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Salvator

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Dritter Band

XIX
Wo die Drohung ebenso wenig glückt als die Verführung

In einem Augenblicke des Stillschweigens, der nun eintrat, wechselte der Graf von Valgeneuse zum dritten Male die Batterie.

Er hatte es versucht, die beiden Mohicaner betrunken zu machen, sodann sie zu bestechen; die zwei Versuche waren gescheitert: er beschloß, ihnen Schrecken einzujagen.

»Ist es nicht mehr erlaubt, vom Gelde zu sprechen,« sagte er, sich an Jean Taureau wendend, »so ist es doch wohl erlaubt, von etwas Anderem zu sprechen.«

»Reden Sie,« erwiderte laconisch Jean Taureau.

»Ich kenne den Mann, der Euch mit meiner Bewachung beauftragt hat.«

»Dazu mache ich Ihnen mein Compliment,« sagte Jean Taureau, »und ich wünsche Ihnen viele solche Bekanntschaften; doch offenherzig gestanden: ich glaube es kaum . . . «

»Wenn ich von hier weggehe,« fuhr Herr von Valgeneuse fort, »denn früher oder später werde ich von hier weggehen, nicht wahr?«

»Das ist wahrscheinlich,« antwortete der Zimmermann.

»Von hier weggehend, werde ich meine Anzeige machen, und eine Stunde nachher wird er verhaftet sein.«

»Verhaftet, Herr Salvator, er verhaftet? Ah! gehen Sie doch!« rief Jean Taureau, »niemals.«

»Ah! er heißt Salvator,« sagte Lorédan; »ich kannte ihn nicht unter diesem Namen.«

»Ah! unter diesem.Namen oder unter einem andern, – das ist ein Mann, welchen verhaften zu lassen ich Ihnen verbiete, verstehen Sie, so sehr Sie auch Graf sind!«

»Sie verbieten es mir?«

»Ja, ich! Uebrigens wird er sich wohl selbst vertheidigen.«

»Das wollen wir sehen . . . Ich lasse ihn verhaften, und Ihr könnt Euch wohl denken, bin ich einmal im Zuge, Gerechtigkeit zu üben, so werde ich Euch nicht vergessen.«

»Sie werden uns nicht vergessen?«

»Ihr wißt, daß es sich ganz einfach um die Galeeren handelt.«

»Galeeren, wie!« rief Toussaint-Louverture unter seiner Tätowierung erbleichend.

»Du siehst wohl, daß der Herr Graf, nachdem er uns die Ehre angethan, uns betrunken machen zu wollen, und die Beleidigung, uns bestechen zu wollen, nun uns die Gnade erweist, mit uns zu scherzen!« sagte Jean Taureau.

»Dann ist es ein schlechter Spaß,« erwiderte der Kohlenbrenner.

»So wahr ich Lorédan von Valgeneuse heiße,« sprach mit der größten Kaltblütigkeit der Gefangene, »ich gebe Euch mein Wort, zwei Stunden, nachdem ich frei bin, seid Ihr alle Drei verhaftet.«

»Hörst Du, Jean Taureau?« sagte leise Toussaint; »er sieht aus, als ob er keinen Spaß triebe.«

»Ich wiederhole, alle Drei: Sie, Herr Toussaint-Louverture der Kohlenbrenner; Sie, Herr Jean Taureau der Zimmermann, und endlich Euer Chef Herr Salvator.«

»Sie werden das thun?« fragte Barthélemy, die Arme kreuzend und den Gefangenen fest anschauend.

»Ja,« erwiderte energisch der Graf, welcher fühlte, der Augenblick sei entscheidend, und, vielleicht verloren, wenn er Muth zeige, sei er dies noch viel sicherer, wenn er schwach werde.

»Geben Sie Ihr Wort darauf?«

»Bei meinem adeligen Ehrenworte!«

»Er wird thun, wie er es sagt, Freund Jean!« rief Toussaint.

Barthélemy Lelong schüttelte den Kopf.

»Ich sage Dir, er wird es nicht thun, Freund Toussaint.«

»Und warum nicht, Jean?«

»Ah! weil wir ihm die Fähigkeit dazu benehmen werden.«

»Nun war die Reihe am Grafen, zu schauern, als er den Tonausdruck des Zimmermanns hörte, und die Physiognomie dieses Mannes sah, der in seinem ganzen Körper keine Muskel hatte, welche nicht durch die Entschlossenheit gespannt war.

»Was willst Du damit sagen?« fragte Toussaint.

»Als er vorhin hier . . . ohnmächtig aus diesem Tische lag . . . «

»Nun?«

»Was wäre geschehen, wäre er, statt ohnmächtig zu sein, todt gewesen?«

»Ei! es wäre geschehen,« antwortete Toussaint mit seiner gewöhnlichen Logik, »daß er todt gewesen wäre, statt ohnmächtig zu sein.«

»Hätte er uns in diesem Falle angezeigt, und auch Herrn Salvator angezeigt?«

»Gut! diese Dummheit . . . wäre er todt gewesen, so hätte er Niemand angezeigt.«

»Nun wohl,« sprach Jean mit düsterem Tone, »nimm an, der Herr sei todt.«

»Ja,« entgegnete Valgeneuse, »doch ich bin es nicht.«

»Sind Sie dessen ganz sicher?« fragte Jean Taureau mit einem Ausdrucke, der in der That Valgeneuse zweifeln machte, ob er todt sei oder lebendig.

»Mein Herr . . . « sagte der Graf.

»Und ich,« fuhr Jean Taureau fort, »ich erkläre Ihnen, Sie sind dem Sterben so nahe, daß es sich nicht der Mühe lohnt, darüber zu streiten.«

»Ah!« rief Lorédan, »Sie sind entschlossen, mich zu tödten, wie es scheint.«

»Und sollte es Ihnen angenehm sein,« erwiderte Jean Taureau, »so will ich Ihnen sagen, aus welche Art.«

»Dann riskieren Sie nicht mehr die Galeeren, sondern das Schaffot,« sprach Lorédan.

»Das Schaffot, das Schaffot, hörst Du, Jean?« stammelte Toussaint.

»Ah bah! entgegnete Jean, »die Tröpfe besteigen das Schaffot, – Leute, welche ihre Vorsichtsmaßregeln nicht zu nehmen wissen. Doch seien Sie unbesorgt, Herr Graf, wir werden die unseren nehmen; Sie sollen selbst darüber urtheilen.«

Der Graf erwartete die Erklärung mit ziemlich festem Gesichte.

»Vernehmen Sie, wie sich die Sache zutragen wird,« fuhr der Zimmermann fort, ohne daß sein Tonausdruck das geringste Zögern bezeichnete: »ich will Ihnen den Knebel wieder anlegen, ich will Sie wieder binden, wie Sie waren . . . Hacke das Wurfgarn ab, das an der Wand hängt, Toussaint. . . . «

Toussaint hackte das Wurfgarn ab.

»Ich trage Sie bis nach dem Flusse,« fuhr Jean Taureau fort. »Dort angelangt, mache ich ein Boot los; wir lassen es ein paar Meilen im Stromstriche gehen; sodann, an einer guten Stelle, wo es fünfzehn Fuß Tiefe haben wird, binden wir Sie auf, wir nehmen Ihnen den Knebel ab, wir rollen Sie in das Garn und werfen Sie ins Wasser. Seien Sie ruhig, Sie kommen auf den Grund, denn ich werde die Maschen des Wurfgarns an die Knöpfe Ihres Ueberrocks anbinden! Wir warten, bis das beendigt ist, wir fahren wieder stromaufwärts, bringen das Boot wieder an seinen Platz, und kehren hierher zurück, um unsere zwei Flaschen vollends zu leeren. Wonach wir vor Tagesanbruch wieder nach Paris kommen, ohne daß uns Jemand sieht, und wir warten.«

»Worauf warten Sie?« fragte der Graf, während er seine von Schweiß rieselnde Stirne abwischte.

»Ei! wir warten auf Nachrichten von Herrn von Valgeneuse, und die Leute, welche lesen können, werden folgende in den öffentlichen Blättern lesen:

»»Es ist in der Seine der Leichnam eines jungen Mannes aufgefunden worden, der seit ein paar Tagen ertrunken zu sein schien. Trotz der häufigen Beispiele von solchen Unfällen wollte der Unglückliche, wie es scheint, das Wurfgarn in einem Ueberrocke auswerfen, statt der Vorsicht gemäß eine Blouse anzuziehen: das Garn war an die Knöpfe seines Kleides angehackt, und hat ihn im Flusse fortgerissen; vergebens hat er sich angestrengt, um sich loszumachen.

»»Seine Uhr, die man in seinem Hosentäschchen gefunden, sein in seinem Sacke zurückgebliebenes Geld, seine noch an seinen Fingern fest haltenden Ringe, schließen jede Idee eines Mordes aus.

»»Die Leiche ist in der Morgue niedergelegt worden.««

»Ist das wohl geordnet, wie? und glauben Sie, man werde Jean Taureau und Toussaint-Louverture, die ihn weder von Adam, noch von Eva her kennen, bezichtigen, Sie haben den Herrn Grafen Lorédan von Valgeneuse ermordet?«

»Ah! Sacredi!« rief Toussaint, »wie viel Geist hast Du, Jean Taureau! ich hätte das nie von Dir geglaubt!«

»Du bist also bereit?« fragte Jean Taureau.

»Bei Gott!« antwortete der Kohlenbrenner.

»Sehen Sie, Herr Graf, es fehlt nur noch Ihre Erlaubnis, um die Posse zu spielen,« bemerkte Jean Taureau; »doch Sie wissen, daß wir, wenn Sie sie nicht geben, uns derselben überheben werden.«

»Ins Wasser! ins Wasser!« rief Toussaint.

Barthélemy streckte seine breite Hand in der Richtung des Grafen aus; dieser machte zwei Schritte rückwärts, stieß, nachdem er die zwei Schritte gemacht hatte, an die Wand und war genöthigt, stehen zu bleiben.

»Ah! Sie werden nicht weiter gehen,« sagte Barthélemy: »die Wand ist solid, ich habe sie untersucht.«

Und er machte seinerseits zwei Schritte vorwärts und legte ihm die Hand aus die Schulter.

Diese Hand brachte aus den Grafen die Wirkung hervor, welche aus den armen Sünder die des Henkers macht.

»Meine Herren,« sprach Lorédan, der einen letzten Versuch wagen wollte, »Sie werden nicht kalt ein solches Verbrechen begehen; Sie wissen, daß die Todten aus der Tiefe des Grabes aufstehen, um die Mörder anzuklagen.«

»Ja, doch nicht aus den Tiefen des Flusses, besonders wenn sie in einem Garne festgehalten sind . . . Ist das Garn bereit, Toussaint?«

»Ja,« antwortete dieser., »es fehlt nur noch der Fisch.«

Jean Taureau streckte die Hand aus und nahm die Stricke, die er aufs Bett geworfen hatte.

In einem Nu waren die Faustgelenke von Lorédan vereinigt und hinter seinen Rücken gebunden.

Es ließ sich an der Stärke und der Präcision der Bewegungen von Jean Taureau wohl sehen, daß dies ein von ihm gefaßter und zwar wohlgefaßter Entschluß war.

»Meine Herren,« sprach Lorédan, »diesmal handelt es sich nicht mehr darum, mich fliehen zu lassen: es handelt sich nur darum, mich nicht zu ermorden.«

»Stille!« sagte Jean Taureau.

»Ich verspreche Ihnen hunderttausend Franken, wenn . . . «

Der Graf vollendete nicht: das Taschentuch, das ihm schon einmal als Knebel gedient hatte, verschloß ihm zum zweiten Male den Mund.

»Hunderttausend Franken,« stammelte Toussaint, »hunderttausend Franken . . . «

»Und woher sollte er sie denn nehmen, seine hunderttausend Franken?« versetzte Jean Taureau.

 

Der Gefangene konnte nicht mehr sprechen, doch er machte mit dem Kopfe ein Zeichen, welches andeutete, man brauche nur in seiner Rocktasche zu suchen.

Jean Taureau streckte seine dicke Hand aus, schob zwei Finger in die Rocktasche von Herrn von Valgeneuse und zog ein Portefeuille mit prallen Flanken heraus.

Er lehnte Herrn von Valgeneuse an die Wand an, ungefähr wie man eine Mumie in einem Naturaliencabinet anlehnt, kehrte zur Lampe zurück und öffnete das Portefeuille.

Toussaint schaute seinem Gefährten über die Schulter.

Jean Taureau zählte zwanzig Banquebillets.

Das Herz von Toussaint schlug, um seine Brust zu zersprengen.

»Sind das ächte Banquebillets?« fragte der Zimmermann^ »Lies Du, der Du lesen kannst.«

»Ich glaube wohl, daß es ächte Banquebillets sind, und zwar tüchtige Banquebillets,« antwortete Toussaint. »Ich habe nie solche an der Thüre der Wechsler gesehen. Sie sind von fünftausend jedes.«

»Zwanzigmal fünf oder fünfmal zwanzig macht! . . . Ah! es läßt sich nichts dagegen sagen, die Rechnung ist richtig.«

»Wir lassen ihn also leben,« sagte Toussaint, »und stecken die hunderttausend Franken ein?«

»Nein, ganz im Gegentheile,« erwiderte Jean Taureau, »wir geben ihm die hunderttausend Franken zurück, und ertränken ihn.«

»Ah! wir ertränken ihn?« sagte Toussaint.

»Ja,« antwortete Jean.

»Und Du bist sicher, daß uns kein Unglück widerfahren wird?« fragte leise der Kohlenbrenner.

»Das ist unser Schutz,« sprach Jean Barthélemy, indem er das Portefeuille wieder in die Tasche des Grafen steckte und den Rock darüber zuknöpfte; »wer würde zwei arme Teufel wie uns beargwohnen, wir haben einen Menschen ertränkt, und ihm hunderttausend Franken in seiner Tasche gelassen?«

»Ah,« sagte Toussaint mit einem Seufzer, »ich sehe wohl Eines.«

»Was?«

»Arm sind wir gekommen, mein Freund, arm werden wir sterben.«

»Amen!« sprach Jean Taureau, während er den Grafen auf seine Schulter lud. »Oeffne die Thüre, Toussaint.«

Toussaint öffnete die Thüre: doch er stieß einen Schrei aus und wich zwei Schritte zurück.

Ein Mann stand aus der Thürschwelle.

Dieser Mann trat ein.

»Ah!« murmelte Jean Taureau, »es ist Herr Salvator. Er kommt zur unrechten Zeit.«

XX
Wo man etwas Heller im Leben von Salvator zu sehen anfängt

Salvator warf einen ruhigen Blick aus diese zwei oder vielmehr aus diese drei Menschen.

»Nun,« fragte er, »was geht denn hier vor?«

»Nichts,« erwiderte Jean Taureau: »ich will nur mit Ihrer Erlaubnis diesen Herrn ertränken.«

»Ja, wir wollen ihn ertränken,« sagte Toussaint.

»Und warum diese Extremität,« fragte Salvator träumerisch.

»Weil er es zuerst versucht hat, uns betrunken zu machen . . . «

»Ah!«

»Sodann, uns zu bestechen.«

»Hernach?«

»Endlich uns einzuschüchtern.«

»Jean Taureau einzuschüchtern. Toussaint Louverture, dagegen will ich nichts sagen: doch Jean Taureau . . . «

»Sehen Sie!« sprach der Zimmermann. »Lassen Sie uns passieren, und in einer halben Stunde wird die Sache abgemacht sein.«

»Und was hat er denn gesagt, mein Braver, um Dich einzuschüchtern?«

»Er werde Sie anzeigen, er werde Sie verhaften lassen, er werde Sie aufs Schaffot führen. Da antwortete ich ihm: »»Gut! mittlerweile will ich Sie in die Seine führen! . . . «« Treten Sie auf die Seite, Herr Salvator, wenn’s beliebt.«

»Binde diesen Menschen los, Jean.«

»Wie, ich soll ihn losbinden?«

»Ja.«

»Sie haben also nicht gehört, was ich Ihnen gesagt habe?«

»Doch.«

»Ich habe Ihnen gesagt, er wollte Sie anzeigen, Sie verhaften, guillotinieren lassen.«

»Und ich, ich habe Dir erwidert: Binde diesen Menschen los und laß mich mit ihm allein!«

»Herr Salvator!« murmelte Jean mit flehender Miene.

»Sei ruhig, mein Freund,« sagte der junge Mann. »Der Herr Graf Lorédan von Valgeneuse vermag nichts gegen mich, während ich im Gegentheile . . . «

»Sie, im Gegentheile?«

»Alles gegen ihn vermag. Ich wiederhole also zum letzten Male, binde diesen Menschen los und laß uns Beide allein mit einander reden.«

»Nun,« erwiderte Toussaint, »da Sie es durchaus wollen . . . «

Und sein Blick befragte noch einmal Salvator.

»Durchaus,« wiederholte der junge Mann.

»Dann gehorche ich,« sprach Jean Taureau besiegt.

Und nachdem er dem Grafen die Hände losgebunden und ihm den Knebel abgenommen hatte, machte er Salvator oder vielmehr Herrn von Valgeneuse daraus aufmerksam, er werde vor der Thüre bleiben, um aus den ersten Ruf herbeizueilen, und ging dann mit seinem Freunde Toussaint hinaus.

Salvator folgte ihm und Toussaint mit den Augen, und sobald die Thüre wieder geschlossen war, sprach er zum Grafen von Valgeneuse:

»Wollen Sie sich setzen, mein Vetter: denn ich befürchte sehr, wir haben einander zu viel zu sagen, um stehen bleiben zu können.«

Lorédan warf einen raschen Blick aus Salvator.

»Ah!« sagte dieser, indem er mit der Hand seine schönen schwarzen, so zarten, so seidenen Haare aushob und seine Stirne entblößte, welche so ruhig und rein, als fände er sich seinem besten Freunde gegenüber, »schauen Sie mich recht an, Lorédan: ich bin es selbst.«

»Woher des Teufels kommen Sie denn, Herr Conrad?« rief der Graf, der sich behaglicher vor einem Mann von demselben Range fühlte, als es ihm den zwei Proletariern gegenüber war, mit denen er so unvortheilhaft gekämpft hatte. »Bei meiner Ehre, man hielt Sie für todt!«

»Nun wohl, Sie sehen, ich war es nicht. Ei! mein Gott, die Geschichte ist voll’ von Ereignissen dieser Art, von Orestes, der durch Pylades seinen Tod Aegisthos und Klytemnestra melden läßt, bis aus den Herzog von Normandie, der von Sr. Majestät Karl X. den Thron seines Vaters Ludwigs XVI. reclamirt.«

»Ja, doch weder Orestes, noch der Herzog von Normandie hatten ihre Beerdigung diejenigen bezahlen lassen, an denen sie Rache nehmen, oder von denen sie ein Erbe reclamiren wollten,« erwiderte Herr von Valgeneuse, das Gespräch in demselben Tone fortführend.

»Ah! mein Gott, mein lieber Vetter, wollen Sie mir etwa die fünfhundert Franken vorwerfen, die Sie meine Beerdigung gekostet hat? Bedenken Sie doch, daß nie Geld besser angelegt war: das bringt Ihnen seit sechs Jahren, ein Jahr ins andere, ein Einkommen von zweimal hunderttausend Franken! Seien Sie unbesorgt, ich werde es Ihnen zurückgeben, wenn wir unsere Rechnungen ordnen.«

»Unsere Rechnungen?« rief verächtlich Lorédan; »wir haben also Rechnungen zu ordnen?«

»Bei Gott!«

»Sind es nicht die der Erbschaft des seligen Marquis von Valgeneuse, meines Oheims?«

»Mein lieber Herr Lorédan, Sie könnten wohl beifügen: und Ihres Vaters

»In der That, unter uns, das ist ohne Folge! . . . Ich füge also bei, wenn Ihnen das angenehm ist: und Ihres Vaters

»Ja, es ist mir äußerst angenehm,« sprach Salvator.

»Wäre es nun, Herr Conrad . . . oder Herr Salvator, wie Sie wollen, denn Sie haben mehrere Namen, wäre es allzu unbescheiden, Sie zu fragen, wie es zugeht, daß sie kommen, während Sie alle Welt für todt hält?«

»Oh! mein Gott, nein! ich wollte mich sogar anbieten, Ihnen diese Geschichte zu erzählen, sollte Sie dieselbe ein wenig interessieren.«

»Sie interessiert mich, und zwar ungemein . . . Erzählen Sie, mein Herr, erzählen Sie.«

Salvator verbeugte sich zum Zeichen der Beistimmung und begann:

»Sie erinnern sich, mein lieber Vetter, auf welch unerwartete und unglückliche Art der Herr Marquis von Valgeneuse, Ihr Oheim und mein Vater, starb?«

»Vollkommen.«

»Sie erinnern sich, daß er mich nie hatte anerkennen wollen, nicht als hätte er mich seines Namens unwürdig erachtet, sondern im Gegentheile, weil er, mich anerkennend, mir nur ein Fünftel von seinem Vermögen hinterlassen konnte.«

»Sie müssen mehr als ich auf dem Laufenden in den Bestimmungen des Codex in Betreff der Bastarde sein . . . Da ich ein legitimer Sohn bin, so hatte ich nie Gelegenheit, mich damit zu beschäftigen.«

»Ei! mein Gott, lieber Vetter, ich beschäftigte mich nicht damit, sondern mein armer Vater . . . Er beschäftigte sich so sehr damit, daß er am Tage seines Todes seinen Notar, den redlichen Herrn Baratteau, kommen ließ . . . «

»Ja, und man hat nie recht erfahren, warum er ihn hatte kommen lassen. Sie nehmen an, es sei geschehen, um ihm ein Testament zu Ihren Gunsten zu übergeben?«

»Ich nehme nicht an, ich bin dessen sicher.«

»Sie sind dessen sicher?«

»Ja.«

»Und wie dies?«

»Am Tage vorher, als hätte er das Unglück, das ihn bedrohte, vermuthet, theilte mir mein Vater, obschon ich mich sträubte, ihn anzuhören, mit, was er thun wollte, oder vielmehr, was er gethan hatte.«

»Ich kenne diese Testamentsgeschichte.«

»Sie kennen sie?«

»Ja, wenigstens so, wie Sie dieselbe erzählt haben. Der Marquis hatte ein eigenhändig geschriebenes Testament gemacht, das er Herrn Baratteau übergeben sollte; doch ehe er es ihm übergeben hatte, oder nachdem er es ihm übergeben, – dieser Punkt, so wichtig er ist, wurde nie aufgeklärt, – fiel der Graf vom Schlage gerührt. Ist es so?«

»Ja, mein Vetter, abgesehen indessen von einem Detail.«

»Ein Detail! und welches?«

»Daß zur größeren Vorsicht der Marquis nicht ein Testament, sondern zwei gemacht hatte.«

»Ah! ah! zwei Testamente?«

»Duplicate, ja mein Vetter; beide ganz gleich.«

»Ja, in denen er Ihnen seinen Namen und sein Vermögen vermachte?«

»Ganz richtig!«

»Welch ein Unglück, daß sich von diesen beiden Testamenten nicht eines wiedergefunden hat!«

»Ja, das ist ein Mißgeschick.«

»Der Marquis vergaß also, Ihnen zu sagen, wo sie waren?«

»Das eine war bestimmt, dem Notar übergeben zu werden, das andere sollte mir übergeben werden.«

»Und mittlerweile . . . ?«

»Und mittlerweile hatte sie der Marquis in die Geheimschublade eines kleinen Schrankes in seinem Schlafzimmer eingeschlossen.«

»Aber,« sagte Lorédan, Salvator fest anschauend, »ich glaubte, Sie wüßten nicht, wo dies kostbare Testament sei.«

»Ich wußte es damals nicht.«

»Und heute . . . ?«

»Heute,« antwortete Salvator, »heute weiß ich es.«

»Ah!« rief Lorédan, »erzählen Sie mir das: die Sache wird interessant!«

»Verzeihen Sie, soll ich Ihnen nicht zuerst erzählen, wie ich lebe, während mich Jeder, etwas mehr, etwas weniger, für gestorben hält? Bringen wir Ordnung in die Erzählung: es wird nur um so klarer und interessanter sein.«

»Thun Sie das, mein lieber Vetter, viel Ordnung . . . Ich höre Sie.«

Und um die Erzählung von Salvator zu hören, setzte sich der Graf von Valgeneuse auf die elegantes! sorglose Art, die ihm möglich war.

Salvator begann:

»Mein lieber Vetter, wir gehen also über die Geschichte der Testamente weg, die Ihnen nicht klar scheint, mit dem Vorbehalte, später dazu zurückzukommen, und aus sie das Ihnen momentan fehlende Licht zu werfen, und nehmen, wenn Sie wollen, meine Geschichte in dem Augenblicke aus, wo Ihre ehrenwerthe Familie, – die bis dahin die Güte gehabt hatte, mich als einen Verwandten zu betrachten, die sogar einmal eine Heirath zwischen mir und Fräulein Susanne geträumt hatte,– da sie mich nur noch als einen Fremden ansah, mir bedeutete, ich habe das Hotel der Rue du Bac zu verlassen.«

Lorédan nickte mit dem Kopfe zum Zeichen, er gebe zu, daß die Erzählung von hier ausgehe.

»Sie werden mir Gerechtigkeit widerfahren lassen, und sagen, mein lieber Vetter, daß ich keine Schwierigkeit machte, der Aufforderung zu gehorchen,« fuhr Salvator fort.

»Das ist wahr,« antwortete Lorédan; »würden Sie eben so gehandelt haben, hätte sich das berühmte Testament wiedergefunden?«

»Vielleicht nein, ich gestehe es: der Mensch ist schwach, und soll er von großem Vermögen zum.Elend übergehen, so zögert er, wie jene Bergleute, welche in den Schlund hinabsteigen . . . und dennoch ist zuweilen in der Tiefe des Schlundes das Jungfernmineral, das pure Gold.«

»Mein lieber Vetter, mit diesen Grundsätzen ist man nie arm.«

»Unglücklicher Weise hatte ich sie damals noch nicht; ich hatte nur den Stolz! Allerdings brachte bei mir der Stolz die Wirkung hervor, welche die Resignation bei einem Andern hervorgebracht hätte. Ich ließ meine Pferde in Ihrem Stalle, meine Equipagen unter Ihrer Remise, meine Kleider in der Garderobe, mein Geld im Sekretär und ging mit den Kleidern weg, die ich auf dem Leibe hatte, und mit hundert Louisd’or, die ich am Tage vorher in Ecarte gewonnen. Das war, nach meinen Vorhersehungen, gerade um ein Jahr das Leben eines subalternen Angestellten zu führen . . . Ich hatte angenehme Talente; – ich glaubte wenigstens solche zu haben: ich skizzierte Landschaften, ich machte Porträts, ich sprach drei Sprachen; ich würde Unterricht im Zeichnen, im Italienischen, im Englischen, im Deutschen geben. Ich nahm ein möbliertes Cabinet in einem fünften Stocke, in der Tiefe des Faubourg Poissonnière, das heißt in einem Quartiere, in das ich nie einen Fuß gesetzt hatte, wo ich folglich völlig unbekannt war. Ich brach mit meinen alten Bekanntschaften, und ich versuchte es, mein neues Leben zu leben, und bedauerte nur die Trennung von Einem in dem reichen Hotel, das ich verließ . . . «

 

»Und das Eine?«

»Ja, errathen Sie, was das war.«

»Sprechen Sie!«

»Nun der arme kleine Secretär von Rosenholz, jener Familientrödel, den der Marquis von seiner Mutter hatte, und den seine Mutter vielleicht von ihrer Großmutter bekommen,«

»Ah! guter Gott!« sagte Lorédan, »Sie brauchten ihn nur zu verlangen: man hätte Ihnen denselben mit Vergnügen zum Geschenke gemacht.«

»Ich glaube es, einmal, weil Sie mir es sagen, mein lieber Vetter, sodann, weil mir zu Ohren gekommen ist, Sie haben ihn mit den übrigen Mobilien verkaufen lassen.«

»Soll man all diesen alten Plunder behalten?«

»Nein! Sie haben wohl daran gethan, und ich werde Ihnen sogleich den Beweis hiervon geben. Ich ging also, nur dies allein bedauernd, und fing das neue Leben an, wie Dante sagt. Ach! mein lieber Vetter, seien Sie nie ruiniert. Es ist etwas Garstiges, arm zu sein, und sich in den Kopf zu setzen, ein ehrlicher Mann zu bleiben!«

Herr von Valgeneuse lächelte verächtlich.

»Nicht wahr, mein lieber Vetter, vertraut mit den Weltverhältnissen, wie Sie sind, sehen Sie nun hieraus, wie die Dinge gingen?« sagte Salvator. »Mein Malertalent war, reizend für einen Liebhaber, mittelmäßig für einen Künstler: meinem Wissen in den Sprachen, hinreichend für einen reichen Touristen, welcher reist, fehlte es an der Tiefe für einen Lehrer, der demonstrieren will . . . Nach Verlauf von neun Monaten waren meine hundert Louisd’or verzehrt: ich hatte nicht einen einzigen Schüler: die Kunsthändler wiesen meine Bilder zurück . . . Kurz, da ich weder ein Gauner, noch ein unterhaltener Mann werden wollte, so blieb mir nur die Wahl zwischen dem Flusse, dem Stricke und der Pistole.«

»Sie wählten entschlossen die Pistole?«

»Oh! vergleichen Entschlüsse faßt man nicht so, lieber Vetter! und sind Sie einmal soweit, so werden Sie sehen, daß das eine schwierige Geschichte ist! . . . Ich zögerte im Gegentheile lange . . . An den Fluß durfte ich nicht denken: ich konnte schwimmen, und ein Stein am Halse gab mir mit den unglücklichen Hunden eine Aehnlichkeit, die mir widerstrebte. Der Strick entstellt: auch ist man noch nicht ganz entschieden über die Empfindungen, welche diese Todesart begleiten . . . Die Pistole entstellt gleichfalls, doch aus eine unselige, nicht aus eine lächerliche Art. Ich wußte genug von der Medizin, oder vielmehr von der Chirurgie, um den Laus an die gute Stelle zu setzen: ich war sicher, mich nicht zu fehlen . . .

»Ich gab mir acht Tage, um neue Versuche zu machen, und gelobte Mir, wenn sie scheitern, nach Ablauf dieser acht Tage mit meinem Leben zu enden. – Sie scheiterten! Der achte Tag brach an. Ich hatte die Dinge gewissenhaft gethan, und meine letzte Hilfsquelle verbraucht. Es blieb mir ein Doppel-Louisd’or: das war nicht einmal genug, um eine Pistole zu kaufen, die nicht in meinen Händen zersprang: sodann widerstrebte es mir, mich mit einer Brackwaffe zu erschießen . . .

»Zum Glück hatte ich Credit: ich ging zu Lepage: das war mein Lieferant: er hatte mich fast seit einem Jahre nicht gesehen, hielt mich immer noch für einen Mann von zweimal hunderttausend Livres Rente, und stellte sein ganzes Magazin zu meiner Verfügung. Ich wählte eine vortreffliche Doppelpistole mit kurzen, gezogenen Läusen: es war dabei meine Absicht, in mein Testament zu setzen, die Pistole gehöre Lepage, und ich wünsche, daß man sie ihm zurückgebe. Während ich beim Waffenschmied war, lud ich meine Pistole . . . zwei Kugeln in jeden Lauf, das war mehr als genügend! Im Augenblicke dieser Operation, aus welche ich eine ängstliche Sorgfalt verwandte, schien es mir, als zöge ein Zweifel über das Gesicht des Handwerksmannes: doch ich war, oder schien vielmehr so heiter, daß, wenn er einen Verdacht hatte, dieser Verdacht aus der Stelle wieder verschwand.

»Als die Pistole geladen war, bemerkte ich, daß ich Hunger hatte. Ich ging die Rue Richelieu hinaus, erreichte das Boulevard, trat in das Café Riche ein und frühstückte. Ich war mit vierzig Franken eingetreten, ich kam mit dreißig heraus. Ein Frühstück für zehn Franken im Café Riche ist ein Luxus, den sich ein Mann wohl erlauben darf, welcher zweimal hunderttausend Franken Rente gehabt hat, und im Begriffe steht, sich zu erschießen, weil er nur noch vierzig Franken hat . . . Es war zwei Uhr, als ich aus dem Kaffeehause wegging. Ich hatte die Idee, dem aristokratischen Paris ein letztes Lebewohl zu sagen; ich ging das Boulevard wieder bis zur Madelaine hinauf, ich nahm meinen Weg durch die Rue Royal und setzte mich aus den Champs-Elysées . . . Hier ließ ich vor mir passieren, was ich an Frauen in der Mode, an eleganten Männern gekannt hatte . . . ich sah Sie, Sie, meinen Vetter: sie ritten meinen Araber Dschenid. Niemand erkannte mich: ich war fast seit einem Jahre abwesend: die Abwesenheit ist ein halber Tod, und gesellt sich der Ruin dazu, dann kann die Abwesenheit für einen ganzen Tod gelten.

»Um vier Uhr stand ich auf, und, maschinenmäßig, die Hand am Kolben meiner Pistole, die ich drückte, wie man die Hand einem letzten Freunde drückt, kehrte ich in die Stadt zurück . . . Der Zufall, – verzeih, mein Gott, daß ich mich dieses Wortes bediene! – die Vorsehung wollte, daß ich durch die Rue Saint-Honoré zurückging. Ich sage, die Vorsehung wollte, und ich behaupte, was ich gesagt habe; ich gelangte wieder zum Faubourg Poissonnière: ich konnte die Rue de Rivoli oder den Boulevard wählen, statt den Weg durch die Rue Saint-Honoré, welche kothig und schmutzig ist, einzuschlagen. Ich wählte die Rue Saint-Honoré!

»Wo war mein Geist? Das wäre schwer zu sagen. War er aus den dunklen Gefilden der Vergangenheit, in den leuchtenden Ebenen der Zukunft? schwebte er schon mit den Flügeln der Seele über unsere Welt? ward er durch das Gewicht des Körpers in die Tiefen des Grabes hinabgerissen? Ich weiß es nicht. Ich träumte; ich sah nichts, ich fühlte nichts, als den Kolben dieser Pistole, den ich bald sanft streichelte, bald mit aller Gewalt zusammenpreßte . . .

»Plötzlich stieß ich an ein Hinderniß. Die Menge drängte sich in die Rue Saint-Honoré. Ein junger Geistlicher, ein Schützling des Abbé Olivier, hielt eine Predigt in Saint-Roch. Es erfaßte mich die Lust, in die Kirche einzutreten, und in dem Augenblicke, wo ich mich Gott von Angesicht zu Angesicht gegenüber finden sollte, das heilige Wort wie ein Manna für diese große Reise zu sammeln . . . Ich ließ alle Welt sich aus den Stufen des Portals zusammendrängen, trat durch die Rue Saint-Roch ein und gelangte leicht bis zum Fuße der Kanzel. Hier erst machte sich meine Hand vom Kolben der tödtlichen Waffe los: es geschah dies, um Weihwasser zu nehmen und das Zeichen des Kreuzes zu machen.«