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III
Man wird immer nur durch die Seinigen verrathen

Fünf Minuten nachher war Herr Poirier im Besitze des Zimmer Nr. 11, und er kannte alle Winkel und Ecken desselben, als ab er dieses Zimmer sein ganzes Leben bewohnt hätte.

Herr Poirier war der Charakter, der am schnellsten mit den Menschen Bekanntschaft machte, und das Temperament, das sich am schnellsten mit den Orten familiarisirte: er erklärte indessen dem Kellner, er brauche Niemand zu seiner Bedienung, er liebe es, allein und ruhig zu essen, ohne Jemand zu haben, der ihm sein Glas voll schenke, ehe es leer sei, oder ihm seinen Teller wegnehme, so lange sich noch Speisen darauf finden.

Sebald er allein war und auf der Treppe die Tritte des Kellners hatte erlöschen hören, öffnete der falsche Poirier oder der richte Gibassier, wie man will, die Thüre wieder.

Gerade in demselben Augenblicke öffnete Herr Sarranti auch die seinige.

Gibassier hielt seine Thüre nicht geschlossen, sondern an das Gesims angelehnt.

Herr Sarranti gab dem Zimmermädchen, das sein Bett gemacht hatte, ein paar Befehle, welche andeuteten, er werde in ein paar Stunden zurück sein.

»Ho! Ho!« sagte Gibassier zu sich selbst, »es scheint, trotz der vorgerückten Stunde will mein Nachbar einen kleinen Gang machen. Sehen wir, nach welcher Seite er wandeln wird.«

Gibassier löschte die zwei Kerzen aus, welche auf seinem Tische brannten, und öffnete sein Fenster, ehe Herr Sarranti die Schwelle der Hausthüre überschritten hatte.

Einen Augenblick nachher sah er ihn hinausgehen und den Weg durch die Rue Saint-André-des-Arcs nehmen.

»Ich bin sicher, daß er zurückkommen wird,« sagte er zu sich selbst, »da er nicht errathen konnte, ich sei da, um die Befehle zu behorchen, die er gab. Bah! keine Trägheit, treiben wir unser Handwerk gewissenhaft und erfahren wir, wohin er geht.«

Er ging rasch hinab und folgte ihm durch die Rue de Bussy, über den Marché Saint-Germain, die Place Saint-Sulpice und in die Rue du Pot-de-Fer, wo er ihn in ein Haus eintreten sah, ohne nur die Nummer anzuschauen.

Gibassier war neugieriger als er: Herr Sarranti war in Nummer 28 eingetreten.

Gibassier ging die Straße hinauf, zog sich längs dem Hotel Coffé-Brissac hin und wartete.

Er wartete nicht lange: Herr Sarranti trat nur ein und kam wieder heraus.

Doch sodann, statt die Rue du Pot-de-Fer hinabzugehen, ging er dieselbe hinauf, das heißt, er ging an Gibassier vorbei, der sich kluger und schamhafter Weise gegen die Mauer umwandte, und schlug den Weg durch die Rue de Vaugirard ein. Nachdem er eine Zeit lang dieser Straße gefolgt, sodann längs dem Odeon-Theater auf der Seite des Eingangs der Schauspieler hinmarschiert war, die Place Saint-Michel überschritten hatte, drang Herr Sarranti in die Rue des Postes ein und gelangte vor ein Haus, dessen Nummer er diesmal anschaute.

Dieses Haus, unsere Leser kennen es schon, oder wenn sie es nicht wiedererkennen, so werden sie es auf die erste Bezeichnung erkennen. Neben der Impasse des Vignes und gegenüber der Rue du Pauits-aui-parle liegend, war es kein anderes, als jener Zauberbecher, durch welchen, Korkkügelchen ähnlich, diese so vergeblich von Herrn Jackal im Hause gesuchten und so wunderbar von ihm bei seinem gefahrvolIen Hinablassen zu Gibassier wiedergefundenen Carbonari verschwunden waren.

Der Exgaleerensklave erbleichte, als er die berüchtigte Rue du Puits-qui-parle erblickte und in dieser Straße den Brunnen, in dem er so lange und traurige Stunden zugebracht hatte. Ein unbekannter Schauer durchzog seinen ganzen Leib, und ein kalter Schweiß befeuchtete seine Stirne. Zum ersten Male seit seinem Abgange aus dem Hotel-Dieu, um nach Kehl zu reisen, empfand er einen schmerzlichen Eindruck.

Die Straße war einsam. Herr Sarranti, als er vor dem Hause angelangt war, blieb stehen und erwartete ohne Zweifel, um einzutreten, die vier anderen Gefährten, die zur Einführung nöthig, welche, wie man sich erinnert, zu fünf und fünf stattfand.

Bald erschienen drei in Mäntel gehüllte Männer und gingen gerade auf Herrn Sarranti zu, und nachdem sie das Erkennungszeichen ausgetauscht hatten, warteten alle Vier auf den Fünften.

Gibassier schaute umher, um zu sehen, ab der Fünfte nicht komme, und als er nicht einmal einen Schatten erscheinen sah, dachte er, das sei der rechte Augenblick, um einen Meisterstreich auszuführen.

Durch Herrn Jackal in die Mysterien dieses Hauses eingeweiht, mit den Maurerzeichen aller geheimen Gesellschaften vertraut, schritt er gerade aus die Gruppe zu, nahm die erste Hand, die sich gegen ihn ausstreckte, und machte das Erkennungszeichen, dieses Zeichen bestand darin, daß man dreimal die Hand von innen nach außen drehte.

Hieraus steckte einer von den Männern den Schlüssel in das Schloß , und alle Fünf traten ein.

Das Innere des Hauses war ausgebessert und so wieder angemalt, daß keine Spur mehr von der Passage von Carmagnole durch die Mauer und vom Sturze von Vol-au-Vent durch den Fensterrahmen blieb.

Diesmal war zwar nicht davon die Rede, in die Katakomben hinabzusteigen. Vier einander unbekannte Chefs hatte man zusammenberufen, um die vertraulichen Mittheilungen von Herrn Sarranti zu empfangen.

Dieser kündigte ihnen an, binnen drei Tagen werde der Herzog von Reichstadt in Saint-Leu-Taverny sein; und er gedenke dort bis zu dem Augenblicke verborgen zu bleiben, wo man nöthig hätte, dem Volke die Fahne zu zeigen, in deren Namen man sich erhob.

Da es die Gewohnheit der Affiliirten war, um die Polizei irre zu führen, jede Gelegenheit zu benutzen, die sich ihnen zu einer Versammlung bot, so wurde verabredet, es sollten sich, weil am anderen Tage das Leichenbegängniß des Herrn Herzog de la Rochefoucauld stattfand, alle Logen und alle Vente entweder in der Himmelfahrtskirche oder in den umliegenden Straßen einfinden.«

Hier würde man die letzten Instructionen der obersten Venta empfangen.

In jedem Falle sollte bis zur Ankunft des Herzogs von Reichstadt ein Ausschuß in Permanenz bleiben.

Man trennte sich um ein Uhr des Morgens.

Gibassier befürchtete nur Eines: vor der Thüre den Assiliirten zu treffen, dessen Platz er eingenommen; dieser war nicht da. Ohne Zweifel war er gekommen; doch da er seine vier Gefährten nicht hatte kommen sehen, so hatte es ihm Langweile gemacht, auf sie zu warten, und er war im Glauben, die Sache sei verschoben, nach Hause zurückgekehrt.

Herr Sarranti verließ seine vier Gefährten vor der Thüre, und Gibassier, der nicht bezweifelte, er kehre nach dem Hotel du Grand-Turc zurück, verschwand an der Ecke der ersten Straße, lief über Hals und Kopf, kam ihm zehn Minuten zuvor, trat in das Gasthaus ein, setzte sich zu Tische und aß mit dem Hunger eines Reisenden« welcher mit verhängten Zügeln fünfunddreißig bis vierzig Meilen gemacht, und die Befriedigung eines Menschen hat, der sich bewußt ist, er habe gewissenhaft seine Pflicht erfüllt.

Er empfing auch den süßen Lohn für alle seine Mühewaltungen, als er auf der Treppe den Tritt von Herrn Sarranti hörte, den er schon studiert hatte, um ihn unter tausend zu erkennen.

Die Thüre von Nummer 6 öffnete sich und schloß sich wieder.

Alsdann hörte Gibassier das Knirschen des Schlüssels, der zweimal im Schlosse gedreht wurde. Das war ein sicheres Zeichen, daß Herr Sarranti nach Hause gekommen war, um nicht mehr auszugehen, – wenigstens bis am andern Morgen.

»Gute Nacht, lieber Nachbar,« murmelte Gibassier.

Dann klingelte er dem Kellner.

Der Kellner erschien.

»Sie werden bei mir morgen früh oder vielmehr heute um sieben Uhr,« sagte Gibassier sich verbessernd, »einen Commissionär eintreten lassen. Er wird einen sehr pressanten Brief in die Stadt zu tragen haben.«

»Will der Herr den Brief mir geben,« erwiderte der Kellner, »so wird man ihn wegen einer solchen Kleinigkeit nicht aufwecken.«

»Einmal ist mein Brief keine Kleinigkeit,« sagte Gibassier, »und dann wird es mir gar nicht unangenehm sein, wenn man mich so frühzeitig weckt.«

Der Kellner verbeugte sich zum Zeichen des Gehorsams und nahm das Couvert weg; nur bat ihn Gibassier, im Zimmer ein herrliches kaltes Huhn, und was von seiner zweiten Flasche Bordeaux übrig war, zu lassen, indem er sagte, wie König Ludwig XIV. liebe er es nicht« zu schlafen, ohne ein en cas1 im Bereiche seiner Hand zu haben.

Der Kellner stellte aus den Kamin das unberührte Huhn und die angegriffene Flasche.

Hiernach entfernte er sich mit dem Versprechen, den Commissionär am Morgen auf den Schlag sieben Uhr eintreten zu lassen.

Als der Kellner weggegangen war« schloß Gibassier seine Thüre doppelt, öffnete den Secretär, in welchem eine Feder, Tinte und Papier zu finden er sich vorher schon versichert hatte, und fing an für Herrn Jackal seine Reiseeindrücke von Kehl nach Straßburg zu schreiben.

Wonach er sich zu Bette legte.

Um sieben Uhr klopfte der Commissionär an die Thüre.

Schon auf, schon angekleidet, schon bereit, ins Feld zu ziehen, rief Gibassier:

»Herein!«

Der Commissionär trat ein.

Gibassier warf einen raschen Blick auf ihn, und ehe dieser Mensch nur ein Wort gesprochen, erkannte er den Vollblut-Auvergnat: er konnte ihm seine Botschaft mit vollem Vertrauen übergeben.

Er gab ihm zwölf Sous statt zehn, erklärte ihm alle Winkel des Palastes der Rue de Jerusalem, und sagte ihm, die Person, an welche der Brief gerichtet sei, müsse an diesem Morgen von einer großen Reise zurückgekommen sein, oder werde im Verlaufe des Tages zurückkommen.

 

Sei diese Person zurückgekommen, so soll er ihr den Brief zu eigenen Händen im Aufträge von Herrn Bagnères de Toulon, – das war der aristokratische Name von Gibassier, – übergeben; sei sie noch nicht angekommen, so soll er den Brief bei ihrem Secretär zurücklassen.

Der Auvergnat ging völlig unterrichtet ab.

Es verlief eine Stunde. Die Thüre von Herrn Sarranti blieb geschlossen; nur hörte man ihn hin und hergehen und die Meubles seines Zimmers verrücken.

Um etwas zu thun, beschloß Gibassier, zu frühstücken.

Er klingelte dem Kellner, ließ sich sein Gedeck legen, sein Huhn und seinen Rest von Bordeaux vorsetzen, und schickte den Kellner wieder weg.

Gibassier hatte schon seine Gabel in den Schlägel seines Huhns gesteckt, er hatte schon sein Messer dem Gelenke des Flügels genähert, in dessen Gliederfuge er es schlüpfen zu lassen sich anschickte, als die Thüre feines Nachbars auf ihren Angeln knarrte.

»Teufel!« sagte er, indem er aufstand, »mir scheint, wir gehen sehr frühzeitig aus.«

Seine Augen richteten sich auf die Pendeluhr: sie bezeichnete ein Viertel nach acht.

»Ei! Ei!« fügte er bei, »es ist nicht mehr so früh.«

Herr Sarranti ging die Treppe hinab.

Wie am Tage vorher lief Gibassier ans Fenster, aber er öffnete es diesmal nicht, sondern schob nur die Vorhänge auseinander: doch er wartete vergebens: Herr Sarranti erschien nicht auf dem Platze.

»Ho! Ho!« sagte Gibassier zu sich selbst, »was macht er denn unten? sollte er seine Rechnung bezahlen? denn er kann unmöglich so schnell hinausgegangen sein, daß ich zu spät ans Fenster gekommen wäre . . . Wenn er nicht etwa an der Mauer hingegangen ist,« dachte er; »selbst in diesem Falle könnte er noch nicht fern sein.«

Und rasch das Fenster öffnend neigte sich Gibassier hinaus, um den Platz in allen Richtungen auszukundschaften.

Nichts, was Sarranti glich.

Er wartete ungefähr vier bis fünf Minuten, und da er nicht errathen konnte, warum Herr Sarranti nicht hinausging, so schickte er sich an hinabzugehen, um sich nach ihm zu erkundigen, als er ihn endlich die Thürschwelle überschreiten und sich, wie am vorhergehenden Tage, nach der Rue Saint-André-des-Arcs wenden sah.

»Ich vermuthe wohl, wohin Du gehst,« murmelte Gibassier; »Du gehst in die Rue du Pot-de-Fer. Du hast gestern Niemand zu Hause getroffen, und Du willst sehen, oh Du heute glücklicher bist. Ich könnte es wohl unterlassen, Dir zu folgen, doch die Pflicht vor Allem.«

Und er nahm seinen Hut und sein Cache-nez, ließ sein Huhn unberührt, und erkannte die Güte der Vorsehung, die ihm diesen kleinen Morgengang auferlegte, um seinen Appetit zu reizen.

Doch zu seinem großen Erstaunen wurde er auf der letzten Stufe der Treppe von einem Manne angehalten, in dem er an seinem Gesichte und an seiner Miene sogleich einen untergeordneten Agenten der Polizei erkannte.

»Ihre Pariere?« fragte ihn dieser.

»Meine Papiere?« wiederholte Gibassier erstaunt.

»Bei Gott! Sie wissen wohl, daß man, um in einem Hotel-garni zu wohnen, Papiere haben muß.«

»Das ist richtig,« sagte Gibassier, »nur glaubte ich nicht, man habe um von Bondy nach Paris zu gehen, einen Paß nöthig.«

»Hat man seine Wohnung in Paris, oder man wohnt bei einem Freunde – nein; wohnt man aber in einem Hotel garni – ja.«

»Ah! das ist richtig«« sprach Gibassier, der besser als irgend Jemand aus der Erfahrung, die er in der Vergangenheit hierüber gemacht hatte, die Nothwendigkeit eines Passes, um ein Lager zu finden, kannte; »man wird Ihnen auch seine Papiere zeigen.«

Und er störte in allen Taschen seiner Castorine.

Die Taschen der Castorine von Gibassier waren leer.

»Was Teufels habe ich denn mit meinen Papieren gethan?« sagte er.

Der Agent machte eine Geberde, die man mit den Worten übersetzen konnte: »Sobald ein Mensch seine Papiere nicht sogleich findet, findet er sie nie.«

Und durch einen Wink empfahl er Wachsamkeit zwei in schwarze Ueberröcke gekleideten Männern, welche, dicke Stöcke tragend, unter dem Thore des Gasthauses warteten.

»Ah! alle Wetter!« sagte Gibassier; »ich weiß, was ich mit meinen Papieren gemacht habe.«

»Desto besser!« erwiderte der Agent.

»Ich habe sie im Posthause von Bondy gelassen, als ich meine Courier-Verkleidung ablegte, um meine Postillons-Tracht anzuziehen.«

»Wie?« fragte der Agent.

»Ja,« sagte Gibassier lachend ; »zum Glücke brauche ich keine Papiere.«

»Wie, Sie brauchen keine Papiere?«

»Nein.« .

Und sich dem Ohre des Agenten nähernd, sagte er:

»Ich bin Einer der Ihrigen.«

»Der Unserigen ?«

»Ja, lassen Sie mich also passieren.«

»Ah! Ah! Sie haben Eile, wie es scheint?«

»Ich folge Jemand,« sagte Gibassier mit einer Miene des Einverständnisses und mit dem Auge blinzelnd.

»Sie folgen Jemand?«

»Ich folge einem Verschwörer, und zwar einem der Gefährlichsten.«

»Wahrhaftig! Und wo ist dieser Jemand?«

»Ei! Sie mußten ihn sehen: es ist der Mann, der so eben hinabging ; fünfzig Jahre, ergrauender Schnurrbart, bürstenförmig geschnittene Haare, militärische Tournure. Sie haben ihn nicht gesehen?«

»Doch, ich habe ihn gesehen.«

»Nun wohl ,« sagte Gibassier immer lachend, »er war es, den Sie verhaften mußten, und nicht ich.«

»Ja, doch da er seine Papiere hatte, und zwar vollkommen in Ordnung, so ließ ich ihn passieren, und da Sie die Ihrigen nicht haben, so verhafte ich Sie.«

»Wie! Sie verhaften mich?«

»Allerdings; glauben Sie etwa,-ich werde mir Zwang anthun?«

»Sie verhaften mich?«

»Ja, Sie.«

»Mich, den speziellen Agenten von Herrn Jackal?«

»Der Beweis?«

»Gut! ich werde Ihnen den Beweis geben, und das wird nicht schwierig sein.«

»Geben Sie also.«

»Doch mittlerweile entflieht vielleicht mein Mann!« rief Gibassier.

»Ja, ich begreife, und Sie würden gern dasselbe thun wie er.«

»Ich, entfliehen? Ah! warum denn? Man sieht wohl, daß Sie mich nicht kennen! Entfliehen, nein; ich finde meine neue Lage zu unangenehm . . . «

»Gut! Gut!« sagte der Agent, »genug der Worte.«

»Wie, genug der Worte . . . «

»Ja, folgen Sie mir, oder . . . «

»Oder?«

»Oder man wird bewaffnete Mannschaft requirieren.«

»Da ich Ihnen aber sage,« wiederholte Gibassier schäumend vor Zorn, »ich gehöre zur speciellen Polizei von Herrn Jackal.«

Der Agent schaute ihn mit einer Miene der Verachtung an, welche bedeutete: »Sie abgeschmackter Mensch!«

Und er zuckte die Achseln und winkte den zwei Agenten in schwarzem Ueberrock ihm zu Hilfe zu kommen.

Sie kamen als zu dieser Uebung dressierte Leute herbei.

»Nehmen Sie sich in Acht, mein Freund!« sagte Gibassier.

»Ich bin nicht der Freund von Individuen, welche keinen Paß haben,« erwiderte der Agent.

»Herr Jackal wird Sie streng bestrafen!«

»Mein Befehl ist, auf die Polizei-Präfectur die Reisenden zu fuhren, welche keinen Paß haben; Sie haben keinen Paß, ich führe Sie auf die Polizei-Präfectur; nichts kann einfacher sein-« -

»Aber, Donnerwetter, ich sage Ihnen . . . «

»Zeigen Sie Ihr Auge

»Mein Auge?« versetzte Gibassier. »Es ist gut für subalterne Agenten wie Sie, ein Auge zu haben; doch ich, ich . . . «

»Ja, Sie haben zwei, ich begreife; nun wohl! dann werden Sie den Weg besser erkennen, dem wir folgen. Vorwärts!«

»Sie wollen es?«

»Ich glaube wohl, daß ich es will.«

»Halten Sie sich nur an sich selbst wegen des Schlimmen, das Ihnen widerfahren wird.«

»Vorwärts! Vorwärts! es ist genug in den Tag hinein geschwatzt; folgen Sie mir gutwillig, oder man wird genöthigt sein, Gewalt anzuwenden.«

Und der Agent zog aus seiner Tasche ein hübsches kleines Paar Daumeneisen, das nur die Ehre haben wollte, Bekanntschaft mit den Händen von Gibassier zu machen.

»Gut,« sagte Gibassier, der wohl einsah, in welcher falschen Stellung er sich befand, und in welche noch falschere er sich bringen konnte, »ich folge Ihnen.«

»Dann werde ich die Ehre haben, Ihnen den Arm anzubieten, während diese zwei Herren hinter uns gehen sollen,« sagte der Agent, »denn Sie scheinen mir ein Bursche zu sein, der im Stande ist, sich an der nächsten Straßenecke aus dem Staube zu machen.«

»Ich habe meine Pflicht gethan,« sprach Gibassier, indem er die Hand zum Himmel erhob, als wollte er ihn zum Zeugen nehmen, daß er in der That bis zum Ende gekämpft habe.

»Rasch, Ihren Arm, und noch etwas Besseres!«

Gibassier wußte, wie sich der Arm eines Menschen, den man verhaftet, aus den Arm des Mannes legt, der verhaftet. Er ließ sich also nicht mehr bitten und gewährte dem Agenten jede Leichtigkeit.

Dieser erkannte einen Kunden.

»Ah!« sagte er, »es ist nicht das erste Mal, daß Ihnen das begegnet, mein guter Mann.«

Gibassier schaute den Agenten mit der Miene eines Mannes an, der in seinem Innern sagt: »Gut! doch wer zuletzt lacht, lacht am Besten.«

Dann sprach er entschlossen laut:

»Lassen Sie uns gehen!«

Und Gibassier und der Agent verließen das Hotel du Grand-Turc wie zwei gute alte Freunde.

Die zwei Polizeimenschen in schwarzem Ueberrocke kamen sodann, mit der zarten Aufmerksamkeit, daß sie sich den Anschein gaben, als gehörten sie, wie Grippe-Soleil, nicht zu der Gesellschaft von Monseigneur.

IV
Der Triumph von Gibassier

Gibassier und der Agent wandten sich also oder der Polizeiagent wandte vielmehr Gibassier nach der Rue de Jerusalem.

Man begreift, daß nach den durch den Beglaubiger der Passe genommenen Maßregeln jede Flucht unmöglich war.

Fragen wir übrigens zum Ruhme von Gibassier bei, daß ihm der Gedanke, zu fliehen, nicht einmal kam.

Mehr noch: das spöttische Aussehen seiner Physiognomie, das Lächeln des Mitleids, das auf seinen Lippen schwebte, wenn er den Agenten anschaute, die sorglose, ungezwungene, hochmüthige Art, wie er sich auf die Polizei-Präfectur führen ließ, offenbarten ein ruhiges Gewissen. Mit einem Worte, er schien seinen Entschluß gefaßt zu haben und ging mehr als ein stolzer Märtyrer, denn als ein ergebenes Opfer einher.

Von Zeit zu Zeit warf ihm der Agent einen Seitenblick zu.

Je näher Gibassier der Präfectur kam, desto mehr, statt sich zu verdüstern, heiterte sich seine Stirne auf; er dachte an den Sturm von Fluchen, den der Zorn von Herrn Jackal bei seiner Rückkehr auf das Haupt des unglücklichen Agenten würde fallen lassen.

Diese Heiterkeit, welche wie eine Glorie um die reinen Stirnen glänzt, fing an den Führer von Gibassier zu erschrecken. Während des ersten Viertels vom Wege hatte er keinen Zweifel gehabt, er bringe einen wichtigen Fang; auf halbem Wege zweifelte er; aus drei Vierteln war er überzeugt, er habe eine Dummheit begangen.

Der Zorn von Herrn Jackal, mit dem ihn Gibassier bedroht hatte, fing schon an, wie es ihm schien, schwer über seinem Haupte zu tosen.

Eine Folge hiervon war, daß nach und nach der Arm des Agenten sich lockerte und dem Arme von Gibassier die Freiheit seiner Bewegungen ließ.

Gibassier bemerkte diese relative Freiheit, die ihm gewährt wurde; da er sich aber nicht in der Ursache täuschte, welche die Armmuskeln seines Gefährten lockerte, so schien er nicht darauf Acht zu geben.

Der Agent, der Danksagungen von seinem Gefangenen zu erhalten hoffte, ward äußerst unruhig, als er bemerkte, so wie sein eigener Arm sich abspanne, schließe sich der von Gibassier fester an.

Er hatte einen Gefangenen gemacht, der ihn nicht loslassen wollte.

»Teufel,« sagte er zu sich selbst, »sollte ich mich geirrt haben?«

Er blieb einen Augenblick stehen, um zu überlegen, schaute Gibassier vom Kopfe bis zu den Füßen an, und da er sah, daß dieser ihn seinerseits von den Füßen bis zum Kopfe mit einer spöttischen Miene anschaute, welche immer mehr beunruhigend wurde, so sagte er zu ihm:

»Mein Herr, Sie kennen die Strenge unserer Pflichten. Man sagt zu uns: »»Verhafte!«« und wir verhaften ; daraus geht zuweilen hervor, daß wir in beklagenswerthe Irrthümer verfallen. Es ist wahr, daß wir meistens Verbrecher festnehmen, es geschieht aber auch manchmal aus Irrthum, daß wir die Hand an ehrliche Leute legen.«

»Sie glauben?« fragte Gibassier mit höhnischer Miene.

»Und zwar an sehr ehrliche Leute,« wiederholte der Agent.

Gibassier schaute ihn mit einer Miene an, welche bezeichnete: »Ich bin ein lebendiger Beweis hiervon.«

Die Heiterkeit dieses Blickes verrückte dem Polizeimann vollends den Kopf, und im Tone ausnehmender Höflichkeit fügte er bei:

»Mein Herr« ich befürchte, ich habe einen Mißgriff dieser Art begangen, doch es ist noch Zeit, ihn wieder gut zu machen.«

 

»Ei! was wollen Sie damit sagen?« fragte verächtlich Gibassier.

»Ich will sagen, mein Herr, ich befürchte einen ehrlichen Mann verhaftet zu haben.«

»Ich glaube es wohl, bei Gott! daß Sie das befürchten müssen,« erwiderte der Galeerensklave, indem er ihn mit strengem Auge anschaute.

»Ich hielt Sie beim ersten Anblicke für eine zweideutige Person; doch ich sehe nun, daß dem nicht so ist, und daß Sie im Gegentheile von den Unsern sind.«

»Von den Ihrigen?« sagte verächtlich Gibassier.

»Und,« fügte der Agent demüthig bei, »wie ich so eben bemerkte, da es noch Zeit ist, diesen kleinen Mißgriff wieder gut zu machen . . . «

»Nein, mein Herr, es ist nicht mehr Zeit,« entgegnete lebhaft Gibassier, »denn in Folge dieses Mißgriffes ist der Mann, über den ich zu wachen beauftragt war, entkommen . . . Und was für ein Mann? Ein Verschwörer, der vielleicht in acht Tagen die Regierung umgestürzt haben wird . . . «

»Mein Herr, wenn Sie wollen, so unternehmen wir Beide sogleich seine Verfolgung, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir Beide . . . «

Es lag nicht in den Wünschen von Gibassier, mit irgend Jemand die Ehre des Fanges von Herrn Sarranti zu theilen.

Er unterbrach auch seinen subalternen Collegen:

»Nein, mein Herr, und Sie werden, wenns beliebt, vollenden, was Sie angefangen haben.«

»Oh! Nein,« erwiderte der Agent.

»Oh! ja«« sprach Gibassier.

»Nein, und zum Beweise gehe ich.«

»Sie gehen?«

»Ja.«

»Sie gehen, wie?«

»Wie man geht. Ich bezeuge Ihnen meine Ehrfurcht und wende Ihnen den Rücken zu.«

Und der Agent pirouettirte in der That auf seinen Absätzen und wandte Gibassier den Rücken zu, doch dieser packte ihn nun seinerseits beim Arme, ließ ihn einen Halbkreis links beschreiben, und sagte:

»Nein, Sie haben mich verhaftet, um mich nach der Polizei-Präfectur zu führen, und Sie werden mich dahin führen.

»Ich werde Sie nicht dahin führen.«

»Oh! Sie werden mich dahin führen, alle Teufel! oder Sie werden sagen, warum nicht. Verliere ich meinen Mann« so muß Herr Jackal wissen, wer ihn mich verlieren gemacht hat.«

»Nein, mein Herr, nein!«

»Dann verhafte ich Sie und führe Sie auf die Präfectur, verstehen Sie wohl?«

»Sie verhaften mich?«

»Ja, ich.«

»Und mit welchem Rechte?«

»Mit dem Rechte des Stärkeren.«

»Ich werde meine zwei Männer rufen.«

»Thun Sie das nicht, oder ich rufe die Vorübergehenden. Sie wissen, daß Sie nicht angebetet sind, meine Herren von der Rothen, und ich erzähle, nachdem Sie mich ohne Grund verhaftet haben, wollen Sie mich freilassen, weil Sie wegen Ihres Mißbrauchs der Gewalt bestraft zu werden befürchten . . . wir sind, bei meiner Treue! so nahe am Flusse! . . . «

Der Polizeimann wurde weiß wie ein Leintuch; die Vorübergehenden fingen in der That an sich anzuschaaren. Er wußte aus der Erfahrung, daß das Volk zu jener Zeit keine sehr große Zärtlichkeit für die Monchards hegte. Erschaute Gibassier mit einer so flehenden Miene an, daß dieser auf dem Punkte war, sich erweichen zu lassen.

Doch genährt von den Maximen von Herrn von Talleyrand, drängte Gibassier diese erste Bewegung zurück: er mußte vor Allem bei Herrn Jackal gerechtfertigt sein.

Er schloß daher seine Hand in Form einer Zange um das Faustgelenke des Agenten und führte ihn, vom Gefangenen Gendarme werdend, er mochte wollen oder nicht, auf die Präfectur.

Der Hof der Präfectur war voll von einer ungewöhnlichen Menge.

Was wollte diese Menge hier?

Wir sagten in einem vorhergehenden Kapitel, man habe unbestimmt durch die Luft etwas wie die ersten Winde eines Aufstandes ziehen gefühlt.

Diese Menge, welche den Hof füllte, bestand aus Personen, die eine Rolle beim Aufstande spielen sollten und hierher kamen, um das Losungswort zu holen.

Gibassier, der seit Euer Jugend gewohnt war, in den Hof der Präfectur mit Handschellen einzutreten und sich, in einem vergitterten Wagen daraus zu entfernen, empfand eine Freude ohne Beimischung, als er in diesen Hof führend, statt geführt zu werden, eintrat.

Der Eintritt von Gibassier war in der That ein Triumpheinzug. Er hielt den Kopf hoch und die Nase im Winde, während sein unglücklicher Gefangener ihm folgte wie eine rhedelos gemachte Fregatte dem hochbordigen Schiffe folgt, welches sie, alle Segel im Winde und mit wehender Flagge, im Schlepptau führt.

Es herrschte einen Augenblick Zweifel in dieser ehrenwerthen Menge. Man glaubte Gibassier in seiner Bastide2 in Toulon, und nun erschien Gibassier plötzlich wie ein Chef in Funktion.

Gibassier aber, als er sah, in welchem Zweifel man über ihn schwebte, grüßte nach rechts und nach links, die Einen mit einer freundschaftlichen Miene, die Anderen mit einer Protectorsmiene; so daß sich auf diese Begrüßung ein sanftes Gemurmel erhob und Mehrere mit einem Eifer auf ihn zukamen, der von ihrem Glücke, einen alten Collegen wiederzufinden, zeugte.

Man wechselte tausend Händedrücke und tausend Complimente, und dies zur großen Verwirrung des Agenten, den Gibassier mit Mitleid anzuschauen anfing. Dann stellte man Gibassier dem Aeltesten der Brigade vor, einem ehrwürdigen Fälscher, der, unter gewissen zwischen ihm und Herrn Jackal verhandelten Bedingungen, in die Welt zurückgekehrt war. Er kam von Brest; er hatte auch Gibassier nicht gekannt, und Gibassier kannte ihn nicht; doch der Letztere hatte so oft bei seinen Abendgesellschaften an der Küste des Mittelländischen Meeres von diesem ausgezeichneten Greise reden hören, daß er seit langer Zeit seine ehrwürdigen Hände zu drücken wünschte.

Der Aelteste empfing ihn väterlich.

»Mein Sohn,« sprach er zu ihm, »längst wünschte ich Sie zu sehen. Ich habe Ihren Vater sehr gut gekannt . . . «

»Meinen Vater?« versetzte Gibassier, der nie einen Vater von sich gekannt hattet »dieser Bursche ist glücklicher als ich.«

»Es ist ein wahres Glück,« fuhr der Aelteste fort, »an Ihnen die Züge dieses rechtschaffenen Mannes wiederzufinden. Bedürfen Sie einiger Rathschläge, so wenden Sie sich an mich, mein Sohn; ich stelle mich zu Ihrer Verfügung.«

Die ganze Gesellschaft schien neidisch auf dieses Patent eines großen Mannes zu sein, das ihr Aeltester Gibassier gegeben hatte.

Sie umringte den Galeerensklaven, und nach fünf Minuten hatte Herr Bagnères de Toulon vor den Augen des durch einen solchen Triumph völlig verdummten Agenten tausend Dienstanerhieten und tausend Freundschaftsbetheuerungen empfangen.

Gibassier scheute ihn mit der Miene eines Mannes an, welcher fragt: »Nun, habe ich Sie belogen?«

Der Agent neigte dass Haupt.

»Sagen Sie nun,« sprach Gibassier zu ihm, »gestehen Sie offenherzig, daß Sie nur ein Esel sind?«

»Ich gestehe es offenherzig,« antwortete der Polizeimann, der wohl noch etwas ganz Anderes gestanden haben würde, hätte ihn Gibassier darum gebeten.

»Nun wohl,« sagte Gibassier, »sobald Sie dies gestehen, ist die Ehre befriedigt, und ich verspreche Ihnen, mild gegen Sie bei der Rückkehr von Herrn Jackal zu sein.«

»Bei der Rückkehr von Herrn Jackal?« fragte der Agent.

»Ja, bei der Rückkehr von Herrn Jackal werde ich mich damit begnügen, daß ich ihm Ihren Mißgriff als ein Uebermaß von Eifer vorstelle. Sie sehen, daß ich ein guter Teufel bin.«

»Herr Jackal ist schon zurückgekommen,« sagte der Agent, der, befürchtend, den guten Willen von Gibassier erkalten zu sehen, sich beeiferte, ihn unverzüglich zu benützen.

»Wie! Herr Jackal ist zurückgekommen?« rief Gibassier.

»Ja, allerdings.«

»Und seit wann?«

»Seit diesem Morgen um sechs Uhr-«

»Und Sie sagten mir das nicht!« rief Gibassier mit donnernder Stimme.

»Sie haben es mich nicht gefragt, Excellenz,« antwortete demüthig der Agent.

»Sie haben Recht, mein Freund,« erwiderte Gibassier sich besänftigend.

»Mein Freund!« murmelte der Agent; »Du hast mich Deinen Freund genannt, o großer Mann! befiehl, was ich für Dich thun kann!«

»Zu Herrn Jackal wollen wir gehen, alle Teufel! und zwar ohne eine Minute zu Verlieren.«

»Gehen wir,« sagte der Agent, indem er Schritte von einem Metre machte, während die Normaltrennung seiner Beine nur zwei und ein halber Fuß war.

Gibassier grüßte die Versammlung zum letzten Male mit der Hand winkend, durchschritt den Hof, vertiefte sich ein paar Schritte unter dem Gewölbe, das dem Thore gegenüber liegt, wühlte links dieselbe kleine Treppe, die wir Salvator haben wählen sehen, stieg zwei Stockwerke hinauf, eilte durch einen düsteren Corridor rechts und kam vor die Thüre des Cabinets von Herrn Jackal.

Der Aufwärter vom Dienste, der nicht Gibassier, sondern den Agenten erkannte, öffnete sogleich die Thüre von Herrn Jackal.

»Nun, was machen Sie, Dummkopf?« fragte Herr Jackal. »Habe ich Ihnen nicht gesagt , ich sei nur für Gibassier zu Hause?«

»Hier bin ich, lieber Herr Jackal!« rief Gibassier.

1Für den Fall, daß er Hunger bekäme.
2Bastide im Süden von Frankreich Landhaus, Lufthaus, wird im Scherze häufig für Galeeren gebraucht.