Die Großmeister des Mordes: Alfred Bekker präsentiert 12 Strand Krimis

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16

Die Fahndung nach Max O'Flaherty blieb auch in den folgenden Tagen ergebnislos. Der Mann, der sich selbst SmartMax nannte war wie vom Erdboden verschluckt. Wir konnten nur hoffen, dass er noch am Leben war.

Bei den Tätern, die seine Wohnung verwüstet hatten, hatte es sich offenbar um Profis gehandelt. Jedenfalls hatte keiner von ihnen Fingerabdrücke oder andere verwertbare Spuren hinterlassen. Und bei den Computern in O'Flahertys Wohnung waren sämtlich die Festplatten entfernt worden. Außerdem hatten die Unbekannten nicht eine einzige Diskette oder CD-Rom in der Wohnung zurückgelassen.

Die Vermutung lag nahe, dass O'Flaherty tiefer in die sogenannte 'große Sache' verwickelt war, als er uns hatte Glauben machen wollen.

Was die anderen Mitglieder aus Mark Sorellos ehemaliger Clique anging, so war ein halbes Dutzend unserer Agenten damit beschäftigt, sie der Reihe nach zu vernehmen. Aber weder diese Vernehmungen noch die Beschattung dieser Leute brachte irgendetwas an Erkenntnissen. Kontakt mit Mark Sorello hatte in den letzten Jahren nur zwei auf dieser Liste gehabt. Jason Fenton lebte im nördlich von Yonkers gelegenen St. David's Asylum, einer geschlossenen Rehabilitationseinrichtung für Drogensüchtige, um sich von den Folgen seines Kokainmissbrauchs zu erholen. Sorello hatte regelmäßig mit ihm telefoniert und ab und zu auch Emails ausgetauscht. Bei dem Zweiten handelte es sich um Eric McCourtney, den unser Kollege Leslie Morell in seiner Wohnung in der South Bronx auftrieb, wo er einen Handel mit gebrauchten Computern betrieb. Die Herkunft dieser Ware war mehr als zweifelhaft, aber es war so gut wie ausgeschlossen, dass einer der beiden hinter dem Namen 'The Virus' steckte.

Fast konnte man den Eindruck gewinnen, dass wir einer riesengroßen Ente aufgesessen waren.

Aber da war immer noch die Tatsache, dass es an der Ecke Bedford/Seventh Avenue eine wüste Schießerei gegeben hatte und auf Mark Sorello ein Profi-Killer der Extra-Klasse angesetzt worden war.

Und für beides musste es Gründe geben.

Ebenso wie für das Verschwinden von O'Flaherty.

Wir fingen wieder ganz von vorne an. Mit der Schießerei Ecke Bedford/Seventh Avenue. Inzwischen lag ein eingehender ballistischer Bericht vor, den unser Spezialist auf diesem Gebiet, Special Agent Dave Oaktree, erstellt hatte.

Er stellte ihn uns in Mister McKees Besprechungszimmer vor.

Auf eine Leinwand wurde eine schematische Skizze des Tatorts aus der Vogelperspektive projiziert. Dave Oaktree erläuterte sie. Danach stand fest, dass Desmond E. Cole, der Mitsubishi-Fahrer, aus dem roten Sportwagen heraus erschossen worden war, der später am Tatort einfach zurückgelassen wurde. Der Sportwagen war mit falschen Kennzeichen versehen gewesen. Einige der Zeugen hatten angegeben, dass der Wagen von einer Frau gefahren worden war, deren Beschreibung auf Vonda McDaniels passte.

Es stand also ziemlich fest, dass Vonda McDaniels Coles Mörderin war. Ob sie mit den Bewaffneten zusammengearbeitet hatte, die aus dem Lieferwagen gestiegen waren, blieb offen.

Auf jeden Fall aber war der Kawasaki-Fahrer ihr Komplize gewesen, der sie abgeholt hatte.

Einer der Zeugen wollte einen Koffer gesehen haben.

Ob das etwas zu bedeuten hatte, würde sich herausstellen.

Jedenfalls musste der Kawasaki-Fahrer Vonda McDaniels zu jenem Parkplatz gebracht haben, auf dem sie ermordet worden war. Unsere Spezialisten hatten einen Reifenabdruck mit großer Wahrscheinlichkeit diesem Motorradtyp zuordnen können.

Der Kawasaki-Fahrer war vermutlich Vonda McDaniels Mörder.

Kawasakis waren selten. Sie galten zum Teil als wertvolle Sammlerstücke. Trotzdem gab es immer noch einige tausend aktuelle Halter derartiger Maschinen in den USA. Etwa zwei Dutzend davon waren als gestohlen gemeldet worden. Wir führten ein Abgleich mit den Telefonkontakten durch, die Vonda McDaniels in den letzten Monaten gehabt hatte.

Es gab eine Überschneidung.

Der Mann hieß Bruce Levonian. Als Adresse hatte er bei der Zulassung seiner Kawasaki ein heruntergekommenes Hotel in East Harlem angegeben.

Es hieß AMBASSADOR, hatte jahrzehntelang in dem Ruf gestanden ein getarntes Bordell der untersten Kategorie zu sein und diente inzwischen überwiegend als Dauerwohnsitz für Leute, die sich nichts besseres leisten konnten, aber trotzdem darauf angewiesen waren, in der Nähe von Midtown Manhattan zu wohnen.

Wir machten uns mit großem Aufgebot dorthin auf.

Gut zwanzig Agenten waren an der Aktion beteiligt.

Wenn dieser Bruce Levonian unser Mann war, hatten wir es mit einem skrupellosen Killer zu tun. Die Art und Weise, in der er Vonda McDaniels getötet hatte, sprach für sich.

Während der Fahrt hatte Milo einen Computerausdruck auf den Knien. Über das Datenverbundsystem NYSIS hatten wir einiges über Levonian herausbekommen. Levonian war unter der Rubrik 'Criminal' verzeichnet gewesen. Er war 43, hatte mehrere Verurteilungen wegen schwerer Körperverletzung vorzuweisen.

Er war Träger des schwarzen Gürtels und hatte kurzzeitig in Albany eine Karate-Schule betrieben, später ein Inkasso-Büro auf Coney Island, das für seine groben Methoden bekannt gewesen war. Wovon er heute lebte, wussten wir nicht. Aber in der Vergangenheit hatte er immer einen guten Kontakt zur Unterwelt gehabt.

Wir erreichten das AMBASSADOR.

Es handelte sich um ein fünfgeschossiges Brownstone-Haus, dessen Fassade schon ziemlich heruntergekommen war. Die Kollegen schwärmten aus, postierten sich rund um das AMBASSADOR.

Milo und ich betraten das Foyer. Hinter einem Holztresen saß ein übergewichtiger Portier und las Zeitung.

Er schreckte auf, als wir eintraten.

Ich hielt ihm meinen Ausweis hin.

Das hinderte ihn daran, die Schublade ganz aufzureißen, an deren Griff er schon etwas gezogen hatte. Vermutlich befand sich dort eine Waffe.

"Special Agent Trevellian, FBI. Welches Zimmer bewohnt Mister Bruce Levonian?"

"Mister Levonian wohnt hier nicht", erklärte er wenig überzeugend.

Milo umrundete den Tresen, griff in die Schublade. Ein 45er Magnum-Revolver befand sich dort, geladen.

Milo nahm die Waffe an sich. "Es gibt in New York strenge Waffengesetze und ich wette, das Ding hier ist nicht registriert!"

"Ja, soll ich mir vielleicht von jedem Mobster hier in der Gegend die Kasse wegnehmen lassen?", brauste der Dicke auf.

Er lief rot an, atmete schwer.

"Sie sollten uns auf jeden Fall nicht anlügen..."

"Mister Levonian hat bis vor ein paar Tagen hier gewohnt!"

"Okay, Sie haben es nicht anders gewollt", sagte Milo. "So ein Verfahren wegen illegalen Waffenbesitzes kann ziemlich unangenehm werden. Und ich weiß auch nicht, wie Ihr Boss das auffassen wird, wenn wir Ihretwegen das ganze AMBASSADOR auf den Kopf stellen."

"Das können Sie nicht!"

"Das müssen wir sogar! Klar, dass das ein paar Ihrer Gäste sehr verärgern wird. Außerdem spricht es sich herum..."

"Mein Gott, er ist ausgezogen, das ist die Wahrheit."

Er war ziemlich genervt. Milo musste einen wunden Punkt berührt haben. Ich fand im nächsten Moment einen zweiten.

"Levonian besaß eine Kawasaki..."

Der Portier zuckte förmlich zusammen.

"Ich kann mir nicht merken, mit was für Fahrzeugen meine Gäste herumfahren! Was soll das überhaupt?"

"Einige Kollegen werden sich die Tiefgarage Ihres Hauses vornehmen. Die Kawasaki ist ein wichtiges Beweisstück in einem Mordfall", kündigte ich an, während Milo auf die Aktenordner deutete, die hinter dem Tresen in einer Regalwand standen.

"Ich hoffe, dass die Bücher alle in Ordnung sind, denn wir werden genau überprüfen, seit wann Mister Levonian für sein Zimmer bezahlt hat und..."

"Hören Sie!", zeterte er."Mit Mord will ich nichts zu tun haben."

"Na, schön, dann reden Sie!", forderte ich.

Der Portier war ziemlich blass geworden. Er musste schlucken, bevor er zu sprechen begann. "Zwei Männer haben ihn abgeholt. Levonian hat seine Miete nicht mehr gezahlt und deswegen haben wir das Zimmer neu vergeben. Seine Sachen sind in einem Abstellraum."

"Und die Kawasaki?", fragte ich.

"Steht in der Tiefgarage..."

Der Portier begann zu schwitzen.

Milo schüttelte den Kopf. "Ich kann das nicht glauben. Levonian wird doch auch sonst mal für ein paar Tage verreist gewesen sein, ohne dass Sie ihm gleich das Zimmer gekündigt haben!"

Der Portier verschränkte die Arme vor der Brust. "Was wollen Sie damit sagen, Mister...?"

"Tucker. Agent Tucker." Milos Blick war eisig. "Kein Kawasaki-Fahrer lässt freiwillig seine Maschine zurück..."

Orry ergänzte: "Die volle Wahrheit, bitte, sonst setzen wir das Gespräch in unserem Office an der Federal Plaza fort..."

Der Portier zögerte. Schließlich begann er zu sprechen. "Da kamen zwei Typen hier herein. Einer trug eine Baseballkappe und war ziemlich klein. Der andere war ein richtiger Klotz von einem Kerl und hatte nicht ein einziges Haar auf dem Kopf. Die haben hier mit einer MPi herumgefuchtelt und gesagt, wenn ich einen Ton von mir gebe oder die Cops rufe, bin ich erledigt. Sicherheitshalber haben sie mir noch die Telefonanlage zerstört. Sie sind rauf zu Levonian gegangen. Was da passiert ist, weiß ich nicht. Sie haben mir gesagt, ich soll einen Spaziergang um den Block machen..."

"Und das haben Sie gemacht", stellte ich fest.

"Natürlich, ich bin nicht lebensmüde. Als ich zurückkam, war Levonian verschwunden."

 

Der Portier war nicht davon ausgegangen, dass Levonian noch einmal lebend das AMBASSADOR betrat. In so fern war es folgerichtig, sein Zimmer zu räumen. Wir konnten von Glück sagen, wenn die Kawasaki nicht bereits auf dem Schwarzmarkt gelandet war.

"Zeigen Sie uns Levonians ehemaliges Zimmer und seine Sachen", forderte ich.

Der Portier nickte.

17

Lee Kuan saß im Whirlpool und sah an der langbeinigen Latina empor, die an den Beckenrand getreten war. Sie war vollkommen nackt. Das gelockte, dunkle Haar fiel ihr bis weit über die Schultern. Zwischen den schweren Brüsten leuchtete ein silbernes Amulett.

Die junge Frau stemmte die Arme in die geschwungenen Hüften.

"Madre de Dios, was ist das für ein eigenartiger Typ, den du dir hier hergeholt hast!", meinte sie. "Trägt 'ne Hose, die aussieht, als würde er zweimal reinpassen und glotzt mich an, als wäre ich ein Wesen vom Mars!"

Lee Kuan lächelte.

"Wenn du ihm so gegenübergetreten bist, ist das ja auch wohl kein Wunder, Terry..."

Sie grinste. "Wieso stimmt etwas mit mir nicht?"

Terry stieg mit aufreizenden Bewegungen zu ihm in den Pool.

Lee Kuans Gesicht wirkte nachdenklich. Er war nicht mit voller Aufmerksamkeit bei dem verführerischen Anblick, der sich ihm bot. Terry spürte das sofort.

Sie strich ihm durch das Haar.

"Was ist los, Darling?"

"Nichts, was dich beunruhigen müsste, Terry", meinte er.

"Geschäftliche Probleme?"

"Für deine Designer-Garderobe und die tägliche Ration Schnee wird's allemal noch reichen", versetzte Lee Kuan. Er atmete tief durch. Ein paar Worte auf Mandarin folgten, die wie ein Fluch klangen.

Terry kannte Lee Kuan gut genug, um zu wissen, dass er jetzt nur mit Vorsicht zu genießen war.

Ein breitschultriger Chinese mit blondgefärbten Haaren betrat den Raum.

Terrys Stirn umwölkte sich.

Sie mochte nicht, wie der Blonde sie anstarrte.

Der Bodyguard trat an den Whirlpool heran. Sein Gesicht wirkte wie eine steinerne Maske.

"Was ist los?", knurrte Lee Kuan.

"Eine Nachricht von 'The Virus'..."

"Verdammt...", murmelte Lee Kuan. Seine Gesichtsfarbe verlor sich. Er stieg aus dem Pool, ließ sich von dem Blonden in den Bademantel helfen.

"Und was ist mit mir?", fragte Terry mit einem Schmollmund.

Lee Kuan drehte sich noch einmal kurz zu ihr um.

"Kalt duschen, Baby", schlug er vor.

18

Unter Levonians Sachen war nichts, was uns weiterbrachte.

Die Leute, die ihn mitgenommen hatten, waren offenbar klug genug gewesen, nichts zu hinterlassen, was uns weiterbrachte.

Die Kawasaki stand tatsächlich noch in der Tiefgarage. Wir untersuchten auch das Zimmer, das Levonian bewohnt hatte.

Es war inzwischen gründlich gereinigt worden, so dass wir keine Chance hatten, etwas zu finden.

Ziemlich deprimiert fuhren wir zurück in Richtung Federal Plaza.

"Für mich sieht das so aus, als hätte jemand Levonian aus dem Weg geräumt", meinte Milo. "Fragt sich nur wer."

"Offenbar wurde er für irgendwen zur Belastung..."

Milo schüttelte den Kopf. "Vonda McDaniels und Bruce Levonian haben diesem Desmond Cole etwas weggenommen..."

"Du meinst diesen Koffer, den nur ein einziger Zeuge gesehen hat."

"Warum sollte dieser so ein Detail erfinden?"

"Auch wieder wahr."

"Wie wär's damit: Cole kam von einer Geldübergabe, Levonian und Vonda McDaniels wussten davon und jagten ihm das Geld ab. Anschließend wollte Levonian nicht mit seiner Partnerin teilen..."

"Das würde heißen, dass die Zugangsdaten zu den Pentagon-Rechnern längst verkauft wurden."

"Was denkst du denn? Das ist heiße Ware! Die wird schneller schlecht als sonst irgendetwas..."

Unterwegs erreichte uns ein Anruf.

Es war Mister McKee.

"Eine gewisse Rita McDaniels hat sich hier gemeldet", berichtete unser Chef. "Sie gibt an, die Schwester von Vonda McDaniels zu sein. Vielleicht haben Sie ein paar Fragen an sie..."

"Wir sind schon unterwegs."

Zwanzig Minuten später erreichten wir die Federal Plaza.

Rita McDaniels befand sich in einem gerade ungenutzten Konferenzraum. Mandy hatte ihr ihren berühmten Kaffee serviert. Mister McKee war anwesend, außerdem Special Agent Dirk Baker.

Milo und ich grüßten die Kollegen knapp, wandten uns dann der Zeugin zu...

...und mussten erst einmal schlucken.

Rita McDaniels war eine atemberaubend schöne Frau. Ihr Haar war dunkelblond, hing ihr in Locken bis weit über die Schultern. Das Kleid war sehr eng und schmiegte sich ihrer Figur perfekt an. Die Ähnlichkeit mit ihrer Schwester war unverkennbar. Die Gesichtslinien ließen da keinen Zweifel.

"Das sind die Special Agents Jesse Trevellian und Milo Tucker...", stellte Mister McKee uns vor.

Rita sah erst Milo, dann mich prüfend an, hob dann die Augenbrauen.

"Sie suchen den Mörder meiner Schwester?"

"Ja, kann man so sagen", nickte ich. In gewisser Weise stimmte das auch. Natürlich war der Tod von Vonda McDaniels nur ein kleines Mosaiksteinchen in einer viel größeren Sache, von der wir bisher nur in Umrissen eine Vorstellung besaßen.

"Ich habe den Flieger aus Miami genommen, als ich von Vondas Tod gehört habe... Ich hatte mich schon gewundert, weil sie nicht mehr auf Emails oder Telefonanrufe reagierte. Ich habe mir allerdings nicht allzu viel dabei gedacht. In Miami besitze ich eine kleine Kette von Blumengeschäften. Sie können sich ja vorstellen, in welchem Stress man da ist. Und Vonda hatte ihre eigenen Geschäfte..."

"Was waren das für Geschäfte?", fragte Dirk Baker.

Rita zuckte die Achseln, nippte dann an ihrem Kaffee.

"Keine Ahnung. Irgendwas an der Börse oder mit Terminhandel. Sie war da immer ziemlich indifferent - fast so, als befürchtete sie, dass ich von ihrem Erfolg eine Scheibe abhaben wollte."

"Hatte sie denn Erfolg?"

"Meines Wissens hatte sie jedenfalls nie Geldprobleme. Aber dieser Eindruck kann natürlich täuschen."

"Wie oft haben Sie sich gesehen?"

"Manchmal ein paar Monate gar nicht, dann wieder jede Woche. Je nachdem. Aber mit dem Flieger war das kein Problem, mal kurz 'rüberzujetten."

Ich sah die Fotos auf dem Tisch. Levonian, Mark 'BigByte' Sorello, Desmond Cole...

"Sie waren vorhin gerade dabei, uns etwas über die Beziehung Ihrer Schwester zu Bruce Levonian zu berichten", hakte Dirk Baker nach.

Rita hob die Augenbrauen. "Mein Gott, Beziehung... Ich bin dem Mann mal begegnet, als ich überraschend nach New York kam. Hatte geschäftliche Gründe. Tja, und da bin ich bei ihr unangemeldet reingeschneit. Sie stellte ihn mir einfach als Bruce vor, ohne Nachnamen. Und da wir die ganze Zeit über nicht allein waren, hatte ich auch keine Gelegenheit nachzufragen."

"Was hat ihre Schwester Ihnen sonst über diesen Bruce erzählt?", fragte Baker.

"Nichts. Sie war sehr zugeknöpft und Bruce schien es irgendwie unangenehm zu sein, dass ich auf ihn traf. Wer ist dieser Bruce Levonian?"

Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Dann sagte schließlich Mister McKee: "Mit großer Wahrscheinlichkeit der Mörder Ihrer Schwester."

Rita sah unseren Chef erstaunt an. "Dann wissen Sie schon..."

"Wir wissen nur, dass Levonian vermutlich der Täter war. Aber die Hintergründe der Bluttat liegen noch im Dunkeln. Um das erhellen zu können, brauchen wir möglichst viele Angaben über Ihre Schwester von Ihnen. Jedes Detail kann uns eventuell helfen..."

"Ich werde auf jeden Fall noch eine Weile hier in New York bleiben, um Ihnen weiterhin für die Ermittlungen zur Verfügung zu stehen."

"Das wäre sehr schön", sagte Mister McKee.

Mark Sorello kannte sie nicht, wie sich herausstellte.

Und dasselbe galt für Desmond Cole, den Profi-Killer, der von Vonda McDaniels ermordet worden war.

Schweigend hörte sie zu, während Mister McKee ihr diese Wahrheit beibrachte. Ihr hübsches Gesicht wurde kreideweiß.

Die Tatsache, dass ihre Schwester ermordet worden war, war schon ein Schock für sie gewesen. Aber nun musste sie schlucken, dass Vonda auch noch einen eiskalten Mord begangen hatte - zusammen mit dem Mann, der ihr eigenes Leben wenig später beendet hatte.

"Das kann ich nicht glauben", sagte sie tonlos.

"Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache", stellte Mister

McKee fest. "Gleichgültig, wie lange Sie es vor sich her schieben: Irgendwann werden Sie sich dieser Wahrheit stellen müssen. Allerdings..." Mister McKee zögerte.

Sie blickte auf. "Ja?"

"Auch wenn Ihre Schwester einen Mord begangen hat, so gibt das niemandem das Recht, sie umzubringen. Sie sollen wissen, dass wir den Mord an einem Mörder mit derselben Intensität verfolgen wie die Tötung eines vollkommen Unschuldigen."

Rita nickte stumm.

Tränen rannen ihr über das Gesicht, verwischten ihr dezentes Make-up.

Mister McKee beugte sich ein Stück über den Tisch, ihr entgegen. "Sie sagten mir vorhin, dass Sie die Hintergründe erfahren möchten, die zum Tod ihrer Schwester führten. Außerdem wollten Sie uns für weitere Ermittlungen zur Verfügung stehen. Gilt dieses Wort noch?"

Sie nickte, wollte etwas sagen, aber es kam kein Laut über ihre Lippen.

Mister McKee lehnte sich zurück, deutete dabei auf Milo und mich. "Dann fahren Sie doch jetzt bitte zusammen mit Agent Tucker und Agent Trevellian zur Wohnung Ihrer Schwester. Möglicherweise gelingt es Ihnen besser als uns, aus Vonda McDaniels Wohnumgebung Schlüsse zu ziehen..."

19

Um zu Vonda McDaniels ehemaliger Adresse zu gelangen, nahmen wir nicht den Sportwagen, sondern einen geräumigen Chevy aus dem Fuhrpark unserer Fahrbereitschaft.

Während der Fahrt war Rita ziemlich schweigsam.

Wahrscheinlich musste sie erst einmal verdauen, was Mister McKee ihr so eben hatte beibringen müssen.

In der Wohnung wurde sie etwas gesprächiger. Allerdings begann sie nun damit, Fragen zu stellen. "Was war das für ein Mann, den meine Schwester umgebracht hat?", fragte sie.

"Ein Profi-Killer", sagte ich.

"Kaum zu glauben."

"Hat Ihre Schwester irgendwann einmal jemanden erwähnt, der sich 'The Virus' nennt?", fragte Milo.

Sie sah meinen Kollegen ziemlich erstaunt an und schüttelte dann den Kopf.

"Wer soll das sein?"

"Jemand, der ihr Emails schrieb, in deren Anhänge sich Bilder von nackten Frauen befanden."

"Und dieser 'The Virus' hat etwas mit ihrem Tod zu tun?"

"Wir nehmen das an."

"Und diese Bilder... Ich kann mir das eigentlich nicht erklären. Lesbische Neigungen hatte Vonda jedenfalls nicht, wenn Sie darauf hinauswollen. Aber wer weiß, in welche 'Geschäfte' sie so verwickelt war... Mittlerweile erstaunt mich gar nichts mehr."

"Sie meinen, Ihre Schwester war in der Porno-Branche? Dazu waren die Bilder zu schlecht", sagte ich. "Miserabel gescannte Vorlagen aus irgendwelchen Magazinen."

Sie zuckte die Achseln. "Wie gesagt, das ist eine Seite an ihr, die ich bisher nicht kannte."

Milo mischte sich ein. "Was können Sie uns noch über Bruce Levonian sagen?"

Sie deutete auf einen der Sessel in Vondas Wohnung. "Dort hat er gesessen. Er wirkte ziemlich nervös, trank Bier aus Dosen, was ich nicht ausstehen kann. Naja, lange waren die beiden ja nicht zusammen."

Ich sah Rita überrascht an. "Wieso?"

"Einen Monat später erzählte mir Vonda von einem tollen Typen, den sie kennengelernt hätte."

"Haben Sie ihn auch kennengelernt?"

"Ja, auf einem Kurz-Trip, den die beiden nach Miami gemacht haben. George Drake war der Name des Kerls. Dunkler Zweireiher, Jackettkronen, Rolex am Handgelenk. Ich schätze ihn auf kaum dreißig. Womit auch immer er sein Geld verdient, er muss außerordentlich erfolgreich damit sein. In Miami waren die beiden nämlich, weil George sich ein Rennboot kaufen wollte. Vonda sagte etwas von einer Viertelmillion Dollar. Erst dachte ich, sie spinnt, aber nachdem ich das Boot gesehen hatte..."

 

"Irgendwie müssen Vonda und Bruce Levonian wieder zusammengekommen sein", stellte ich fest. "Sie waren Komplizen bei einem Mordanschlag. Dem Opfer wurde ein Koffer entwendet, wenn man einem Zeugen glauben darf. Können Sie sich vorstellen, was da drin war?"

Rita sah mich an. Ihre Augen hatten etwas Herausforderndes, Katzenhaftes an sich. "Etwas sehr Wertvolles, würde ich sagen. Vermutlich hat Levonian sie deshalb umgebracht..."

Ich nickte. "Ja, so weit waren wir auch schon."

"Wo steckt Levonian?"

"Wir wissen es nicht. Möglicherweise ist er auch schon nicht mehr unter den Lebenden..."

"Da fällt mir etwas ein....", sagte Rita.

"Immer heraus damit", forderte ich. "Jedes Detail kann für uns von Bedeutung sein."

Rita verschränkte die Arme unter den Brüsten, ging mit nachdenklichem Gesicht auf und ab und ließ sich dann in einen der Sessel fallen. Sie strich sich das Haar zurück und atmete tief durch. "Etwa drei Tage vor ihrem Todesdatum rief ich Vonda an. Sie hatte mal gesagt, dass sie für ein paar Tage mit George nach Miami hinunterkommen wollte. Der Termin stand auch, Vonda wollte, dass wir drei uns ein paar schöne Tage mit der Yacht machen, die George im Hafen von Key West liegen hat..."

"Boote müssen ihm wirklich am Herzen liegen, diesem Mister Drake!", kommentierte Milo. "Ich meine, Sie sprachen von einem Motorboot, dann von der Yacht... Oder meinten Sie damit dasselbe Wasserfahrzeug?"

"Nein, nein. Wie gesagt, George hatte Geld wie Heu. Aber seine Hobbys -- Boote und Motorräder -- sind ja auch nicht billig. Ich habe einmal gesehen, wie er eine Kawasaki bar bezahlt hat... Er hat das Ding gesehen, es gefiel ihm und er holte dann einen so dicken Packen mit Geldscheinen hervor, dass dem Vorbesitzer fast der Atem stockte."

"Eine Kawasaki?", echote ich.

"Was glauben Sie, was das gekostet hat, die Maschine mit dem Flieger zu transportieren!"

"Sie wollten uns von Ihrem Anruf bei Vonda erzählen - drei Tage vor ihrem Tod", erinnerte Milo unsere schöne Zeugin, die in ihrem Bericht etwas den Faden verloren hatte.

Rita nickte. "Ja. Vonda war ganz aufgeregt, sie redete von irgendeiner wichtigen Sache, die sie vorhätte, einem großen Geschäft..."

"Was für einem Geschäft?", fragte ich.

Sie zuckte die schmalen Schultern, stützte dann das Kinn auf den Ellbogen.

"Keine Ahnung. Aber im Hintergrund hörte ich, wie jemand eine Bierdose öffnete. Sie kennen dieses charakteristischen Laut, wenn man die Metalllasche abzieht..."

"Ja, sicher." Ich war etwas ungeduldig.

Rita hob die Augenbrauen.

"Also viel weiß ich ja nicht über Vondas letzten Typen aber Bier aus Dosen hat George Drake mit Sicherheit nicht getrunken! Ich habe erlebt, wie er den edelsten französischen Wein im Restaurant zurückgehen ließ, weil er ihm nicht stilvoll genug eingeschenkt wurde..."

Das bedeutete nichts anderes, als dass Vonda ihre Beziehung zu Bruce Levonian keinesfalls abgebrochen hatte, als ihr dieser Wunderknabe namens George Drake über den Weg lief.

Wir brachten unsere Zeugin in ihr Hotel, das 'New Continental' in der 34. Straße West. Anschließend meldeten wir uns noch in unserem Field Office an der Federal Plaza.

Es dämmerte bereits. Unsere Dienstzeit war längst zu Ende.

Mister McKee war wie gewohnt in seinem Büro zu erreichen. Er war morgens der erste und manchmal spät in der Nacht der letzte von uns, der das Bundesgebäude an der Federal Plaza verließ.

Seit seine Familie einem Verbrechen zum Opfer gefallen war, hatte unser Chef sein Leben vollkommen dem Kampf gegen die Kriminalität gewidmet.

Milo sprach mit Mister McKee.

Wir wollten, dass unsere Innendienstler alles ermittelten, was über einen gewissen George Drake in den Datenbergen der uns offiziell zugänglichen Rechner schlummerte.

Am nächsten Tag würden wir ihm mit Sicherheit einen Besuch abstatten.