Ein Strick für Lee Callahan

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Ein Strick für Lee Callahan
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Alfred Bekker

Ein Strick für Lee Callahan

Neal Chadwick Western Edition

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Ein Strick für Lee Callahan

I.

II

III

IV

V

VI

Impressum neobooks

Ein Strick für Lee Callahan

von Alfred Bekker

© Alfred Bekker, 1990

© 2012 der Digitalausgabe AlfredBekker/CassiopeiaPress

Ein CassiopeiaPress E-Book

All rights reserved.

Www.AlfredBekker.de

Über den Autor

Alfred Bekker schrieb unter dem Pseudonym Neal Chadwick fesselnde Romane aus der Zeit der amerikanischen Pionierzeit und des Wilden Westens. Als Neal Chadwick begann der bekannte Autor von Fantasy-Romanen, Jugendbüchern und Krimis seine Karriere. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL AUS MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall.

I.

Lee Callahan fühlte den harten Faustschlag an seinem Kinn.

Er flog in den Staub und als er dann den Kopf hob, sah er in grimmige, entschlossene Gesichter, sowie eine Revolvermündung.

"Lee!"

Das war Madeleine.

Sie wollte zu ihm eilen, aber zwei kräftige, hart zupackende Männerhände hielten sie unerbittlich an den Handgelenken.

"Sie lassen in Zukunft die Finger von meiner Tochter, Callahan!" zischte der alte McGregor. Das Haar an seinen Schläfen war schon lange ergraut, aber in der Mitte seines braungebrannten Gesichts befanden sich zwei zornig blitzende blaue Augen. Er war ein Rancher. Rechts und links von ihm standen einige der Cowboys, die er in Lohn und Brot stehen hatte.

"Dad, er hat mir doch nichts getan!"

Verzweifelung stand in Madeleins feingeschnittenem Gesicht.Ein paar Tränen waren ihr bereits über die Wangen gerollt.

"Ha!" machte McGregor. "Das wäre ja auch noch schöner!"

"Wir haben uns nur...unterhalten!"

"Schlimm genug! Ich will, daß das aufhört! Ein für allemal!"

Lee lag noch immer im Staub.

So, wie die Situation war, konnte er nichts machen. Der Revolver des Ranchers war nach wie vor auf ihn gerichtet und die Zornesröte, die in McGregors Gesicht gestiegen war, sprach für sich.

Wäre McGregor nicht der Vater jener Frau gewesen, die er liebte, so hätte er unter Umständen versucht, selbst zum Colt zu greifen.

Aber so, wie die Dinge nuneinmal lagen, widerstrebte es ihm, auf Madeleines Vater zu schießen. Und wenn es sich irgendwie vermeiden ließ, würde er es auch nicht tun.

Lee wischte sich das Blut von der Lippe. Die paar Schläge, die die Kerle ihm verabreicht hatten, konnte er leicht wegstecken.

Und er würde nicht so leicht aufgeben.

"Vielleicht stecken Sie ersteinmal das verdammte Eisen weg, Mr.McGregor!" schlug Lee so ruhig wie möglich vor. "Dann können wir uns besser unterhalten..."

Der Rancher machte die Augen schmal.

"Es gibt nichts mehr zwischen uns zu sagen!" fauchte er.

"Wenn Sie sich nocheinmal mit Madeleine treffen, dann kann ich für nichts mehr garantieren! Ich werde nicht zulassen, daß meine Tochter an einen Bastard, ein Halbblut gerät!"

Ein Zucken ging durch Lees ganzen Körper.

Jetzt war es also endlich heraus.

Lee hatte es die ganze Zeit über erwartet.

Er hatte gewußt, daß eine solche Bemerkung kommen würde.

Aber als sie dann kam, tat es trotz alledem weh.

Seine Züge verfinsterten sich.

Einige Sekunden lang trafen sich seine Blicke mit denen McGregors.

Dann durchbrach plötzlich eine autoritätsgewohnte Stimme das Schweigen.

"Irgendwelche Probleme?"

Es war Morris, der Sheriff von Bellfort, und Lee war froh, daß er endlich auftauchte.

McGregor mußte seinen Grimm sichtlich zügeln und mit einiger Mühe gelang ihm das auch. Er schluckte und steckte dann die Waffe zurück ins Holster.

Lee erhob sich.

"Was ist los?" erkundigte sich Sheriff Morris. Und dabei glitt sein Blick prüfend an den Männern entlang. Madeleine konnte sich in diesem Moment losreißen und lief zu Lee. Ihre schlanken Arme schlangen sich um seinen Hals.

"Ist dir was passiert, Lee?"

"Nein, nichts Ernstes."

"Ich will nicht, daß meine Tochter sich mit diesem...

diesem Hundesohn von einem Halbblut trifft!" schimpfte McGregor und spuckte zu Boden. "Das ist doch wohl kein übertriebener Wunsch, oder Sheriff?"

Morris zuckte mit den Schultern.

McGregors Mund verzog sich grimmig. "Im Übrigen ist das hier eine reine Familienangelegenheit! Und die geht Sie nichts an, Sheriff!"

"Wenn es sich wirklich nur um eine Familienangelegenheit handeln würde, dann ginge mich das tatsächlich nichts an.

Aber wenn hier Schießeisen gezogen werden, dann wird daraus etwas anderes - und dann ist das meine Angelegenheit!"

"Er hat meine Tocher belästigt, Morris!" zischte der Rancher wutentbrannt.

"Nein, Dad! Das ist nicht wahr!"

Morris schob sich den Hut in den Nacken.

"Nehmen Sie Ihre Tochter und reiten Sie mit Ihren Leuten nach Hause!" meinte er. "Ich schätze, daß ist ersteinmal das Beste!"

Einen Augenblick lang herrschte gespanntes Schweigen. Dann brummte McGregor:"Komm, Madeleine!"

Sie sah zu Lee auf.

"Ich gehe jetzt wohl besser mit ihm."

Lee nickte und um seinen Mund spielte ein leises Lächeln.

"Ja."

Sie strich ihm nocheinmal mit der Hand durch die wirren Haare. Dann ging sie zu ihrem Vater, der sie ärgerlich anfunkelte und am Handgelenk packte.

Als McGregor mit seiner Meute davonzog, wandte Madeleine sich nocheinmal kurz um.

Lee sah ihr nach.

"Die kleine McGregor ist nichts für Sie, Callahan!" meinte Morris. "Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf: Lassen Sie die Finger von ihr! McGregor versteht in diesen Dingen keinen Spaß und wenn Sie nicht lockerlassen und sich anderswo, als ausgerechnet auf seiner Ranch nach einer Frau umsehen, dann..."

Morris zögerte.

"Was dann?"

"Dann wird es unweigerlich Ärger geben."

Lee hob seinen Hut vom Boden auf.

"Er denkt, daß jemand wie ich weniger wert ist, als jemand wie er, nur weil meine Haut ein bischen dunkler ist! Ist das richtig so?"

"Es ist mir gleichgültig, weshalb McGregor Sie als Mann seiner Tochter unpassend findet. Und wenn es nur deshalb wäre, weil Ihr Hut ein paar Flecken hat... Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt. Ich will keinen Ärger in Bellfort. Alles andere ist mir gleich!"

Aber Lee winkte ab.

"Ich kann Ihnen nichts versprechen, Morris!"

Dann ging er an dem Sheriff vorbei, ohne nocheinmal zurück-zublicken.

"Callahan!" rief Morris ihm nach.

Lee blieb kurz stehen.

"Was ist noch, Sheriff?"

"Ich habe nichts gegen Sie, Callahan, aber ich kann Ihnen ebenfalls nichts versprechen! Wenn Sie Dummheiten machen und keine Vernunft annehmen wollen, dann kann ich Ihnen zum Beispiel nicht versprechen, rechtzeitig zur Stelle zu sein, um Sie vor McGregors Jähzorn zu schützen!"

Lee zuckte gleichgültig mit den Schultern.

"Ich kann auf mich selbst aufpassen!"

*

Lee Callahan hatte darauf verzichtet, noch auf einen Drink in den Saloon zu gehen. Vielleicht waren noch einge von McGregors Leuten dort und denen wollte er besser aus dem Weg gehen.

Nicht, daß er sich vor ihnen fürchtete, aber er wollte den Ärger auch nicht mutwillig heraufbeschwören. Außerdem hatte es davon heute schon mehr als genug gegeben.

Und so hatte er sich auf seinen Gaul gesetzt und war aus der Stadt geritten.

Vor ihm lagen sanfte Grashügel, in der Ferne lagen bewaldete Berghänge.

Es war gutes Land, hier rund um die Stadt Bellfort herum.

Land, um Rinder oder Schafe zu züchten oder Korn anzubauen.

Nach einer Weile sah Lee hinter einer Hügelkette eine kleine Ranch auftauchen.

Sie gehörte Luke und Mildred O'Kensey.

Vor vielen Jahren waren die beiden mit einem Planwagen und einem kleinen Baby hier aufgetaucht, hatten sich Land gekauft und dort mit ihrer Hände Arbeit aus dem Nichts etwas geschaffen.

 

Aus dem Baby war ein Mann geworden, Joel hatte er geheißen.

Bei einer Schießerei hatte ihn eine verirrte Kugel niedergestreckt und getötet.

Joel O'Kensey hatte mit der Sache, um die es ging, überhaupt nichts zu tun gehabt. Er hatte einfach zur falschen Zeit am falschen Tisch im Saloon gesessen.

Ein Zufall, aber für Joel schicksalhaft.

Die O'Kenseys hatten den Tod ihres einzigen Sohnes nur schwer verwinden können.

Und dann war eines Tages ein halbwüchsiger Junge in Bellfort aufgetaucht.

Ein Halbblut, zur einen Hälfte Cheyenne, zur anderen Weißer, das sich mit Diebstählen durchzuschlagen versuchte.

Der Name des Kleinen war Lee gewesen. Lee Callahan.

Die O'Kenseys hatten ihn bei sich aufegommen und wie einen Sohn großgezogen. Er war ihnen sehr dankbar dafür. Jetzt arbeitete er auf ihrer Ranch.

Und wenn die O'Kenseys starben, so hatten sie es bestimmt, würde er die Ranch erben.

Sie waren dafür eigens zu einem Notar gegangen, um das schriftlich festhalten zu lassen.

"Leider haben Mildred und ich keine weiteren Kinder", hatte Luke O'Kensey damals zu Lee gesagt. "Aber du bist uns in all den Jahren wie ein Sohn gewesen und deshalb finden wir es richtig, wenn du alles erbst! Weiß Gott, wer sich dieses schöne Stückchen Land vielleicht sonst unter den Nagel reißen würde! Möglicherweise dieser gierige, unersättliche McGregor!"

Die Small-Ranch der O'Kenseys erlaubte ihren Bewohnern kein Leben in Luxus, aber sie ernährte sie.

Sie waren bereit, hart zu arbeiten, was ihnen damit vergolten wurde, daß sie immer ihre eigenen Herren geblieben waren.

Als Lee die Ranch-Gebäude erreichte, sah er Mildred O'Kensey vor dem Wohnhaus. Als sie hochblickte und ihn sah, lächelte sie.

Lee kam heran, stoppte dann sein Pferd und ließ sich aus dem Sattel gleiten. Das Tier machte er dann am Gatter des Corrals fest.

"Lee! Schön, daß du wieder da bist!"

"Ja..."

Sie sah die Schrammen, die ihm McGregors Leute zugefügt hatten. Ihr Gesicht wurde ernster.

"Hast du Ärger in der Stadt gehabt?"

Er nickte.

"Ja."

"McGregor?"

"Ja."

"Man darf nie aufgeben, Lee!" meinte sie dann. "Eines Tages wirst du Madeleine über die Schwelle tragen!"

"Leider mag McGregor mich nicht besonders." Dann lächelte er. "Aber so leicht bin ich nicht von dem abzubringen, was ich mir vorgenommen habe!"

"Das ist gut so, Junge." In ihren Augen begann es plötzlich zu funkeln. "Übrigens... Mein Dad hat damals auch nicht viel für Luke übrig gehabt. Er hielt ihn für einen ausgemachten Taugenichts..." Sie zuckte mit den Schultern. "Aber er hat Unrecht gehabt."

Sie faßte ihn flüchtig bei der Schulter. Sie wußte, daß er es nie einfach gehabt hatte.

Von Anfang an nicht.

Immer waren da Leute gewesen, die ihn einfach schon deswegen nicht mochten, weil eine Hälfte von ihm ein Indianer war. Und obgleich der letzte Krieg mit den Cheyennes schon ein paar Jahre zurück lag, hatte man sie doch noch immer in überaus unangenehmer Erinnerung.

Kaum jemand hatte Lee zum Freund haben wollen, und daran hatte sich bis heute nicht viel geändert.

So hatte er gelernt, auf sich allein gestellt zurecht zu kommen.

Diejenigen, denen er vertrauen konnte, ließen sich leicht an den Fingern einer einzelnen Hand abzählen.

Es war für Lee Callahan nicht einfach, aber es war ihm klar, daß es wenig Sinn machte, einfach davonzulaufen und wegzuziehen, um sich anderswo eine neue Existenz aufzubauen.

Es würde überall gleich sein.

Ein Halblut war nirgends beliebt.

"Willst du etwas essen, Junge?"

"Ja, gerne."

"Ich habe etwas Stew auf dem Herd stehen! Luke ist draußen beim Zäunereparieren. Er bittet dich, dort auch hinzukommen, um ihm zur Hand zu gehen."

Er nickte.

"Gut."

"Er sagte, du wüßtest, wo die Stelle ist..."

"Ja, das stimmt. Ich weiß bescheid."

Aus der halboffenen Tür des Wohnhauses kam ein angenehmer, würziger Geruch. Erst jetzt wurde Lee wirklich bewußt, wie sehr ihm der Magen schon knurrte.

*

Als Lee aufgegessen hatte, ritt er hinaus zu Luke O'Kensey.

O'Kensey, der gerade eine Rolle mit Stacheldraht von dem groben Kastenwagen nahm, sah ihn schon weitem kommen.

Er mochte Lee.

Ein wirklich feiner Kerl war er geworden, dachte O'Kensey.

Als Lee herangekommen war, sprachen sie kurz über den Ärger, den er in der Stadt mit McGregor und seinen Leuten gehabt hatte.

O'Kensey konnte da nur mit den Schultern zucken. Er klopfe Lee auf die Schulter, als dieser aus dem Sattel gesprungen und zum Wagen gekommen war.

"Dieser McGregor glaubt, etwas Besseres zu sein!" meinte der Kleinrancher. "Er hat das meiste Land, die meisten Rinder und die meisten Cowboys in der Gegend. Das war schon so, als Mildred und ich damals hier angefangen haben..."

O'Kensey war stolz auf Lee.

Als stehlendes, schmuddeliges Etwas war er gekommen, verschlagen, mißtrauisach und kaum zugänglich. Es hatte damals lange gedauert, bis er überhaupt einem Menschen zuz trauen bereit gewesen war.

Gut, daß wir damals nicht aufgegeben haben! überlegte Luke O'Kensey, während sie sich jetzt beide an dem Stacheldraht zu schaffen machten.

Und was war jetzt für ein Kerl aus ihm geworden!

O'Kensey war sich sicher, daß Lee seinen Weg machen würde.

*

Einige Tage gingen ins Land, ohne, daß etwas Besonderes geschah. Lee sah und hörte nichts von Madeleine und im Grunde hatte er auch kaum etwas anderes erwartet.

Er ritt zwar mehrmals zu dem Treffepunkt, unten am Fluß, an dem sie sich oft gesehen hatten, aber sie war nie dort.

Kein Wunder.

Fürs Erste würde der alte McGregor gut auf seine Tochter aufpassen und sie kaum aus den Augen lassen.

Lee war ungeduldig, aber er wußte, daß er abwarten mußte.

Der Alte Rancher hatte zwar ein cholerisches Temperament, aber irgendwan würde er sich wieder beruhigen. Was das anging, war Lee zuversichtlich.

Während dieser Tage war auch einmal mit Luke O'Kensey in der Stadt. Sie hatten den Kastenwagen genommen, um Werkzeug und Baumaterial laden zu können, daß sie für ein neues Gatter einkaufen wollten.

Als sie beladen aus dem Drugstore traten, kam ein Trupp von Reitern die Main Street entlanggeritten.

Es waren sieben, acht Mann, schwer bewaffnet und mit staubigen Kleidern. Sie schienen einen langen Ritt hinter sich zu haben.

Sie waren nicht aus der Gegend, sonst hätte Lee sie gekannt. Hier kannte jeder jeden. Bellfort war keine Großstadt.

Aber einer der Kerle fiel ihm auf.

Er ritt an der Spitze des Trupps, trug einen schwarzen Vollbart und hatte eine häßliche, rote Narbe quer über der Stirn. Sie sah aus, als hätte ihn jemand mit einem Säbel getroffen.

Vielleicht hatte er im Bürgerkrieg gekämpft. Der Mann mit der Narbe blickte sich immer wieder um und taxierte die Menschen, die zu beiden Seiten der Main Street auf den Sidewalks dahergingen.

In Richtung von Lee und O'Kensey blickte er nicht, aber als der Kleinrancher den Mann sah, schien er förmlich zu erstarren.

Sein Gesicht wurde farblos.

Lee hatte ihn noch nie zuvor so gesehen. O'Kensey war kein Mann, der sich leicht Angst einjagen ließ. Er starrte zu dem Kerl mit der Narbe hin, wie ein Kaninchen zur Schlange. Als die Straße entlang bis zum Saloon geritten waren und sich nicht mehr umwandten, atmete er etwas auf.

Dort machte der Trupp halt.

Die Männer ließen sich aus den Sätteln gleiten und machten ihre Pferde fest. Keine frage, sie wollte auf einen Drink in den Saloon.

"Was ist?" fragte Lee.

O'Kensey schluckte. Dann packte er wortlos die Sachen aus dem Drugstore auf den Kastenwagen und Lee folgte seinem Beispiel.

"Kennst du diese Männer?" bohrte Lee nach, aber er bekam keine Antwort.

Stattdessen meinte O'Kensey leise und mit kraftlos klingender Stimme: "Laß uns aus der Stadt fahren, Junge!"

Lee akzeptierte das zunächst.

Sie schwangen sich beide vorne auf den Bock und dann ging es los. O'Kensey schien es ziemlich eilig zu haben, aus der Stadt zu kommen.

Lee sah das nachdenkliche, in sich gekehrte Gesicht des anderen und wußte, daß etwas nicht in Ordnung war.

Erst als die Häuser von Bellfort bereits in ihrem Rücken hinter ein paar Hügeln verschwunden waren, kam er damit heraus.

"Ich muß etwas mit dir besprechen, Junge", sagte er und Lee wußte am Tonfall, daß es sich um etwas sehr Ernstes handeln mußte. "Aber sag Mildred nichts davon. Sie wird sich nur aufregen. Und vielleicht geschieht ja auch nichts..."

Lee nickte.

"In Ordnung", sagte er.

"Es ist eine lange Geschichte, Lee..."

"Hat sie mit diesem Kerl zu tun, den wir in der Stadt gesehen haben? Ich meine den, mit dieser häßlichen Säbelnarbe über der Stirn..."

O'Kensey nickte.

"Der Mann heißt Liam Shorter und ist sehr gefährlich...

Nimm dich vor ihm in Acht, solltest du ihm begegnen, hörst du?"

"Na, klar."

"Es ist schon viele Jahre her... Es war noch bevor ich meine Frau kennenlernte. Da traf ich auf ein paar Typen, üble Kerle, aber ich war jung und unerfahren. So merkte ich das nicht gleich. Liam Shorter war auch darunter und noch ein paar andere von denen, die du gerade über die Main Street hast reiten sehen. Die Kerle hatten ein krummes Ding ausgeheckt. Einen Postkutschenüberfall. Mir war von Anfang an nicht wohl bei der Sache und dann bin ich im letzten Moment abgesprungen..."

"Das wußte ich nicht", stieß Lee erstaunt hervor.

O'Kensey lächelte schwach.

"Das weiß nichteinmal meine Frau. Ich habe es niemandem erzählt. Wozu auch? Ich dachte die alten Geschichten wären aus und vorbei. Ein für allemal vergessen." Er seufzte. "Aber ein Mann wie Liam Shorter kann nicht vergessen. Und ich bin mir ziemlich sicher, daß er meinetwegen hier ist..."

Lee zuckte mit den Schultern.

"Das verstehe ich nicht. Was hat er gegen dich?"

"Das wirst du gleich begreifen! Ich bin also im letzten Moment aus der Sache ausgestiegen. Die Kerle haben zwar gemurrt, es aber geschluckt. Abblasen wollten sie das Ding auch nicht, sie hielten es für eine einmalige Gelegenheit. Es war mein Glück, daß ich ausgestiegen bin, sonst hätte ich einen Großteil meines Lebens im Gefängnis verbracht...

Shorter und die anderen zogen die Sache durch, der Kutscher wurde dabei sehr schwer verletzt und Phil Shorter, Liams Bruder, der auch bei der Sache dabei war, bekam eine Kugel in den Kopf. Die Beute war mäßig. Ein Aufgebot wurde schnell zusammengestellt und man hat sie alle gekriegt. Einige sind bei der Verfolgung erschossen worden. Der Rest wanderte für viele Jahre ins Loch. Shorter auch. Er hat den anderen weißgemacht, daß ich die Sache verraten hätte. Zumindest müßte ich die Namen der Beteiligten dem Sheriff gesagt haben, sonst hätte man sie nicht so schnell kriegen können...

Schließlich waren sie maskiert!"

"Und?" fragte Lee. "Hast du sie ans Messer geliefert?"

"Nein, habe ich nicht." Er zuckte mit den Schultern. "Aber Liam Shorter wollte einfach nicht wahrhaben, daß er selbst vielleicht daran Schuld gewesen sein könnte, daß die Sache schiefging. Es ist eben einfacher, wenn man einen Sündenbock hat, af dem man alles abschieben kann."

"Du weißt, daß ich ganz ordentlich mit dem Schießeisen umgehen kann!" meinte Lee. "Wenn diese Kerle auftauchen sollten, stehe ich an deiner Seite..."

"Das ist gut zu wissen. Obwohl ich eigentlich lieber niemanden mit hineinziehen möchte." Und dann, mehr zu sich selbst, als zu Lee: "Aber es läßt sich jetzt wohl kaum noch vermeiden. Zum Davonlaufen ist es zu spät."

"Du bist dir sicher, daß Shorter dseinetwegen in Bellfort aufgetaucht ist?"

"Weswegen sonst?" fauchte O'Kensey etwas unwirsch und viel heftiger, als er es eigentlich geplant hatte. "Ich bin als Zuschauer bei der Gerichtsverhandlkung gegen ihn gewesen. Als Liam mich unter den Leuten gesehen hat, ist er aufgesprungen und hat zu mir herübergebrüllt, daß er mich kaltmachen würde, wenn er wieder draußen wäre! Für mich hätte er immer eine Kugel übrig... Er hat damals zwanzig Jahre gekriegt, die sind eigentlich noch nicht ganz vorbei. Aber bei guter Führung...

Vielleicht hat man ihn früher gehen lassen."

"Oder er ist ausgebrochen...", vermutete Lee.

 

O'Kensey zuckte mit den Schultern.

"Kann mir gleich sein. Jetzt sind sie im Saloon und werden Slimmy, den Barkeeper ausquetschen. Und der wird ihnen arglos, wie er ist - alles sagen, was sie wissen wollen...

Vielleicht sind sie schon auf dem Weg zur Ranch!"

Dieser Gedanke schien ihm schier den Verstand zu rauben.

Lee sah die Veränderung in O'Kenseys Gesicht.

O'Kensey trieb die Pferde voran. Der Wagen ächzte und rumpelte halsbrecherisch über den unebenen Boden.

*

Als der Wagen die Ranch erreichte, schien dort noch alles in Ordnung.

Mildred kam gerade von den Hühnern.

Sie lächelte freundlich, als sie die Männer kommen sah, aber ihr Mann lächelte nicht zurück.

Sein Gesicht war sehr ernst.

Er sprang vom Bock herunter unds nahm sie in den Arm. Dann meinte er: "Geh ins Haus, Mildred!"

"Aber, Luke!"

Natürlich verstand sie nichts. Sie konnte gar nichts begreifen. Ihr Gesicht drückte Verwirrung aus, während sie sich ein paar Haarsträhnen zurückstrich.

"Frag jetzt nicht, tu was ich dir sage!"

"Luke, was ist los!"

"Ich erkläre es dir gleich. Jetzt muß ich mich erst um die Pferde kümmern..."

"Aber..."

"Nun mach schon! Geh zum Gewehrschrank. Du kannst schonmal die Winchesters laden."

Sie sagte nichts mehr, sondern tat, was ihr Mann ihr gesagt hatte.

Es würde irgendwelchen Ärger geben.

Sie wußte nicht, worum es ging, aber es mußte ernst sein.

So hatte sie Luke O'Kensey noch nicht erlebt... Sie hoffte nur, daß sie die Gewehre nicht brauchen würden!

Lee nahm unterdessen seinen Revolver aus dem Holster und überprüfte die Ladung.

Alles in Ordnung.

Dann blickte er hinaus über die sanften Grashügel.

Er sah in jene Richtung, in der Bellfort lag und aus der die Kerle kommen mußten, wenn sie wirklich aufgetaucht waren, um Luke ÒKensey aufzuspüren und zur Strecke zu bringen.

Es war noch nichts zu sehen.

Lee rollte die Revolvertrommel herum und steckte die Waffe dann wieder ein.

Die O'Kenseys hatten viel für ihn getan.

Alles, was er war, verdankte er im Grunde ihnen und das wußte er auch. Er fühlte die Verpflichtung, ihnen in dieser Stunde beizustehen.

Und das würde er auch tun, das war für ihn keine Frage.

Sollten sie nur kommen, diese Hunde! Sollten sie sich blutige Nasen holen!

Lee folgte Mildred O'Kensey ins Wohnhaus.

Sie hatte einige Winchester-Gewehre auf den Tisch gelegt und war jetzt dabei, eine der Waffen mit Patronen vollzustopfen.

"Weißt du, worum es geht?" fragte sie.

Erst zögerte er.

Sie blickte zu ihm auf. Ihr Blick war voller Angst und Verwirrung. Sie spürte, daß irgendetwas Schreckliches unmittelbar bevorstand, aber das war nicht mehr, als eine unbestimmte Ahnung.

Lee fand eigentlich, daß es die Aufgabe ihres Mannes war, ihr diese Sache zu erzählen.

Luke O'Kensey hatte es bisher nicht getan und dafür sicher auch einleuchtende Gründe gehabt.

Aber jetzt blieb vielleicht nicht mehr allzu viel Zeit, um irgendetwas zu erklären.

So machte Lee dann doch den Mund auf. In knappen Worten berichtete er ihr, was los war.

"Und ihr meint, daß diese Männer auf dem Weg hier her sind?" fragte sie, als er geendet hatte.

Lee nickte.

"Ja."

Dann nahm er sich ebenfalls eine der Gewehre und lud es mit einer energischen Bewegung durch.

Sie waren zu dritt.

Mildred konnte fast ebensogut mit einer Waffe umgehen, wie die Männer. Luke O'Kensey hatte es ihr beigebracht, denn hier draußen mußte auch eine Frau wissen, wie man sich gegen Gesindel zur Wehr setzen konnte.

Drei gegen wieviele?

Lee hatte nicht genau gezählt.

Gleich, ob es nun sieben oder acht Mann waren, ihre Chancen waren nicht besonders gut.

Aber sie würden sich so teuer wie möglich verkaufen.

Eine andere Wahl blieb ihnen auch gar nicht.

*

Luke O'Kensey hatte die Pferde vom Wagen abgespannt und aus ihren Geschirren entlassen.

Als er dann in Richtung des Wohnhauses ging, sah er sie hinter den Hügeln auftauchen.

Acht Reiter waren es.

Einige von ihnen hatten die Gewehre aus den Sattelhalftern gezogen. Es lag auf der Hand, daß sie üble Absichten hatten.

O'Kensey erstarrte einen kurzen Augenblick lang und blickte zu ihnen hinüber.

Sie kamen schnell heran.

Es gefiel ihm nicht, daß Lee und Mildred nun in die Sache hineingezogen wurden. Aber was hätte er dagen tun können?

So wie die Dinge standen, rein gar nichts.

Sicher, er hätte seinen Gaul besteigen und davonreiten können, in der Hoffnung, möglichst schnell ein paar Meilen zwischen sich und die Wölfe zu legen.

Aber er kannte Liam Shorter nur zu gut. Er war eine Bestie und ein Menschenschinder, der seinen Ärger auch an Mildred, seiner Frau, oder an Lee auslassen würde, wenn er den, nach dem er eigentlich suchte, nicht vorfand...

In der Stadt hatte Shorter irgendwie erfahren, daß diese Ranch Luke O'Kensey gehörte. Und jeder, der sich jetzt dort aufhielt, war nun ein mögliches Ziel von Shorters Rachsucht.

Er würde Mildred ohne mit der Wimper zu zucken etwas antun, nur um ihren Mann damit zu treffen...

Unter diesen Umständen war es besser, daß O'Kensey hier war, um die Seinen zu beschützen.

Der Kleinrancher lief jetzt zum Haus und stürzte durch die Tür. Er nahm sich eines der Gewehre auf dem Tisch und lud es durch. Dann stellte er sich an die halboffene Tür.

Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden.

Noch war alles ruhig. Es war die berüchtigte Ruhe vor dem Sturm.

"Sie sind im Anmarsch!" zischte er. "Es wird gleich losgehen!" Dann wandte er sich an seine Frau. "Mildred, ich müßte dir vielleicht erklären, worum es hier eigentlich geht..."

"Lee hat es mir bereits gesagt."

Er wechselte mit Lee einen kurzen Blick.

Dann nickte er.

"Es ist gut", sagte er. "Es sind acht Mann. Sie müssen jeden Moment auftauchen!"

Lee stellte sich mit dem Gewehr im Anschlag an Fenster. Er schob die Scheiben hoch und steckte den Lauf ein Stück hinaus.

O'Kensey selbst stand noch immer an der halb geöffneten Tür und wartete ungeduldig.

Er biß sich kurz auf die Unterlippe.

Dann hörten sie alle das Geräusch galloppierender Pferde, das schnell anschwoll. Die Reiter waren heran, allen voran Liam Shorter mit der Narbe auf der Stirn.

Er gebot seinen Männern mit einer Handbewegung zu halten und sie taten es.

"Kennst du noch weitere von den Kerlen?" erkundigte sich Lee, ohne dabei zu O'Kensey hinüberzublicken und die Männer aus den Augen zu lassen.

O'Kensey nickte.

"Ja, der mit der braunen Jacke. Der war damals auch dabei.

Sein Name ist Matt Grant. Und dann ist da dieser Kerl ganz in Schwarz."

"Der mit dem Doppelholster?"

"Ja, genau der. Das ist Roy Mulligan. War damals ein ganz junger Kerl, genau wie ich."

"Kann er wirklich mit beiden Händen schießen?"

"Ich weiß nicht, Lee. Damals konnte er es nicht. Aber vielleicht hat er dazugelernt."

"Was ist mit dem Rest der Halunken?"

"Kenne ich nicht, Lee. Vermutlich hat Shorter 'ne neue Bande aufgemacht und den Kerlen weißmachen können, daß es auf dieser Ranch irgendetwas zu holen gibt..."

Sie sahen angestrengt hinaus und warteten ab, was geschehen würde. In den Augen dieser Männer blitzte es, besonders bei Shorter und Mulligan.

Mordlust stand in diesen Gesichtern.

Dennoch meinte O'Kensey: "Lee, wir schießen erst, wenn es keinen anderen Weg mehr gibt!"

"Aber es liegt doch klar auf der Hand, was die vorhaben!"

protestierte Lee energisch. "Was glaubst du denn, wozu die ihre Gewehre aus den Sätteln gezogen haben?"

"Keine Widerrede! Wenn wir die Sache anders regeln können, ist das besser für uns!"

Unterdessen schob sich Shorter den Hut in den Nacken.

"Luke!" rief er."Luke O'Kensey oder wie immer du verdammter Hund dich jetzt auch nennen magst! Bist du hier?"

Shorters Stimme war voll von abgrundtiefem Haß.

"Ich bin hier!" rief O'Kensey zurück.

"Das hättest du nicht gedacht, daß du mich nocheinmal wiedersiehst, nicht war? Mich und den guten Roy und Matt! Du erinnerst dich doch, oder? Du verdammter Verräter!"

"Ich habe eich damals nicht verraten, Leute!" rief O'Kensey, obwohl ihm klar war, daß das wenig nützen würde.

Shorter lachte rauh.

"Das würde ich an deiner Stelle auch behaupten, Luke!"

"Es ist die Wahrheit! Ihr wart stümperhafte Anfänger, jawohl! Die Tour habt ihr Euch durch eure Ungeschicklichkeit selbst vermasselt, aber das willst du einfach nicht in deinen ramponierten Schädel reinlassen, Liam Shorter!"

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