Buch lesen: «Internationales Privatrecht», Seite 13

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e) Ein der Staatenlosigkeit ähnliches Phänomen ist die Rechtsstellung als GFK-Flüchtling oder Asylberechtigter. Ist ein Flüchtling oder Asylberechtigter nicht staatenlos (sonst ohnehin Art. 5 Abs. 2), so wird er häufig die Staatsangehörigkeit gerade des Staates besitzen, in dem er verfolgt wurde oder aus dem er im Zuge kriegerischer Wirren geflohen ist. Jedenfalls im ersten Fall (zur Interessenlage bei vorübergehend Schutz Suchenden Rn 204) entspricht es meist nicht seinem Interesse, in Angelegenheiten des Personalstatuts nach dem Recht seines Heimatstaats behandelt zu werden, der ihm gerade keinen Schutz bietet. Zudem würde die Anwendung des Heimatrechts angesichts der zunehmenden und unterschiedlichen Flüchtlingsströme die Justiz der Aufnahmestaaten vor zusätzliche Probleme der Ermittlung der Staatsangehörigkeit und des Inhalts des fremden Rechts stellen.

251

aa) Die maßgeblichen Regelungen unterstellen daher das Personalstatut von Flüchtlingen dem Recht ihres Wohnsitzes, hilfsweise des schlichten Aufenthalts. Personalstatut ist auch hier in dem Sinn zu verstehen, dass die Sonderanknüpfung nicht nur das Personen-, Familien- und Erbrecht betrifft, sondern immer eingreift, wenn das IPR ansonsten die Staatsangehörigkeit beruft.[31] Ausgangsbestimmung ist Art. 12 Abs. 1 GFK (Rn 102). Nach zutreffender Ansicht ist der bei Abschluss der Konvention 1951 noch unbekannte Begriff des „gewöhnlichen Aufenthaltes“ durch Auslegung an die Stelle des Begriffs „Wohnsitz“ zu setzen,[32] was eine international einheitliche Handhabung bewirkt. Das entspricht auch der Entwicklung bei den Staatenlosen, wo Art. 5 Abs. 2 bewusst[33] von Art. 12 Abs. 1 des UN-Staatenlosen-Übereinkommens von 1954 abweicht; anderenfalls müsste bei einem Flüchtling zusätzlich die oft schwierige Prüfung einer – zusätzlichen – Staatenlosigkeit angestellt werden.

252

bb) Ursprünglich war die Genfer Flüchtlingskonvention gemäß Art. 1 GFK nur auf europäische Flüchtlinge anwendbar, die im Zuge der Ereignisse vor, während und kurz nach dem 2. Weltkrieg (Ereignisse vor dem 1.1.1951) geflohen waren. Durch das Genfer Protokoll vom 31.1.1967[34] wurde dem schlimmen Umstand Rechnung getragen, dass das 20. Jahrhundert zum Jahrhundert der Flüchtlinge geworden war. Aus der Definition des „Konventionsflüchtlings“ wurde die zeitliche (Fluchtgrund vor 1.1.1951) und die räumliche Begrenzung (europäische Flüchtlinge) gestrichen. Tatbestandlich erforderlich ist die Flucht aus bestimmten Fluchtgründen: „aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“. Art. 12 Genfer Flüchtlingskonvention ist damit auch auf solche Flüchtlinge anzuwenden. Die Flüchtlingseigenschaft iSd Art. 1 GFK wird in Deutschland nach § 3 Abs. 4 AsylG förmlich zuerkannt; die Zuerkennung ist jedoch nur positiv bindend (§ 6 AsylG), ihr Fehlen schließt die unmittelbare Anwendung von Art. 1, 12 GFK durch ein Gericht in einer Zivilsache nicht aus.[35]

253

cc) Ist das Anknüpfungssubjekt anerkannter Asylberechtigter in Deutschland, was die Eigenschaft als politisch Verfolgter iSd Art. 16a GG voraussetzt, so gewährt § 2 Abs. 1 AsylG die Rechtsstellung von Konventionsflüchtlingen, es gilt daher Art. 12 der Konvention; die förmliche Anerkennung im Verfahren nach §§ 12 ff AsylG ist hierfür konstitutiv, mit Ausnahme von Ausländern, denen vor dem 3.10.1990 im Beitrittsgebiet Asyl gewährt wurde (§ 2 Abs. 3 AsylG). Es kann also nicht ein Zivilgericht die Anwendung des § 2 AsylG unmittelbar auf Art. 16a GG stützen. Eine zunehmend bedeutsame Frage ist, ob eine Unterstellung unter das Recht des Zufluchtslandes immer interessengerecht ist (dazu Rn 204),[36] zumal bei Rückkehrwillen und Flucht wegen nicht-staatlicher Verfolgung die Flucht nicht mehr Abkehr vom Heimatstaat indiziert.

254

dd) Soweit Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlinge keinen Fluchtgrund iSd Art. 1 GFK haben – was von individueller Prüfung abhängt – und nicht als Asylberechtigte iSd § 2 AsylG anerkannt sind, können sie subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr 3 AsylG erlangen, der auf der Richtlinie 2011/95/EU basiert. Dieser Personenkreis fällt kollisionsrechtlich jedoch nicht unter § 2 Abs. 1 AsylG,[37] auch wenn aufenthaltsrechtlich eine Gleichstellung erfolgt (Aufenthaltserlaubnis § 25 AufenthG): Der Schutzstatus begründet keine Asylberechtigung, sondern ist als ein eigenständiger Status konzipiert,[38] der zwar auf den Asylantrag hin gewährt wird, jedoch gerade die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft und der Asylberechtigung voraussetzt.[39] Überdies wäre auch eine Anwendung des Aufenthaltsrechts nicht interessengerecht:[40] Wer vor Krieg oder Bürgerkrieg flieht, sucht nicht Schutz vor Verfolgung durch das Land und seine Regierung, sondern Schutz vor dem friedlosen Zustand, nach dessen Beendigung er in seine hoffentlich wieder befriedete Heimat zurückkehren will und soll.

Bei bloßer Duldung des Aufenthalts im Bundesgebiet nach Ablehnung eines Asylantrags ist Art. 12 GFK weder direkt noch über Art. 2 Abs. 1 AsylG anzuwenden. Überdies ist für nur geduldete Ausländer auch die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts zweifelhaft.

255

ee) Flüchtlinge, die zugleich Deutsche iSd Art. 116 Abs. 1 GG sind, stehen nach Art. 9 Abs. 2 Nr 5 FamRÄndG kollisionsrechtlich Deutschen gleich.

256

f) Hat ein Flüchtling oder Asylberechtigter ein Personalstatut nach den vorstehenden Bestimmungen erlangt, so wird dieses kollisionsrechtlich wie eine Staatsangehörigkeit behandelt. Auch wenn eine Verweisungsnorm auf die letzte (gemeinsame) Staatsangehörigkeit von Anknüpfungssubjekten abstellt, kann dieses letzte (gemeinsame) Personalstatut ein Wohnsitz- bzw Aufenthaltsrecht sein; das gilt selbst dann, wenn ein Beteiligter auf seinen Asylanten- oder Flüchtlingsstatus verzichtet hat und sein Personalstatut aktuell wieder von der Staatsangehörigkeit bestimmt wird.[41]

Literatur:

MüKoBGB/v. Hein (6. Aufl., 2015) Art. 5 EGBGB Rn 94 ff (Staatenlose), Art. 5 Anh. II Rn 18 ff (GFK-Flüchtlinge); Art. 5 Anh. II Rn 72 ff (Asylberechtigte); Staudinger/Bausback (2013) Art. 5 EGBGB Anh. IV Rn 47 ff (GFK-Flüchtlinge); Art. 5 Anh. IV Rn 71 ff (Asylberechtigte); Baetge Gewöhnlicher Aufenthalt und Personalstatut von Flüchtlingen, StAZ 2016, 289; Majer Flüchtlinge im internationalen Privatrecht – Vorschlag für eine teleologische Reduktion des Art. 12 GFK, StAZ 2016, 337; Mankowski Die Reaktion des Internationalen Privatrechts auf neue Erscheinungsformen der Migration, IPRax 2017, 40.

4. Exkurs: Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht

257

a) Die Erwerbsgründe für die deutsche Staatsangehörigkeit sind in § 3 StAG (früher RuStAG, Neubenennung zum 1.1.2000) aufgeführt; sie ergeben sich im Einzelnen aus §§ 4 ff StAG. Das geltende deutsche Staatsangehörigkeitsrecht folgt noch überwiegend, aber nicht mehr ausnahmslos, dem Prinzip des ius sanguinis.

258

aa) Von Geburt (§ 3 Nr 1 StAG) erwirbt ein Kind die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (§ 4 Abs. 1 S. 1 StAG). Das gilt seit 1.7.1993[42] auch, wenn die Eltern bei Geburt nicht verheiratet sind und nur der Vater die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt; in diesem Fall muss aber die Vaterschaft nach deutschem Recht wirksam anerkannt oder festgestellt sein, wobei vor Vollendung des 23. Lebensjahres des Kindes die Anerkennungserklärung abgegeben oder das Feststellungsverfahren eingeleitet worden sein muss (§ 4 Abs. 1 S. 2 StAG). Entgegen dem zu engen Wortlaut besteht nach ganz hM Wirksamkeit der Vaterschaftsfeststellung nach deutschem Recht auch dann, wenn die Vaterschaft nach einer gemäß dem deutschen IPR für maßgeblich erklärten Rechtsordnung wirksam besteht. Der Zweck der Begünstigung der Abstammungsfeststellung durch eine alternative Anknüpfung (Art. 19 Abs. 1) wird nur erreicht, wenn diese Feststellung gleichwertig ist, also alle Rechtsfolgen der Kindschaft – auch die Staatsangehörigkeit – vermittelt.

259

bb) Zum 1.1.2000 wurden zwei Elemente des ius soli in das StAG eingefügt. Erwerbsbegrenzend wirkt § 4 Abs. 4 StAG:[43] Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit iure sanguinis findet nicht mehr von selbst statt, wenn das Kind im Ausland geboren wird und bereits der deutsche Elternteil nach dem 31.12.1999 im Ausland geboren wurde und dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die zweite im Ausland geborene Auswanderergeneration nicht mehr typischerweise mit Deutschland verbunden ist. Dennoch iure sanguinis Deutscher wird das Kind auch in diesem Fall, wenn es sonst staatenlos würde oder wenn innerhalb eines Jahres Antrag auf Beurkundung der Geburt nach § 36 PStG im Geburtenregister gestellt wird was ein Minimum an Verbundenheit zu Deutschland dokumentiert. Sind beide Elternteile Deutsche, so müssen die ausschließenden Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 S. 1 StAG für beide vorliegen (§ 4 Abs. 4 S. 2 StAG), was sich von selbst versteht, weil jeder Elternteil allein dem Kind die deutsche Staatsangehörigkeit vermittelt.

260

Mehr praktische Bedeutung hat der neue Erwerbstatbestand in § 4 Abs. 3 StAG. Ein in Deutschland geborenes Kind (zweier Ausländer) erwirbt die deutsche Staatsangehörigkeit iure soli, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt. Besitzt der Betreffende daneben eine andere Staatsangehörigkeit (außer der eines EU-Mitgliedstaats oder der Schweiz), so besteht nach § 29 StAG eine Optionspflicht nach Erreichen der Volljährigkeit: Die deutsche Staatsangehörigkeit geht verloren, wenn er erklärt, die ausländische Staatsangehörigkeit behalten zu wollen (§ 29 Abs. 2 StAG) oder wenn er auf Hinweis nicht innerhalb von zwei Jahren den Verlust der anderen Staatsangehörigkeit nachweist (§ 29 Abs. 3 StAG). Für Fälle der Unzumutbarkeit ist eine Beibehaltungsgenehmigung (deutsche StA neben einer ausländischen) vorgesehen (§ 4 Abs. 3, 4 StAG). Nach der Neufassung zum 21.12.2014[44] besteht diese Optionspflicht jedoch nur noch, wenn das Kind nicht in Deutschland aufgewachsen ist (§ 29 Abs. 1 Nr 2 StAG; Legaldefinition § 29 Abs. 1a StAG)

261

Die Regelung ist nicht nur im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip problematisch, weil im Fall der Optionspflicht § 29 Abs. 3 S. 2 StAG den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes ohne Willen des Staatsangehörigen anordnet.

Kollisionsrechtlich ist die Regelung, die durch die Reform in 2014 sogar zu dauernder Doppelstaatigkeit bei Fehlen einer Optionspflicht führt, bedenklich: Sie führt vermehrt zu hinkenden Rechtsverhältnissen: Der Doppelstaater wird bis zu einem evtl. Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit kollisionsrechtlich als Deutscher behandelt (Art. 5 Abs. 1 S. 2). Der andere Heimatstaat wird ihn kollisionsrechtlich meist nach seinem Recht behandeln, soweit er das Personalstatut an die Staatsangehörigkeit anknüpft. So verhält es sich insbesondere mit den deutsch-türkischen Doppelstaatern, die unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 StAG in Deutschland geboren sind. Gerade bei den hier Aufgewachsenen, die nach der Neuregelung keiner Optionspflicht unterliegen, wird diese hinkende Behandlung familienrechtlicher Verhältnisse perpetuiert. Hier rächt sich auf kollisionsrechtlicher Ebene der Irrglaube, Staatsangehörigkeit bewirke Integration. Staatsangehörigkeit kann und sollte Ausdruck erfolgter Integration sein; nur dann ist sie auch kollisionsrechtlich ein Maßstab der Interessenlage.

262

cc) Seit 1.7.1998 (KindRG) kennt das deutsche Recht keine Legitimation und daher auch keinen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Legitimation mehr. An dessen Stelle ist der Erwerb durch Erklärung nach § 3 Nr 2, § 5 StAG getreten. Kinder eines deutschen Vaters, die vor dem 1.7.1993 nichtehelich geboren wurden und daher die deutsche Staatsangehörigkeit vom Vater nicht erwerben konnten, erwerben die deutsche Staatsangehörigkeit durch die Erklärung, Deutscher werden zu wollen, wenn eine Vaterschaftsanerkennung oder -feststellung nach deutschem Recht vorliegt, das Kind seit drei Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat und die Erklärung vor Vollendung des 23. Lebensjahres abgegeben wird.

263

dd) Aufgrund einer nach den deutschen Gesetzen wirksamen Adoption durch einen Deutschen erwirbt das im Zeitpunkt des Annahmeantrages noch nicht 18-jährige Kind die deutsche Staatsangehörigkeit (§ 3 Abs. 1 Nr 3, § 6 StAG). § 6 StAG geht bei dem Begriff „Adoption“ von dem Adoptionsbegriff des deutschen Familienrechts aus. Problematisch ist die Anwendbarkeit von § 6 StAG auf eine wirksame Adoption nach ausländischem Recht:

Bei einer Adoption durch einen Deutschen vor einem deutschen Gericht ist nach Art. 22 meist ohnehin deutsches Adoptionsrecht anzuwenden.

264

Adoptieren jedoch zB Ehegatten, von denen einer deutscher Staatsangehöriger ist und beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Staat haben, ein in Deutschland befindliches staatenloses oder Flüchtlingskind, so ist auf die Adoption nach Art. 22 Abs. 1 S. 2, Art. 14 Abs. 1 Nr 2 das gemeinsame Aufenthaltsrecht der Ehegatten anzuwenden, sofern keine Rück- oder Weiterverweisung erfolgt.

265

Wirksam nach deutschen Gesetzen ist eine Adoption jedoch auch, wenn ein ausländisches Gericht sie ausgesprochen hat und sie nach deutschem Recht anzuerkennen ist (§§ 2 ff AdWirkG iVm § 108 FamFG). Ob diese Wirksamkeit für § 6 StAG genügt, ist fraglich. Da eine „Adoption“ in rechtsvergleichender Sicht ein Begriff mit unterschiedlichen rechtlichen Inhalten ist und eine Adoption im Ausland nicht notwendig eine Volladoption sein muss, wie sie das deutsche Familienrecht vorsieht, handelt es sich um ein Problem der Substitution (dazu Rn 548): Es ist zu prüfen, ob die wirksame ausländische Adoption die Stelle des Tatbestandsmerkmals „Adoption“ in § 6 StAG einnehmen kann. Das ist nur dann möglich, wenn diese Adoption familien- und erbrechtlich weitestgehend die gleichen Wirkungen erzeugt wie eine Adoption nach deutschem Recht. Wenn eine ausländische Adoption anerkannt wird, aber diese Wirkung zweifelhaft ist, wird daher in der Praxis empfohlen, die Adoption nach deutschem Recht in Deutschland nachzuholen, um den Erwerb der Staatsangehörigkeit (und andere Rechtsfolgen) sicherzustellen.

266

ee) Die Einbürgerung eines Ausländers, der sich im Inland niedergelassen hat, bestimmt sich nach §§ 8 ff StAG. Grundsätzlich handelt es sich um eine Ermessenseinbürgerung, die grundsätzlich Handlungsfähigkeit, Fehlen von Vorstrafen, eigene Wohnung und die Fähigkeit, sich und seine Angehörigen zu ernähren, voraussetzt. Liegen die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 StAG vor, so besteht ein Anspruch auf Einbürgerung, was unter anderem einen achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt, Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit und die viel diskutierten Kenntnisse der deutschen Sprache und der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie Lebensverhältnisse voraussetzt. Ehegatten und minderjährige Kinder von nach § 10 Abs. 1 StAG Einzubürgernden können gleichzeitig eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht 8 Jahre rechtmäßig in Deutschland aufhalten (§ 10 Abs. 2 StAG).

267

Ehegatten Deutscher haben nach § 9 StAG unter leichteren Voraussetzungen als den in § 10 Abs. 1 StAG bestimmten einen „Soll“-Anspruch auf Einbürgerung, wenn die Voraussetzungen des § 8 StAG vorliegen und sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit verlieren oder aufgeben bzw ein Grund für die Hinnahme der Mehrstaatigkeit nach § 12 StAG vorliegt und gewährleistet ist, dass sie sich in die hiesigen Lebensverhältnisse einordnen sowie über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen.

268

b) Ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit setzt im geltenden Recht regelmäßig eine dem Staatsangehörigen zurechenbare Willensäußerung voraus. Bestimmungen, die den Verlust der Staatsangehörigkeit als Sanktion vorsehen, sind rechtsstaatswidrig und stehen in Widerspruch zu Art. 16 Abs. 1 GG (vgl frühere Bestimmungen zum Verlust der Staatsangehörigkeit durch Fahnenflucht, längeren Auslandsaufenthalt). Daher bestehen Bedenken gegen § 29 Abs. 3 S. 2 StAG (Rn 261).

269

aa) Eine Entlassung ist auf Antrag gemäß § 18 StAG möglich, wenn der Antragsteller den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit beantragt und die Verleihung zugesichert erhalten hat; Beamte, Richter, Soldaten und Wehrpflichtige können nicht aus der deutschen Staatsangehörigkeit entlassen werden.

270

bb) Durch Verzicht (§ 26 StAG) geht die deutsche Staatsangehörigkeit nur verloren, wenn der Verzichtende eine andere Staatsangehörigkeit bereits besitzt, also Mehrstaater ist; diese Staatsangehörigkeit muss seitens der Bundesrepublik anerkannt sein (zB genügte die Staatsbürgerschaft der DDR nicht).

271

cc) Durch Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit mit Ausnahme der eines anderen EU-Mitgliedstaates, der Schweiz oder eines Staates mit dem entsprechende völkervertragliche Regelungen bestehen (§ 25 StAG), geht die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, wenn der Erwerb auf Antrag des Staatsangehörigen erfolgt.[45] Dieser Verlustgrund ist insofern für den Rechtsverkehr und den Betroffenen gefährlich, als er sich oft ohne Rechtskenntnis des Betroffenen und ohne Wissen der deutschen Behörden vollzieht, und häufig erst nach Jahren (etwa bei Stellung eines Passantrages bei einer deutschen Auslandsvertretung oder im Nachlassverfahren) bekannt wird. Auch im Fall des § 28 StAG (Eintritt in Wehrdienst eines anderen Staates, dem die Person angehört) geht die deutsche Staatsangehörigkeit ohne Erklärung – und damit ggf unerkannt – verloren.

272

dd) Durch familienrechtliche Vorgänge tritt ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nur bei Adoption eines Deutschen durch einen Ausländer nach dem 1.1.1977 ein (§ 27 StAG), es sei denn, dass der Adoptierte mit einem deutschen Elternteil verwandt bleibt (so bei der Stiefkindadoption durch den ausländischen Ehegatten eines deutschen Elternteils). Eheschließung mit einem Ausländer führt hingegen seit 1.4.1953 nicht mehr zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit der Ehefrau.

Literatur:

zur historischen Entwicklung: Staudinger/Bausback (2013) Anh II zu Art. 5 EGBGB Rn 1 ff; zum geltenden Staatsangehörigkeitsrecht dort Rn 85 ff.

II. Andere Anknüpfungskriterien

1. Gewöhnlicher Aufenthalt

273

a) Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt hat sich im deutschen IPR zum zweiten wichtigen Anknüpfungskriterium entwickelt. Im Gegensatz zur Staatsangehörigkeit ist der gewöhnliche Aufenthalt häufig hilfsweises Anknüpfungskriterium, wo die Staatsangehörigkeit als solches versagt (zB in Art. 14 Abs. 1). Zunehmend wird jedoch dem gewöhnlichen Aufenthalt als einem räumlichen Bezugsschwerpunkt der Person ein eigenständiger primärer Gerechtigkeitsgehalt beigemessen. Diese Wertung geht aus von Haager Übereinkommen (Art. 1, 2 MSA, Art. 5, 15 Abs. 1 KSÜ, Art. 4 Abs. 1 HUntStÜbk 1973, Art. 3 Abs. 1 HUntStProt 2007), hat aber auf das autonome IPR übergegriffen. In Art. 19, 20 und 21 wird der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes seit 1.7.1998 zum primären Anknüpfungskriterium für das gesamte Kindschaftsverhältnis gemacht. Die Staatsangehörigkeit tritt hier nur noch als alternatives Anknüpfungskriterium auf (zur Begünstigung der Abstammungsfeststellung Art. 19 Abs. 1 S. 2).

274

Im europäischen IPR, das sich in Verordnungen nach Art. 81 AEUV fortentwickeln wird, dürfte der gewöhnliche Aufenthalt zum primären Anknüpfungskriterium des Personalstatuts werden,[46] auch wenn damit dem Ziel, eine den Betroffenen nahe Rechtsordnung anzuwenden, angesichts zunehmender Mobilität schwerlich erreicht wird.

275

b) Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist nicht aus einer gesetzlichen Definition entstanden, was seine Verwendung in völkervertraglichen Vereinbarungen begünstigt hat. In einer Resolution des Ministerrats des Europarates v. 18.1.1972 wird ein zweigliedriger Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts empfohlen, der sich von dem eingliedrigen Begriff des schlichten Aufenthalts abgrenzt und sich mit den insbesondere zum MSA in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien deckt:

276

aa) Aufenthalt hat eine Person dort, wo sie sich tatsächlich aufhält. Auf eine Willensrichtung oder die Legalität des Aufenthalts kommt es nicht an. Schon die Wohnsitznahme für einen gewissen, vorübergehenden, nicht notwendig ununterbrochenen Zeitraum begründet den Aufenthalt.

277

bb) Ein gewöhnlicher Aufenthalt erfordert, dass der Aufenthalt auf Dauer angelegt ist, was nicht voraussetzt, dass der Aufenthalt schon länger angedauert haben muss. Dauerhaftigkeit kann sich auch zukunftsgerichtet aus den Umständen des Falles ergeben. Zweites Element ist, dass die Person dort ihren Daseinsmittelpunkt hat. Hierbei sind private und berufliche Umstände zu berücksichtigen, welche eine enge und dauerhafte Beziehung zwischen der Person und ihrem Aufenthalt anzeigen; es muss eine gewisse Integration in familiärer und beruflicher Hinsicht und der Schwerpunkt der Bindungen an diesem Ort[47] vorliegen. Der Wille der Person, den Aufenthalt beizubehalten, ist danach nicht Voraussetzung für den gewöhnlichen Aufenthalt, ist aber bei der Bestimmung, ob der Aufenthalt zum Daseinsmittelpunkt geworden ist, wesentlich zu berücksichtigen; eine zwangsweise Unterbringung begründet keinen gewöhnlichen Aufenthalt. Im Rahmen der Rom III-VO und der EU-ErbVO wird jedoch aus Gründen der Stabilisierung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts eine Abhängigkeit vom Willen diskutiert.

278

cc) Der gewöhnliche Aufenthalt von Minderjährigen hat die Rechtsprechung vor allem im Zusammenhang mit dem MSA vielfach beschäftigt. Da der gewöhnliche Aufenthalt auch bei Minderjährigen nicht als rechtliche Fiktion von dem der Sorgeberechtigten abgeleitet wird (anders § 11 BGB für den Wohnsitz), sondern nach den für den Minderjährigen geltenden tatsächlichen Gegebenheiten zu bestimmen ist, kann sich der gewöhnliche Aufenthalt des Minderjährigen selbst gegen den Willen eines (allein) Sorgeberechtigten ändern.

279

Die Prüfung einer sozialen und familiären Integration wird insbesondere in Fällen von Kindesentführung durch einen Elternteil oder Verwandten (sog legal kidnapping) bedeutsam. Verbringt ein Elternteil das Kind gegen den Willen des anderen (allein oder mit-) sorgeberechtigten Elternteils in ein anderes Land (oft sein Heimatland), so schließt der entgegenstehende Wille eines Sorgeberechtigten nicht die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts aus. Andererseits kann der gewöhnliche Aufenthalt am neuen schlichten Aufenthaltsort nicht sofort begründet werden, weil die Dauerhaftigkeit der Eingliederung, anders als etwa beim Umzug des Kindes mit beiden Eltern, wegen des entgegenstehenden Willens des Sorgeberechtigten nicht von vornherein feststeht.[48] Andererseits ist die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts gerade in solchen Fällen oft entscheidend, weil vom Bestehen des gewöhnlichen Aufenthalts die internationale Zuständigkeit aus Art. 5 KSÜ, Art. 1 MSA oder Art. 8 Brüssel IIa-VO abhängt (vgl aber Rn 281).

280

Die Integration eines Kindes hängt stark von seinem Alter ab; sie ist im frühkindlichen Stadium weitestgehend familienorientiert, weshalb es zwar nicht zu einer rechtlichen Ableitung vom Sorgeberechtigten kommt, aber zu einer faktischen Berücksichtigung des gewöhnlichen Aufenthalts des betreuenden Elternteils.[49] Später kommen soziale Außenbeziehungen (Kindergarten, Schule) hinzu.[50] In der Rechtsprechung wurde bisher in „Entführungsfällen“ sowie in Fällen einer sonst zwischen den Sorgeberechtigten strittigen Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts eine konkrete soziale Eingliederung angenommen, wenn der Minderjährige am neuen Aufenthaltsort seit mindestens sechs Monaten (als „Faustregel“)[51] normal integriert lebt, also etwa Schule oder Kindergarten besucht oder als Kleinkind im Familienverband mit einem Elternteil und/oder sonstigen Verwandten lebt, ohne dass der andere Elternteil konkrete Schritte zur Rückführung unternimmt. Selbst wenn der Aufenthalt des Kindes durch den allein Sorgeberechtigten verlegt wird, dürfte nicht sogleich die für den Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts erforderliche Integration eintreten; bei einem Kleinstkind, das bei der bisherigen engsten Bezugsperson bleibt, die in ihr Heimatland zurückkehrt, wo diese selbst stark integriert ist, wird jedoch sehr bald ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt anzunehmen sein.[52]

281

Um den Übergang der Zuständigkeit zu verzögern, treffen Art. 7 Abs. 1 KSÜ und Art. 10 lit. b Brüssel IIa-VO in „Entführungsfällen“ Sonderregelungen zur Fortdauer der Zuständigkeit der Gerichte des Staates, aus dem das Kind entführt wurde. Obgleich diese Regelungen so formuliert sind, dass trotz Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts die Zuständigkeit fortbesteht, wirft die dort normierte Jahresfrist die Frage auf, in welchem Verhältnis die Jahresfrist zur „Faustregel“ eines mindestens 6-monatigen Aufenthalts steht.

282

dd) Einen wesentlichen Schritt zur Rückführung entführter Kinder hat das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung v. 25.10.1980[53] bewirkt (HKiEntÜ; Rn 983 ff). Zwischen den Mitgliedstaaten wird der Vorrang der Entscheidung der Gerichte des Staates, aus dem das Kind entführt wurde, durch Art. 11 Brüssel IIa-VO gegenüber dem HKiEntÜ verstärkt. Weitere Änderungen sind in Art. 22 ff des Vorschlags einer Brüssel IIb-VO geplant.[54]

283

c) Vom Wohnsitz nach deutschem Recht unterscheidet sich der gewöhnliche Aufenthalt in drei Kriterien: Der Wohnsitz wird im Regelfall willentlich begründet (§ 7 Abs. 1 BGB: „niederlässt“; deutlich § 8 Abs. 1 BGB) und aufgehoben (anders aber § 9 BGB). Der Wohnsitz von Minderjährigen wird von dem der Eltern abgeleitet (§ 11 BGB). Ein Wohnsitz kann an mehreren Orten bestehen. Der gewöhnliche Aufenthalt ist hingegen nicht willensabhängig, wird unabhängig von der Geschäftsfähigkeit nach den Lebensumständen der betroffenen Person bestimmt und kann nicht mehrfach sein. Gemeinsam haben beide Konzepte, dass sie einen (faktischen bzw gewillkürten) Daseinsmittelpunkt erfordern,[55] weshalb eine Person ohne Daseinsmittelpunkt weder einen gewöhnlichen Aufenthalt noch einen Wohnsitz hat.

284

d) Vom domicile des Common Law Rechtskreises, das dort die Staatsangehörigkeit als das primäre Anknüpfungskriterium für das Personalstatut ersetzt, ist der gewöhnliche Aufenthalt ebenfalls zu unterscheiden.

285

Die Bedeutung des domicile in den Common Law Staaten als räumliches Anknüpfungskriterium anstelle der auf dem europäischen Kontinent bevorzugten Staatsangehörigkeit erstreckt sich auf personen-, familien- und erbrechtliche Beziehungen. Dabei sind jeweils Rechte an unbeweglichen Sachen ausgenommen; sie werden dem Belegenheitsrecht unterstellt. Historisch geht dies zurück auf Joseph Story, der – wie übrigens auch noch v. Savigny (der an das Domizil anknüpfte, Rn 34) – den Schwerpunkt solcher Rechtsverhältnisse vorzugsweise räumlich bestimmte. Der rechtspolitische Grund für die Bevorzung des domicile als Anknüpfungskriterium besteht wohl darin, dass England als Seefahrernation sich kollisionsrechtlich mit dem Faktum der Auswanderung und Niederlassung von Staatsangehörigen in fremden Ländern zu befassen hatte. Noch stärker sind in den USA, in Kanada und in Australien die Argumente für eine räumliche statt einer staatsangehörigkeitsbezogenen Anknüpfung: Als Einwanderungsstaaten war diesen Ländern zunächst an schneller Integration großer Zahlen von Zuwanderern gelegen; die Gerichte sollten nicht mit der Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts belastet werden, eine sofortige Einbürgerung kam naturgemäß aber nicht in Betracht. Zudem handelt es sich um Mehrrechtsstaaten; Staatsangehörigkeit aber ist ein ungeeignetes Kriterium, wenn zwischen den Familienrechtsordnungen mehrerer Bundesstaaten (eines Gesamtstaates) zu entscheiden ist.

286

Der Begriff des „domicile“[56] wird nicht in allen Staaten des Common Law-Rechtskreises vollständig gleich verstanden. Gemeinsam sind jedoch die folgenden Grundsätze: Jeder Mensch hat ein und nur ein domicile, das nicht an einem Ort, sondern in einem Gebiet einheitlicher Jurisdiktion (England, Florida, New South Wales, Ontario etc) besteht. Das erste domicile, sein domicile of origin, erwirbt ein Mensch durch Geburt als abgleitetes domicile von den Eltern (früher Vater). Ein Wechsel des domicile – hin zu einem domicile of choice – setzt zwei Kriterien voraus: Persönliche Anwesenheit (physical presence) und das Willenselement (mental attitude), dort für unbestimmte Zeit (for indefinite future time) zu bleiben.

287

Der bekannteste Unterschied zwischen dem englischen und dem US-amerikanischen domicile-Begriff besteht in der sog revival doctrine, der das englische Recht im Gegensatz zum US-Recht folgt und die ein klassisches Produkt englischer Seefahrertradition ist: Verlässt eine Person ihr domicile (einerlei ob domicile of origin oder choice) mit dem Willen, es für immer (unbestimmte Zeit: intention to remain forever) aufzugeben, so verliert sie es. Vor Ankunft am Ziel kann dort kein neues domicile begründet werden, denn es fehlt an der physical presence. Treten während der Reise Rechtsfragen auf – zB löst der Tod des Reisenden den Erbfall aus – so kann er nicht ohne domicile sein. Um die (bei Seereisen bis tief in das 20. Jahrhundert oft beträchtliche Zeit andauernde) Lücke zu schließen, lässt die revival doctrine das domicile of origin wieder aufleben, auch wenn es schon Jahrzehnte lang durch Wahldomizile ersetzt war. Das US-Recht lässt hingegen das letzte domicile fortbestehen, bis ein neues begründet wird. Dieser flexibleren Sicht schließen sich andere Common Law-Staaten an und geben die revival doctrine auf.[57]

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