Klimatologie

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Stefan Brönnimann

Klimatologie

Haupt Verlag

Stefan Brönnimann ist Geograph und befasst sich mit der Variabilität des großräumigen Klimas und der atmosphärischen Zirkulation der letzten 100–300 Jahre. Er ist an zahlreichen Projekten zur Digitaliserung von Klimadaten und zur Wetterrekonstruktion beteiligt.

Er war Leitautor des fünften Sachstandsberichts des Weltklimarats. Seit 2010 ist er Professor für Klimatologie am Geographischen Institut und am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern.

1. Auflage 2018

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2018 Haupt Bern

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Umschlagsgestaltung: Atelier Reichert, D-Stuttgart

Umschlagsfoto: NOAA Photo Library

Satz: Atelier Reichert, D-Stuttgart

E-Book Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim

utb-Band-Nr.: 4819

ISBN 978-3-8463-4819-2

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das vorliegende Buch dient dem Studium der Grundlagen im Bereich Klimatologie für Studienanfängerinnen und Studienanfänger der Geographie. Es vermittelt die wichtigsten physikalischen Grundlagen der Klimatologie und bereitet auf weiterführende Kurse in Meteorologie oder Klimatologie an der Universität vor. Gerade zu Beginn des Geographiestudiums fehlen den interessierten Studierenden manchmal die Grundkenntnisse, um weiterführende Lehrbücher ohne Weiteres verstehen zu können. Dieses Buch soll hier einen Einstieg liefern.

Atmosphärenphysikalische und phänomenologische Sichtweise

Es existieren bereits mehrere ausgezeichnete Lehrbücher in diesem Themenbereich, insbesondere «Klimatologie» (C.-D. Schönwiese, 4. Aufl. 2013), «Einführung in die Allgemeine Klimatologie» (W. Weischet und W. Endlicher, 7. Aufl., 2008), «Meteorologie» (H. Häckel, 6. Aufl., 2008), «Klimadynamik» (M. Latif, 2009) und «Geländeklimatologie» (J. Bendix, 2004). Das vorliegende Buch soll in kompakter Weise Grundlagen liefern, welche in den erwähnten Büchern vertieft werden können. Dabei orientiert sich das Buch an der klimaphysikalischen Sichtweise, die im englischsprachigen Raum verbreitet ist (Beispiele sind D. L. Hartmann, «Global Physical Climatology», 2. Aufl., 2016, und J. M. Wallace/P. V. Hobbs, «Atmospheric Science. An Introductory Survey», 2. Aufl., 2006), und nimmt diese dann als Grundlage für eine phänomenologische Sichtweise, welche im deutschsprachigen Raum eine wichtige Tradition hat, im zweiten Teil des Buches.

«Klimatologie» beginnt mit einer kurzen Übersicht über das Erdklima und den Klimabegriff, gefolgt von einer Einführung in die Systemsichtweise des Klimas. Gleichzeitig werden grundlegende physikalische Begriffe, Einheiten und mathematische Werkzeuge eingeführt.

Erster Hauptteil: Physikalische Grundlagen

Der erste Hauptteil (Kapitel 2 bis 5) umfasst die physikalischen Grundlagen der Atmosphäre. Dazu gehört zunächst der vertikale Aufbau der Atmosphäre, ihre Zusammensetzung und einige wichtige chemische Vorgänge (Kapitel 2). Die Rolle des Wasserdampfs und die Prozesse der Wolkenbildung werden ebenfalls betrachtet. Kapitel 3 gibt einen Einblick in die Energetik des Klimasystems, die als Grundlage für alle späteren Kapitel dient. Ausgehend von der globalen Energiebilanz, werden astronomische Grundlagen und die physikalischen Strahlungsgesetze eingeführt. Die Wechselwirkung der Strahlung mit der Atmosphäre erhält ein besonderes Augenmerk. Im 4. Kapitel werden dann die Grundkonzepte der Thermodynamik und Statik der Atmosphäre eingeführt, insbesondere die Gasgleichung, die adiabatische Kompression von Luftmassen, verschiedene Temperaturbegriffe sowie das Konzept der Stabilität. Das 5. Kapitel schließlich behandelt die Dynamik der Atmosphäre, also die atmosphärischen Grundgleichungen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen, Windbegriffe und Drucksysteme.

Zweiter Hauptteil: Zirkulation von Atmosphäre und Ozean und daraus resultierende Klimata

Mit diesen Kapiteln ist die Basis für das Verständnis der atmosphärischen Zirkulation und des globalen Klimas gelegt, welches das Thema des zweiten Hauptteils ist. Ausgehend von den energetischen Betrachtungen aus Kapitel 3 werden in Kapitel 6 zunächst die globale meridionale (also in Nord-Süd- oder Süd-Nord-Richtung verlaufende) Zirkulation eingeführt, dann die wichtigsten Merkmale der zonalen (also in West-Ost- oder Ost-West-Richtung verlaufenden) Zirkulation. Schließlich werden spezielle Zirkulationssysteme wie die Walker-Zirkulation und die Monsune betrachtet. Ein ausführliches Unterkapitel behandelt die Zirkulation der Mittelbreiten. Die Ozeane als weiteres wichtiges Teilsystem des Klimasystems werden in Kapitel 7 eingeführt. Zunächst wird die Ozeanzirkulation vorgestellt, danach die Interaktion zwischen Ozean und Atmosphäre und zum Schluss die Vorgänge rund um das polare Meereis. Aufbauend auf diesen Grundlagen, werden in Kapitel 8 unterschiedliche Klimata der Erde kurz erläutert: Ausgehend von der meridionalen Differenzierung und dem Land-Meer-Kontrast, werden gängige Klimazonen beschrieben. Aber auch charakteristische lokale und regionale Klimata wie Küsten-, Gebirgs- und Stadtklima werden eingeführt.

Dritter Hauptteil: Klimavariabilität und Klimaänderungen

Die physikalischen Grundlagen, die Herleitung der atmosphärischen Zirkulation und die Charakterisierung der Klimata vermitteln eine «statische» Sicht des Klimas. Das Klima ist aber nicht statisch, sondern dynamischen Änderungen unterworfen. Der dritte Hauptteil (Kapitel 9 und 10) beschäftigt sich deshalb mit Klimaschwankungen und -veränderungen. Dabei werden zunächst Methoden vorgestellt, mit denen das Klima und dessen Schwankungen erfasst werden können (Kapitel 9): Messungen, Rekonstruktionen und numerische Modelle. Danach werden in Kapitel 10 die wichtigsten internen Klimaschwankungen, wie beispielsweise El Niño/Southern Oscillation sowie die äußeren Einflussfaktoren dargelegt. Das letzte, sehr summarische Kapitel des Buches liefert dann einen Blick in die jüngere Geschichte des Klimas, vom Spätglazial über das Holozän zu den Klimaschwankungen der letzten drei Jahrhunderte (hierzu gibt es ein breites Angebot an weiterführender Literatur). Das Buch schließt mit dem vom Menschen beeinflussten Klima der Gegenwart und gibt einen Ausblick auf die Klimazukunft.

Das Schreiben eines solchen Buches während des universitären Normalbetriebs wäre nicht möglich gewesen ohne die großartige Unterstützung durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Geographischen Instituts der Universität Bern sowie weiterer Kolleginnen und Kollegen: Renate Auchmann, Daniela Domeisen, Doris Folini, Jörg Franke, Michael Graf, Luc Hächler, Carine Hürbin, Martín Jacques-Coper, Fortunat Joos, Cristina Joss, Ulrike Lohmann, Stefan Pfahl, Lucas Pfister, Matthias Probst, Christoph Raible, Olivia Romppainen, Marco Rohrer, Alexander Stickler, Leonie Villiger, Aline Wicki und Maria Winterberger haben Teile des Manuskripts kommentiert. Alfred Bretscher (†) hat einige der Abbildungen gezeichnet. Alexander Hermann hat die Abbildungen grafisch umgesetzt. Das Buch folgt in den Grundzügen dem entsprechenden Skriptum von Heinz Wanner, dem ich herzlich danken möchte. Schließlich geht mein Dank auch an Martin Lind und den Haupt Verlag, der mich zum Schreiben des Buches ermuntert und dessen Werdegang begleitet hat.

Ein so breites Thema wie Klimatologie in allen Teilbereichen ausgewogen und korrekt zu behandeln, ist ein schwieriges, ja unmögliches Unterfangen. Die Breite des Fachs liegt mir, aber bei der Stringenz der physikalischen Beschreibungen und Herleitungen stieß ich oft an meine Grenzen. Sollten sich hier noch Ungenauigkeiten und Fehler eingeschlichen haben, bitte ich um Rückmeldung. Ich hoffe, mit meinem Buch interessierte Studierende für die Klimatologie begeistern zu können.

 

Bern, November 2017

Stefan Brönnimann

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Einführung in das Klimasystem

Inhalt

1.1 Das Erdklima

1.2 Definitionen und Skalen

1.3 Das Klimasystem

Auf der Erde herrscht ein lebensfreundliches Klima. Die globale Jahresmitteltemperatur liegt bei 14.5 °C. Wasser kommt unter diesen Bedingungen in allen Aggregatzuständen vor. Selbst die extremsten Messwerte liegen zwischen –89 °C und +57 °C, einem relativ schmalen Bereich. Eine weitgehend selbstreinigende, sauerstoffhaltige Atmosphäre erlaubt Leben auch an Land. Dabei schützt die Ozonschicht die Landlebewesen vor schädlicher Strahlung.

Im Verlauf der Erdgeschichte wechselten sich kühlere und wärmere Phasen ab. Seit etwa zwei Millionen Jahren befindet sich die Erde in einer von kurzen Warmzeiten unterbrochenen Kaltzeit. Seit 150 Jahren ist der Mensch zum wichtigsten Klimafaktor geworden. Die globale Mitteltemperatur hat sich in dieser Zeit bis heute (2017) um ca. 1.2 °C erhöht.

Temperatur und Niederschlag sind räumlich und zeitlich variabel. Klima kann einerseits als «durchschnittliches» oder «charakteristisches» Wetter an einem Ort definiert werden. Eine andere Definition sieht Klima als das Resultat von Prozessen und stellt diese in den Vordergrund. Klima kann vereinfacht auch als System verstanden werden, dessen Aufgabe es ist, räumliche energetische Unterschiede auszugleichen. Dabei werden Energie, Masse und Impuls horizontal und vertikal transportiert und ausgetauscht. Die dabei beteiligten Prozesse laufen auf zeitlichen und räumlichen Skalen ab, die mehrere Größenordnungen umspannen. Die Systemsicht dient der Vereinfachung und Konzeptualisierung der komplexen Realität, beispielsweise zur Darstellung von Stoff- und Energiekreisläufen und deren Modellierung.

Kohlenstoffkreislauf und Wasserkreislauf sind zentral für das Klima und verbinden das Klimaystem mit anderen Bereichen der Umwelt wie Pedo-, Hydro- und Biosphäre. Der Kohlenstoffkreislauf ist die Grundlage für das Verständnis des menschgemachten Klimawandels.

1.1 | Das Erdklima

Klimaänderungen sind von hoher gesellschaftlicher Relevanz

Kaum ein anderer Bereich unserer Umwelt ist in den letzten Jahrzehnten derart stark in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt wie das Klima. Die derzeit ablaufende Veränderung des Klimas stellt die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Sie beeinflusst unsere Lebensqualität, unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten und führt zu neuen Gefahren. Entsprechend ist das Thema von hoher politischer Relevanz. Dies trifft besonders auf Entwicklungsländer zu, wo die Verletzlichkeit zum Teil aufgrund politischer und gesellschaftlicher Faktoren ohnehin bereits hoch ist. Aber selbst in hochtechnologisierten Industrieländern betreffen Klimaänderungen zentrale Bereiche wie Landwirtschaft, Energie, Transport und Tourismus in empfindlichem Maße. Klimaänderungen beeinflussen Naturrisiken und beeinträchtigen natürliche Systeme wie Vegetationsgemeinschaften, Tierhabitate oder arktische Landschaften. Zusammen mit anderen Stressfaktoren wie Luftverschmutzung oder Lärm beeinflussen sie gesundheitliche Aspekte. Die Liste ließe sich beliebig weiterführen.

Die klimatischen Verhältnisse waren schon immer eine wichtige Bedingung, an die sich das Leben anpassen musste. Umgekehrt hat das Leben Atmosphäre und Klima tiefgreifend verändert (vgl. Kap. 2.1). Man kann deshalb von einer Ko-Evolution von Leben und Klima sprechen.

Die Atmosphäre ermöglicht Leben

Leben konnte sich auf der Erde nur entwickeln, weil die Temperatur der Erdoberfläche innerhalb gewisser Grenzen bleibt. Wasser, der wichtigste Baustein des Lebens, kam auf der Erde seit frühester Zeit in flüssiger Form vor. Atmosphäre und Ozeane sorgen dafür, dass keine allzu großen Temperaturunterschiede entstehen können. Wasserdampf und andere Treibhausgase bewirken einen natürlichen Treibhauseffekt (vgl. Kap. 2 und 3). Ohne diese Gase wäre die Temperatur der Erdoberfläche um 30 °C kühler und Wasser kaum in flüssigem Zustand vorhanden. Außerdem hält die Ozonschicht schädliche UV-Strahlung der Sonne zurück (vgl. Kap. 2 und 3), welche dadurch den Erdboden nicht erreicht. Leben an Land wäre ohne diese Bedingung nicht möglich.

Das Leben beeinflusst das Klimasystem

Umgekehrt hat das Leben das Klimasystem beeinflusst. Dank der Photosynthese hat Leben überhaupt erst Sauerstoff produziert und damit auch die Ozonschicht gebildet. Leben hat die Erdoberfläche umgestaltet, hat steinige Flächen in Boden und Vegetation verwandelt und damit zentrale physikalische Größen des Klimasystems verändert. Außerdem hat Leben wichtige Stoffkreisläufe (wie beispielsweise den Kohlenstoffkreislauf) maßgeblich modifiziert. Es reguliert damit auch den natürlichen Treibhauseffekt, der das Erdklima in einem für heutige Lebensformen tolerablen Bereich hält.

Tab. 1-1 |Atmosphären der Planeten im Sonnensystem (Quelle: Compound Interest). 1 atm = 1013.25 hPa (vgl. Tab. 1-3).

Im Vergleich mit anderen Planeten im Sonnensystem herrschen auf der Erde einzigartige Bedingungen für Leben ( Tab. 1-1). Zwar haben auch andere Planeten eine Atmosphäre, von denen aber keine lebensfreundliche Bedingungen bietet. Faktoren dafür sind die Dichte der Atmosphäre, deren Zusammensetzung und die durchschnittliche Temperatur. Die Venus zum Beispiel hat eine zu dichte Atmosphäre, die außerdem für irdische Lebensformen hochgiftig wäre. Die Atmosphäre des Mars wiederum ist zu kalt und zu dünn, sodass dort Wasser heute nicht in flüssiger Form vorkommen kann. Außerdem fehlt auf dem Mars die schützende Ozonschicht größtenteils.

Das Klimasystem versucht, das räumliche Strahlungsungleichgewicht auszugleichen

Nachfolgend seien einige Charakteristika des Erdklimas kurz erläutert, gleichermaßen als Vorschau auf dieses Buch. Sie sind in Abb. 1-1 dargestellt. Die Nettostrahlung an der Atmosphärenobergrenze ist die Differenz zwischen der eingehenden Sonnenstrahlung und der ausgehenden Strahlung, welche die reflektierte Sonnenstrahlung und die Abstrahlung der Erde umfasst. Die Nettostrahlung zeigt klare räumliche Unterschiede. Die tropischen Regionen gewinnen Strahlungsenergie (die Nettostrahlung ist positiv), die Mittelbreiten und polaren Gegenden sowie Wüstenregionen verlieren Strahlungsenergie (negative Nettostrahlung, vgl. Kap. 3). Dieses Energiegefälle ist gewissermaßen der Motor des Klimasystems und der Antrieb der atmosphärischen und ozeanischen Zirkulation. Das Klimasystem strebt danach, diese Differenz auszugleichen, indem Energie in verschiedener Form transportiert wird, während die Strahlung dieses Energiegefälle immer wieder von Neuem aufbaut. Letztlich können wir die Verteilung der Temperatur und des Niederschlags sowie die Winde als Ergebnis dieses Ausgleichsprozesses verstehen, der gewissermaßen zu einem dynamischen Gleichgewicht führt. In Kap. 6 führen wir diesen Gedanken weiter.

Die globale Jahresmitteltemperatur beträgt 14.5 °C, Extreme umspannen fast 150 °C

Die Jahresmitteltemperatur beträgt für die gesamte Erdoberfläche ungefähr 14.5 °C. Sie zeigt große räumliche Unterschiede ( Abb. 1-1). In den Tropen erreicht sie 30 °C, in den polaren Gegenden sinkt sie auf –30 °C. Ursache dafür ist die oben genannte ungleiche Einstrahlung. Aber auch die räumliche Verteilung der Landmassen und Ozeane mit ihren jeweils ganz unterschiedlichen Eigenschaften führen zu einer räumlich ungleichen Temperaturverteilung. Betrachtet man dazu noch die Variabilität des Wetters, erstaunt es nicht, dass an einzelnen Tagen weit extremere Bedingungen auftreten können. Die höchsten und tiefsten auf der Erde gemessenen Extreme liegen scheinbar weit auseinander, zwischen –89 °C und +57 °C. Das ist allerdings noch relativ wenig, wenn wir das beispielsweise mit den Verhältnissen auf dem Mond vergleichen, dessen Oberflächentemperatur bei ungefähr gleicher Einstrahlung wie auf der Erde zwischen –160 °C und +130 °C schwankt. Tab. 1-2 stellt einige beobachtete Wetterextreme auf der Erde zusammen.

Der globale mittlere Niederschlag beträgt knapp 3 mm pro Tag

Die Jahresniederschläge sind räumlich ebenfalls sehr variabel. In Abb. 1-1 zeigen sich schmale Bänder mit viel Niederschlag und großen räumlichen Gradienten (ein Gradient ist ein Gefälle in einer Raumrichtung; vgl. Box 1.4). Entlang des Äquators erstreckt sich zwischen 5° S und 10° N ein Band mit Jahresniederschlägen von über 2000 mm. Auch über den Westseiten der Ozeane regnet es viel. Dagegen erhalten einige subtropische Regionen und die Polkappen nur 100 mm pro Jahr oder weniger Niederschlag ( Abb. 1-1). Der global gemittelte Niederschlag beträgt knapp 3 mm pro Tag, wobei die Unsicherheit dieser Größe beträchtlich ist.

Tab. 1-2 |Einige Wetterrekorde in den instrumentellen Messungen (Quelle: WMO).


Abb. 1-1 |Langjährige Jahresmittelwerte der Nettostrahlung (kurz- und langwellig) an der Atmosphärenobergrenze (Daten: CERES), der Lufttemperatur am Erdboden, des Niederschlags (man beachte die nichtlineare Skala), des bodennahen Winds (als Vektoren) und der Verdunstung (Daten: ERA-Interim; vgl. Brönnimann 2015).

Die Niederschlagsverteilung wird durch Wind und Feuchte bestimmt

Die Niederschlagsverteilung lässt sich mit dem Windfeld erklären. Niederschlag fällt dort, wo feuchte Luft gehoben wird. Diese kühlt sich dadurch aus, es kommt zu Kondensation und Niederschlagsbildung. In den Kap. 2, 4 und 6 gehen wir näher darauf ein. Hebung erfolgt außer bei der Überströmung von Gebirgen vor allem dort, wo die Winde in Bodennähe konvergieren, also zusammenströmen (vgl. Kap. 5, wo die Begriffe mathematisch definiert werden). Daher zeigt Abb. 1-1 die größten Niederschläge im Bereich der konvergierenden Strömung in Äquatornähe (vgl. Kap. 6), wo die Luft sehr feucht ist. In Regionen mit divergenter Luftströmung in Bodennähe, also einem Auseinanderfließen, sinken Luftmassen ab, und es fällt wenig Niederschlag. Der Zusammenhang zwischen Hebung respektive Absinken (in der Meteorologie Subsidenz genannt) und horizontaler Konvergenz (respektive Divergenz) ist in Abb. 1-2 dargestellt.

Abb. 1-2 |Schematische Darstellung von horizontaler Konvergenz im Bodenwindfeld, verbunden mit Hebung und Niederschlagsbildung (links) sowie divergenter Strömung in Bodennähe, verbunden mit absinkenden Luftmassen und Wolkenauflösung (rechts).

Neben Hebung braucht es für die Niederschlagsbildung auch Wasserdampf, der durch Verdunstung in die Atmosphäre gelangt. Verdunstung erfolgt hauptsächlich in den subtropischen Ozeanen sowie über den tropischen Landflächen des Amazonasbeckens und Westafrikas, dagegen tragen die Kontinente der Subtropen und die Mittelbreiten nur wenig bei ( Abb. 1-1). Sehr wenig verdunstet auch in den kalten Polarregionen.

Können wir all dies physikalisch erklären? Können wir die Vorgänge qualitativ oder sogar quantitativ nachvollziehen? Die hier als erste Abbildung dargestellten mittleren Klimaverhältnisse sind gleichzeitig der Kernpunkt dieses Buches. Wir können als Ziel dieses Buches formulieren, die hier dargestellten Klimaverhältnisse zu verstehen und auf ihre physikalischen Ursachen zurückführen zu können.

 

Diese Charakterisierung des heutigen Klimas soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Verlauf der Erdgeschichte größere Schwankungen gab. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts war dies noch kaum bekannt. Doch danach mehrten sich Hinweise auf Eiszeiten, und es wurden Spuren einer vormals grünen Sahara entdeckt. Es dauerte allerdings noch geraume Zeit, bis sich aus einer statischen Sichtweise des Klimas das Bild einer dynamischen Erde mit einem sich ständig ändernden Klima entwickelte.

Das Klima Mitteleuropas schwankte zwischen «Schneeballerde» und tropischem Klima

Die wichtigsten Phasen des globalen Klimas sind in Abb. 1-3 zusammengefasst. Nach der Entstehung der Erde und der Bildung des Mondes entstand vor 4–4.5 Milliarden Jahren eine treibhausgasreiche Atmosphäre, welche trotz der damals noch schwachen Sonne flüssiges Wasser erlaubte (vgl. Abb. 2-1, Kap. 2.1). In ihrer Geschichte durchlief die Erde aber immer wieder kühlere und wärmere Phasen. Es kam möglicherweise sogar zu einer oder mehreren Vereisungen fast des gesamten Erdballs («Schneeballerde», vor 650 Millionen Jahren). Während eines großen Teils der Erdgeschichte war das Klima hingegen wärmer als heute; Eis ist auf der Erde daher keine Selbstverständlichkeit. Im heutigen Europa herrschte über größere Zeiträume der letzten 250 Millionen Jahre tropisches Klima.

Seit 2 Millionen Jahren befinden wir uns im Eiszeitalter

Im Anthropozän (seit ca. 1850) ist der Mensch der dominierende Naturfaktor

Seit ca. 2 Millionen Jahren befindet sich die Erde in einer Eiszeitphase. Die Eiszeiten wurden dabei immer wieder durch kurze Warmzeiten (Interglaziale) unterbrochen; in einer solchen befinden wir uns jetzt. Kap. 10 geht näher auf die Klimageschichte der letzten 100 000 Jahre ein und zeigt, dass es immer wieder wärmere und kältere Phasen gab. Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen der Erwärmung der letzten 150 Jahre und früheren Warmphasen: Während frühere Warmphasen natürlichen Ursprungs waren, ist heute der Mensch zum dominierenden Klimafaktor geworden. Man spricht deshalb – in Analogie zu den erdgeschichtlichen Epochenbegriffen – oft vom Anthropozän (anthropos = der aufgerichtete Mensch). Das Anthropozän, das ungefähr um 1850 begann, ist die Ära, in welcher der Mensch die wichtigste treibende Kraft naturräumlicher Veränderungen ist.

Die Entwicklung des Erdklimas ist aber damit noch nicht zu Ende. Der Mensch wird auch in absehbarer Zukunft die treibende Kraft im Klimasystem bleiben (vgl. Kap. 10). In einer ganz fernen Zukunft, in Milliarden von Jahren, wird die Erde hingegen durch die zunehmende Leuchtkraft der Sonne zu heiß werden für heutige Lebensformen. Gemäß Modellrechnungen wird die Erde aber bereits wesentlich früher, in 500–800 Millionen Jahren, zu einem unbewohnbaren Planeten werden, wenn durch die zunehmende Sonnenstrahlung die Ozeane verdampfen. Der Treibhauseffekt wird dadurch verstärkt, und der Kohlenstoffkreislauf kommt zum Erliegen. Allerdings zeigt die Vergangenheit, dass auch weitere Faktoren, beispielsweise Asteroideneinschläge, den Entwicklungspfad des Lebens auf der Erde beeinflussen können.

Abb. 1-3 |Entwicklung des Klimas auf der Erde (nichtlineare Skala). Blaue Balken zeigen Vereisungen (Quelle: ZAMG).


1.2 | Definitionen und Skalen

Im vorangehenden Unterkapitel wurde das Erdklima in groben Zügen charakterisiert. Aber was ist Klima? Können wir Klima definieren? Obschon sich alle unter alltäglichen Sätzen wie «Das Klima hat sich in den letzten 30 Jahren verändert» oder «Diese Insel verfügt über ein außerordentlich mildes Klima» etwas vorstellen können, ist eine wissenschaftliche Definition nicht einfach.

Wetter als Zustand der Atmosphäre

Betrachten wir zuerst den Begriff Wetter. Eine objektive Definition für Wetter könnte lauten:

«Wetter ist der physikalische Zustand der Atmosphäre zu einem gewissen Zeitpunkt an einem gewissen Ort.»

Wetter als Vorgänge in der Atmosphäre

Der physikalische Zustand lässt sich durch Temperatur, Niederschlag, Wind, Bewölkung, Luftdruck und weitere Größen beschreiben (vgl. Box 4.1 und Tab. 9-1). Es ließe sich streiten, ob nicht auch chemische Eigenschaften dazugehören. Doch ergibt es Sinn, «Wetter» als Zustand zu definieren? Es ändert sich ja ständig. Eine andere Möglichkeit zur Definition von «Wetter» ist, genau diese Veränderungsvorgänge anzusprechen: Wetter kann also als Vorgang der Veränderung des atmosphärischen Zustands verstanden werden. Denn würde sich die Atmosphäre nicht verändern, würde uns «Wetter» auch nicht interessieren. Wenn wir aber Wetter als Veränderung der Atmosphäre auffassen, brauchen wir eine Referenz, etwas, womit wir das Wetter von heute vergleichen können. «Klima» liefert genau dies:

Statistische Klimadefinition: Klima als Referenz für Wetter

«Klima ist die Summe der meteorologischen Zustände, inklusive Temperatur, Niederschlag und Wind, welche typischerweise in einer bestimmten Region vorherrschen.»

(nach www.thefreedictionary.com).

«Klima im engeren Sinn ist üblicherweise definiert als durchschnittliches Wetter, oder genauer als die statistische Beschreibung durch Mittelwert und Variabilität der relevanten Größen über eine Zeitperiode»

(nach Weltorganisation für Meteorologie, WMO).

Dabei gilt eine Länge von 30 Jahren als Standard-Zeitperiode. Diese Definitionen lassen sich nicht mehr nur aus der Natur ableiten. Was ist gemeint mit «typischerweise»? Warum gerade 30 Jahre? «Klima» entspringt dem Bedürfnis des Menschen, das Wetter einzuordnen und den Einfluss der Atmosphäre auf Mensch und Umwelt zu verstehen. Jede Klimadefinition ist deshalb auch ein Abbild unserer intuitiven Vorstellung von «Klima». Einige Autoren versuchen deshalb, Klima im Sinn von Prozessen zu definieren:

Klima als langsame Vorgänge in Ozean und Atmosphäre

«Klima beinhaltet die langsam variierenden Aspekte des Atmosphären-Hydrosphären-Land-Systems.» (American Meteorological Society).

Wie bei der Wetterdefinition gibt es also zwei Definitionsmöglichkeiten: Klima als mittlerer Zustand und Klima als systematische Veränderung des Zustands.

Vor einiger Zeit hat der berühmte Meteorologe und Begründer der Chaostheorie Edward Lorenz (vgl. Kap. 5 und 9) eine leicht humoristische Definition von Wetter und Klima geliefert, welche aber den Kern trifft:

«Climate is what you expect, weather is what you get.»

Klima ist, was man erwartet (ansprechend auf den statistischen Begriff des «Erwartungswerts», vgl. Box 9.1), Wetter ist, was man kriegt.

Klimadefinitionen spiegeln die Herangehensweisen der Klimatologie

Die unterschiedlichen Definitionen mögen für die Praxis irrelevant sein. Sie drücken aber auch die verschiedenen wissenschaftlichen Herangehensweisen an das Phänomen Klima aus. Die empirische oder statistische Herangehensweise sucht nach Zusammenhängen in Messreihen, die prozessorientierte Sichtweise nach Mechanismen. Es braucht aber beide Sichtweisen. Statistische Zusammenhänge verlangen nach einer Erklärung der Prozesse. Umgekehrt verlangen prozessorientierte Hypothesen nach empirischer Bestätigung. Klimatologie ist damit gleichzeitig eine beschreibende Wissenschaft, welche die Werkzeuge der Statistik nutzt, und eine erklärende Wissenschaft, welche die ablaufenden Prozesse zu verstehen versucht. Beide Kompetenzen – Physik und Statistik – sind für angehende Klimatologinnen und Klimatologen wichtig, und beide Sichtweisen sind in diesem Buch vereint.

Box 1.1

Geschichte des Klimabegriffs und der Klimatologie

Der Begriff «Klima» ist abgeleitet vom griechischen Wort für Neigung (κλíμα). Der Begriff bezieht sich vermutlich auf Zonen gleicher geographischer Breite (gleiches «solares Klima») und umfasst dabei ursprünglich mehr als nur die atmosphärischen Größen. Lange Zeit war Klimatologie eine beschreibende Hilfswissenschaft für andere Wissenschaften wie Medizin, Geologie, Botanik oder Naturgeschichte, ohne eigenes Theoriegebäude und ohne eigene Methoden. Mit Wetter und Wettervorhersage beschäftigten sich außerdem die Astrologie und Astrometeorologie; das galt vielen von vornherein als unwissenschaftlich. Sich in diesem Umfeld als wissenschaftliche Disziplin zu etablieren, war nicht leicht. Erst vergleichsweise spät, im ausgehenden 19. Jahrhundert, entwickelten sich Meteorologie und Klimatologie zu eigenständigen Wissenschaften mit eigenen Theoriegebäuden und empirischer Forschung, mit eigenen Zeitschriften und eigenen Lehrstühlen (zum Klimabegriff vgl. Box. 1.2).

Die Klimadefinition der WMO gibt eine Zeitskala vor: Klima ist die Statistik der Atmosphäre über 30 Jahre. Klimaveränderungen wären nach dieser Definition Veränderungen zwischen zwei 30-Jahres-Perioden, während Schwankungen von Jahr zu Jahr oder von Dekade zu Dekade als Klimavariabilität bezeichnet würden. Allerdings wissen wir – wir erleben es derzeit –, dass sich Klimaänderungen auch rasch abspielen können.

Skalen von Klimaprozessen reichen von Wolkentröpfchen bis zum Globus

Hier soll eine kurze Übersicht über Zeit- und Raumskalen im Klimasystem dargelegt werden. Die Vorgänge in der Atmosphäre umspannen mehrere Größenordnungen von Raum- und Zeitskalen. Chemische und mikrophysikalische Vorgänge (vgl. Kap. 2) spielen sich auf Skalen von Mikrometern und Sekundenbruchteilen ab, Änderungen in den Erdbahnparametern (vgl. Kap. 10) wirken sich global und auf Skalen von zehn- bis hunderttausend Jahren aus. Es gibt aber einige für die Meteorologie und Klimatologie typische Skalen, und diesen typischen Skalen können typische Prozesse zugeordnet werden und umgekehrt ( Abb. 1-4): Turbulenz ist ein Phänomen auf der Skala von Sekunden oder Metern. Etwas größer sind Thermikblasen oder Konvektion (vgl. Kap. 4). Gewitter oder Stadteffekte (vgl. Kap. 8) spielen sich auf der Skala von Stunden und von 10–20 km ab. Wettersysteme (vgl. Kap. 5) und Fronten dominieren auf der Skala von 1000–2000 km im Zeitraum von 2–3 Tagen. Es zeigt sich, dass in der Atmosphäre Raum- und Zeitskalen stark miteinander korreliert sind: Kleinräumige Vorgänge sind oft von kurzer Dauer, großräumige oder globale Prozesse lang anhaltend.