Buch lesen: «Schwarzer Widerstand», Seite 3

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Lässt sich ein lwa im Kopf eines Menschen nieder, ist dieser in seiner Extase gezwungen, ihn darzustellen. Damballah-wèdo, der Schlangengeist, lässt die Besessenen züngeln, auf dem Boden kriechen oder auf Bäume klettern. Wer von Ogu geritten wird, führt wilde Tänze auf und fuchtelt mit dem Säbel. Solche Darbietungen haben oft theatralische, manchmal auch groteske Züge, und so wird bei Zeremonien nicht nur gesungen, getrommelt und getanzt, sondern auch viel gelacht. Höhepunkt der Zeremonie ist ein blutiges Opfer. Wenigstens ein Huhn wird geschlachtet; manchmal eine Ziege oder für petro-lwa auch ein Schwein. In dem Tier werden zuvor heilige Kräfte konzentriert, die dann durch die Tötung freiwerden. Das Blut gilt dabei als Träger spiritueller Energie. Es wird aufgefangen, in kleinen Mengen getrunken, die Gläubigen werden damit auf der Stirn markiert. Im Grund sind die Tieropfer des Vodou sehr nahe an dem in der katholischen Eucharistie zelebrierten Opfertod Jesu.

Stirbt ein Vodou-Gläubiger, sind komplizierte Riten nötig. Der Sarg mit den sterblichen Überresten wird oft im Laufschritt und mit vielen Umwegen und Wendungen zum Friedhof gebracht. Dies soll verhindern, dass der seelenlose Leib aus dem Grab steigt, zu den Lebenden zurückkehrt und sie belästigt. Die Seele des Toten wird in einem Gefäß aufgefangen und für Wochen in einen Fluss versenkt. Dies soll ihr helfen, ihren Weg unter dem Meer zurück nach Guinea zu finden. Die Erinnerung an Afrika ist noch immer präsent.

Doch es gibt nicht nur gute lwa, hangun und mambo. Es gibt auch böse Vodou-Priester und Berichte über zombies. Böse Priester sind hangun, die aus Habsucht aus ihrem Wissen um die lwa und um Heilkräuter, Gifte und andere Mixturen ein Geschäft gemacht haben. Man nennt sie boko und sagt, sie arbeiteten »mit der linken Hand«. Man bezahlt sie dafür, dass sie etwa eine angebetete Frau gefügig machen, dass sie Reichtum bringen, dass sie verachteten Menschen Krankheiten oder gar den Tod schicken. Beauvoir erzählte besorgt, dass die Zahl solcher boko unter dem Einfluss Hollywoods, der auch Haiti nicht verschont hat, zugenommen habe. Da seien viele Scharlatane dabei, auch solche, die Stoffpuppen mit Nadeln stechen. Aber es gebe eben auch ein paar gefährliche Männer mit viel Wissen über pflanzliche Gifte. Wird man vom Fluch eines boko getroffen, braucht man einen guten hangun. Einen, der dessen Tricks kennt, dessen Magie aber stärker ist und der auch um die nötigen Gegenmittel weiß.

Als zombies werden Personen bezeichnet, die tot geglaubt werden – manche sollen tatsächlich auch schon beerdigt worden sein – und die trotzdem Jahre später bei einem boko wiedergesehen wurden. Dieser setzt sie als Arbeitssklaven ein, ohne Bewusstsein und eigenen Willen, mit leerem Blick. Ein zombie isst zwar, hört und spricht, hat aber kein Gedächtnis und wird erbarmungslos ausgebeutet. Im Volksglauben handelt es sich um lebende Tote, um sterbliche Hüllen ohne Seele, die von einem boko aus den Gräbern geholt wurden. Um zu verhindern, dass sich ein Toter in einen zombie verwandelt, spritzt man bisweilen der Leiche ein starkes Gift, erwürgt sie oder schießt ihr eine Kugel in die Schläfe, um sicher zu sein, dass sie wirklich tot ist. Es gibt unzählige Berichte über zombies. Man hat versucht, das Phänomen damit zu erklären, dass diese Menschen mit einer Mixtur aus Giften in eine tiefe Ohnmacht versetzt würden. Vielleicht aber sind zombies auch nur mythische Figuren, eine Erinnerung im kollektiven Gedächtnis Haitis an die Zeit der kolonialen Plantagenwirtschaft und an das, was Sklaverei aus Menschen machen kann.

Es gab viele Versuche, Vodou zum Verschwinden zu bringen – von den Kolonialbehörden, der katholischen Kirche und neuerdings von weißen evangelikalen Missionaren, selbst von schwarzen Regierungen in der Zeit nach der Unabhängigkeit. Trommeln wurden verboten und konfisziert, heilige Bäume gefällt, hunfò zerstört, hangun und mambo exekutiert. Die Kolonialbehörden haben Vodou zwar nie verstanden, aber ihnen war alles suspekt, was die Schwarzen taten und was nicht unter ihrer Kontrolle war. Für Christen ist diese Religion ein Graus und eine meist überlegene Konkurrenz beim Versuch, das Denken und Empfinden der Menschen zu beherrschen. Schwarze Regierungen, deren Mitglieder in aller Regel selbst Vodou praktizierten, kannten die subversive Kraft dieser Religion genau und wollten sie deshalb unterdrücken und kontrollieren.

Vodou, in der Kolonie Saint-Domingue entstanden, hat den aus vielen Ethnien und Sprachgruppen zusammengewürfelten Sklaven ein gemeinsames Bewusstsein gegeben. Vodou hat Gemeinschaft und Netzwerke gegenseitiger Unterstützung geschaffen, hat geholfen, das gemeinsam erfahrene Leid zu ertragen, ohne fatalistisch oder apathisch zu werden. Der Glaube hat die Erinnerung an Afrika bewahrt und damit auch die Hoffnung darauf, dass das Leben auch ganz anders sein kann. Dieser Glaube ist spätestens in Bois Caïman in eine aufrührerische, kämpferische, politische Religion umgeschlagen, in den Ruf nach Befreiung. Beim nächtlichen Vodou-Kult vom 14. August 1791, schreibt Price-Mars, begannen »die Schwarzen, aus ihrem Glauben an die afrikanischen Götter Heldenmut zu schöpfen«. Wenn Louverture in eine Schlacht ritt, trug er unter seinem Dreispitz ein rotes Kopftuch, die Farbe von Ogu. Viele seiner Soldaten spürten, dass sie beim Angriff auf die Franzosen von diesem kriegerischen lwa besessen wurden.

Toussaint Louverture, der Türöffner zur Freiheit

Toussaint Louverture war ohne Zweifel die zentrale Figur der haitianischen Revolution. Er hat sich für eine solche Ausnahmestellung auf den ersten Blick nicht gerade angeboten. Rein äußerlich war er nach dem Urteil der meisten seiner Zeitgenossen eher klein und hässlich. Keines der Porträts, die es von ihm gibt, gleicht dem anderen, und es ist nicht sicher, ob ihn einer der Porträtisten je von Angesicht zu Angesicht gesehen hat. Sicher dagegen ist, dass er schmal war und schmächtig und dass er die Säbelbeine eines passionierten Reiters hatte. Auf diesem unscheinbaren Körper saß ein im Verhältnis viel zu großer Kopf, langgestreckt und mit ausladendem Unterkiefer. Weil dieser Kiefer einmal von einer Kanonenkugel getroffen worden war, hatte er nur noch wenige wackelnde Zähne. Die Augen standen aus dem Gesicht hervor, die Stirn war hoch, das spärliche Haar in einem dünnen Zopf zusammengefasst. Sicher ist auch sein Geburtstag, am 1. November, denn er hieß Toussaint, »Allerheiligen«. Das Jahr dagegen ist umstritten, die historischen Quellen nennen unterschiedliche Daten. Er selbst hat einmal gesagt, er sei beim Ausbruch der Sklavenaufstände 1791 schon fünfzig Jahre alt gewesen – wobei diese Zahl nicht exakt sein muss, immerhin aber eine Größenordnung angibt. Mit fünfzig Jahren war Toussaint in der damaligen französischen Kolonie Saint-Domingue für einen Schwarzen ein steinalter Mann.

Er wurde wohl schon in Saint-Domingue geboren, als Sohn zweier Sklaven, die aus dem damaligen Königreich Allada, dem heutigen Benin, verschleppt worden waren. Er kam an einem 1. November Anfang der 1740er Jahre auf der Plantage des französischen Grafen Bréda in der Nähe des damaligen Cap Français zur Welt, weshalb er lange den Namen Toussaint Bréda trug. Es war üblich, dass man Sklaven den Namen des Besitzers der Plantage, auf der sie arbeiteten, zum Nachnamen gab. Es gibt Berichte, nach denen Toussaints Vater ein ehemaliger afrikanischer König oder zumindest ein kriegerischer Dorfältester gewesen sein soll. Aber das sind wahrscheinlich Legenden, die die Sonderstellung des Sohns unterstreichen sollten. Archivmaterial deutet darauf hin, dass seine Eltern beide 1774 gestorben sind. Wenn er sich danach auf seinen »Vater« bezog, meinte er damit seinen Taufpaten Pierre Baptiste, von dem er wohl Grundzüge des Lesens und Schreibens gelernt hat.

Toussaint musste nie die knochenbrecherische Arbeit im Zuckerrohrfeld oder in einer Zuckermühle verrichten. Dafür war er viel zu schmächtig. Für einen Sklaven hatte er eine privilegierte Stellung. Er kümmerte sich um die Pferde, galt als exzellenter Zureiter. Auch als Tier- und Menschenarzt wurde er eingesetzt. Er kannte sich mit traditionellen Heilkräutern aus und hatte Grundwissen in europäischer Medizin, das er wahrscheinlich von einem französischen Arzt gelernt hatte. Sein erster Titel in der Aufständischenarmee war médicin général.

Auf der Bréda-Plantage war er Vorarbeiter, der die Arbeitseinsätze der Sklaven koordinierte. Und er war Kutscher und Vertrauter des französischen Verwalters Bayon de Libertat. Das Verhältnis der beiden war freundschaftlich. Toussaint begleitete den verheirateten de Libertat öfters bei seinen nächtlichen Eskapaden und Seitensprüngen mit schwarzen und farbigen Frauen. Irgendwann vor 1776 – die Umstände sind nicht bekannt – wurde Toussaint in die Freiheit entlassen. Seine Frau und seine Kinder aber tauchen weiterhin auf der Sklavenliste der Bréda-Plantage auf. Er kaufte eine eigene Farm im Hinterland von Gonaïves und baute dort Kaffee und Grundnahrungsmittel an. Er besaß mindestens einen eigenen Sklaven und lieh sich ein weiteres Dutzend von einem Schwiegersohn aus. Auch als freier Mann blieb er bei seiner Familie auf der Bréda-Plantage.

Wahrscheinlich war er unter den Verschwörern, die den Sklavenaufstand von 1791 ausgeheckt hatten, hielt sich aber noch im Hintergrund. In den ersten Wochen der Sklavenrebellion, als in der nördlichen Küstenebene die Zuckerrohrfelder in Flammen standen, die Herrenhäuser geplündert und ihre Bewohner abgeschlachtet wurden, blieb er auf der Bréda-Plantage. Deren Verwalterehepaar wurde kein Haar gekrümmt, die Zuckerrohrfelder blieben im Wesentlichen verschont. Toussaint schloss sich dann den Aufständischen an – wahrscheinlich im November 1791 –, trat aber erst am 29. August 1793 mit einer kurzen Proklamation aus Camp Turel, einem von den Rebellen eingenommenen Fort auf dem Zentralplateau, öffentlich in Erscheinung: »Brüder und Freunde, ich bin Toussaint Louverture, vielleicht habt ihr meinen Namen schon gehört. Ich habe Rache geübt. Ich will, dass in Saint-Domingue Freiheit und Gleichheit herrschen. Ich arbeite dafür, dass dies geschieht. Reiht euch bei uns ein, Brüder, und kämpft mit uns für die selbe Sache. Euer ergebener und gehorsamer Diener Toussaint Louverture.«

Er nannte sich nicht mehr Bréda, sondern Louverture. Der neue Nachname, der auch von seiner Familie übernommen wurde, weckte unter den Schwarzen von Saint-Domingue eine doppelte Assoziation: Louverture stellte sich als Türöffner zur Freiheit vor und erinnerte gleichzeitig an Legba, der im Vodou-Pantheon der Türöffner zwischen dem Reich der Menschen und dem der Geister ist.

Toussaint Louverture stieg schnell zum Kopf unter den Führern des Aufstands auf. Ohne seinen taktischen und strategischen Verstand hätte sich die Rebellion wahrscheinlich schnell totgelaufen. Im Wortsinn. Denn die ersten zwar siegreichen Schlachten der Schwarzen forderten allesamt einen hohen Blutzoll. Die oft nur mit Macheten und Prügeln bewaffneten wilden Haufen der aufständischen Sklaven liefen in Massen ins Feuer der Franzosen. Viele wirbelten einen Ochsenschwanz über dem Kopf, um die Kugeln zu vertreiben. Andere umklammerten die Mündungen von Kanonen, um ihre Kameraden zu schützen. In Toussaints Augen hatte diese Art der Kriegsführung keinen Sinn. Er ging offenen Feldschlachten aus dem Weg und verlegte sich auf eine Guerillataktik. Er legte Hinterhalte, stellte seine Männer außerhalb der Reichweite der französischen Gewehre auf Bergen auf und ließ sie große Steine auf den Feind hinunterwerfen. Während die Franzosen so beschäftigt und abgelenkt waren, überfiel eine kleine Reitergruppe ihre Waffenlager und raubte Gewehre und Munition. Er war der einzige Führer des Aufstands, der seine Truppe exerzieren ließ und ihr militärische Disziplin abverlangte. Für ihre Ausbildung bediente er sich sympathisierender weißer Offiziere.

Aber er war nicht nur ein genialer Militär, er war auch ein gewiefter Verhandler, der die damals in der Karibik führenden Kolonialmächte Frankreich, Spanien und England gnadenlos gegeneinander ausspielte und dabei mehrfach die Seite wechselte. Er war ein unermüdlicher Briefschreiber, beschäftigte ein ganzes Heer von Sekretären und diktierte oft bis tief in die Nacht hinein. Man sagt, er sei mit zwei Stunden Schlaf ausgekommen und habe nur sehr wenig gegessen. Im Notfall soll er mit einer Banane und einem Schluck Wasser über den Tag gekommen sein. Trotz seiner Ausnahmestellung sei er leutselig gewesen. Er war eine Autorität und gesellig zugleich, weshalb ihn die Schwarzen »Papa Toussaint« nannten.

Er war auch ein großer Frauenheld. In einem später in Portau-Prince gefundenen Schatzkästchen mit persönlichen Erinnerungen waren Liebesbriefe und abgeschnittene Locken versteckt, manche auch von blondem Haar. Seine Leibwächter wussten, welche Dame nachts in sein Lager vorgelassen werden durfte. Im Norden aber, wo seine Familie lebte, soll er ein treuer Familienvater gewesen sein. Seine Frau Suzanne Simone Baptiste – sie wird als übermäßig dickleibig und mit dem Gemüt eines Kindes beschrieben – ist nie über das im Nordwesten gelegene Gonaïves hinaus in den Süden gekommen. Und nur im Süden war Louverture ein Filou.

Legendär waren die schnellen Ortswechsel des hervorragenden Reiters. Man wusste nie, wann er wo unvermittelt auftauchte. Oft hatten seine Untergebenen den Eindruck, er sei gleichzeitig an mehreren Orten. Meist ritt er auf einem Schimmel, einem großen Schlachtross mit dem Namen Bel Argent.

Ob er die Unabhängigkeit der karibischen Insel anstrebte, ist ungewiss. Er hat sie nie explizit eingefordert. Zwar kommt eine von ihm entworfene Verfassung der Unabhängigkeit sehr nahe, gleichzeitig aber hat er in Briefen und Dokumenten stets seine Loyalität zur Kolonialmacht behauptet. Am ehesten hat ihm Saint-Domingue als autonomes und selbstverwaltetes Territorium von freien Schwarzen vorgeschwebt, eingebunden in ein französisches Commonwealth und unter dem außenpolitischen Schutz der Kolonialmacht. Ein paar Jahre lang war es faktisch auch so.

Für Napoleon Bonaparte aber, seit 1799 Erster Konsul der französischen Republik, war so eine Autonomie undenkbar. Er wollte die 1794 aufgehobene Sklaverei in Saint-Domingue wieder einführen, um mit den Gewinnen aus Zucker und Kaffee seine Kriege in Europa zu finanzieren. Ende 1801 schickte er seinen Schwager Charles Victoire Emmanuel Leclerc mit 67 Schiffen und einer zwanzigtausend Mann starken Invasionsarmee in die Karibik, um die selbständig, aber nicht unabhängig gewordene Kolonie wieder unter Kontrolle zu bringen. Als Toussaint diese Streitmacht auf die Nordküste der Insel zusegeln sah, soll er gesagt haben: »Ganz Frankreich kommt, um die Schwarzen zu versklaven. Wir werden alle sterben.«

Der Krieg war grausam und kurz. Am 6. Mai 1802 unterzeichnete Louverture ein von ihm selbst diktiertes Friedensabkommen: Seine Generäle und ihre Truppen wurden im selben Rang in die französische Armee eingegliedert. Er selbst zog sich auf sein Landgut zurück und behielt nur eine Leibwache. Er glaubte, er sei zu diesem Friedensschluss gezwungen gewesen. Die schwarzen Truppen hatten in mehreren blutigen Schlachten erhebliche Verluste erlitten, sein General Henri Christophe war am 16. April zusammen mit 1200 Soldaten zu Leclerc übergelaufen. Toussaint war schon vorher immer wieder an seinen Offizieren verzweifelt. Einmal soll er gesagt haben: »Oh Gott! Das sind die Männer, von denen das Schicksal der schwarzen Rasse abhängt. Was für eine Zukunft haben wir vor uns!« Später stellte sich auch der schwarze General Jean-Jacques Dessalines – gegen großzügige Geschenke – freiwillig den Franzosen.

Dass seine engsten Vertrauten desertiert waren, deprimierte Toussaint so, dass er seine Lage falsch einschätzte. Er wusste nicht, dass die Franzosen noch viel größere Verluste erlitten hatten als seine Armee. Er hatte immer das Gelbfieber in seine Strategie miteinbezogen. Er wusste, dass sich die Schwarzen in der tropischen Regenzeit nur in die Berge zurückziehen mussten, wo es weniger Moskitos gibt. Zudem waren sie viel resistenter gegen die Krankheit als die Weißen, die derweil in der Küstenebene von diesem natürlichen Verbündeten dahingerafft würden. Aber Toussaint hatte keine Ahnung, wie sehr das Gelbfieber in den französischen Truppen gewütet hatte und dass ihr Nachschub bisweilen vom Schiff direkt ins Lazarett und von dort ins Massengrab gegangen war. 50’000 der insgesamt 80’000 Soldaten, die im Lauf des Kriegs nach Saint-Domingue verschifft worden waren, starben in Schlachten oder am Fieber, fast die Hälfte der Überlebenden lag siechend im Lazarett. Auch Leclerc erlag am 2. November 1802 dem tropischen Fieber. Doch da war Toussaint schon im Kerker von Fort de Joux im französischen Jura.

Leclerc hatte den Vertrag mit Louverture nie ernst genommen. Sein Auftrag war, Louverture festzunehmen und nach Frankreich zu deportieren. Er ließ ihn am 7. Juni 1802 in einen Hinterhalt locken und verhaften. Gleichzeitig wurde seine gesamte Familie festgesetzt. Die Gefangenen wurden schnell auf ein Schiff gebracht und nach Frankreich geschickt.

Am 2. Juli erreichten sie den Militärhafen von Brest. Am 22. und 23. August wurde Louverture in einer Nacht- und Nebelaktion in einer Kutsche mit verhängten Fenstern auf Nebenstraßen und fast ohne Halt nach Fort de Joux im französischen Jura nahe der Grenze zur Schweiz verlegt. Sein Kerker sollte möglichst weit weg sein vom Ozean und möglichst sicher, um eine Flucht und die Rückkehr nach Saint-Domingue unmöglich zu machen. Louvertures Zelle war ein Verlies im ältesten und innersten Teil der Burg, hinter fünf gepanzerten Türen und mit einem kleinen fast zugemauerten vergitterten Fenster.

Louverture hatte gehofft, in Frankreich einen Prozess zu bekommen. Schließlich war er, formal gesehen, ein französischer General außer Dienst. Er bereitete den erhofften Auftritt vor Gericht akribisch vor, schrieb eine als »Memoiren« bezeichnete lange Verteidigungsrede, in der er alle Schuld für das Gemetzel in Saint-Domingue Leclerc gab. Der habe die Kolonie widerrechtlich überfallen. Bonaparte aber dachte nicht daran, Louverture einem Richter vorzuführen. Er antwortete nicht einmal auf die ihm zugestellte Verteidigungsrede und auf mehrere Briefe. Er schickte zwar seinen besten Verhörspezialisten, den General Auguste de Caffarelli, nach Fort de Joux. Der aber hatte nur den Auftrag, herauszufinden, ob Louverture Geheimverträge mit englischen Agenten abgeschlossen hatte und wo ein angeblicher Goldschatz vergraben sei – Gerüchte über diesen sagenhaften Schatz gingen damals in Frankreich um und sind bis heute immer wieder aufgetaucht. Caffarelli aber fand in sieben Verhören rein gar nichts heraus.

Als Louverture zu begreifen begann, dass man ihn im Gefängnis verfaulen lassen wollte, war er nur noch verbittert. In seinen Memoiren schrieb er: »Sie haben mich nach Frankreich gebracht, nackt wie einen Wurm; sie haben meinen Besitz und meine Papiere beschlagnahmt; sie haben die grässlichsten Verleumdungen über mich verbreitet. Ist das nicht so, wie wenn man jemandes Bein abschneidet und ihm befiehlt, er solle gehen? Ist es nicht so, wie wenn man ihm die Zunge herausreißt und ihm befiehlt zu reden? Heißt das nicht, einen Mann lebendig zu begraben?« Man nahm ihm seine Generalsuniform, das Rasiermesser, Schreibfeder, Tinte und Papier weg. Man ließ ihn nicht verhungern und erfrieren, gab ihm aber nur spärliche Essensrationen und nicht genug Holz für ein wärmendes Feuer. Er führte diese Behandlung auf puren Rassismus zurück: »Wäre ich ein weißer Mann, wäre mir das, nach allem, was ich geleistet habe, nicht widerfahren.«

In seinen letzten Tagen in der Isolationshaft scheint er in eine tiefe Depression verfallen zu sein. Ein Gefangenenwärter erinnerte sich: »Er verbrachte die meiste Zeit des Tags damit, aus dem kleinen Fenster zu blicken, den Kopf auf die Hände gestützt und die Stirn gegen das Gitter gelehnt. Der arme Mann mag an sein Land gedacht haben und an seine Kinder.« Am 7. April 1803 fand man Louverture tot auf seinem Stuhl. Eine Autopsie ergab, dass er an einer Lungenentzündung gestorben war, beschleunigt durch Unterernährung und bittere Kälte. Er wurde auf dem anonymen Totenacker für die Soldaten von Fort de Joux verscharrt. Seine Gebeine sind nicht mehr auffindbar und das sollte auch so sein: Man wollte Toussaint Louverture vergessen machen.

Bonaparte hat erst sehr viel später eingesehen, dass seine Gewaltstrategie in Saint-Domingue ein Fehler war. In seinen Memoiren, die während der Verbannung auf Saint Helena entstanden sind, schrieb er: »Es war ein großer Fehler, dass ich sie [die Kolonie Saint-Domingue] gewaltsam unterwerfen wollte. Ich hätte mich damit zufrieden geben sollen, sie indirekt über Toussaint zu regieren.«

Die Saat für den nächsten Aufstand war nach der Deportation von Louverture schon gelegt. Nicht nur die Offiziere, auch die Fußsoldaten der schwarzen Verbände waren in die französische Armee integriert worden. Sie waren weiterhin bewaffnet. Und Louverture hatte bei seiner Verhaftung zum französischen General Delafosse über seine eigenen Generäle gesagt: »Sie hoffen, ihren Besitz und ihren militärischen Rang zu retten. Trottel sind sie! Sie kannst du betrügen. Aber du kannst nicht Hunderttausende betrügen, die ihre Freiheit gewonnen haben.«

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