Die Salbenmacherin

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Kapitel 13

Konstantinopel, Juli 1408

Die Männer waren bereits um die Tafel versammelt, die Speisen aufgetragen, als Olivera und ihre Großmutter die Stube betraten. Verlockende Düfte hingen in der Luft. Aber es war der Anblick ihres Bräutigams, der dazu führte, dass Oliveras Magen sich zusammenzog. Es war beinahe beängstigend, was für Auswirkungen seine Gegenwart auf sie hatte, dachte die junge Frau. Noch niemals zuvor hatte jemand jede Faser in ihr zum Schwingen gebracht und dafür gesorgt, dass ihre Gefühle wild durcheinandertanzten. Sie zwang sich, ihn nicht anzustarren, und ließ den Blick über die übrigen Gäste wandern. Außer Laurenz, ihrem Vater und ihrem Bruder Markos waren der Goldschmied, ein weiterer Mann und ein Priester anwesend. Diesen erkannte Olivera nicht nur an dem gewaltigen goldenen Kruzifix, das von seinem Hals baumelte; sie erinnerte sich außerdem daran, ihn schon öfter im Haus ihres Vaters gesehen zu haben. Als er das erste Mal mit dem Hausherrn in der Badestube der Männer verschwunden war, hatte sie ihre Großmutter nach ihm gefragt. Damals hatte ihre Yiayia eine wenig schmeichelhafte Bemerkung gemacht. Und auch jetzt bedachte sie den Mann mit einem Blick, der ein zarteres Gemüt hätte verwelken lassen. Ohne Zweifel konnte sie ihn nicht ausstehen. Dem Priester schien die offensichtliche Abneigung der alten Frau jedoch nicht das Geringste auszumachen, da er die Frauen mit einem strahlenden Lächeln begrüßte.

»Die Braut«, stellte er überflüssigerweise fest. Er malte ein Kreuzzeichen in die Luft, als Olivera den Kopf vor ihm neigte. »Gott segne dich, mein Kind«, sagte er.

Olivera spürte die Blicke aller Anwesenden auf sich, als sie auf dem Stuhl Platz nahm, den ihr Vater ihr anwies. Anders als beim letzten Mal saß Laurenz ihr heute nicht gegenüber, sondern befand sich direkt neben ihr. Seine Nähe war so überwältigend, dass Olivera Schwierigkeiten hatte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr er sie in seinen Bann zog. Wie gut er roch! Der Duft von Seife, Leder und Wärme ging von ihm aus und stach ihr in die Nase. Ein seltsames Gefühl breitete sich von ihrer Körpermitte her aus, ließ ihre Haut prickeln und die feinen Härchen auf ihren Armen zu Berge stehen.

»Dir sei, o Gott, für Speis und Trank, für alles Gute, Lob und Dank«, drang die Stimme des Priesters zu ihr vor. Froh darüber, ihre Gedanken auf etwas anderes richten zu können, faltete sie die Hände zum Gebet.

»Du gabst, du willst auch künftig geben«, fuhr der Priester fort, »Dich preise unser ganzes Leben. Amen.«

»Amen«, wiederholten die um den Tisch Versammelten.

Als Olivera die Hände wieder sinken ließ, streifte Laurenz ihren Arm. Etwas, das sich anfühlte wie ein Blitz aus heiterem Himmel, fuhr ihr bis ins Mark. Sie zuckte zurück, als habe sie sich an ihm verbrannt. Doch gleichzeitig wünschte sie sich, er würde sie noch einmal berühren. Hitze übergoss sie, und plötzlich erschien ihr der Raum viel zu warm. Ihr Gesicht brannte, aber zu ihrer grenzenlosen Erleichterung bemerkte niemand, was in ihr vorging. Die Männer waren viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Teller mit Köstlichkeiten zu füllen. Und ihre Yiayia musterte immer noch den Priester, als fürchte sie, er wolle das kostbare Geschirr stehlen. Während die anderen ihre Teller mit Rosmarinhase, gefüllter Wildente, gegrillten Wachteln und mariniertem Fasan beluden, starrte Olivera lediglich auf den funkelnden Rotwein in ihrem Trinkkelch.

*

Das Festmahl stellte Laurenz auf eine harte Probe. Einerseits war er seit einigen Stunden der glücklichste Mann auf Erden; andererseits war Oliveras Gegenwart die reinste Folter. Wusste sie denn nicht, wie grausam es war, ein solches Kleid zu tragen? Am liebsten hätte er die anderen aus dem Raum gezaubert, um mit ihr allein zu sein. Um endlich ihren köstlichen Mund zu küssen und all die Dinge zu tun, von denen er seit dem Besuch des Marktes träumte. Er fluchte innerlich, da diese Gedanken die allzu bekannten Folgen hatten. Eine Zeit lang versuchte er, sich auf das Essen zu konzentrieren. Aber sie zog ihn an wie das Licht die Motten. Es dauerte nicht lange, bis er ihr erneut verstohlene Seitenblicke zuwarf. Ihre Haut hatte den Ton heller Haselnüsse, und er fragte sich, ob sich ihre Wangen so seidig anfühlten, wie sie aussahen. Das dunkle Haar schimmerte bläulich. Wie es wohl sein würde, diese Flut zu befreien und die Hände darin zu vergraben? Als sie irgendwann den Kopf wandte, um nach einem Teigfladen mit Sesam zu greifen, sah er, dass ihre Unterlippe leicht zitterte. Offensichtlich hatte auch sie Mühe, ihre Empfindungen im Zaum zu halten! Er biss hastig in ein Stück Fleisch, um die Bilder zu vertreiben, die sich unvermittelt in seinen Kopf stahlen. Wenn er den Ausdruck in ihren Augen richtig gedeutet hatte, begehrte sie ihn genauso wie er sie. Die Bilder wurden deutlicher – so deutlich, dass ihn Philippos’ Frage schuldbewusst zusammenfahren ließ.

»Wolltest du deiner Braut nicht etwas überreichen?«, fragte der Grieche, nachdem der Nachtisch hereingebracht worden war. Jetzt, wo Laurenz sein zukünftiger Schwiegersohn war, schien die vertrautere Anrede passender. Er deutete mit dem Kinn auf den Goldschmied, den sie am Nachmittag – nach dem Glaser – noch aufgesucht hatten.

»Ja«, krächzte Laurenz. Er räusperte sich verlegen und griff in die Tasche seiner Schecke. Fahrig zog er ein kleines Holzkästchen hervor und befreite ungeschickt einen mit einem Saphir geschmückten Goldreif daraus.

Einige Augenblicke lang drehte er ihn hin und her, dann wandte er sich an Olivera. »Zum … Zum Zeichen meiner Liebe überreiche ich dir diesen Ring«, stammelte er. Die Worte klangen peinlich platt in seinen Ohren. Aber etwas anderes fiel ihm nicht ein. »Gib mir deine Hand«, setzte er verlegen hinzu, als die junge Frau ihn lediglich mit großen Augen ansah. Da sie nicht sofort reagierte, griff er zögernd nach ihrer Rechten. Ungeschickt steckte er ihr den Ring an den Finger und erschrak darüber, wie zerbrechlich und zart dieser sich anfühlte. Es kostete ihn einige Selbstbeherrschung, ihre Hand nicht an die Lippen zu führen, um herauszufinden, ob sie genauso gut schmeckte, wie sie duftete. Wenn es doch nur möglich wäre, mit ihr aus der Stube zu fliehen!

»Wo soll die Hochzeit stattfinden?«, zerstörte die Großmutter seiner Braut den Zauber des Momentes. »Und warum ist er hier?« Sie warf dem Kirchenmann einen giftigen Blick zu. »Wo ist Erzpriester Sergios?«

Laurenz ließ widerwillig Oliveras Hand wieder los und sah von Philippos zu der alten Frau.

»Das ist keine Angelegenheit, in die du dich einmischen solltest, Loukia«, erwiderte der Herr des Hauses kühl. »Pater Antonio kann die beiden genauso gut vermählen wie Sergios.«

Oliveras Großmutter zog hörbar die Luft ein. »Aber er ist ein …«

»Das tut in diesem Fall nichts zur Sache«, fiel Philippos ihr ins Wort. »Eine Ehe vor Gott ist eine Ehe vor Gott. Gleichgültig, wer den Bund schließt!« Sein Tonfall war scharf. »Wir glauben alle an denselben Gott, was stört uns der Zwist zwischen Papst und Patriarch?«

Die alte Frau schüttelte den Kopf und murmelte: »Das Sakrament der Ehe ist nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen darf.« Sie funkelte Philippos einige Atemzüge lang an, dann schlug sie den Blick nieder und stocherte in ihrem Essen.

»Ich möchte nicht mit dir darüber streiten«, lenkte der Gastgeber ein. »Erzpriester Sergios hat der Verbindung seinen Segen gegeben.«

Irgendetwas sagte Laurenz, dass dies eine Lüge war. Allerdings brachte die Behauptung die alte Frau zum Schweigen. Dennoch trübte die Auseinandersetzung die Stimmung. Und als sich die Damen eine Stunde später verabschiedeten, wünschte Laurenz die Alte zum Teufel. Warum hatte sie nicht einfach schweigen und ihn Oliveras Nähe in vollen Zügen genießen lassen können? Wieso hatte sie an solch einem wundervollen Tag Missstimmung verbreiten müssen?

»Mir scheint, der Abend ist nicht ganz so verlaufen, wie du es dir gewünscht hast«, bemerkte sein zukünftiger Schwiegervater trocken, sobald die Männer alleine waren. Er winkte eine der Mägde zu sich und ließ sich den Weinkelch ein weiteres Mal füllen. Dann raunte er ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie leicht errötete und aus der Stube verschwand. »Was hältst du von einer kleinen Überraschung zur Feier des Tages?«

Laurenz wusste nicht, was er antworten sollte. »Hm«, brummte er deshalb unentschlossen.

Philippos grinste, leerte seinen Kelch in einem Zug und zwinkerte Pater Antonio zu. »Wie sieht es mit Euch aus? Kann ich Euch überreden?«

Der Priester verzog das Gesicht zu einer Miene, die Laurenz nicht besonders gefiel. »Wenn Ihr damit nicht den Preis für die Eheschließung herunterhandeln wollt«, erwiderte der Kirchenmann.

Philippos winkte ab. »Aber nicht doch! Was denkt Ihr von mir? Seht es als ein Zeichen meiner Dankbarkeit und Gastfreundschaft.« Er lachte dröhnend.

Laurenz legte die Stirn in Falten. Wovon redeten die Männer? Scheinbar erheiterte sein verdutztes Gesicht die beiden. Auch die übrigen Anwesenden fielen in das Lachen mit ein.

»Komm mit, dann siehst du, was ich meine«, forderte Philippos ihn auf, nachdem auch Laurenz den letzten Schluck Wein genommen hatte. Der Grieche schob seinen Stuhl zurück.

Gegen seinen Willen neugierig, tat Laurenz es ihm gleich und folgte den anderen hinaus in den lauen Abend. Ohne Eile schlenderten sie den überdachten Gang entlang, die Treppen hinab in den Hof und steuerten auf ein Gebäude hinter dem Kontor zu. Dampfschwaden empfingen sie, als sie die Tür des kleinen Raumes öffneten. Die Magd hatte ein Feuer geschürt und war dabei, in einem Kessel Wasser zu erhitzen. Neben einem halb offenen Schwitzraum mit heißen Steinen befanden sich ein Kaltwasserbecken und ein riesiger hölzerner Zuber. Aber es waren weder das Becken noch der Zuber, die Laurenz’ Blick anzogen. Sondern vier junge Frauen, die durch einen Nebeneingang die Badestube betraten. Ohne viele Worte begannen sie sich zu entkleiden und stiegen splitternackt in den Bottich.

 

»Ich sehe, die Überraschung ist gelungen«, prustete Philippos. Er drosch Laurenz freundschaftlich auf den Rücken. »Worauf wartest du, zieh dich aus!« Mit diesen Worten befreite er selbst sich von seiner Kleidung und gesellte sich zu den Mädchen.

Kapitel 14

Konstantinopel, Ende Juli 1408

Die folgenden Tage vergingen wie im Flug. Schneller, als Olivera es für möglich gehalten hatte, kam der große Moment heran. An einem strahlend schönen Sonntag gaben sie und Laurenz sich in einer kleinen Kapelle im venezianischen Viertel von Konstantinopel das Jawort. Nicht einmal drei Dutzend Gäste waren zugegen. Und auch das anschließende Festmahl fand im kleinen Kreis statt. Ihre Yiayia hatte sich zuerst geweigert, die römische Kirche zu betreten. Doch Oliveras Bitten hatten sie schließlich umgestimmt. Jetzt saß die junge Frau wie auf Kohlen, da der Augenblick, die Ehe zu vollziehen, nahte. Obwohl sie kaum etwas gegessen hatte, verspürte sie einen Druck im Magen. Dieser, so vermutete sie, hatte jedoch nichts mit den schweren Speisen zu tun. Sondern viel mehr damit, dass noch in dieser Nacht all das wahr werden würde, wovon sie so lange geträumt hatte. Unruhig rutschte sie auf dem Schemel hin und her, auf den ihre Großmutter sie gedrückt hatte.

»Au«, protestierte sie, als die alte Frau einen Knoten in ihrem Haar löste.

»Halt still«, war die ungerührte Antwort. »Du willst doch gewiss schön sein wie eine Rose, wenn dein Gemahl an deine Tür klopft«, versetzte ihre Yiayia.

Und das wollte Olivera! Daher biss sie die Zähne aufeinander und ertrug die Tortur ohne weitere Klagen. Immerhin war alles Ziehen und Reißen nicht einmal in Ansätzen vergleichbar mit den Schmerzen, welche die Enthaarung am Vortag mit sich gebracht hatte. Nachdem ihr Schopf gekämmt war, streute ihre Yiayia ein Pulver aus Nelken, Galgantwurzel und Muskat in ihr Haar und massierte es in ihre Kopfhaut ein. Dann legte sie die Strähnen zu einer einfachen Schlaufe und half der jungen Frau aus dem Hochzeitskleid. Nur noch mit einem elfenbeinfarbenen Untergewand bekleidet, fühlte Olivera sich seltsam schutzlos. Der Duft von Rosen- und Veilchenöl stieg ihr in die Nase, und sie gab der Versuchung nach, mit den Fingerkuppen über ihre glatte Haut zu streichen. Kein einziges Härchen verunzierte ihre makellosen Beine, die Lale am Morgen mit einem Duftöl eingerieben hatte.

Ihre Großmutter betrachtete sie mit schief gelegtem Kopf.

»Schön wie der Vollmond«, murmelte sie. »Allerdings kann ein wenig Farbe nicht schaden.« Sie griff nach einem kleinen Tiegel, in dem gestoßene Ölbaumwurzel mit Talg vermischt worden war. Diese Masse hatte einen grellroten Ton, der an die Farbe von Ochsenblut erinnerte. Etwas Minze sorgte dafür, dass das Gemisch einen angenehmen Geschmack bekam, der Olivera augenblicklich auf den Lippen prickelte. Nachdem ihre Yiayia noch ihre Augen mit Kohlestift umrahmt und die Wimpern mit einem heißen Eisen gebogen hatte, schien sie schließlich zufrieden.

»Auch wenn ich wünschte, du hättest dein Herz einem Griechen geschenkt«, sagte sie leise, »werde ich für euer Glück beten.« Sie drückte Olivera einen Kuss auf die Stirn. »Gott steht all denjenigen bei, die reinen Herzens sind. Vergiss das nie.« Sie packte ihre Sachen zusammen, warf ihrer Enkelin einen letzten Blick zu und verließ schließlich die Kammer, die den frisch Vermählten zugewiesen worden war.

Alles war fremd für Olivera. Daher kam sie sich einsam und verlassen vor, als sie plötzlich ganz alleine war in dem prachtvoll geschmückten Raum. Sie sah sich suchend um. Nicht einmal ein Spiegel war vorhanden, in dem sie ihre Erscheinung hätte überprüfen können. Außer einem Bett mit einem ausladenden Baldachin befanden sich zwei Zedernholztruhen, ein Schemel und ein kleines Tischchen in der Kammer. Drei der vier Wände zierten Wandteppiche, auf denen fremdländisch anmutende Szenen dargestellt waren. Eine der Knüpfarbeiten zeigte eine Schar bunt gefiederter Vögel in einem Prunkgarten. Olivera trat an den Teppich heran und zeichnete versonnen die Umrisse eines Pfaus mit den Fingern nach. Bevor sie die anderen Tiere genauer in Augenschein nehmen konnte, erklang jedoch ein Klopfen an der Tür.

Ohne Vorwarnung zog sich ihr Magen so heftig zusammen, dass sie aufkeuchte und die Hand fallen ließ, als habe sie sich an dem Teppich verbrannt. Während ihr Herz davonraste, biss sie sich unsicher auf die Lippe und starrte wortlos auf die Tür. Diese öffnete sich langsam, beinahe zögernd und Laurenz erschien auf der Schwelle. Auch er war – wie bereits bei der Trauung – für sie herausgeputzt. Allerdings trug er, im Gegensatz zu ihr, noch all seine Kleider. Seine Augen weiteten sich, als er sie sah. Und einen Moment lang überkam sie die schreckliche Angst, dass sie ihm nicht gefallen könnte; dass alles, was sie unternommen hatte, um schön zu sein für ihn, das Gegenteil bewirkt haben könnte. Die Furcht war so gewaltig, dass sie ihr den Atem raubte. Während sie wie festgenagelt auf der Stelle verharrte, bohrte Laurenz’ Blick sich in den ihren. Anstatt eines Grußes kam lediglich ein unverständlicher Laut über seine Lippen, und es dauerte einige Momente, bevor sie begriff. Er war genauso aufgeregt wie sie! Die Furcht, die eben noch gedroht hatte, sie zu lähmen, fiel wie ein Schuppenkleid von ihr ab. Erleichterung durchflutete ihren Körper. Gebannt verfolgte sie, wie er die Tür hinter sich ins Schloss drückte und einen Moment lang unschlüssig auf der Stelle verharrte. Schließlich räusperte er sich.

»Jetzt bekomme ich endlich den Kuss, den du mir noch schuldest«, sagte er mit belegter Stimme.

Olivera spürte das Blut in ihre Wangen schießen. Aber aller Verdruss darüber löste sich in Luft auf, als Laurenz auf sie zutrat und auf sie hinabblickte. Einige schwere Atemzüge lang wirkte es, als wüsste er nicht, was zu tun war. Doch dann fasste er sie bei den Schultern, beugte sich zu ihr hinab und streifte ihre Lippen zart mit den seinen. Das Gefühl, das Olivera bei der Berührung übergoss, war unbeschreiblich. Heiße und kalte Schauer jagten im Wechsel ihren Rücken hinab. Sobald er die Hand in ihren Nacken legte und ihren Mund energischer mit dem seinen verschloss, trat alles um sie herum in den Hintergrund. Ohne nachzudenken, reckte sie sich ihm entgegen. Hungrig erwiderte sie seinen Kuss, öffnete die Lippen, und schon bald vollführten ihre Zungen einen wilden Tanz.

Olivera spürte die Hitze seines Körpers, als er sich an sie presste. Trotz der Wärme, die von ihm ausging, schienen seine Arme, sein Brustkorb, einfach alles an ihm wie aus Stein gemeißelt. Seine Umarmung war ein Wall, der sie vor allen Gefahren der Welt beschützen konnte. Als ihre Lippen sich erneut berührten, gingen seine Hände auf Wanderschaft. Langsam, beinahe vorsichtig, glitt seine Linke an ihrer Vorderseite hinab, bis sie schließlich ihre Brüste fand. Sanft liebkoste er sie und sorgte dafür, dass sie vor Wonne den Kopf in den Nacken legte.

»Du bist wunderschön«, flüsterte er ihr ins Ohr.

Er raubte ihr mit einem weiteren Kuss die Sinne, ehe er sich von ihr löste und sie auf das Bett zuzog. Dort angekommen, betrachtete er sie einen Wimpernschlag lang beinahe andächtig. Dann begann er, die Schnürung ihres Untergewandes zu lösen. Jedes Mal, wenn seine Fingerkuppen dabei ihre Brust streiften, durchrieselte Olivera ein weiterer Schauer. Es dauerte nicht lange, bis der störende Stoff zu Boden fiel. Ein winziger Moment der Scham ließ Olivera schützend die Hände vor ihre geheimste Stelle senken. Doch als auch Laurenz begann, sich zu entkleiden, loderte eine Erkenntnis in ihr empor: Sie wollte, dass er sie dort berührte! Sie wollte ihn spüren, riechen, schmecken und für immer eins mit ihm werden! Die Muskeln in seinem Rücken spielten, als er sich hastig Schuhe, Beinlinge und Bruch – eine weite Unterhose – abstreifte. Seine Bewegungen waren geschmeidig wie die einer Raubkatze. Ein Prickeln kroch über Oliveras Kopfhaut, und ein seltsames Pochen breitete sich zwischen ihren Beinen aus. Als er sich schließlich zu ihr umwandte, wich sie beim Anblick seiner Erregung allerdings erschrocken einen Schritt zurück.

»Keine Angst«, sagte Laurenz heiser. »Ich werde dir nicht wehtun.«

Ohne jegliche Scheu trat er wieder auf sie zu. Und dieses Mal war der Kuss wilder, hungriger als die Küsse zuvor. Eng umschlungen taumelten sie einen Schritt zurück und fielen in einem Durcheinander aus Gliedmaßen auf die weiche Matratze. Sein Mund löste sich von dem ihren, suchte ihre Brüste, ihren Bauch und schließlich wieder ihre Lippen. Während Olivera sich dem Taumel der Empfindungen hingab, stahl sich seine Hand an ihrer Vorderseite entlang zwischen ihre Beine. Als er sie schließlich dort berührte, wo sie noch niemals zuvor jemand berührt hatte, vermeinte sie, vor Lust vergehen zu müssen. All ihre Sinne schienen plötzlich auf diese eine Stelle ihres Körpers konzentriert. Nichts existierte mehr außer dem Strudel der Begierde, der sie unaufhaltsam mit sich zog. Als Laurenz schließlich weiterforschte, stieß sie einen leisen Schrei aus.

»Oh, mein Gott«, hauchte sie.

Auch Laurenz’ Atem kam inzwischen stoßweise, und plötzlich zog er die Hand zurück. »Warum hörst du auf?«, fragte Olivera verdutzt. Doch anstatt einer Antwort stemmte er die Ellenbogen neben ihr in die Kissen und senkte sich auf sie. Sobald er in sie eindrang, durchzuckte sie ein stechender Schmerz, der sie erschrocken die Luft einziehen ließ. Allerdings ebbte dieser nach kurzer Zeit ab und die Wonne kehrte zurück. Mit jeder Bewegung steigerte sich der Rausch weiter und weiter, bis schließlich etwas in Olivera zu zerschmelzen schien. Während Laurenz’ Bewegungen immer schneller wurden, ließ sie sich fallen und von vollkommener Glückseligkeit davontragen. Als Laurenz schließlich mit einem Stöhnen auf ihr zusammenbrach, hämmerte ihr Herz wild gegen ihre Rippen. Sein Puls raste ebenfalls und seine Haut war schweißnass. Obschon das überwältigende Gefühl in ihr allmählich abklang, war Olivera immer noch wie benommen.

Eine Weile lagen sie schweigend aneinandergeschmiegt da, lauschten auf den Atem des anderen. Schließlich drehte Laurenz sich auf den Rücken und zog Oliveras Kopf auf seine Brust.

»Jetzt hast du deine Schulden bezahlt«, scherzte er.

Olivera schloss die Augen. Sie sog gierig den Duft ein, der von ihm ausging. Er schlang den Arm um sie und strich ihr zärtlich über den Rücken.

»Weißt du«, sagte er irgendwann, »ich hätte nie gedacht, dass ich eine Gemahlin von dieser Reise mit nach Hause bringen würde.«

Olivera lachte. »Und ich hätte nicht gedacht, dass mich mein Vater noch dieses Jahr vermählt«, erwiderte sie.

Laurenz zog sie näher an sich, um ihr Haar zu küssen. »Das Schicksal eröffnet manchmal seltsame Wege«, orakelte er.

Olivera verkniff sich ein Grinsen. Wenn er wüsste, wie wenig das Schicksal mit ihrer Hochzeit zu tun hatte! Erfüllt und erschöpft zugleich legte sie ein Bein über seine Mitte und wünschte sich, sie könnten für immer so verweilen. Allerdings wusste sie, dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen würde. Denn in drei Tagen würde sie mit ihrem Gemahl in dessen ferne Heimat aufbrechen. Was sie dort wohl erwarten würde? Sie ignorierte das leise Aufkeimen der Bangigkeit. Mit Laurenz an ihrer Seite konnte ihr keine Unbill der Welt etwas anhaben!

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