Buch lesen: «Autochthone Minderheiten und Migrant*innen», Seite 3

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1.2 Migrant*innen und Medien
Befunde und Forschungsstand

Wird die Forschungslandschaft zum Thema Migration und Medien näher betrachtet, lassen sich mehrere Schwerpunkte bzw. Forschungsrichtungen herauskristallisieren: Die Darstellung von Migrant*innen in den Medien, die Mediennutzung von Zugewanderten sowie Rezeptionsstudien, die sich mit der Wirkung der Migrationsberichterstattung auseinandersetzen. Methodisch bzw. methodologisch kann zudem zwischen qualitativen, quantitativen und diskursanalytischen Studien unterschieden werden. Da sich die vorliegende Arbeit mit der Darstellung von Migrant*innen in Medien befasst, beschränkt sich der Forschungsüberblick aufgrund der Vielzahl an Studien vorwiegend auf diesen Schwerpunkt.

Wichtige Überblickswerke zur zum Thema Migration und Medien im deutschsprachigen Raum sind die Sammelbände und Bücher von Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges55, Georg Ruhrmann56, Urs Dahinden57, Joachim Trebbe58, Rainer Geißler und Horst Pöttker59 sowie Heinz Bonfadelli60. Internationale Beiträge zum Thema Migration und Medien und insbesondere Beiträge zur Konstruktion von Krisen durch Medien versammelt das Buch „Migrations and the Media“61 von Kerry Moore, Bernhard Gross und Terry Threadgold. Vergleiche zwischen Europa und den USA und insbesondere die Grenz-Berichterstattung zeichnet das von Giovanna dell’Orto und Vicki L. Birchfield herausgegebene Buch „Reporting at the Southern Borders“62 nach. Vorwiegend mit Diskriminierung von Migrant*innen und ethnische Minderheiten in Medien beschäftigen sich zudem die Bücher: „Medien und Fremdenfeindlichkeit“63 von Bernd Scheffer und „Feindbild Minderheit“64 von Wolf-Dietrich Bukow.

In der US-amerikanischen Forschung kann ebenfalls auf eine lange Tradition an Analysen zurückgegriffen werden. Neuere Studien konzentrieren sich zunehmend auf die Darstellung von asiatischen Minderheiten oder Migrant*innen im Allgemeinen, wie etwa das Buch „Framing Immigrants“65 von Chris Haynes, Jennifer Merolla und Karthick Ramakrishnan oder aktuelle Aufsätze in internationalen Zeitschriften.66 Ältere Untersuchungen hingegen stellen stärker die Repräsentation von African Americans in den Fokus.67

Medienanalysen, die internationale oder interlinguale Vergleiche zum Thema haben, finden sich im Vergleich zu nationalen und intralingualen Studien seltener. Am häufigsten wird der angloamerikanische Raum zum Vergleich herangezogen. Eine komparative Inhaltsanalyse deutscher und australischer Zeitungen bietet etwa Sigrid Luchtenberg68. Rodrigo Zamith69 hingegen stellt die französische und die amerikanische Presse gegenüber und Ralf Koch70 vergleicht deutsche und amerikanische Zeitungen. Eine deutsch-französische Gegenüberstellung hat Daniela Wehrstein71 durchgeführt, indem sie das Thema Islam in deutschen und französischen Pressetexten untersuchte. Vergleiche europäischer Länder finden sich hingegen bei Barbara Laubenthal72, die soziale Bewegungen illegal Zugewanderter in der Schweiz, in Frankreich und Spanien untersuchte sowie bei Thomas Niehr und Karin Böke73, die deutschsprachige Printmedien in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich nach sprachlichen Prägungen und historischen Entwicklungen durchforsteten. Eine vergleichende Studie zur europäischen Grenzregion Saar-LorLux hat Elena Enda Kreutzer74 in ihrer Dissertation durchgeführt. Ihre Arbeit betritt mit der Grenzforschung Neuland und mit einem Analysezeitraum von 1990 bis 2010 kann sie als Langzeitstudie eingeordnet werden. Kreutzer wendet jedoch für ihre Untersuchung ein Stichprobenverfahren an, womit die Repräsentativität deutlich geschmälert wird.

Während sich die Forschungsbefunde der Sammelbände und Überblickswerke von Bonfadelli, Butterwegge, Ruhrmann usw. mehrheitlich auf die Situation in Deutschland, Österreich, der Schweiz oder nordischen Ländern beziehen, ist die Forschungsliteratur zum Thema Migration in Italien recht überschaubar. Das liegt auch daran, dass erste empirische Untersuchung in Deutschland bereits in den 1970er-Jahren entstanden,75 als Italien sich erst langsam zu einem Einwanderungsland entwickelte. Erst in den letzten Jahren haben auch Analysen italienischsprachiger Medien zugenommen. Als ein wichtiges Gesamtwerk kann das 2016 von Marco Binotti, Marco Bruno und Valeria Lai erschiene Buch „Tracciare Confini. L`immigrazione nei media italiani“76 genannt werden. Die Autoren setzen sich in diesem Buch kritisch mit der italienischen Forschung zum Thema Migration und Medien auseinander und geben einen Überblick über das gesamte Spektrum der Repräsentation von Migrant*innen in italienischsprachigen Medien. Insbesondere Marco Bruno hat sich auch in unzähligen Aufsätzen und Buchbeiträgen mit dem Migrationsthema befasst.77 Ebenfalls sind seit 2010 mehrere italienisch- bzw. englischsprachige Aufsätze mit Medienanalysen in Italien veröffentlicht worden.78

Betrachtet man die Forschungslage zum Thema Medien – und im Besonderen Zeitungsanalyse – in Südtirol, können einzelne Publikationen einen Leitfaden bieten. Die Koordinierungsstelle für Integration hat in ihrem Jahresbericht 2013 „Einwanderung und Südtirol“79 beispielsweise eine Medienanalyse zum Ausländerbild durchgeführt. Analysiert wurden insgesamt 217 Artikel der Alto Adige und 199 Artikel der Dolomiten. Das daraus entstandene Kapitel schließt mit dem Fazit, dass „keiner der untersuchten Artikel bewusst rassistische Elemente (enthält), allerdings können auch eine unbewusste bzw. nicht durchdacht und unsensible Wortwahl, wie sie häufig vorkommt, zur Verzerrung und somit zu Vorurteilen bzw. Ängsten bei den Lesern führen“80. Die Analyse kann jedoch keine historische Entwicklung und keine Muster aufzeigen, weshalb sie für die vorliegende Studie wenig aussagekräftig ist.

Im Folgenden werden die wichtigsten Forschungsergebnisse der oben angeführten Literatur grob zusammengefasst sowie kritisch reflektiert:

Es wird überwiegend negativ über Migrant*innen berichtet

Die Erkenntnis, dass Medien Migrant*innen in einer überwiegenden skandalisierenden und diffamierenden Weise präsentieren, ist in unzähligen Standardwerken angeführt.81 Demzufolge werden nach dem Motto only bad news are good news in den Medien vorwiegend negative und skandalöse Nachrichten verbreitet. Der Schwerpunkt bei der Nachrichtenbeschaffung liegt auf der Aktualität und ist damit durch Punktualität und inhaltliche Reduktion gekennzeichnet.82 Laut Rainer Geißler hat dieser Negativismus mehrere Facetten: 1) Neu Zugewanderte bedrohen die öffentliche Sicherheit 2) Migrant*innen kosten den Steuerzahler*innen Geld, belasten das soziale Sicherungssystem sowie die öffentlichen Haushalte 3) Migranten sind Problemgruppen, sie machen Probleme und haben selbst viele Probleme.83 Dazu kommt die quasi natürliche Verbindung mit Schwerpunkten wie Drogenhandel, Gewalt, Prostitution und Kriminalität, womit der Eindruck erweckt werden kann, dass diese Themen selbstverständlicher Bestandteil der Lebenswelt von Migrant*innen sind.84

Gegen diese Erkenntnis lassen sich aber auch Einwände einbringen. Viele der genannten Untersuchungen liegen bereits eine längere Zeit zurück und entsprechen nicht mehr den derzeitigen Vorkommnissen. Zudem klammern die meisten Untersuchungen aus, dass es sehr wohl eine positiv konnotierte Wahrnehmung von Migrant*innen in Medien gibt und vor allem in Tageszeitungen ein bewusst ausgewogenes Bild von Migrant*innen gezeichnet wird – ganz im Auftrag von Friedensstiftung und Friedenserhaltung.

Das heißt, Medien geben durchaus positive und vorurteilsfreie Nachrichtenmeldungen wieder, weshalb der Vorwurf an die Medien, sie würden das Thema Migration durchwegs problematisieren, etwas zu kurz greift.85

Trotzdem muss auch die bewusste Fremdenfreundlichkeit in den Medien kritisch reflektiert werden. Bernd Scheffer86 kritisiert in seinem Aufsatz, dass fremdenfreundliche Medienpraxis offenbar nur dann besonders effektiv zu sein scheint, wenn diese die fremdenfeindliche Praxis mit ihren eigenen Mitteln schlägt – sprich stark emotional besetzt und ähnlich unreflektiert ist. Denn auch hier gilt: Sensationalisierung, Polarisierung und Emotionalisierung verkaufen sich besser als die Darstellung eines normalen Alltags.87 Anita Moser spricht in diesem Zusammenhang von positiver Diskriminierung. Migrant*innen werden dabei als gute und fähige Menschen dargestellt, die das Idealbild eines gut integrierten Menschen widerspiegeln.88 Die Wahrnehmung von Migrant*innen als normaler Bestandteil der Gesellschaft ist durch die Rezeption von Medien nach wie vor nicht möglich.

Migrant*innen werden überrepräsentiert versus marginalisiert

Priska Bucher und Andrea Piga kommen in ihrem Aufsatz „Medien und Migration – ein Überblick“89 zum Fazit, dass Migrant*innen in Medien deutlich unterrepräsentiert sind, sprich zu wenig über Zugewanderte geschrieben wird. Auch Heinz Bonfadelli90 und Margret Lünenborg91 kommen zur selben Schlussfolgerung. Andererseits hebt Ruhrmann hervor, dass bestimmte ethnische Gruppen in den Medien deutlich überrepräsentiert werden. In diesem Zusammenhang nennt Ruhrmann Menschen türkischer Herkunft, über die in den 1980er-Jahren in deutschen Medien häufiger berichtet wurde als über Migrant*innen anderer Herkunft. Damit wurde eine verzerrte Häufigkeit von Migrant*innen gezeichnet.92 Auch Gabriel Weimann93 ist zum Schluss gekommen, dass bestimmte Gruppen von Zugewanderten in den Medien deutlich mehr Aufmerksamkeit erhalten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entsprechen würde. Diese Aufmerksamkeit richtet sich an erster Stelle gegen Gruppen, die als unerwünscht gelten. Dazu zählt Weimann Menschen türkischer Abstammung sowie Personen aus afrikanischen und arabischen Ländern.

Befunde von Analysen italienischsprachiger Medien deuten zudem auf eine Überrepräsentation von Migrant*innen in der sogenannten cronaca nera hin, sprich jenem Teil der Zeitung, in dem Verbrechen und Kriminalitätsfälle aufgelistet werden.94 Beide Schlussfolgerungen, sowohl jene der Marginalisierung als auch jene der Überrepräsentation, stehen dabei nicht zwangsläufig im Widerspruch. In der bloßen Erwähnung sind Migrant*innen unterrepräsentiert, insbesondere in nicht problematisierenden Berichterstattungen. Zudem werden ihnen kaum Artikulationsmöglichkeiten zugestanden.95 Diese passive Rolle, in die Migrant*innen durch Medien gezwängt werden, unterstreicht nach Ruhrmann und Sommer zudem die politische Einflusslosigkeit von Menschen mit Migrationsgeschichte.96 Medien tragen also deutlich dazu bei – so Erol Yildiz97 – welche Diskurse dominant sind und in welchen Migrant*innen marginalisiert werden. So sind Migrant*innen etwa in bestimmten Diskursen überrepräsentiert – wie etwa im Kriminalitätsdiskurs –, und in anderen Diskursen – wie etwa Alltagsdiskursen – unterrepräsentiert.98

Kritisch angemerkt werden muss jedoch, dass die Beurteilung der Repräsentation von Migrant*innen prinzipiell schwer objektiv festlegbar ist.99 Viele Studien beschränken sich auf die Untersuchung der Wahrnehmung ganz bestimmter ethnischer Gruppierungen oder ziehen (problematische) Ereignisse als Untersuchungsgegenstand heran. Dies kann dazu führen, dass die Normalität, die durchaus auch in den Medien zu finden ist, verloren geht.100

Kriminalisierung von Migrant*innen

Laut Bucher und Piga werden Migrant*innen nebst den Bereichen Wirtschaft und Politik häufig im Zusammenhang mit Kriminalität thematisiert, wohingegen über ihren Lebensalltag wenig berichtet wird. Ebenfalls Meldungen über geglückte Verständigung bzw. geglückte Integration fehlen vielfach.101 Auch Geißler102 und Ruhrmann103 bestätigen die auffällig häufige Verbindung von Kriminalität und Migration und verweisen auf die Rolle der Ethnizität, die besonders in der Kriminalitätsberichterstattung über Migrant*innen eine Rolle spielt, auch wenn es dafür keinen augenscheinlichen Grund gibt. Susanne Spindler hält fest, dass Medien im Hinblick auf Kriminalität und Gewalt als Verkünder der öffentlichen Moral fungieren. Sie zeigen auf, was gut und was als böse zu beurteilten ist. Sie stellt dabei fest, dass abweichendes Verhalten von Zugewanderten häufig mit dem „Migrationshintergrund“ in Zusammenhang gebracht wird.104 Analysen italienischsprachiger Zeitungen haben zudem ergeben, dass im letzten Jahrzehnt die Meldungen in den cronaca nera zugenommen haben und dass es einen großen Unterschied zwischen der Repräsentation von Kriminalitätsfällen und der realen Kriminalität von Menschen mit Migrationsgeschichte gibt.105 Zu einem vergleichbaren Ergebnis kam auch Georg Ruhrmann 2005 in Bezug auf deutschsprachige Medien. Ihm zufolge hat sich das Thema Kriminalität in der Berichterstattung verdoppelt, obwohl sich die reale Kriminalität nicht in dieser Form entwickelt hat.106

Dualismus

Christoph Butterwegge kam zur Schlussfolgerung, dass die Art und Weise, wie die Medien über Migrant*innen berichten, eine Hierarchie geschaffen hat, wonach bestimmte Gruppen von Ausländer*innen als Fremde, andere jedoch willkommen Gäste sind. In der Lokalpresse sei dieser Dualismus besonders stark ausgeprägt. Auf der einen Seite befinden sich die „Elitenmigration“, von der man sich generell Vorteile verspricht und auf der anderen Seite die „Elendsmigration“, die als überaus problematisch beobachtet wird.107 Auch Susanne Spindler zeigt auf, dass positive Berichte oft in Verbindung mit „Expertenmigration“ stehen, sprich Migrant*innen, die für die lokale Wirtschaft gebraucht werden und somit einen Nutzen für die Gesellschaft darstellen.108 Die als gute Migrant*innen wahrgenommenen Menschen werden jedoch strikt von anderen Zugewanderten getrennt, die als Gefahr für die soziale Sicherheit betrachtet werden.109

Warum Medienanalysen einer Kontextualisierung bedürfen

Werden die Forschungsbefunde zum Thema Migration und Medien zusammengetragen, lässt sich feststellen, dass das Sprechen über Migration über die Grenzen hinweg – oberflächlich betrachtet – nach denselben Mustern verläuft. Man könnte selbst den Eindruck gewinnen, dass es keine Rolle spiele, im Rahmen welcher gesellschaftlicher sowie politischer Kontexte die Berichterstattung über Migration stattfindet oder wie viele Migrant*innen in einem Gebiet leben, in dem Medien über Migration berichten. Dies entspräche auch der gängigen Vorstellung, dass Medien neue Wirklichkeit und damit Nationalismus und Rassismus erzeugen.

Bezieht man jedoch die gesellschaftlichen und politischen Kontexte in die Analysen ein, so spiegeln sich in der Berichterstattung über Migration stets Denkund Argumentationsweisen wider, die in der Gesellschaft bereits existieren. Dies zeigt sich vor allem durch regionale Spezifika, die sich wesentlich auf das Sprechen über Migration auswirken. Das heißt, Gesellschaft, Politik und Medien bedingen sich – auch im Migrationsdiskurs – gegenseitig und gerade wegen lokaler Eigenheiten.

Bei einem Großteil der in diesem Kapitel angesprochenen Medienanalysen handelt es sich um Inhaltsanalysen oder speziell im amerikanischen Raum um Framinganalysen110, die nicht nach dem Kontext fragen, in dem Medieninhalte entstanden sind. Arbeiten mit kommunikations-, medienwissenschaftlichen oder sprachwissenschaftlichen Ansätzen ziehen selten politische, kulturelle und historische Hintergründe mit ein, in denen mediale Inhalte entstanden sind. Doch die Bedeutung von Sprache entsteht nicht in ihrem Gebrauch, sondern erst in Verbindung mit relevantem Kontext. Um komplexe soziale Probleme zu erforschen, ist es notwendig, den Kontext als Teil der Analyse zu begreifen, da sonst sprachliches Verhalten missinterpretiert werden kann.

Eine Ausnahme bilden beispielsweise die Arbeiten von Ruth Wodak, Bernd Matouschek sowie Martin Reisigl, auf die im Abschnitt Migration und Diskurs noch näher eingegangen wird. Mit dem Ansatz der diskurshistorischen Analyse, die insbesondere die Integration von Text und Kontext hervorhebt, plädieren die Autoren für eine multidimensionale Dekonstruktion von Sprache und Argumentationen, indem jegliche verfügbare Informationen zu historischen Hintergründen, in dessen Rahmen Diskurse entstehen, in die Analyse eingebettet werden.111

Der Einfluss der Medien auf die Wahrnehmung von Migration und die Rolle der Politik

Niklas Luhmann schrieb 1996: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“112 Es ist heute eine unumstrittene Tatsache, dass Medien einen deutlichen Einfluss darauf haben, welche Frames und welche Argumentationen den Diskurs über Menschen anderer Herkunft bestimmen. Wie sehr der Alltagsdiskurs von Mediendiskursen gespeist ist, verdeutlichen die Untersuchungen von Siegfried Jäger, der in seinem Buch „BrandSätze. Rassismus im Alltag“113 Alltagshaltungen mithilfe von Interviews untersuchte. Jäger resümiert, dass die Befragten nicht nur Begriffe, sondern auch Argumentationen wortwörtlich von Medien übernahmen, insbesondere dann, wenn sie komplexere Zusammenhänge erklären sollten. Medien sind deshalb nicht nur informierend, sondern im weitaus größeren Maß bewusstseinsbildend.

Es geht aber nicht nur darum, was Medien berichten, sondern auch wie. Medien stehen eine Reihe von Konzepten zur Verfügung, wie sie Migration auf die Tagesordnung bringen können. So kann zum Beispiel eine Nachrichtenmeldung über eine Migrationsreform das Konzept der erhöhten wirtschaftlichen Kosten enthalten. Gleichzeitig kann die Nachrichtenmeldung aber auch ein positiveres Konzept vermitteln, indem hervorgehoben wird, dass mit der Reform die Trennung von Familien verhindert wird.114 Aus diesem Grund können Medieninhalte auch nie als „einfache Wiederspiegelungen und Abbilder einer beobachterunabhängigen Wirklichkeit“115 betrachtet werden. Sie liefern nie nur reine Abbildungen oder Beschreibungen als solche.116 In diesem Zusammenhang wird auch von konstruierter Realität oder einfach Medienrealität gesprochen.117

Medienberichte sind oft einseitig, ungenau und verzerrt. Auch politische Nachrichten präsentieren eine Politik-Illusion, wenn sie sich auf prominente Personen und auf die Meinung bestimmter Parteien konzentrieren.118 Massenmedien als Spiegel der Wirklichkeit zu betrachten, ist also mehr als naiv, trotzdem eine notwendige Sichtweise. Wir haben für viele Realitätsbereiche keinen anderen Zugang zur Wirklichkeit als über Medien. Die Medienrealität hat für die Gesellschaft einen vergleichbar objektiven Wert, wie es die individuelle Weltanschauung hat. So wie wir in unserer Wahrnehmung begrenzt sind, sind Medien in ihrer Darstellung von Realität begrenzt. Wichtig ist deshalb, Medien als „informationsverarbeitende Systeme“ zu begreifen – sie bewerten, selektieren, interpretieren und entwerfen ein Bild der Welt, das für die Bedürfnisse der Rezipient*innen zugeschnitten ist.119

Darüber hinaus ist die journalistische Praxis beeinflusst von Interessen sozialer, politischer oder kultureller Institutionen.120 Das heißt, Medieninhalte werden stets von unterschiedlichen Interessen (Redaktion, Zielpublikum, Wirtschaft und Politik) gelenkt. Im quellenkritischen Umgang mit Medieninhalten stellen sich deshalb Fragen nach der Herkunft der Nachricht, nach Kriterien der Auswahl sowie nach der Kondensierung der ausgewählten Nachricht.121 Aus diesem Grund müssen Medien als Quelle indirekter Erfahrung gesehen werden, denn die Informationen, die durch Medien über Migrant*innen vermittelt werden, strukturieren die Vorstellung der Rezipient*innen und bestätigen bereits vorhandene Ansichten und Vorurteile.122

Insbesondere Politikerinnen und Politiker haben ein beständiges Interesse daran, ihre Argumentationen in der Presse zu verlauten. Denn für politische Parteien ist die Fremddarstellung politischer Botschaften in den Medien eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Form der Kommunikation mit der Bevölkerung. Menschen, die in der Politik tätig sind, beliefern Medien nicht selten mit Eigendarstellungen. Christiane Eilders123 hat festgestellt, dass Parteien und Verbände in übermäßigen Anteilen in den Medien vertreten sind, während andere Gruppen wie Kirchen oder zivilgesellschaftliche Vereine unterrepräsentiert sind.124 Nicht alle Parteien und politischen Akteur*innen werden in den Medien zu gleichen Teilen präsentiert. Weniger bekannte Politiker*innen und schwächere Parteien sind häufig – selbst wenn sie großartige Arbeit leisten – in den Medien marginalisiert.125

Es obliegt den Medien, zu entscheiden, was als veröffentlichungswürdig erachtet wird und wie viel Aufmerksamkeit sie einer Person oder einer Thematik schenken. Dijk stellte fest, dass üblicherweise führenden Politiker*innen – insbesondere bei Konflikten – um ihre Meinung gefragt werden, selbst wenn diese eine Minderheitenmeinung vertreten. In Nachrichtenmeldungen über Migrant*innen müssten im Sinne einer ausgewogenen Berichterstattungen jedoch auch die Meinungen wichtiger und kompetenter Vertreter*innen dieser kleineren Gruppen berücksichtigt werden, was aber meistens nicht der Fall ist.126 Diese Art der Berichterstattung wirkt wiederum auf das politische Handeln ein, denn je größer die Aufmerksamkeit der Presse, desto höher ist die Bedeutung des Themas in der Bevölkerung und dadurch wiederum für die Politik.127 Nick Couldry zum Beispiel argumentierte, dass Medien wie eine Art Metafeld funktionieren, da sie andere Bereiche, wie etwa die Politik, deutlich beeinflussen können.128 Die Beziehung zwischen Medien und Politiker*innen kann also als bidirektional verstanden werden. Medien formen die öffentliche Meinung, um politische Entscheidungen zu legitimieren, und spiegeln damit die Interessen der etablierten Elite wider. Gleichzeitig treiben Medien aber auch die politische Entscheidungsfindung voran, indem sie öffentliche Meinung zu Politiker*innen formen, die darauf reagieren müssen.129 Diese öffentliche Meinung ist jedoch zumeist nichts anderes als eben eine politische Meinung. So beschreiben Brigitta Busch und Michał Krzyzanowski130 die Beziehung zwischen dem Feld der Politik und dem Bereich der Medien als eine Kette der Re-Kontextualisierung, die in zwei Richtungen erfolgt: vom politischen Diskurs in die Medien (z. B. durch das Zitieren von Reden und andere politische Stellungnahmen) und von den Medien wiederum in den politischen Diskurs (z. B. Politiker*innen zitieren Medien als öffentliche Meinung, obwohl sie ihre eigenen in den Medien abgedruckten Statements zitieren).

Mit einer derartigen Einflussnahme und Agenda-Setting Funktion stehen die Medien unter besonderem Interesse bei der Ermittlung von Immigrationsdiskursen, denn sie sind das Zentrum der Repräsentation von Migration und versammeln Informationen, die in Feldern wie Politik, Recht, Bildung und Alltag entstanden sind.131