzer des explodierten Fahrzeugs ist.”

“Ja, unbestätigten Meldungen zu Folge soll es sich um einen Gerichtsmediziner handeln, der an der BKA Bundesakademie hier in Quardenburg tätig ist. Näheres konnte unser Team bisher leider noch nicht in Erfahrung bringen…”

“Schlimm, was da wieder passiert ist”, meinte der Kerl hinter der Bar.

“Ja”, murmelte der Mann mit dem verkürzten Finger, dessen Hand jetzt um das Glas fasste und es gedankenverloren zum Mund führte.

“Ich finde man sollte mehr gegen den weltweiten Terrorismus tun. So wie der MdB, auf den kürzlich geschossen wurde! Ich komme jetzt nicht auf den Namen, aber sein Gesicht war oft im Fernsehen…”

“Jeder versucht sein Bestes”, sagte der Mann mit dem verkürzten Finger und stellte sein Glas auf den Tresen.

27

Rudi und ich konnten Wildenbacher dazu überreden, in dieser Nacht nicht zu Hause zu übernachten. Was auch immer der Grund dafür sein mochte, dass er offensichtlich auf irgendeiner Todesliste stand, es war damit zu rechnen, dass es nicht bei diesem Versuch bleiben würde.

Wildenbacher wurde von zwei BKA-Kommissaren nach Hause begleitet und packte ein paar Sachen. Anschließend brachte man ihn zu einer konspirativen Wohnung im Südwesten von Berlin. Das BKA unterhält solche Wohnungen, um beispielsweise gefährdete Zeugen kurzfristig sicher unterbringen zu können. Die beiden Kommissare würden dafür regelmäßig abgelöst werden. Wildenbacher stand unter BKA-Schutz, auch wenn ihm das überhaupt nicht gefiel. Mein Eindruck war, dass er viel lieber einfach seinem Job in der Quardenburger Bundesakademie nachgegangen wäre.

Rudi und ich verließen Quardenburg etwas später als Wildenbacher und seine Bewacher. Mit Lin-Tai sprachen wir zuvor noch ausführlich darüber, unter welchen Kriterien jetzt die Suche nach dem Attentäter weitergehen sollte.

Kurz nachdem wir Quardenburg verlassen hatten, bekamen wir einen Anruf von Kriminaldirektor Hoch.

“Der MdB ist gerade gestorben”, erklärte unser Chef. “Wenn Sie nachher noch zu Wildenbacher fahren, dann bringen Sie ihm möglichst schonend bei, dass seine Erste-Hilfe-Bemühungen letztlich vergebens gewesen sind.”

“Wildenbacher wird das schon verkraften”, meinte ich.

“Ich könnte mir denken, dass ihm das alles sehr viel mehr an die Nieren geht, als er sich das nach außen anmerken lässt”, vermutete Kriminaldirektor Hoch. “Und für uns bedeutet das, dass der Druck der Öffentlichkeit noch erheblich wachen wird. In einer halben Stunde gibt es eine Pressekonferenz, auf der die Nachricht von Moldenburgs Tod offiziell bekannt gegeben wird. Und danach wird hier der Teufel los sein! Darauf kann man wetten.”

“Wildenbacher ist der Schlüssel zu dem Fall”, sagte ich. “Und es muss etwas mit dem Mord an Franz Lutterbeck zu tun haben, der schließlich mit derselben Waffe getötet wurde, mit der auf den MdB gefeuert wurde.”

“Jedenfalls können wir uns wohl nicht mehr sicher sein, dass dies wirklich ein Fall ist, der irgendetwas mit internationalem Terrorismus zu tun hat”, meinte Kriminaldirektor Hoch. “Aber wer immer so etwas jetzt in der Öffentlichkeit verkündet, dem wird man dann vorhalten, dass da nur irgendetwas vertuscht werden soll.”

“Wir werden mit Wildenbacher sprechen”, versicherte ich. “Wenn jemand Lutterbeck und Wildenbacher tot sehen will, dann muss die beiden noch mehr verbinden als der Geburtsort in Bayern und die gemeinsame Zeit auf der Gesamtschule.”

“Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, dass es in Bayern überhaupt Gesamtschulen gibt.”

“Die Zeiten ändern sich!”

“Anscheinend.”

“Ich meine, es ist ja eine Weile her, dass Gerold Wildenbacher zur Schule ging!”

Rudi hatte mit Handy im Internet recherchiert. “Die Schule, auf die Wildenbacher und Lutterbeck gingen war eine traditionsreiche Privat-Gesamtschule. Und er hat bei früherer Gelegenheit mir gegenüber mal erwähnt, dass er zuvor vom Gymnasium runtergeflogen ist. Wegen problematischem Sozialverhalten.”

“So?”

“Er hat sich viel geprügelt.”

“Kann ich mir bei unserem sanftmütigen Doc kaum vorstellen!”

“Ist so. Aber du kannst ihn ja selber mal danach fragen.”

“Besser ein andernmal.”

“Ich glaube auch...”

28

Wir brachten etwas Fast Food mit, als wir die Wohnung erreichten, in der Wildenbacher jetzt erstmal untergebracht werden würde. Die beiden Kommissars, die zu seiner Bewachung abgestellt waren, freuten sich zumindest darüber. Rudi und mir knurrte ebenfalls der Magen. Nur Wildenbacher schien kaum Appetit zu haben.

Er ging die ganze Zeit auf und ab.

“Denken Sie nach, Gerold! Wer könnte gleichzeitig Sie und Franz Lutterbeck im Visier gehabt haben?”, verlangte ich. “Wir haben immer nach Gemeinsamkeiten zwischen MdB Moldenburg und Lutterbeck gesucht, aber das war eine Sackgasse.”

“Franz Lutterbeck war ein sehr guter Staatsanwalt und in dieser Eigenschaft hatten wir in einer ganzen Reihe von Fällen miteinander zu tun”, sagte Wildenbacher.

“Auch Fälle, in denen Verurteilungen vielleicht auf Ihren gerichtsmedizinischen Gutachten basierten?”, hakte ich nach.

“Das waren sogar in der Regel Fälle, in denen meine Gutachten ganz erheblich zu den Verurteilungen der Täter beigetragen haben. Vom irren Triebtäter bis zum Clan-Boss war alles dabei. Und davon abgesehen liegen diese Fälle auch alle schon länger zurück. Schließlich hat Lutterbeck dann ja eine anderen Weg eingeschlagen und ist zu einer Art juristischen Koryphäe der Regierung geworden oder wie immer man das auch beurteilen will.” Wildenbacher fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Dann fuhr er fort: “Bevor ich da jetzt selbst was aus dem Hut zaubere, wird Lin-Tai mit Sicherheit eine Liste der Fälle zusammengestellt haben, an denen Franz und ich gemeinsam in irgendeiner Form beteiligt waren.”

“Das Problem ist, dass wir jetzt wieder ganz von vorne anfangen”, meinte Rudi. “Dass sich jemand an einem Juristen und einem Gerichtsmediziner für eine Verurteilung rächen will, ist ja auch nur eine Mutmaßung. Und davon abgesehen könnte es ja ebenso einen Fall betreffen, in dem Lutterbeck als Strafverteidiger und Anwalt tätig war.”

“Wir kennen den Killer”, stellte ich fest. “Und wir haben mit Norbert Merendan jemanden, der ihm persönlich begegnet ist. Wir kennen ein wichtiges körperliches Merkmal von ihm, auch wenn sein Bild nicht gerade besonders brauchbar ist… Dieser Kerl mit dem verkürzten Finger sollte nach wie vor unser Hauptansatzpunkt sein.”

“Ich nehme an, die Kollegen vom BKA-Büro Berlin haben mit Merendan ein Phantombild erarbeitet”, meinte Rudi. “Morgen früh sollten wir mal nachfragen.”

“Eins steht fest: Der Täter hat sehr professionell agiert”, sagte ich. “Die Tat war gut vorbereitet. Ich halte es sogar für möglich, dass er absichtlich jemanden dafür sorgen ließ, der einer islamistischen Sekte angehört hat wie Merendan, sodass man die Hintergründe der Tat in einer ganz anderen Richtung sucht. Selbst wenn er Gerold getroffen hätte, hätte man doch zuerst gedacht, dass eigentlich der MdB gemeint gewesen sein könnte. In so fern war auch der Zeitpunkt des Anschlags äußerst geschickt gewählt…”

“...wenn man davon ausgeht, dass tatsächlich von einer anderen möglichen Ermittlungsrichtung bewusst abgelenkt werden sollte”, ergänzte Rudi.

“Worauf wollen Sie eigentlich hinaus, Harry?”, fragte Wildenbacher.

“Wenn das kein Terrorist war, war das ein Profi-Killer”, sagte ich. “Und wer kann sich so jemanden leisten? Wer hat - abgesehen von terroristischen Netzwerken - noch die nötige Infrastruktur, um so ein Attentat planen und durchführen zu können?”

“Nur das organisierte Verbrechen”, meinte Rudi.

“Das ist nicht irgendein einsamer Rächer, der da eine persönliche Todesliste abarbeitet. Der arbeitet für jemanden, der sehr mächtig ist. Und da frage ich Sie, wer würde Ihnen da einfallen, Gerold? Mit wem haben Sie und Lutterbeck sich gleichermaßen so angelegt, dass er sie beide tot sehen will.”

“Und vielleicht noch andere”, meinte Rudi. “Es ist ja nicht auszuschließen, dass auf dieser Liste noch andere stehen, die mit Ihnen in irgendeiner Weise dasselbe Schicksal teilen.”

 

“Wie gesagt, dass soll Lin-Tai herausfinden”, meinte Wildenbacher gereizt. “Ich weiß doch oft gar nicht die genauen Hintergründe eines Falls. Da kommt was zu mir auf den Seziertisch, mit dem die Kollegen irgendwo in Deutschland nicht zurecht kommen, ich nehme mein Skalpell und stochere noch mal drin herum oder mache eine zusätzliche Analyse, um Licht ins Dunkel zu bringen. Aber über die genauen Hintergründe des Falls weiß ich doch sehr häufig gar nicht Bescheid.”

“Ist schon klar, Gerold.”

“Meine Aufgabe ist es schließlich in der Regel, die Todesursache herauszubekommen oder irgendeine andere, klar umrissene Fragestellung zu beantworten. Wurde Herr X zuerst verprügelt und dann gewürgt oder umgekehrt? Auch wenn das in der Praxis dann häufig zur Aufklärung eines Falles führt, ist diese Aufklärung einfach nicht mein Job!”

“Sind Sie in letzter Zeit bedroht worden? Haben Sie irgendwelche Beobachtungen gemacht, die vielleicht darauf hindeuten könnten, dass Sie beobachtet worden sind?”, fragte Rudi.

Wildenbacher wirkte plötzlich nachdenklich. “Also die letzte Sache, an der Franz und ich zusammen gearbeitet haben, ist noch gar nicht lange her”, meinte er dann plötzlich. “Genau genommen ist der Fall auch noch gar nicht abgeschlossen…”

“Worum geht es?”, fragte ich.

Wildenbacher machte eine wegwerfende Handbewegung. “Aber da ging es nicht darum, dass jemand durch mein Gutachten verhaftet worden ist, sondern genau umgekehrt: Mein Gutachten hätte für die Freilassung einer Person sorgen können, vorausgesetzt, es wird irgendwann nochmal fertig…”

“Erzählen Sie es trotzdem, Gerold”, verlangte ich.

Wildenbacher hob die Augenbrauen. “Sie greifen im Moment nach jedem Strohhalm, was?”

“Wenn dieser Fall eine Verbindung zwischen Ihnen und Lutterbeck ist, dann ist es vielleicht doch mehr als ein Strohhalm”, gab ich zu bedenken.

Gerold Wildenbacher atmete tief durch. “Okay. Franz Lutterbeck war zuletzt wieder als Anwalt tätig. Er war zwar zeitlebens jemand, der für die unnachsichtige Verfolgung von Verbrechern eintrat und in seiner Zeit als Staatsanwalt als harter Hund galt. Aber er war auch durch und durch Jurist. Einer, der die Ansicht vertrat, dass auch unsympathische Personen Anspruch darauf haben, vor dem Gesetz fair behandelt zu werden.”

“Und wer ist die unsympathische Person in dieser Geschichte?”

“Jörn Savonian.”

“Den Namen habe ich schon gehört.”

“Ein Pate des organisierten Verbrechens. Man fand ihn mit einer toten Prostituierten im Bett. Er wurde wegen Mordes verurteilt und sitzt seitdem im Hochsicherheitstrakt. Vor kurzem bat mich Franz Lutterbeck um der alten Zeiten willen, ein paar alte Befunde zu überprüfen.”

“Warum?”

“Es bestand der Verdacht, dass der damalige gerichtsmedizinische Bericht falsch war. Franz hatte offenbar Indizien dafür gefunden, dass Jörn Savonian damals mit gefälschten Beweisen hereingelegt worden war.”

“Trifft das Ihrer Einschätzung nach zu?”

“Der Bericht war von vorne bis hinten falsch. Die Würgemale passten nicht zu den Händen des Verdächtigen. DNA-Proben waren falsch zugeordnet. Ich habe selten eine so schlechte Arbeit gesehen.”

“Nur Schlamperei oder bewusste Fälschung?”, fragte ich.

“Mein Freund Franz war der Überzeugung, dass der damalige Gerichtsmediziner gekauft wurde. Aber das ist alles nicht offiziell. Es gibt auch keinen offiziellen Bericht.”

“Wieso nicht?”

“Nochmal: Franz Lutterbeck hat bei mir informell nachgefragt, ob ich ein paar Dinge überprüfen würde. Er hat für Jörn Savonian das Mandat übernommen und vorher wollte er sicher sein, dass die Geschichte Hand und Fuß hat, bevor er damit vor Gericht geht. Natürlich hätte ich dann ein offizielles Gutachten zu der Sache abgegeben, aber so weit ist es ja auch gar nicht mehr gekommen. Schließlich…”

“...ist Franz Lutterbeck bekanntlicherweise vorher erschossen worden.”

“Wer wusste von den Plänen, den Fall Savonian nochmal aufzurollen?”, fragte ich.

“Soweit ich weiß, nur Savonian selbst, Lutterbeck und ich. Und vielleicht noch die eine oder andere Person in Lutterbecks Kanzlei.”

“Gab es nicht eine Morduntersuchung im Fall Lutterbeck?”, fragte ich.

“Ja, und die ist noch nichtmal abgeschlossen”, ergänzte Rudi.

“Wieso hat man da nicht gleich an diese Sache gedacht?”, fragte ich.

“Also man kann den Ermittlern da keinen Vorwurf machen”, meinte Wildenbacher. “Ich bin ja wegen Franz’ Tod auch kurz vernommen worden. “Es gab nun wirklich sehr viele Leute, die einen Grund hatten, auf Franz sauer zu sein, während von dieser Sache so gut wie niemand wusste und außerdem auch kein Grund ersichtlich gewesen wäre, ihn deshalb zu töten.”

“Vielleicht gibt es jemanden, der nicht will, dass man Jörn Savonian wieder freilässt”, meinte Rudi.

Rudis Handy klingelte. Mein Kollege ging dran. Er sagte ein paarmal etwas angestrengt “Ja!” und schloss schließlich mit einem: “Danke, dass Sie sofort angerufen haben.”

Dann beendete er das Gespräch.

“Was Wichtiges?”, fragte ich.

“Kann man wohl sagen. Das war Gregor Nöllemeyer, der Sprengstoffexperte.”

“Der Kerl, der da so nervös am Tatort herumgelaufen ist und versucht hat, herauszufinden, was das für eine Bombe war, die mich fast zerrissen hätte?”, fragte Wildenbacher.

“Nein”, sagte Rudi. “Das war ein Spurensicherer. Kommissar Nöllemeyer ist selbst nicht am Tatort gewesen, aber er hat die Daten ausgewertet. Vor allem hat er nach Fällen gesucht, in denen ebenfalls ein Zünder verwendet wurde, der mit Zeitverzögerung auf den Signalgeber des Autoschlüssels reagiert.”

“Ich nehme an, er ist fündig geworden”, meinte Wildenbacher.

“Vor zwei Jahren explodierte hier in Berlin der Wagen eines Clubbesitzers namens Tarik Özdiler auf dieselbe Weise. Kurz danach gab es weiterer Fälle in Börneburg und Frankfurt. Die Opfer waren auch Clubbesitzer. Und nun wird es interessant. Alle drei Clubs standen höchstwahrscheinlich unter der Kontrolle der Organisation, in der früher Jörn Savonian den Ton angegeben hat, bevor man ihn verhaftete.”

“Das sieht nach einem Volltreffer aus, Rudi”, meine ich. “Hat Kommissar Nöllemeyer zufällig auch erwähnt, wer diese Organisation übernommen hat und jetzt die Geschäfte leitet?”

“Man hat immer gedacht, dass Jörn Savonian aus dem Knast heraus im Wesentlichen die Fäden zieht”, meinte Rudi. “Genau weiß das niemand.”

“Aber Jörn Savonian wird kaum die beiden Leute ermorden lassen, die ihm als einzige aus dem Knast helfen können”, meinte ich.

29

Am nächsten Morgen fuhren Rudi und ich nach Börneburg, um uns mit Jörn Savonian zu treffen.

Der ehemalige Boss eines kriminellen Clans (deutsche Mutter, libanesischer Vater), war ein hochgewachsener, breitschultriger Mann in den Fünfzigern. Das Haar war grau, aber voll. Der Blick seiner graublauen Augen hatte etwas Falkenhaftes.

“Wenn das BKA sich für mich interessiert, kann das in der Regel nichts Gutes bedeuten”, meinte Jörn Savonian, nachdem er sich gesetzt hatte. “Keine Ahnung, was Sie mir noch anhängen wollen, damit ich noch weitere zweihundert Jahre im Knast sitze, selbst wenn sich irgendwann herausstellen sollte, dass ich diese Nutte im Paradise Club in Börneburg nicht umgebracht habe!”

“Sie können ganz beruhigt sein”, meinte ich. “Ich bin Kriminalinspektor Harry Kubinke, dies ist mein Kollege Kriminalinspektor Rudi Meier. Wir ermitteln in einem ganz anderen Fall und sind sicher nicht daran interessiert, Ihnen etwas anzuhängen.”

“Freut mich zu hören. Da mein Anwalt vor kurzem eine Ladung Blei abbekommen hat, stehe ich Ihnen leider ohne rechtlichen Beistand gegenüber.”

“Haben Sie keinen neuen Anwalt?”, fragte Rudi.

“Wir hätten nichts dagegen, wenn er anwesend wäre”, ergänzte ich. “Ganz im Gegenteil sogar.

“Sie werden es kaum für möglich halten, es ist nicht so einfach für mich, einen Anwalt zu bekommen, der bereit ist, meinen Fall nochmal in die Hand zu nehmen.”

“Kann ich mir kaum vorstellen. Das ist doch eine einmalige Gelegenheit, Justizgeschichte zu schreiben”, meinte ich.

“Was soll ich sagen? Die ganze Geschichte hat dafür gesorgt, dass mein Image irgendwie nicht das Beste ist. Die meisten denken, dass ich es irgendwie verdient habe, hier zu sitzen. Ganz egal, ob ich diese Frau getötet habe oder nicht.”

“Ich denke, abgesehen von diesem Mord bliebe immer noch genug auf Ihrem Kerbholz übrig, um Sie hier drin zu lassen”, meinte ich.

“Nur, dass mich dafür niemand verurteilt hat und mir nichts gerichtsfest bewiesen werden konnte! Ich habe nur Geschäfte gemacht und nie gegen Gesetze verstoßen.”

“Natürlich.”

“Wenn Sie der Meinung sind, dass ich hier in diesem Loch bleiben sollte, dann habe ich eine gute Nachricht für Sie, Kriminalinspektor. Genau das wird nämlich vermutlich passieren! Und davon abgesehen scheint es auch niemanden wirklich zu interessieren, wer Herr Lutterbeck umgebracht hat.”

“Genau deswegen sind wir hier”, sagte ich. “Kurz nacheinander werden der Anwalt und der Gerichtsmediziner, die sich mit Ihrem Fall beschäftigt haben, um ihn nochmal aufzurollen, Ziele von Attentaten. Wir nehmen an, dass das kein Zufall ist.”

Jörn Savonian runzelte die Stirn. “Worauf wollen Sie hinaus?”

“Überlegen Sie mal, ob es nicht sein könnte, dass jemand unter allen Umständen verhindern will, dass Sie aus dem Knast herauskommen”, gab ich ihm zu bedenken. “Fällt Ihnen da jemand ein?”

Die Frage schien ihn zumindest nachdenklich werden zu lassen. Er lehnte sich zurück. Eine Antwort blieb er uns allerdings zunächst schuldig. Ich verstand das auch. Wenn er uns auf diese Frage antwortete, gab er dabei möglicherweise Informationen darüber Preis, wie die Befehlsstränge innerhalb seiner Organisation zurzeit verliefen.

Einer Organisation, deren Existenz er ja immer abgestritten hatte und deren Führung man ihm nicht hatte beweisen können.

“Ist das jetzt eine Falle?”, fragte er. “Wollt ihr mich am Ende doch noch hereinlegen?”

“Herr Savonian, daran denkt niemand”, versicherte ich.

“Ich verstehe langsam. Jetzt sind vielleicht doch neue Beweise aufgetaucht oder Sie haben endlich eingesehen, dass Ihre Beweise falsch waren und jetzt fürchten Sie, dass Sie mich auf freien Fuß setzen müssen. Da versuchen Sie mich doch vorher lieber zu irgendwelchen unbedachten Aussagen zu verleiten, damit Sie mir vorher noch genug anhängen können, um mich trotz allem noch länger im Bau zu lassen, als ich vermutlich noch leben werde!”

“Herr Savonian, das ist Unsinn”, stellte ich klar. “Uns geht es um die Wahrheit - und darum, einen gefährlichen Killer und seinen Auftraggeber zu fassen.”

“Ach, wirklich?”

“Mag ja sein, dass Sie und das BKA normalerweise auf verschiedenen Seiten gestanden haben, aber in diesem Fall sollten wir eigentlich beide dasselbe Ziel haben, finde ich. Und wenn Sie es schaffen, einen Moment ruhig darüber nachzudenken, dann werden Sie erkennen, dass ich richtig liege.”

Einige Augenblicke herrschte jetzt ein angespanntes Schweigen. Ich wechselte einen kurzen Blick mit Rudi. Mein Kollege nickte mir zu. Offenbar war er ebenfalls der Ansicht, dass Jörn Savonian diesen Moment zum Nachdenken vielleicht einfach brauchte.

Savonian atmete tief durch. “Okay, dann stellen Sie am Besten einfach Ihre Fragen.”

“Falls Sie Sorge haben, dass irgendetwas von dem, was Sie uns sagen, vor Gericht gegen Sie verwendet werden könnte, dann irren Sie sich”, stellte ich klar. “Im Moment interessiert uns nur dieser Killer. Aber möglicherweise hat das etwas mit Ihrem Fall zu tun und so könnte Ihnen das am Ende ebenfalls nutzen.”

Jörn Savonian beugte sich jetzt vor und sprach mit etwas gedämpftem Tonfall. “Wie ich schon wiederholt gesagt habe, bin ich für den Tod dieser jungen Frau nicht verantwortlich. Ich kannte sie nicht einmal.”

“Vielleicht erzählen Sie uns einfach mal, wie Sie das Geschehen von damals erlebt haben”, meinte ich.

“Das habe ich schon so oft getan, dass ich es kaum noch zählen kann. Nur hat mir bisher niemand glauben wollen. Bis auf Franz Lutterbeck, der schließlich sich dahintergeklemmt hat, dass das alles nochmal aufgerollt wird. Das ganze läuft auf Folgendes hinaus: Ich war in einem Club, um mich zu amüsieren, habe was getrunken, mir wurde schlecht und als ich erwachte lag neben mir eine tote Frau, von der sich später herausstellte, dass sie als Call-Girl tätig war. Und wie der Zufall es so wollte, fand ausgerechnet an diesem Tag auch eine Razzia in dem Club statt.”

 

“Haben Sie mal darüber nachgedacht, wer Sie aus dem Weg räumen wollte?”, fragte ich.

“Ich habe zuerst gedacht, dass es einfach ein übler Trick der Polizei war. Ich meine Ihresgleichen hat doch schon seit Jahren versucht, mir was am Zeug zu flicken. Man hat mir alles Mögliche versucht anzuhängen. Steuerhinterziehung, Geldwäsche, betrügerischer Bankrott und so weiter. Aber das ist alles gescheitert. Da ist es natürlich viel leichter, einem ein totes Call-Girl ins Bett zu legen, nachdem man einen mit k.o.-Tropfen flachgelegt hat.”

“Man hat die Substanz, die man Ihnen damals angeblich gab, nie nachweisen können…”, gab ich zu bedenken.

“So wie man wahrscheinlich auch nie herausfinden wird, wer das Call-Girl, wirklich umgebracht hat! Ich persönlich nehme an, dass es einer der Bullen war, die sich an meinen Fersen damals festgebissen hatten.”

“Herr Savonian, im Moment scheint mir die entscheidende Frage zu sein, wer ein Interesse daran haben könnte, dass es nicht zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens und möglicherweise zu Ihrer Freilassung kommt.”

“Ich sagte doch…”

“Ich meinte jetzt nicht Ihre Theorie, dass korrupte Ermittler sich Ihren Skalp an die Wand heften wollten. Ich dachte jetzt eher an Leute, aus Ihrem geschäftlichen Umfeld, wie Sie das vielleicht nennen würden. Leute, die einen Vorteil davon haben, wenn Sie für immer hinter diesen Mauern bleiben.”

“Das halte ich für ausgeschlossen.”

“Fällt Ihnen jemand ein, der Autobomben verwendet, die auf den Signalgeber des Zündschlüssels reagieren?”

Savonian verzog das Gesicht. “Wie kommen Sie darauf, dass ich solche Bekannte habe?”

“Es ist noch nicht so lange her, da starben mehrere Personen, die zumindest von uns Ihrer Organisation zugerechnet werden, auf genau diese Weise.”

“Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Und wie mir scheint, ist es jetzt doch wohl besser, wenn ich nun erstmal einen neuen Anwalt hinzuziehe, bevor ich das Gespräch mit Ihnen fortsetze, Kriminalinspektor Kubinke.”