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»Was verlangst Du?«

»Einen Augenblick Ruhe, der mir die Kräfte gibt, das Land zu erreichen.«

»Warum sollte ich mich dem Gefängniße für einen Menschen aussetzen, den ich nicht kenne? . . . Suche das Weite!«

»Wenn ich Dir aber sage, ich sinke unter, wenn ich Dir sage, ich ertrinke!«

Und man hörte, wie die Stimme durch die Welle, welche über den Kopf des Schwimmers hinging, abgeschnitten wurde.

Die Scene war so gut gespielt, daß die Flüchtlinge einen Augenblick glaubten, ihr Kamerad ertrinke wirklich, und sich mehrere Klafter der Schlupe näherten.

Doch die Stimme ließ sich bald aufs Neue hören.

»Herbei!« sagte sie, »zu Hilfe! Du wirst einen Landsmann nicht umkommen lassen, während Du, um ihn zu retten, nur ein Tau auszuwerfen hast.«

»Vorwärts! drehe Dich nach dem Backbord!«

»Ah! mein Gott! bist Du es nicht, Pitcaërn?«

»Doch, ich bin es,« antwortete der Matrose erstaunt. »Und wer bist Du?«

»Wer ich bin? Das Tau! das Tau! Ich sinke unter . . . ich ertrinke . . . das T . . . «

Zum zweiten Mal ging die Welle über den Kopf des Schwimmers hin.

»Ei! alle Teufel! hier ist es, das Tau! Hältst Du es?«

Man hörte jenes Brummeln des Untersinkenden, der antworten will, dessen Athmungswege aber durch das Wasser versperrt sind.

»Gut!« rief Pitcaërn, »laß nicht los . . . Ah! Du siehst mir aus, wie ein trefflicher Seemann; hätte man das gewußt, so würde man ein aus zwei Rollen lausendes Fauteuil eingeschifft haben, um den Herrn an Bord zu bringen.«

Doch der walisische Matrose hatte kaum Zeit, seinen Scherz zu vollenden, als Herbel, der über die Schanzverkleidung der Schlupe gestiegen war, seinen Freund Pitcaërn um den Leib packte, rücklings aus das Verdeck warf, ihm das Messer an die Kehle hielt, und seinen Gefährten französisch zurief:

»Herbei, Kameraden! steigt über Backbord! wir sind gerettet!«

Die Flüchtlinge ließen sich das nicht zweimal sagen; sie schwammen hinzu, wobei Jeder alle seine Kräfte anstrengte, und in einem Augenblicke waren alle Vier aus dem Verdecke der Schlupe.

Herbel hielt Pitcaërn unter dem Knie mit dem Messer an der Kehle.

»Bindet und knebelt mir diesen braven Burschen, doch ohne ihm etwas zu Leide zu thun,« sagte Pierer Herbel.

Und gegen Pitcaërn fuhr er fort:

»Mein lieber Pitcaërn, Du mußt uns diese kleine List verzeihen: wir sind keine englischen Deserteurs, sondern Franzosen, die von den Pontons entweichen: wir entlehnen nun von Dir Deine Schlupe, um eine kleine Fahrt nach Frankreich zu machen: sobald wir in Saint-Malo oder in Saint-Brieuc sind, bist Du frei.«

»Aber,« fragten die Flüchtlinge, »wie kommt es, daß die Mannschaft einer englischen Schlupe Niederbretanisch spricht?«

»Nicht die Mannschaft der englischen Schlupe spricht Niederbretanisch, sondern wir sprechen Gälisch.«

»Nun bin ich gerade so weit als vorher,« sagte der Pariser.

»Liegt Dir daran, eine Erklärung zu haben?« fragte Herbei, während er Pitcaërn, man muß ihm diese Gerechtigkeit widerfahren lassen, mit aller Behutsamkeit knebelte.

»Ich gestehe, das wäre mir nicht unangenehm.«

»Nun wohl, ich will Dich also lehren, was man mich im Collége gelehrt hat.«

»Lehre mich.«

»Die Engländer von Wallis sind ganz einfach eine Colonie von Niederbretagnern, welche vor acht bis neunhundert Jahren aus Frankreich ausgewandert ist, und die Muttersprache rein und unverdorben bewahrt hat: darum sprechen die Gälischen Bretanisch, und die Bretagner sprechen Gälisch.«

»So ist es, wenn man studiert hat!« sagte der

Pariser: »Herbei, Du wirst eines Tags Admiral werden.«

Mittlerweile hatte man Pitcaërn geknebelt und gebunden.

»Nun,« sprach Pierre Herbei, »nun handelt es sich darum, sich wieder zu erwärmen, seine Kleider trocken zu machen, nachzusehen, ob in dieser seligen Schlupe sich nicht etwas findet, was man unter die Zähne schieben könnte, und sich bereit zu halten, bei Tagesanbruch aus dem Hafen auszulaufen.«

»Warum nicht sogleich?« fragte der Pariser.

»Weil man nicht aus dem Hafen ausläuft, Pariser, ehe das Admiralsschiss das Thor durch einen Kanonenschuß geöffnet hat.«

»Das ist richtig,« antworteten im Chor die Flüchtlinge.

Einer von den vier Gefährten wurde als Schildwache aus das Bugspriet gestellt, und die drei anderen zündeten das Feuer wieder an, das in der Kajüte schlummerte.

Zum Unglücke trockneten die von Seewasser durchnäßten Kleider nicht leicht. Man suchte aus allen Seiten, und man fand Hemden, Hosen und Kittel, die den Freunden von Pitcaërn gehörten: man bekleidete sich wieder, so gut man konnte, und war in diese ernste Beschäftigung vertieft, als man die Stimme der Schildwache rufen hörte:

»He! da unten! Jedermann aufs Verdeck!«

In einem Augenblicke waren die drei Gefährten an dem Posten, zu dem man sie berief.

Nicht ohne Grund hatte man sie kommen lassen: man sah drei bis vier leuchtende Punkte heranrücken, die, so wie sie sich näherten, die Form von Barken mit Soldaten beladen annahmen. Diese Soldaten machten ein Treibjagen im Hafen.

»Ah!« sagte Pierre Herbel, »wir werden dem Besuche nicht entgehen; nun müssen wir mit Dreistigkeit bezahlen. Macht nur Freund Pitcaërn verschwinden.«

»Sollen wir ihn ins Wasser werfen?«

»Nein; man muß ihn nur so verbergen, daß man ihn nicht findet.«

»Sage doch, Pierre,« sprach der Pariser, »wenn wir ihn in einer Hängematte verbergen und ihm die Decke bis an die Augen ziehen würden, man könnte nicht sehen, daß er geknebelt ist, und wir würden sagen, er sei krank, und fänden einen Vortheil dabei: da sich ein Kranker nicht ganz angekleidet niederlegt, so würde Einer von uns eine Weste, Hosen und einen Kittel, Alles ganz gewärmt, erben.«

Der Vorschlag ging einstimmig durch.

»Diejenigen, welche Niederbretanisch sprechen,« sagte Pierre Herbel, »bleiben bei mir auf dem Verdecke, während die Anderen Pitcaërn Gesellschaft leisten; ich übernehme Alles.«

Hatte Herbel gesagt: »Ich übernehme Alles,« so wußte man, daß man sich auf ihn verlassen konnte; der Pariser und sein Gefährte gingen auch, Pitcaërn schleppend, hinab, während Herbel und die zwei Bretagner den Besuch erwarteten.

Er ließ nicht auf sich warten.

Eine von den Barken wandte sich gegen die Schlupe.

Um gut im Gesichte zu sein, stieg Pierre Herbel auf die Schanzverkleidung.

»Oho! Barke!« rief der Capitän, der die Abtheilung kommandierte.

»Gegenwärtig!« antwortete niederbretanisch Pierre Herbel.

»Ah! gut!« sagte der Capitän, »wir haben es mit Walisern zu thun. Ist Einer da, der die Sprache dieser Wilden spricht?«

»Ich, mein Officier,« antwortete ein Soldat; »ich bin von Caëremotra.«

»Nun, so befrage.«

»Oho! Barke,« rief der Soldat walisisch.

»Gegenwärtig!« wiederholte Herbel.

»Wer seid Ihr?«

»Die Schöne Sophie von Pembroke.«

»Woher kommt Ihr?«

»Von Amsterdam.«

»Was habt Ihr in Ladung?«

»Stockfisch.«

»Habt Ihr nicht fünf Franzosen gesehen, die von den Pontons entwichen sind?«

»Nein! doch wenn wir sie sehen, mögen sie ruhig sein.«

»Was werdet Ihr ihnen thun!«

»Wir werden sie behandeln, wie sie es verdienen.«

»Was sagen sie?« fragte der Capitän.

Der Soldat übersetzte den Dialog.

»Es ist gut!« rief der Officier. »Tod den Franzosen und es lebe König Georg!«

»Hurrah!« antworteten die drei Bretagner.

Die Barke entfernte sich.

»Glückliche Reise!« sagte Pierre Herbel. »Und nun, da es in einer halben Stunde Tag sein wird, laßt uns den Anker lichten und uns segelfertig machen.«

Unsere fünf Flüchtlinge brachten eine Stunde in der grausamsten Bangigkeit zu; endlich streifte eine gräuliche Linie den östlichen Horizont; das ist das, was man in England die Morgenröthe nennt.

Beinahe zu gleicher Zeit erschien ein lebhafter Schein, gefolgt von einem Knalle, der auf den Wällen hinlief und sich am Ufer brach, an den Flanken eines majestätischen Dreideckers, der wie eine bewegliche Festung den Eingang des Hafens bewachte.

Das war das Signal für die Schlupe, den Anker zu lichten.

Sie fragte auch nicht eine Secunde um Erlaubnis.

Man hißte die Flagge Groß-Britanniens auf und fuhr auf einen Pistolenschuß am Admiralsschiffe vorüber.

Im Vorüberfahren schwang Herbel, der auf der Schanzverkleidung stand, seinen Hut und schrie mit aller Macht seiner Lunge:

»Hurrah für König Georg!«

Die Kost an Bord der Schlupe war nicht üppig; doch im Vergleiche mit denen der Pontons waren die Mahle der fünf Gefangenen wahre Schmäuse.

Lassen wir ihnen die Gerechtigkeit widerfahren: an jedem dieser Mahle durfte der unglückliche Pitcaërn Theil nehmen. Mit der Gefahr hatte die Strenge für ihn aufgehört: man hatte ihm Knebel und Bande abgenommen, und Pierre Herbel hatte in Beziehung auf ihn die kymrische Geschichte wieder angefangen, die er seinen Gefährten gegeben. Pitcaërn hatte begriffen, war aber nicht getröstet; nur gelobte er sich fortan, denjenigen zu mißtrauen, welche Gälisch mit ihm sprechen würden.

So oft man ein Schiff im Angesichte hatte, zwang man Pitcaërn, ins Zwischendeck hinabzugehen. Man hatte sehr oft Schiffe im Angesicht. – Doch das Fahrzeug war von englischer Construction; es führte ein wesentlich britisches Segelwerk; es hatte an seiner Gabel die drei Leoparden von England, den Löwen von Schottland, die Leier von Irland und sogar die drei Lilien von Frankreich, die erst zwanzig Jahre später verschwanden.

Es ließ sich unmöglich annehmen, eine französische Nußschale wage sich so unter die englischen Kreuzer, und Niemand fiel es ein, fünf französische Gefangene in diesen so ruhig auf dem Verdecke liegenden Matrosen zu sehen, die es dem Winde und den Segeln überließen, ihre Arbeit zu verrichten. Man segelte in der That vor dem Winde, und man brauchte sich um nichts zu bekümmern.

 

Am andern Morgen, das heißt vierundzwanzig Stunden nach dem Auslaufen aus dem Hafen von Portsmouth, erblickte man deutlich das Cav de la Hogue.

Es handelte sich darum, den Wind zu pressen, um es nicht zu umschiffen, sonst gerieth man in die Archipele der Inseln Aurigny, Guernesey, Jersey, englische Besitzungen seit Heinrich I., und unbequeme Wüsteneien unserer Küsten.

Man preßte den Wind und segelte gerade auf Beaumont zu.

Es wäre schwer, die Gefühle auszudrücken, die

das Herz der Gefangenen überströmten, als sie, nachdem sie die Erde Frankreichs wie einen Nebel erschaut, dieselbe auf eine solidere Weise mit ihren Hügeln, ihren Hafen, ihren Kriken, ihren Terrainausläufern hervortreten sahen.

Und als sie gar weiße Häuser mit ihren Rauchwirbeln erblickten, waren sie dergestalt in diese Beschauung vertieft, daß sie die englische Flagge einzuziehen vergaßen.

Eine Kanonenkugel, die das Wasser hundert Klafter vor der Schlupe aufspritzen machte, entzog sie ihrer Extase.

»Nun!« sagten die Franzosen erstaunt, »was machen sie denn? sie schießen auf uns!«

»Ei! nein, alle Teufel! nicht auf uns schießen sie,« entgegnete Herbel, »sondern auf diesen blauen Fetzen!«

Und er zog rasch die Flagge ein; doch es war zu spät, die Schöne Sophie war signalisiert. Überdies hätte sie, in Ermangelung der Flagge, ihr ganzer britischer Gang verrathen.

Es ist bei der Marine wie bei der Bevölkerung: laßt die reizendste Engländerin, und wäre sie in Frankreich erzogen worden, mitten unter eine Gruppe Französinnen treten und Ihr werdet die Engländerin erkennen.

Man hatte also die Schlupe doppelt erkannt: an ihrer Tournure. Herbel mochte auch die Flagge immerhin einziehen, eine zweite Kugel folgte auf die erste und schlug so nahe bei der Schönen Sophie ein, daß sie das Wasser bis auf das Verdeck spritzen machte.

»Ah!« sagte der Pariser, »sie erkennen also offenbar die Freunde nicht?«

»Was ist zu thun?« fragten die Anderen.

»Vorrücken,« antwortete Herbei: »es ist wahrscheinlich keine französische Flagge an Bord der Schlupe, und es wird uns dasselbe in jedem Hafen begegnen, wo wir erscheinen.«

»Gut!« sagte der Pariser, »man wird wohl ein Tischtuch, eine Serviette, ein Hemd finden.«

»Ja,« erwiderte Herbel, »doch mittlerweile sind wir signalisiert, nicht wahr? wir sind als Engländer signalisiert . . . und seht, dort macht sich eine Corvette gegen uns segelfertig. In zehn Minuten wird sie Jagd auf uns machen. Nehmen wir die Jagd an, so werden wir eingeholt, und in einer Stunde sind wir in den Grund gebohrt: denn welches Mittel haben wir, wenn sie auf uns jagen, ihnen begreiflich zu machen, wir seien Franzosen. Vorwärts also, meine Kinder und es lebe Frankreich!«

Es erscholl der einstimmige Ruf: »es lebe Frankreich!« und man fuhr fort, gerade aus Beaumont zu steuern.

Einen Augenblick hörte das Feuer auf. Man hätte glauben sollen, die Kanoniere machen sich die Reflexion, diese Schlupe hätte keine große Chance, ihre Landung an der französischen Küste zu bewerkstelligen.

Nach einer Minute aber zerbrach eine neue Lage, diesmal besser gerichtet, eine Raa und stieß die Schiffsverkleidung der Schönen Sophie ab.

»Auf,« rief Herbel, »es ist nicht mehr zu zögern: hängt einen weißen Fetzen an die Spitze eines Bootshakens, und macht Zeichen, daß wir parlamentiren wollen.«

Man that, was Herbel verlangte.

Aber sah man nun den weißen Fetzen nicht, oder glaubte man nicht an das Parlamentiren. Das Feuer dauerte fort.

Während dieser Zeit hatte sich Pierre Herbel entkleidet.

»Was Teufels machst Du?« fragte der Pariser; »willst Du ihnen Deinen Hintern zeigen? Das ist keine Flagge.«

»Nein,« erwiderte Herbel, »doch ich will ihnen sagen, wer wir sind.«

Und zu gleicher Zeit stürzte er sich von der Schanzverkleidung köpflings hinab und verschwand im Meere, aber nur um zwanzig Minuten weiter wieder zu erscheinen.

Er wandte sich schwimmend gerade nach dem Hafen.

Die Schlupe ihrerseits braßte auf, zum Zeichen, sie habe durchaus nicht die Absicht, sich von der Küste zu entfernen.

Beim Anblicke dieses Mannes, der sich ins Wasser warf, dieses Schiffes, das sich selbst überlieferte, hörte das Feuer auf; bald sah man ein Fahrzeug dem Schwimmer entgegenkommen.

Der Hochbootsmann, der dieses Fahrzeug kommandierte, war gerade aus Malo.

Durch einen Zufall, den nur die Umstände wunderbar machten, hatte Pierre Herbel seinen ersten Unterricht in der Küstenfahrerei unter dem alten Seewolfe genommen.

Während er schwamm, erkannte er ihn und rief ihn bei seinem Namen.

Der Seemann hob den Kopf empor, hielt die Hand über seine Augen, verließ das Steuerruder, um nach dem Vordertheile zu laufen, und rief:

»Gott verdamme mich, wenn es nicht Pierer Herbel ist, der zu uns kommt!«

»Pfui doch! Vater Berthaut!« erwiderte Herbel, »es ist ein englischer Fluch, den Ihr mir da zugeschleudert habt, und so empfängt man einen Kameraden, und besonders einen Zögling nicht. Guten Morgen, Vater Berthaut! wie befindet sich Eure Frau? was machen Eure Kinder?«

Und indem er sich an die Barke anklammerte, sagte er:

»Ja, bei Unserer lieben Frau von Saint-Brieuc, ich bin Pierre Herbel, und ich komme von fern, dafür stehe ich Euch!«

Und ganz triefend warf er sich in die Atme des Hochbootsmannes.

Die Schlupe war so nahe bei der Barke, daß die vier Gefährten von Herbei diese kindliche Umarmung sehen konnten.

»Es lebe Frankreich!« riefen sie einstimmig.

Der Ruf gelangte zum Boote.

»Es lebe Frankreich!« antworteten die Matrosen, welche Pierre Herbel ausgenommen hatten.

»Ah!« sagte der Vater Berthaut, »das sind also auch Freunde?«

»Ich glaube wohl, und Ihr werdet selbst urtheilen.«

Herbel winkte der Schlupe, herbeizukommen.

Die Flüchtlinge ließen sich das nicht zweimal sagen. In einem Augenblicke bedeckte sich das kleine Schiff mit Segeln und rückte gegen den Hafen vor, – diesmal nicht mehr unter dem Lärmen des Musketenfeuers, sondern unter dem wiederholten Rufe: »Es lebe Frankreich! es lebe Frankreich!«

Die ganze Bevölkerung von Beaumont war aus dem Hafendamme.

Die fünf Flüchtlinge landeten.

Pierre Herbel küßte die Erde, wie es ein alter Römer gethan hätte.

Die Andern warfen sich dem Ersten dem Besten in die Arme. Was lag daran, wer die Ersten die Besten waren? waren es nicht Brüder? . . . Der Pariser wandte sich besonders an seine Schwestern.

Während dieser Zeit schaute der arme Pitcaërn diese allgemeine Freude sehr traurig an.

»Ei!« fragte der alte Berthaut, »was für ein Bursche ist denn das, der keinen Theil nimmt am Feste?«

»Das ist der Engländer, der uns sein Schiff geliehen hat,« erwiderte lachend Pierre Herbel.

»Geliehen!« sagte Berthaut: »ein Engländer hat Euch sein Schiff geliehen? Er komme doch, und wir wollen ihn mit Rosen bekränzen.«

Herbel hielt Berthaut zurück, der in seiner Begeisterung Pitcaërn an sein Herz drücken wollte.

»Alles schön!« sprach Herbel, »er hat es uns geliehen, wie wir Jersey König Georg leihen, mit Gewalt.«

»O! dann ist es etwas Anderes,« sagte Berthaut. »Ah! Du entweichst nicht nur, sondern während Du entweichst, machst du noch Gefangene! Das ist Deine Sache! Ein schöner Seemann, und eine hübsche Schlupe, bei meiner Treue! Die Schlupe ist fünfundzwanzigtausend Livres wie einen Liard werth: fünftausend Franken Jedem.«

»Pitcaërn ist nicht Gefangener,« entgegnete Herbel.

»Wie, Pitcaërn ist nicht Gefangener?«

»Nein, und seine Schlupe wird nicht verkauft werden.«

»Warum nicht?«

»Pitcaërn ist in die Falle gerathen, weil er Bretanisch spricht und ein gutes Herz hatte; ein doppelter Grund, daß wir ihn als Landsmann behandeln.«

Herbel winkte sodann dem Waliser und sagte niederbretanisch zu ihm:

»Komm hierher, Pitcaërn.«

Pitcaërn hatte nichts Besseres zu thun, als zu gehorchen, und er gehorchte; doch traurig, wider Willen, und trotzend wie ein Bullenbeißer, der seinen Meister gefunden hat.

»He!« rief Herbel, »alle Niederbretagner mögen hierher kommen.«

Es bildete sich ein großer Kreis.

»Meine Freunde,« sprach Herbel, indem er ihnen Pitcaërn vorstellte, »das ist ein Landsmann, dem wir heute ein gutes Mahl geben müssen, denn er kehrt morgen früh nach England zurück.«

»Bravo!« riefen alle Seeleute, indem sie Pitcaërn die Hand reichten.

Pitcaërn begriff das nicht; er glaubte, er sei in irgend einem ihm unbekannten Winkel des Fürstenthums Wales gelandet.

Jedermann sprach walisisch.

Herbei erzählte ihm, was vorging, und was von ihm und seiner Schlupe beschlossen worden war.

Der arme Teufel wollte nicht daran glauben.

Wir werden es nicht versuchen, eine Scene von dem Schmause zu geben, dessen Helden die fünf Gefangenen und der brave Pitcaërn waren. Man brachte den Abend bei Tische, die Nacht beim Tanze zu.

Am andern Tage geleiteten Gäste, Tänzer und Tänzerinnen Pitcaërn zur Schönen Sophie zurück, die er verproviantiert fand, wie sie es nie gewesen war: sodann als man ihm seine Segel aufziehen und den Anker lichten: endlich, da der Wind gut war, lief er majestätisch aus dem Hafen aus, unter dem Rufe: »Es leben die Bretagner! es leben die Waliser!«

Und da das Wetter an diesem Tage und am andern schön war, so hat man alle Ursache, zu glauben, der brave Pitcaërn und die Schöne Sophie seien glücklich in England gelandet, und die Erzählung dieses Abenteuers setzt heute noch die Einwohner der Stadt Pembroke in Erstaunen.

XXXVII
Die Schöne Therese

Man begreift, daß die von uns soeben erzählten Ereignisse, vergrößert durch die bretanische Poesie, verschönert durch die Pariser Aufschneiderei, Pierre Herbel einen Ruf des Muthes und der Klugheit verschafften, der ihn rasch ihn die erste Linie unter seinen Gefährten setzte, die ihm um so mehr Dank wußten, daß er ihr Gefährte war, als es Jedermann bekannt, daß er einer der ersten Familien, nicht nur von Bretagne, sondern auch von Frankreich angehörte.

Während der paar Jahre des Friedens, welche auf die Anerkennung durch England der amerikanischen Unabhängigkeit folgten, machte Pierre Herbel, um seine Zeit nicht zu verlieren, als Second und als Capitän auf Handelsschiffen, eine Reise in den Golf von Mexico und zwei Reisen nach Indien, eine nach Ceylon, die andere nach Calcutta.

Dem zu Folge als der Krieg mit mehr Wuth als je 1794 und 1795 wieder ausbrach, suchte Herbel beim Convente um ein Capitänspatent an, das ihm, kraft seiner früheren Dienste, ohne irgend eine Schwierigkeit bewilligt wurde.

Mehr noch: da Pierre Herbel wegen seiner Uneigennützigkeit und des ganz nationalen Hasses, den er gegen die Engländer hegte, bekannt war, so ermächtigte man ihn, seine Corvette oder seine Brigg, wie er wollte, zu bemannen. Es wurde ihm zu diesem Ende ein Credit von fünfmalhunderttausend Franken eröffnet, und man gab im Arsenal von Brest Befehl, den Capitän Herbel alle Waffen nehmen zu lassen, die er zur Ausrüstung seines Schiffes für nothwendig erachten würde.

Es war damals auf den Werften von St. Malo eine hübsche Brigg von fünf- bis sechshundert Tonnen, der der Capitän in ihrem Wachethume mit wahrem Interesse gefolgt war, wobei er sich sagte:

»Derjenige, welchem dieses Schiff gehören würde, ganz gehören, mit zwölf Mann Equipage in Friedenszeiten, um Handel mit Indigo und Cochenille zu treiben, und hundert und fünfzig Mann in Kriegszeiten, um auf die Engländer Jagd zu machen, hätte Recht, den König von Frankreich einst als seinen Vetter zu betrachten.«

Als Pierre Herbel seine Commission seinen Credit von fünfmalhunderttausend Franken und seine Erlaubnis, auf der Rhede von Brest auszurüsten, hatte, ging er mit mehr Beharrlichkeit als je auf der Werfte umher, wo sich wie eine Seeblume die Schöne Therese erschloß.

Pierre Herbel hatte die Brigg mit dem Namen des Mädchens, das er liebte, getauft.

Es brauchte nicht lange, um den Handel abzuschließen: der Capitän kaufte, im Namen der Regierung, den Erbauern die Brigg ab, und konnte folglich das Uebrige ihrer Construction, nämlich ihr Mastwerk und ihr Takelwerk leiten.

Nie hatte ein Vater für seine einzige Tochter, welche ihre erste Communion machen soll, die Coquetterien, welche Pierre Herbel für seine Brigg hatte.

Er maß selbst die Länge und die Dicke der Masten und die Raaen; er kaufte selbst auf dem Markte von Nantes das für ihr Segelwerk bestimmte Tuch; er ließ unter seinen Augen das Kupfer nageln, das ihren Gürtel bilden sollte, und ließ ihr lebendes Werk dunkelgrün, anmalen, so daß sich in einiger Entfernung der Schiffskörper mit den Wellen vermengt fand. Er ließ zwölf Stückpforten aus jede Seite und zwei am Hintertheil anbringen: als diese Vorbereitungsarbeit gethan war, berechnete er das Gewicht, welches dem natürlichen Gewichte der Brigg das ihrer völligen Ausrüstung beifügen würde, ersetzte es durch einen Ballast von gleichem Gewichte, fuhr dann längs der Küste von Bretagne hin, nahm zuweilen seinen Flug wie ein Seevogel, der seine Flügel versucht, umsegelte die Spitze von Sillon, kam zwischen der Insel Raz und Saint-Pol-de-Leon durch, umsegelte das Cap Renan und lies in dem Hafen von Brest ein, in seinem Gefolge drei bis vier englische Schiffe schleppend, wie ein hübsches junges Mädchen drei bis vier Verliebte nach sich zieht.

 

In der That, es wäre eine schöne Prise gewesen, die der Schönen Therese: doch die Schöne Therese war Jungfrau, und suchte gerade in Brest die Mittel, ihre Jungfrauschaft zu bewahren.

Man muß sagen, daß hinsichtlich der Vertheidigung ihr Capitän nichts sparte: sie erhielt in ihr falsches Verdeck einundzwanzig Zwölfpfünder, welche nicht durch Backbord und Steuerbord schauten, und zwei Vierundzwanzigpfünder, die am Vordertheile untergebracht wurden, für den Fall, daß sie, hätte sie es mit einer zu starken Partei zu thun, sich genöthigt sähe, die Flucht zu ergreifen, wo es ihr dann, indeß sie flöhe, nicht unangenehm wäre, wie jene Parthen furchtbaren Andenkens, ihren doppelten Pfeil abzuschießen.

Und dennoch, wenn es nöthig war, daß man in der Schönen Therese nur ein ehrliches Handelsschiff sah, das seine Geschäfte betrieb, hatte kein Schiff einen Gang, der jungfräulicher als der ihre.

Dann machten ihre einundzwanzig Zwölfpfünder einen Schritt rückwärts, ihre Vierundzwanzigpfünder zogen ihren ehernen Hals in das falsche Verdeck zurück, die Friedensflagge flatterte harmlos an ihrer Gabel, ein Tuchstreifen von derselben Farbe wie sein Kiel dehnte sich über die ganze Linie seiner Stückpforten aus, welche ganz einfach Athemöffnungen wurden.

Seine hundertfünfzig Mann Equipage legten sich in das falsche Verdeck, und die acht bis zehn Mann, welche genügen, um das Manöver einer Brigg zu machen, trieben sich entweder träg aus dem Verdeck umher, oder stiegen, um eine frischere Luft zu genießen, in die Mastkörbe, oder – die Matrosen sind so launenhaft! – belustigten sich damit, daß sie aus der großen oder kleinen Braastange ritten, und von da ihren Kameraden Nachricht über das gaben, was in den acht bis zehn Orten vorging, welche den kreisförmigen Horizont bildeten, den ein Schiff mit sich führt, sobald es nur noch das Meer unter seinem Kiele und den Himmel über seinen Masten hat.

Unter diesem friedlichen Gange lief die Brigg die Schöne Therese sechs Knöpfe in der Stunde an einem schönen Morgen des Monats September 1798 zwischen der Insel Bourbon und den Inselchen Amsterdam und St. Paul, das heißt in der großen Seefurche, die sich von der Meerenge der Sonde bis Tristan d’Acunha erstreckt, und in die sich natürlich alle Schiffe ziehen, welche, um nach Europa zurückzukehren, das Cap der guten Hoffnung umsegeln müssen.

Man wird uns vielleicht einwenden, sechs Knöpfe in der Stunde sei ein sehr kleiner Marsch: woraus wir antworten, der Wind sei sanft gewesen, das Schiff scheine keine Eile gehabt zu haben, und statt unter allen seinen Segeln zu gehen, habe es sich daraus beschränkt, seine große Marssegel, seine Focksegel und seinen großen Klüver zu entfalten.

Was die andern Segel betrifft, man bewahrte sie, wie es scheint, für eine bessere Gelegenheit.

Plötzlich rief eine Stimme, welche vom Himmel zu kommen schien:

»Ho! da unten, ho!«

»Holla!« antwortete, ohne sein Spiel zu verlassen, der Hochbootsmann, der aus dem Vordertheile mit dem Steuermann Karten spielte, »was gibt es?«

»Ein Segel!«

»In welcher Richtung?«

»Unter dem Winde zu uns.«

»He! dort,« sagte sein Spiel fortsetzend der Hochbootsmann, »benachrichtige den Capitän.«

»Ah! ja, ein Segel! ein Segel!« riefen alle Matrosen, welche theils aus dem Verdecke, theils aus der Schanzverkleidung zerstreut waren.

In der That, eine das Schiff, das am Horizont erschien, aufhebende Welle hatte es dem Auge der Matrosen sichtbar gemacht, während das Auge eines einfachen Passagiers nur den Flug einer den Gipfel der Wogen streifenden Möve gesehen hätte.

Bei dem Rufe: »Ein Segel!« sprang ein sechs bis achtundzwanzigjähriger junger Mann aus das Verdeck.

»Ein Segel?« rief er ebenfalls.

Die sitzenden Matrosen standen sogleich aus; diejenigen, welche ihren Hut aus dem Kopfe hatten, nahmen ihn in die Hand.

»Ja, Capitän,« antworteten einstimmig die Matrosen.

»Wer ist da oben?« fragte er.

»Der Pariser,« erwiderten ein paar Stimmen.

»He! da oben, hast Du immer noch Dein gutes Gesicht, Pariser,« fragte der Capitän, »oder soll ich Dir mein Fernrohr hinausschicken?«

»Ah!« rief der Pariser, »unnöthig, ich sehe von hier aus die Stunde auf der Uhr der Tuilerien.«

»Dann kannst Du uns sagen, was für ein Schiff es ist.«

»Es ist eine große Brigg, die wohl sechs bis acht Zähne mehr hat als wir, und den Wind preßt, um sich gegen uns zu wenden.«

»Unter welchem Segel fährt es?«

»Unter seinen großen Bramsegeln, seinen Marssegeln, seinem Focksegel, seinem großen Klüver und seiner Brigantine.«

»Hat es uns gesehen?«

»Wahrscheinlich, denn es läßt sein großes Segel fallen, und hißt seine Bramsegel aus.«

»Ein Beweis, daß es mit uns sprechen will,« sagte eine Stimme in der Nähe des Capitäns.

Der Capitän wandte sich um, um zu sehen, wer sich erlaube, in ein Gespräch sich zu mischen, welches so interessant war, wie das, das er führte. Er er kannte einen von seinen Lieblingsmatrosen, Pierre Berthaut, Sohn des alten Berthaut, der ihn zehn Jahre früher als Flüchtling im Hafen von Beaumont ausgenommen hatte.

»Ah! Du bist es,« sagte er lachend, indem er ihm aus die Schulter klopfte.

»Ja, Capitän, ich bin es,« antwortete der junge Mann, das Lachen durch ein Lachen erwidernd, wobei er eine doppelte Reihe herrlicher Zähne zeigte.

»Und Du glaubst, es wolle mit uns sprechen?«

»Ei! das ist meine Idee!«

»Nun wohl, mein Junge, benachrichtige den Batteriechef, wir haben ein verdächtiges Segel im Gesichte, damit er sich in den Stand setzt.«

Pierre tauchte in eine Lucke und verschwand.

Der Capitän schaute empor und rief:

»He! Pariser!«

»Capitän!«

»Welchen Gang hat das Schiff?«

»Ganz militärisch, Capitän, und obgleich es nicht möglich ist, seine Flagge zu sehen, würde ich für ein Goddamer sprechen.«

»Ihr hört Kameraden? ist Einer unter Euch, der die geringste Lust hat zurückzukehren, und eine Tour auf die Pontons zu machen?«

Fünf bis sechs Matrosen, welche die englische Gastfreundschaft gekostet hatten, antworteten einstimmig:

»Ich nicht! ich nicht, tausend Donner!«

»Nun denn, wir wollen vor Allem schauen, ob, man es aus uns abgesehen bat, und sind wir in seinen Absichten sicher, so wollen wir ihn mit den unsern bekannt machen. Zieht alle Segel der Schönen Therese auf, Kinder, damit wir den Engländern zeigen, was die Söhne von St. Malo zu thun verstehen.«

Kaum hatte der Capitän Befehl gegeben, als das Schiff, das sich, wie gesagt, einfach unter seinen Marssegeln, seinem Focksegel und seinem großen Klüver fand, wie eine doppelte Wolke seine Bramsegel, sodann sein großes Segel und zugleich seine Brigantine entrollte.

Den Wind in allen seinen Segeln empfangend, arbeitete es sich sodann in die Wogen, wie ein kräftiger Ackersmann die Pflugschaar in die Erde eindrückt.

Es trat ein Augenblick des Stillschweigens ein, bei welchem, als ob die hundertsechzig Mann, die die Equipage des Schiffes bildeten, von Marmor gewesen wären, man keinen andern Hauch hörte, als den des Windes, der die Segel anschwellte und im Tauwerk bebte.

Während dieses Augenblickes kam Pierre Berthaut zum Capitän zurück.

»Ist es geschehen?« fragte Herbel.

»Es ist geschehen.«

»Doch unsere Stückpforten sind immer bedeckt?«

»Sie wissen, daß es Ihres persönlichen Befehles bedarf, um sie zu entblößen.«

»Gut: ist der Augenblick gekommen, so wird man ihn geben.«

Wir wollen diese Worte erklären, welche für den Leser vielleicht ziemlich unbegreiflich sind.

Der Capitän war nicht nur ein Original, wie es die Wahl seines Standes beweist, sondern er war auch ein spaßhafter Charakter. Beim ersten Anblicke bot, einige Launen im Takelwerk nicht zu rechnen, welche zu entdecken man das geübte Auge eines Seemanns haben mußte, bot die Schöne Therese einen ebenso friedlichen Anblick, als ihr Name reizend war.