Buch lesen: «Geschichte von England seit der Thronbesteigung Jakob's des Zweiten. Siebenter Band: enthaltend Kapitel 13 und 14.», Seite 18
Gefecht bei Walcourt
Es kam zwischen der Armee Waldecks und der Armee Humieres’ zu keiner allgemeinen Schlacht; aber in einer Reihe von Gefechten war der Vortheil auf Seiten der Verbündeten. Das bedeutendste von diesen Gefechten fand am 5. August bei Walcourt statt. Die Franzosen griffen einen von der englischen Brigade vertheidigten Vorposten an, wurden aber nachdrücklich zurückgeschlagen, und mußten sich mit Verlust einiger Feldstücke und mehr als sechshundert Todten zurückziehen. Marlborough benahm sich bei dieser wie bei jeder ähnlichen Gelegenheit als ein tapferer und geschickter Offizier. Die von Talmash commandirten Coldstreamgarden und das Regiment, welches jetzt das 16. der Linie heißt, unter dem Commando des Obersten Robert Hodges, zeichneten sich besonders aus. Auch das Regiment Royal, das wenige Monate früher in Ipswich die Fahne der Empörung aufgepflanzt, bewies an diesem Tage, daß Wilhelm eben so weise als großmüthig gehandelt hatte, indem er dieses schwere Vergehen vollständig verzieh. Das Zeugniß, welches Waldeck in seinen Depeschen dem tapferen Benehmen der Insulaner ausstellte, wurde von ihren Landsleuten mit Entzücken gelesen. Das Gefecht war zwar nichts weiter als ein Scharmützel, aber ein heißes und blutiges Scharmützel. Seit Menschengedenken hatte kein so ernster Zusammenstoß zwischen Engländern und Franzosen stattgefunden, und unsere Vorfahren waren natürlich nicht wenig stolz, als sie sahen, daß viele Jahre der Unthätigkeit und Vasallenschaft den Muth der Nation nicht geschwächt zu haben schienen.195
Anschuldigungen gegen Marlborough
Die Jakobiten fanden jedoch in dem Verlaufe des Feldzugs reichen Stoff zu Schmähungen. Marlborough war, nicht ohne Grund, der Gegenstand ihres erbittertsten Hasses. An seinem Benehmen auf dem Schlachtfelde konnte selbst die Böswilligkeit wenig auszusetzen finden; andere Seiten seines Verhaltens aber boten dem bösen Leumund ein ergiebiges Feld dar. Der Geiz ist selten das Laster eines jungen Mannes, und eben so selten das eines großen Mannes; Marlborough aber war einer von den Wenigen, die das Geld in der Blüthe der Jugend mehr als Wein oder Weiber, und auf dem Gipfel der Größe mehr als Macht oder Ruhm liebten. Alle die herrlichen Gaben, welche die Natur an ihn verschwendet, schätzte er hauptsächlich wegen des Gewinns, den sie ihm eintrugen. Im zwanzigsten Jahre zog er Nutzen aus seiner Jugend und Körperkraft, als Sechziger zog er Nutzen aus seinem Genie und seinem Ruhm. Der Beifall, der seinem Benehmen bei Walcourt mit Recht gebührte, konnte die Stimmen Derer nicht ganz übertäuben, welche munkelten, daß dieser Held, wo es ein Goldstück zu ersparen oder zu verdienen gebe, ein bloßer Euklio, ein bloßer Harpagon sei, daß er, obgleich er unter dem Vorgeben, offene Tafel zu halten, einen bedeutenden Gehalt beziehe, doch niemals einen Offizier zu Tische einlade, daß seine Musterrollen betrügerisch abgefaßt seien, daß er für Leute, welche längst nicht mehr lebten, für Leute, die vor vier Jahren vor seinen eigenen Augen bei Sedgemoor gefallen seien, die Löhnung in seine Tasche stecke, daß sich in der einen Truppe zwanzig, in einer andren sechsunddreißig solcher Namen befänden. Nur die Vereinigung von furchtlosem Muth und imponierenden Geistesgaben mit einem leutseligen Wesen und gewinnenden Manieren habe es ihm möglich gemacht, sich trotz seiner höchst unsoldatischen Fehler die Zuneigung seiner Soldaten zu erwerben und zu erhalten.196
Alexander VIII. folgt Innocenz XI. auf dem päpstlichen Stuhle
Um die Zeit, wo die in allen Theilen Europa’s kämpfenden Armeen ihre Winterquartiere aufsuchten, bestieg ein neuer Papst den Stuhl St. Peter’s. Innocenz XI. war nicht mehr. Er hatte ein sonderbares Schicksal gehabt. Seine gewissenhafte und innige Anhänglichkeit an die Kirche, deren Oberhaupt er war, hatte ihn in einem der kritischesten Momente ihrer Geschichte bestimmt, sich mit ihren Todfeinden zu verbünden. Die Nachricht von seinem Ableben wurde daher, von den protestantischen Fürsten und Republiken mit Schmerz und Besorgniß, in Versailles und Dublin mit Freude und Hoffnung aufgenommen. Ludwig schickte augenblicklich einen außerordentlichen Gesandten hohen Ranges nach Rom und die in Avignon liegende französische Garnison wurde zurückgezogen. Als die Stimmen des Conclaves sich zu Gunsten Peter Ottobuoni’s geeinigt hatten, eines ehemaligen Cardinals, der den Namen Alexander VIII. annahm, wohnte der Vertreter Frankreichs der Einsetzung bei, trug die Schleppe des neuen Papstes und überreichte Seiner Heiligkeit ein Schreiben, in welcher der Allerchristlichste König erklärte, daß er dem schmachvollen Vorrechte, Räuber und Mörder zu beschützen entsage. Alexander drückte den Brief an seine Lippen, umarmte den Ueberbringer und sprach mit Entzücken von der nahen Aussicht auf Versöhnung. Ludwig begann sich der Hoffnung hinzugeben, daß der Vatikan seinen Einfluß dazu anwenden werde, die Allianz zwischen dem Hause Oesterreich und dem ketzerischen Usurpator des englischen Thrones aufzulösen. Jakob war sogar noch sanguinischer. Er war thöricht genug zu hoffen, daß der neue Papst ihm Geld geben werde, und befahl Melfort, der sich jetzt seiner Mission in Versailles entledigt hatte, nach Rom zu eilen und Se. Heiligkeit um eine Beisteuer zu dem guten Werke der Aufrechthaltung der wahren Religion auf den britischen Inseln zu bitten. Aber es zeigte sich bald, daß Alexander, obwohl er eine andre Sprache führte als sein Vorgänger, doch entschlossen war, im Wesentlichen der Politik seines Vorgängers zu folgen. Die Grundursache des Zerwürfnisses zwischen dem heiligen Stuhle und Ludwig war nicht beseitigt. Der König ernannte noch immer Prälaten, der Papst verweigerte noch immer ihre Anerkennung, und die Folge davon war, daß ein Viertheil der Diöcesen Frankreich’s Bischöfe hatten, welche nicht befugt waren, irgend eine bischöfliche Amtshandlung zu verrichten.197
Der Klerus der Hochkirche über die Angelegenheit der Eide gespalten
Die anglikanische Kirche war um diese Zeit nicht minder durch Spaltungen zerrissen als die gallikanische Kirche. Der 1. August war durch ein Parlamentsedict als der Tag festgesetzt, bis zu welchem alle Pfarrgeistlichen und alle ein akademisches Amt bekleidenden Personen bei Strafe der Suspension Wilhelm und Marien den Unterthaneneid schwören mußten. Während der ersten Hälfte des Sommers hofften die Jakobiten, die Zahl der Nichtschwörenden werde bedeutend genug sein, um die Regierung zu beunruhigen und in Verlegenheit zu setzen. Diese Hoffnung aber wurde getäuscht. Es gab zwar nur wenige Whigs unter der Geistlichkeit, und nur wenige waren Tories jener gemäßigten Schule, welche mit Widerstreben und Vorbehalt anerkannte, daß große Mißbräuche eine Nation zuweilen berechtigen könnten, zu extremen Mitteln zu greifen. Die große Mehrheit des Standes hielt noch immer an dem Prinzip des passiven Gehorsams fest, aber diese Mehrheit war jetzt in zwei Theile gespalten. Eine Frage, welche vor der Revolution lediglich Sache der Spekulation gewesen und daher, wenn sie auch zuweilen gelegentlich in Anregung kam, von den Meisten nur sehr oberflächlich behandelt worden war, hatte jetzt eine hohe praktische Bedeutsamkeit erlangt. Das Prinzip des passiven Gehorsams als feststehend angenommen, wem gebührte dieser Gehorsam? So lange das erbliche Recht mit dem Besitz verbunden gewesen war, war kein Zweifel möglich; aber das erbliche Recht und der Besitz waren jetzt getrennt. Ein durch die Revolution auf den Thron erhobener Fürst regierte zu Westminster, gab Gesetze, ernannte Justizbeamte und Prälaten und sandte Armeen und Flotten aus. Seine Richter entschieden Rechtsfälle, seine Sheriffs verhafteten Schuldner und bestraften Verbrecher; ohne sein großes Siegel würden Gerechtigkeit, Ordnung, Eigenthum aufgehört haben zu existiren und die Gesellschaft in einen chaotischen Zustand gerathen sein. Ein andrer, durch die Revolution abgesetzter Fürst lebte im Auslande. Er konnte keines der Rechte eines Regenten ausüben und keine der Pflichten eines Regenten erfüllen und konnte, wie es schien, nur durch eben so gewaltsame Mittel als durch die er vertrieben worden war, wieder eingesetzt werden. Welchem von diesen beiden Fürsten schuldeten die Christen nun Gehorsam?
Argumente für Leistung der Eide
Ein großer Theil der Geistlichkeit war der Meinung, daß der klare Wortlaut der Schrift ihnen gebiete, sich dem im factischen Besitz des Thrones befindlichen Souverain zu unterwerfen, ohne nach seinem Recht auf diesen Thron zu fragen. Die Obrigkeiten, von denen der Apostel in dem den anglikanischen Theologen jener Zeit genau bekannten Evangelium sagt, daß sie von Gott eingesetzt seien, sind nicht diejenigen welche auf einen rechtmäßigen Ursprung zurückgeführt werden können, sondern die eben bestehenden. Als Jesus gefragt wurde, ob das auserwählte Volk Cäsar rechtmäßigerweise Tribut zahlen dürfe, antwortete er mit der Frage, nicht ob Cäsar einen von dem alten Königshause Juda abgeleiteten Stammbaum aufweisen könnte, sondern ob das Geldstück, das die Fragenden an den Schatz Cäsars zu zahlen Bedenken trugen, aus Cäsar’s Münze komme, mit anderen Worten, ob Cäsar thatsächlich die Autorität eines Herrschers besitze und die Functionen eines solchen ausübe.
Es wird gewöhnlich, und mit vielem Anschein von Begründung, angenommen, daß der zuverlässigste Commentar zu dem Text der Evangelien und Episteln sich in der Praxis der ersten Christen findet, so weit diese Praxis genügend zu ermitteln ist, und gerade jene Zeiten, zu welchen die Kirche sich allgemein anerkanntermaßen im Zustande der höchsten Reinheit befand, waren Zeiten häufiger und heftiger politischer Umgestaltungen. Einer der Apostel wenigstens erlebte es, daß binnen wenig mehr als einem Jahre vier Kaiser gestürzt wurden. Von den Märtyrern des 3. Jahrhunderts muß sich ein großer Theil zehn bis zwölf Revolutionen haben erinnern können. Diese Märtyrer müssen oft in der Lage gewesen sein zu erwägen, welche Pflichten sie gegen einen Fürsten hatten, der so eben durch einen mit Erfolg gekrönten Aufstand zur Macht gelangt war. Daß sie allesammt durch die Furcht vor Strafe abgehalten worden seien das zu thun, was sie für Recht hielten, ist eine Beschuldigung, welche nicht einmal ein rechtschaffener Ungläubiger auf sie werfen wird. Wenn indessen irgend eine Behauptung in Bezug auf die ersten Christen mit völliger Gewißheit aufgestellt werden kann, so ist es die, daß sie nie und nimmer einem factischen Regenten wegen der Unrechtmäßigkeit seines Titels den Gehorsam verweigerten. Einmal wurde sogar die höchste Gewalt von zwanzig bis dreißig Rivalen beansprucht. Jede Provinz von Britannien bis Egypten hatte ihren Augustus. Diese Prätendenten konnten natürlich nicht alle rechtmäßige Kaiser sein. Dennoch finden wir nirgends etwas erwähnt, daß die Gläubigen an irgend einem Orte das geringste Bedenken getragen hätten, sich der Person zu unterwerfen, welche an diesem Orte die kaiserlichen Functionen ausübte. Während die Christen von Rom Aurelian gehorchten, gehorchten die Christen von Lyon Tetrikus und die Christen von Palmyra der Zenobia. „Tag und Nacht,“ – waren die Worte, welche der große Cyprian, Bischof von Karthago, an den Repräsentanten Valerian’s und Gallienus richtete, – „Tag und Nacht beten wir Christen zu dem einen wahren Gott für das Wohl unserer Kaiser.“ Und doch hatten diese Kaiser einige Monate vorher ihren Vorgänger Aurelianus gestürzt, der seinen Vorgänger Gallus gestürzt hatte; dieser hatte auf den Trümmern des Hauses seines Vorgängers Decius den Gipfel der Macht erstiegen, Decius hatte seinen Vorgänger Philipp und dieser seinen Vorgänger Gordianus erschlagen. Konnte man glauben, daß ein Heiliger, der in dem kurzen Zeitraum von dreizehn bis vierzehn Jahren dieser Reihe von Rebellen und Königsmördern unverbrüchliche Unterthanentreue bewahrt hatte, lieber eine Spaltung in der Christenheit hervorgerufen, als König Wilhelm und Königin Marien anerkannt haben würde? Hundertmal forderten diejenigen anglikanischen Geistlichen, welche die Eide geleistet hatten, ihre skrupulöseren Amtsbrüder auf, ihnen ein einziges Beispiel anzuführen, daß die ursprüngliche Kirche einem glücklichen Usurpator den Gehorsam verweigert hätte, und hundertmal wich man der Aufforderung aus. Die Eidverweigerer konnten über diesen Punkt weiter nichts sagen, als daß Präcedenzfälle Prinzipien gegenüber kein Gewicht hätten, eine Behauptung, die sehr sonderbar klang aus dem Munde einer Schule, welche stets eine fast abergläubische Ehrfurcht vor der Autorität der Kirchenväter an den Tag gelegt hatte.198
Präcedenzfälle aus späteren und verderbteren Zeiten verdienten wenig Beachtung. Aber selbst in der Geschichte späterer und verderbterer Zeiten konnten die Eidverweigerer nicht leicht einen ihrem Zwecke dienenden Präcedenzfall finden. In unsrem eignen Lande hatten viele Könige, die kein erbliches Recht hatten, auf dem Throne gesessen, aber es war nie für unvereinbar mit der Pflicht eines Christen gehalten worden, ein treuer Vasall dieser Könige zu sein. Die Usurpation Heinrich’s IV., die noch abscheulichere Usurpation Richard’s III. hatten kein Schisma in der Kirche hervorgerufen. Sobald der Usurpator auf seinem Throne fest saß, hatten Bischöfe ihm für ihre Grundbesitzungen gehuldigt; Convocationen hatten Adressen an ihn gerichtet und ihm Gelder bewilligt, und kein Casuist hatte jemals behauptet, daß diese Unterwerfung unter einen sich im factischen Besitze der Macht befindenden Fürsten eine Todsünde sei.199
Mit der Verfahrungsweise der ganzen christlichen Welt stand die Autoritätslehre der englischen Kirche unverkennbar in genauem Einklange. Die Homilie über vorsätzliche Empörung, eine Predigt, welche in maßlosen Ausdrücken die Pflicht des Gehorsams gegen Regenten einschärft, spricht nur von factischen Regenten. Es wird sogar in dieser Homilie den Leuten gesagt, daß sie nicht nur ihrem rechtmäßigen Landesherrn, sondern auch jedem Usurpator, den Gott in seinem Zorne ihrer Sünden halber über sie setzen werde, zu gehorchen verpflichtet seien. Es würde gewiß der höchste Grad von Ungereimtheit sein, wollte man behaupten, daß wir diejenigen Usurpatoren, welche Gott im Zorne sendet, unterwürfig hinnehmen, solchen aber, die er uns in Gnaden sendet, den Gehorsam beharrlich verweigern müßten. Zugegeben es war ein Verbrechen, den Prinzen von Oranien nach England einzuladen, ein Verbrechen sich ihm anzuschließen, ein Verbrechen ihn zum König zu machen, was war die ganze Geschichte der jüdischen Nation und der christlichen Kirche Andres als eine Reihenfolge von Fällen, in denen die Vorsehung aus Bösem Gutes hervorgehen ließ? Und welcher Theolog wird behaupten, daß wir in solchen Fällen aus Abscheu vor dem Bösen das Gute von uns weisen müßten?
Aus diesen Gründen waren eine große Anzahl Geistliche, welche noch an dem Prinzipe festhielten, daß Widersetzlichkeit gegen den Souverain jederzeit sündhaft sein müsse, der Ansicht, daß Wilhelm jetzt der Souverain sei, dem sich zu widersetzen eine Sünde sein würde.
Argumente gegen die Eidesleistung
Auf diese Argumentation entgegneten die Eidverweigerer, daß der Apostel Paulus unter den bestehenden Obrigkeiten die bestehenden rechtmäßigen Obrigkeiten gemeint haben müsse und daß es dem gesunden Verstande ins Gesicht schlagen, die Religion schänden, den schwachen Gläubigen Aergerniß und den Spöttern Anlaß zum Triumphiren geben heißen würde, wollte man seine Worte anders deuten. Die Gefühle der ganzen Menschheit müßten sich gegen die Behauptung empören, daß, sobald ein König, wäre sein Recht auf den Thron noch so klar und seine Verwaltung noch so weise und gut, durch Verräther vertrieben sei, alle seine Diener ihn verlassen und zu seinen Feinden übergehen müßten. Zu allen Zeiten und bei allen Nationen sei treue Anhänglichkeit an eine gute Sache im Unglück als eine Tugend betrachtet worden. Zu allen Zeiten und bei allen Nationen sei der Politiker, der sich immer zu der Partei geschlagen, welche die Oberhand gehabt, verachtet worden. Dieser neue Toryismus sei schlimmer als Whiggismus. Die Bande der Unterthanentreue zerreißen, weil der Souverain ein Tyrann sei, das sei unstreitig eine große Sünde; aber es sei eine Sünde, für die sich milde Bezeichnungen und plausible Vorwände finden ließen und in welche ein braver und hochherziger Mann, der nicht in der göttlichen Wahrheit unterrichtet und durch göttliche Gnade beschützt sei, leicht verfallen könne. Aber alle Bande der Unterthanentreue blos deshalb zu zerreißen, weil der Souverain unglücklich sei, das sei nicht nur schlecht, sondern gemein. Könne ein Ungläubiger die heilige Schrift ärger beschimpfen, als durch die Behauptung, daß die heilige Schrift den Christen etwas als eine geheiligte Pflicht vorschreibe, was der natürliche Verstand die Heiden als den höchsten Grad der Schlechtigkeit zu betrachten gelehrt habe? In der Schrift finde sich die Geschichte eines Königs von Israel, der durch einen unnatürlichen Sohn aus seinem Palaste vertrieben und gezwungen worden sei, über den Jordan zu fliehen. David habe, wie Jakob, das Recht, Absolom, wie Wilhelm, den factischen Besitz gehabt. Würde ein Schriftforscher zu behaupten wagen, daß Simei’s Benehmen bei dieser Gelegenheit als ein Muster zur Nachahmung hingestellt sei und daß Barsillai, der treu zu seinem flüchtigen Gebieter gehalten, sich gegen die Vorschrift Gottes aufgelehnt und Verdammniß auf sich gezogen habe? Würde ein wahrer Sohn der Kirche England’s im Ernst behaupten, daß ein Mann, der bis nach der Schlacht von Naseby ein entschiedener Royalist war, dann zum Parlament überging, sobald das Parlament auseinandergesprengt war, ein willfähriger Diener des Rumpfes wurde und sobald der Rumpf vertrieben war, sich für einen treuen Unterthan des Protectors erklärte, die Achtung der Christen mehr verdiene, als der standhafte alte Cavalier, der Karl I. im Gefängniß und Karl II. im Exil unerschütterlich treu blieb und der bereit war, eher Grundbesitz, Freiheit und Leben zu wagen als durch Wort oder That die Autorität einer der plötzlich aufgetauchten Regierungen anzuerkennen, welche in jener schlimmen Zeit in den Besitz einer Macht gelangt waren, die ihnen von Rechtswegen nicht gebührte? Und welcher Unterschied sei zwischen diesem und dem jetzt vorliegenden Falle? Daß Cromwell thatsächlich eben so viel Macht, ja weit mehr Macht als Wilhelm besessen habe, sei ausgemacht, und daß Wilhelm’s Macht so gut wie Cromwell’s Macht illegitimen Ursprungs sei, werde kein Geistlicher, der dem Prinzip des Nichtwiderstandes huldige, bestreiten. Wie könne denn ein solcher Geistlicher leugnen, daß Cromwell Gehorsam gebührt habe, und doch behaupten, daß Wilhelm solcher gebühre? Wollte man annehmen, daß eine solche Inconsequenz ohne Unredlichkeit existiren könne, so sei das nicht Nachsicht sondern Schwäche. Diejenigen welche entschlossen seien, sich der Parlamentsacte zu fügen, würden besser thun, wenn sie sich offen darüber aussprächen und sagten was Jedermann schon wisse: daß sie sich nur deshalb fügten, um ihre Pfründen zu behalten. Allerdings sei dies ein sehr starker Beweggrund. Daß ein Geistlicher, der Gatte und Vater sei, dem 1. August und 1. Februar mit ängstlicher Besorgniß entgegensehe, sei natürlich. Aber er solle nicht vergessen, daß, wie schrecklich auch der Tag der Suspension und der Tag der Amtsentsetzung sein möge, zuverlässig zwei andere noch schrecklichere Tage kommen würden: der Tag des Todes und der Tag des jüngsten Gerichts.200
Die schwörenden Geistlichen, wie man sie nannte, waren nicht wenig betroffen über dieses Raisonnement. Nichts setzte sie mehr in Verlegenheit als die Parallele, welche die Eidverweigerer mit unermüdlicher Beharrlichkeit zwischen der Usurpation Cromwell’s und der Usurpation Wilhelm’s zogen. Denn es gab damals keinen Hochkirchlichen, der es nicht für eine Ungereimtheit gehalten hätte, zu behaupten daß die Kirche ihren Söhnen befohlen habe, Cromwell zu gehorchen. Und doch war es unmöglich zu beweisen, daß Wilhelm vollständiger im Besitze der höchsten Gewalt sei, als Cromwell es gewesen. Die Schwörenden hüteten sich daher eben so sorgfältig, mit den Nichtschwörenden über diesen Punkt zu streiten, wie die Nichtschwörenden es vermieden, mit den Schwörenden über die Frage bezüglich der Praxis der frühesten Kirche zu streiten.
Das Wahre ist, daß die Regierungstheorie, welche der Klerus seit langer Zeit lehrte, so unsinnig war, daß sie zu nichts als Unsinn führen konnte. Mochte der Priester, der dieser Theorie huldigte, die Eide leisten oder sie verweigern, er war in beiden Fällen nicht im Stande, eine vernünftige Erklärung seines Verfahrens zu geben. Schwor er, so konnte er dies nur durch Aufstellung von Behauptungen, gegen die sich jedes redliche Herz instinktmäßig empörte, nur durch die Erklärung rechtfertigen, daß Christus der Kirche befohlen habe, die gerechte Sache zu verlassen, sobald diese Sache aufhöre zu prosperiren, und die Hände der vom Glück begünstigten Schlechtigkeit gegen die bedrängte Tugend zu kräftigen. So gewichtig indessen die Einwürfe gegen diese Doctrin waren, die Einwürfe gegen die Doctrin des Nichtschwörenden waren wo möglich noch gewichtiger. Nach ihm mußte eine christliche Nation beständig entweder in einem Zustande von Knechtschaft oder in einem Zustande von Anarchie sein. Etwas läßt sich sowohl für den Menschen sagen, der die Freiheit opfert, um die Ordnung zu erhalten, als auch für den Menschen, der die Ordnung opfert, um die Freiheit zu erhalten. Denn Freiheit und Ordnung sind zwei der größten Segnungen, deren sich eine Gesellschaft erfreuen kann, und wenn sie sich unglücklicherweise als mit einander unverträglich herausstellen, da haben Diejenigen, welche die eine oder die andre Seite ergreifen, Anspruch auf große Nachsicht. Der Eidverweigerer aber opferte nicht die Freiheit der Ordnung, nicht die Ordnung der Freiheit auf, sondern Freiheit und Ordnung einem Aberglauben, der eben so einfältig und erniedrigend war als die Anbetung von Katzen und Zwiebeln bei den Egyptern. Wenn eine Person, die sich nur durch den Zufall der Geburt von anderen unterschied, auf dem Throne saß, mochte sie auch ein Nero sein, sollte kein Ungehorsam stattfinden; und wenn eine andre Person auf dem Throne saß, mochte sie auch ein Alfred sein, so sollte kein Gehorsam stattfinden. Es war gleichgültig, wie unvernünftig und schlecht die Verwaltung der Dynastie, welche das erbliche Recht hatte, oder wie weise und tugendhaft die Verwaltung einer aus einer Revolution hervorgegangenen Regierung sein mochte. Auch konnte keine Verjährungszeit gegen den Anspruch der vertriebenen Familie geltend gemacht werden. Der Zeitraum von Jahren, der Zeitraum von Jahrhunderten änderte nichts. Bis an das Ende der Welt mußten die Christen ihr politisches Verhalten einfach nach der Genealogie ihrer Landesherren reguliren. Das Jahr 1800, das Jahr 1900 könnte Fürsten, die ihre Rechtsansprüche von den Beschlüssen der Convention herleiteten, ruhig und glücklich regieren sehen. Gleichviel, sie blieben deshalb immer Usurpatoren, und wenn im 20. oder 21. Jahrhundert Jemand, der ein besseres Geblütsrecht auf die Krone nachweisen konnte, eine spätere Nachwelt auffordern sollte, ihn als König anzuerkennen, so mußte der Aufforderung bei Strafe ewiger Verdammniß Folge geleistet werden.
Ein Whig konnte sich wohl über den Gedanken freuen, daß die unter seinen Gegner entstandenen Controversen die Richtigkeit seines politischen Glaubens festgestellt hatten. Die Streitenden, welche ihn lange übereinstimmend eines gottlosen Irrthums beschuldigt, hatten ihn jetzt wirksam gerechtfertigt und einander gegenseitig widerlegt. Der Hochkirchliche, der die Eide leistete, hatte durch unwiderlegliche Gründe aus den Evangelien und Episteln, aus der gleichmäßigen Praxis der ersten Kirche und aus den deutlichen Erklärungen der anglikanischen Kirche bewiesen, daß die Christen nicht in allen Fällen verpflichtet waren, dem Fürsten, der das erbliche Recht besaß, zu gehorchen. Der Hochkirchliche, der die Eide leisten wollte, hatte eben so befriedigend dargethan, daß die Christen nicht in allen Fällen verpflichtet seien, den Fürsten, welcher thatsächlich regierte, zu gehorchen. Daraus folgte, daß, um einer Regierung ein Recht auf die Treue der Unterthanen zu geben, etwas Andres erforderlich war, als bloße Legitimität oder bloßer Besitz. Was dieses Andre war wurde den Whigs nicht schwer zu sagen. Ihrer Ansicht nach war der Zweck, um dessen willen alle Regierungen eingesetzt worden, das Wohl der Gesellschaft. So lange der erste Beamte im Staate, mochte er auch einige Fehler haben, das Gute förderte, gebot die Vernunft den Menschen, ihm zu gehorchen und die Religion, welche dem Gebote der Vernunft ihre feierliche Sanction ertheilt gebot den Menschen, ihn als einen von Gott Gesandten zu verehren. Erwies er sich aber als ein Beförderer des Bösen, auf welche Gründe hin war er dann als ein von Gott Gesandter zu betrachten? Die Tories, welche die Eide leisteten, hatten bewiesen, daß er wegen des Ursprungs seiner Macht nicht als ein solcher zu betrachten sei; die Tories, welche nicht schwören wollten, hatten eben so klar bewiesen, daß er wegen der Existenz seiner Macht nicht als ein solcher zu betrachten sei.
Einige heftige und hämische Whigs triumphirten mit Ostentation und rücksichtsloser Arroganz über die bestürzte und in sich uneinige Geistlichkeit. Den Eidverweigerer betrachteten sie im allgemeinen mit geringschätzendem Mitleid als einen einfältigen und verschrobenen, aber aufrichtigen Bigotten, dessen absurde Praxis seiner absurden Theorie entsprach und der die Verblendung, welche ihn antrieb, sein Vaterland zu ruiniren, damit entschuldigte, daß die nämliche Verblendung ihn getrieben habe, sich selbst zu ruiniren. Ihren schärfsten Tadel aber sparten sie für diejenigen Geistlichen auf, die jetzt bereit waren einem Usurpator Treue zu schwören, nachdem sie sich in den Tagen der Ausschließungsbill und des Ryehousecomplots durch ihren Eifer für das göttliche und unveräußerliche Recht des erblichen Souverains ausgezeichnet hatten. Sei dies der wahre Sinn der sublimen Phrasen, welche neunundzwanzig Jahre lang von unzähligen Kanzeln herab gepredigt worden? Hätten die Tausende von Geistlichen, die sich der unwandelbaren Loyalität ihres Standes so laut gerühmt, in Wirklichkeit nur gemeint, daß ihre Loyalität nur bis zum nächsten Glückswechsel unwandelbar bleiben solle. Es sei lächerlich, es sei unverschämt von ihnen, zu behaupten, daß Ihr gegenwärtiges Verfahren mit ihrer früheren Sprache in Einklang stehe. Wenn ein Ehrwürdiger Doctor endlich überzeugt worden sei, daß er im Unrecht gewesen, so müsse er doch gewiß durch einen offenen Widerruf den verfolgten, den verleumdeten, den gemordeten Vertheidigern der Freiheit jede noch mögliche Genugthuung geben. Sei er hingegen noch immer überzeugt, daß seine ersten Ansichten die richtigen seien, so müsse er mannhaft das Loos der Eidverweigerer theilen. Achtung gebühre sowohl Dem, der einen Irrthum offen eingestehe, wie auch dem, der für einen Irrthum muthig leide; schwerlich aber könne man einen Diener der Religion achten, der da behaupte, daß er es noch immer mit den Grundsätzen der Tories halte, und dabei seine Pfründe durch Ablegung eines Eides rette, welcher ehrenhafterweise nur nach den Grundsätzen der Whigs geleistet werden könne.
Diese Vorwürfe mochten vielleicht nicht ganz ungerecht sein, aber sie waren unzeitig. Die vernünftigeren und gemäßigteren Whigs, welche einsahen, daß Wilhelm’s Thron nicht feststehen könne, wenn er nicht eine breitere Basis habe als ihre eigne Partei, enthielten sich bei dieser Gelegenheit aller Spötteleien und Invectiven und trachteten danach die Bedenken der Geistlichen zu heben und ihre verletzten Gefühle zu beschwichtigen. Die Collectivmacht der Rectoren und Vikare England’s war ungeheuer, und es war immer besser sie schwuren aus dem nichtigsten Grunde, den ein Sophist ersinnen konnte, als sie schwuren gar nicht.