Buch lesen: «Schwarzer Widerstand», Seite 4

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Der Krieg um die Unabhängigkeit

Der große Aufstand gegen die Weißen brach in der Nacht des 22. August 1791 los. Am Morgen des 23. August war die nördliche Ebene verwüstet. Plantagen und Zuckermühlen standen in Flammen. Weiße, die nicht in die gesicherten Städte entlang der Küste entkommen konnten, wurden erschlagen, zersägt, in Stücke gerissen oder lebendig in ihren Häusern verbrannt. Es gibt Berichte, nach denen aus dem Mutterleib gerissene Föten aufgespießt und als Trophäen an der Spitze der wilden Haufen getragen wurden. Die Schwarzen gingen mit ähnlicher Brutalität vor, wie es vorher die weißen Sklavenhalter getan hatten.

Der Heerführer Jeannot tat sich dabei durch besonderen Sadismus hervor und scheint seine Freude daran gehabt zu haben, Weiße langsam zu Tode zu foltern. Bell lässt in Aufstand aller Seelen seinen Doktor Hébert eine solche Szene im Lager Jeannots beobachten: »Der Doktor hatte dergleichen schon früher gesehen, oder zumindest etwas sehr Vergleichbares, und seine erhöhte Stellung erinnerte ihn erst recht an die steil ansteigenden Zuschauerbänke in den Anatomievorlesungen während des Studiums. Der Unterschied war nur, dass hier der Gegenstand der Vorführung lebte und schrie. Die Epidermis war systematisch abgeschält worden, um die Muskulatur der Hände, Arme und Schenkel zu zeigen, sogar das Fleisch der Wangen lag bloß. Die Lippen allerdings fehlten bereits, so dass der Mann ohne richtigen Mund schreien musste. Zwei Sehnen waren durchtrennt worden, so dass die großen Oberschenkelmuskeln neben den zitternden Genitalien herabhingen. Am Unterleib war ein Schnitt in die Körperhöhle gelegt worden. Der Operateur zog die Eingeweide heraus und ließ die Schlingen herabhängen. Jetzt tastete seine neugierig forschende Hand nach der Leber, der Milz und dem klopfenden Herzen.«

Andere weniger sadistisch veranlagte Heerführer sahen in gefangenen Weißen eine wertvolle Verhandlungsmasse und behandelten sie gut. Schnell kam es zum Konflikt mit Jeannot. Weil der von seinen Folterpraktiken nicht ablassen wollte, wurde er standrechtlich erschossen.

Die ersten Schlachten der Schwarzen glichen eher einem plündernden Aufstand als einem organisierten militärischen Vorgehen. Hauptsächlicher Führer war Boukman; auch die anderen Heerführer waren wie er Vodou-Priester. Der Tod in einer Schlacht, sagten sie, sei der sicherste und schnellste Weg zurück nach Guinea. Sie waren zunächst erfolgreich, allein wegen des Überraschungseffekts und ihrer schieren zahlenmäßigen Überlegenheit. Ihre Verluste aber waren verheerend. Schon im November fiel Boukman in einer Schlacht in der Ebene nahe Acul. Nach ein paar Wochen war klar, dass man eine andere Taktik brauchte als das massenhafte Anrennen gegen die Gewehre und Kanonen der Franzosen. Die Schwarzen zogen sich zurück ins bewaldete Bergland und führten ihren Krieg, wie sie es aus Afrika kannten, mit Hinterhalten, überraschenden Angriffen und taktischen schnellen Rückzügen nach Guerillaart. Das Gelände war bestens geeignet dafür. Und den Franzosen war diese Art der Kriegsführung völlig unbekannt. Toussaint hatte großen Einfluss auf diesen Strategiewechsel.

Man weiß nicht mit Sicherheit, wo sich Toussaint in den ersten Tagen des Aufstandes aufhielt. Vieles deutet darauf hin, dass er zunächst auf der Bréda-Plantage blieb, um die Pflanzung und die weiße Herrin Madame de Libertat zu schützen. Die Plantage war weitgehend von Gewalt und Zerstörung verschont. Nach den dort geführten Listen schlossen sich in den ersten Tagen des Aufstands nur 22 der 318 Sklaven den Rebellen an.

Irgendwann im Herbst 1791 ging auch Toussaint in die Berge von Grande-Rivière zur schwarzen Armee. Er war zunächst – weil er lesen und schreiben konnte – Sekretär des dortigen Heerführers Biassou, bekam dann wegen seiner ärztlichen Fähigkeiten den Titel médicin général. In einem Brief vom 18. Dezember 1791 erwähnte Biassou eher beiläufig, dass Toussaint zum General der Armee der Aufständischen befördert worden sei. Toussaint hielt sich aber zunächst weiter im Hintergrund.

Das Ziel des Aufstands war zu Beginn nicht die Befreiung der Sklaven. Schon am 4. Dezember boten die Führer der Rebellen der Kolonialversammlung an, man werde unter bestimmten Bedingungen friedlich auf die Plantagen zurückkehren: Das Auspeitschen der Schwarzen müsse verboten und ein arbeitsfreier Tag mehr pro Woche eingeführt werden, damit sich die Sklaven den Parzellen für ihre Selbstversorgung widmen könnten; zudem sollten dreihundert Anführer des Aufstands in die Freiheit entlassen werden. Während der Verhandlungen hielten die Schwarzen einen Waffenstillstand ein und reduzierten die Zahl der zu befreienden Anführer auf fünfzig. Doch die Kolonialversammlung lehnte das Angebot ab, und so flammten die Kämpfe Anfang 1792 wieder auf.

Die Geschichte des über zwölf Jahre dauernden Befreiungskriegs ist verschlungen und wird hier nicht im Detail rekonstruiert. Sie war nicht nur von militärischen Erfolgen und Rückschlägen der Aufständischen bestimmt. Ebenso entscheidend war, was in dieser Zeit in Paris geschah und wie die anderen europäischen Kolonialmächte auf den Konflikt reagierten. Außerdem gab es in Saint-Domingue zu Beginn des Aufstands nicht nur Plantagenbesitzer und Sklaven. Es gab auch freie Farbige, die nach der Proklamation der Bürger- und Wahlrechte für sich, also die gens de coleur, durch die französische Nationalversammlung am 15. Mai 1791 ihre Rechte einforderten. Die Weißen wiederum waren gespalten. Es gab die sogenannten petits blancs, kleine Handwerker und sonstige Dienstleister, aber auch Trunkenbolde und Ganoven. Als sie die Kunde der Französischen Revolution vernahmen, gründeten sie republikanische Clubs nach Pariser Vorbild und forderten Gleichberechtigung mit den grands blancs, die die Kolonialversammlung dominierten. Diesen weißen Plantagenbesitzern war alles, was auch nur entfernt nach Französischer Revolution roch, ein Gräuel. Um ihre feudalen Privilegien zu behalten, ermunterten sie sogar die Briten zu einer Invasion der Kolonie, was dann tatsächlich auch geschah. Fünf Jahre lang war bis zu halb Saint-Domingue von britischen Truppen besetzt. Auch die Spanier glaubten zunächst, die Unruhen seien ihre Chance, den verlorenen westlichen Teil der Insel zurückzugewinnen. Sie unterstützten früh die aufständischen Schwarzen mit Waffen. Toussaint und andere Generäle wechselten sogar taktisch die Seite und wurden formell spanische Generäle im Krieg gegen Frankreich.

So gab es nicht nur Schlachten zwischen Schwarzen und Weißen. Es gab auch bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Spanien, Frankreich und Britannien, zwischen grands blancs und petits blancs, zwischen Weißen und gens de coleur, zwischen gens de coleur und Schwarzen, und oft und sehr schnell wechselnde Allianzen zwischen all diesen Kriegsparteien. Und die Politik der französischen Kolonialverwaltung war sehr widersprüchlich – je nachdem, ob in der französischen Nationalversammlung gerade die Revolutionäre oder die Royalisten die Oberhand hatten und auf welcher Seite der von Paris entsandte sogenannte Bürgerkommissar stand; der war der verlängerte Arm der französischen Regierung in der Kolonie. Der Jakobiner Léger-Félicité Sonthonax etwa, der zwischen September 1792 und Dezember 1795 diesen Posten innehatte, hat im August 1793 ohne Absprache mit der französischen Regierung und zunächst ohne große Folgen die Abschaffung der Sklaverei in Saint-Domingue proklamiert. Dies genau veranlasste die grands blancs, die Briten zu einer Invasion einzuladen. Die landeten am 19. September in Jérémie im Süden der Insel und bedrohten schnell die Hauptstadt Port-au-Prince.

Toussaint Louverture – inzwischen nannte er sich so – war zu diesem Zeitpunkt spanischer General. Sein Seitenwechsel war rein taktischer Natur gewesen; er hatte so die Möglichkeit, sich mit seinen Truppen auf die spanische Hälfte der Insel zurückzuziehen, sie dort militärisch auszubilden, um dann gut gewapnet zurückzukommen und zuzuschlagen. Sein Ziel war längst nicht mehr nur die Abschaffung der Peitsche auf den Plantagen und ein zusätzlicher freier Tag für die Sklaven. Es ging ihm um die Befreiung und Gleichberechtigung der Schwarzen. Als er davon erfahren hatte, dass die französische Nationalversammlung am 4. Februar 1794 eine Konvention erlassen hatte, nach der die Sklaverei im gesamten Territorium der Republik – also auch in den Kolonien – aufgehoben worden war und alle Menschen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, die Rechte französischer Staatsbürger erhalten hatten, wechselte er im Mai wieder auf die französische Seite. Die Konvention wurde dann am 8. Juni in Saint-Domingue proklamiert. Toussaint vertrieb danach als französischer Armeechef der Kolonie mit seinen schwarzen Truppen zuerst die Spanier, dann die Briten.

Die Spanier hatten sich kaum mit eigenen Truppen engagiert. Sie hatten den Kolonialkrieg gegen Frankreich im Wesentlichen Toussaint und seiner schwarzen Armee überlassen. Im Friedensvertrag von Basel vom 22. Juli 1795 traten sie dann auch noch den Ostteil der Insel an Frankreich ab. Faktisch hatte das keine Konsequenzen; es gab viel zu wenige französische Siedler, die ihn hätten in Besitz nehmen können.

Für die Briten war das Abenteuer von Saint-Domingue eine Katastrophe. Als sie im Sommer 1798 ihren letzten Stützpunkt räumten, hatten sie in fünf Jahren gerade einmal fünfhunderttausend Pfund Einnahmen aus Exporten vorzuweisen. Die militärische Intervention aber hatte über sieben Millionen Pfund gekostet, über 20’000 Briten waren umgekommen. Die grands blancs, die mit ihnen zusammengearbeitet hatten, wurden zwar amnestiert, die meisten aber verließen trotzdem mit den letzten britischen Schiffen die Insel.

Spätestens zu dieser Zeit war Toussaint die militärisch und politisch weitaus wichtigste Figur in Saint-Domingue. Obwohl die französischen Kommissare formal über ihm standen, konnten sie gegen ihn nichts unternehmen. Im besseren Fall ignorierte er sie; wenn es ihm passte, setzte er auch einen ihm genehmen Franzosen zum Gegenkommissar ein. Er führte Geheimgespräche mit den Briten über Handelsverträge, erlaubte US-amerikanischen Schiffen (die meist getarnt unter spanischer Flagge einliefen), in den Häfen zu ankern. Er wollte unabhängig von der Kolonialmacht Handel treiben und hinter ihrem Rücken für alle Fälle Waffen und Munition einkaufen. Formal jedoch versicherte er Frankreich stets seiner Loyalität – mit einer gewissen Glaubwürdigkeit. Im Grund waren ihm die USA und Britannien als Sklavenhaltergesellschaften zuwider. Er nutzte sie nur für die wirtschaftliche Unabhängigkeit und um die Waffenlager zu füllen. Frankreich dagegen schien ihm weiterhin die beste Garantie für die Freiheit der Schwarzen zu sein. Trotz aller Zweifel hatte Toussaint so viel Vertrauen, dass er zwei seiner Söhne auf Kosten der französischen Regierung nach Paris zum Studium schickte.

Als im Frühjahr 1797 eine royalistische Mehrheit ins Parlament in Paris gewählt wurde und diese das alte Regime in Saint-Domingue wieder herstellen wollte, drohte Toussaint unverhohlen in einem Brief: »Wir wussten der Gefahr ins Auge zu sehen, um unsere Freiheit zu erlangen. Wir werden dem Tod ins Auge sehen, um sie zu behalten.« Er war alarmiert und traf Vorbereitungen für eine mögliche französische Invasion; er besetzte den von Spanien abgetretenen Ostteil der Insel, um die dortigen Häfen unter Kontrolle zu haben und eventuell dort anlandende französische Truppen zurückschlagen zu können.

Mit den eigenen Leuten aber bekam Toussaint Probleme. Er war davon überzeugt, dass das im Krieg völlig zerstörte Saint-Domingue nur durch die Plantagenwirtschaft wieder auf die Beine kommen könne. Er lud weiße Siedler zur Rückkehr ein, weil die über das nötige Wissen für den Wiederaufbau der Zuckerindustrie verfügten. Schwarze, die nicht in seiner Armee dienten, wurden Ende 1798 zurück auf die Plantagen beordert. »Ich will«, schrieb Toussaint, »dass die Plantagenarbeiter an ihre jeweilige Plantage gebunden bleiben; dass sie ein Viertel der Einkünfte bekommen; dass niemand sie ohne Konsequenzen ungerecht behandeln kann. Aber ich will auch, dass sie mehr arbeiten als in den alten Tagen; dass sie gehorsam sind und ihre Pflichten exakt erfüllen; und dass bestraft wird, wer das nicht tut.« Die meisten befreiten Sklaven aber waren noch in Afrika geboren worden und wollten zurück zum afrikanischen dörflichen Leben mit einer Subsistenzlandwirtschaft auf eigenen kleinen Parzellen. Plantagen waren für sie gleichbedeutend mit Sklaverei, auch wenn sie jetzt formal freie Arbeiter waren.

Toussaint ermächtigte seinen General Dessalines, die Arbeitspflicht durchzusetzen. Der – obwohl selbst ein Schwarzer – glaubte, dass »Schwarze nicht wissen, was Arbeit ist, wenn man sie nicht dazu zwingt«. Die Peitsche hatte ihm Toussaint zwar verboten, er benutzte statt dessen ein Zuckerrohr. Als es darüber zu viele Klagen gab und Toussaint auch Schläge mit dem Zuckerrohr verbot, verwendete Dessalines die Zweige des Bayahonde, eines ledrigen Buschs aus dem Artibonitetal. Zurückkehrenden weißen Siedlern gegenüber soll Toussaint immer ausgesprochen freundlich gewesen sein. Er brauchte sie für den geplanten wirtschaftlichen Wiederaufbau.

Der Plan ist letztlich gescheitert. Es wurde nie mehr Zucker exportiert als ein Zehntel der vorrevolutionären Menge. Mit der Plantagenwirtschaft setzte ein Phänomen aus der Zeit der Sklaverei wieder ein: Die Schwarzen, obwohl nun formal freie Bürger, flohen in Massen vor der Zwangsarbeit ins bergige Hinterland.

Im März 1801 ließ Toussaint ohne Rücksprache mit Frankreich eine verfassungsgebende Versammlung wählen. Die legte zwei Monate später eine Verfassung für Saint-Domingue mit 77 Artikeln vor, die unabhängig von einer Genehmigung durch die Kolonialmacht sofort in Kraft trat. In ihrem Artikel 3 heißt es: »Sklaven dürfen auf diesem Territorium nicht existieren, Sklaverei ist auf ewig abgeschafft. Alle Menschen werden frei geboren, leben frei und sterben frei, als Franzosen.« Im Artikel 28 wird Toussaint zum Gouverneur auf Lebenszeit ernannt, Artikel 29 beschränkt die Amtszeit seiner Nachfolger auf fünf Jahre, und der Artikel 30 gibt ihm das Recht, seinen Nachfolger zu bestimmen und dessen Namen in einem verschlossenen Dokument zu hinterlegen. Aus dem charismatischen Revolutionsführer war ein Autokrat geworden.

Faktisch ist diese Verfassung eine Unabhängigkeitserklärung, auch wenn dies explizit nicht darin geschrieben steht. Toussaint schien vor einer formellen Erklärung der Unabhängigkeit zurückzuschrecken und war mit einem autonomen Saint-Domingue zufrieden. Er glaubte wohl, er könne sich mit diplomatischem Geschick zwischen den damaligen Weltmächten bewegen und von allen profitieren; mit den USA und Britannien wollte er Handel treiben, von Frankreich außenpolitischen Schutz. Die USA aber verstanden die Verfassung als letzten Schritt vor der Unabhängigkeit. Ihr damaliger Präsident Thomas Jefferson ließ im Juli 1801 die französische Regierung wissen, dass ein unabhängiger schwarzer Staat in Saint-Domingue unerwünscht sei und man auf die Wiederherstellung der französischen Autorität poche. Die Sklaven auf den Baumwollfeldern der Südstaaten sollten kein Beispiel dafür bekommen, dass es auch anders ging. Die Sklavenhalternation Britannien signalisierte im Oktober, dass sie einer französischen Militärexpedition nach Saint-Domingue nicht im Weg stünde.

Solche Aufforderungen waren gar nicht nötig. Im November 1799 hatte sich in Paris Napoleon Bonaparte an die Macht geputscht und kurz darauf ein Dekret erlassen, nach dem in den Kolonien »spezielle Gesetze« gelten sollten. Im Klartext: es ging um die Wiederherstellung der Sklaverei. Toussaint ahnte, was kommen sollte. Er verstärkte die Forts in den Bergen, wo eine europäische Armee mit ihrer Kriegsführung im Nachteil war. Er stockte seine Truppen auf und rekrutierte selbst Kinder zwischen acht und zwölf Jahren. Als er dann aber im Februar 1802 sah, welch riesige Streitmacht Napoleon unter dem Kommando seines Schwagers Charles Victoire Emmanuel Leclerc nach Saint-Domingue geschickt hatte, wurde ihm trotz aller Vorbereitungen bange.

Mit auf den französischen Schiffen waren seine beiden Söhne, als Faustpfand, das ihn zu einer Verhandlungslösung zwingen sollte. Doch sie konnten entkommen, und einer, Placide, schloss sich den Truppen des Vaters an. Toussaint wandte zunächst seine erprobte Strategie an. Die Hafenstädte wurden niedergebrannt, die Küstenebene dem Feind überlassen. Die schwarzen Truppen zogen sich in die Berge zurück und warteten im von ihnen dominierten Gelände auf die französische Streitmacht. Es ging nicht lange gut. Leclerc gelang es, ein paar schwarze Kommandeure und ihre Truppen mit Bestechung auf seine Seite zu ziehen. Es gab ein paar für Louvertures Armee verlustreiche Schlachten. In der Küstenebene wüteten die Franzosen mit einer Grausamkeit, die einem Völkermord mindestens nahe kam. Als dann auch noch General Christophe zu Leclerc überlief, sah sich Toussaint zu einem Friedensvertrag gezwungen – freilich zu einem, den er selbst diktiert hatte. Er ritt am 6. Mai 1802 mit dreihundert seiner besten Leute in Cap Français ein, besetzte den Gouverneursposten und beorderte Leclerc, der gerade auf einem im Hafen liegenden Schiff speiste, zur Unterschrift.

Die Ruhe nach dem Abkommen, der Eingliederung der schwarzen Generäle und ihrer Truppen in die Besatzungsarmee und der schnellen Deportation Toussaints innerhalb eines Monats hielt nicht lange. Noch mehr Plantagenarbeiter flohen in die Berge zurück und bekämpften Leclercs Armee in bewährter Guerillataktik. Das Gelbfieber wütete in den französischen Feldlagern, die Truppe wurde schwach und schwächer und die schwarzen und farbigen Generäle witterten ihre Chance. Im Oktober 1802 traf sich Dessalines mit dem farbigen General Alexandre Sabès Pétion. Sie beschlossen, sich mit ihren Truppen den Widerständlern in den Bergen anzuschließen. Leclerc ordnete daraufhin einen Völkermord an: »Wir müssen alle Schwarzen in den Bergen töten, Männer und Frauen, und nur Kinder unter zwölf Jahren verschonen.« Er wurde selbst vom Gelbfieber getötet, doch der Völkermord ging unter seinem grausamsten General und Nachfolger Donatien Rochambeau weiter. Der ließ sogar Kriegsgefangene mit brennendem Schwefel vergasen.

Die Brutalität der Franzosen schweißte die versprengten Haufen der Widerständler zusammen. Im Mai 1803 trafen sich die rebellischen Generäle in L’Arcahaye an der Küste nördlich von Port-au-Prince und beschlossen, die französische Präsenz auf der Insel zu beenden. Im November 1803 wurde die Invasionsarmee von Dessalines entscheidend geschlagen. Wer Franzose und weiß war und sich retten konnte, verschwand mit den letzten Schiffen. Am 1. Januar 1804 rief Dessalines in Gonaïves die Unabhängigkeit der Republik unter dem Namen Haiti aus. In den folgenden Wochen wurden die meisten der noch verbliebenen Franzosen massakriert – vermutlich einige Tausend. US-amerikanische Händler und polnische Söldner aber wurden verschont; letztere waren von Frankreich angeheuert und nach Saint-Domingue geschickt worden, um Rochambeau den Kopf zu retten. Bei ihrer Ankunft hatten sie schnell erkannt, dass dies ein verlorenes Unterfangen wäre. Sie schlugen sich auf die Seite der Schwarzen. Ihre noch immer in Haiti lebenden Nachkommen sind bis heute angesehen.

Die Nachricht von der haitianischen Revolution sprach sich schnell unter den Schwarzen herum, nicht nur in der Karibik, sondern auch auf dem nord- und südamerikanischen Festland. Die Kommunikationswege nahmen den Seeweg. Weil nicht nur Haiti für Frankreich eine äußerst rentable Kolonie war, sondern auch Jamaika und andere Inseln für ihre jeweilige Kolonialmacht, gab es einen dichten Handelsverkehr in der Karibik. 1789 legten allein in Haiti gut 700 Schiffe mit über 18’000 Seemännern an. In der wichtigsten Hafenstadt Cap François waren neben den knapp über 12’000 Einwohnern immer etwa 2500 Matrosen an Land. Im benachbarten Jamaika wurden im Jahr davor fast 500 Schiffe mit über 9000 Seeleuten ent- und beladen. Ihre Fracht lockte hunderte von Piraten in die Karibik, dazu kamen unzählige eher kleinere Schiffe von Schmugglern. Viele entlaufene Sklaven hatten sich den Piraten angeschlossen oder arbeiteten auf Schmugglerschiffen. Auch die Schauerleute in den Häfen waren fast ausschließlich Sklaven. Viele Quellen weisen darauf hin, dass die Matrosen ein freundschaftliches Verhältnis zu den schwarzen Hafenarbeitern hatten. Sie litten oft unter herrischen Kapitänen, die wie die Sklavenhalter die Peitsche einsetzten, und fühlten sich so den Sklaven nahe. Nicht zuletzt gab es auch einen innerkaribischen Sklavenhandel – Mackandal und Boukman etwa waren aus Jamaika nach Haiti gekommen; Henri Christophe wurde wahrscheinlich in der britischen Kolonie Saint Kitts geboren. Nachrichten über die Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei in Britannien, über die Freiheitsdiskurse der Französischen Revolution oder über den Sklavenaufstand in Haiti, seine Verläufe und seinen schließlichen Sieg fanden also schnell den Weg übers Meer und ermutigten andere Sklaven.

Zwei große Sklavenrebellionen 1795 in der spanischen Kolonie Venezuela und auf der von den Niederlanden beherrschten Insel Curaçao waren von Haiti inspiriert. Sie wurden beide blutig niedergeschlagen. Überall in der Karibik tauften schwarze Eltern ihre Söhne Toussaint und schon 1805 wurde im von Portugal beherrschten Rio de Janeiro den schwarzen Milizen verboten, in ihren Kasernen Porträts von Dessalines aufzuhängen. Die größte Sklavenrebellion in den USA wurde gar von einem Haitianer angeführt. 1811 zog Charles Deslondes mit bis zu fünfhundert Sklaven durch die Gegend von New Orleans und setzte Plantagen in Brand. Auch diese Rebellion wurde militärisch erstickt. Die Rebellen wurden erhängt oder geköpft, die abgeschlagenen Köpfe zur Abschreckung von eventuellen Nachahmern entlang des Mississippi auf hohen Spießen ausgestellt. Ab 1820 gab es eine erste Auswanderungswelle freier Schwarzer aus den USA nach Haiti. Die junge Republik war ein Ort der Hoffnung geworden.

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