Faith

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Aus der Reihe: Faith #1
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Valuta Tomas

Faith

You changed my World

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Impressum neobooks

Kapitel 1

Nachdenklich tippt Abigail mit einem Bleistift gegen die Unterlippe. Ihre Augen wandern über zwei Pinnwände. Foto für Foto betrachtet sie die Gesichter von fünf Männern, die laut Statistik nicht unterschiedlicher sein können. Anwalt, Börsenmakler, Lehrer, Obdachloser und ein Dealer haben auf diesen beiden Pinnwänden ihren letzten Platz gefunden. Fotos die von ihren jeweiligen Familien für diese Untersuchungen bereitgestellt worden sind, hängen über jenen, die die toten Körper der Männer zeigen. Erstochen und in ihrem eigenen Blut zum sterben zurückgelassen, haben sich die Tatortfotos schon so detailreich in Abigails Gedächtnis gebrannt, dass sie diese Fotos eigentlich nicht mehr bräuchte. Sie kennt jede Einzelheit.

»Na Blondchen, bist schon weitergekommen?« Genervt rollt Abigail die Augen und atmet dementsprechend laut aus. Sie nimmt das Geräusch hinter sich wahr, wie sich ihr Kollege mit vollem Körpereinsatz in seinen Sessel wirft. Sie weiß selbst, dass die Haare auf ihrem Kopf durchaus nicht blonder sein könnten. Aber genau dadurch wird sie oft unterschätzt. Sie verstand schon sehr schnell, dass die meisten Menschen tatsächlich noch nach dieser beleidigenden Einstellung Blond-Blauäugig-Blöd vorgehen. Allerdings konnte sie mit ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen schon viele von solch stumpfsinnigen Menschen in die Schranken weisen. Wenn es nötig war, wühlte sie in ihrem Mitte dreißiger Kopf und warf ihrem Gegenüber einen Wissensstand vor die Füße, dass dieser erst einige Zeit brauchte, um den Brocken zu schlucken. Sie würde sich zwar selbst nicht als Intelligenzbestie bezeichnen, aber den Titel Blond-Blauäugig-Blöd konnte sie somit schon oft genug abstreifen. Dass sie zu ihren blonden Haaren tatsächlich noch blaue Augen mit auf dem Weg bekam, scheint von der Natur ein schlechter Scherz gewesen zu sein. Oder ihr wurde einfach das falsche Gehirn mitgegeben. Diese Möglichkeit besteht natürlich auch noch. Weshalb ihre Eltern ihr aber auch diesen typischen Porno-Namen Abigail gaben, versteht sie bis heute nicht. Vielleicht standen ihre Eltern damals bei der Namenssuche unter illegalen Betäubungsmitteln.

»Nicht wirklich.« Bockig wie eine Bergziege setzt sie sich zu ihrem Kollegen an den Besprechungstisch. Sie blickt noch einmal flüchtig zu den Fotos zurück bevor sie sich den mitgebrachten Karton Donuts ranzieht. Kaum ist der Deckel geöffnet, klappt ihr die Kinnlade herunter.

»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Du hast alle Donuts weggefressen?« Liam grinst, zwinkert ihr zu und wischt sich demonstrativ die letzten Krümel aus dem Oberlippenbart.

»Bullenklischee. Außerdem«, mit einem flüchtigen Blick über Abigails schlanken Körper, spricht er somit auf ihre Figur an.

»brauchst du dieses fettige Zeug nicht. Sonst bekommst du vielleicht irgendwann das Halfter nicht mehr an deine Hüfte.«

»Arschloch«, grummelt Abigail, als sie den Karton mit einer Handbewegung zur Tischmitte befördert.

»Das habe ich gehört.«

»Wäre schlecht wenn nicht. Schließlich sitzt du direkt neben mir.« Abigail nahm noch nie ein Blatt vor den Mund. Sie sagte was sie dachte und eckte damit leider schon allzu oft bei einigen Leuten an. Selbst Liam, der mit Anfang vierzig sicherlich noch kein Hörgerät benötigt, sagt sie deutlich was sie denkt. Auch wenn er den Anschein macht, als wenn er das manchmal gar nicht hören will.

Sie blickt wieder zu den beiden Pinnwänden.

»Es ist echt zum verrückt werden. Alle wurden erstochen. Es wurde sich also Mühe mit dem ermorden gegeben. Die Männer sollten nicht das Vergnügen haben auf schnelle Weise durch eine Kugel sterben. Scheinbar wollte unser Täter, dass sie genau wussten was auf sie zukam.« Stumm stimmt Liam der Aussage seiner Kollegin nickend zu.

»Mich macht es aber auch stutzig, dass es in keinem der Fälle um einen Raubmord ging. Jeder von ihnen war noch im Besitz seiner Brieftasche, oder seines Hab und Guts. Dem Täter ging es offensichtlich also nur um die reine Person. Nur warum?« Anstatt sich in Abigails Gedankengänge einzubringen, rührt Liam in dem mitgebrachten Cappuccinobecher herum.

»Auch gibt es keinerlei Verbindungen zwischen den Männern. Sie sind sich noch nie im Leben begegnet. Noch nicht einmal in einer Kneipe. Der Täter scheint seine Opfer willkürlich auszusuchen.«

»Glaubst du?« Endlich mal ein Wort von Liam.

»Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Mich macht dieser Fall wahnsinnig.« Abigail lehnt sich in den Stuhl zurück und beginnt mit den Beinen zu wackeln. Das tut sie immer wenn sie angestrengt nachdenkt. Ihre Augen verweilen derweil auf den Fotos.

»Ok, willkürlich war das falsche Wort. Der Täter wusste schon wen er da vor sich hat und wo diese Person zu finden war. Er muss sich also vorher gründlich über die Opfer informiert haben. Der Anwalt und der Börsenmakler wurden jeweils nach Feierabend in ihren Büros ermordet. Der Lehrer auf dem Nachhauseweg von einem Elternsprechabend. Der Obdachlose in seiner Zuflucht und der Dealer hinter einer Bar. Unser Mörder musste ihnen also auf Schritt und Tritt folgen.«

»Und was sagt dir das?« Stellt Liam nur Fragen, oder bringt er auch mal selbst ein paar Ideen mit ein?

»Dass es sich um einen Racheakt handelt. Was anderes fällt mir hierzu langsam nicht mehr ein. Nur warum? Wir haben die Vergangenheit sämtlicher Opfer fast bis zur Geburt durchforstet. Nichts deutet darauf hin, dass sie sich kannten. Sie hatten noch nicht einmal dieselben Interessen. Was wollte unser Mörder also mit seinen Taten erreichen?«

»Das, Blondchen, ist unsere Aufgabe herauszufinden. Aber für heute reicht es. Ich mache Feierabend. Wir sehen uns morgen.«

»Ja ja, lass mich ruhig mit meinen Gedanken alleine. Wofür habe ich eigentlich einen Partner?«, grummelt Abigail wütend vor sich hin. Liam hat zu diesen einzelnen Morden tatsächlich noch nicht allzu viel mit eingebracht. Liegt aber vielleicht auch daran, dass sie sämtliche Informationen wie ein Schwamm aufsaugt und für ihren Kollegen nur noch der letzte Rest übrigbleibt.

Liam verabschiedet sich mit einem flüchtigen Winken und huscht durch die Bürotür. Stille kehrt ein. Abigails Augen ruhen auf den Fotos.

»Was habt ihr angestellt, dass man euch das antat?«


Das Holster und die Marke abgelegt, betritt Abigail kurz vor Mitternacht eine Lesbenbar. Eine der wenigen die sie noch nicht ausprobiert hat. Ansonsten kann sie sich tatsächlich damit brüsten schon jede Lokalität für sich beansprucht zu haben. Ebenso eine ungewisse Anzahl an Damen die solche Räumlichkeiten aufsuchen.

Was ihre Arbeit angeht ist Abigail das pulsierende Gesetz. Sie hütet es und spielt nach sämtlichen Regeln. Allerdings hat sie es nicht so mit dem Pflichtbewusstsein wenn es um ihr Liebesleben geht.

Weil es der einzig freie Platz an der Theke ist, setzt sie sich auf den letzten Hocker am Ende des Tresens. An der anderen Eckseite fällt ihr eine junge Frau auf die ganz ihrem Beuteschema entspricht. Kurze schwarze Haare und sportlicher Körper. Was will man mehr?

Unbewusst beißt sich Abigail leicht gierig auf die Unterlippe. Die Nacht kann also noch sehr interessant für sie werden.

Gerade als sie die Frau ansprechen und einen Drink anbieten will, sieht sie, wie auf der anderen Seite eine fremde Frau die Schwarzhaarige anspricht.

»Lust auf einen Tanz?«, säuselt die junge Frau verführerisch. Wer könnte da schon Nein sagen? Abigail definitiv nicht. Die Frau an der Theke offensichtlich schon. Ohne die Frau anzusehen oder den gesenkten Kopf zu heben, schüttelt sie diesen. Schaufend und diesen Korb verdauend, tritt die tanzfreudige Dame den Rückzug an.

Abigail bestellt ein Bier, behält ihre Augen aber bei der schwarzhaarigen Frau. Sie will ihre Chance nicht verpassen. Diese behält ihren Blick auf ihrer eigenen Flasche Bier. Mit gepflegten Fingern zupft sie an einer Ecke des Etiketts. Sie scheint sich keineswegs für das rege Treiben in dieser Bar zu interessieren. Aber weshalb geht man sonst in so eine Lokalität? Wirklich nur um ein Bier zu trinken? Abigail würde so etwas nie in den Sinn kommen. Schon immer suchte sie solche Räumlichkeiten auf, um sich für ein paar Stunden mit einer hübschen Frau zu vergnügen. Für mehr sind diese Bars in ihren Augen nicht geeignet. Jedenfalls nicht um stumm am Tresen zu sitzen und interessante Gelegenheiten an sich vorbeiziehen zu lassen.

Bei dem Gedanken, muss Abigail schmunzeln. Sie würde eine Einladung niemals ausschlagen. Allerdings wird sie stummer Zeuge davon, dass eine weitere Frau die Schwarzhaarige zu einem Tanz auffordert. Wieder verneint diese.

Auch wenn Abigail die Entscheidung der Frau absolut nicht nachvollziehen kann, wird dadurch ihr Interesse geweckt. Nicht nur ihr Interesse, sondern auch ihr Kampfgeist. Sie wird einen Versuch starten, sich aber nicht so leicht abwimmeln lassen wie die anderen beiden Frauen zuvor.

 

»Kein Verlangen nach Gesellschaft?«, wirft sie der schwarzhaarigen Frau hinüber. Diese hebt den Kopf und schaut sie an. Strike, angebissen.

Abigail will sich gerade für ihren kleinen Erfolg selbst loben, als sie in die Augen dieser schwarzhaarigen Frau blickt. Für einen kurzen Moment bleibt ihr die Luft weg. Langsam öffnet sich ihr Mund. Fast geschockt starrt sie in die braunen Augen der Frau. In ihrem ganzen Leben hat sie so einen Ausdruck in menschlichen Augen noch nie gesehen. Augen die so tief und dunkel sind, dass sie einen fast wie ein schwarzes Loch in sich aufsaugen. Augen die so viele unterschiedliche Gefühle ausdrücken, dass Abigail keines davon deuten kann. In diesen Augen scheint es wirr umherzugehen. Fast wie ein Tornado wüten dort unzählige Gefühle. Sturm um Sturm kämpfen diese dort um die größte Aufmerksamkeit. Und mit jedem Sturm scheint der Körper der Frau zu kämpfen. Denn Abigail kann ein unglaubliches Maß an Erschöpfung in diesen Augen sehen.

»Offensichtlich nicht«, brummt die schwarzhaarige Frau, steht vom Hocker auf, legt einen zehn-Dollar Schein unter die Bierflasche und verlässt den Tresen.

Bevor Abigail zu einer menschlichen Statue mutiert, reißt sie sich herum und blickt der Frau hinterher. Normalerweise würde sie der Frau nun auf den Hintern blicken, aber dieses Mal bleiben ihre Augen auf dem Rücken der Frau kleben. Auch wenn deren Körper in einer aufrechten und gestärkten Haltung geht, kann Abigail sehen, dass dieser Körper gebrochen, geschunden und geschwächt ist. Noch nie hat sie so ein wandelndes Wrack gesehen.


Körperlich vollends befriedigt, gleitet Abigails Zunge über ihre Lippen. Schwer atmend legt sie ihren Kopf auf das Kissen zurück. Mit geschlossenen Augen nimmt sie die schwankenden Bewegungen im Bett wahr, die, wie hieß sie noch gleich? Ah genau, die Susan macht, als sie dieses verlässt. Abigail öffnet erschöpft die Augen und beobachtet, wie sich Susan eine Bluse umwirft und das Schlafzimmer verlässt. Dann schließt sie wieder die Augen. Stille kehrt ein. Stille die Abigail ganz und gar auskostet. Stille, um sich mit ihren Gedanken auseinanderzusetzen. Denn diese driften von ganz alleine zu diesen dunklen und wirren Augen der schwarzhaarigen Frau aus der Bar. Abigail spürt, dass ihr für einen kurzen Moment schwindelig wird. Wie kann ein Mensch nur solch unterschiedliche Gefühle im Inneren des Körpers austragen, ohne diese nach außen hin zu zeigen? Jeder Mensch zeigt in den meisten Fällen seine Gefühle offen nach außen hin. Aber nicht diese Frau. Sie hat es scheinbar gelernt, ihren Kampf nur nach innen auszutragen, ohne die Welt daran teilhaben zu lassen.

»Durst?« Susans Stimme reißt Abigail aus ihren Gedanken. Sie öffnet die Augen und sieht das gutaussende Abenteuer direkt vor sich. Ohne es bemerkt zu haben, hat sich Susan auf ihre Oberschenkel gesetzt und schwenkt elegant eine Flasche Wasser hin und her.

Mit einem dankbaren Lächeln nimmt Abigail die Flasche und trinkt einen großen Schluck.

»Eventuell Lust auf eine zweite Runde?«, schnurrt Susan. Abigail muss nicht lange überlegen. Sie setzt sich aufrecht hin, stellt die Wasserflasche auf den Boden und lächelt.

»Selbstverständlich.« Bevor die beiden Frauen sich allerdings in einem erneuten Zungenclinch vergnügen können, hört Abigail ihr Handy klingeln.

»Das kann doch nicht wahr sein«, stöhnt sie genervt. Widerwillig lehnt sie sich zum Boden hinunter und wühlt in ihrer Hose herum. Kaum meldet sie sich, verändert sich ihre Laune schlagartig.

»Ich bin in zwanzig Minuten da.« Von einem Moment zum anderen haben sich ihre Sinne von einer erregten Ekstase in eine konzentrierte Wahrnehmung umgewandelt. Etwas wehmütig blickt sie zu Susan zurück.

»Sorry Sweetheart, die Arbeit ruft.« Schnaufend, weil ihr somit die ersehnte zweite Runde stiften geht, steigt Susan von Abigails Beinen herunter und lässt sich auf das Bett fallen. Sie beobachtet Abigail, als diese sich anzieht und dann suchend um sich blickt.

»Wo habe ich denn jetzt meine verdammte… ?«

»Suchst du die hier?«, grinst Susan. Abigail blickt zu ihr zurück. Kokett zupft Susan an der Bluse die sie trägt. Wie ein kleiner Tiger kriecht Abigail auf allen vieren auf das Bett zurück. Sie kann es sich nicht nehmen lassen Susan zu küssen, während ihre Hände an den Knöpfen der Bluse spielen. Als diese vollständig geöffnet ist, blickt sie auf den offen gelegten Körper. Schwermütig schnauft sie.

»Was für eine Schande«, bemitleidet sie sich selbst und die verpasste zweite Runde. Sie steigt aus dem Bett und zieht sich weiter an.

»Kannst dich ja mal melden wenn du Lust hast.« Susans Worte klingen ehrlich und aufrichtig. Abigail blickt zu ihr zurück und zwinkert ihr lächelnd zu.

»Schlaf schön, wird langsam Zeit.« Mit diesen Worten verschwindet sie aus dem Schlafzimmer und der Wohnung der jungen Frau, die sie in der Bar noch angetroffen hat. Es hat einige Zeit gedauert, bis sie die Augen dieser schwarzhaarigen Frau verarbeiten konnte. Als das aber getan war, schaute sie sich suchend um und erhaschte den interessierten Blick von Susan. Der Rest war schon fast Routine. Ein verführerischer Blick hier, ein nettes Wort da und alles lief seinen Gang.


»Drei Messerstiche und keine Zeugen, wie immer.« Mit verschränkten Armen steht Liam vor dem Schreibtisch des Chefarztes, der zusammengesackt in seinem großen Ledersessel hockt.

»Niemand hat gesehen wie jemand in dieses Büro gegangen ist? Soll ich das glauben?«, schnauft Abigail wütend. Sie geht um den Schreibtisch herum, geht neben dem Opfer in die Hocke und blickt in das leblose Gesicht des Arztes.

»Wir sind hier in einem Krankenhaus. Irgendjemand muss doch etwas gesehen haben.«

»Abigail, zu dieser späten Stunde wirst du hier nicht viel Personal sehen. Und selbst wenn hier plötzlich jemand umherläuft, fällt das kaum auf, weil einfach zu wenig Personal anwesend ist. Es wird doch an allen Ecken und Kanten gespart. Was erwartest du?«

»Etwas mehr Aufmerksamkeit!« Abigails Stimme wird schärfer und dominanter. Sie kann es nicht glauben. Da ist schon wieder ein Mensch getötet worden und niemand will was gesehen haben.

Die Abstände der Morde werden immer kürzer. Da wo der Mörder am Anfang nur alle paar Monate zuschlug, liegen zwischen den Morden jetzt nur noch Wochen. Der letzte lag erst zwei zurück. Und Abigail tappt noch immer im dunklen. Der Polizeipräsident, die Presse und die Öffentlichkeit wollen endlich die Aufklärung des Falls. Etwas was Abigail selbst gerne hätte. Nur weiß sie nicht so recht wie sie das anstellen soll. Irgendwie fehlt ihr der entscheidende Schlüssel zu dieser ganzen Angelegenheit.

»Verflucht!« Wütend reißt sie sich von dem Opfer weg. Mit harten Schritten verlässt sie das Büro. Dass sie dabei die Spurensicherung und den bereitstehenden Coroner fast umrennt ist ihr egal. Dieser wird ja eh einen nicht allzu weiten Weg haben, um die Leiche abzuliefern.


Mies gelaunt betritt Abigail am nächsten Morgen das Department. Ihr Schädel brummt wie ein ganzer Bienenstock. Drei Stunden Schlaf waren definitiv zu wenig. Noch mitten in der Nacht musste sie mit Liam der Frau des toten Arztes einen Besuch abstatten und ihr erklären was geschehen ist. Abigail schaffte es bisher immer, den Anblick der weinenden Witwen gut wegzustecken. Auch wenn sie solche Besuche nicht mag, ist es ein notwendiges Übel und Teil ihres Jobs.

Der Anblick des toten Arztes und die Augen dieser schwarzhaarigen Frau verfolgten sie aber. Etwas was ihr in ihrer bisherigen Karriere noch nie geschehen ist. Sie konnte immer den nötigen Abstand zu den Fällen wahren. Nie nahm sie die Bilder mit nach Hause. Es blieb hier im Department und wurde erst am nächsten Morgen wieder aufgegriffen.

»Ich weiß dass es merkwürdig klingen mag und ich will ihnen ja auch keine unnötige Arbeit machen, aber ich würde mich sicherer fühlen wenn es eine Untersuchung geben würde.« Abigail nimmt die wimmernde Stimme einer Frau wahr, die einige Tische von ihrem entfernt sitzt. Ein Kollege hat sich ihrer Sache angenommen.

»Was ist denn da los?«, grunzt sie Liam als Guten Morgen entgegen und bedient sich an der Kaffeemaschine.

»Die Frau glaubt vorgestern vergewaltigt worden zu sein. Sie ist sich aber nicht ganz sicher.« Abigail betrachtet ihren Partner sparsam. Irgendwie ist ihr Gehirn noch nicht warmgelaufen. Liam erkennt den verwirrten Ausdruck auf ihrem Gesicht und schmunzelt in die Kaffeetasse.

»Sie glaubt, dass sie betäubt war und von einem Arzt vergewaltigt wurde. Sie kommt jetzt erst, weil sich ihr Intimbereich anfühlt, als wenn sie Geschlechtsverkehr gehabt hätte, obwohl sie seit mehreren Monaten Single ist.«

»Aha.« Uninteressiert nippt Abigail an ihrem Kaffee. Ok uninteressiert ist der falsche Ausdruck. Es nimmt sie schon immer mit wenn wieder eine Frau vergewaltigt wurde. Aber jetzt muss sie sich um ihren eigenen Fall kümmern. Der tote Chefarzt.

»Also Liam, was haben wir?«

»Die Akte liegt auf deinem Tisch. Autopsiebericht ist auch schon dabei. Candel hatte letzte Nacht scheinbar wenig zutun und schmiss sich gleich noch an den Fall. Besser für uns.« Mit einem breiten Grinsen schlendert Liam mit Abigail durch die Tischreihen, um zu ihren zu gelangen.

»Doktor Walter Blanchet war ein angesehener Arzt der Chirurgie. Havard Absolvent, bester seines Jahrgangs und seit fast zwanzig Jahren im Krankenhaus angestellt. Er… .«

»Entschuldigen sie bitte.« Aus der Konzentration gerissen, blicken Abigail und Liam zu der Frau, die vielleicht vergewaltigt wurde. Unsicherheit ist in ihren Augen zu erkennen.

»Sagten sie eben Doktor Walter Blanchet?«

»Ja, kennen sie ihn?« Abigail wittert eine Spur. Die Dame nickt. Sie beginnt leicht zu zittern.

»Ja, ich war vorgestern bei ihm um meine Schulter behandeln zu lassen. Ich sagte ihrem Kollegen schon, dass ich glaube von ihm vergewaltigt worden zu sein.« Die junge Dame wirkt etwas verwirrt und unsicher.

»Doktor Blanchet? Was macht sie da so sicher?« Die junge Frau schüttelt den Kopf.

»Ich bin mir nicht sicher. Es ist nur eine Vermutung. Doktor Blanchet verabreichte mir in seinem Behandlungszimmer ein Schmerzmittel. Allerdings glaube ich, dass das eine Art Betäubungsmittel war. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass er kurz nach der Spritze meine Schulter abtastete. Ich kam irgendwann zu mir und lag auf seinem Behandlungstisch. Er sagte mir, dass die Spritze mich wohl ziemlich umgehauen hätte. Ich war so verwirrt, dass mir erst zuhause aufgefallen ist, dass zwischen meiner Ankunft im Krankenhaus und der dortigen Abfahrt insgesamt fünf Stunden vergangen sind. Meines Erachtens ist das eine viel zu lange Zeit für eine kurze Behandlung. Denken sie nicht auch?« Abigail legt die Stirn in Falten. Sie muss der Frau recht geben. Das ist wirklich zu lange. Viel zu lange.

Ohne zu überlegen nickt sie ihrem Kollegen zu.

»Veranlasse die Untersuchung. Wenn ihre Geschichte stimmen sollte, werden wir etwas finden.« Abigail betrachtet das angebliche Vergewaltigungsopfer ein paar Sekunden und wendet sich von ihr ab. Sie hört sie noch mit ihrem Kollegen reden, bekommt es aber nicht mit. Ihre Gedanken beginnen zu arbeiten. Alle Rädchen in ihrem Kopf gehen ihrem natürlichen Takt nach. Welche Gedanken und Ideen in diesem Augenblick auf sie einprasseln kann sie nicht richtig deuten. Es ist zu viel.

An ihren Schreibtischen angekommen, setzen sich die beiden Detectives an ihre jeweilige Seite. Abigail schnappt sich die Akte, die vor ihr liegt und beginnt diese zu studieren.

»Todeszeitpunkt zwischen einundzwanzig und dreiundzwanzig Uhr?«, murmelt sie vor sich hin. Sofort fällt ihr ein, wo sie zu dem Zeitpunkt war. Auf dem Weg in die Lesbenbar. Dorthin wo sie diese schwarzhaarige Frau traf und danach die nette Susan.


Bis zum frühen Abend verbringen die beiden Detectives ihre Zeit im Besprechungszimmer. Sie statteten Nachmittags einigen Bekannten des Arztes einen Besuch ab, um sich weiter über das Opfer zu informieren. Natürlich hatte der Arzt keinerlei Feinde. Er war hoch angesehen und wurde von allen Befragten in höchsten Tönen gelobt. Niemand konnte sich erklären, was es für einen Grund gab diesen super mega tollen Arzt zu töten.

 

»Klopf klopf.« Der Kollege mit dem eventuellen Vergewaltigungsopfer von heute Morgen betritt den Besprechungsraum. Fast aufgeregt wedelt er mit einer Akte herum.

»Sie wurde vergewaltigt. Gleiche bitte mal die DNA Spuren mit dem Arzt ab.« Elegant wirft der Kollege Abigail die Akte über den großen Tisch. Mit einem flüchtigen Blick zu dem hervorragenden Arzt, der neben all den anderen Opfern seinen letzten Platz an der großen Pinnwand gefunden hat, schlägt sie zwei Akten gleichzeitig auf. Ihre Augen wandern zwischen den Daten hin und her. Ihre Mimik versteinert sich. Wütend blickt sie zu dem Foto des Arztes.

»Du warst wohl doch kein Heiliger, wie?« Kochend blickt sie zu Liam, der sich gerade den letzten Donut unter die Nase schiebt.

»Er war es. Er hat die Frau vergewaltigt.« Liam blickt ebenfalls zu der Pinnwand.

»Arschloch!«, giftet er das Foto des Arztes an. Auch wenn ihr Kollege oftmals nicht sehr viel redet, kann sie doch an seinen wenigen Aussagen ausmachen, wie er zu einigen Dingen steht.

Abigail wirft ihrem Kollegen die Akte des Vergewaltigungsopfers zurück.

»Kümmere dich um den Rest. Wir bleiben hier am Ball.«

»Heute Abend schon was vor?«, löchert Liam Abigail, als deren Kollege die Tür hinter sich zugezogen hat. Von außen versteht sich. Die Polizistin kneift ihre Augen scharf zusammen. Wie eine kleine Chinesin betrachtet sie ihren Kollegen.

»Was hast du jetzt wieder mit mir vor? Wenn es wieder eine Sauftour werden sollte, lehne ich dankend ab. Ich leide jetzt noch unter dem Wodka Trauma.« Liam schmunzelt, als er lässig den Kopf schüttelt.

»Nein, Karen hat dich zum Abendessen eingeladen. Sie möchte gerne mal wieder mit dir über Weiberkram quatschen.«

»Weiberkram? Ich? Auch wenn ich ganz danach aussehe, stehe ich nicht auf Eyeliner und Maniküre.« Liam blickt sie mit funkelnden Augen belustigt an.


»Hey Abigail, schön dass du zugesagt hast«, jauchzt Karen abends und schmeißt sich Abigail noch in der Haustür ungebremst um den Hals.

»Ich hatte ja auch keine andere Wahl«, krächzt die Polizistin und versucht ihren Kehlkopf im Hals zu behalten. So stürmisch wurde sie schon lange nicht mehr von jemandem begrüßt.

»Abiiii«, kreischt es plötzlich durch das Haus, kaum das Abigail dieses betreten hat.

»Oh mein Gott! Monster!,« quietscht sie gespielt ängstlich, als mit geballter Ladung drei kleine Zwerge auf sie zugeschossen kommen. Zwei Mädchen und ein Junge rasen mit zerstörerischer Kraft auf die Polizistin zu. Ihre kleinen Füße können sie gar nicht so schnell tragen wie sie laufen möchten. Dennoch schafft es eines der Mädchen Abigail aus dem Sprung in die Arme zu hüpfen. Das zweite schmeißt sich um eines ihrer Beine und der Junge rupft, reißt und zerrt so stark an Abigails Arm, dass ihr das andere Mädchen fast vom Arm rutscht.

»Langsam langsam, ihr bringt mich ja noch um.« Keuchend versucht Abigail der geballten Kraft der Kids etwas entgegenzusetzen. Aber schon nach wenigen Sekunden schwindet dieser Hoffnungsschimmer. Von drei kleinen Monstern umgeben, kippt sie zu Boden. Die Kids nutzen diese Gelegenheit natürlich schamlos aus und klettern auf der Frau herum, als wenn sie ein Klettergerüst wäre.

»Kinder, jetzt lasst Abigail doch etwas Luft. Sie läuft ja schon blau an«, lacht Liam, während er seiner Frau einen Begrüßungskuss gibt. Lächelnd und zwinkernd blickt Abigail zu ihm hoch, bis das Mädchen in ihrem Arm ihre Aufmerksamkeit einfordert und Abigails Wangen wie einen Kaugummi langzieht.

Die Polizistin weiß gar nicht worauf sie sich zuerst konzentrieren soll. Auf ihr Gesicht das fleißig durchgeknetet wird, auf den Zwerg der auf ihrem Bauch herum krabbelt, oder das andere kleine Monster das kurz davor ist ihr ein Schienbein zu brechen. Alle Kids nutzen wirklich jeden Zentimeter von Abigail um auf ihr ihre neusten Kletterkünste auszuprobieren.

»Kinder, jetzt ist wirklich langsam gut. Abigail braucht ihren Körper noch etwas länger«, bremst Karen ihre Kinder aus. Sofort prallt ihr eine Welle von schmollenden Lippen entgegen, die einem fast das Herz brechen können. Währenddessen befreit sich Abigail liebevoll und vorsichtig von jedem einzelnen Kind, haucht ihnen jeweils einen Kuss auf den Kopf und schaut ihnen dabei zu, wie sie nach und nach in den Tiefen des Hauses verschwinden. Natürlich nicht ohne ihre Freude mit lautem Jubel zu untermauern.

»Hach, eure Kids sind echt prächtig. Ich wünschte mir, dass Liam auch mal so schnell auf mich hören würde«, gluckst sie frech und pufft ihrem Kollegen in die Rippen.

Beim Abendessen amüsiert sich Abigail köstlich über den Anblick, wie Liam und Karen schwere Geschütze auffahren müssen, um ihre Kinder in zivilisierter Manier essen zu sehen. Alle drei sind so aufgekratzt, dass sie lieber mit dem Essen spielen, anstatt es in ihre kleinen gierigen Münder zu katapultieren. Bei dem Anblick wie Liam sich rührend aber dennoch mit einer guten Portion strengen Konsequenz um die Kinder kümmert, weiß sie wieder weshalb sie so wahnsinnig gerne mit ihm zusammenarbeitet. Er mag seine faulen Defizite haben und ihr ständig die Donuts wegfressen, aber niemandem würde sie ihr Leben lieber anvertrauen, als ihm. Sie kann sich noch ganz genau an ihr erstes aufeinandertreffen erinnern. Im Büro ihres Vorgesetzten wurden sie einander vorgestellt. Keiner der beiden war sonderlich angetan davon plötzlich einen Partner zu haben. Sie waren bekannt für ihre Einzelgänge. Schweigend verließen sie damals das Büro des Chefs. Keiner der beiden sagte ein Wort. Hin und wieder schmissen sie sich misstrauische Blicke zu, oder musterten sich in einem unbeobachteten Moment gegenseitig. Als sie aber noch am selben Tag auf dem Weg zu ihrem ersten gemeinsamen Fall waren und Abigail mit dem Satz »Ich bin lesbisch. Du brauchst also nicht zu versuchen mich irgendwann mit einen deiner Saufkumpanen zu verkuppeln« die Stille im Auto in die ewigen Jagdgründe scheuchte, war das Eis gebrochen. Von dem Tag an war es, als wären die beiden auf kollegiale Weise füreinander bestimmt. Hin und wieder muss Abigail Liam in seinen faulen Arsch treten, aber wenn es darauf ankommt laufen die beiden wie ein Schweizer Uhrwerk. Abigail würde sich ohne mit der Wimper zu zucken eine Kugel für ihren Kollegen einfangen. Liam tat dies schon mal. Es war damals eine ungefährliche Situation, weil sie zufällig Zeuge eines lächerlichen Handtaschenraubes waren. Trotzdem rechnete keiner der beiden mit der Hartnäckigkeit des Diebes. Noch weniger rechneten sie damit, dass dieser Wicht eine Waffe zog und in seiner blinden Flucht wie wild auf die beiden schoss. Liam dachte nicht eine Sekunde über die Folgen nach, als er nach Abigail griff und sie aus der Schussbahn ziehen wollte. Die abgefeuerte Kugel traf ihn am Oberarm. Hätte sie Abigail getroffen, würde sie nicht mehr unter den Lebenden weilen. Von dem Tag an war das gegenseitige blinde Vertrauen unausgesprochen. Sie wussten einfach was sie aneinander hatten.

Während Karen den größten Kampf des Tages vor sich hat und die Kinder ins Badezimmer buxiert, reicht Liam seiner Kollegin eine Bierflasche.

Gesättigt und vollkommen relaxt, schlendert Abigail durch das Haus. Wie immer bleibt sie an der Wand mit den Familienfotos stehen. Es ist schon fast eine Collage aus Fotorahmen. So wild und durcheinander hat sie noch nie eine Aufreihung von Familienfotos gesehen, wie in diesem Haushalt. Aber genau das macht diese Wand so besonders. Sie ist nicht perfekt.

»Schon was von ihm gehört?«, murmelt sie, bevor sie einen Schluck Bier trinkt. Ihr Blick haftet an einem jungen Mann in Army-Uniform. Liam tritt an ihre Seite und nickt.

»Vor zwei Wochen haben wir miteinander telefoniert. Ihm geht es gut. Es ist zwar hart und anstrengend, aber es macht ihm immer noch Spaß. Was auch immer man für einen Spaß am Krieg haben kann.«

»Tja, dein Bruder bekämpft dort drüben das Verbrechen und wir hier. Wir befinden uns genauso in einem Krieg wie er.« Liam schnauft. Dass Abigail immer recht haben muss.

»Daddy, hast du Abi schon gefragt?«, hören beide eine quietschende Kinderstimme. Fragend schaut Abigail ihren Kollegen an, der mit seiner tiefen Stimme ein »Nein« zurückruft. Mit leicht rollenden Augen schaut er zu ihr zurück.

»Brian hat ja Samstag Geburtstag. Er wird doch stolze acht Jahre alt. Und weil er zu Weihnachten eine Wasserpistole geschenkt bekommen hat, möchte er diese gerne am Samstag ausprobieren. Mit dir zusammen.« Abigail grinst voller Stolz. Besser könnte ihr Leben doch gar nicht laufen. Sie war bei jeder Taufe der Zwerge dabei. Seit neun Jahren sind Liam und sie ein Team und schon nach dem ersten Jahr stand sie mit in der Kirche, als der Älteste der Kids eine Ladung Wasser über den Kopf gekippt bekam.

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