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Buch lesen: «Geschichte von England seit der Thronbesteigung Jakob's des Zweiten. Zehnter Band: enthaltend Kapitel 19 und 20.», Seite 13

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Wilhelm’s Rüstungen für den Feldzug

Während Middleton die Franzosen vergebens zu überzeugen versuchte, daß Wilhelm’s Talente bedeutend überschätzt würden, erfuhr Dieser, der Middleton’s Werth volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, mit großer Besorgniß, daß der Hof von St. Germains den Beistand eines so ausgezeichneten Rathgebers herangezogen habe.159 Doch war dies nur eine von den tausend Ursachen zu Besorgniß, welche während dieses Frühjahrs den Geist des Königs umlagerten. Er bereitete sich für den Beginn des Feldzugs vor, beschwor seine Verbündeten zeitig im Felde zu sein, feuerte die Trägen an, handelte mit den Habsüchtigen, schlichtete Streitigkeiten und legte Vorrangsfragen bei. Er hatte das Wiener Cabinet zu bewegen, in Zeiten Succurs nach Piemont zu schicken. Er hatte ein wachsames Auge auf die nordischen Potentaten zu richten, welche eine dritte Partei in Europa zu bilden versuchten. Er hatte in den Niederlanden den Kurfürsten von Bayern zu bevormunden. Er hatte für die Vertheidigung von Lüttich zu sorgen, eine Angelegenheit, welche die Behörden von Lüttich kaltblütig nicht für ihre Sache, sondern für die Sache England’s und Holland’s erklärten. Er hatte das Haus Braunschweig-Wolfenbüttel abzuhalten, mit dem Hause Braunschweig-Lüneburg handgemein zu werden; er hatte einen Streit zwischen dem Prinzen von Baden und dem Kurfürsten von Sachsen zu schlichten, von denen Jeder eine Armee am Rhein commandiren wollte, und er hatte den Landgrafen von Hessen zu bearbeiten, der sein eignes Contingent nicht stellte, und doch ein Contingent anderer Fürsten befehligen wollte.160

Ludwig rückt ins Feld

Die Zeit zum Handeln war jetzt gekommen. Am 18. Mai verließ Ludwig Versailles, und Anfangs Juni war er unter den Mauern von Namur. Die Prinzessinnen, die ihn begleiteten, residirten in der Festung. Er übernahm das unmittelbare Commando der Armee Boufflers’, welche bei Gembloux lagerte. Nicht viel über eine Meile davon stand die Armee Luxemburg’s. Die in dieser Gegend unter den französischen Lilien versammelte Streitmacht belief sich auf nicht weniger als hundertzwanzigtausend Mann. Ludwig hatte gehofft, daß er im Stande sein werde, im Jahre 1693 die Kriegslist zu wiederholen, durch welche 1691 Mons und 1692 Namur genommen worden war, und er hatte beschlossen, daß entweder Lüttich oder Brüssel ihm zur Beute werden müsse. Aber Wilhelm hatte dieses Jahr bei guter Zeit ein Heer zusammenbringen können, das zwar dem gegnerischen nachstand, aber doch immer achtunggebietend war. Mit diesem Heere nahm er seine Stellung bei Löwen auf der Straße zwischen den beiden bedrohten Städten und beobachtete jede Bewegung des Feindes.

Ludwig kehrt nach Versailles zurück

Ludwig war in seiner Hoffnung getäuscht. Er sah, daß es ihm nicht möglich sein würde, seine Eitelkeit so gefahrlos und so leicht wie in den beiden vorhergehenden Jahren zu befriedigen, sich ruhig vor eine große Stadt zu lagern, als Sieger in dieselbe einzuziehen und die Schlüssel in Empfang zu nehmen, ohne sich einer größern Gefahr auszusetzen als auf einer Hirschjagd in Fontainebleau. Bevor er Lüttich oder Brüssel belagern konnte, mußte er eine Schlacht liefern und gewinnen. Die Chancen waren allerdings günstig für ihn, denn seine Armee war zahlreicher, mit bessern Offizieren versehen und besser disciplinirt als die der Verbündeten. Luxemburg rieth ihm nachdrücklich gegen Wilhelm vorzurücken. Die französische Aristokratie wünschte mit unerschrockener Heiterkeit einen blutigen aber ruhmvollen Tag herbei, auf den eine Vertheilung zahlreicher Kreuze des neuen Ordens folgen würde. Wilhelm selbst war sich seiner Gefahr vollkommen bewußt und darauf vorbereitet, ihr mit kaltem aber schmerzlichem Muthe zu begegnen.161 Gerade in diesem Augenblicke kündigte Ludwig seine Absicht an, auf der Stelle nach Versailles zurückzukehren und den Dauphin und Boufflers mit einem Theile der bei Namur versammelten Armee in die Pfalz zu schicken, um sich mit dem daselbst commandirenden Marschall Lorges zu vereinigen. Luxemburg war wie vom Donner gerührt und er machte kühne und dringende Gegenvorstellungen. Nie, sagte er, sei eine solche Gelegenheit versäumt worden. Wenn Se. Majestät gegen den Prinzen von Oranien marschire, sei der Sieg fast gewiß. Könne irgend ein Vortheil, der möglicherweise am Rhein zu erlangen sei, den Vortheil eines im Herzen von Brabant über die erste Armee und über den ersten Feldherrn der Coalition errungenen Sieges aufwiegen? Der Marschall demonstrirte, er bat, er fiel auf die Knie, aber vergebens, und er verließ den König in tiefster Betrübniß. Ludwig reiste eine Woche nach seiner Ankunft wieder aus dem Lager ab und führte nachher nie wieder Krieg in eigner Person.

Das Erstaunen in seiner ganzen Armee war groß. Alle Ehrfurcht, die er einflößte, konnte seine alten Generäle nicht abhalten zu murren und finster dreinzuschauen, seine jungen Edelleute, ihrem Unmuthe bald in Verwünschungen, bald in Sarkasmen Luft zu machen, und selbst seine gemeinen Soldaten, an ihren Wachtfeuern eine unehrerbietige Sprache zu führen. Seine Feinde frohlockten mit rachsüchtiger und beleidigender Freude. Sei es nicht sonderbar, fragten sie, daß dieser große Fürst mit allem Gepränge zum Kriegsschauplatze abgegangen und acht Tage später ihn mit demselben Gepränge wieder verlassen habe? Sei es nöthig gewesen, daß das ganze große Gefolge von Prinzessinnen, Ehrendamen und Kammerfrauen, Stallmeistern und Kammerherren, Köchen, Zuckerbäckern und Musikern, Wagenzügen, Saumpferden und Maulthieren, Silbergeschirr und Teppichen, vierhundert Meilen weit reiste, nur damit der Allerchristlichste König einen Blick auf seine Soldaten werfe und dann wieder umkehre? Die schmachvolle Wahrheit sei zu augenfällig, um bemäntelt werden zu können; er sei in die Niederlande gekommen in der Hoffnung, daß es ihm wieder gelingen werde, ohne die mindeste persönliche Gefahr etwas militärischen Ruhm zu erhaschen, und er sei lieber zurückgeeilt, als daß er sich den Zufällen einer offenen Schlacht ausgesetzt hätte.162 Dies sei nicht das erste Mal, daß Se. Allerchristlichste Majestät die nämliche Art Vorsicht gezeigt habe. Siebzehn Jahre vorher habe er unter den Mauern von Bouchain demselben Gegner gegenüber gestanden. Wilhelm habe mit dem Feuer eines jugendlichen Commandeurs höchst unbesonnenerweise ihm eine Schlacht angeboten. Die geschicktesten Generäle seien der Meinung gewesen, daß, wenn Ludwig die Gelegenheit ergriffen hätte, der Krieg in einem Tage hätte beendigt sein können. Die französische Armee habe dringend danach verlangt, zum Angriff geführt zu werden. Der König habe seine Unterbefehlshaber zu sich berufen und sie um ihre Meinung befragt. Einige höfische Offiziere, denen seine Wünsche geschickt angedeutet worden seien, hätten vor Scham erröthend und stammelnd gegen eine Schlacht gestimmt. Umsonst hätten muthige und rechtschaffene Männer, die seine Ehre höher gehalten als ihr Leben, ihm bewiesen, daß er nach allen Grundsätzen der Kriegskunst die übereilte Herausforderung des Feindes annehmen müsse. Se. Majestät habe die ernste Besorgniß ausgesprochen, daß er es mit seinen Staatspflichten nicht vereinbaren könne, den ungestümen Regungen seines Blutes zu gehorchen, habe Kehrt gemacht und sei in sein Hauptquartier zurückgesprengt.163 Sei es nicht entsetzlich, wenn man bedenke, was für Ströme des Blutes von Frankreich, Spanien, Deutschland und England geflossen seien und noch fließen sollten einem Manne zu Gefallen, dem es an dem ganz gewöhnlichen Muthe fehle, den man bei dem Geringsten der Hunderttausende finde, welche er seinem prahlerischen Ehrgeize aufgeopfert habe?

Manövers Luxemburg’s

Obgleich die französische Armee in den Niederlanden durch den Abgang der vom Dauphin und Boufflers commandirten Truppentheile geschwächt worden war, und obgleich das verbündete Heer täglich durch die Ankunft frischer Truppen verstärkt wurde, so hatte Luxemburg doch noch die Uebermacht, und er vergrößerte diese Uebermacht durch eine schlaue Kriegslist. Er marschirte gegen Lüttich und that, als ob er diese Stadt belagern wolle. Wilhelm war besorgt, um so besorgter, weil er wußte, daß es unter den Einwohnern eine französische Partei gab. Er verließ seine Position bei Löwen, marschirte auf Niederhespen und schlug dort, den Fluß Gette im Rücken, sein Lager auf. Auf seinem Marsche erfuhr er, daß Huy den Franzosen seine Thore geöffnet habe. Diese Nachricht vermehrte seine Besorgniß wegen Lüttich und bestimmte ihn, ein Armeecorps dahin zu schicken, das genügte, um die Mißvergnügten innerhalb der Stadt in Schach zu halten und jeden Angriff von Außen abzuwehren.164 Dies war genau das, was Luxemburg erwartet und gewünscht hatte. Seine List hatte ihren Zweck erreicht. Er wendete der Festung, welche bisher das Ziel seiner Operationen gewesen zu sein schien, den Rücken und eilte an die Gette. Wilhelm, der mehr als zwanzigtausend Mann detachirt und nur funfzigtausend Mann in seinem Lager gelassen hatte, erfuhr am 18. Juli mit Schrecken durch seine Kundschafter, daß der französische General mit nahe an achtzigtausend Mann ganz in der Nähe sei.

Schlacht bei Landen

Noch lag es in der Macht des Königs, durch einen eiligen Rückzug die schmalen, aber tiefen, durch kürzliche Regengüsse angeschwollenen Gewässer der Gette zwischen seine Armee und den Feind zu bringen. Aber die Stellung, welche er einnahm, war stark und sie konnte leicht noch stärker gemacht werden. Alle seine Truppen mußten ans Werk. Es wurden Gräben gezogen, Schanzen aufgeworfen und Pallisaden eingerammt. Binnen wenigen Stunden hatte das Terrain ein ganz andres Aussehen gewonnen und der König glaubte fest, daß er selbst den Angriff einer ihm weit überlegenen Truppenmacht werde abwehren können. Diese Ueberzeugung entbehrte auch nicht eines Anscheins von Begründung. Als der Morgen des 19. Juli anbrach, sahen die tapfersten Männer in Ludwig’s Armee ernst und besorgt die Festung, welche plötzlich aus der Erde gewachsen war, um ihre Fortschritte zu hemmen. Die Alliirten waren durch ein Brustwerk gedeckt. Hier und da waren längs der Verschanzungen kleine Redouten und Halbmonde angelegt. Hundert Geschütze waren über die Wälle vertheilt. Auf der linken Flanke lag das Dorf Romsdorf dicht an dem Flüßchen Landen, nach welchem die Engländer jene unglückliche Schlacht benannt haben. Zur Rechten lag das Dorf Neerwinden. Beide Dörfer waren nach niederländischer Sitte von Wassergräben und Hecken umgeben, und innerhalb dieser Umfriedigungen waren die von verschiedenen Familien bewohnten kleinen Bodenflächen durch fünf Fuß hohe und einen Fuß dicke Lehmmauern von einander getrennt. Alle diese Barrikaden hatte Wilhelm ausgebessert und verstärkt. Saint-Simon, der nach der Schlacht das Terrain besichtigte, sagt uns, er habe kaum begreifen können, wie so ausgedehnte und so furchtbare Befestigungen mit solcher Schnelligkeit hätten geschaffen werden können.

Luxemburg war jedoch entschlossen zu versuchen, ob selbst diese Stellung gegen die überlegene Anzahl und die ungestüme Tapferkeit seiner Soldaten sich würde behaupten lassen. Bald nach Sonnenaufgang begann der Donner der Geschütze gehört zu werden. Wilhelm’s Batterien thaten gute Wirkung, bevor die französische Artillerie so aufgestellt werden konnte, daß sie das Feuer zu erwiedern vermochte. Erst um acht Uhr kam es zum Handgemenge. Das Dorf Neerwinden wurde von beiden Feldherren als derjenige Punkt betrachtet, von dem Alles abhing. Hier machte der französische linke Flügel unter den Befehlen Montchevreuil’s, eines ergrauten Offiziers von hohem Rufe, und Berwick’s, der sich trotz seiner Jugend rasch zu einer angesehenen Stelle unter den Heerführern seiner Zeit emporgeschwungen, einen Angriff. Berwick leitete ihn und drang in das Dorf, wurde aber unter einem furchtbaren Blutbade bald wieder daraus vertrieben. Seine Leute flohen oder wurden niedergehauen, und er selbst wurde, während er sie wieder zu sammeln versuchte und sie verwünschte, weil sie ihre Pflicht nicht besser thaten, von Feinden umringt. Er verbarg seine weiße Cocarde und hoffte dadurch sich mit Hülfe seiner Muttersprache für einen Offizier der englischen Armee ausgeben zu können; aber sein Gesicht wurde von einem der Brüder seiner Mutter, Georg Churchill, erkannt, welcher an diesem Tage eine Brigade commandirte. Es fand eine eilige Umarmung zwischen den beiden Verwandten statt und der Oheim führte den Neffen zu Wilhelm, der, so lange Alles gut zu gehen schien, bei der Nachhut blieb. Das Zusammentreffen zwischen dem König und dem Gefangenen, welche durch so enge Verwandtschaftsbande mit einander verbunden und durch so unsühnbare Feindschaft von einander getrennt waren, gewährte einen sonderbaren Anblick. Beide benahmen sich wie es ihnen ziemte. Wilhelm entblößte sich und richtete einige Worte artiger Begrüßung an seinen Gefangenen. Berwick’s einzige Antwort war eine feierliche Verbeugung. Der König bedeckte sich wieder, der Herzog ebenfalls, und die beiden Vettern schieden für immer.

Mittlerweile waren die in völliger Verwirrung aus Neerwinden vertriebenen Franzosen durch eine Division unter dem Commando des Herzogs von Bourbon verstärkt worden und kehrten tapfer zum Angriff zurück. Wilhelm, der die Wichtigkeit dieses Postens sehr wohl erkannte, gab Befehl, daß von anderen Punkten seiner Schlachtlinie Truppen dahin aufbrechen sollten. Dieser zweite Kampf war lang und blutig. Die Angreifenden drangen abermals in das Dorf, sie wurden abermals unter fürchterlichem Blutvergießen daraus vertrieben und zeigten wenig Lust, den Angriff zu wiederholen.

Inzwischen hatte der Kampf längs der ganzen Verschanzungen der verbündeten Armee gewüthet. Wieder und immer wieder führte Luxemburg seine Truppen bis auf Pistolenschußweite an das Brustwerk heran, aber näher konnte er sie nicht bringen. Wieder und immer wieder wichen sie vor dem heftigen Feuer zurück, das gegen ihre Front und ihre Flanken gerichtet wurde. Es schien alles vorüber zu sein. Luxemburg zog sich zu einer außer Schußweite gelegenen Stelle zurück und berief einige seiner vornehmsten Offiziere zu einer Berathung zusammen. Sie besprachen sich eine Weile mit einander und ihre lebhaften Gesten wurden von Allen, die sie sehen konnten, mit hohem Interesse beobachtet.

Endlich kam Luxemburg zu einem Entschluß. Noch ein Versuch mußte gemacht werden, Neerwinden zu nehmen, und die unüberwindlichen Haustruppen, die Sieger von Steenkerke, mußten vorangehen.

Die Haustruppen kamen in einer ihres alten und furchtbaren Rufes würdigen Weise heran. Zum drittenmale wurde Neerwinden genommen, zum drittenmale versuchte Wilhelm es wieder zu nehmen. An der Spitze eines der englischen Regimenter griff er die Garden Ludwig’s mit einer solchen Wuth an, daß diese berühmte Schaar, zum erstenmale innerhalb der Erinnerung des ältesten Kriegers, zurückwich.165 Nur durch die kräftigen Bemühungen Luxemburg’s, des Herzogs von Chartres und des Herzogs von Bourbon wurden die durchbrochenen Reihen wieder gesammelt. Inzwischen aber waren das Centrum und der linke Flügel der alliirten Armee zu dem Zwecke, den Kampf bei Neerwinden zu unterstützen, so sehr geschwächt worden, daß die Verschanzungen auf anderen Punkten nicht mehr vertheidigt werden konnten. Kurz nach vier Uhr Nachmittags wich die ganze Linie. Alles war Gemetzel und Verwirrung. Solms war tödtlich verwundet worden und fiel noch lebend in die Hände des Feindes. Die englischen Soldaten, denen sein Name verhaßt war, beschuldigten ihn, in seinen Leiden einen eines Soldaten unwürdigen Kleinmuth bewiesen zu haben. Der Herzog von Ormond wurde im Gewühl zu Boden geschlagen, und er würde im nächsten Augenblicke eine Leiche gewesen sein, wäre nicht ein kostbarer Diamant an seinem Finger einem von der französischen Garde in die Augen gefallen, der mit Recht dachte, daß der Besitzer eines solchen Juwels ein werthvoller Gefangener sein müsse. Der Herzog wurde gerettet und bald gegen Berwick ausgewechselt. Ruvigny, von dem echten Refugiéhasse gegen das Land beseelt, das ihn verstoßen, wurde kämpfend im dichtesten Schlachtgewühl zum Gefangenen gemacht. Diejenigen, denen er in die Hände gefallen war, kannten ihn wohl und wußten, daß er, wenn sie ihn in ihr Lager brachten, für den Verrath, zu dem die Verfolgung ihn getrieben, mit seinem Kopfe büßen würde. Mit bewunderungswürdiger Großmuth thaten sie als kennten sie ihn nicht und ließen ihn im Tumulte entkommen.

Erst bei solchen Gelegenheiten trat die ganze Größe von Wilhelm’s Character zu Tage. Inmitten der Flucht und des Getümmels, während Waffen und Fahnen weggeworfen wurden, während Massen von Fliehenden die Brücken und Furthen der Gette verstopften oder in ihren Fluthen umkamen, stellte sich der König, nachdem er Talmash beordert, den Rückzug zu beaufsichtigen, an die Spitze einiger tapferer Regimenter und hielt durch verzweifelte Anstrengungen den Feind auf. Er lief dabei größere Gefahr als Andere, denn er konnte nicht dahin gebracht werden, seinen schwächlichen Körper mit einem Brustharnisch zu beschweren, oder die Insignien des Hosenbandordens zu verbergen. Er betrachtete seinen Stern als einen guten Sammelpunkt für seine eigenen Truppen, und lächelte blos, wenn man ihm sagte, daß derselbe eine treffliche Zielscheibe für den Feind sei. Viele Tapfere fielen zu seiner Rechten und zu seiner Linken. Zwei Saumpferde, die im Felde stets in seiner Nähe waren, wurden durch Kanonenschüsse getödtet. Eine Flintenkugel ging durch die Locken seiner Perrücke, eine zweite durch seinen Rock, eine dritte streifte ihn an der Seite und zerriß sein blaues Ordensband. Noch viele Jahre später pflegten alte, ergraute Invaliden, die in den Gängen und Alleen des Chelsea Hospitals umherschlichen, sich zu erzählen, wie er an der Spitze von Galway’s Reitern angriff, wie er viermal abstieg, um die Infanterie anzufeuern, wie er ein Corps, das weichen zu wollen schien, durch die Worte zurückrief: „So kämpft man nicht, Gentlemen! Hart auf den Leib müßt Ihr ihnen rücken. So, Gentlemen, so!” – „Ihr hättet ihn sehen sollen,” schrieb ein Augenzeuge nur vier Tage nach der Schlacht, „wie er sich mit dem Degen in der Hand auf den Feind stürzte. Es ist ausgemacht, daß er und Andere einmal an der Spitze zweier englischer Regimenter gesehen wurde, und daß er mit diesen beiden Regimentern, Angesichts der ganzen Armee gegen sieben kämpfte und sie eine Viertelstunde lang vor sich her trieb. Dank sei dem Himmel, der ihn erhalten hat.” Der Feind setzte ihm so hart zu, daß er nur mit großer Mühe den Uebergang über die Gette bewerkstelligte. Eine kleine Schaar tapferer Männer, die seine Gefahr bis zum letzten Augenblicke theilte, vermochte kaum die Verfolger von ihm abzuhalten, als er die Brücke passirte.166

Vielleicht nie zeigte sich die Veränderung, welche die Fortschritte der Civilisation in der Kriegskunst herbeigeführt haben, auffallender als an diesem Tage. Ajax, der den trojanischen Heerführer mit einem Felsstücke zu Boden schlägt, das zwei gewöhnliche Männer kaum aufheben konnten, Horatius, der die Brücke gegen eine Armee vertheidigt, Richard Löwenherz, der längs der ganzen Schlachtlinie der Sarazenen hinsprengt, ohne einen Feind zu finden, der seine Herausforderung annimmt, Robert Bruce, der mit einem Schlage den Helm und Schädel Sir Henry Bohun’s Angesichts der ganzen Armee England’s und Schottland’s spaltet: das sind die Helden der grauen Vorzeit. In einem solchen Zeitalter ist Körperkraft die unerläßlichste Eigenschaft eines Kriegers. Bei Landen waren zwei kränkliche Menschen, die in einem rohen Zustande der Gesellschaft für zu schwach gehalten worden wären, um an einem Kampfe nur Antheil zu nehmen, die Seelen zweier großen Heere. In einigen heidnischen Ländern würden sie als Säuglinge ausgesetzt, in der Christenheit würden sie sechshundert Jahre früher in ein stilles Kloster geschickt worden sein. Aber ihr Loos war ihnen zu einer Zeit gefallen, wo die Menschen dahinter gekommen waren, daß die Stärke der Muskeln der Stärke des Geistes bei weitem nachsteht. Es ist wahrscheinlich, daß von den hundertzwanzigtausend Soldaten, welche unter allen Fahnen des westlichen Europa bei Neerwinden versammelt waren, der verwachsene Zwerg, der den ungestümen Angriff Frankreich’s leitete, und das asthmatische Skelett, das den langsamen Rückzug England’s deckte, die beiden schwächlichsten Gestalten waren.

Die Franzosen waren Sieger, aber sie hatten ihren Sieg theuer erkauft. Mehr als zehntausend Mann der besten Truppen Ludwig’s waren gefallen. Neerwinden gewährte einen Anblick, der die ältesten Soldaten schaudern machte. In den Straßen lagen die Leichen brusthoch. Unter den Gefallenen befanden sich einige vornehme Edelleute und einige berühmte Krieger, als da waren Montchevreuil und der verstümmelte Körper des Herzogs von Uzes, der den höchsten Rang unter dem ganzen Adel Frankreich’s einnahm. Auch Sarsfield wurde von da hoffnungslos verwundet auf ein Krankenbett getragen, von dem er sich nie wieder erhob. Der Hof von Saint-Germains hatte ihm den hohlen Titel eines Earls von Lucan verliehen; aber die Geschichte kennt ihn unter dem Namen, der der unglücklichsten aller Nationen noch immer theuer ist. Die dortige Gegend, seit Jahrhunderten als das Schlachtfeld der kriegerischsten Nationen Europa’s berühmt, hat nur zwei schrecklichere Tage gesehen: den von Malplaquet und den von Waterloo. Viele Monate lang war der Boden mit Schädeln und Gebeinen von Menschen und Pferden und mit Stücken von Hüten und Schuhen, Sätteln und Halftern besäet. Im nächsten Sommer schossen aus dem durch zwanzigtausend Leichen gedüngten Boden Millionen Mohnpflanzen empor. Der Reisende, der auf dem Wege von Saint-Tron nach Tirlemont diese große Fläche blendenden Scharlachs erblickte, die sich von Landen bis Neerwinden erstreckte, konnte sich schwerlich des Gedankens erwehren, daß die bildliche Vorhersagung des hebräischen Propheten, die Erde würde ihr Blut von sich geben und sich weigern, die Erschlagenen zu bedecken, buchstäblich in Erfüllung gegangen sei.167

Es fand keine Verfolgung statt, obgleich die Sonne noch hoch stand, als Wilhelm über die Gette ging. Die Sieger waren vom Marschiren und Kämpfen so erschöpft, daß sie sich kaum bewegen konnten, und die Pferde waren in einem noch schlimmeren Zustande als die Menschen. Ihr General hielt es für nothwendig, ihnen einige Zeit zur Ruhe und Erholung zu gönnen. Die französischen Cavaliere entlasteten ihre Saumpferde, soupirten heiter und stießen inmitten der Haufen von Leichen mit Champagner an, und als es dunkel wurde, legten sich ganze Brigaden freudig auf die Erde nieder, um in Reih’ und Glied auf dem Schlachtfelde zu schlafen. Luxemburg’s Unthätigkeit entging dem Tadel nicht. Niemand konnte leugnen, daß er im Gefecht eine große Geschicklichkeit und Energie entfaltet hatte; Einige aber meinten, es fehle ihm an Geduld und Ausdauer. Andere raunten einander zu, er wünsche nicht, einen Krieg zu beendigen, der ihn einem Hofe nothwendig mache, an welchem er in Friedenszeiten niemals Gunst, ja nicht einmal Gerechtigkeit gefunden haben würde.168 Ludwig, der diesmal vielleicht nicht ganz frei von einigen Regungen von Eifersucht war, wußte angeblich das Lob, das er seinem Befehlshaber spendete, mit einem Tadel zu verbinden, der zwar schonend ausgedrückt, aber doch vollkommen verständlich war. „In der Schlacht” sagte er, „benahm sich der Herzog von Luxemburg wie Condé, und nach der Schlacht benahm sich der Prinz von Oranien wie Turenne.”

Die Geschicklichkeit und Energie, womit Wilhelm seine furchtbare Niederlage wieder gut machte, mußte in der That Bewunderung erwecken. „In einer Beziehung,” sagte der Admiral Coligny, „darf ich mich über Alexander, über Scipio, über Cäsar stellen. Sie haben allerdings große Schlachten gewonnen. Ich aber habe vier große Schlachten verloren, und doch zeige ich dem Feinde eine furchtbarere Front als je.” Das Blut Coligny’s floß in Wilhelm’s Adern, und mit dem Blute hatte er den unbezwinglichen Muth geerbt, der aus dem Mißgeschick eben so großen Ruhm zu ziehen wußte, als glücklichere Befehlshaber dem Erfolg verdankten. Die Niederlage von Landen war zwar ein harter Schlag und der König hegte einige Tage lang quälende Besorgnisse. Wenn Luxemburg weiter vordrang, war Alles verloren. Löwen mußte fallen, und eben so auch Mecheln, Nieuport und Ostende. Die batavische Grenze wäre gefährdet worden und das Geschrei nach Frieden konnte in ganz Holland so laut werden, daß weder die Generalstaaten noch der Statthalter ihm länger zu widerstehen vermochten.169 Aber Luxemburg zögerte, und ein kurzer Verzug genügte Wilhelm. Vom Schlachtfelde bahnte er sich einen Weg durch die Massen der Fliehenden in die Gegend von Löwen, und dort begann er seine zerstreuten Truppen wieder zu sammeln. Die ängstliche Besorgniß, die er in diesem Augenblicke, dem unglücklichsten seines ganzen Lebens, wegen der beiden Personen empfand, die ihm am theuersten waren, gereicht seinem Character nicht zur Unehre. Sobald er in Sicherheit war, schrieb er an seine Gemahlin, um sie über seine Lage zu beruhigen.170 In der Verwirrung der Flucht hatte er Portland aus dem Gesicht verloren, dessen Gesundheit damals sehr geschwächt war und der daher mehr als die gewöhnlichen Gefahren des Kriegs zu bestehen hatte. Ein kurzes Billet, das der König wenige Stunden später seinem Freunde zukommen ließ, ist noch vorhanden.171 „Obgleich ich Sie diesen Abend zu sehen hoffe, kann ich doch nicht umhin an Sie zu schreiben, um Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich freue, daß Sie so gut davongekommen sind. Gott gebe, daß Ihre Gesundheit bald ganz wiederhergestellt werde. Es hat ihm gefallen, schwere Prüfungen in rascher Aufeinanderfolge über mich zu verhängen. Ich muß trachten, mich seinem Willen ohne Murren zu unterwerfen und seinen Zorn weniger zu verdienen.”

Seine Truppen sammelten sich rasch wieder. Starke Corps, die er vielleicht unklugerweise von seiner Armee detachirt hatte, als er glaubte, daß Lüttich das Ziel des Feindes sei, stießen in Eilmärschen zu ihm. Drei Wochen nach seiner Niederlage hielt er einige Meilen von Brüssel eine Heerschau ab. Die Anzahl der unter den Waffen stehenden Mannschaften war größer als am Morgen der blutigen Schlacht von Landen; ihr Aussehen war soldatenmäßig und ihr Muth schien ungebrochen. Wilhelm schrieb jetzt an Heinsius, daß das Schlimmste vorüber sei. „Die Krisis,” sagte er, „ist eine fürchterliche gewesen. Gott sei Dank, daß sie so geendet hat.” Er hielt es jedoch nicht für gerathen, in diesem Augenblicke das Glück einer neuen Feldschlacht zu versuchen. Er ließ daher die Franzosen Charleroy belagern und nehmen, und dies war der einzige Vortheil, den sie aus der blutigsten Schlacht zogen, welche im 17. Jahrhundert in Europa geschlagen wurde.

159.„Il ne me plait nullement que M. Middleton est allé en France. Ce n’est pas un homme qui voudrait faire un tel pas sans quelque chose d’importance, et de bien concerté sur quoy j’ay fait beaucoup de reflections que je reserve à vous dire a vostre heureuse arrivée.” – Wilhelm an Portland von Loo, 18. (28.) April 1693.
160.Die beste Schilderung von Wilhelm’s damaligen Mühen und Besorgnissen findet man in seinen Briefen an Heinsius, besonders in denen vom 1., 9. und 30. Mai 1693.
161.Er spricht sehr niedergeschlagen in seinem Briefe an Heinsius vom 30. Mai. Saint Simon sagt: „On a su depuis que le Prince d’Orange écrivit plusieurs fois au prince de Vaudemont, son ami intime, qu’il était perdu et qu’il n’y avait que par un miracle qu’il put échapper.”
162.Saint-Simon; Monthly Mercury, Juni 1693. Burnet II. 111.
163.Mémoires de Saint-Simon; Burnet I. 404.
164.Wilhelm an Heinsius, 7. (17.) Juli 1693.
165.Saint-Simon’s Worte sind bemerkenswerth: „Leur cavalerie,” sagt er, „y fit d’abord plier les troupes d’élite jusqu’alors invincibles.” Er setzt hinzu: „Les gardes du Prince d’Orange, ceux de M. de Vaudemont, et deux regimens anglais en eurent l’honneur.”
166.Berwick; Saint-Simon; Burnet I. 112. 113; Feuquières; London Gazette vom 27. und 31. Juli und 3. August 1693; französischer officieller Bericht; Bericht, den der König von Großbritannien an Ihre Hochmögenden sandte, vom 2. August 1693; Auszug aus einem Briefe vom Adjutanten der Gardedragoner des Königs von England vom 1. August; Dykvelt’s Brief an die Generalstaaten, datirt vom 30. Juli Nachmittags. Die letzten vier Piecen findet man in dem Monthly Mercury vom Juli und August 1693. Siehe auch die History of the last Campain in the Spanish Netherlands, by Edward D’Auverquerque, dem Herzog von Ormond gewidmet, 1693. Die Franzosen ließen Wilhelm Gerechtigkeit widerfahren. „Le prince d’Orange,” schrieb Racine an Boileau, „pensa être pris après avoir fait des merveilles.” Siehe ferner die glühende Schilderung von Sterne, der wahrscheinlich noch oftmals von alten Soldaten die Schlacht hatte durchkämpfen hören. Bei dieser Gelegenheit blieb der Corporal Trim verwundet auf dem Schlachtfelde liegen und wurde von der Beguine gepflegt.
167.Brief von Lord Perth an seine Schwester vom 17. Juni 1694.
168.Saint-Simon erwähnt den gegen den Marschall ausgesprochenen Tadel. Feuquières, der ein sehr competenter Richter war, sagt uns, Luxemburg sei mit Unrecht getadelt worden und die französische Armee sei wirklich durch ihre Verluste zu sehr geschwächt gewesen, um ihren Sieg benutzen zu können.
169.Die Angabe dessen was geschehen sein würde, wenn Luxemburg die Macht und den Willen gehabt hätte, seinen Sieg zu benutzen, habe ich einer wie es scheint sehr männlichen und verständigen Rede entnommen, welche Talmash am nächsten 11. December im Hause der Gemeinen hielt. Siehe Grey’s Debates.
170.Wilhelm an Heinsius vom 20. (30.) Juli 1693.
171.Wilhelm an Portland, 21. (31.) Juli 1693.