Die Salbenmacherin

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»Eure Großmutter ist noch in der Badestube«, drang die Stimme einer Magd wie durch dichten Nebel zu ihr vor. »Ihr sollt die Einkäufe aufräumen und dann zu ihr kommen«, fügte das Mädchen hinzu. Dann war es verschwunden.

Genau wie Laurenz, der sich mit einer kleinen Verbeugung von ihr verabschiedete, bevor sie ihm ein weiteres Mal für das Geschenk danken konnte. Obgleich ihr Verstand ihr sagte, dass er nicht an ihrer Seite blieb, um Gerede zu vermeiden, fühlte ihr Herz sich an, als habe jemand ein Stück herausgeschnitten. Die Glückseligkeit, die noch vor Kurzem bewirkt hatte, dass sie sich leicht fühlte wie ein Schmetterling, löste sich ohne Vorwarnung in Luft auf. Sie presste die Hand auf ihre Brust. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie fürchtete, es könne zerbersten.

Eine Zeit lang starrte sie auf die Stelle, an der Laurenz bis vor wenigen Augenblicken gestanden hatte, dann fasste sie einen Entschluss. Es würde heute geschehen! Sie musste die Gunst der Stunde nutzen! Wenn sie jetzt nicht tat, was sie sich vorgenommen hatte, würde ihr der Mann, den sie mit jeder Faser ihres Körpers begehrte, durchs Netz schlüpfen. Und das durfte sie nicht zulassen! Nicht jetzt, wo er deutlich gemacht hatte, dass er das Gleiche für sie empfand wie sie für ihn. Mit unsicheren Händen nahm sie den Käfig vom Boden auf und griff nach dem Korb. In der Arzneiküche angekommen, stellte sie alles achtlos auf einen der Tische und kramte in ihrer Tasche. Wenn sie nicht in der Badestube erschien, würde ihre Yiayia nach ihr suchen. Sie musste also nur den richtigen Zeitpunkt abpassen, damit alles so vor sich ging, wie sie es sich ausgemalt hatte. Sie steckte sich einige Fingerspitzen geraspeltes Süßholz in den Mund und kaute darauf herum. Dann kletterte sie auf einen Schemel und lugte durch das winzige Fenster, von dem aus man den Hof überblicken konnte. Sie musste nicht lange warten. Das Süßholz war kaum zu Brei zerkaut, da erschien die alte Frau auf der Schwelle der Badestube. Hastig spuckte Olivera den Brei aus und schürzte die Lippen, damit der durch das Kauen schaumig gewordene Speichel vor ihren Mund trat. Im Anschluss daran sprang sie zu Boden, schlang die Arme um ihren Oberkörper und atmete so schnell sie konnte ein und aus. Immer wieder und immer wieder, bis ihr schließlich schwarz vor Augen wurde. In dem Moment, in dem sie sich behutsam zu Boden sinken lassen wollte, schwanden ihr jedoch die Sinne. Die Beine knickten wie Strohhalme unter ihr weg und sie fiel nach hinten. Ihr Kopf schlug mit einem dumpfen Geräusch auf der Tischkante auf. Benommen registrierte sie einen stechenden Schmerz und ein klebriges Gefühl an ihrem Hinterkopf. Dann verlor sie das Bewusstsein.

Kapitel 7

Konstantinopel, Juli 1408

Lange Zeit, nachdem die Tür der Arzneiküche hinter Olivera ins Schloss gefallen war, sah Laurenz sie in Gedanken immer noch vor sich stehen. Sah das Leuchten in ihren dunklen Augen, die Röte auf ihren Wangen und hörte ihre klingende Stimme. Wenn er einatmete, vermeinte er den Duft zu riechen, den sie verströmte. Die Wirkung, die sie auf ihn hatte, verunsicherte ihn. Das Verlangen, sie zu berühren und ihre köstlichen Lippen zu küssen, war so überwältigend, dass es wehtat. Sie brachte ganz eindeutig das Gleichgewicht seiner Körpersäfte durcheinander! Und sie war nicht nur schön, sondern auch klug. Ihr Latein war beinahe besser als seines – hatte er doch nur einige wenige Jahre auf der Tübinger Pfarrschule zugebracht. Was würde er dafür geben herauszufinden, ob sie auch in anderer Hinsicht eine so gute Schülerin war! Er stöhnte leise und rückte zum wiederholten Mal seine Männlichkeit zurecht. Als ob du noch nie eine Frau gesehen hättest!, schalt er sich. Er lenkte seine Gedanken auf etwas anderes und schnitt eine Grimasse, da der Versuch von keinem besonderen Erfolg gekrönt war. Warum hatte er ihr nur diesen Vogel kaufen müssen? Für einen halben Schilling hätte er sich besser die Dienste einer Dirne, eines Dutzend Dirnen, geleistet! Er biss die Zähne aufeinander und beschloss, sich mit einem erneuten Besuch des Marktes abzulenken. Einige der Dinge, die er dort gesehen hatte, ließen sich bestimmt in Tübingen für teures Geld weiterverkaufen. Schließlich wollten sich die Gemahlinnen der reichen Oberstädter genauso herausputzen wie die Damen aus Stuttgart – der Hauptstadt der Grafschaft Württemberg. Warum sollte er die Gelegenheit nicht beim Schopfe packen?

Er schob die Hände in die Taschen seiner Schecke und kehrte lustlos zurück in den Hof, den er beinahe fluchtartig verlassen hatte. Er würde im Stall nach dem Rechten sehen und einem der Burschen befehlen, seinen Rappen zu satteln. Seine Zehen schmerzten. Ganz offensichtlich war er es nicht mehr gewöhnt, zu Fuß zu gehen. Dieses Mal würde er hoch zu Ross durch die Menge traben, anstatt sich den Weg mit den Ellenbogen freizukämpfen. Vielleicht würde ihm dann auch die Hitze etwas weniger zusetzen. In Oliveras Begleitung war ihm die sengende Sonne nicht ganz so unangenehm erschienen. Aber jetzt, allein im Hof, kam es ihm vor, als briete er in einem Ofen. Er wollte gerade eines der Stalltore öffnen, als ihn ein Ruf innehalten ließ. »Laurenz!« Die Stimme seines Gastgebers klang aufgeregt.

»Laurenz!«, rief dieser erneut und fuchtelte wild in der Luft herum. »Kommt! Das müsst Ihr Euch ansehen!«

Selbst aus der Ferne konnte Laurenz den Eifer auf den Zügen des Mannes erkennen. Was war denn nun schon wieder? Hatte der Goldschmied endlich seine lang ersehnten Elefantenzähne erhalten? Befremdet registrierte er, dass diese Aussicht ihn nicht mit der Genugtuung erfüllte, die er erwartet hätte. Vielmehr schlich sich leises Bedauern ein, als er sich vorstellte, dass sein Aufenthalt in Konstantinopel früher als erwartet zu Ende gehen könnte. Es war wirklich wie verhext! Zuerst hatte er nicht schnell genug von hier fortkommen können. Und jetzt … Er brach den Gedankengang ab und folgte den Schatten der Gebäude, bis er Philippos erreichte.

»Was muss ich mir ansehen?«, fragte er. Sein Ton war schroffer, als er beabsichtigt hatte.

Sein Gegenüber schien seine Unhöflichkeit jedoch nicht einmal zu bemerken. »Andreas hat die ersten Behältnisse geliefert«, sagte er heiser und bestätigte somit Laurenz’ Vermutung. Er zupfte den jungen Mann am Ärmel. »Ihr müsst sie Euch selbst ansehen.«

Mit diesen Worten zog er Laurenz auf das Gebäude zu, in dem sich Laden und Kontor befanden. Dort – in einer Kammer neben der Treppe – warteten drei große Holzkisten auf sie. Der Deckel der vordersten war geöffnet und auf einem Tisch stand eine Reihe von Gegenständen. Bei deren Anblick stockte Laurenz der Atem. Allerdings waren es nicht das vergoldete Türmchen, die aufwendig ziselierten Kästen oder die mit Juwelen besetzten Phiolen, die sein Herz einen Schlag aussetzen ließen; sondern die zwölf fein säuberlich aufgereihten goldenen Köpfe. Er schluckte vernehmlich.

»Sind sie nicht wundervoll?«, schwärmte Philippos. Offenbar deutete er die Erschütterung seines jungen Gastes falsch. »Andreas ist ein wahrer Meister!«

Eine eisige Hand schien nach Laurenz zu greifen. Plötzlich kam ihm der Raum furchtbar kalt vor und er fröstelte.

»Seht, hier«, sagte der Kaufmann. Er hob einen der Köpfe auf und zeigte auf ein großes Loch direkt unter dem Ansatz des goldenen Haares. »Hier wird das Glas eingesetzt.« Er drehte den Gegenstand um und redete weiter auf Laurenz ein.

Doch dieser hörte kaum mehr, was sein Gegenüber sagte. Ohne Vorwarnung sah er sich in Gedanken auf den Kirchplatz hinter der Tübinger Jakobuskirche versetzt. Als befände er sich tatsächlich dort – Tausende von Meilen entfernt – vernahm er das Geräusch von Hacken und Schaufeln. Vor seinem inneren Auge wurde er Zeuge, wie Männer ohne erkennbare Gesichter Tote aus ihren Gräbern zerrten und diese achtlos auf einen Karren warfen. Die Kälte breitete sich in ihm aus. Er hatte gewusst, was geschehen würde – wofür sein Auftraggeber die Behältnisse benötigte. Gleichwohl war es ihm gelungen, den wahren Grund für sein Hiersein zu verdrängen – selbst als er das Glas des Phiolarius in den Händen gehalten hatte. Immerhin würde er auch einen ganzen Wagen voller seltener Gewürze mit nach Hause bringen – nicht nur diese furchtbaren Dinge! Er trat, plötzlich angeekelt, einen Schritt zurück und schlug die Hände vors Gesicht. Ein Stöhnen fand den Weg über seine Lippen. Für diese grauenhafte Sünde würde er bis in alle Ewigkeit in der Hölle schmoren. Seine Fantasie gaukelte ihm Bilder vor, die ihn noch mehr schaudern ließen: Nackte Leiber, in einem reißenden Blutstrom kochend, von Kentauren gepeinigt und immer wieder in die Fluten zurückgestoßen; Lästerer, gefangen im Sand, auf die beständig Feuerflocken niederprasselten; Verstümmelte, die kopfüber in Felslöchern steckten, während ihre Fußsohlen lichterloh brannten; und schließlich Schreiende, deren Münder sich mit Pech füllten, wenn sie in einem Graben versanken und für immer verschwanden.

Eine Hand legte sich auf seinen Arm.

»Was ist mit Euch?«, fragte Philippos.

Laurenz zuckte zusammen und versuchte, die grauenvollen Bilder mit einem Blinzeln zu vertreiben. »Nichts«, log er. Seine Stimme strafte ihn Lügen.

»Macht Euch nur nicht allzu viele Gedanken«, versuchte der Grieche ihn zu beruhigen. Scheinbar wusste er genau, was Laurenz auf der Seele brannte. »Es ist ja nicht so, als ob wir die Ersten wären, die so etwas tun«, setzte er wegwerfend hinzu. »Wer weiß, wie viele Reliquien überhaupt echt sind.« Sein Mund verzog sich zu einem verschlagenen Lächeln. »Gott hätte gewiss nichts dagegen, dass noch mehr Menschen die Gebeine der Heiligen verehren können. Auch wenn diese vielleicht nicht ganz so heilig sind, wie die Pilger denken.« Er lachte meckernd. »Und die Toten schert es sicher auch nicht mehr.«

Laurenz starrte ihn mit leerem Blick an. Hatte der Kerl denn überhaupt keine Angst vor dem Jüngsten Gericht? War ihm nicht klar, dass sie durch diesen Betrug ihre Seelen an den Leibhaftigen verpfändeten? Er zog die Schultern hoch und schloss einen Moment lang die Augen. Hätte er sich doch nur niemals auf diesen Handel eingelassen! Damals war ihm alles so einfach erschienen – so lächerlich einfach! Er schlug die Augen wieder auf und starrte die Köpfe an. Warum hatte er nur nicht auf die Stimme in seinem Inneren gehört, die ihn gewarnt hatte, dass alles viel zu gut klang, um wahr zu sein? Warum war er nur so unglaublich dumm gewesen? Hätte er seinem Freund Bertram doch nur den Gefallen abgeschlagen und wäre nicht an dessen Stelle in das Haus in der Münzgasse gegangen! Er verkniff sich ein Schnauben. Vermutlich hatte Bertram ganz genau gewusst, was ihn dort erwartete, und die Unpässlichkeit nur vorgetäuscht.

 

Plötzlich befand er sich in Gedanken wieder in Tübingen; sah sich dem Schwager des Schultheißen gegenüber und hörte ihn kurz und hart lachen.

»Wenn Ihr nicht wollt, frage ich eben einen anderen«, hatte dieser kühl gesagt und sich zum Gehen gewandt. Allerdings war sein Angebot zu gut, als dass Laurenz es hatte ausschlagen können. Immerhin hatte sich dadurch vollkommen unerwartet eine Möglichkeit eröffnet, in die Oberschicht aufzusteigen. Und den Kramladen seines Vaters endgültig hinter sich zu lassen. Gier vernebelt das Gehirn, dachte er, als Philippos die Waren sorgfältig wieder verpackte. »Alles, was Ihr tun müsst, ist, die Behältnisse zu beschaffen«, hatte sein Auftraggeber gesagt. »Um den Rest braucht Ihr Euch nicht zu kümmern.«

Laurenz wich einen Schritt zurück, um Philippos Platz zu machen. Dass es sich bei dem »Rest« um das Schänden von Leichen und das Fälschen von Reliquien handelte, hatte er nicht gewusst. Allerdings war es zu spät gewesen, einen Rückzieher zu machen, als er davon erfahren hatte. Er hätte sich niemals die erste Reise nach Konstantinopel bezahlen lassen dürfen! Ärger über seine Einfältigkeit stieg in ihm auf. Es hätte ihm klar sein müssen, dass die ganze Angelegenheit einen Haken hatte. Andererseits war die Verlockung einfach zu groß gewesen, um ihr zu widerstehen. Nicht jeden Tag erhielt ein einfacher Krämersohn die Gelegenheit, in die Kreise der Fernhändler aufzusteigen – und somit vielleicht irgendwann im Rat der Stadt zu sitzen. Ein Köder, den vermutlich selbst sein ehrbarer Bruder Götz geschluckt hätte! Er presste die Kiefer aufeinander und straffte die Schultern. Es nützte nichts, sich zu grämen. Er war einen Handel mit dem Teufel eingegangen, also musste er zusehen, wie er das Beste daraus machte. Immerhin war ihm versprochen worden, dass dies seine letzte Reise sein würde. Also würde er zusehen, dass er sein Schäflein ins Trockene brachte. Vielleicht konnte er ja in der Zwischenzeit die verlockende Frucht pflücken, die ihm mehr und mehr den Kopf verdrehte. Wenn ihm gelang, was ihm vorschwebte, dann konnte er sich damit an seinem Gastgeber und dessen Spießgesellen rächen!

Kapitel 8

Tübingen, Juli 1408

»Rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz und weiß wie Schnee«, summte der auf dem Boden kniende Mann vor sich hin, während seine Klinge in das Fleisch der Hure fuhr. Diese war bildschön, und es war ein Jammer um ihren Körper. Aber auf eine Hässlichere hatte er nicht warten können, da der Bedarf seines Auftraggebers immer schneller zu wachsen schien. Zuerst hatte es geheißen, drei oder vier wären genug; für den Rest würden andere sorgen. Aber offensichtlich scherte sich doch jemand darum, dass die Gräber der Armen geschändet wurden. Allmählich zeichnete sich ein Geschäft ab, das ihn noch weit bis in die Zukunft mit einem Zusatzeinkommen versorgen würde. Morgen stand der Heilige Sonntag vor der Tür, aber für die Frau zu seinen Füßen würde es kein Tag der Andacht und Beschaulichkeit werden. Er schluckte ein Lachen. Und für diejenigen, die sie fanden, würde der Tag gewiss auch nicht so beginnen, wie sie es sich vorgestellt hatten. Mit geübten Bewegungen hackte er der Frau Kopf und Arme ab und sah einige Momente fasziniert dabei zu, wie ihr Blut sich in Windeseile mit dem Regen vermischte. Am vergangenen Mittwoch hatte das Wetter umgeschlagen und es hatte angefangen, wie aus Kübeln zu schütten. Seitdem schien der Sommer bereits dem Herbst weichen zu wollen, obwohl es noch viele Wochen dauern würde, bis sich die ersten Blätter bunt färbten. Ein empfindlich kühler Wind pfiff durch die Stadt. Eigentlich hatte der Jäger es auf einen der Spielmänner abgesehen, doch diese wagten sich bei den unwirtlichen Umständen kaum mehr auf die Straße. Er stopfte den Kopf und die beiden Gliedmaßen in seinen Beutel, platzierte Schalen unter den Wunden und wandte sich den Füßen der Toten zu. Diese steckten in leichten Schuhen, die viel zu dünn waren für die Witterung, und er fragte sich, ob sie gefroren hatte. Musste sie wohl. Denn ihre Kleidung war nicht dafür gemacht, etwas zu verhüllen. Als dieser Teil seines Auftrages ebenfalls erfüllt war, fing er auch aus diesen Wunden so viel von ihrem Blut auf wie möglich. Nachdem er dieses in ein halbes Dutzend bauchige Phiolen umgefüllt hatte, die er sorgfältig verkorkte, ließ er schließlich die Gefäße den Körperteilen folgen. Nicht einmal vier Wochen war es her, seit er die anderen beiden Huren getötet hatte, und allmählich machte ihm die Häufigkeit seiner Ausflüge Sorgen. Wenn es so weiterging, würde sein Weib Verdacht schöpfen. Und dann war es nur eine Frage der Zeit, bis die ganze Stadt davon erfuhr. Ein unschöner Gedanke fuhr ihm durch den Kopf. Vielleicht würde sein Auftraggeber für sie ja auch etwas bezahlen. Schon lange ging ihm ihr ewiges Genörgel auf die Nerven. Warum sollte für sie nicht auch Verwendung zu finden sein? Ein Geräusch aus einem der Hinterhöfe ließ ihn nervös um sich blicken. Doch es war nur eine streunende Katze, die kurz darauf mit gesträubtem Fell an ihm vorbeischoss.

Er zurrte den Sack zu, kam mit steifen Gelenken auf die Beine und hastete in die Dunkelheit des späten Abends davon. Mit jedem Mord wurden seine Aufträge riskanter. Wenn er noch mehr herbeischaffen sollte, dann musste er sich bald etwas anderes überlegen. Gewiss würde er nicht ewig Unehrliche von der Straße pflücken können, als handle es sich um überreife Kirschen! Früher oder später würde die Stadtwache ihre Präsenz in den Straßen erhöhen und dann hatte er schlechte Karten. Er huschte die Jakobsgasse entlang in Richtung Osten, überquerte die Ammer und schlüpfte zwischen den Häusern an der Krummen Brücke hindurch. Von dort aus eilte er weiter, bis er das Wasser der Ammer erneut riechen konnte. Er war nur noch zwei Steinwürfe von seinem Haus entfernt, als ihn ein scharfer Befehl erstarren ließ.

»Halt! Bleib auf der Stelle stehen!«, bellte ein Wächter.

Kurz darauf verkündete das Trampeln von schweren Stiefeln, dass sich ihm mindestens drei Stadtwachen im Laufschritt näherten. Das Licht ihrer Fackeln tanzte wild hin und her, und mit Entsetzen sah er, dass Blut aus seinem Sack getropft war und seine Kleidung befleckt hatte. Oh, Heiliger Vater, steh mir bei!, dachte er entsetzt, während die Soldaten drohend ihre Schwerter zogen. Warum waren die Kerle nicht im Trockenen? Beim Würfelspiel in der Wachstube?

»Was hast du in dem Sack?«, fragte der Befehlshaber der Wache. Er bedeutete seinen beiden Begleitern, ihren Fang zu packen. Aber als einer von ihnen die Fackel hochhob, um das Gesicht des Mannes zu beleuchten, brach er in ein Lachen aus, das halb erleichtert, halb enttäuscht klang.

»Du bist es!«, rief er. Auch in den Augen seiner Kollegen dämmerte Erkennen.

»Was hast du denn im Dunkeln noch auf der Straße zu suchen?«, fragte der Anführer – immer noch ein wenig misstrauisch.

Der Gefragte hob die Schultern. »Man kann sich leider nicht immer aussuchen, wann die Leute einen rufen«, entgegnete er. »Und wer kann schon Nein sagen, wenn eine Witwe einen um Hilfe bittet?«, log er. Die Anspannung ließ seine Stimme kaum wahrnehmbar beben. Der Drang, wie ein Hase davonzulaufen, war überwältigend. Allerdings wusste er, dass er damit sein Leben verwirkt hätte. Daher setzte er ein Gesicht auf, von dem er hoffte, dass es harmlos genug aussah, und lächelte dümmlich.

»Man muss schließlich von etwas leben«, sagte er mit einem Schulterzucken.

Einige scheinbar endlose Augenblicke verstrichen in argwöhnischem Schweigen. Dann schob der Befehlshaber die Waffe zurück in die Scheide und schüttelte den Kopf.

»Na dann«, knurrte er. »Mach, dass du nach Hause kommst!«

Mit weichen Knien tat er, wie geheißen. Als wenig später die Tür seines Hauses hinter ihm ins Schloss fiel, stieß er einen erleichterten Seufzer aus. Das war knapp gewesen! Noch einmal durfte ihm so etwas nicht passieren! Heftig atmend lauschte er in die Dunkelheit des Hauses und wartete, ob sich etwas regte. Erst, als alles ruhig blieb, stellte er den Beutel ab, griff mit zitternden Fingern in den Kienspanbehälter neben der Tür und entzündete eine Kerze. Heißer Schrecken durchzuckte ihn, sobald er sah, wie viel Blut durch die Sackleinwand gesickert war. Auf dem Lehmboden hatte sich bereits eine kleine Lache gebildet, die sich mit dem Wasser, das von seiner Kleidung tropfte, vermischte. Verdammt!, dachte er. Eines der Gefäße musste zerbrochen sein! Wenn der Regen nicht alles fortwusch und die Wächter die Spur zurückverfolgten, war es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass sie die Tote finden würden. Und er verhaftet wurde! Auf unsicheren Beinen schaffte er den Sack dorthin, wo nie jemand nachsah, beseitigte alle Spuren und wartete darauf, dass sich sein Herzschlag beruhigte. Dann warf er sich einen anderen Mantel über, verbarg das Gesicht unter einem Filzhut und trat wenig später zurück hinaus in die Nässe. Er hatte einen Fehler gemacht! Und diesen galt es nun zu beheben. Zum Glück regnete es immer noch heftig, aber er würde dennoch dafür sorgen, dass man die Leiche nicht allzu einfach entdecken konnte. Vorsichtig, um den Soldaten nicht ein zweites Mal in die Arme zu laufen, schlich er dahin zurück, woher er gekommen war.