Dimensionen schulischer Qualität im Fokus: Was macht "gute Schule" aus?

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

3. Bezugspunkte zur Analyse von Gelingensfaktoren von Innovationen an Schulen

Dieses Kapitel widmet sich Bezugspunkten zur Analyse von Gelingensfaktoren von Innovationen an Schulen. Es wird allgemein auf Schulentwicklungsprozesse Bezug genommen sowie Potentiale durch Lernwerkstätten für Innovationsprozesse an Schulen beleuchtet. Es wird darüber nachgedacht und schulpraktisch begründet, inwiefern Lernwerkstätten den aktuellen Herausforderungen der Bildungslandschaft gerecht werden und damit einen Mehrwert darstellen können. Für eine Qualitätsentwicklung von Lernwerkstätten werden Qualitätskriterien und Verfahren zu Qualitätssicherung aufgezeigt. Das liegt darin begründet, dass diese Qualitätsmerkmale bei der Entwicklung einer Konzeption und Implementierung von Lernwerkstätten einen Qualitätsrahmen liefern. Das heißt, es wird davon ausgegangen, dass sich Schulen bei der Entwicklung der Konzeptionen ihrer Lernwerkstätten und den dadurch angestrebten Zielen an gewissen Qualitätskriterien orientieren (sollten), um die Unterrichts- und Schulqualität im Rahmen eines Schulentwicklungsprozesses zu verbessern. Die Entwicklung des Konzeptes für eine Lernwerkstatt sowie dessen Implementierung braucht professionelles Vorgehen im Rahmen eines Schulentwicklungsprozesses. Das Kapitel Gelingensfaktoren der Implementierung aus der Schulentwicklungsforschung beschreibt den Systemzusammenhang einer pädagogischen Schulentwicklung.

Schulen haben innerhalb bestehender Rahmenbedingungen die Möglichkeit, sich eine individuelle Schwerpunktsetzung innerhalb der Schulentwicklung zu geben. Die Unterrichtsentwicklung steht dabei im Zentrum vieler Schulen: „Die Qualitätsentwicklung von Unterricht ist nach wie vor ein dringliches Desiderat. Im Zuge der Schulprogrammformulierung, der Entwicklung von Qualitätsstandards, Bildungsstandards und Kerncurricula, der ersten Befunde der Schulinspektion schält sich heraus, dass der zentrale Bereich von Schulen – dies ist und bleibt der Unterricht – die Beantwortung der Frage ist, mit welchen Theorieansätzen, Konzepten und Praxiserfahrungen Lernen in institutionellen Rahmengegebenheiten verbessert werden kann. Da Unterricht Lernen nicht direkt realisieren kann – Lernen müssen Lernende schon selbst! -, zielt das Forschungs- und Entwicklungsinteresse auf die Arrangements, mit denen Lernen erfolgreicher gestaltet werden kann. Wenn diesem Perspektivenwechsel – vom Unterricht zum Lernen – gefolgt werden kann, ist Entscheidendes schon erfolgt, denn das didaktisch-methodische Denken ist bis heute immer noch stärker davon bestimmt, eher Unterricht im Blick zu haben“ (Bönsch et al. 2010, S. 7).

Lernwerkstätten zeigen für Innovationsvorhaben an der eigenen Schule vielfache Entwicklungspotentiale auf schulpraktischer Ebene: Sie dienen als Ideenbörse und Versuchsfeld zur Schulentwicklung. Unter dem Aspekt „Wer lehrt braucht selber Raum zum Lernen“ (Kirschhock 2008, S. 31) können Lernwerkstätten an Schulen Orte der Reform für Lehrkräfte und Schulen sein. Dort haben Lehrer*innen die Chance, eine neue Perspektive auf Lehren und Lernen zu gewinnen und daraus Überzeugungen entstehen zu lassen, die dann auch im weiteren Unterricht zum Repertoire dazugehören. (Selbst-) Beobachtung und ein intensiver Austausch über Lehr- und Lernprozesse im Kollegium lassen zusätzlich eine Reflexion und Weiterentwicklung zu. Letztlich ist die Reflexion über schulisches Lernen im Kolleg*innenkreis notwendig, um tatsächlich den Mut zu finden, offene Lern- und Arbeitsformen zu erproben (vgl. Kirschhock 2008, S. 32 ff., Möhle-Buschmeyer 1996, S. 139 ff.). Zudem besteht für Lehrer*innen, die an einem Lernwerkstattkonzept mitarbeiten, die Möglichkeit, ihre pädagogischen Visionen zu verwirklichen. „Das kann zu einer neuen Identifikation mit der Schule und deren Profil führen – denn auch bei uns Erwachsenen spielt das Erleben von Selbstwirksamkeit eine große Rolle für das Wohlbefinden und die Arbeitsmotivation“ (Kirschhock 2008, S. 32).

Der Grundgedanke dahinter ist, wenn Lehrer*innen das Vertrauen in andere Lernformen entwickeln wollen, müssen sie selbst damit positive Erfahrungen gemacht haben. Dann fällt es ihnen leichter, ihren Schüler*innen diese Freiräume zum Denken und Handeln weiter zu geben. Hierbei wird auch Probehandeln in der neuen Lehrerrolle in diesem „Schonraum“ (ebd.) möglich. Denn zunächst soll die Lernwerkstatt Raum geben, um institutionell und traditionell ausgetretenen Pfade zu überdenken. Jeder Wunsch nach Veränderung im Lehren und Lernen muss von praktikablen Realisationsvorstellungen begleitet sein. Diese Erprobungswege können hinsichtlich der Lernbegleitung, der Lernumgebung und der Lernangebote gegangen werden, bevor Schüler*innen dazu kommen (vgl. ebd.).

Jedoch ist der Erfolg einer Lernwerkstatt nicht durch ein Konzept und dessen Implementierung von sich aus wirksam und erfolgreich. „Lernwerkstätten sind keine von sich aus wirksamen Einrichtungen. Ein mit Material gefüllter Raum garantiert noch nicht, dass sein Angebot angenommen wird oder in ihm Lernereignisse stattfinden, die dazu beitragen, Schule zu verändern. Lernwerkstätten haben am ehesten Erfolg, wenn sie von denen ausgestaltet und getragen werden, bei denen die Grundidee ´gezündet´ hat und wesentlicher Teil sowohl der persönlichen Auseinandersetzung mit der Welt wie des beruflichen Aufgabenbereichs geworden ist. Ist dies nicht der Fall, werden die Anstrengungen, die mit der ´Praktischen Erfindung´ von Lernwerkstätten verbunden sind, eher kontraproduktiv, die Projektansätze verlaufen im Sande und eine gute Idee ist allgemein zum Scheitern verurteilt, die doch am Desinteresse Einzelner gescheitert ist. Lernwerkstätten werden nicht nur einmal erfunden, sondern täglich neu. Sie zu erfinden, ist anstrengend und kostet Zeit. Aber nur, wenn Lernwerkstätten auf diese Weise gegen den Zwang zur Institutionalisierung lebendig bleiben, haben sie Zukunft. Für diejenigen, die Lernwerkstätten machen, bedeutet dies, das Fragen und Forschen nicht aufzugeben, Irritationen aufzunehmen und an ihnen weiter zu denken, und sich vor Anstrengungen und Konflikten nicht zu scheuen […] “ (Ernst 1990, S. 10, Herv. i.O.).

Demnach sind institutionalisierte Evaluations- oder Reflexionsmöglichkeiten im Kolleg*innenkreis der einzelnen Schule unentbehrlich, um immer wieder zu prüfen, ob und wie die einmal gesetzten konzeptionell gesetzten Ziele der Lernwerkstatt(-arbeit) umgesetzt werden. Auch der Blick externer Experten (u.a. durch die externe Evaluation) und die Vernetzung mit weiteren (Hochschul-) Lernwerkstätten können für die Reflexion der Lernwerkstatt(-arbeit) gewinnbringend sein (vgl. Kirschhock 2008, S. 33).

3.1 Aktuellen Herausforderungen der Bildungslandschaft gerecht werden

Viele Schulen nutzen die Potentiale von Lernwerkstätten, um aktuellen lebensweltlichen Herausforderungen gerecht zu werden, Bestrebungen zur Verbesserung der Bildungslandschaft aufzugreifen und innerhalb der Schulentwicklung umzusetzen.

Einige Umsetzungsmöglichkeiten durch Lernwerkstätten7 werden anschließend thematisiert, wie z.B. Lernwerkstätten als Lernorte für inklusive Pädagogik, Lernwerkstätten als Orte der Demokratie, Lernwerkstätten als Begegnungsort von Kindergarten und Grundschule, Lernwerkstätten im Ganztagsunterricht und naturwissenschaftliche Lernwerkstätten und digitale Learning Labs. Zum Schluss werden Lernwerkstätten generell in Beziehung zur Kompetenzorientierung gesetzt.

Aktuelle Herausforderungen der Bildungslandschaft veranlassen Schule, nach Wegen zur Bewältigung dieser zu suchen. Offene Lernsituationen werden bevorzugt genannt, wenn es darum geht, einer heterogenen Schülerschaft8 gerecht zu werden. Im Kontext der Umsetzung der UN-Konvention zu Inklusion bezieht man sich u.a. auch auf die Lernwerkstattidee. Inklusion hat zum Ziel, die Teilhabe aller Kinder zu ermöglichen. Dazu müssen Bedingungen geschaffen werden, die Herkunft, Interessen, Erfahrungen, Fähigkeiten und Wissen jedes einzelnen Kindes wahrnehmen, aufgreifen und fördern. Im Index für Inklusion werden drei Dimensionen dafür genannt. Insbesondere in der Dimension C, die Indikatoren für ein verändertes Lernarrangement definiert (vgl. Boban & Hinze 2003, S. 81-96, zit. n. Wedekind 2011, S. 10), spiegelt sich eine Pädagogik im Sinne des Lernwerkstattgedankens wider. Lernwerkstätten haben aufgrund ihrer auf Individualisierung von Lernwegen ausgerichteten Konzeption das Potential, Heterogenität als Chance und nicht als Behinderung für Lernprozesse zu sehen. Sie sind geeignet, Lernorte für eine inklusive Pädagogik sowohl für Lehrende als auch für Lernende zu sein (vgl. Wedekind 2011, S. 10).

Lernwerkstätten sind Orte der Selbst- und Mitbestimmung, wenn Unterricht nicht nur formal als „Werkstattunterricht“ tituliert ist, sondern die Schüler*innen wirklich die Möglichkeit haben, Teile des Lernens selbst bestimmen zu können. Zudem fordern Lernwerkstätten Lernende auf, Verantwortung für das eigene Lernen und das der anderen zu übernehmen. Gleichzeitig wird den Lehrenden die Möglichkeit gegeben, Verantwortung zu übertragen. Unter diesen Bedingungen kann sich die kindliche Persönlichkeit umfassend entwickeln und die Kinder können an Schule und Unterricht aktiv partizipieren und Demokratie erleben (vgl. Wedekind 2011, S. 9).

Zur Begründung der Bedeutung von Mitbestimmungsmöglichkeiten der Kinder soll ein zentraler Befund einer Studie angeführt werden: Diese Möglichkeiten wirken sich positiv auf das Empfinden von Selbstbestimmung von Kindern aus. Erfreulich ist hierbei, dass die Schüler*innen diese Freiräume wahrnehmen und somit Interessenförderung9 stattfindet. In der Wahrnehmung der Kinder ist eine Öffnung von Unterricht also mit einer Demokratisierung von Unterricht verbunden – auch wenn diese Wahlmöglichkeiten meist innerhalb eines Curriculums und institutioneller Rahmenbedingungen von Erwachsenen vorstrukturiert sind (vgl. Hartinger 2008, S. 190).

 

Die gesetzliche Grundlage von Individual- und Mitbestimmungsrechten ist auf die seit 1992 garantierten Kinderrechte, der UN-Kinderrechtskonvention (vgl. UNICEF 1989) zurückzuführen10.

Durch geeignete Beteiligungsformen sollen die Schüler*innen jedoch nicht nur an der Gestaltung des Unterrichts beteiligt werden, sondern am gesamten Schulleben: „Die Grundschule ist eine Schule der Demokratie. Die Mitwirkung an der Gestaltung einer gerechten und für alle Menschen lebenswerten Welt muss schon im Grundschulalter geübt werden. Die Grundschule ist daher gehalten, die Mitwirkungsmöglichkeiten der Kinder an der Gestaltung des Unterrichts, des Schullebens und der in der Schule gepflegten Umgangsformen vom ersten Tag an aufzugreifen, auszuschöpfen und durch angemessene Beteiligungsformen weiterzuentwickeln. Dies betrifft die Wahl einzelner Unterrichtsthemen und Inhalte ebenso wie die Wahl von Lernzeiten und Lernpartnern, von Lernwegen und Methoden, aber auch die Mitbestimmung über die Regelung gemeinsamer Angelegenheiten im Zusammenleben der Schulgemeinde sowie die Mitgestaltung einzelner Veranstaltungen und Höhepunkte des Schullebens“ (GSV).

Für anschlussfähige Bildungs- und Erziehungsprozesse bergen Lernwerkstätten für künftige Schulkinder vielfältige Möglichkeiten. Vorschulkinder können bereits vor Schulbeginn Schulkinder und den Ort Schule kennen lernen, ebenso findet in der Lernwerkstatt der erste Kontakt mit den künftigen Lehrer*innen statt. Gleichzeitig kommen dort pädagogischen Fachkräfte von Kindergarten und Grundschule inhaltlich ins Gespräch, sodass eine gute Abstimmung im Übergangsbereich erreicht werden kann (vgl. Wedekind 2011, S. 10). Als Beispiel sei hier ein Modellprojekt des Bundesprogramms „Lernen vor Ort“ genannt. Dieses Programm hat im Wesentlichen das Ziel, die Übergänge zwischen den einzelnen (institutionellen) Bildungsphasen zu verbessern, indem Kommunikations- und Kooperationsstrukturen geschaffen werden. In München wurden im Rahmen dieses Projekts an zehn Standorten kooperative Lernwerkstätten unter dem Namen LuKS (Lernumgebungen für Kindergarten und Schule) eingerichtet (vgl. Odersky 2011, S. 28). Über das Lernen in der LuKS-Lernwerkstatt wird fest gestellt: „Lernen in der Lernwerkstatt folgt manchmal anderen Gesetzmäßigkeiten und ist anderen Grundgedanken verpflichtet als der „normale“ Unterricht im Klassenzimmer: Es richtet sich nach den Interessen jedes Kindes, es ist forschend-entdeckendes Lernen, es ist ko-konstruktives Lernen, denn in einer Lernwerkstatt lernt das Kind nie allein, sondern immer umgeben von anderen Interessierten, Beobachtenden, Zweifelnden, und das Lernen erfolgt inzidentell, es gibt also keine didaktisch ausbearbeiteten kleinen Schritte, sondern überraschenden Lernwünschen kann genauso nachgegangen werden wie Lernwegen, die sich unter Umständen nicht als zielführend erweisen, denn Umwege müssen manchmal sein. Inzidentelles Lernen ist eben auch unsystematisches Lernen“ (Odersky 2011, S. 30). Die Vorschulkinder haben in Lernwerkstätten die Möglichkeit, in schulisches Lernen hinein zu wachsen.

Im Rahmen von Ganztagsunterricht geben Lernwerkstätten die Möglichkeit, als ganztätige Lern- und Begegnungsorte genutzt zu werden. Durch interessenfördernde Angebote können die Kinder dort individuell gefördert werden. Gleichzeitig kann die Lernwerkstatt ein Ort der Begegnung verschiedener Professionen sein, die im Ganztag zusammenarbeiten (vgl. Wedekind 2011, S. 9 f.).

Nach verschiedenen (inter-)nationalen Vergleichsstudien wie PISA und TIMSS ist die naturwissenschaftliche Förderung im Primarbereich wieder verstärkt in den Fokus getreten. Hier können Lernwerkstätten zu entdeckendem Experimentieren ermutigen. Sie lassen den Kindern Raum, ihren eigenen Fragen nachzugehen und materialgeleitet Erfahrungen zu bestimmten Phänomenkreisen zu machen (vgl. ebd.). Im Zuge der Digitalisierung der Schule ist zu beobachten, dass digitale Learning Labs entstehen sowie digitale Medien generell zum individualisierten, selbstgesteuerten Lernen eingesetzt werden.

Abschließend soll die Kompetenzorientierung der Lehrpläne für die Verbesserung der Qualität von Bildung in den Blick genommen werden. Lernwerkstätten an Schulen berücksichtigen in ihrer inhaltlichen Konzeption in besonderem Maße aktuelle Entwicklungen in der Lern- und Unterrichtsforschung, die den Unterschied von Unterrichten und Lernen betonen. Das eine betont die Tätigkeit des Lehrenden, das andere die Tätigkeit des Lernenden. Es wird von einer konstruktivistischen Sicht des Lernens ausgegangen, bei der der Lernerfolg des Lernenden davon abhängt, selbsttätig und eigenverantwortlich mit Lernaufgaben umzugehen. Denn Lernen unter dieser Sichtweise wird als eine individuelle, aktive Konstruktionsleistung auf der Grundlage von Lernimpulsen einer Lernumgebung gesehen (vgl. Wiater, Della-Torre & Müller 2002, S. 51). Kompetenzorientierte Lehrpläne stellen selbstgesteuertes Lernen und Lernen durch eigene Erfahrung in den Mittelpunkt. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die Lernenden ihre Kompetenzen aktiv erwerben und in (neuen) Kontexten anwenden müssen. Genau an diesem Punkt setzt Lernen in der Lernwerkstatt an, indem an das Vorwissen und auch an die kindlichen Bedürfnisse und Erfahrungen anknüpft wird.

Eine Reflexion zu Qualitätsverbesserungsmaßnahmen schließt das Kapitel. In den letzten Jahren ist schulisches Lernen zu einer gesellschaftlichen herausfordernden Aufgabe geworden. Diese Herausforderung zeigt sich in der Suche nach der „[…] bruchlosen Bewältigung anstehender Probleme […]: Rasche, einfache Lösungen sind gefragt“ (Schratz, Schwarz & Westfall-Greitner 2012, S. 21). Nach PISA und weiteren Vergleichsstudien wird nun nach Qualitätsverbesserungsmöglichkeiten gesucht, welche momentan besonders in innere Schulentwicklungsprozesse zur Förderung von Schülerleistungen münden. Diese Bemühungen werden aber auch regelmäßig wieder durch die Ergebnisse der Vergleichsstudien enttäuscht, die wiederum nicht die erhofften Verbesserungen widerspiegeln. Es zeigen sich hier folgende Muster, deren „Spielregeln in unserer Zivilisation darauf ausgerichtet sind, Lehrinhalte durch das Arrangement von Raum, Zeit, Lehrer- und Schülerrolle so zu präparieren, dass sie der möglichst schleunigen, zielfixierten und messbaren Bewältigung möglichst geringen Widerstand entgegensetzen: Lernen soll demnach möglichst vielen Lernenden, möglichst mundgerecht, bewältigbar gestuft präsentiert werden“ (Rumpf 2012, S. 94).

Werden Schülern*innen hiermit nicht ihre Lernchancen genommen? Müssen sich Schüler*innen in so einer bereiteten Lernumgebung noch um ihr Lernen bemühen, wenn schon alles vorbereitet und vorstrukturiert ist? Gehen die Schüler*innen noch ihrer eigenen Fragestellung nach? Eher nicht, weil diese Art des Lehrens und Lernens stark vom Lehrenden ausgesteuert ist und nicht die wirklichen Schülerfragen problematisiert. Lernen „passiert“ aber in einer Verstrickung zwischen Lehrenden und Lernenden. Lehren vollzieht sich erst im Lernen der anderen (vgl. Meyer-Drawe 2008). Was passiert mit Schüler*innen, die in einem vom Lehrer inszenierten und methodisch aufbereiteten Unterricht keine adäquaten Lernerfahrungen machen können, weil es manchen Schüler*innen nicht sinnvoll erscheint, sie anzunehmen, sich dafür zu interessieren und zu motivieren? Die Folge liegt nahe: Schüler suchen sich Ersatz-Lernerfahrungen, die sich auch durch auffälliges Verhalten oder Lernschwierigkeiten zeigen können, oft aber fehlinterpretiert werden (vgl. Schratz, Schwarz & Westfall-Greitner 2012, S. 21 ff.).

Geht es nicht vielmehr darum, Schüler*innen in sozialen Arrangements Raum und Zeit zu geben, selbstständige und selbstbestimmte Lernerfahrungen zu machen? Die Erfahrung zu machen, dass Lernen heißt, fremde Situationen und deren Anforderungen zu erkennen und diese durch eine Lernerfahrung zu meistern, und nicht als Defizit wahrzunehmen? Es muss vielmehr darum gehen, Lehren und Lernen vom Lernenden aus zu denken. Vorerfahrungen der Lernenden können jedoch nicht vom Lehrenden aus angenommen, sondern müssen beim Lernenden erfragt werden, die Planung von Unterricht muss „dialogisch“ (Ruf, Keller & Winter 2008) sein. Lernen muss zu einem gemeinsamen Anliegen des Lehrenden und Lernenden werden.

Für die Arbeit in Schule und Unterricht bedeutet dies, dass die Bedürfnisse und die Erfahrungen des Kindes ausfindig gemacht und einbezogen werden müssen (Schultheis & Hiebl 2016), wenn es darum geht, sich Gedanken über erfolgreiches Lernen im Rahmen von Schulentwicklungsprozessen zu machen.

3.2 Qualitätsmerkmale von Lernwerkstätten

Dieses Kapitel zeigt ausgewählte Modelle und Verfahren zur Qualität von Lernwerkstätten. Die Evaluation einer Lernwerkstatt, die entweder durch eine Fremd- oder Selbstevaluation vollzogen werden kann, wird sich in der Regel vor allem auf folgende Bereiche konzentrieren, die gleichzeitig auch als Qualitätskriterien zu sehen sind (vgl. Hagstedt 2005). Die Übersicht in nachfolgender Tabelle ist eine eigene Zusammenstellung der in der Theorie und Praxis zu Lernwerkstätten vorgefundenen Kriterien, diese sind jedoch weder durch Lernwerkstättenforschung empirisch belegt noch evaluiert. Je doch wird im Verlauf der weiteren Ausführungen zu erkennen sein, dass

sich diese Qualitätskriterien aus wissenschaftlich belegten Kriterien der Externen Evaluation ableiten lassen.


Aspekt Kriterien
Stellung des Werkstattunterrichts innerhalb des Klassen-unterrichts Lehrplanbezug Themenverteilung Zeitanteil
Struktur der Werkstatt Werkstattmodell verwirklichte Lernformen Verhältnis von Fremd- und Selbststeuerung der Schüler Formen der Lernkontrolle
Gestaltung der Lernumgebung und des Lernangebotes Ästhetik des bereitgestellten Materials Raumgestaltung, Lernatmosphäre Formulierung der Arbeitsaufträge und Selbstkontrollmöglichkeiten Individualisierende Lernangebote (Strukturiertheit, kognitive Aktivierung) Rolle von Arbeitsblättern
Schülerrolle und Schülerverhalten Verteilung von Einzel-, Partner- und Gruppenkontakten Grad der Eigenaktivität und Selbstständigkeit Auswahl von Lernmitteln und Schwierigkeitsgraden Äußere Form der Aufgabenbearbeitung Rückmeldung
Lehrerrolle Didaktische Analyse Organisation Teamarbeit Lern- und Verhaltensdiagnostik Art der Lernberatung
Diagnostische Lehrertätigkeit Kontinuierliche Leistungsfeststellung Auswertung von Schülerergebnissen Diagnose von Schülerleistung Schülerbeobachtung
Nachhaltigkeit Auswirkung auf die Lernhaltung der Schüler im traditionellen Unterricht

Tabelle: Zusammenstellung von Qualitätskriterien

(vgl. StMUK (2008): Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hrsg.): Über die Hand zum Verstand. Handreichung für den Aufbau einer Lernwerkstatt. München, S. 22.

vgl. Hagstedt, H. (2005): In Werkstätten lernen – wie Forscher arbeiten. In: PÄDForum 4/2005)

Nach Pallasch & Reimers (1990) lässt sich die Qualität der Werkstattarbeit durch vier Prinzipien zusammenfassen: Partizipationsprinzip, Strukturierungsprinzip, Ganzheitsprinzip und Balanceprinzip.

Auf der Suche nach klaren Beschreibungen und grundlegenden Merkmalen für Lernwerkstätten und Lernwerkstattarbeit verfasste der Verbund europäischer Lernwerkstätten e.V. (VeLW)11 im Jahr 2009 ein Positionspapier (VeLW 2009) mit dem Ziel, zur Klärung und Beschreibung der Begriffe beizutragen und Qualitätsmerkmale zu benennen. Der Verbund europäischer Lernwerkstätten e.V. wollte sich damit für den Auf- und Ausbau von Lernwerkstätten, die Verbreitung der Idee der Lernwerkstattarbeit und ihre theoretische sowie praktische Weiterentwicklung in den Bereichen der Elementar- bis Erwachsenenbildung einsetzen (vgl. ebd., S. 4). „Ziel ist es, zu einer Klärung der Begriffe Lernwerkstatt und Lernwerkstattarbeit beizutragen und Qualitätsmerkmale zu benennen, die aus unserer Sicht angelegt werden sollten. Wir möchten damit verhindern, dass es zu weiteren inflationären Umdeutungen der Begriffe kommt, die möglicherweise die Besonderheiten und hohen qualitativen Ansprüche, die der Verbund europäischer Lernwerkstätten (VeLW) e.V. und seine Mitglieder an die Arbeit in Lernwerkstätten stellen, fehl deuten und beschädigen“ (ebd.). Auf der Grundlage einer lerntheoretischen Basis werden deshalb dort differenzierte Qualitätsmerkmale für den Bereich der Rolle des Lernenden, für die Rolle des Lehrenden und für die Lernwerkstatt als Raum beschrieben. Die Nachhaltigkeit des Lernens in Lernwerkstätten wird demnach durch die Professionalität und Kontinuität des Lernangebots gesichert. Es wird umso nachhaltiger, je öfter es auch außerhalb des „geschützten Raumes“ Lernwerkstatt umgesetzt wird. Voraussetzungen sind die Personalisierung, Materialisierung und Institutionalisierung der Angebote.

 

Diese Qualitätsmerkmale wurden von Experten12 der Lernwerkstattbewegung aus jahrzehntelanger praktischer Erfahrung deduziert und theoretisch begründet.

Von der deutschen Kinder- und Jugendstiftung wurde das Verfahren „Audit - für gemeinsame Lernwerkstätten von Kitas und Grundschulen“ (dkjs 2011) herausgegeben. Es ist ein praktischer Leitfaden zur Qualitätsentwicklung13. Audit möchte allen Pädagog*innen aus Kindertagesstätten und Schulen, die eine gemeinsame Lernwerkstatt planen oder ihre bestehende Lernwerkstatt weiterentwickeln wollen, ein innovatives Qualitätsinstrument an die Hand geben. Es verbindet einen Qualitätsrahmen (Was macht eine gute Lernwerkstatt aus?) mit einem dialogorientierten Verfahren zur Selbstbewertung (Wo stehen wir mit unserer Lernwerkstatt?), mit dem die eigene Arbeit eingeschätzt und verbessert werden kann. Der Prozess wird von externen Partnern unterstützt, die mit ihrem kritischen Außenblick helfen, vorhandene Stärken und Potentiale wahrzunehmen (vgl. ebd., S. 3).

Das Verfahren unterstützt Pädagog*innen dabei, im Dialog miteinander und in Kooperation mit externen Partnern die Qualität ihrer den Übergang gestaltenden Kita-Grundschul-Lernwerkstatt kontinuierlich zu verbessern. Das soll in drei Schritten erreicht werden: (1) Der Selbstbewertungsworkshop: Die Pädagog*innen tauschen sich über den Entwicklungsstand ihrer Lernwerkstatt aus. Mithilfe der im Audit formulierten Leitsätze und Kriterien identifizieren sie Stärken und Verbesserungsmöglichkeiten. (2) Die Ziel- und Maßnahmenplanung: Aus den Ergebnissen des Selbstbewertungsworkshops werden konkrete Ziele und Maßnahmen abgeleitet. Innerhalb eines festgelegten Zeitraumes wird nun die Lernwerkstatt in diesem Sinne weiterentwickelt. (3) Das Rückmelde- und Beratungsgespräch: Nach diesem Zeitraum laden Pädagog*innen ihre externen Auditor*innen ein und stellen ihnen die bisher geleistete Arbeit vor. Die Auditor*innen identifizieren die Entwicklungsfortschritte der Kita- und Grundschul-Lernwerkstatt und würdigen diese. Eine Weiterentwicklung hat dieses Audit in „LERNEN BEGLEITEN. Eine Orientierungshilfe für die pädagogische Arbeit in Lernwerkstätten“ (dkjs 2017) gefunden. Verfahren zur (Selbst-) Evaluation interessieren im Kontext der Ausführungen deshalb, weil Lernwerkstätten nach der Implementierung vor der Aufgabe stehen, sich weiter zu entwickeln. Das Audit eignet sich für die Qualitätsentwicklung von Lernwerkstätten und kann gleichzeitig an Schulentwicklungen und Innovationen, die individuelles, kompetenzorientiertes Lernen fokussieren, adaptiert werden.

Die aufgezeigten Qualitätsmerkmale und Verfahren zur Qualitätsentwicklung von Lernwerkstätten reihen sich in die qualitätsrelevanten Merkmale von Unterricht und Schule, wie sie bei der externen Evaluation14 vorzufinden sind, ein. Innerhalb der externen Evaluation von Schule werden Beobachtung und Rückmeldung nach qualitätsrelevanten Merkmalen durchgeführt. Dazu sind die Kriterien dieser Merkmale vorab definiert und durch Indikatoren beschrieben. Zu diesen Kriterien werden diverse Beobachtungen aus mehreren Perspektiven angestellt. Sie stellen dann einen Rahmen dar, zu dem das Evaluator*innenteam der Schule die Ausprägung rückmeldet.

Die Beobachtungsbereiche und qualitätsrelevanten Merkmale zu (1) Rahmenbedingungen, (2) Prozessqualitäten Schule, (3) Prozessqualitäten Unterricht und Erziehung und (4) Ergebnisse schulischer Arbeit werden im Folgenden überblicksmäßig dargestellt, um den Zusammenhang mit den vorher genannten Qualitätsmerkmalen von Lernwerkstätten sichtbar zu machen. Sie können bei der Implementierung von Lernwerkstätten als Qualitätsrahmen dienen.

Die Rahmenbedingungen (Standort, Schülerschaft, Personalstruktur, materielle und finanzielle Ressourcen und organisatorische Besonderheiten) beschreiben die besonderen Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen die einzelne Schule arbeitet. Sie sind keine zu beurteilenden Qualitätsaspekte, sondern zeigen den Rahmen auf, der bei der Einordnung der Schule berücksichtigt werden sollte. Es können weitere Beobachtungen, die für die Schule charakteristisch sind, ergänzt werden. Die materiellen und finanziellen Ressourcen werden in „förderlich“ bzw. „einschränkend“ eingeteilt.

Die Prozessqualitäten Schule zeigen an, um welche Eigenschaften guter Schule es geht: (1) Leitung der Schule (Unterstützende Personalführung, Zielorientiertheit der Leitung, Effizienz der Arbeitsorganisation), (2) Arbeit des Kollegiums (Offenheit gegenüber dem schulischen Umfeld, Bestimmtheit der kollegialen Arbeit), (3) Entwicklung der Schule (Offenheit für Veränderung, Systematik der Qualitätsentwicklung, systematisches Monitoring) oder Schulkultur (Achtung der Beteiligten, Interessenförderung, Intensität der Mitwirkung, Förderung der Identifikation mit der Schule, Förderung der Inklusion).

Unter Prozessqualitäten Unterricht und Erziehung versteht man den Ablauf (Effizienz der Lernzeitnutzung, Effizienz der Verhaltensregulierung), die Darstellung (Strukturiertheit der Darstellung, Klarheit der Darstellung), die Gestaltung (Individuelle Unterstützung, Förderung selbstgesteuerten Lernens, Förderung der Lernmotivation, Sicherung des Lernerfolgs, Förderung überfachlicher Kompetenzen) und das Unterrichtsklima (Lernförderlichkeit des Unterrichtsklimas).

Ergebnisse schulischer Arbeit werden in den Bereichen Unterrichtscharakteristik, Niveau der Lernergebnisse und Zufriedenheit aufgezeigt. Als „Unterrichtscharakteristik“ wird hierbei eine Zusammenschau ausgewählter Merkmale von Unterricht bezeichnet (z. B. Sozialformen), deren unterschiedliche Ausprägungen nicht allgemein zu bewerten sind, die der Schule aber als Reflexionsgrundlage für die Unterrichtsentwicklung dienen können.

In der nachfolgenden Tabelle wird das Kriterium selbstgesteuerten Lernens herausgegriffen, welches im Rahmen von Lernwerkstattarbeit eine besondere Rolle spielt. Es zeigt beispielhaft die Definitionen des Kriteriums und die zugehörigen Indikatoren.


Definition des Kriteriums selbstgesteuerten Lernens Anforderungen
Allgemein: Beim Kriterium “Förderung selbstgesteuerten Lernens“ geht es um die Frage, inwieweit die Schüler im Unterricht diejenigen Kompetenzen erwerben können, die sie für erfolgreiche Lernprozesse benötigen. 1. Die Schüler erhalten Gelegenheiten, Strategien zur Organisation des Lernprozesses zu erwerben. (Unter Strategien der Organisation werden Strategien verstanden, welche die Rahmenbedingungen des Lernens verbessern.) 2. Die Schüler erhalten Gelegenheiten, sich Strategien anzueignen, mit denen Wissen nachhaltig erworben werden kann. (Unter Strategien des nachhaltigen Wissenserwerbs werden sämtliche Techniken verstanden, welche die Effizienz der Aufnahme, Festigung und Vertiefung von Wissen steigern.)
Konkret: Die Förderung selbstgesteuerten Lernens ist umso ausgeprägter, je mehr Gelegenheiten die Schüler haben, Lernstrategien zu erwerben. 3. Die Schüler erhalten Gelegenheiten, Strategien der Informationsbeschaffung zu erwerben. (Unter Strategien der Informationsbeschaffung werden sämtliche Herangehensweisen verstanden, die dazu dienen, selbstständig Informationen verfügbar zu machen und auf ihre Brauchbarkeit hin zu überprüfen.)

Tabelle: Kriterium selbstgesteuerten Lernens (ISB 2013)