Verschollen in Ostfriesland

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7

Hage, Berumer Allee, Privatbrauerei Hage

Trevisan war glücklich, er fühlte sich wie ein neuer Mensch. Am gestrigen Abend war er endlich dazu gekommen, Paula und den kleinen Ayk im Klinikum zu besuchen. Beinahe 20 Minuten hielt er das kleine strampelnde Bündel auf dem Arm, bis sich der Kleine lautstark zu Wort meldete und erst ruhig wurde, nachdem er seine verdiente Mahlzeit erhielt. Trevisan war seltsam berührt, als er Paula beim Stillen zusah. Für ihn war sie noch immer sein kleines Mädchen, aber von diesem Gedanken musste er sich langsam verabschieden. Er ging, als es draußen dämmerte und der stolze Vater im Zimmer auftauchte.

Es war Samstag, er war früh aufgestanden, denn trotz Wochenende wartete viel Arbeit auf ihn. Paco, Trevisans Setter blickte ihm mit traurigen Augen nach, als er das Haus verließ, um nach Wilhelmshaven auf die Dienststelle zu fahren.

Es galt, keine Zeit zu verlieren, denn die Presse hatte inzwischen erfahren, dass die Mordkommission die Ermittlungen im Fall Ollmert übernommen hatte, und so titelte das »Wilhelmshavener Tageblatt« auf seiner ersten Seite mit der Schlagzeile: »Wo ist Enno Ollmert, der Bürgermeister von Diekenhörn? Fiel er einem Unfall beim Segeln zum Opfer oder steckt etwas anderes hinter dem Verschwinden dieser schillernden Persönlichkeit?«

Trevisan machte sich keine Illusionen. Bestimmt hatten auch die anderen Blätter wie der »Bote«, die »Friesischen Nachrichten« oder das »Küstenblatt« mit ähnlichen Schlagzeilen aufzuwarten. Der Druck der Presse wuchs, schließlich war das Verschwinden eines Bürgermeisters ein Fall, der Aufsehen erregte und Interesse erweckte.

Im Büro traf er auf die anderen. Eike saß bereits am Computer und suchte in der Datenbank nach einem entsprechenden roten Cabrio mit Bremer Zulassung, und Krog hatte sich mit seinem Team an die Auswertung der sichergestellten Akten und Schriftstücke gemacht, nachdem am gestrigen Abend ein Amtsrichter einen entsprechenden Beschluss erlassen hatte.

»Dann teilen wir uns auf«, beschloss Trevisan, als er mit Lisa, Lentje und Monika im Soko-Raum zurückgeblieben war. »Monika und Lentje, ihr übernehmt bitte diese Ökobäuerin vom Marschlandhof, und wir fahren nach Hage und fühlen dem gehörnten Ehemann und Braumeister auf den Zahn. Mal sehen, ob wir ein paar Neuigkeiten erfahren.«

20 Minuten später erreichten sie Hage. Alrik Hoferland war in seinem Büro, hatte seine Ehefrau am Telefon erklärt.

»Noch einer, für den es kein Wochenende gibt«, seufzte Trevisan.

Die Brauerei lag am Ostrand der Stadt direkt an der Berumburer Straße. Zwischen zwei großen Backsteinhallen und einem weit sichtbaren aluminiumfarbenen Siloturm stand ein beinahe unscheinbares kleines Haus mit drei Fenstern, die zum Hof zeigten. Über dem großen Tor hing ein blaues Schild mit der Aufschrift »Privatbrauerei Hage Gbr.«, daneben das Wappen der Brauerei, ein blau-weiß geteiltes Schild mit dem Heiligen Sankt Georg auf einem blauen Pferd, der einen Drachen am Boden mit einer Lanze bearbeitet.

Lisa zeigte auf das Schild, als sie darauf warteten, dass sich das Tor öffnete. »Das oben ist wohl Hoferland und unten, das muss Ollmert sein«, scherzte Lisa angesichts der Auseinandersetzung der beiden, von der Frau Haferkamp berichtet hatte.

»Sieht wohl so aus«, entgegnete Trevisan. »Zumindest ist überliefert, dass Ollmert damals nur zweiter Sieger war. Anzeige gegen Hoferland hat er dennoch nicht erstattet.«

»Hätte ich an seiner Stelle auch nicht«, schmunzelte Lisa.

Sie parkte den Dienstwagen vor dem kleinen Gebäude, auf dem ein Schild mit der Aufschrift »Büro« prangte. Mehrere blau-weiße Bierlaster standen im Hof, ein Mann war am Ende der langen Halle damit beschäftigt, einen der Bierlaster zu waschen. Lisa und Trevisan gingen auf das Haus zu. Noch bevor sie es erreichten, trat ein groß gewachsener Mann mit dichten schwarzen Haaren und einer durchtrainierten Figur durch die Tür und winkte den beiden zu.

»Kommen Sie!«, rief er ihnen zu. »Ich habe Sie schon erwartet.«

»Ist das Hoferland?«, flüsterte Lisa Trevisan zu.

Trevisan nickte.

»Dann ist mir klar, weshalb Ollmert nur zweiter Sieger wurde.«

Hoferland führte seine Besucher in das Haus, in dem eine angenehme Kühle herrschte.

»Ich habe mir schon gedacht, dass Sie früher oder später zu mir kommen«, sagte Hoferland und geleitete Trevisan und seine Begleiterin in sein Büro. »Heute Morgen habe ich aus der Zeitung erfahren, dass Ollmert vermisst wird. Da dachte ich, die kommen auch zu dir. Frau Haferkamp wird schon dafür sorgen. Und keine Minute später klingelt das Telefon, und meine Frau sagt, dass die Polizei mit mir sprechen will.«

Trevisan zeigte seinen Ausweis und nahm nach der Geste des Mannes auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz. »Meine Kollegin, wir sind von der Kripo in Wilhelmshaven.«

»Alrik Hoferland, aber das wissen Sie sicher«, entgegnete der Hagener Bierkönig und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. »Meine Geschichte ist ganz schnell erzählt. Er hat meine Frau verführt, sie hatten eine Affäre, ich habe es herausbekommen, bin zu ihm gefahren und habe ihm eine aufs Maul gegeben. Er hat es kapiert, und damit war alles gut. Ein Bier?«

Trevisan schüttelte den Kopf.

»Ach so, Sie sind ja im Dienst. Ich hätte auch Limo oder Cola oder alkoholfrei. Dem neuen Trend können auch wir uns nicht verschließen, wenngleich ein alkoholfreies Bier ungefähr so ist, als wenn ein Einbeiniger versucht, Fußball zu spielen, Sie verstehen?«

Er lächelte breit.

»Wann war das mit dem Besuch bei Ollmert?«, fragte Trevisan, ohne weiter auf sein Angebot einzugehen.

Hoferland überlegte. »Das war Anfang Februar. Es ist meine dritte Frau, sie ist ein paar Jahre jünger als ich, aber sie ist die Mutter eines meiner Kinder. Er hat ihr schöne Augen gemacht, und die blöde Kuh ist darauf reingefallen. Da habe ich es geklärt, ein für alle Mal.«

»Wie lange ging diese Affäre?«, fragte Lisa.

»Drei Wochen, hat mir Bente gestanden. Sie haben sich in Hotels getroffen oder im Jachtklub rumgemacht.«

»Wie haben Sie davon erfahren?«, fragte Trevisan.

»Ollmert hat nicht viele Freunde«, entgegnete Hoferland. »Ein weitläufiger Bekannter hat es mir gesagt, er hat sie zusammen in Oldenburg in einem Hotel gesehen. An diesem Tag wollte meine Frau angeblich eine Freundin in Cuxhaven besuchen. Als sie nach Hause kam, habe ich sie zur Rede gestellt, da hat sie es zugegeben.«

»Einfach so?«

Hoferland wiegte den Kopf hin und her. »Ich sagte ihr, sie könne ihn ruhig haben, sie solle nur ihre Sachen packen, und Anja, das ist unsere gemeinsame Tochter, bleibt bei mir. Sie solle dann sehen, wovon sie lebt, von mir hätte sie keinen Pfennig gekriegt, wir haben Gütertrennung.«

»Dieser Bekannte«, fragte Trevisan. »Wer was das?«

»Das war Johann Beeke, er sitzt im Stadtrat und ist nicht besonders gut auf Ollmert zu sprechen.«

Lisa runzelte die Stirn. »Sie sprechen sehr emotionslos über diese Sache, fast ohne Gefühl. Ging es Ihnen nicht nahe, als Sie erfuhren, dass Ihre Frau Sie betrügt?«

Hoferland atmete tief ein. »Wissen Sie, das mit dem Gefühl ist so eine Sache, meist steht es im Weg oder trübt den Sinn. Ich braue und verkaufe seit über 30 Jahren Bier. Die Zeiten werden nicht besser, das können Sie mir glauben. Wenn ich mich nur an Gefühle halten würde, dann wäre diese Brauerei schon seit Jahren dicht. Nein, ich bin ein Pragmatiker. Im Geschäft sowie auch im Leben, und das hat mich vor vielen üblen Dingen bewahrt.«

»Was ist mit Liebe und Zuneigung?«

Hoferland lachte auf. »Ja, das ist alles sehr schön und passt ausgezeichnet als Gravur auf ein Bierglas. Bente hat hier gearbeitet, bevor wir heirateten. Sie hat Kisten verschnürt und registriert. Sie gefiel mir, und ihr gefiel wohl das Leben als Bierkönigin von Hage.«

Lisa nickte. »Eine Zweckgemeinschaft also.«

Hoferland schaute eine Weile auf den mit Papieren und Abrechnungen überfüllten Schreibtisch. »Wissen Sie, früher hat das alles Karla für mich gemacht. Ich kannte sie schon seit der Grundschule, das war Liebe, damals. Die Firma war marode, als ich sie übernahm, und wir haben beide geschuftet, um etwas auf die Beine zu stellen. 14, 15 Stunden und am nächsten Tag ging es gerade so weiter. Zwei Buben hat sie mir geschenkt, dann ist sie gegangen.«

»Karla?«, fragte Trevisan.

»Meine erste Frau«, erklärte Hoferland mit zitternder Stimme. Eine Träne lief über seine Wange.

»Sie ist gegangen?«

Hoferland wies mit dem Daumen nach oben. »Bei der Geburt von Jonas, unserem zweiten Sohn. Sie hat ihn nicht mal mehr gesehen.«

»Das tut mir leid«, sagte Lisa.

»Drei Jahre später heiratete ich Katharina, sie kam aus Bremen. Eigentlich wegen der Kinder, damit sie wieder eine Mutter haben. Wir waren vier Jahre zusammen, aber dann hat sie mich verlassen. Sie hat es wohl nicht mehr ausgehalten, dass ich nicht über Karla hinweggekommen bin. Sie lebt heute in Schweden und ist dort glücklich. Glücklicher, als sie mit mir werden konnte. Ab und zu telefonieren wir miteinander. Wir verstehen uns noch immer gut.«

»Und dann kam Bente?«

Hoferland nickte. »Vor drei Jahren haben wir geheiratet. Anja ist drei Jahre alt. Meine Söhne studieren. Malte in Hamburg, er will Lehrer werden, und Jonas BWL in Hannover, er soll einmal die Firma übernehmen. Mir wurde es zu still alleine im großen Haus, und Bente war lebensfroh und brachte mich wieder zum Lachen, aber …«

Er stockte in seiner Erzählung.

»… aber dann war das mit Ollmert, diesem Blödmann.«

»Erzählen Sie mir von der Schlägerei«, forderte Trevisan den Mann zum Reden auf.

 

»Schlägerei«, entgegnete er spöttisch. »Eine Schlägerei war das nicht. Als ich erfahren habe, dass er mit Bente was hat, bin ich aufs Geratewohl ins Rathaus gefahren, ging in sein Büro. Er saß hinter dem Schreibtisch und telefonierte. Frau Haferkamp versuchte mich noch aufzuhalten, aber ich habe sie einfach abgeschüttelt, die alte Schachtel, ich habe die Tür zugemacht und einen Stuhl davor gestellt. Er glotzte mich blöde an, da bin ich zu ihm gegangen, packte ihn am Kragen, zog ihn hoch und gab ihm zwei Ohrfeigen, sodass es klatschte. Dann habe ich ihm gesagt, dass er ein Drecksack ist und er sich von meiner Frau fernhalten soll. Ich bin dann gegangen und fühlte mich außerordentlich gut. Das war alles, seither habe ich Ollmert nicht mehr gesehen. Ich glaube auch nicht, dass er an einem Wiedersehen Interesse hat.«

»Wo waren Sie am vergangenen Wochenende?«, fragte Trevisan.

Hoferland überlegte. »Am Freitag hatten wir einen Bieranstich auf dem Leezdorfer Sommerfest, am Samstag war ich in Aurich auf dem Großen Markt und kam erst spät zurück. Den Sonntag habe ich mit meiner Frau und Anja verbracht, wir sind ein bisschen rausgefahren auf die Inseln.«

»Gibt es dafür Zeugen?«

»Sicher, der Bürgermeister von Leezdorf, der Landrat, meine Frau und einige meiner Mitarbeiter.«

Trevisan warf Lisa einen kurzen Blick zu.

»Gut, das soll es fürs Erste gewesen sein. Wir müssten noch mit Ihrer Frau sprechen.«

Hoferland nickte. »Sie ist zu Hause, im Kastanienweg.«

»Wir kennen die Adresse«, entgegnete Lisa.

Sie verabschiedeten sich von Hoferland und fuhren in den Ort. Bente Hoferland erwartete Trevisan und seine Begleiterin bereits. Im Prinzip bestätigte sie die Angaben ihres Mannes.

»Haben Sie sonst etwas Ungewöhnliches mitbekommen, als Sie mit Ollmert zusammen waren?«, fragte Trevisan.

Bente Hoferland zuckte mit der Schulter. »Über seine Arbeit haben wir nicht geredet. Wir haben uns nur viermal getroffen. Aber einmal, da stand sein Handy überhaupt nicht mehr still. Wir waren im Jachthafen auf seinem Boot. Er hat sich sehr über diese Anrufe geärgert, trotzdem hat er das Handy nicht ausgeschaltet. Es war ihm wohl wichtig, erreichbar zu bleiben.«

»Wann war das?«

»Ich glaube, das war der 10. Februar am Nachmittag, ein Sonntag, mein Mann war auf einem Bundesligaspiel in Bremen, da ist er öfter, unsere Brauerei ist Sponsor dort.«

»Wissen Sie auch, wer dieser lästige Anrufer war?«, fragte Lisa.

Bente Hoferland wiegte den Kopf hin und her. »Ich meine, er sagte einmal so etwas wie, warum nervt der Thees schon wieder, ja Thees, genau diesen Namen sagte er. Er sagte mir nicht, worum es ging. Es interessierte mich auch nicht. Ich musste dann auch nach Hause. Anja, meine Tochter, wurde von meinen Eltern am Abend gebracht.«

»Wann haben Sie Ollmert das letzte Mal gesehen?«, fragte Trevisan zum Abschluss.

»Das war zwei Tage, bevor ihm mein Mann eine Ohrfeige verpasste, danach war Funkstille. Er rief auch nicht mehr an. Unser Kontakt war wie abgeschnitten, so als hätte es ihn nie gegeben.«

Lisa beugte sich auf ihrem Stuhl vor. »Hat Ihr Mann Sie geschlagen, als er von Ihrer Affäre erfuhr?«

Bente Hoferland schüttelte den Kopf. »Das tut er nicht, er schlägt keine Frauen, er schaut dich einfach mit diesen großen, dunklen Augen an, und du weißt genau, was er jetzt denkt. Aber schlagen, nein, das kommt für ihn nicht in Frage.«

»Lieben Sie Ihren Mann?«

Sie zuckte mit der Schulter. »Ich mag ihn, und er tut alles für Anja, sie ist sein Sonnenschein. Seine Jungs sind ja nicht so oft hier, seit er mich geheiratet hat.«

Dabei beließen es Lisa und Trevisan. Es war Mittag, als sie sich auf den Rückweg machten.

»Ich glaube nicht, dass er etwas mit dem Verschwinden von Ollmert zu tun hat«, seufzte Trevisan auf der Rückfahrt. »Wenn er ihn hätte umbringen wollen, hätte er ihn an dem Tag, an dem er ihn ohrfeigte, gleich aus dem Fenster geworfen. Was meinst du?«

Lisa wies mit dem Finger durch die Windschutzscheibe auf ein Lokal direkt an der Straße. »Ich finde, wir sollten was essen, wenn wir schon umsonst nach Hage gefahren sind, und das an einem Samstag.«

8

Kriminalpolizei Wilhelmshaven, Mozartstraße

Rote Sportwagen, Cabrios mit Kennzeichen aus der Hansestadt Bremen, Eike war der Verzweiflung nahe, denn die Suchmaske in der Datenbank des Kraftfahrtbundesamtes war nicht für eine solche Suchtiefe ausgelegt. Schon bei der Farbe gab es Probleme, denn manche dieser Fahrzeuge waren ohne Farbcode ausgewiesen. Doch das größte Problem war der Fahrzeugtyp. Mercedes, Porsche, Fiat, Alfa, Peugeot, Mazda sogar von Opel und Ford gab es Fahrzeuge, die der Beschreibung des Zeugen aus Basdorf entsprachen. Die Anzahl der angezeigten Fahrzeuge, nachdem Eike alle bekannten Parameter – und das waren nicht viele – eingegeben hatte, lag bei 4.097. Eine ungeheure Anzahl, die lediglich mit dem Hinweis, »Zu hohe Trefferzahl – Suchparameter verfeinern«, im Programm angezeigt wurde. Er überlegte, was er tun konnte, denn weitere Suchparameter waren nicht bekannt. Es half schon, wenn er wenigstens einen Teil der Fahrzeuge im Vorfeld ausgrenzen konnte, doch dazu benötigte er mehr Details.

Einen Augenblick lang dachte er darüber nach, sich anderen Dingen zuzuwenden, doch dann folgte er seiner ersten Idee. Er rief das Internet auf und ging auf das KFZ-Gebrauchtwagen-Portal Nummer eins der Republik, »Autokaufen.info«. Dort rief er alle Cabrios, egal welchen Baujahrs, auf und kopierte die Bilder, Front-, Seiten- und Heckansicht in eine Mappe. Insgesamt waren dies 76 verschiedene Firmen mit jeweils ein bis zwei Cabriomodellen. Er brauchte bis zum frühen Nachmittag, bis er alle 183 gängigen Fahrzeugtypen und Modelle in Farbe auf jeweils einem Blatt ausgedruckt hatte. Er suchte die Telefonnummer des Zeugen Jokisch heraus und rief ihn an. Der Mann war zu Hause.

Eike brauchte eine gute Stunde, bis er in Basdorf ankam und bei herrlichem Sonnenschein und warmen Temperaturen auf Jokisch’ Terrasse Platz nahm.

»Wir müssen noch einmal über den Sportwagen sprechen, den Sie an diesem Abend gesehen haben«, erklärte Eike den Grund seines Erscheinens. »Wir brauchen weitere Details, sonst ist die Suche nach dem Wagen beinahe unmöglich.«

Eike legte seinen Katalog vor dem Mann auf dem Tisch ab. Der Labrador saß vor dem Stuhl des Mannes und wedelte unaufhörlich mit dem Schwanz.

»Geh!«, befahl der Rentner seinem Hund und wies auf ein Kissen im Schatten einer hohen Magnolie, die neben der Terrasse wuchs.

Der Hund trollte sich, und Jokisch griff zu Eikes Katalog.

»Das war ein kleiner Sportflitzer, so ein Cabrio, ein richtig sattes Rot, so wie rote Rosen aussehen.«

»Tut mir leid, aber das Computerprogramm kennt nur die Grundfarben«, erklärte Eike. »War er denn schon älter, der Wagen?«

Jokisch schüttelte den Kopf. »Nein, keinesfalls, der war neu und alles blitzte und funkelte an ihm. Ich würde sagen, keine drei Jahre alt. Und er war klein, gerade mal für zwei Leute. Ollmert hatte ganz schön zu tun, bis er seine Koffer im Fond verstaut hatte. Es war ein Cabrio.«

»Mit schwarzem Verdeck?«

Jokisch zuckte mit der Schulter. »Keine Ahnung, da habe ich nichts davon gesehen. Aber die Kopfstützen, die waren wie zwei Höcker und schauten oben heraus.«

Er schlug den Katalog auf. »Der war klein, es gibt größere Cabrios, so wie der Mercedes SLK, den fährt mein Sohn, aber in Weiß. Den hätte ich erkannt.«

Eike nickte und nippte an dem Glas Sprudel, das ihm Jokisch zuvor eingeschenkt hatte. Zumindest vom Baujahr konnte er Fahrzeugtypen ausschließen, die älter als fünf Jahre waren.

»Der hatte auch dieses moderne Licht, fällt mir ein«, murmelte Jokisch nach einer Weile. »Das leuchtet blau, wenn einem der Wagen entgegenkommt. Nicht gelb wie bei den älteren Autos.«

»Xenon?«

»Kann sein«, entgegnete Jokisch. »Wissen Sie, mein Wagen ist neun Jahre alt, ein Nissan-Geländewagen. Ich bin nämlich Jäger und brauche ihn, wenn ich in den Wald fahre. Der hat noch gelbes Licht, und ich hoffe, ich brauche keinen anderen mehr. Vorher gebe ich meinen Führerschein ab. Hoppla, das könnte er gewesen sein.«

Er drehte Eike die Fotos zu. »Ein Porsche Boxter«, sagte Eike und schrieb sich die Marke in sein Notizbuch. Jokisch blätterte weiter.

Der nächste Wagen, bei dem er wiederum das Bild präsentierte, war ein Honda Cabrio. So ging es beinahe eine Stunde weiter, bis sich die Zahl der möglichen Fahrzeugtypen auf 16 reduziert hatte. Weitere Details fielen dem Mann nicht mehr ein. Eike bedankte sich und fuhr zurück auf die Dienststelle. Das würde den Kreis der verdächtigen Fahrzeuge deutlich verringern.

*

Davidshörn, Landgut Marschländer Hof

Hanna Schmidt war eine starke, entschlossene und geradlinige Frau um die 50. Das stellte Monika Sander bereits auf den ersten Blick fest, nachdem sie von der Inhaberin des Marschländer Hofes in ihrer Arbeitskluft empfangen wurden. Mit dem Traktor war sie auf den Hof gekommen, nachdem Lentje und Monika ein paar Minuten auf sie gewartet hatten. Sie empfing die beiden Kriminalbeamtinnen auf Bierbänken unter einem Sonnenschirm, direkt neben dem Hofladen.

»Sie sind wegen Enno Ollmert hier«, stellte die Frau fest, nachdem sie die bereitstehenden Gläser mit eisgekühlter Limonade gefüllt hatte. »Wissen Sie, ich weine ihm keine Träne nach, wegen mir braucht der erst gar nicht mehr zurückzukommen.«

Monika lächelte. »Ich hörte schon, dass Sie nicht gut auf ihn zu sprechen sind.«

»Ach so, deswegen sind Sie hier. Und Sie meinen, er liegt hier irgendwo unter einem Misthaufen. Na ja, verdient hätte er es, aber nur zu, Sie dürfen alles umgraben, und wenn Sie ihn finden, dann geben Sie ihm noch eine mit der Schaufel obendrauf, damit ich sicher sein kann, dass er nicht mehr zurückkommt.«

Monika runzelte die Stirn. »Er muss Sie sehr verletzt haben.«

»Was heißt verletzt, ich gebe zu, ich habe ihn damals sogar gewählt«, entgegnete die Frau. »Ich bin auf seine Wahlversprechen von wegen Ausbau der ökologischen Ressourcen und Nutzung von Brachgelände für eine ökologisch sinnvolle Landwirtschaft hereingefallen. Zu Anfang sah das auch gar nicht schlecht aus. Das Neubaugebiet in Deichshagen, das neue Industriegebiet bei Jakobssiel und der Ausbau der Rad- und Wanderwege. Doch, man konnte schon zufrieden sein, er hat in einem Jahr mehr gemacht als sein Vorgänger über die gesamte Wahlperiode.«

»Wieso dann der Bruch?«, fragte Lentje.

»Weil alles gelogen war.«

»Das müssen Sie mir erklären«, forderte Monika.

»Wo soll ich anfangen?«, seufzte die Frau mit dem geblümten Kopftuch. »Ich würde sagen, der erste Schlag ins Kontor war der Großmarkt in Wiesenstede. Eigentlich wollte ich meinen Hofladen dort eröffnen. Kleine Geschäfte sollten da unterkommen, ein Blumenladen, ein Optiker, ein Schuhladen. Und was macht der Herr Bürgermeister über den Kopf des Gemeinderates hinweg? Er siedelt den ›Nordkauf‹ dort an. Das war vor zwei Jahren, und danach ging es gerade so weiter. Nehmen wir die Salzwiesen. Fruchtbares Land, vermacht vom alten, kinderlosen Deichhofbauern als Erbe an die Gemeinde. Mehrere Hektar, die mir für meine Rinderzucht gut geholfen hätten. Eigentlich war ich mit der Gemeinde schon ziemlich klar. Es gab einige im Gemeinderat, die mich unterstützten. Doch dann, urplötzlich, wie aus dem Nichts, der Bürgerpark. Windräder sollen dort entstehen, und der halbe Stadtrat ist dafür. Ollmert jagt dem Profit hinterher und nichts anderes. Klar, dass sich dann plötzlich keiner mehr für die Milchwirtschaft interessierte. Und da gibt es noch so ein paar Geschichten. Ich bin froh, wenn dieser Mann nächstes Jahr abgewählt wird. Ich glaube, wenn der über 20 Prozent kommt, dann hat er noch Glück gehabt.«

»Können Sie sich vorstellen, dass ihm jemand etwas angetan hat?«, fragte Lentje ins Blaue hinein.

Die Frau wirkte erschrocken. »Das ist nicht Ihr Ernst! Ihn umbringen, das glaube ich nicht. Er hatte oft Streit, und es gibt genügend, die es freuen würde, wenn er die Wahl verliert, aber Mord ist eine andere Sache. Wenn Sie mich fragen, dann liegt er mit irgendeiner fremden, aber verheirateten Frau im Bett und kommt bald wie ein geprügelter Hund zurück. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihn jemand aus unserer Gemeinde umgebracht haben soll.«

»Wo waren Sie letztes Wochenende?«, fragte Monika.

Die Frau breitete ihre Arme aus. »Das ist mein Reich. Hier bin ich morgens, mittags und abends und an Werktagen sowie an Sonntagen und Feiertagen. Wenn man sich für dieses Leben entschieden hat, muss man wissen, dass der Tag 24 Stunden hat. Oder glauben Sie, meine Kühe nehmen auf einen Sonntag Rücksicht? Das hat ihnen der Schöpfer nicht beigebracht, als er die Welt erschaffen hat.«

 

Die Frau schmunzelte.

»Zeugen?«, fragte Lentje.

Wiederum wies die Bäuerin auf ihren Hof. »Vielleicht hat mich Stanis oder Pjotr gesehen, meine Angestellten, die wohnen dort drüben. Das sind Polen, aber ganz feine Leute, und die wissen wirklich, wie man anpackt. Ansonsten müssen Sie meine Tiere fragen.«

»Entschuldigen Sie, wir müssen das fragen.«

»Dann notieren Sie: Hanna Schmidt vom Marschländer Hof – kein Alibi!«

»Können Sie Boot fahren, segeln?«

Die Frau schaute verwundert. »Ein Motorboot könnte ich über die Priele steuern, aber gesegelt bin ich noch nie, und wenn Sie weiterfragen, nein, ich habe Ollmert nicht über die Reling geschubst und bin dann nach Baltrum gesegelt.«

Lentje runzelte die Stirn. »Woher wissen Sie …?«

Hanna Schmidt wies auf die Zeitung, die zerknittert auf dem Tisch lag, und schlug die erste Seite auf. »Das ›Küstenblatt‹ spekuliert darüber.«

Sie unterhielten sich noch eine geraume Zeit, und Ollmert kam nicht gut bei diesem Gespräch weg, aber dass diese Frau eine Mörderin war, das wollten weder Monika noch Lentje glauben. Zwei Stunden später verließen sie den Marschländer Hof.