Atemlose Spannung für den Urlaub: Vier Krimis: Krimi Quartett

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30

“Willst du wirklich, dass dieser Kerl wieder in Freiheit kommt?”, fragte Rudi, nachdem bereits wieder im Dienst-Porsche saßen.

“Wenn er wegen einer Tat im Gefängnis sitzt, die er nicht begangen hat, führt kein Weg daran vorbei”, meinte ich.

Rudi seufzte. “Ich weiß. Aber ich kann nicht sagen, dass ich besonders glücklich darüber bin.”

“Hast du es bemerkt? Der wollte nicht darüber reden, wer aus seinem Umfeld vielleicht damit zu tun haben könnte, Rudi.”

“Dann werden wir uns selbst darum kümmern müssen.”

“Die Theorie, dass er durch unsere Leute hereingelegt wurde, ist leider auch nicht ganz von der Hand zu weisen.”

“Aber das würde doch kaum mit dem Rest der Geschichte zusammenpassen”, meinte ich. “Das Sprengstoff-Attentat auf Gerold zeigt doch eine sehr eindeutige Handschrift.”

“Du spielst auf die Beziehung an, die es möglicherweise zwischen der Tat und dem Tod von ein paar Clubbesitzern gibt, die in irgendeiner Weise mit der Savonian-Organisation verbunden waren und vielleicht aus einem uns nicht bekannten Grund seinerzeit in Ungnade gefallen sind.”

“Richtig. Das muss ein Täter aus dem Umfeld dieser Organisation sein. Kein Cop.”

“Zwingend ist das nicht, Harry. Und davon abgesehen wissen wir noch nichtmal sicher, ob der Sprengstoff-Attentäter mit dem Killer identisch ist, der den MdB und Franz Lutterbeck auf dem Gewissen hat.”

“Ob es ein und derselbe Täter war, können wir nicht mit Sicherheit sagen”, gab ich zu. “Aber ich wette, der Auftraggeber war derselbe.”

Während wir bereits wieder unterwegs waren, hatte Rudi das Laptop auf den Knien aufgeklappt.

Wir telefonierten mit Lin-Tai Gansenbrink. “Sie suchen einen Mann mit verkürztem kleinen Finger und mit einer genau definierten Körpergröße, der im Umfeld des Savonian-Clans und der von Jörn Savonian mutmaßlich geleiteten Organisation aktiv ist”, fasste Lin-Tai die Angelegenheit zusammen. “Immerhin werden die Anforderungen an meine Suchfilter immer konkreter. Das ist schonmal ein Fortschritt, wenngleich ich bisher leider sagen muss, dass es nach wie vor keinen Treffer gibt.”

“Es könnte sein, dass er sich mit Sprengstoff auskennt”, sagte ich.

“Tun Sie mir einen Gefallen, Harry.”

“Jeden, wenn Sie ein Ergebnis liefern, mit dem wir was anfangen können.”

“Reden Sie mit Gerold.”

“Wieso?”

“Er hat mich schon zweimal angerufen, ob es etwas Neues gibt. Er hält mich damit von der Arbeit ab. Vielleicht ist es ja trotz der prekären Sicherheitslage möglich, ihn irgendwie in die Arbeit an dem Fall zu integrieren.”

“Wir werden mit ihm sprechen”, sagte ich.

“Richten Sie ihm von mir die besten Grüße aus und sagen Sie ihm, dass man Handys orten kann. Er sollte seines besser so wenig wie möglich benutzen.”

“Aus Ihrem Mund würde so eine Warnung auf jeden Fall noch etwas überzeugender klingen”, meinte ich.

Wir beendeten das Gespräch.

Rudi, hatte inzwischen auf seiner Laptoptastatur herumgehackt. “Ich habe mich mal etwas näher die bisherigen Ermittlungen gegen Savonians Organisation informiert.”

“Und?”

“Dafür waren Abteilungen in mehreren Polizeibehörden zuständig. Die Organisation hat schließlich in ganz Deutschland ihre Aktivitäten entfaltet. Aber die Dossiers, die seit der Verhaftung von Jörn Savonian angefertigt wurden und die neueren Aktivitäten dieser Organisation beschreiben, wurden überwiegend von den Kollegen hier aus Börneburg verfasst.”

“Da wir schonmal hier sind, könnten wie Dienststellenleiter Melnik einen kurzen Besuch abstatten und vielleicht sogar mit jemandem sprechen, der sich mit diesem Ermittlungskomplex zurzeit beschäftigt.”

“Gut, das kann ja nicht schaden”, meinte ich.

31

Wir fuhren zur Dienstelle in Börneburg, die von Dienststellenleiter Gunnar Melnik geleitet wurde. Wir kannten ihn gut durch die Zusammenarbeit in anderen Fällen. Melnik empfing uns in seinem Büro. Außerdem war noch Kriminalhauptkommissar Klaus-Reiner Dennerlein anwesend, der zurzeit für die Beobachtung der Savonian-Organisation zuständig war, wie Dienststellenleiter Melnik uns erklärte.

“Wenn irgend jemand angenommen hat, dass durch die Verhaftung von Jörn Savonian die Aktivitäten der Organisation zurückgegangen wären, dann ist das ein Trugschluss”, meinte Dienststellenleiter Melnik. “Aber dazu kann Ihnen Kriminalhauptkommissar Dennerlein mehr sagen.”

“Wir hören Ihnen gespannt zu”, sagte ich und wandte mich an Dennerlein.

“Es scheint so zu sein, dass sich nach Savonians Verhaftung die Organisation sogar noch weiter ausgebreitet und neue Geschäftsfelder erschlossen hat”, sagte Dennerlein. “Insbesondere gilt das für Teile des Heroinhandels. Bisher war Savonians Organisation eher im Kokainhandel und bei Designerdrogen stark engagiert.”

“Worauf sind diese Verschiebungen mutmaßlich zurückzuführen?”, fragte ich. “Wenn es starke Konkurrenzkämpfe gegeben hätte, dann…”

“Hätten auch Sie davon gehört, meinen Sie”, sagte Dennerlein.

“So könnte man es sagen.”

“Es geht wohl eher um Vorgänge, die man in der legalen Wirtschaft eine freundliche Übernahme nennen würde”, sagte Dennerlein. Die Savonian-Organisation hat sich mit kleineren Playern in diesem Geschäft offenbar zusammengeschlossen oder man ist zu irgendeiner Form der Kooperation übergegangen.”

“Sieht fast wie ein Strategiewechsel aus”, mischte sich Rudi ein.

“Das ist ein Strategiewechsel gewesen”, stellte Dennerlein fest. “Jörn Savonian neigte eher dazu, Konkurrenten durch ihm ergebene Gangs in die Schranken zu weisen oder zu vertreiben. Seine Nachfolger gehen da anders vor. Und zwar so lautlos, dass man für eine Weile schon auf den Gedanken kommen konnte, dass die Organisation gar nicht mehr aktiv ist.”

“Wer hat dort nach Jörn Savonians zwangsweisem Rückzug denn die Fäden in der Hand?”, fragte ich.

“Wir gehen davon aus, dass sein Neffe Selim Savonian die Geschäfte übernommen hat”, sagte Dennerlein.

“Das war im übrigen auch der Grund dafür, warum die Zuständigkeit für die weiteren Ermittlungen gegen die Organisation hier nach Börneburg gekommen sind”, ergänzte Melnik. “Dieses Syndikat hat den Schwerpunkt seiner sogenannten unternehmerischen Tätigkeiten zwar eher in Berlin oder Frankfurt, aber alle wichtigen Personen, die mutmaßlich an der Spitze stehen, befinden sich hier in Börneburg.”

“Jörn Savonian allerdings nicht freiwillig”, warf Rudi ein.

“Seine Frau ist hier hin gezogen, hat hat eine große Villa am Stadtrand bezogen. Eigene Kinder hat er keine. Aber sein Neffe Selim war immer so etwas wie ein Ersatz-Sohn.”

“Halten Sie es für möglich, dass Selim Savonian verhindern will, dass der große Boss nochmal aus dem Knast kommt?”, fragte ich. “Ich meine, es dürfte ihm kaum gefallen, die Kontrolle über die Geschäfte wieder abzugeben!”

“Ich kann nicht beurteilen, wie groß die Chance wirklich ist, dass Jörn Savonian wieder freikommt…”

“Franz Lutterbeck glaubte glasklare Beweise zu haben”, sagte ich. “Und unser Gerichtsmediziner Gerold Wildenbacher, der die Berichte der ersten Untersuchung prüfen sollte, bestätigt das.”

“In diesem Fall hätte Selim Savonian sogar seinerzeit ein Motiv dafür gehabt, seinen Onkel hereinzulegen und dafür zu sorgen, dass er für einen Mord verurteilt wurde, den er vermutlich nicht begangen hat”, ergänzte Rudi.

“Das widerspräche allerdings dem sehr engen Verhältnis, das Jörn Savonian zu Selim immer hatte”, sagte Kommissar Dennerlein. “Wir wissen, dass Frau Savonian sich diversen Behandlungen unterzogen hat, um doch noch schwanger zu werden. Vergeblich. Jörn hat in Selim den Sohn gesehen, den er selbst nicht hatte. Selim dürfte einer der wenigen Personen sein, denen Jörn absolut vertraut hat. Übrigens sorgt Selim auch für den Unterhalt der Villa, in der Frau Savonian jetzt wohnt, was ebenfalls dafür spricht, dass das Verhältnis nach wie vor eng ist. Außerdem wird das durch die Aufzeichnungen über die Besuche in der Haftanstalt belegt.”

“Selim besucht seinen Onkel regelmäßig?”

“Natürlich. Und seine Frau ebenfalls”, erklärte Dennerlein.

“Langsam wird mir klar, weshalb Jörn Savonian mit uns nicht über sein persönliches und geschäftliches Umfeld reden wollte”, meinte ich.

“Glaubst du, er ist so naiv, dass er nicht ahnt, dass da irgendetwas faul ist und gegen ihn gelaufen ist?”, fragte Rudi.

Ich zuckte mit den Schultern. “Vielleicht will er das einfach noch nicht wahrhaben.” Ich wandte mich an Kommissar Dennerlein und Dienststellenleiter Melnik. “Welche Rolle spielt Frau Savonian in der ganzen Angelegenheit?”

“Unseren Erkenntnissen nach hat sie immer loyal auf der Seite ihres Mannes gestanden, aber sich nie in Geschäfte eingemischt.”

“Ich finde, wir sollten dringend mit ihr sprechen, Harry”, fand Rudi. “Zum Beispiel würde mich brennend interessieren, wie weit sie in die Pläne von Franz Lutterbeck eingeweiht war, den Fall ihres Mannes nochmal aufzurollen.”

32

Die herrschaftliche Sandsteinvilla lag am Rand von Börneburg auf einem weitläufigen, hügeligen Grundstück. Frau Elizabeth Savonian residierte inmitten eines Anwesens, das anderen Leuten als Golfplatz genügt hätte. Es gab ein Haupttor, durch das wir eingelassen wurden, nachdem wir über eine Sprechanlage mit einem Bediensteten geredet und unsere Ausweise in die Überwachungskamera gehalten hatten. Wir fuhren bis zum Haupthaus. Daneben gab es noch eine sehr großzügig angelegte Garage und ein weiteres Nebengebäude, das vermutlich der Unterbringung von Personal diente.

 

“Die Geschäfte der Organisation scheinen nicht schlecht zu laufen, wenn Selim in der Lage ist, Frau Savonian den Unterhalt dieses Anwesens zu bezahlen”, meinte ich, während ich den Dienst-Porsche in einer der durch Blumenkübel voneinander abgegrenzten Besucher-Parkbuchten abstellte.

“Du vergisst, das Frau Savonian durch die Verhaftung ihres Mannes kaum finanzielle Verluste hat hinnehmen müssen”, gab Rudi zu bedenken.

Rudi hatte Recht.

Jörn Savonian war schließlich wegen Mordes verurteilt worden. Einem Mord, der in keinem nachweisbaren Zusammenhang zu seinen geschäftlichen Aktivitäten gestanden hatte. Ganz anders hätte der Fall gelegen, hätte er wegen Geldwäsche oder organisierter Kriminalität vor Gericht gestanden. Dann wäre es möglich gewesen, sein Vermögen oder zumindest große Teile davon einzuziehen.

Aber das blieb wohl einstweilen der Traum eines nach Gerechtigkeit suchenden Ermittlers.

Wir stiegen aus.

Eine riesige Dogge tauchte plötzlich aus dem Schatten auf und stand nun auf der obersten Stufe des Eingangsportals. Der Hund hatte dort offenbar irgendwo in einer Nische gelegen, denn wenn er auf seinen Beinen gestanden hätte, wäre es unmöglich gewesen, ihn übersehen. Das Tier knurrte.

“Scheint, als wären wir nicht so richtig willkommen, Harry”, murmelte Rudi. Wir hatten natürlich unserer Dienstwaffen dabei, aber ein Tier von dieser Größe konnte einem trotzdem gefährlich werden und war selbst durch mehrere Pistolenkugeln schwer zu stoppen.

Eine schlanke Frau mit dunklem, leicht silbern durchwirktem Haar trat durch die Eingangstür hinaus. “Sei ruhig, Satan.”

“Einen interessanten Namen haben Sie Ihrem Hund gegeben”, meinte ich laut genug, dass unsere Gastgeberin uns hören konnte. “Ich nehme an, Sie sind Frau Savonian!”

“Mein Leibwächter hat gesagt, dass Ihre Ausweise in Ordnung sind”, erklärte sie, ohne auf meine Frage direkt zu antworten. “Wenn Sie wollen, können Sie mir folgen. Ich habe allerdings nicht viel Zeit für Sie.”

“Die sollten Sie sich aber nehmen.”

“Meinen Sie?”

“Und der Hund…”

“Satan wird Ihnen nichts tun”, sagte Frau Savonian. “Vorausgesetzt, Sie ärgern ihn nicht. Dann kann er seinem Namen schonmal alle Ehre machen und etwas bissig reagieren.”

Wir gingen die Stufen des Portals hinauf und folgten ihr ins Innere des Hauses. Die riesige Dogge mit dem bösartigen Namen reichte der zierlich gewachsenen Frau Savonian beinahe bis zur Bauchnabelhöhe. Aber der Hund schien hervorragend erzogen zu sein. Jedenfalls folgte Satan ihr auf den Fuß und hielt sich immer dicht neben ihr.

In der Eingangshalle wartete ein Mann im dunklen Anzug. Er trug ein Funkgerät in der Hand. Ich nahm an, dass es sich um den Leibwächter handelte, zumal sich unter seinem Jackett etwas abzeichnete, was verdächtig nach einer Schusswaffe aussah.

Ich achtete unwillkürlich darauf, ob der Kerl vielleicht einen verkürzten kleinen Finger hatte. Aber das war nicht der Fall. Rudi schien denselben Gedanken gehabt zu haben. das konnte ich ihm ansehen. Er grinste verhalten.

Es wäre auch zu schön gewesen, hier und jetzt zufällig auf den Killer zu stoßen, hinter dem wir her waren.

Frau Savonian führte uns in ein weiträumiges Wohnzimmer. Durch die großzügig bemessenen Fensterflächen schien die Sonne herein.

“Ich denke, es ist unnötig. Ihnen etwas anzubieten, denn ich nehme an, dass Sie in Kürze wieder gehen werden”, sagte Frau Savonian. Dann deutete sie auf eine Sitzecke. “Nehmen Sie Platz und dann hoffe ich, bringen wir die Angelegenheit schnell hinter uns.”

Rudi setzte sich. Frau Savonian ebenfalls. Ich hingegen verzichtete darauf, was auch damit zu tun hatte, dass mich die Fotos in den Bann schlugen, die überall an den Wänden schön gerahmt zu sehen waren. Viele davon zeigten Selim Savonian. Ich hatte inzwischen ein Foto gesehen, das man von ihm in unserer Datendossiers finden konnte. Dadurch erkannte ich ihn wieder. Bei dem flüchtigen Rundumblick sah ich Selim als Festredner auf der Abschlussfeier seiner Gesamtschule, Selim mit ein paar Freunden Grimassen schneidend an irgendeinem sonnigen Strand, Selim auf einem großformatigen Portraitbild, das ihn offenbar ein paar Jahre später und ein paar Kilo schwerer zeigte.

“Ihr Neffe Selim scheint Ihnen sehr nahe zu stehen”, stellte ich fest, bevor ich mich dann schließlich doch noch setzte.

“Ich wäre Ihnen durchaus dankbar, wenn Sie zur Sache kommen würden”, sagte Frau Savonian, zu deren Füßen sich die riesige Dogge hingelegt hatte.

“Wo finden wir Ihren Neffen?”, fragte ich.

“Ich nehme an, dass Sie wissen, dass er eine Wohnung in der Stadt hat. Und wenn Sie mit ihm sprechen wollen, dann sollten Sie mit seinem Büro einen Termin ausmachen, wie sich das gehört.” Frau Savonians Tonfall erinnerte an den Klang von klirrendem Eis.

“Frau Savonian, ich nehme an, Ihr Mann hat mit Ihnen darüber gesprochen, dass er gute Chancen hat, aus dem Gefängnis entlassen zu werden”, sagte ich.

Ich beobachtete ihr Gesicht. Es blieb fast völlig unbewegt. Aber sie wich meinem Blick aus. “Jörn hatte einen Anwalt engagiert, der eine Wiederaufnahme des Verfahrens betreiben sollte”, gab sie dann ausweichend zurück. “Sind Sie deswegen hier?”

“Dann ist Ihnen sicher auch bekannt, dass dieser Anwalt inzwischen erschossen wurde.”

“Ja, das ist mir bekannt”, antwortete sie etwas gereizt.

“Auf den Gerichtsmediziner, den dieser Anwalt bat, die Originalbefunde zu überprüfen, ist ein Sprengstoffattentat verübt worden. Haben Sie davon auch gehört?”

“Worauf wollen Sie hinaus?”, fragte sie.

“Wir sind der Ansicht, dass jemand mit allen Mitteln verhindern will, dass der Fall Ihres Mannes nochmal aufgerollt wird. Haben Sie eine Ahnung, wer dahinterstecken könnte?”

Frau Savonian rieb ihre Handflächen gegeneinander und wirkte etwas nervös. “Können Sie sich vorstellen, wie das ist, wenn Sie die Nachricht bekommen, dass Ihr Mann im Bett mit einem toten Call-Girl aufgegriffen wurde?”

“Nun, ich…”

“Ich will ganz offen sein. In der ersten Zeit hatte ich nicht das Gefühl, dass mein Mann zu Unrecht im Gefängnis sitzt.”

“Sie haben ihn aber trotzdem die ganze Zeit über regelmäßig besucht.”

“Es gab eine Menge zu besprechen. Vor allem Geschäftliches.”

“Hat Franz Lutterbeck mit Ihnen gesprochen?”

“Ja, sehr ausführlich. Er hat versucht, mich davon zu überzeugen, dass Jörn die tote Frau, die man bei ihm gefunden hat, nicht umbrachte.” Sie schluckte. “Er wollte mich sogar davon überzeugen, dass er nichtmal Sex mit ihr hatte, sondern ihm ein jemand eine Leiche ins Bett legte, nachdem man ihn mit k.o.-Tropfen außer Gefecht setzte.”

“Haben Sie Herrn Lutterbeck geglaubt?”

“Anfangs nicht. Er sprach dauernd davon, dass es bei einem Wiederaufnahmeverfahren wichtig sei, dass ich hinter der Sache stehen würde und genauso von Jörns Unschuld überzeugt sei wie er.” Sie zuckte mit den Schultern. “Ein typischer Anwalt eben, so habe ich gedacht. Einer, bei dem es nur darum geht, den Prozess zu gewinnen und dem es im Grunde egal ist, was wirklich geschah.”

“Aber Ihre Ansicht hat sich geändert?”, hakte ich nach.

“Das wäre vielleicht zuviel gesagt. Ich würde es lieber so formulieren: Ich halte es nicht mehr für ausgeschlossen, dass es tatsächlich so war, wie Jörn immer behauptet hat. Warum er allerdings überhaupt in diesem Club war und ob er etwas mit dieser Frau hatte, steht auf einem anderen Blatt.”

“Diese Frau war ein Call-Girl”, stellte ich fest. “Und wir wissen, dass die Würgemale der Toten nicht zu den Händen Ihres Mannes passen. Die Sache hätte gute Aussichten gehabt, vor Gericht erfolgreich zu sein. Aber jemand wollte das um jeden Preis verhindern. Wir gehen davon aus, dass ein Killer beauftragt wurde, um das Problem zu lösen. Und unsere Theorie ist, dass der von jemandem beauftragt wurde, der einen Vorteil davon hat, wenn Ihr Mann weiter im Knast sitzt.”

“Wenn Sie mich verdächtigen sollten, dann irren Sie sich gewaltig. Sie können das nicht wissen, aber Jörn und ich haben bei der Hochzeit einen Ehevertrag unterschrieben. Er könnte sich jederzeit von mir scheiden lassen können, ohne dabei ein besonders hohes finanzielles Risiko befürchten zu müssen.”

“Diesen Vertrag würden wir gerne sehen”, verlangte ich. “Und davon abgesehen: Vielleicht würde Ihr Mann ja genau das tun, sobald er draußen ist und und er sieht, wie die Dinge während seiner Abwesenheit gelaufen sind.”

“Dazu hätte er keinen Grund”, behauptete sie.

“Wenn das tatsächlich so sein sollte, dann spricht doch nichts dagegen, dass Sie uns helfen, den Fall aufzuklären.”

“Natürlich nicht. Und ich habe auch nie gesagt, dass ich nicht kooperieren würde.”

“Wenn Sie kein Interesse daran haben, dass Ihr Mann länger als nötig im Gefängnis schmort, dann bleibt unseren bisherigen Erkenntnissen nach eigentlich nur eine andere Person übrig, die dafür in Frage käme.”

“Ich habe keine Ahnung von wem Sie sprechen.”

Ich stand auf, und deutete auf eines der Fotos von Selim Savonian. “Ich glaube, Sie wissen ganz genau, wen ich meine. Und Ihr Mann wusste das auch, als ich ihn danach fragte, wer denn möglicherweise ein Interesse daran haben könnte, dass er im Knast bleibt. Ihr Neffe Selim, der jetzt die Geschäfte kontrolliert, die er sich dadurch unter den Nagel gerissen hat, dass er Ihren Mann in eine Falle lockte.”

“Hören Sie, wenn mein Mann unschuldig ist, wieso sorgen Sie nicht einfach dafür, dass er aus dem Gefängnis entlassen wird?”

“Und wieso schützen Sie und Ihr Mann Ihren Neffen?”

“Sie wissen nicht, was Selim für uns bedeutet.”

“Sie haben in ihm ihren Ersatz-Sohn gesehen, das habe ich inzwischen begriffen.” Ich deutete zu den Fotos. “Und dieser Schrein hier spricht Bände darüber. Aber es geht noch um etwas anderes. Und so ahnungslos können Sie gar nicht sein, dass Sie das nicht wenigstens ahnen!”

“Ich denke, es ist jetzt das Beste, wenn Sie gehen. Kommen Sie wieder, wenn ein Anwalt der Familie anwesend ist. Ich habe keine Lust, mich oder die geschäftlichen Aktivitäten unserer Familie in irgendwelche Schwierigkeiten zu bringen.”

“Womit wir beim Kern der Sache wären! Die Geschäfte, die Ihr Ersatz-Sohn übernommen hat, arbeiten mit Geld aus illegalen Quellen. Und natürlich wollen weder Ihr Mann noch Sie, dass man diese Geschäfte genauer unter die Lupe nimmt, denn dann wäre Jörn Savonian vielleicht am Ende wieder im Knast - allerdings wegen Geldwäsche und den Verbrechen, die er in seiner Eigenschaft als Anführer einer kriminellen Organisation beging.”

Frau Savonian sah mich an. Aus ihren Augen blitzte so viel Wut, dass ich mit meinen Mutmaßungen eigentlich nur richtig liegen konnte. “Wenn Sie Beweise für all diese Dinge hätten, dann wäre mein Mann schon viel, viel früher verhaftet worden! Und Selim ebenso! Aber Sie haben diese dunklen Geschäfte, von denen Sie da faseln, nie nachweisen können! Es gab nicht einmal eine Anklage.”

Ich war in diesem Moment etwas abgelenkt. Eines der Fotos fiel mir auf. Ich nahm es von der Wand. Es zeigte Selim Savonian mit ein paar Freunden auf einer Segelyacht. Selim alberte offenbar mit zwei jungen Frauen herum. Die Stimmung schien sehr ausgelassen. Ein anderer Mann hatte eine Flasche Champagner in der Hand. Mir fiel die Hand auf, deren Finger um den Flaschenhals griffen.

Der kleine Finger war deutlich kürzer und wirkte verkrüppelt.

“Wann und wo wurde dieses Bild aufgenommen?”, fragte ich Frau Savonian.

“Das ist schon etwas her. Das sind Selim und seine Freunde. Mein Mann hat ihnen jedes Jahr unsere Yacht geliehen. “

“Wer ist der Mann mit der Champagnerflasche?”

“Selim ist erwachsen. Denken Sie wirklich, dass ich ihm noch vorschreibe, mit wem er spielen darf?”, fragte sie ärgerlich. “Ich habe wirklich keine Ahnung. Er hat viele Freunde und Bekannte.”

“Sehen Sie den kleinen Finger? Der ist verkrüppelt und hat nicht die Länge, die er haben sollte. Vielleicht sehen Sie sich das Bild nochmal genauer an. Es könnte doch sein, dass dieser Mann Ihnen schonmal aufgefallen ist.”

Frau Savonian starrte nur kurz auf das Foto. “Möglich, dass das jemand ist, den er mal als Leibwächter engagiert hatte. Man ist in diesem Land ja nicht mehr sicher.”

 

Ich bemerkte, dass die Dogge, die zu Frau Savonians Füßen lag, den Kopf gehoben hatte. Offenbar war der Hund der Ansicht, dass ich seiner Besitzerin zu nahe gekommen war.

“Es wäre nett, wenn Sie das Foto wieder an die Wand hängen und dann so gütig wären, dieses Haus zu verlassen”, sagte Frau Savonian dann mit scharfem Unterton. Wie auf ein geheimes Zeichen hin erhob sich daraufhin die Dogge und spitzte die Ohren.

“Das Bild werde ich beschlagnahmen müssen”, sagte ich. “Aber den anderen Gefallen kann ich Ihnen gerne tun.”

Rudi erhob sich. “Sie hören von uns, Frau Savonian”, kündigte mein Kollege an. “Ganz bestimmt.”

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