Dimensionen schulischer Qualität im Fokus: Was macht "gute Schule" aus?

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Dimensionen schulischer Qualität im Fokus: Was macht "gute Schule" aus?
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

ibidem Verlag, Stuttgart

Facetten schulischer Qualität (Festschrift anlässlich der Emeritierung von Herrn Prof. Dr. Wolfgang Schönig/ Lehrstuhl für Schulpädagogik an der Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt zum Ende des Wintersemester 2020/21)

Die Festschrift ist angelegt unter dem Arbeitstitel „Facetten schulischer Qualität“ und beleuchtet unterschiedliche Dimensionen von Schule in ihrer möglichen Idealform. All diese Facetten tragen letztlich dazu bei, die Institution Schule im Allgemeinen wie auch die Einzelschule vor Ort zu einer „guten“ Schule zu machen und pädagogische Professionalität zu dokumentieren.

Die einzelnen Autor/-innen stehen alle mehr oder weniger lange mit Herrn Prof. Schönig in einem gedeihlichen Arbeitsverhältnis und beleuchten aus ihrer je spezifischen Sicht einen potenziellen „Baustein“ von Schulqualität.

Inhaltsverzeichnis

Schulbau in Bayern: zur Einbindung raumoffener, „transparenter“ Lösungen in die ‘pädagogische Architektur‘ (hier: die Eingangshalle)

Offene Lernumgebungen verändern Schule

Potentiale von Lernwerkstätten für Schulentwicklung

Qualitätsentwicklung von Kindereinrichtungen aus Kindersicht

Aspekte des Dialogs zweier Wissenschaften Individualisierung verbindet Englischdidaktik und Schulpädagogik eng

Die „gute Lehrkraft“ und ihre Persönlichkeit als Determinanten gelingenden Unterrichts und schulischer Qualitätsentwicklung

Beitrag Bayerischer Pädagogikpreis 2020: Universität trifft Gymnasium

Medienmächtig – medienmündig

Beratung in der Schule

Die inklusive Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit Autismus-Spektrum-Störung: Erfordernisse, Möglichkeiten, Grenzen

Venit, vidit, audivit, adiuvit ... Prof. Wolfgang Schönig und das A-E-G – eine Erfolgsgeschichte –

Die Rolle der „Schulleitung“ – eine Schlüsselposition im Kontext schulischer Prosperität und Qualität

Nachwort

Schulbau in Bayern: zur Einbindung raumoffener, „transparenter“ Lösungen in die ‘pädagogische Architektur‘ (hier: die Eingangshalle)

Dr. Markus Würmseher

Der zur ‘pädagogischen Architektur‘ begleitende theoretische Diskurs - zugleich ein immer mehr beachtetes Thema innerhalb des Baus von allgemeinbildenden Schulen – gewinnt in den letzten Jahren immer mehr Bedeutung.1 Die enge Beziehung zwischen der baulichen Gestaltung des Schulgebäudes und der dort reflektierten erzieherischen und didaktischen Konzeptionen bestimmt in der Gegenwart, nach ersten Ansätzen in der Reformpädagogik des frühen 20. Jahrhunderts,2 in immer dichterer Folge die Architektur des Schulbaus. Der folgende Beitrag widmet sich Grundzügen dieses Phänomens in Bayern, wobei nach einer allgemeinen Lageskizze der Fokus auf bisher weniger dargestellte Aspekte von ‘Transparenz‘3 gerichtet wird.

Es ist eine bedeutende Beobachtung, dass sich innerhalb einer erweiterten Aufgabenstellung an die schulische Bildung auch die Anforderungen an die damit verbundenen Räumlichkeiten erweitern und das Schulhaus und die es assistierenden Gebäude und Anlagen (wie etwa Turnhallen, Sport- oder Freianlagen) zunehmend auch als Lebensort definieren. Auch wenn empirische Untersuchungen zu Konditionierungen des Schulbaus in aktuell verwertbarer Form bereits seit den 1990er Jahren vorliegen,4 entwickelte die Schulbauforschung besonders in den Jahren seit der Jahrtausendwende Modelle, die eine zukunftsorientierte Pädagogik und ihr angemessene Lernumgebungen auf der Grundlage eines ‘pädagogischen Konzepts‘5 miteinander verbinden und nun auch für kommende Jahrzehnte verbindlich anwenden. Doch hat man deren Realisierung im Gros des Schulbaus erst noch zu bewältigen: Allein durch die Anforderungen des schulischen Ganztags, im Abbau von Barrieren und in der Umsetzung der Inklusion6 ist vielfach erst noch Grundlegendes zu leisten. Es zählt zu den Verdiensten von Wolfgang Schönig und des von ihm geleiteten Lehrstuhls, die enormen Herausforderungen bei der Gestaltung des inklusiven Schulraums wissenschaftlich zu examinieren7 und damit eine handlungsorientierte Grundlage in den Diskurs einzufügen, an dem neben Pädagogen, Bildungswissenschaftlern und Erziehern auch Architekten und Bauverwalter, in der Vorbereitung eines Schulbauprojekts besonders auch Nutzer sowie Vertreter der Elternschaft und sogar der Einwohner einer betroffenen Kommune8 teilhaben.

Der besondere Einfluss des Schulgebäudes auf die darin stattfindende Unterrichtung, seiner internen Zusammenhänge und der räumliche Bezug zu den umgebenden Frei-, Sport-, Grün- und Gartenflächen auf den Lernprozess sind seit längerem bekannt.9 Der italienische Pädagoge Loris Malaguzzi (1920-1994), der Begründer der Reggio-Pädagogik, prägte das Bonmot des Schulhauses als ‘dritter Pädagoge‘.10 Auch Rückwirkungen zur nächsten, städtebaulichen oder landschaftlichen Umgebung – Landschaft, Dorf und Stadt – sind in ihrem Einfluss längst identifiziert.11 Die ersten Projekte in dieser Entwicklung, die gegenüber traditionellen Entwürfen die Schüler in neuer Art und Weise in den Mittelpunkt stellt und in Europa v. a. in den skandinavischen Ländern innovative Impulse erhielt, wurden in der Bundesrepublik Deutschland vor allem in Nordrhein-Westfalen umgesetzt: Die Geschwister-Scholl-Schule in Leinen (Hans Scharoun, 1962), die Laborschule Bielefeld (Entwurf: Ludwig Leo, 1974) oder die frühe Rezeption der Ideen des Architekten und Vordenkers Peter Hübner (geb. 1939) können als Landmarken dieser Genese bezeichnet werden12 – und auch Wolfgang Schönig durchlief in NRW seine Ausbildung zum gymnasialen Lehramt und seine erste berufliche Tätigkeit.

Zur Dimension der Bauaufgabe Schule in Bayern

In unserem Bundesland gibt es rund 1,7 Millionen Schüler an über 6.000 öffentlichen und privaten Schulen, am Vorabend der sog. Corona-Krise wurden Baumaßnahmen an etwa 1.200 Schulen durchgeführt. Für die gesamte Bildung stellte der Freistaat etwa im Jahr 2017 rund 18,67 Milliarden Euro zur Verfügung. Für Neu-, Um- und Erweiterungsbaumaßnahmen der Schulgebäude bewilligte das Land Bayern im Jahr 2019 ca. 306 Millionen Euro – das ist ein deutlicher Anstieg seit 2000.13 Allein die Stadt München – sie investiert aufgrund ihrer demographischen Entwicklung und ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten wegen mehr Geld als jede andere deutsche Stadt in Bildung – beschloss im Januar vergangenen Jahres ein ‘zweites Schulbauprogramm‘, bei dem 2,375 Milliarden Euro in 38 Baumaßnahmen14 fließen sollten. Für das gesamte Bundesland gilt diese ermutigende Entwicklung jedoch nicht, zudem sind notwendige Baumaßnahmen immer wieder verschoben worden. Vielerorts muss daher von einem regelrechten Sanierungsstau gesprochen werden.15 Neben inhaltlichen Gesichtspunkten sind dabei vor allem bauliche Aspekte auf der Grundlage pädagogischer Konzepte in einem geschätzten Gesamtvolumen von 5 Mrd. Euro zu bearbeiten.16

Schule in Bayern: früher und heute

In Bayern wird der enge Zusammenhang zwischen Lernen und Raum beim Neubau, bei Ergänzungen oder aktualisierten Redaktionen des Bestands von Schulen immer einflussreicher, dabei werden auch lokale Richtlinien formuliert.17 Aus den Tendenzen zur Entwicklung und Umsetzung pädagogischer Elemente in die Architektur der Schule lassen sich deshalb immer mehr gebaute Beispiele identifizieren. Sie sind die Konsequenz einer sich verändernden und zunehmend inhomogenen Gesellschaft, entsprechen aber auch dem Bestreben nach umfassender Teilhabe an Bildung, nach Digitalisierung, nach Ganztagsmodellen und den daraus abzuleitenden differenzierten Lehr- und Lernmethoden. Dabei bot der Schulbau stets ein Forum, um in materiell gewordene, bauliche Antworten auf die pädagogischen Einstellungen der Zeit zu finden.18 Bereits im Schulbau der 1950er Jahre waren große, und durch in Glasflächen geöffnete Außenflächen auch weitgehend lichterfüllte Klassenzimmer sowie eine mobile, frei bewegliche Möblierung wichtige Elemente der Schule bzw. ihrer Ausstattung, etwa in den Volksschulen in der Weißenseestraße, München (1954), oder am Münchner Marsplatz (1957) des Architekten und Karikaturisten Ernst Hürlimann.19 Die Forderung nach großzügiger Belichtung und Belüftung wurde in Schulbautagungen (z. B. in Stuttgart 1950) formuliert und, etwa in Kleinschulhäusern bzw. sog. Pavillons realisiert, wie sie etwa von dem Augsburger Stadtbaurat Walther Schmidt in den Stadtteilen im Spickel (1951) und in der Birkenau (1952) projektiert wurden.20 Eine offene Bauweise mit möglichst wenigen Stockwerken und einer eher wenig repräsentativen Fassade, wie etwa bei der Würzburger Mozartschule (1955-57), entsprach ganz dem zeitgenössischen Anspruch an die Schularchitektur.21

 

Der landesweit überwiegend noch aus dem frühen 20. Jahrhundert und zuvor stammende Bestand ist vor allem in den späten 1960er und 1970er Jahren durch zahlreiche Neubauten ergänzt worden, die die Topographie des Bildungswesens bis heute prägen. Viele Schulen zeigen noch heute das intensive Bemühen um Umsetzung des pädagogischen Diskurses jener Zeit.22 Einflussreich hatten hier gerade auch Publikationen gewirkt, die eine ‘deutsche Bildungskatastrophe‘ thematisierten.23 Unter den Kultusministern Dr. Ludwig Huber (1964-1970) und Prof. Dr. Hans Maier (1970-1986) standen daher tiefgreifende Reformen des Bildungswesens und der Bildungspolitik im Mittelpunkt.24 Bayern, in dem bis heute ein vertikales Schulprinzip gilt, erprobte dabei verschiedene Modelle, wie etwa das Schulzentrum (z. B. in Ingolstadt-Südwest, die sog. Ochsenschlacht, mit Hauptschule, Realschule und Gymnasium, errichtet bis 1977) – mit tief gestaffelten Grundrissen, in denen innenliegende, fensterlose Räume über Dachluken und künstlich belichtet sowie mit mechanischer Lüftung versehen wurden - und die seltenere Gesamtschule (z. B. in Treuchtlingen, 1975). Die Querverbindungen verschiedener Schultypen im gleichen Haus, die sich in der Architektur in einer weitgehend nach innen gerichteten Transparenz abbildeten, schienen dort zunächst erfolgreich.25 Sie konnten zwar nicht die gesamtstaatliche Schulentwicklung nachhaltig beeinflussen, gleichwohl sind in der ab 1970 neu eingerichteten Kollegstufe Anregungen zu einer organisatorischen (und i. W. damit auch einer baulichen) Öffnung des Unterrichts aufgenommen worden. Das Stammklassenprinzip wurde hier erstmals aufgelöst. Die etwa gleichzeitige Reformierung des Studiums wie auch der Lehrerausbildung begründeten zudem Einrichtungen, die in späteren Jahrzehnten zur Entwicklung individueller Profile in der Schulbauforschung beitragen sollten. Das gilt für die schulpädagogischen Lehrstühle einzelner Universitäten (mit der Integration der ehem. Pädagogischen Hochschulen) ab 1972, die Akademie für Lehrerfortbildung in Dillingen (1971), im Weiteren für das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) in München (1971) wie für das Bildungsministerium selbst.26

Bereits im Schulbau der späten 1960er Jahre hatte sich dabei eine vermeintliche Errungenschaft der Gegenwart gezeigt: der ‘Marktplatz‘. Statt zum bloßen Pausenaufenthalt bei schlechtem Wetter sollte er Aufenthalts-, Versammlungs- und Ausstellungsqualität besitzen, günstigerweise über eine Bühne und die Möglichkeit zur klassenübergreifenden Nutzung verfügen. Hier erinnerte man sich an das Prinzip, das bereits der Bremer Oberschulrat und Schulplaner Wilhelm Berger in den Nachkriegsschulbau seines Bundeslands eingeführt hatte.27 Eher gleichförmig verlief indes die äußere bauliche Gestaltung der Schule in den 1970er Jahren: bestimmend war die Verwendung von Stahlbeton-Fertigteilen und deren additive Nutzung. In dieses Baukastensystem brachte das beginnende Interesse des mit seiner Architektur bald den deutschen Südwesten prägenden, späteren Architektur-Doyens Günter Behnisch am Schulbau Innovationen ein. Beim Josef-Effner-Gymnasium in Dachau beispielsweise (1974) reduzierte er mit einem unter Einsatz großer Glasflächen versehenen Rasterbau und einer aus der Vertikalachse gerückten Verbindung von Grundriss und Schnitten die andernorts schwerfällige Materialität im Innern und an der Fassade deutlich.28 Zwar gab es in den Jahren bis ca. 1975 noch einige andere Ausnahmen aus der insgesamt eher behäbigen Schulbaulandschaft. Bestimmend waren aber vorgefertigte, auf einem modularen System aufbauende oder auch in Ortbeton errichtete, monolithisch wirkende Schulgebäude. Das Ingolstädter Katharinen-Gymnasium (ugs. ‘Katherl‘, 1970) etwa erinnert an die prägenden Sichtbeton-Bauwerke jener Zeit, wie sie auch im Verwaltungsbau, im Kirchenbau, oder, ebenfalls von dem hier beauftragten Architekt Hardt-Waltherr Hämer, im nahen Stadttheater bestimmender Teil der Baukultur der Jahre um 1970 waren.

Eine wachsende Kritik an der damit konnotierten Inkompetenz sozialer Integrationsaufgaben solcher Bauwerke, an ihrer Maßstabs- und Formlosigkeit bereitete ein Umdenken im Schulbau vor, der zu individuelleren, weniger kühl wirkenden und vor allem zu kleiner dimensionierten Schulen – also einer Abkehr von Gesamtschulen und riesigen Schulzentren – führte; zudem kann noch für die Zeit vor 1980 von einer Bedarfsdeckung ausgegangen werden.29 Schulhäuser wurden nun wieder öfters mit Reminiszenzen an das Bauen im ländlichen Raum, wie etwa geneigten Dächern, in den Materialien Ziegeln und Holz, mit höherem Anspruch an räumliche Atmosphäre, haptische Erfahrbarkeit und auch wieder mehr von überschaubarer Größe ausgeführt. In dem für nur ca. 250 Schüler errichteten Neubau, den der kürzlich verstorbene, gelehrte Architekt Justus Dahinden30 für das Kleine private Lerninstitut Derksen (1989) entwickelte, spielten Behaglichkeit und die Akustik (‘Hörverstehen‘) der Schule eine große Bedeutung. Die ziegelgepflasterten, kleineren Klassenzimmer verleihen dem Interieur einen vertrauten Charakter. Wolfgang Schönig erinnerte sich in der Beschreibung dieser an die Schulwohnstuben des Jenaplan-Konzepts von P. Petersen aus den 1920er Jahren.31 Die Montessorischule Wertingen fand dagegen in einem ehemaligen Möbelhaus Platz (1994), welches mit verwinkelten Anbauten, Schulgarten und dem Schülercafé im Eingangsbereich angenehm kleinteilig und abwechslungsreich wirkt. ‘Leben und lernen unter einem Dach‘ war das planerische Leitmotiv, das Innere der Schule sollte sich an einer Dorfstraße orientieren.32 Der Einsatz des ‘flexiblen Klassenzimmers‘33, von interaktiven Tafeln oder dem sog. Klassenzimmer im Freien sind die besonderen Kennzeichen einer aus zwei Gebäuden bestehenden Schule, wie sie in der Grund- und Mittelschule Thalmässing (nominiert für den Deutschen Schulpreis 2020) umgesetzt wurden. 2005 ist hier damit begonnen worden, Schüler mit und ohne Handicaps in gemeinsamen Angeboten zu unterrichten. Beispiele wie diese zeigen, wie sich – und dabei tun sich private Schulträger besonders hervor - pädagogische Modelle umsetzen lassen, die bereits etwa von Maria Montessori im römischen Arbeiterbezirk San Lorenzo ab 1907 zur Anwendung kamen.

Seit den Jahren ab ca. 2000 ist die Topographie des bayerischen Schulbaus noch vielseitiger geworden. Seine eingehende Darstellung sollte auch in Bayern Teil autonomer Publikationen und besonders der jeweiligen öffentlichen Diskussion werden, damit Schule als Bauaufgabe des allgemeinen Interesses die ihr angemessene Darstellung erhält.34 Schulgebäude sind heute i. d. R. kostenintensive Bauprojekte, die u. a. aufwendige Maßnahmen des Brandschutzes, der Haustechnik und der Energieeffizienz einbeziehen. Das verleiht ihnen bisweilen ein gewisses Prestige, aber noch immer mangelt es an ihrer grundsätzlichen Einordnung gegenüber anderen Werken des Bildungsbaus.35 Eine besondere Anforderung richtet sich jedoch an den immer mehr am individuellen Bedarf der Nutzer orientierten methodischen und didaktischen Erwartungen: Differenzierte schulische Angebote mit den verschiedensten Fördermöglichkeiten, integrierte Angebote wie Bibliothek, Individualsport, Werkstätten, Fachkurse, Ausstellungen, Aufführungen, eine halbtägige und zunehmend auch ganztägige Beschulung, die Inklusion. Schule ist zudem barrierefrei, berücksichtigt partizipatorische wie demokratische Prinzipien und eröffnet vielfältige soziale Möglichkeiten:36 Zugleich übernimmt sie Funktionen von außerschulischen Einrichtungen, sie gerät vom ‘Lern- zum Lebensort‘37. Die lineare Teilung von Klassenräumen entwickelt sich zu Klassenhäusern, die von multifunktionalen Gesellschaftsräumen erschlossen werden.38 Die Organisation des Unterrichts mit einem Netz an Querverbindungen wird durch raumoffene Lösungen erleichtert, sog. Lernlandschaften entstehen.39 Neben der (wesentlichen) Anordnung, Aufteilung und Möblierung ihrer Räumlichkeiten besitzen außerdem Aspekte der Qualität von Licht und Luft, der Akustik oder der Farbgebung prägende Bedeutung. Der einflussreiche Südtiroler Pädagoge Josef Watschinger weist auf den Zusammenhang zwischen der Entfaltung kreativer Potentiale und der Architektur des Schulgebäudes hin, aber auch auf die dafür begünstigende Situation der in seiner Region geltenden Schulautonomie, mit der auch im kleinen Rahmen auf den Bedarf der Nutzer zugeschnitten geplant werden könne. Schule als einstige Stätte der Belehrung habe in Absicht der Erweiterung von Kompetenzen um einen Werkstattcharakter wesentlich erweitert zu werden.40 Wenn es gelingt, kognitive mit raumorganisatorischen Aspekten zusammenzuführen und Schülern, Lehrern, Mitarbeitern wie externen Partnern eine anregende, funktional sinnvolle und die Sinne ansprechende Umgebung zu bieten, lässt sich von der ‘Schule der Zukunft‘ (Rotraut Walden)41 sprechen.

Offene Räume – Transparenz: eine begriffliche Klärung

Ein häufig genutzter Begriff im Schulbau der Gegenwart ist die ‘Transparenz‘, mit der verschiedene Ansätze in der Architektur beschrieben werden.42 Für sie gibt es unterschiedlichste Interpretationen: pädagogischer, administrativer, soziologischer, oder auch städtebaulicher Art. Sie kann aber auch im architektonischen Kontext des Schulbaus stehen, und das ist der Schwerpunkt dieser Darstellung.

Die pädagogisch zu verstehende Transparenz prägt den Schulbau der Gegenwart zunehmend. Sie schafft neue Modelle, in denen vor allem die innere Aufteilung der Klassenräume und ihre Bezüge zueinander mit der Organisation des Unterrichts eng verbunden werden.43 Wesentlich dafür ist die Erkenntnis, dass sich der Schul(innen)raum vom reinen Lernraum zu einem vielseitigen Lebens- und Erfahrungsraum hin entwickelt, in dem durch Kompetenzen, Partizipation und Kooperationen wesentliche Bildungsanforderungen vorbereitet bzw. bereits umgesetzt werden.44 Dieser bedeutende Aspekt liegt jedoch, da andernorts thematisiert, außerhalb unserer Betrachtung.

In einer weiteren Auslegung des Begriffs ‘Transparenz‘ lässt sich an die Durchführung von Prozessen denken, die die Errichtung des Schulgebäudes als Bauwerk realisieren. Schulen werden heute in Bayern mit einem europaweit ausgeschriebenen Architektenwettbewerb45 an qualifizierte Planer nach einem Bewertungssystem vergeben und unter Einbindung des Sachaufwandsträgers, der Schulleitung und der Schulverwaltung bei den Regierungen ausgeplant. Für die Einbeziehung von Eltern- und Schülervertretern, von außerhalb ihrer politischen Vertreter stehender Mitglieder der betreffenden Gemeinde oder die Beauftragung von externen Schulbauberatern gibt es jedoch keine Verpflichtung. Das ist bemerkenswert, denn Beispiele aus dem Ausland legen den Schluss nahe, dass eine Partizipation der beteiligten Bürger*innen u. a. zu einer stärkeren Bindung und Mitbeteiligung am späteren Geschehen in der Schule führt.46 Die Bildungswissenschaftlerin Beate Weyland (Freie Universität Bozen) etwa richtet am Beginn eines Planungsprozesses ein sog. Bürgerbüro ein, das die Einwohnerschaft eines Ortes mittels spezieller Trainings zur Mitbeteiligung und -gestaltung einbindet. Im Vordergrund steht die Erkenntnis, dass die Schulfamilie in und mit ihrem Schulgebäude in einem vielseitigen System von Beziehungen steht.47 Zu einer Öffnung des vorbereitenden Prozesses und seiner Transparenz kann man außerdem Maßnahmen zählen, mit denen, gemeinsam mit den Nutzern, die organisatorischen Anforderungen an Schulbauten ermittelt werden. Gemeinsam mit der Erziehungswissenschaftlerin Cornelia Dinsleder ermittelt der Architekt und Pädagoge Andreas Hammon in sog. Reallabors so einen ‘Lernraum der Zukunft‘. Schüler entwickeln hier in Zeichnungen und Modellen etwa das Mobiliar ihrer künftigen Schule.48 Der Architekt Jan Weber-Ebnet beteiligt Jugendliche am Entwicklungsprozess von Projekten im Stadtraum, dabei geht es auch um Schulen.49

 

Schule schließlich ist weiter eine Rezeption der Demokratie im Kleinen. Gut 100 Jahre nach dem ersten Erscheinen des reformpädagogischen Schlüsselwerks Demokratie und Erziehung von John Dewey (1916), in dem die Schule als ein Abbild der Gesellschaft verstanden wird, sowie ein Jahrzehnt nach der Ratifizierung der sog. UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland (2009) befinden wir uns gerade mal an der Schwelle zu ersten eigenen Erfahrungen in der Umsetzung der Teilhabe aller Mitglieder der Gesellschaft, also auch der Menschen mit Einschränkung („Inklusion“), in die sog. Regelschule. Während diese Anforderung im europäischen Ausland50 und auch in Bayern längst zu einem beachteten Thema geworden ist, ja man vom gesellschaftlichen Nutzen der Inklusion für die demokratische Gesellschaft sprechen kann (Christina Hansen, ehem. Schenz),51 ließ hierzulande eine angemessene politische Rezeption lange auf sich warten. Die Übertragung der kooperativen Anforderungen der demokratischen Gesellschaft ist auch eines der Forschungsgebiete von Wolfgang Schönig.52 Die moderne Architekturtheorie stellt dagegen den allgemein engen Zusammenhang zwischen Demokratie und Architektur heraus. Das betrifft nicht nur die unmittelbar modernen demokratischen Institutionen gewidmeten Bauten. Auch die griechische Polis, die spätmittelalterlichen reichsstädtischen Rathäuser oder die sog. Revolutionsarchitektur des Visionärs Boullée (1728-1799), dem Entwickler der Architecture parlante53– sie alle besitzen demokratische Konnotationen, sind gewissermaßen ‘politische Architektur'.54 Ein phänomenologischer Aspekt ist dabei die visuelle Idee der Transparenz, wie sie sich etwa in der Verwendung großflächiger Glasflächen in der klassischen Moderne der 1920er Jahre abbildet. Die Kunsthistorikerin Karin Wilhelm weist auf den vielbeachteten Beitrag des späteren Senators für Wissenschaft und Kunst in Westberlin, Adolf Arndt, anlässlich der Eröffnung der Berliner Bauwochen 1960 hin, in dem dieser einen Zusammenhang herstellte zwischen dem inneren Prinzip der Öffentlichkeit der Demokratie und der äußeren wie inneren Durchsichtigkeit und ‘Zugänglichkeit‘ ihrer öffentlichen Bauwerke.55 Diese Öffnung wird im Verständnis der Öffentlichkeit auch heute als baulich manifestierter Ausdruck von Demokratie verstanden.56 Es ist jedoch noch nicht hinreichend beachtet worden, dass gerade Schulgebäude Realisierungen demokratischer Architektur und daher von identitätsstiftender Bedeutung für die politische Gestaltung der Zukunft sind.

Dennoch unterliegt die beabsichtigte Erweiterung der Konzepte (und damit die Öffnung der Räume) sichtbaren Limitierungen. Der frühere Präsident des Instituts für Europäische Bildung und ehemalige Würzburger Ordinarius für Pädagogik, Winfried Böhm, macht den engen raumgebundenen Zusammenhang von pädagogischen Konzepten und den dafür begrenzten räumlichen Möglichkeiten klar. Offene Situationen im Schulbau seien zwar ein vielseitiges Desiderat, doch habe sich in der Geschichte des Bildungsbaus bisher niemals die Agora oder die Piazza als Gegenentwurf zum altgewohnten, in Architektur manifestierten (und längsrechteckigen) Schulraum etablieren können.57

Anders als im Schulhaus früherer Zeiten,58 bes. auch bei der (i. d. R. repräsentativen) Architektur von Bildungsbauten wie etwa Universitäten, Bibliotheken oder Sportstätten wird die stereotype Verwendung von typologischen Schulbaumustern indes v. a. insofern praktiziert, als sich Raumkonzepte etwa addierend pragmatischer umsetzen lassen. Die für die Förderung notwendigen Richtlinien orientieren sich, mehr als es angesichts der dynamischen Situation zu vermuten wäre, vorwiegend an Flächengrößen.59 Jedoch tragen pädagogische Konzepte und die Auseinandersetzung mit den individuellen Anforderungen einer Bereicherung zu, so dass Schulbau zunehmend wieder in einen von didaktischen und auch methodischen Erwägungen geprägten, architektonischen Diskurs eintritt. Darin werden heute weniger ästhetisch-gestalterische Aspekte betrachtet, sondern zunehmend Konzeptionen einer anwendungsorientierten Pädagogik. Für eine effiziente Verbindung beider Fachgebiete, der Pädagogik und der Architektur, kommen, zunächst noch in Einzelfällen, sog. Schulbauberater zum Einsatz. Nach Versuchen der Ausbildung geeigneter Kandidaten durch die Montag-Stiftungen (ab 2014/15) nahm ab 2017/18 PULS+ als multiprofessionelles Pilot-Projekt im gesamten deutschsprachigen Raum60 seine Arbeit auf, um Fachleute aus Architektur, Pädagogik und Bauverwaltung in einem EU-Projekt zur Begleitung von Schulbauprozessen zu qualifizieren. In Bayern bieten auch die Fortbildungsveranstaltungen der Bayerischen Architektenkammer ein geeignetes Forum.61 Die Situation des Schulbaus bildet sich zudem nun häufiger in einer Debatte ab, deren Verlauf auch in Publikationen, Fachtagungen und -exkursionen kommuniziert wird.62 Auch das Internet bietet hier einen umfangreichen Einblick.