Omageschichten

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Omageschichten
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Ursula Tintelnot

Omageschichten

Copyright © Ursula Tintelnot

Umschlagsfoto: © Ursula Tintelnot

Covergestaltung: © Medusa Mabuse

ISBN 978-3-7375-8090-8

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Inhalt der Omageschichten

Es sind keine erfundenen Geschichten. »Alles das habe ich genauso erlebt.«

Oma hat einen sehr genauen, manchmal auch ironischen Blick auf ihre Enkel. Sie liebt ihre Ruhe, die Kröten im Garten und ja, auch die Enkel. Essgewohnheiten, Internet und gesprungene Kloschüsseln in der Silvesternacht sind nur einige der Themen, die Oma mit scharfem, aber auch liebevollem Strich zeichnet. Geschichten komisch und rührend zugleich.

Silvesternacht

Oma kickte die Holzpantinen von den Füßen und bewegte die Zehen in den dicken Socken. Eine war grün, die andere von undefiniertem Blaugrau mit einem Stich ins Violette. Nicht die Zehen, sondern die Socken.

Sie schnupperte genussvoll an dem Kaffeebecher, den sie mit beiden Händen umfasste, um sie zu wärmen. Oma stand auf den Stufen, die in den Garten führten. Es waren fast frühlingshafte Temperaturen, obwohl es der 31. Dezember war.

Die riesige Kröte, die in einiger Entfernung saß, starrte sie aus hervorstehenden Augen an. Oma starrte zurück und dachte: Wir sind beide nicht mehr wirklich schön, aber ausdrucksvoll.

Jeden Morgen standen die beiden sich gegenüber, bis entweder die Kälte Oma ins Haus trieb oder eine zweite Kröte auftauchte. Da Kröte Nummer eins Kröte Nummer zwei nicht ausstehen konnte, verzog sich Kröte Nummer eins in ihr Loch und tauchte bis zum nächsten Morgen nicht mehr auf. Heute war es das Telefon, das sie ins Haus holte. Nicht die Kröte, sondern Oma.

»Mutter?«

Oma war kurz davor, wieder aufzulegen. Wenn ihr Sohn August-Silvester anrief, gab es immer einen Notfall in seiner Familie und sie musste aushelfen.

Sie hatte ihm den Namen Silvester gegeben, weil er nach ihren Berechnungen in einer Silvesternacht gezeugt worden war. August hieß er, weil er viel zu früh im August geboren war. Damals fand sie es witzig, ihm diesen Namen zu geben. Als sie feststellte, dass ihr Sohn alles, nur keinen Witz besaß, war es zu spät. Silvester besaß weniger Charme und Humor als Kröte Nummer zwei. Allerdings war er wesentlich hübscher.

»Mutter, hast du heute Abend schon etwas vor?«

Ah, dachte Oma, eine Einladung, die Neujahrsnacht mit der Familie zu verbringen, wie rührend. Lust hatte sie nicht, lieber würde sie den Abend in Ruhe zu Hause verbringen. »Nein, wie nett, dass du an mich gedacht hast.«

»Äh, also es ist Folgendes. Wir sind eingeladen, aber unser Babysitter fällt aus und da dachten wir ... dachte ich, ob du nicht Lust hättest, mit deinen Enkeln ein paar Wunderkerzen und ... wir würden euch Berliner und … es läuft bestimmt im Fernsehen ein lustiges ...« Die Pausen wurden immer länger und die Sätze ihres Sohnes immer konfuser.

»Ich habs verstanden«, sagte Oma. »Wann soll ich kommen?«

Das Chaos, das August-Silvester vorfand, als er gegen drei Uhr in der Nacht mit seiner Frau nach Hause kam, war beträchtlich. Oma lag schlafend mit dem Jüngsten seiner Kinder auf dem Sofa. Die Zwillinge saßen putzmunter vor dem Fernseher. Der Älteste lag tatsächlich, allerdings vollkommen angezogen, im Bett.

In allen Blumentöpfen staken verkohlte Wunderkerzen. Pappteller, Cola - Dosen und Chips bildeten ein wildes Durcheinander auf dem hellen Teppich. Angefressene Berliner klebten auf dem Glastisch.

Nie wieder, so schwor sich August-Silvester beim Anblick der gesprungenen Kloschüssel, in der noch die Reste eines Kanonenschlags zu besichtigen waren, würde er seine Mutter in der Neujahrsnacht mit den Kindern alleine lassen.

Vier sieben Zwerge

Sieben Zwergenmützen für den Kindergeburtstag nähen, verflixt!

Oma hatte wirklich anderes im Kopf. Sie betrachtete versonnen die riesigen Kröten auf ihren Gartenhandschuhen. Sie setzte die beiden fast schwarzen Kröten vor ihrer Küchentür ab und sah zu, wie sie sich in Windeseile in die Erde buddelten, jede in ein eigenes Loch.

Also gut, Zwergenmützen, dachte Oma unlustig. Sie stieg aus den völlig verdreckten Gartenstiefeln und stellte sie auf die Stufen vor die Tür. Seufzend stieg sie in nicht mehr sehr sauberen Socken auf den Dachboden.

Sie kämpfte sich an staubigen Kartonstapeln, abgewetzten Koffern, einem durchgesessenen Ledersofa ohne Leder und einem dreibeinigen Tisch vorbei.

Hier stand der alte Schrank, in dem sie die Stoffreste der letzten sechzig Jahre aufbewahrte. Sorglos riss sie die Schranktür auf und sah bestürzt eine riesige Kreuzspinne zu Boden fallen.

»So ein Mist«, sagte sie laut. Vorsichtig strich sie das Spinnennetzt beiseite. Die Spinne war die schönste Kreuzspinne, die sie je gesehen hatte. Mit ihrem Kreuz auf dem goldfarbenen Rücken verschwand sie eilig unter dem Schrank.

Ach ja, die Zwergenmützen. Oma suchte einige ziemlich hässliche Stoffreste aus. Sie ließ die Schranktür für die Spinne offen und ging, um sich in der Küche drei Liter Pfefferminztee zu kochen. Misstrauisch beäugte sie die Stoffreste und dachte darüber nach, wo sie die Nähmaschine hingepackt haben könnte.

Diese uralte Nähmaschine hatte sie auf dem Hausfrauenmarkt in Meuchefitz für fünf Euro erstanden. Sie wog etwa tausend Pfund, die Maschine, nicht die Oma.

Auf Hausfrauenflohmärkten werden weder Hausfrauen noch Flöhe verkauft, sondern selbst gemachte Marmeladen, alte Haushaltsgeräte, Tapferkeitsmedaillen und Wurstwaren.

Nachdem sie fast drei Liter Tee getrunken hatte, fiel ihr wieder ein, wo sie die Nähmaschine verstaut hatte.

Sie sah auf die Uhr und erschrak. In zwei Stunden sollte der Kindergeburtstag stattfinden und sie hatte nicht eine Mütze fertig. Da sie nicht nähen konnte und auch nicht glaubte, dass die Maschine das konnte, kramte sie sehr lange in der Küchenschublade, bis sie fand was sie suchte. Zwischen Gummibändern, Taschenlampen ohne Batterien und Batterien, die nicht zu den Taschenlampen passten, und Schlüsseln, für die es keine Schlösser mehr gab, lag eine halb leere Klebstofftube.

Beherzt griff Oma zu und schnitt aus den Stoffresten Dreiecke für die Mützen. Sie klebte sie an den ziemlich ausgefransten Rändern zusammen.

So, Klebstoff und Stoff waren verbraucht und ergaben nach genauem Nachzählen nur vier Zwergenmützen. »So ein Mist«, sagte Oma laut zu niemand besonderem.

Sie packte die Mützen, die Autoschlüssel und sich selbst ins Auto und fuhr zum Zwergengeburtstagsfest. Weil drei von den sieben Zwergen mit Durchfall und Fieber das Bett hüten mussten, genügten die vier Zwergenmützen für die übrigen vier Sieben Zwerge. Dass Oma in Socken gekommen war, machte den Kindern nichts aus. Dass drei der Zwerge nicht gekommen waren, hatten sie schon vergessen, als Oma die riesige schwere Nähmaschine aus dem Auto wuchtete und ihnen erlaubte, sie zu zerlegen, die Maschine, nicht die Oma.

Am Abend hatten die Kinder mit Omas Hilfe aus der Nähmaschine einen dampfbetriebenen Hamsterkäfig gebaut. Der Einzige, der an diesem Abend nicht ganz glücklich zu sein schien, war Igor, der Hamster. Der Bewohner dieser fabelhaften, sehr lauten Erfindung.

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