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XXIII
Eine neue Person

Sehen wir nun, was in der Rue d’Ulm Nr. 50, ein paar Tage nach den Ereignissen, die wir so eben erzählt haben, vorging.

Haben unsere Leser auch nur mit einiger Aufmerksamkeit die vielfachen Scenen dieses Drama’s verfolgt, und sind sie mit einigem Gedächtniß begabt, so erinnern sie sich ohne Zweifel, daß die Zauberin die Rue Triperet verlassen hatte, um die von Petrus entdeckte, meublirte und decorirte Wohnung in der Rue d’Ulm Nr. 10 in Besitz zu nehmen: sie erinnern sich auch, daß mit der Brocante natürlich Rose-de-Noël, Babolin, die Krähe und zehn bis zwölf Hunde ausgezogen waren.

Das Zimmer, das nun die alte Zigeunerin in der Rue d’Ulm inne hatte, halb ein Museum von Curiositäten, halb ein Winkel der Schwarzkunst, bot, wie gesagt, den erstaunten Augen der Besuchenden unter anderen fantastischen Gegenständen einen Thurm, der als Aufenthaltsort oder Nest der Krähe diente, und verschiedene Tonnen, welche einfach als Nischen den Hunden dienten.

Unsere Absicht beim Schreiben dieses Buches, – man verzeihe uns die kurze Abschweifung, zu der wir uns hinreißen lassen, – ist nicht allein, wie man es durch die Materie sieht, die wir in diesem Augenblicke absorbiren, den Leser mit uns alle Etagen der Gesellschaft erklettern und herabsteigen zu machen, von Papst Gregor XVI., mit dem wir es sogleich werden zu thun haben, bis aus den Gassenwühler Croc-en-Jambe, und von König Karl X, bis zum Katzentödter, sondern auch zuweilen Excursionen in die den Thieren vorbehaltenen unteren Welten zu machen.

So konnten wir schon den Verstand der Krähe Phares und den Instinct des Hundes Brasil schätzen, dergestalt, daß, wenn die eine in Betracht des geringen Antheils, welchen sie an den von uns erzählten Ereignissen genommen, uns beinahe gleichgültig geblieben ist, der andere sich, im Gegentheile, wir sind dessen sicher, unter seinem doppelten Namen Brasil und Roland, alle Sympathien des Lesers erworben hat.

Es ist nichts Erstaunliches dabei, daß, nachdem wir einen ersten Schritt unter den Demüthigen der Schöpfung, unter unseren untergeordneten Brüdern, wie sie Michelet nennt, gemacht haben, einen zweiten machen, indem wir um eine neue Cirkeldrehung den schon Ungeheuern Kreis erweitern, in welchem wir agieren.

Was wollen Sie, liebe Leser! es ist mir, zur Verzweiflung der Theaterdirectionen und der Chefs der Buchhandlungen, und vielleicht auch zu Ihrem Verdrusse, die Mission gegeben worden, Dramen in fünfzehn Tableaur und Romane in fünfzig Bänden zu machen! Das ist nicht meine Schuld: es ist die meines Temperaments, dessen Tochter meine Einbildungskraft nun ist.

Wir sind also zu dieser Stunde mitten unter den Hunden der Brocante, und wir bitten Sie um Erlaubnis, Sie mit einem von diesen Thieren Bekanntschaft machen zu lassen.

Einer von den beliebtesten Hunden unserer Hexe, – die Hexen haben einen bizarren Geschmack: sind sie Hexen, weil sie diesen Geschmack haben? oder haben sie diesen Geschmack, weil sie Hexen sind? wir wissen es nicht und überlassen es Stärkeren als wir, diese wichtige Frage zu entscheiden; – einer von den beliebtesten Hunden unserer Hexe, sagen wir, war ein kleiner schwarzer Pudel von der gemeinsten Gattung, Wir beurtheilen dies, wohlverstanden, aus dem stolzen Gesichtspunkte des Menschen: aus dem Gesichtspunkte der Natur gibt es keine gemeine Gattung.

Factisch ist, daß für einen Menschen, – wir wissen nicht, was er für die Natur gewesen sein mag, – faktisch ist, daß dieser Hund von einer wahrhaft außerordentlichen Häßlichkeit war: klein, untersetzt, schmutzig in physischer, knurrig, streitsüchtig, anmaßend in moralischer Hinsicht, faßte er in sich allein alle Laster eines alten Junggesellen zusammen, und deßhalb ohne Zweifel war er bei seinen Kameraden allgemein verhaßt.

Aus dieser allgemeinen Abneigung war erfolgt: daß die Brocante, seine Gebieterin, mit einer ganz weibischen Halsstarrigkeit sich ihm mit einer mütterlichen Zärtlichkeit angeschlossen hatte, und seitdem hatte diese Zuneigung allmählich im umgekehrten Sinne der Feindschaft zugenommen, welche seine Gefährten gegen ihn hegten und ihm öffentlich bezeugten.

So kam sie zu allerlei Aufmerksamkeiten gegen ihn, bis sie ihn besonders und in einem getrennten Cabinet bedienen ließ, um ihn nicht vor Erschöpfung sterben zu sehen; so sehr sagten ihm die anderen Hunde hundert unfreundliche Dinge und ließen ihn tausend Geheuer erdulden während der feierlichen Stunden der Mahle.

Nicht wahr, liebe Leser, Sie wissen, was der Stolz bei den Menschen vermag? Gut, sehen Sie, was er bei den Thieren vermag?

Dieser schwarze Hund, dieser schmutzige Pudel, kurz dieser Babylas, der – immer aus unserem Gesichtspunkte, – von einer beleidigenden Häßlichkeit war, bildete sich, als er sich geschmeichelt, geliebkost, gehätschelt, besonders bedient sah, am Ende ein, er sei der schönste, der zierlichste, der geistreichste, der liebenswürdigste, der verführerischste der Hunde. Und war einmal dieser Gedanke in seinen Geist eingedrungen, so fing er natürlich, wie es ein Mensch in einer solchen Lage gethan hätte, an, seines Gleichen zu verspotten, sie schamlos zu reizen, indem er den Einen am Schweif zog, den Andern ins Ohr biß, Jeden verhöhnte, sicher, wie er war, der Straflosigkeit, sich aufblähte, den Kopf hoch trug, das Rad schlug, sich endlich ein so gewichtiges Ansehen gab, daß alle seine Kameraden vor Verachtung lächelten, vor Mitleiden die Achseln zuckten, und unter sich sagten:

»Welche Anmaßung!«

Ich glaube, liebe Leser, Sie thun mir die Ehre an, eine Frage an mich zu richten,

»Schön und gut, Herr Romandichter! Verdolmetschen, übersetzen, foltern Sie die Worte und die Geberden der Menschen; doch wahrhaftig, es ist zu stark, daß Sie uns wollen glauben machen, die Hunde sprechen, zucken die Achseln, lächeln!«

Was das Lächeln betrifft, ich habe eine mir befreundete Hündin, ein weißes Windspiel, der höchsten Aristokratie der Windhunde angehörend, das lächelt, so oft es mich sieht, und zeigt mir seine feinen weißen Zähne; so daß ich glauben würde, es ärgere sich, gäbe, mir nicht sein übriger Körper alle Arten von Merkmalen der Freude. Das Windspiel heißt Gisella.

Für mich lächeln also die Hunde, da mir meine liebe Gisella zulächelt, so oft sie mich sieht.

Was das Achselzucken betrifft, so behaupte ich nicht, die Hunde zucken die Achseln ganz auf dieselbe Art wie die Menschen; mein Ausdruck ist sogar ungeeignet; sie zucken nicht die Achseln, sie schütteln sie, hätte ich sagen müssen. Haben Sie nicht sehr oft bemerkt, daß der Hund, der mit einem andern Hunde Bekanntschaft macht, – und Sie wissen, auf welche naive Art die Hunde Bekanntschaft machen – haben Sie nicht bemerkt, daß der in seiner Hoffnung getäuschte Hund, findet er, wie der Capitän Pamphile, dessen pittoreske Geschichte ich vor bald zwanzig Jahren geschrieben habe, eine männliche Negerin, wo er eine weibliche Negerin zu finden erwartet, verächtlich die Schultern schüttelt und geht? Das ist unbestreitbar; Sie werden es auch nicht bestreiten, liebe Leser.

Kommen wir nun zur Sprache.

Die Hunde sprechen nicht! Hoffärtige Menschen, die Ihr glaubt, Ihr habet von der Vorsehung allein die Fähigkeit erhalten, Euch Eure Gedanken mitzutheilen! weil Ihr Englisch, Französisch, Deutsch, Chinesisch sprecht, und nicht Hundisch sprecht, sagt Ihr ruhig: »Die Hunde sprechen nicht!«

Irrthum! – die Hunde sprechen ihre Sprache, wie Ihr die Cure sprecht! Mehr noch: Ihr versteht nicht, was sie Euch sagen, hoffärtige Menschen! und sie, die Demüthigen, die sich daraus nichts einbilden, verstellen, was Ihr ihnen sagt. Fragt den Jäger, ob sein Hund nicht spreche, wenn er ihn hat träumen, einen Hasen jagen, Streit ansangen, sich im Traume raufen hören? Was wacht denn so in diesem Hunde, der schläft? Ist es nicht eine Seele, eine Seele minder vollkommen, doch sicherlich naiver, als die unsere?

Die Hunde sprechen nicht! . . . Sagt das doch Eurem dreijährigen Kinde, das sich aus der Wiese mit dem großen, drei Monate alten Neufundländer wälzt. Das junge Kind und der junge Hund spielen wie zwei Brüder, und horchen aus die unartikulierten Töne, die sie mitten unter ihren Spielen und ihren Liebkosungen austauschen.

Ei! mein Gott, das Thier versucht ganz einfach die Sprache des Kindes zu sprechen, und das Kind die Sprache des Thieres. Sicherlich, welche Sprache sie auch sprechen mögen, verstehen sie sich, und sie sagen sich vielleicht in dieser unbegriffenen Sprache mehr Wahrheiten über Gott und über die Natur, als je Plato und Bossuet gesagt haben.

Die Hunde sprechen also, das ist kein Zweifel in unseren Augen, und sie haben den großen Vorzug vor uns: daß sie, Hundisch sprechend, das Französische, das Deutsche, das Spanische, das Chinesische, das Italienische verstehen, während wir, Italienisch, Chinesisch, Spanisch, Deutsch oder Französisch sprechend, den Hund nicht verstehen.

Kommen wir auf die unglücklichen Thiere der Brocante und auf die Lage zurück, die ihnen durch die lächerlichen Anmaßungen von Babylas bereitet wurde.

Die Zeugnisse der Verachtung, welche Babylas bei jeder Gelegenheit von seinen Kameraden empfing, machten diesen das Leben nicht besser: weit entfernt.

Die Brocante, welche in ihrer Eigenschaft als Zauberin alle Sprachen sprach; die Brocante trat bei dem geringsten groben Worte, das sie hörte, je nach der Schwere des Wortes, entweder mit ihrer Geißel oder mit ihrem Besenstiele dazwischen. – Die Geißel, das war das Stäbchen der Fee! der Besenstiel, das war der Dreizack des Neptuns! – Die Brocante wußte sicherlich nicht, was: Quos ego! besagen wollte, doch die Hunde übersetzten auf der Stelle die Drohung in: Canaillenvolk! Und Jeder kehrte ganz zitternd in seine Nische zurück, und wagte erst nach einem Moment das Ende seiner Nase und den Winkel seines Auges durch die Oeffnung der Tonne hervor.

 

Allerdings winselte der Windhund, brummte der Pudel, knurrte der Bulldogg; doch der Lärm eines auf den Boden stampfenden ungeduldigen Fußes und die furchtbaren mächtig ausgesprochenen Worte: »Wird man endlich schweigen?« genügten, um der ganzen Hundeversammlung vollständiges Stillschweigen aufzuerlegen. Und alle schwiegen, in ihre respectiven Tonnen zurückgezogen, während sich der gemeine Babylas mitten in der Stube breit machte, und zuweilen die Unverschämtheit so weit trieb, daß er die Tonnen in Augenschein nahm, um zu sehen, ob jeder Hund in seinem Gefängnisse sei.

Diese Manöver von Babylas, welche von Tag zu Tage herausfordernder wurden, waren am Ende, wie man wohl begreift, unerträglich für die ganze Hunderepublik, und sie beschloß zwei oder dreimal, die Abwesenheit von Brocante zu benützen, um Meister Babylas eine gute Lection zu geben; doch immer erschien durch einen von den Glücksfällen, wie sie nur den Tyrannen oder den Gecken begegnen, gerade in dem Augenblicke, wo die Verschwörung losbrechen sollte, die Brocante gleich dem alten Deus ex machina plötzlich mit ihrem Besen oder ihrer Schulgeißel in der Hand und führte bis zu ihren Nischen die unglücklichen Verschwörer zurück.

Was thun bei dieser, traurigen Conjunctur, und wie sich der despotischen Gewalt entziehen, ist diese Gewalt mit einem Besen und einer Geißel bewaffnet?

Die Bande überlegte. Ein Windhund schlug vor, auszuwandern, den heimathlichen Boden zu verlassen, das Vaterland zu fliehen, kurz eine gastfreundlichere Erde zu suchen; ein Bulldogg erbot sich, Alles unter seine Verantwortlichkeit zu nehmen und Babylas zu erwürgen; doch man muß es sagen, dieser Hundsmord widerstrebte dem ganzen Truppe,

»Vermeiden wir das Blutvergießen!« sprach ein wegen seiner Sitten-Milde bekannter Pudel.

Und er wurde unterstützt durch einen alten spanischen Wachtelhund, der immer seiner Meinung und dergestalt mit ihm verbunden war, daß meistens eine Nische für Beide diente.

Kurz, alle gewaltsamen Mittel mißfielen diesen redlichen Hunden, und man beschloß, gegen Babylas keine andere Verschwörung anzuzetteln, als die der Verachtung. Man setzte ihn auf den Index, wie man in den Collegien von Rom sagt, in Quarantäne, wie man in den französischen Collegien sagt; man ließ ihn beiseit, man sprach nicht mehr mit ihm, man machte sogar Miene, als sähe man ihn nicht, wenn man an ihm vorüberkam, – wie dies so poetisch in der Oper: die Favorite gesagt ist:

Il resta seul avec son déshonueur!22

Was that Babylas? Statt zu bereuen, er, der die Brocante in ihrer unvernünftigen Zuneigung verblendete, statt die Warnung zu benützen, kam auf den Einfall, seine Kameraden aufs Schönste zu mystifizieren; er schleuderte ihnen tausendmal am Tage von fern beleidigendes Gebell zu, er störte unbarmherzig ihren Schlaf in der Nacht; mit einem Worte, der Unterstützung seiner Gebieterin sicher, machte er ihnen das Leben unerträglich.

War es warm und die Brocante öffnete das Fenster, um der Gesellschaft Luft zu geben, so kläffte Babylas auf der Stelle kläglich und schnatterte an allen Gliedern, als herrschte eine Kälte von fünfundzwanzig Grad. War dagegen das Fenster geschlossen und es regnete, es schneite, es waren fünfundzwanzig Grad Kälte, so beklagte sich Babylas über die Wärme; der Ofen belästigte ihn: er hob die Pfote vor dem Thürchen auf und suchte, so viel in seiner Macht lag, das Feuer auszulöschen; an diesen Zeichen erkannte die Brocante, es sei zu heiß, und eine Gehirncongestion für ihren Liebling befürchtend, löschte sie den Ofen aus und öffnete das Fenster, wenn sie auch die anderen Hunde unter einer Temperatur der von Moskau gleich schnattern sah.

Kurz, dieser elende Babylas war der böse Dämon des Hauses geworden! Er war Niemand nützlich, er war Jedem unangenehm, gegen Jedermann unfreundlich und dennoch – erkläre die Sache, wer kann – trotz dieser Bereinigung von Lastern, vielleicht wegen derselben von der Brocante angebetet,

Obschon der Frühling von 1827 kein wärmerer Frühling war als der von 1855, hatte Babylas, sei es aus Bosheit, sei es aus Bedürfniß, sei es aus irgend einem anderen Grunde, zwanzigmal das Fenster öffnen lassen. Die Nase an dieses Fenster haltend – man erinnert sich, daß es das Fenster eines Erdgeschosses war, – bemerkte Babylas von fern eine junge Hündin mit schwarzen Augen, mit fahlblonden Haaren, mit Zähnen weiß wie Perlen, mit Lippen rosenfarbig wie Korallen: man weiß, daß es zwei Sorten von Korallen gibt, die rothe Koralle und die rosenfarbige Koralle, und daß von beiden die rosenfarbige Koralle die kostbarere ist.

Die Eleganz des Ganges dieses Thieres, dessen Hundszehe noch die Lilie marquirte, das Feuer seiner Augen, die Geschmeidigkeit seiner Taille, die Kleinheit seiner Pfote, die ganze Anmuth seiner Person machten Babylas schauern und er rief in seiner Sprache:

»Oh! das reizende Thier!«

Bei diesem Rufe, – wie, wenn ein am Fenster stehender Raucher ausruft: »Ah! die reizende Frau!« alle Männer des Clubbs, Whistspieler, Zeitungsleser, Kaffeetrinker, Liqueurschlürfer, Eisesser um die Wette herbeilaufen; bei diesem Rufe, sagen wir, eilten alle Hunde, ob sie saßen, standen, in ihren Nischen lagen, sich die Pfoten leckten oder etwas Anderes trieben, hinzu, um mit Babylas diesen Anblick zu genießen; dieser aber drehte sich um, zeigte die Zähne, knurrte, und alle Hunde, der Bullenbeißer und der Neufundländer mitbegriffen, welche Babylas mit dem Druck eines Zahnes umgebracht hätten, kehrten zu ihrer Beschäftigung zurück.

Zufrieden mit diesem Gehorsam seiner Gefährten, – der ihnen allerdings durch ihren Instinct geboten war, welcher ihnen sagte, die Brocante sei im anstoßenden Zimmer, – richtete Babylas seinen Blick wieder nach der Straße.

Genöthigt, diesen Feuerblick auszuhalten, schlug die Hündin die Augen schüchtern nieder und ging weiter, ohne den Kopf umzudrehen.

»Ehrbar und schön!« rief in seiner Sprache der begeisterte Pudel.

»Vernünftig und schön!« ruft Hamlet, da er Ophelia sieht; was beweist, daß unter gleichen Umständen ein gleicher Eindruck aus den Menschen und das Thier, aus den Fürsten und aus den Hund hervorgebracht wird.

Und er neigte sich aus dem Fenster, dergestalt, daß seine Gefährten einen Augenblick hoffen konnten, in seiner Begeisterung die Gesetze der Schwere schlecht berechnend, werde Babylas seinen Kopf das Uebergewicht über seinen Hintern erlangen sehen und sich den Schädel aus dem Pflaster zerschmettern.

Dem war nicht so: Babylas folgte mit den Augen dem reizenden Thiere bis an die Ecke der Rue de la Vieille – Estrapade, wo es verschwand, wie ein Schatten, ohne ihm nur zu sagen, es werde wiederkommen.

»Wie schön ist sie!« bellte Babylas, das Herz erfüllt von der unaussprechlichen Wonne einer entstehenden Leidenschaft, einer erblühenden Liebe.

Statt zu seufzen über die unbarmherzige Einsamkeit, zu der ihn seine beleidigten Brüder verurtheilt hatten, wünschte sich von diesem Augenblicke an Babylas innerlich Glück zu den Stunden der Träumerei, die ihm diese Abgeschiedenheit ließ.

Wie Diogenes, in sein Faß zurückkehrend, warf er geringschätzend seine Verachtung aus die übrige Welt: und wenn wir, die wir in unserer Eigenschaft als Romandichter alle Sprachen verstehen, selbst die der Thiere, seine eigenen Worte nicht berichten, so geschieht dies, weil wir befürchten würden, man könnte sich in unsern Absichten täuschen und in dem Ausfalle von Babylas nur eine Satyre und Bitterkeit gegen die Gesellschaft sehen.

Wir werden nicht weiter die Gemüthsbewegungen jeder Art analysieren, die das Innere unseres Helden erfüllten, – seit der Stunde, wo er den elektrischen Schlag empfangen hatte, bis zur Stunde des Schlafengehens, wir wollen nur ein Wort von der Nacht sagen.

Es war zugleich für Babylas eine Nacht unbekannter Qualen und unerhörter Wonne; alle Teufelchen, welche das buntscheckige Gewebe der Träume anzetteln, tanzten ihre fantastische Sarabande um das Haupt des armen Pudels; er sah, wie in den Gläsern der Zauberlaterne, die er in seiner Jugend in Gesellschaft mit einem Blinden gezeigt, die Schatten aller Hunde, welche geliebt hatten, und allen vierpfotigen Helenen und Stratonisten, welche wahnsinnige Leidenschaften erregt hatten, vorüberziehen; er drehte sich so oft und oft mal aus seiner Matratze von Roßhaar – die anderen hatten Stroh – um und um, daß die Brocante, plötzlich erwachend, glaubte, er sei wasserscheu oder epileptisch, und von ihrem Bette aus die zärtlichsten Worte an ihn richtete, um ihn zu trösten.

Die Morgenröthe erschien zum Glück Morgens gegen vier Uhr, hätte man noch die langen, düsteren Winternächte gehabt, so wäre Babylas sicherlich an der Auszehrung gestorben.

XXIV
Die Liebschaft von Babylas und Caramelle

Den ersten Schimmer des Tages erblickend, sprang Babylas aus seiner Tonne. Wir müssen zugestehen, daß er gewöhnlich wenig Zeit aus seine Toilette verwendete; an diesem Tage verwandte er noch weniger daraus, und er stürzte nach dem Fenster.

Mit dem Tage war bei ihm die Hoffnung wiedergekehrt. Da sie gestern vorübergekommen, warum sollte sie heute nicht wiederkommen?

Das Fenster war geschlossen und mit Recht: es regnete in Strömen.

»Ich hoffe wohl, man wird das Fenster nicht öffnen,« sagte der Windhund, schon bei diesem Gedanken schaudernd: »es ist ein Wetter, daß man keinen Menschen sollte vor die Thür gehen lassen!«

Wir Menschen sagen: ein Hund: die Hunde sagen: ein Mensch: und ich glaube, die Hunde haben Recht: denn bei schlechtem Wetter habe ich immer mehr Menschen als Hunde auswärts gesehen.

»Ah, das wäre zu stark!« sagte der Bullenbeißer dem Windhunde antwortend.

»Hm!« machten der Pudel und der spanische Wachtelhund, »das würde uns nicht wundern.«

Sie sprachen ein wenig mehr nach ihrem Behagen, weil ihre Haare ihnen einen Pelz bildeten.

»Läßt Babylas diesen Morgen das Fenster öffnen,« sprach der Neufundländer, »so erwürge ich ihn.«

»Nun wohl,« sagte eine alte sehr skeptische Dogge, »würde man es öffnen, ich wäre nicht erstaunt.«

»Tausend Donner!« knurrten gleichzeitig der Bullenbeißer und der Neufundländer, »man lasse sich das einfallen und wir wollen sehen.«

Ein weißer Pudel, der früher einige Partiern Domino mit Babylas gemacht hatte, und zu Gunsten des Andenkens, das dieser als ziemlich ehrlicher Spieler bei ihm hinterlassen, zuweilen seine Partei nahm, flehte auch diesmal das Mitleid seiner Kameraden an.

»Ich habe ihn die ganze Nacht klagen hören,« sagte er mit bewegter Stimme; »vielleicht hat er die Krankheit . . . Seien wir nicht unbarmherzig gegen Einen der Unseren: wir sind Hunde und keine Menschen.«

Diese Rede brachte eine ziemlich gute Wirkung auf die Versammlung hervor, und man beschloß, auch noch zu ertragen, was man, wenn man es wohl bedachte, nicht verhindern konnte.

Die Brocante trat ein; sie sah ihren geliebten Babylas mit hängenden Lippen, gesenkten Ohren und blau umkreisten Augen.

»Was haben wir denn, mein Tutu?« fragte sie ihn mit ihrem zärtlichsten Tone, indem sie ihn küßte und an ihre Brust drückte.

Babylas stieß einen Seufzer aus, sprang aus den Armen der Hexe und richtete sich am Fenster auf.

»Ah! ja, Luft!« sagte die Brocante. »Wie comme il faut ist er! er kann die Luft nicht entbehren!«

Die Brocante, welche nicht nur Zauberin, sondern auch Beobachterin war, hatte in der That bemerkt, die armen Leute leben in einer Atmosphäre, in der die Aristokraten nicht zu leben vermöchten. Und das ist ein Glück für die armen Leute; denn könnten sie nicht leben, wo sie leben, so müßten sie hier sterben; sie sterben wohl bisweilen hier; dann findet aber der Arzt einen Namen für die Krankheit, die sie weggerafft hat, und, Dank sei es diesem griechischen oder lateinischen Namen, Niemand hat Gewissensbisse, nicht einmal der Salubritätsrath.

Glücklich, Babylas so coinme il faut zu sehen, obschon sie sich nie mit seiner Erziehung beschäftigt hatte, hütete sich die Brocante wohl, ihn warten zu lassen und öffnete sogleich das Fenster.

Da entstand in der Versammlung ein allgemeines Knurren, das sich bald zum Brüllen erhoben hätte, würde nicht die Brocante von dem Nagel, wo sie hing, die Strafpeitsche losgemacht und sie über den Häuptern derselben geschwungen haben.

Beim Anblicke dieses Geißelungswerkzeuges schwieg die Gesellschaft wie durch Zauber.

 

Babylas legte seine beiden Pfoten aus die Randleiste des Fensters und schaute nach rechts und nach links: doch Niemand, Menschen ausgenommen, wagte sich in die Rue d’Ulm, welche damals so wenig gepflastert war, als Paris zur Zeit von Philipp August, und besonders bei dem Regen, der an diesem Tage in Strömen fiel.

»Ach!« seufzte unser Verliebter, »ach! ach!«

Doch dieses Seufzen rührte den Geist der Gewässer nicht, und keine Hündin, nicht einmal ein Hund kam vorüber.

Es erschien die Stunde des Frühstücks: Babylas blieb am Fenster: es schlug die Stunde des Mittagsmahls: Babylas blieb am Fenster: endlich die Stunde des Abendbrods so vergebens, als die des Frühstücks und des Mittagsmahls.

Die Andern rieben sich die Pfoten vor Vergnügen: der Theil von Babylas fiel natürlich ihnen zu.

Es war sehr ernst, wie man sieht.

Babylas hatte sich geweigert, irgend eine Nahrung zu sich zu nehmen: die Brocante mochte ihn immerhin mit den zärtlichsten Namen rufen, ihm die klarste Milch, den glänzendsten Zucker, die goldensten Bretzeln bieten, er blieb bis zur finsteren Nacht in der ermüdenden Stellung, die er bei Tagesanbruch angenommen hatte.

Die Nacht war längst gekommen; es schlug zehn Uhr in allen Kirchen, welche, zu erhaben, um zusammenzuschlagen, den Vortritt ohne Zweifel der ältesten ließen.

Diese zweite Nacht war noch bewegter als die erste: der Alp verließ nicht einen Augenblick den armen Babylas; schlief er ein paar Augenblicke ein, so kläffte er schmerzlich während dieses kurzen Schlummers, daß man begriff, es wäre für ihn besser gewesen, wach zu bleiben.

Die Brocante blieb über sein Haupt geneigt, wie es eine Mutter für ihren Sohn gethan hätte, und sagte ihm jene süßen Worte, welche nur die Mütter allein zu finden wissen, um die Schmerzen ihrer Kinder einzuschläfern. Erst am Morgen hatte sie, aufs Aeußerste besorgt, die Idee, ihm das große Spiel zu machen.

»Er ist verliebt!« rief sie bei der dritten Kartentour; »Babylas ist verliebt.«

Diesmal hatten die Karten Recht, wie Beranger sagt.

Babylas verließ seine Tonne, noch mehr entstellt durch diese zweite Nacht der Schlaflosigkeit, als durch die erste.

Man tunkte ihm in Milch ein Zwieback, das er mit den Zähnen aß, und er ließ sich das Fenster öffnen, wie am Tage vorher.

Obschon es am St. Metardustag geregnet hatte, – was vierzig Tage Regen versprach, – regnete es zufällig an diesem Tage nicht: so daß Babylas, als er die Strahlen der Morgensonne erblickte, wieder ein wenig von seiner natürlichen Heiterkeit annahm.

Das sollte in der That ein glücklicher Tag für Babylas sein: – zur selben Stunde, wie zwei Tage vorher, sah er die blonde Hündin seiner Träume vorübergehen! Es war wohl dieses aristokratische Pfötchen, das er wahrgenommen: es war dieselbe elegante Tournure, derselbe zugleich stolze und schüchterne Gang.

Der Puls von Babylas schlug zwanzig Schläge mehr in der Minute: er stieß einen Freudenschrei aus.

Bei diesem Schrei drehte die junge Hündin den um, nicht aus Coquetterie, sondern weil sie, so unschuldig sie war, ein zartes Herz besaß, und in diesem Schrei zugleich Liebe und Herzensangst erkannt hatte.

Sie sah Babylas wieder, den sie schon ein erstes Mal aus dem Augenwinkel erschaut hatte.

Was Babylas betrifft, der sie nur im Profil gesehen hatte, – es erfaßte ihn, als er sie von vorn sah, ein allgemeines Zittern. Babylas war sehr nervös geblieben: er hatte in seiner Jugend den Sanct-Veits-Tanz gehabt: er wurde, sagen wir, von einem allgemeinen Zittern erfaßt und fing an, kleine zärtliche, klagende Noten auszustoßen, wie sie die mit diesem Temperament begabten Personen hören lassen, wenn die Gemüthsbewegung ihre Kräfte übersteigt.

Als es diese Unruhe sah, die es vielleicht theilte, hatte das hübsche Thier eine Bewegung des Mitleids und machte ein paar Schritte gegen Babylas.

Einer unüberwindlichen Anziehungskraft nachgebend, war Babylas im Begriffe, sich zum Fenster hinauszustürzen, als die mit einer harten Stimme ausgesprochenen Worte hörbar wurden:

»Hier, Caramelle!«

Diese Worte waren offenbar die eines Herrn, denn, während sie einen Seitenblick auf Babylas warf, beeilte sich Caramelle, zu gehorchen.

Babylas hatte, wie gesagt, schon seinen Anlauf genommen, um aus dem Fenster zu springen; doch diese Stimme hielt ihn plötzlich auf. War das Gefühl, das ihn zurückhielt, die Furcht, Caramelle zu kompromittieren? war es der etwas wenig ritterliche Instinkt der Selbsterhaltung? Das konnte man nie erfahren.

Gewiß ist, daß sich Babylas auf seine Hinterfüße setzte, mit seiner Pfote auf die Randleiste des Fensters schlug und ausrief:

»Caramelle! Caramelle! welch ein hübscher Name!«

Und er wiederholte in allen Tonarten:

»Caramelle! Caramelle! Caramelle!«

Vielleicht ist für unsere Leser der Name nicht so schön, als Babylas behauptete; doch er war so passend für den Balg von derjenigen, welche ihn trug, daß Babylas, der die Farbe liebte, auch den Namen lieben mußte.

Streng von seinem Herrn zurückgerufen, kam Caramelle mit gesenktem Kopfe zu diesem, nachdem er, wie gesagt, Babylas einen Blick voll tiefer Zärtlichkeit zugeworfen hatte.

Der Zustand, in dem Babylas die zwei Tage und die zwei Nächte vorher zugebracht, war ein so verzweifelter, daß ihm dieser Blick von Caramelle ganz einfach ein Strahl des Paradieses dünkte.

Dergestalt, daß, nachdem er Caramelle – welche, wie zwei Tage vorher, an der Ecke der Rue de la Vieille-Estapade verschwand, – mit den Augen gefolgt war, Babylas sich rückwärts warf, seine Freude auf alle Arten offenbarte, auf die es den Hunden ihre Freude zu offenbaren gegeben ist, auf die Stühle sprang, sich auf den Hinterpfoten aufrichtete, seinem Schweife nachlief, seine Kameraden neckte, den Todten spielte, sein ganzes Repertoire die Revue passieren ließ, um, so viel es in seinen Mitteln lag, die unaussprechliche Glückseligkeit, die er empfand, auszudrücken.

Seine Kameraden hielten ihn für verrückt, und da es am Ende gute Hunde waren, so vergaßen sie ihren Groll und beklagten ihn aufrichtig.

Man behauptet, die Liebe mache besser: es ist etwas Wahres an dieser Behauptung, und wir werden einen neuen Beweis von dieser Wahrheit geben.

Wir haben gesagt, Babylas sei ein trotziger, mürrischer Hund mit einer Nuance von Bosheit gewesen; nun wohl, als hätte ihn der Zauberstab einer Fee plötzlich verwandelt, – in moralischer Hinsicht, wohl verstanden! – wurde er sanft und gutmüthig, wie das schwarze Lamm, von dem Hamlet spricht. Er ging auf seine Kameraden zu, machte ihnen offenherzige Entschuldigungen, bat sie redlich für sein Unrecht um Verzeihung, und flehte sie, nach dieser Abbitte, an, ihm wieder ihre Freundschaft zu schenken, indem er ihnen bei seiner Ehre die schwierigsten Regeln zu beobachten, die strengsten Pflichten zu erfüllen versprach.

Bei dieser Eröffnung berathschlagte die Gesellschaft. Der Neufundländer und der Bullenbeißer waren – einem ersten Gefühle nachgebend, das bei den Hunden, im Gegensatze zu den Menschen, wie es scheint, das schlechte ist, – der Neufundländer und der Bullenbeißer waren Anfangs der Meinung, ihn zu erwürgen, denn sie hielten seine Bekehrung nicht für aufrichtig; doch der weiße Pudel übernahm zum zweiten Male seine Vertheidigung und sprach so warm zu seinen Gunsten, daß er die ganze Versammlung zu seiner Ansicht hinzog.

Man stimmte ab, und mit Stimmenmehrheit der anwesenden Hunde gewährte man Babylas eine vollkommene Amnestie.

Der weiße Pudel ging auf ihn zu, reichte ihm die Pfote und die angesehensten Mitglieder der Versammlung schenkten ihm wieder ihr Vertrauen und versprachen ihm ihre Freundschaft.

Von diesem Augenblicke an ließ Babylas das Fenster nicht mehr öffnen, ohne zuvor seine Kameraden um Erlaubnis gefragt zu haben; und da sich die Temperatur von Tag zu Tag milderte, so wurde ihm diese Erlaubnis artig bewilligt, – selbst vom Windhunde, der fortwährend schnatterte, aber gestand, es geschähe aus Gewohnheit.

22Er blieb allein mit seiner Schande.