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Salvator

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VIII
Die Verhaftung

Herr Jackal hatte Justin als den Freund von Salvator und den Geliebten von Mina erkannt und war, die Gefahr wahrnehmend, die ihn bedrohte, zugleich mit Salvator vorgestürzt, um ihn dieser Gefahr zu entreißen.

So waren ihre zwei Hände zusammengetroffen.

Hieraus sollte sich aber die Protection von Herrn Jackal nicht beschränken.

Er gab durch einen Wink seinen Leuten den Befehl, die Gruppe der jungen Leute zu respektieren, zog Salvator beiseit und sagte zu ihm, indem er seine Brille emporhob, um, während er sprach, nichts von dem zu verlieren, was in der Menge vorging.


»Mein lieber Salvator, einen guten Rath.«

»Reden Sie, lieber Herr Jackal.«

»Einen Freundesrath . . . Sie wissen, ob ich Ihr Freund bin?«-

»Ich rühme mich wenigstens dessen,« erwiderte Salvator.

»Nun wohl« rathen Sie Justin und andern Personen, die Sie interessieren dürften,« – und er bezeichnete mit dem Auge Petrus, Jean Robert und Ludovic, – »rathen Sie ihnen, sage ich; sich zu entfernen, und . . . machen Sie es wie sie.«

»Ah!« rief Salvator, »und warum dies, Herr Jackal?«

»Weil ihnen Unglück widerfahren könnte.«

»Bah!«

»Ja,« machte Herr Jackal mit dem Kopfe.

»Wir werden also einen Ausstand haben?«

»Ich befürchte es sehr. Was vor sich geht, hat ganz das Ansehen, als führte es uns dahin, und so fangen alle Aufstände an.«

»Ja, sie fangen alle auf dieselbe Art an,« erwiderte Salvator. »Freilich,« fügte er bei, »freilich endigen nicht alle auf dieselbe Art.«

»Das wird gut endigen, dafür stehe ich Ihnen,« sprach Herr Jackal.

»Ah! sobald Sie dafür stehen . . . «

»Ich habe keinen Schatten von Zweifel in dieser Hinsicht.«

»Teufel!«

»Sie begreifen also, wie, trotz des spciellen Schutzes, den ich Ihren Freunden zu gewähren geneigt hin, ihnen, wie ich sagte, Unglück widerfahren könnte; bitten Sie dieselben daher, sich zu entfernen.«

»Ich werde mich wohl hüten.«

»Und warum?«

»Weil sie bis zum Ende zu bleiben beschlossen haben.«

»In welcher Absicht?«

»Aus Neugierde.«

»Bah! das wird nicht sehr interessant sein.«

»Um so mehr, als man nach dem, was Sie mir gesagt haben, einer Sache sicher sein kann: daß der Sieg auf Seiten des Gesetzes bleiben wird.«

»Nichtsdestoweniger laufen Ihre jungen Leute Gefahr . . . «

»Nun?«

»Wenn sie bleiben . . . «

»Was?«

»Ei! was man bei einem Aufstande Gefahr läuft: ein wenig gequetscht zu werden.«

»In diesem Falle, Sie begreifen das, mein lieber Herr Jackal, beklage ich sie nicht.«

»Ah! Sie beklagen sie nicht?«

»Nein« sie werden nur haben, was sie verdienen.«

»Wie, was sie verdienen?«

»Allerdings, sie wollten einen Ausstand sehen: sie mögen die Folgen ihrer Neugierde erdulden.«

»Sie wollten einen Ausstand sehen?« wiederholte Herr Jackal.

»Ja,« erwiderte Salvator.

»Sie wußten also, es werde ein Ausstand stattfinden? Ihre Freunde hatten also Wind von dem, was vorgehen sollte?«

»Ah! vollkommenen Wind, lieber Herr Jackal. Die ältesten Matrosen errathen die Stürme nicht mit mehr Scharfsinn, als meine Freunde den Aufstand gewittert haben.«

»Wahrhaftig?«

»Allerdings. Gestehen Sie übrigens, lieber Herr Jackal: man müßte sehr böswillig sein, um nicht zu begreifen, was vorgeht.«

»Gut! und was geht denn vor?« sagte Herr Jackal, indem er seine Brille auf seine Nase setzte.

»Sie wissen es nicht?«

»Durchaus nicht.«

»Nun wohl« so fragen Sie diesen Herrn, den man dort verhaftet.«

»Wo denn?« fragte Herr Jackal, ohne seine Brille aufzuheben, was bewies, daß er so gut als Salvator die Verhaftung, die man bewerkstelligte, gesehen hatte. »Welchen Herrn?«

»Ah! es ist wahr, Sie haben ein so kurzes Gesicht, daß Sie es nicht zu sehen vermöchten. Versuchen Sie es indessen . . . Dort, zwei Schritte von einem Mönche.«

»Ja, in der That, ich glaube, ich erblicke etwas wie einen weißen Rock.«

»Ah! beim Himmel!« rief Salvator, »das ist ja der Abbé Dominique, der Freund des armen Colombau. Ich glaubte, er sei in der Bretagne im Schlosse Penhoël.«

»Er war wirklich dort,« erwiderte Herr Jackal; »doch er ist heute Morgen angekommen.«

»Heute Morgen? Ich danke Ihnen für Ihre gute Auskunft, Herr Jackal,« sagte lächelnd Salvator. »Nun wohl, neben ihm, sehen Sie?«

»Ah! bei meiner Treue, ja, ein Mann, den man verhaftet, es ist wahr. Ich beklage diesen Bürger von ganzem Herzen.«

»Sie kennen ihn also nicht?«

»Nein.«

»Kennen Sie diejenigen, welche ihn verhaften?«

»Ich habe ein so schwaches Gesicht, und dann sind es Viele, wie mir scheint.«

»Besonders die Zwei, die ihn am Kragen halten.«

»Ja, ja, ich kenne diese Bursche. Doch wo Teufels habe ich sie gesehen? das ist die Frage?«

»Sie erinnern sich dessen also nicht?«

»Wahrhaftig, nein.«

»Wünschen Sie, daß ich Ihnen auf die Spur helfe!«

»Sie werden mir ein wahres Vergnügen machen.«

»Nun wohl, Sie haben den Einen, den Kleineren, in dem Augenblicke gesehen, wo er nach dem Bagno abging, und Sie haben den Andern, den Größeren, in dem Augenblicke gesehen, wo er aus demselben zurückkam.«

»Ja! Ja! Ja!«

»Sind Sie nun dabei?«

»Das heißt, ich kenne sie wie Vater und Mutter; es sind Angestellte meiner Administration. Was Teufels machen sie dort?«

»Ei! ich glaube, sie arbeiten für Ihre Rechnung, mein lieber Herr Jackal!«

»Bah!« versetzte Herr Jackal, »vielleicht arbeiten die Bursche auch für die ihrige. Das begegnet ihnen manchmal.«

»Ei! in der That,« sagte Salvator« »sehen Sie, da ist Einer, der seinem Gefangenen die Uhrkette abschneidet.«

»Ich sagte es Ihnen ja! . . . Ah! lieber Herr Salvator, die Polizei ist sehr schlecht bestellt!«

»Wem sagen Sie das, Herr Jackal?«

Und da er wahrscheinlich nicht länger in der Gesellschaft von Herrn Jackal gesehen werden wollte, so machte Salvator einen Schritt rückwärts und grüßte ihn.

»Entzückt, das Glück gehabt zu haben, Ihnen zu begegnen, Herr Salvator,« sagte der Polizeichef, während er sich seinerseits entfernte und sich mit raschem Schritte nach der Gruppe wandte, wo Gibassier und Carmagnole Herrn Sarranti zu verhaften suchten.

Wir sagen suchten, denn, obschon von den zwei Agenten am Kragen gepackt, betrachtete sich Herr Sarranti entfernt nicht als verhaftet.

Er hatte Anfangs parlamentirt.

Auf die Worte: »Im Namen des Königs, ich verhafte Sie!« zu gleicher Zeit von Carmagnole und von Gibassier in seine Ohren gesprochen, hatte er erwidert.

»Sie verhaften mich! und warum?«

»Keinen Scandal!« sagte halblaut .Gibassier; »wir kennen Sie.«

»Sie kennen Mich?« rief Sarranti, indem er einen Blick rechts und links auf die zwei Polizeimenschen warf.

»Ja, Sie heißen Dubreuil,« antwortete Carmagnole.

Man erinnert sich, daß Herr Sarranti seinem Sohne geschrieben hatte, er sei in Paris unter dem Namen Dubreuil, und daß Herr Jackal, um aus der Verhaftung keine politische Angelegenheit zu machen, seinen zwei Agenten empfohlen hatte, den hartnäckigen Verschwörer unter diesem Namen zu verhaften.

Als Dominique sah, daß man seinen Vater verhaftete, stürzte er, von einer ersten Bewegung fortgerissen, auf ihn zu.

Herr Sarranti hielt ihn aber durch einen Wink zurück.

»Mischen Sie sich nicht in diese Angelegenheit, mein Herr,« sagte er zum Mönche. »Ich bin das Opfer eines Irrthums, und morgen, dessen bin ich sicher, werde ich in Freiheit gesetzt werden.«

Der Mönch verbeugte sich vor dieser Ermahnung, die er wie einen Befehl empfing, und machte einen Schritt rückwärts.

»Gewiß,« sprach Gibassier; »täuschen wir uns, so wird Ihnen Ihr Recht widerfahren.«

»Und vor Allem,« fragte Sarranti, »kraft welchen Befehles verhaften Sie mich ?«

»Kraft eines Vorführungsbefehles gegen einen gewissen Herrn Dubreuil, der Ihnen so sehr gleicht, daß ich meine Pflicht zu verletzen glauben würde, wenn ich mich Ihrer nicht versicherte.«

»Und warum, wenn Sie den Scandal so sehr befürchten, verhaften Sie mich eher hier als anderswo?«

»Weil man die Leute verhaftet, wo man sie trifft!« antwortete Carmagnole.

»Abgesehen davon, daß wir Ihnen seit heute Morgen nachlaufen,« fügte Gibassier bei.«

»Wie, seit heute Morgen?«

»Ja,« erwiderte Carmagnole, »seitdem Sie das Hotel verlassen haben.«

»Welches Hotel?« fragte Sarranti.

»Das Hotel der Place Saint-André-des-Arcs,« sagte Gibassier.

Bei dieser letzten Bezeichnung durchzuckte es wie ein Blitz den Geist von Sarranti. Es schien ihm, er sehe auf dem Gesichte, er höre in der Stimme von Gibassier Züge und Töne, die ihm nicht unbekannt waren.

Dann lehrte Alles in sein Gedächtniß zurück, die Reise, der Ungar, der Courier mit den Depechen, der Postillon, Alles dies unbestimmt wie durch eine Wolke, dennoch aber klar genug, daß er mehr instinctartig als anders keinen Zweifel hegte.

»Elender!« rief der Corse erbleichend wie ein Todter, indem er die Hand unter seinen Rock steckte.

Gibassier sah die Klinge eines Dolches glänzen, und der Tod wäre vielleicht auf diesen Strahl mit derselben Geschwindigkeit gefolgt, mit der der Donner auf den Blitz folgt, hätte nicht Carmagnole, der die Bewegung gesehen und begriffen hatte, mit beiden Händen die Hand, welche die Waffe hielt, gepackt.

Da er sich zugleich von den beiden Händen gepreßt fühlte, so machte sich Sarranti, Alles zusammenraffend, was der menschliche Wille an Stärke in einem äußersten Augenblicke geben kann, von dem doppelten Drucke los, sprang, den Dolch in der Hand, mitten unter eine compacte Gruppe und rief :

 

»Gebt Raum! gebt Raum!«

Doch Gibassier und Carmagnole sprangen hinter ihm und hatten überdies durch einen verabredeten Ruf an alle ihre Gefährten appelliert.

In einem Augenblicke bildete sich ein undurchdringlicher Kreis um Sarranti, zwanzig Casse-têtes waren aufgehoben, und ohne Zweifel sollte er erschlagen wie ein Stier unter dem Schlagbeile der Fleischer niederstürzen, als eine Stimme erscholl, welche rief:

»Lebendig! man greife ihn lebendig.«

Die Agenten erkannten die Stimme, der man so gut gehorchte, von Herrn Jackal und stürzten sich, da sie wußten, sie kämpfen unter den Augen ihres Chefs, auf Herrn Sarranti.

Es herrschte einen Augenblick ein entsetzliches Gemenge. Ein Mann zerarbeitete sich aufrecht stehend unter zwanzig Männern; dann fiel er auf ein Knie; dann verschwand er gänzlich.

Als er seinen Vater zum zweiten Male fallen sah, eilte ihm Dominique zu Hilfe; doch die Menge, welche Angstschreie ausstoßend entfloh, wälzte sich in diesem Momente wie ein Strom nach der Straße und trennte den Sohn vom Vater.

Um nicht fortgerissen zu werden, klammerte sich der Mönch an das Gitter eines Hotels an; als aber die Menge sich verlaufen hatte, waren Herr Sarranti und die häßliche Gruppe, unter der er sich zerarbeitete, verschwunden.

IX
Die officiellen Journale

Wir haben einige Proben von den Scenen gegeben, welche die Polizei von Herrn Delavau am 30. März des Jahres der Gnade 1827 spielte.

Woher kam dieser Scandal! was war die Ursache dieser seltsamen, gegen die sterblichen Ueberreste des edlen Herzogs verübten Entheiligung?

Niemand wußte es.

Das Ministerium konnte Herrn de la Rochefoucauld-Liancourt die Aufrichtigkeit seiner Gesinnung nicht vergeben. Ein la Rochefoucauld der Opposition angehören und mit ihr stimmen! wahrhaftig, das war ein Verbrechen der beleidigten Majestät, und das Ministerium durfte es nicht versäumen, es zu bestrafen.

Man vergaß den la Rochefoucauld der Fronde. Dieser war allerdings bestraft worden , zuerst durch einen Büchsenschuß mitten ins Gesicht, sodann durch eine Untreue mitten ins Herz.

Das Ministerium hatte, in der That Herrn de la Rochefoucauld, – dem modernen, wohlverstanden, – alle seine unentgeldliche Functionen, und alle die aus Wohlthätigkeitsanstalten bezügliche, die er übte, entzogen; doch nicht damit zufrieden, daß es ihn in seinem Leben verletzt, wollte es ihn auch noch in seinem Tode dadurch schlagen, daß es die dankbare Menge verhinderte, durch einen äußerlichen Act die Ehrfurcht und die Liebe kundzutun, die der Bevölkerung von Paris die lange Laufbahn des Herzogs eingeflößt hatte, welche ausschließlich dem materiellen und moralischen Wohle: dem Almosen und dem Unterrichte, gewidmet war.

Die Menge wußte also, woher der Befehl kam, und ganz laut nannte sie Herrn von Corbière, den man, mit Recht oder mit Unrecht, zum Sündenbocke des Ministeriums von 1827 gemacht hatte.

Wir werden, in der Folge dieser Erzählung die entsetzlichen Scenen der Unordnung, die fehlgeschlagenen Ausstände sehen, welche von der Polizei herrührten. Für den Augenblick halten wir die Hauptscenen von diesem Tage für genügend, um eine Idee von dem entsetzlichen Gemenge und dem blutigen Kampfe zu geben, wozu die Obsequien des ehrwürdigen Herzogs veranlaßten.

Sagen wir, welche Ursachen diesen Strom von Männern, Frauen und Kindern, der Dominique von Herrn Sarranti, den Vater vom Sohne trennte, austreten gemacht hatten.

In dem Augenblicke, wo der Aufruhr aufs Höchste gestiegen war, in dem Momente, wo sich das Todesgeschrei, das Gebrülle der Männer, die Wehklagen der Frauen, das Wimmern der Kinder von allen Seiten hörbar machten, das heißt, wo die Soldaten, mit gefällten Bajonneten auf die Zöglinge der Schule von Chalons zu marschierend, mit Gewalt sich des Sarges bemächtigen wollten, ertönte plötzlich kläglich ein durchdringender Schrei, gefolgt von einem unheimlichen Geräusche, und durch diesen Schrei, durch dieses Geräusch wurden auf der Stelle und wie durch ein Wunder alles Geschrei, alle Geräusche, alles Gebrülle, dieses menschlichen Oceans gehemmt.

Es trat ein Augenblick erschrecklicher Stille ein; man hätte glauben sollen, das Leben sei gleichzeitig aus jeder Brust entschwunden.

Dieser Schrei war von den Fenstern ausgegangen, welche wie Logen über dem Theater angebracht waren, wo das ruchlose Drama gespielt wurde.

Dieser Schrei, die Menge hatte ihn ausgestoßen, als sie einen von den jungen Leuten, welche den Sarg trugen, vom Bajonnet eines Soldaten verwundet sah; dieses unheimliche Geräusch, das man gehört, war das dumpfe Geräusch vom Sarge des Herzogs, der, im Kampfe von den Soldaten nach rechts gezogen, von den jungen Leuten nach links gezogen, schwer auf das Pflaster niederfiel.

In demselben Augenblicke, als hätte der Blitz mitten unter sie geschlagen, traten die Zuschauer dieser gräßlichen Sirene, von einem unsäglichen Schrecken ergriffen zurück und ließen in dem ungeheuren leeren Raume, der sich bei ihrem Rückzuge bildete, die jungen Leute ganz bestürzt allein.

Schlecht gedeutet den denjenigen, welche die Erschütterung fühlten, ohne ihre Ursache zu kennen, veranlaßte diese Bewegung die Lawine, die wir in alle anliegende Straßen und besonders in die Rue Mondovi sich haben wälzen sehen.

Einer von den jungen Leuten lag auf dem Boden beim Sarge: er hatte einen Bajonnetstich in die Seite bekommen. Seine Gefährten hoben ihn in ihren Armen auf und trugen ihn in ihren Reihen fort.

Man konnte seinem Wege nach der Blutspur, die er zurückgelassen, folgen.

Der Officier, der Polizeicommissär und die Soldaten waren Herren der Stellung geblieben.

Das Gesetz hatte den Sieg davon getragen, wie Salvator sagte, der immer an demselben Platze, mit einem Arme Justin, mit dem andern Jean Robert zurückhielt, während er zu Petrus und Ludovic sagte:

»Bei Ihrem Kopfe, rühren Sie sich nicht!«

Niedergeschlagen und beschämt, näherten sich die Soldaten dem halb zerbrochenen Sarge und hoben den Mantel und die auf dem Boden zerstreuten, mit Koth bedeckten Insignien des Verstorbenen auf.

Nach diesem ersten furchtbaren, ungeheuren, tödtlichen Schrei, nach dieser ersten Bewegung, welche die Menge in allen Richtungen, wo sie sich Verlaufen zu können glaubte, hinausdrängte, trat, wie gesagt, eine Todesstille ein, eine erhabene Stille, welche energischer als alles Geschrei.

In der That, die höchste Protestation, die nachdrücklichste Vertheidigung, die ungestümste Entrüstung hätten nicht mehr bittere Vorwürfe, mehr blutige Drohungen enthalten, als diese gesammelte, ehrfurchtsvolle Haltung der Menge dem Leichname gegenüber, als diese stumme, stillschweigende Mißbilligung den Entheiligern gegenüber.

Mitten unter diesem Stillschweigen stürzte der Urheber dieser ganzen Ruchlosigkeit, der schwarze Mann, der Polizeicommissär, in den Kreis, winkte den Trägern herbeizukommen, hieß sie den Sarg auf den Leichenwagen setzen, und befahl dem Officier mit einer gebieterischen Geberde, ihm im Nothfalle beizustehen.

Plötzlich aber wurden der Officier und der Commissär leichenbleich, und ihr Gesicht bedeckte sich mit einem kalten Schweiße, als sie durch die Spalten des an mehreren Stellen zerbrochenen Sarges gegen sie, wie eine Drohung aus dem Grabe, einen der abgezehrten Arme des Leichnames sich ausstrecken sahen, der, vom Leibe getrennt, nahe daran schien, auf das Pflaster zu fallen.

Sagen wir für diejenigen, welche uns beschuldigen dürften, wir machen Gräßliches mit kaltem Blute, daß aus der in Folge dieses ärgerlichen Ereignisses vorgenommenen Untersuchung hervorging, man habe, als der Sarg des Herzogs de la Rochefoucauld nach Liancourt, in die Familiengruft der la Rochefoucauld, geführt wurde, einen Theil der Nacht, welche der Bestattung vorherging, damit zubringen müssen, nicht nur den Sarg auszubessern, der, wie gesagt, halb zerbrochen war, sondern auch um wieder in ihre natürliche Lage die Glieder zu bringen, die sich vom Körper abgelöst hatten.4

Fügen wir schleunigst bei, —und wir werden auf diesen traurigen Gegenstand nicht mehr zurückkommen, – daß die Volksentrüstung nur einen Schrei von einem Ende Frankreichs zum andern ausstieß.

Alle Journale, welche nicht dem Ministerium gehörten, gaben ihren Bericht über die entsetzliche Scene mit allem Zorne und mit aller Verachtung, welche diese schändliche Profanation verdiente.

Die zwei Kammern waren das Echo dieses Schreies; die Pairskammer besonders, schwer getroffen in einem ihrer Mitglieder, beschränkte sich nicht daraus, daß sie energisch diese ruchlose Gewalttat tadelte, die den Leichnam eines Mannes schlug, dessen einziges Verbrechen es gewesen war, daß er gegen die Regierung gestimmt hatte; sie beauftragte ihren Großreferendär, sich nach den Thatumständen zu erkundigen, und als der hohe Würdenträger der Kammer das Resultat seiner Untersuchung mittheilte, klagte er laut die Polizei an, sie habe willkürlich dieses Aergerniß verursacht, ein um so mehr tadelnswerthes Aergerniß, als zahlreiche Vorgänge das Fortbringen eines Sarges mit den Armen rechtfertigten, und bei manchen Veranlassungen, besonders bei den Obsequien von Delille, Béclard und Emmery, dem Superior des Seminars von Saint-Sulpice, die Polizei das Tragen ihrer Ueberreste sowohl durch ihre Freunde, als durch ihre Zöglinge erlaubt hatte. Der Sarg von Herrn Emmery, unter Anderem, war auf diese Art von den Zöglingen seines Seminars bis aus den Kirchhof von Issy getragen worden.

Herr von Corbière hörte alle diese Vorwürfe und nahm sie mit der ihm natürlichen hochmüthigen Kälte auf, welche manchmal in der Kammer so furchtbare Stürme gegen ihn erregte, und er glaubte nicht nur kein Wort des Tadels an den Agenten richten zu müssen, der die Leiche des redlichen Mannes beschimpft hatte, welcher von ihm, dem Minister im Leben beschimpft worden war, sondern er bestieg sogar die Tribüne und antwortete:

»Hätten sich die Redner, die wir gehört, darauf beschränkt, ihre peinlichen Gefühle auszudrücken, so würde ich ihren Schmerz geehrt und ein Stillschweigen beobachtet haben. Aber auch Klagen gegen die Administration . . . Das Benehmen des Polizeipräfecten und seiner Agenten ist gewesen, was es sein mußte, und sie hätten anders handelnd, als sie es gethan, ihre Pflicht verletzt und sich meinem gerechten Tadel preisgegeben.«

Die Kammer dankte dem Großreferendär für seinen Bericht und beschloß, das Ende des gerichtlichen Verfahrens, das begonnen hatte, abzuwarten. Wohlverstanden, das Verfahren hatte ein Ende, aber kein Resultat.

Während die unabhängigen oder die Oppositions-Journale am andern Tage in ihrer ersten Colonne die Entrüstung, deren Dolmetscher sie nur waren, kundgaben, veröffentlichten die Regierungsjournale eine offenbar vom Ministerium oder von der Präfectur gekommene Note; denn, obgleich in drei verschiedenen Zeitungen gedruckt, glich sie sich doch dem Inhalte und der Form nach.

Es folgt hier ungefähr der Text dieser Note, deren Zweck es war, die Verantwortlichkeit der Scenen vom vorhergehenden Tage auf die Rechnung der Bonapartisten zurückzuwerfen.

»Die Hydra der Anarchie erhebt wieder ihr Haupt, das man für immer abgeschlagen glaubte; die Revolution, die man erloschen glaubte, ersteht wieder aus der Asche. Sie rückt hervor, ganz bewaffnet, im Schatten und in der Stille, und die Monarchie wird sich aufs Neue ihrer ewigen Feindin gegenüber finden.

»Achtung, treue Diener Seiner Majestät, auf, ergebene Unterthanen! der Altar und der Thron, der Priester und der König sind bedroht!

»Die bedauernswerthen Ereignisse von gestern haben zu Scenen der Gewalt Anlaß gegeben; Geschrei der Drohung, Geschrei des Aufruhrs, Todesgeschrei ist ausgestoßen worden.

»Glücklicher Weise hielt der Polizeipräfect schon seit vierundzwanzig Stunden in seinen Händen die Hauptfäden des Complottes. Dank sei es dem glühenden Eifer dieses geschickten Beamten, ist das Complott gescheitert, und er hofft den Sturm beschwichtigt zu haben, der noch einmal das Staatsschiff zu verschlingen drohte.

»Der Chef dieser weit umfassenden Verschwörung ist verhaftet worden. Er ist in den Händen der Gerichte, und die Freunde der Ordnung, die treuen Unterthanen des Königs werden erkennen, von welcher Wichtigkeit dieser Fang, wenn sie erfahren, daß der Chef dieses Complottes, dessen Zweck es war, den König vom Throne zu stürzen und den Herzog von Reichstadt darauf zu setzen, kein Anderer ist, als der berühmte Corse Sarranti, welcher kürzlich aus Indien angekommen, wo das Complott geboren wurde.

 

»Man schauert, denkt man an die Gefahr, mit der die Regierung Seiner Majestät bedroht war. Doch der Abscheu wird bald auf die Entrüstung folgen, und man wird nicht einmal mehr wissen, woran man sich in Betreff dieser Leute zu halten hat, welche, nachdem sie dem Usurpator gedient, seinem Sohne dienen, wenn man erfährt, daß eben dieser Sarranti, der sich seit einigen Tagen in der Hauptstadt verbarg, derselbe ist, der Paris vor sieben Jahren unter dem Gewichte einer Anklage wegen Diebstahls und Mords verlassen hat.

»Diejenigen, welche die Journale jener Zeit gelesen haben, erinnern sich vielleicht, daß das Dörfchen Viry-sur-Orge im Jahre 1829 der Schauplatz eines entsetzlichen Verbrechens war. Einer der angesehensten Männer des Cantons fand, als er eines Abends nach Hause kam, seine Kasse erbrochen, seine Frau ermordet, seine zwei jungen Neffen entführt und den Hofmeister verschwunden.

»Dieser Hofmeister war kein Anderer als Herr Sarranti.

»Eine gerichtliche Untersuchung hat schon begonnen.«

4Achille von Baulabelle, Histoire des Deux Restaurations.