Buch lesen: «Wohlstand, Demokratie und weiter?», Seite 3

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Wettbewerb um Wachstum

Die Wirklichkeit ist komplex und manchmal kann es helfen, sich Zusammenhänge an einem vereinfachten Modell klarzumachen. Stellen wir uns dazu eine fiktive, frühmittelalterliche Gesellschaft vor. Die Menschen leben in Siedlungen und betreiben hauptsächlich Landwirtschaft, Handwerk gibt es auch. Man kommt über die Runden, hätte aber gerne manchmal etwas mehr und die Arbeit ist mühsam. Was tun? Da fällt einem ein, dass um das Nachbardorf herum das Wetter im letzten Jahr doch viel besser war. Ungerecht, die sollen etwas abgeben! Es wird eine Truppe von schlagkräftigen Kerlen zusammengestellt, Mistgabeln und Keulen finden sich auch. Das Ganze wird zu einem vollen Erfolg und man beschließt, diese Art des Erwerbs auszubauen. Es wird also dauerhaft eine Truppe von Raubrittern abgestellt, unter Waffen gehalten und trainiert. Nach und nach ziehen die anderen Siedlungen nach, sei es, weil sie auch etwas dazu verdienen wollen, sei es, weil sie sich schlicht und einfach gezwungen sehen, sich zu verteidigen. Am Ende hat jede Siedlung eine Truppe unter Waffen, die sich an der Produktion nicht beteiligt, aber unterhalten werden muss. Die Menschen verstehen im Laufe der Zeit, dass die Situation insgesamt schlechter geworden ist, aber wie da wieder herauskommen? Nötig wären Verhandlungen und da sind da ja auch noch die Raubritter, die gar keine Lust haben, wieder hart zu arbeiten und drohen, sich selbstständig zu machen.

Zurück zur Wirklichkeit: Auch hier geht es für Gemeinschaften, in erster Linie Staaten, aber z. B. auch Gemeinden, nicht nur darum, Produktion durch Effizienz zu steigern, sondern auch darum, diese von woanders herzuholen oder die eigene dazuhalten. Anders als im Mittelalter-Modell sind die Grenzen dabei fließend, aber man kann sagen, wo sie klar überschritten sind. Das war der Fall, wenn z. B. Monaco hochkarätige Spitzensportler mit extrem niedrigen Steuersätzen lockte. Jetzt kann Otto Normalverbraucher in der Regel seinen Wohnsitz nicht mal so einfach verlegen wie Boris Becker und Co, für Unternehmen ist das aber schon wieder einfacher, besonders wenn der Umzug nur auf dem Papier bzw. Briefkasten stattfindet. An dieser Stelle fallen einem die Cayman Islands, Luxemburg oder Panama ein. Andere Staaten haben aber auch kräftig an der Schraube der Unternehmenssteuern gedreht, sei es, um selber mitzumischen, oder sei es, um den eigenen Standort notgedrungen zu verteidigen. Vielleicht ist auch im Rahmen der Verteidigung die eine oder andere Schraube etwas überdreht worden. Staaten liefern sich also einen ruinösen Wettbewerb bei den Steuern, mit denen sie bei den Unternehmern einen Teil der Produktion abschöpfen, um ihre Aufgaben zu finanzieren. Ebenfalls einen Einfluss hat der Wettbewerb um Produktion auf die Entscheidungen über Maßnahmen zur Eindämmung der Nebenwirkungen der Produktion: In einem weniger regulierten Land mit unterentwickeltem Arbeiter- und Umweltschutz lässt sich eben mehr Gewinn machen. Als Beispiele für Faktoren des Wettbewerbs, wo es i. A. nicht um Raubrittertum geht, sei hier erinnert an eine effiziente Verwaltung und eine leistungsfähige Infrastruktur.

Zusammenfassende Betrachtung

Produktion ist nicht gleich dem Wohlergehen, aber eine Grundvoraussetzung dazu. In dem Maße, in dem eine Gesellschaft sich weiterentwickelt, technologisch, aber auch kulturell, kann auch die Produktion nachhaltig wachsen und dabei das Wohl steigern. Aufgrund von Unsicherheiten über die Folgen von Technikanwendungen in der Produktion und über die technischen Möglichkeiten in der Zukunft lässt sich aber nicht sicher sagen, was wie nachhaltig ist, sondern es wird, mehr oder weniger bewusst, ein gewisses Risiko eingegangen. Maßnahmen zum nachhaltigen und gerechten Wachstum sind insbesondere Verbote und Ausgleichsabgaben nach dem Verursacherprinzip. Die Gestaltung dieser Maßnahmen steht in einem Spannungsfeld mit dem Wettbewerb der Staaten um Anteile der Produktion und mit dem Bemühen, Wachstum zu erreichen. Die Notwendigkeit dazu ergibt sich im gegenwärtigen Wirtschaftssystem zum einen, um Automatisierung durch Mehrproduktion auszugleichen, um wiederum Arbeitsplätze zu erhalten. Zum anderen wird Wachstum als notwendig gesehen, um Schulden im Rahmen zu halten, die nicht zuletzt entstanden sind bei dem Versuch, Wachstum zu steigern. Der so im Wirtschaftssystem angelegte permanente Wachstumszwang legt die Vermutung nahe, dass bei der Steuerung der Produktion im Allgemeinen zu sehr in das Risiko gegangen wird, dass also bei der Festlegung von Verboten und Ausgleichszahlungen die Schäden durch die Produktion unterbewertet und dass die technischen Möglichkeiten in der Zukunft überschätzt werden. Lenkungsmaßnahmen zur gleichmäßigeren Verteilung von Arbeit wären ein möglicher Ansatz, um der Notwendigkeit von Wachstum aufgrund von Automatisierung zu begegnen. Auch eine Berücksichtigung der durch die Produktion entstandenen Schäden im Produktionsindikator wäre ein Schritt zu mehr Nachhaltigkeit.

Teil 2: Wirtschaft und Gesellschaft – Kapitel: Banken

Ging es Ihnen vielleicht auch so? Bis etwa 2008 nutzte ich Banken für Überweisungen und ein wenig Anlage, ansonsten spielten diese keine große Rolle für mich. Dann kam der Lehman-Crash und die Krise nahm ihren Lauf. Auf einmal wurde man ständig mit diesen ganzen Begriffen konfrontiert wie Hypothekenblase, faule Kredite, systemrelevant, Bankenrettung, Bad Bank, Bankenrun, Schattenbanken, Ratingagenturen, usw. und es wurde schlagartig klar, dass Banken und die Finanzbranche insgesamt nicht einfach nur irgendwelche Aufgaben erfüllen, sondern, dass auch bedeutende Gefahren für die gesamte Gesellschaft von ihnen ausgehen können. Was hat man seitdem getan? Welche Konsequenzen hat man gezogen? Wurden geeignete Maßnahmen ergriffen, um solche Gefahren für die Zukunft auszuschließen? Schauen wir uns dazu etwas genauer an, was eigentlich passiert ist: Zunächst mal gab es Finanzkrisen schon häufiger im Laufe der Geschichte, nicht zuletzt wurde ja 2008 immer wieder an 1929 erinnert und Maßnahmen damit begründet, eine solche Krise wie damals unbedingt vermeiden zu müssen. Infolge der Krisen hat man diverse Regeln aufgestellt, um der Gefahr solcher Fehlentwicklungen zu begegnen. Etwa Mitte der 80er Jahre befanden dann die britische Premierministerin Maggie Thatcher und der ehemalige Schauspieler und damalige US-Präsident Ronald Reagan, dass die Banken zu stark reguliert seien und gaben der Finanzbranche mehr Freiheit, um so das Wachstum anzukurbeln19. Die Branche funktionierte damals grundsätzlich, es gab keine generelle Kreditklemme. Insofern waren zwei Auswirkungen zu erwarten: Zum einen ein Wachstum einfach der Finanzbranche selber, was von zweifelhaftem Wert für die Gesellschaft wäre, denn was bringen mehr Finanzdienstleistungen als genug? Nutznießer wären in so einem Fall wohl in erster Linie Akteure der Banken. Der belgische EU-Abgeordnete Phillipe Lamberts zog später zum Vergleich weiße Blutkörperchen heran20: Sie sind notwendig, aber wenn sie sich unkontrolliert vermehren, ersticken sie gleich einem Krebsgeschwür den Rest des Körpers. Zum anderen könnte ein Ziel mehr privat finanziertes Wachstum auf Pump gewesen sein. Nicht die Staaten sollten sich verschulden, um die Wirtschaft anzukurbeln, sondern stärker der Privatsektor. Damit wäre der Staat die Verantwortung für die Schulden los und überhaupt könne doch so der Markt die Dinge viel besser regeln als der Staat, so mag der Gedankengang gewesen sein. In der Folge wuchsen die Banken und andere Staaten zogen nach bei der Deregulierung, Deutschland noch Anfang der 2000er unter Rot-Grün. Und die Banken wuchsen nicht nur, sie veränderten sich auch. Langsam und für Außenstehende unmerklich, aber doch wirksam. Sehr eindrucksvoll beschreibt das Greg Smith21 in seinem Buch Die Unersättlichen am Beispiel von Goldman-Sachs, wo er bis 2012 gearbeitet hat: Gab es zu Beginn seiner Karriere bei der Bank noch den Ethos, im Sinne der Kunden zu arbeiten und an deren Profiten teilzuhaben, etwa durch Provisionen bei Vermittlung guter Anlagen und außerdem Vertrauen aufzubauen und so auf langfristige Geschäftsbeziehungen zu setzen, so wandelte sich das Geschäftsmodell immer mehr dahin, dass möglichst schnell möglichst viel Gewinn erzielt werden sollte, egal wie. Da wurde den Kunden, institutionelle Anleger von z. B. Pensionsfonds, dann ohne Rücksicht auf deren Verluste verkauft, Hauptsache, die Provisionen stimmten. Auch konnte der Eigenhandel der Bank in Konkurrenz zu den Kundeninteressen geraten. Eigentlich müsste doch so ein Gebaren durch Reaktion des Marktes recht schnell zum Zusammenbruch der Bank führen. Tat es aber offensichtlich nicht, stattdessen wuchsen die Geschäfte und mit ihnen die Einkommen der Banker von Goldman und anderen Banken enorm. Es schien für die Konkurrenz doch lukrativer zu sein, selber den schnellen Dollar zu machen, anstatt Kunden durch Seriosität zu werben. Ein wenig Intransparenz tut das Übrige. Hier zeigt sich ganz deutlich ein Marktversagen.

Die Subprime-Krise: der Anfang

Dieser Wandel der Banken, im Zusammenspiel mit den unter Alan Greenspan immer weiter gesenkten Leitzinsen führte dann zur als Subprime-Krise bekannt gewordenen Hypothekenblase in den USA, dem wahrscheinlichen größten Schneeballsystem der Geschichte bislang. Das ging so: Die Banken machten es den Leuten einfacher und einfacher, privaten Wohnraum zu erwerben, indem sie die Anforderungen an die Bonität der zukünftigen Hauseigentümer senkten. Sie vergaben dazu die notwendigen Kredite bei immer weniger Eigenkapital und prüften immer weniger die Bonität der Immobilieninteressenten. Später wurden dann im Gegenteil die Kunden sogar aktiv zu solchen Krediten gedrängt, die sie gar nicht zurückzahlen konnten. Malte Heynen berichtet in Der Raubzug der Banken etwa von einem mexikanischen Einwanderer, der gar nicht verstand, dass in dem auf Englisch verfassten Kreditvertrag unter anderem geschrieben stand, dass er Inhaber einer Firma für Landschaftsbau sei und dass seine beteiligte Tochter, in Wirklichkeit in einer Nudelfabrik tätig, als Inhaberin einer Reinigungsfirma 5 700 Dollar im Monat verdiene. Es wurden auch Kreditverträge abgeschlossen, bei denen die Raten eine Zeit lang noch nicht mal die Zinsen abdeckten, die Schulden also stiegen. Das alles führte zu einer hohen und immer höheren Nachfrage nach Immobilien, die die Baufirmen so schnell nicht bedienen konnten. In der Folge stiegen auch die Nachfrage nach und damit die Preise von schon bestehenden Häusern. Konnten die Schuldner dann ihre Raten nicht zahlen, war da für die Bank ja das jetzt noch wertvollere Haus als Sicherheit, sie konnten also nicht verlieren. Hausbesitzer, die solider geplant hatten und ihre Raten zahlen konnten, erlebten, wie der Wert ihres Hauses stieg und stieg. Sie konnten daher weitere Kredite auf das Haus als Hypothek aufnehmen und taten das häufig genug auch, von den Banken ermutigt. Jetzt war auf einmal noch ein luxuriöser Whirlpool oder die lang erträumte Urlaubsreise möglich geworden. Es wurde also nicht nur die Bauindustrie angekurbelt.

Das System läuft insgesamt wunderbar, insbesondere die Gewinne der Banken wachsen. Und mit den Gewinnen der Banken die Boni der Banker. Die haben also durchaus Grund, das System am Laufen zu halten und weiter anzuheizen. Also noch mehr Kredite vergeben, dazu noch weniger auf Bonität achten und so weiter. Es gibt nur ein Problem: Was ist, wenn die Immobilienpreise nicht mehr steigen? Das muss passieren, denn zum einen wächst aufgrund der Nachfrage die Bauwirtschaft ja, baut also immer schneller und kann irgendwann die Nachfrage erfüllen. Land gibt es ja genug. Zum anderen gibt es immer mehr Wohnraum und irgendwann wird auch so die Nachfrage befriedigt. Das wissen auch die Banken. Zumindest diejenigen unter ihnen, die die Kredite an nicht-bonitäre Schuldner vergeben haben. Daher verkaufen sie die Forderungen aus den Kreditverträgen, und zwar mit einem Abschlag an andere Banken. Damit sich so ein Geschäft lohnt, werden die Forderungen aus vielen Krediten, ganz unterschiedlicher Güte, zusammengepackt zu Paketen, man spricht dabei von Verbriefung. Dieses Paket lässt man dann von einer Ratingagentur auf Bonität prüfen. Und da man die Ratingagentur ja selbst bezahlt, schaut die sich hauptsächlich die guten Kredite in dem Paket an und vergibt dann ein gutes Prädikat für das Paket. Das heißt, das Risiko, dass wesentliche Teile der Kredite nicht zurückgezahlt werden, wird als sehr gering eingestuft. Eine weitere Bank, die jetzt so ein Paket kauft, prüft aufgrund des Ratings selber nicht mehr und glaubt, ein gutes Geschäft gemacht zu haben, oder sie verkauft das Paket weiter, mit einem weiteren Abschlag, so dass diese faulen Kredite in alle Welt verteilt werden22.

Noch weiter aufgepumpt wurde die Blase durch Kreditausfallversicherungen, wie sie eine Abteilung der American International Group (AIG) unter der Leitung von Joe Cassano23 vergab. An sich eine sinnvolle Sache, wenn damit Risiken vernünftig verteilt werden. Überhaupt nicht sinnvoll, und nichts weiter als eine Kasino-Zockerei mit Brandbeschleunigerwirkung, wenn solche Versicherungen an Leute verkauft werden, die mit dem versicherten Kredit gar nichts zu tun haben, wie bei AIG geschehen. Zum Vergleich: Wenn jemand eine Hausratsversicherung auf ein fremdes Haus abschließen könnte, hätte er ein Interesse an z. B. einem Einbruch. Den Briefkasten mit Werbung vollstopfen, wenn die Hausbesitzer im Urlaub sind, könnte da ja ein wenig helfen. Briefkästen in diesem Sinne bietet der Finanzmarkt auch. Aber auch dort, wo Banken ihre bestehenden Kreditforderungen versicherten, entfaltete sich die verheerende Wirkung: Die Abnehmer solcher Versicherungen, wie etwa die Commerzbank, mussten für die gehaltenen und versicherten Kredite dank vorangegangener Deregulierung deutlich weniger Eigenkapital bereithalten. Im Falle einer Insolvenz würde ja AIG zahlen. Ein Problem war dabei zu erwarten, wenn aufgrund eines Systemfehlers, den es ja gab, zu viele Kredite ausfallen würden, so dass die von AIG gebildeten Rücklagen nicht ausreichten. Tatsächlich bildete AIG viel zu wenig, teilweise sogar gar keine Rücklagen für die übernommenen Risiken, auch ermöglicht durch vorangegangene Deregulierung. Die Prämien für die Versicherungen konnten damit zum Großteil direkt als Gewinn verbucht werden und damit wiederum wurden fürstliche Gehälter bezahlt: Cassano selber erhielt bei AIG insgesamt über 300 Millionen Dollar24.

Wie gesagt, irgendwann kommt eben der Punkt, wo es nicht mehr weiter geht, die Häuserpreise steigen nicht mehr, es finden Zwangsräumungen und -Verkäufe statt, zuerst bei den Schuldnern, die ihre Raten gar nicht bezahlen können. Und aufgrund des somit steigenden Angebotes fallen die Immobilienpreise weiter. Irgendwann trifft es dann auch eigentlich solvente Schuldner, z. B. weil jetzt weniger Whirlpools verkauft werden und deswegen jemand weniger Gehalt bekommt oder insbesondere auch, weil die Baubranche wieder schrumpft und Arbeitskräfte entlässt, es entsteht eine Abwärtsspirale, die Blase platzt. Während für Insider dies schon länger abzusehen war, haben z. B. einige deutsche Landesbanken noch sehr spät zugegriffen und hielten damit die faulen Kredite, als der Schneeball kollabierte. Diesen Punkt markierte in der Öffentlichkeit der Zusammenbruch von Lehman Brothers. Aus dem schlechten Abschneiden der Landesbanken wurde in Deutschland gerne gefolgert, dass der Staat eben nicht der bessere Banker sei. Andererseits wurden die Sparkassen, die auch staatliche Geldhäuser sind, als Beispiel für gute Banken gesehen, schließlich waren die kaum in die Subprime-Blase verstrickt. Ein Widerspruch? Nicht wirklich, denn beide Argumente sind etwas oberflächlich. In den Landesbanken hatte man einfach irgendwann das Dollarzeichen in den Augen und entschied sich daher, das eigentliche Geschäftsmodell zu erweitern und so Gewinn zu machen. Der Durchblick fehlte dort offensichtlich, aber andererseits haben die Landesbanken die Blase auch nicht so aktiv und teilweise sehenden Auges angeheizt wie die Investment-Banken, die die toxischen Kredite zu Paketen gebündelt und weitergereicht haben. Die Deutsche Bank spielte dabei ganz vorne mit: 2007 belegte sie Platz 3 unter den größten Ausstellern von verbrieften Immobilienkrediten. Schuster bleib bei deinem Leisten wäre den Landesbanken wohl gut bekommen. Letzteres beherzigten wiederum die Sparkassen, für die das Geschäft mit den US-Immobilien-Krediten wohl einfach eine Nummer zu groß war. Ein Ausbund an Tugend waren und sind sie deshalb noch lange nicht, denn auch dort standen die eigenen Provisionen häufig genug im Vordergrund und gemessen an ihren Bilanzen haben dort manche Vorstände besser verdient als etwa Deutsche Bank-Chef Ackermann seinerzeit25.

Es versteht sich von selbst, dass hier eine Unzahl von Details unberücksichtigt blieb, mir war wichtig, das Wesentliche herauszustellen, ohne so viele Einzelheiten aufzuführen, dass der Blick für das Ganze verloren geht. Mittlerweile sind wir bei den eingangs des Abschnitts erwähnten Ereignissen angekommen:

Subprime: die Folgen

Schon infolge der Lehman-Insolvenz kam es zu Wirtschaftseinbrüchen. Jetzt sind die Banken über eine Unzahl verschiedener Finanzinstrumente miteinander verstrickt und faule Kredite gab es nicht nur bei Lehman. Damit war klar, dass es zu einer gewaltigen Wirtschaftskrise kommen würde, wenn man sich nicht etwas einfallen lassen würde. Das hat man getan und heraus kamen neben Notkrediten der Zentralbanken Stützungen durch die Staaten, die Garantien für notleidende Wertpapiere wie die Verbriefungen übernahmen. Oder indem marode Banken gleich ganz verstaatlicht wurden, wie die Hypo Real Estate (HRE), für die jeder Einwohner in Deutschland im Schnitt mit etwa 1400 Euro bürgte. In den USA wurden zur Rettung der AIG insgesamt 182 Milliarden Dollar bereitgestellt, wovon die Deutsche Bank 2,6 Milliarden erhielt26. Darüber hinaus hörte man nicht mehr häufig, welche Bank denn nun welche Hilfen erhielt. Das hing mit dem SoFFin zusammen, der in Deutschland mit einem Volumen von 480 Milliarden Euro eingerichtet wurde. Unter dem Druck der drohenden Krise beschloss der Bundestag dazu 2008 das notwendige Gesetz, in dem er die Verwendung des Geldes nicht nur ermöglichte, sondern sich selber auch jeder weiteren Kontrollmöglichkeit beraubte. Heißt: Welche Bank welche Hilfen oder Bürgschaften zu welchen Konditionen bekam, entschieden Teile der Regierung und hielten es geheim. Es wurde nur ein Ausschuss des Parlamentes informiert, ohne Mitspracherecht und ohne Recht, die Informationen weiter zu geben27. Begründet wurde die Geheimhaltung mit einer ansonsten befürchteten Destabilisierung der betroffenen Banken. Die Politik stand damals mit dem Rücken zur Wand. Besonders deutlich wurde das, als Finanzminister Steinbrück und Kanzlerin Merkel gemeinsam an die Öffentlichkeit gingen und versprachen, der Staat garantiere die Einlagen der Bürger. Damit niemand einen Euro verliere, so Steinbrück. Das war schon bemerkenswert. Jetzt sollten die Bürger neben den Banken also auch noch sich selber retten, denn nichts anderes hieß das ja eigentlich. Tatsächlich ging es aber nicht wirklich um die Garantien der Spareinlagen, sondern darum, einen sogenannten Bankenrun zu verhindern. Gemeint ist, dass nicht alle Leute aus Angst um ihr Geld sich ihre Kontoguthaben in bar auszahlen lassen sollten, denn das hätte unweigerlich zum Zusammenbruch der Banken geführt. Warum? Dazu machen wir eine kleine Exkursion in unser Geldsystem:

Das Schuldgeldsystem

Vielleicht haben Sie schon einmal Monopoly gespielt? Besonders während meiner Studienzeit habe ich gerne mit solchen Brettspielen meine Freizeit verbracht und üblicherweise haben wir uns dabei an die beiliegenden Regeln gehalten. Im Falle von Monopoly heißt das: Entweder hat man genug von dem Papierspielgeld für eine Aktion, oder man kann sie eben nicht ausführen. Wenn man jetzt aber neben dem mitgelieferten Papierspielgeld auch Zahlungsversprechen in Form von Schuldscheinen zulässt, kann man das Spiel ganz ordentlich tunen: Vielleicht möchten Sie von einem Mitspieler die Schlossallee haben. Er fordert dafür die Poststraße und 20 000 Euro. So viel Spielgeld haben Sie gerade nicht, bieten ihm aber dafür das schriftliche Versprechen, ihm das Geld zu geben, sobald Sie wieder bei Kasse sind. Deal! Zurück zum Thema: Bis vor einigen Jahren hatte ich noch die Vorstellung, dass Geld, also Euro bei uns, dem Spielgeld bei Monopoly nach den beiliegenden Regeln entspricht. Das heißt, entsprechend, wie die Bank bei Monopoly Papierspielgeld ausgibt, welches dann im Umlauf ist, gibt die Zentralbank Geld aus, sei es als Banknoten oder elektronisch auf Konten, welches so in den Umlauf kommt. Dieses Geld kann gespart, ausgegeben oder auch verliehen werden. Banken leihen sich dann Geld zu geringen Zinsen von Kunden in Form von Spareinlagen oder auch von der Zentralbank und verleihen es als Kredite zu höheren Zinsen weiter. So weit die Vorstellung, die nicht nur ich hatte, wie ich aus diversen Gesprächen weiß. Tatsächlich läuft es eher so, wie mit den Schuldscheinen. Geld, das ein Kunde auf seinem Bankkonto hat, ist nur ein Zahlungsversprechen, für das die Bank nur die sogenannte Mindestreserve von derzeit 1 % in Europa auf ihrem Konto bei der Zentralbank halten muss28. Wenn Sie bei der Bank einen Kredit über, sagen wir mal 10 000 Euro, aufnehmen, stellt sie Ihnen auf Ihrem Konto so ein Zahlungsversprechen aus. Das kann die Bank einfach so, ohne dafür irgendwoher anderes Geld zu nehmen. Sie muss lediglich 1 % von 10 000 Euro, also 100 Euro, dafür auf ihrem Zentralbankkonto aufweisen oder hinterlegen. Sie können sich die 10 000 Euro jetzt in bar auszahlen lassen, wahrscheinlicher aber ist es, dass sie das Geld irgendwem, sagen wir einem Händler, überweisen. Hat der Händler sein Konto auch bei Ihrer Bank, wandert das Zahlungsversprechen jetzt einfach auf dieses Konto und fertig. Hat der Händler sein Konto bei einer anderen Bank, überweist Ihre Bank der Bank des Händlers 10 000 Euro vom eigenen Zentralbankkonto auf das Zentralbankkonto der Händlerbank, wofür Ihre Bank dort dieses Geld auch benötigt. Dafür kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht: Im einfachsten Fall überweist jemand umgekehrt die gleiche Summe von einem Konto der Händlerbank auf ein Konto Ihrer Bank. Dann gleichen sich beide Forderungen aus und ihre Bank hat die 10 000 Euro für ihren Kredit neu geschöpft. Ebenso, wenn Ihre Bank die 10 000 Euro nicht direkt von der Händlerbank zurückerhält, sondern über Umwege, aber mit gleichem Endergebnis. Nur, wenn keine ausgleichenden Überweisungen auf dem Zentralbankkonto ihrer Bank eingehen, muss Ihre Bank sich die 10 000 Euro ihrerseits von anderen Banken oder von der Zentralbank leihen. Insgesamt macht also das von der Zentralbank ausgegebene Geld nur einen kleinen Teil des gesamt umlaufenden Geldes aus, das zumeist in Form von Buchgeld als Zahlungsversprechen auf diversen Konten liegt. Üblicherweise werden diese Zahlungsversprechen einfach weitergereicht und die Bestände der Banken reichen aus, die wenigen Fälle, wo tatsächlich eine Auszahlung von Bargeld gefordert wird, zu bedienen. Anders sieht das aus, wenn die Menschen Angst um ihre Einlagen haben, wie es 2008 zu passieren drohte. Im Falle eines folgenden Bankenruns hätte sich ganz schnell herausgestellt, dass die Sichteinlagen auf den Konten nur zu einem kleinen Teil bar ausgezahlt werden könnten. Damit wäre es zu Wirtschaftseinbrüchen gekommen und in der Folge würden Menschen auch ihre Raten an die Banken nicht mehr leisten können. Aus illiquiden Banken wären insolvente Banken geworden und die Wirtschaft würde noch weiter einbrechen. Das hat Steinbrück mit seinem Bluff verhindert. Die Banken hat er damit natürlich nicht beeindrucken können. Die waren jetzt vorsichtig und liehen sich gegenseitig kein Geld mehr, was aber bisweilen notwendig ist, wie oben gesehen. Damit konnten jetzt teilweise auch keine konservativen, völlig normalen Kredite mehr vergeben werden, wie Unternehmen sie ständig benötigen. Und schon wieder drohte die Krise. Nun, wenn die Banken sich untereinander nichts leihen, muss das eben die Zentralbank tun und entsprechend vergab die EZB jetzt viel leichter Kredite.

An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass die amerikanische Immobilienblase zwar der größte Krisenverursacher war, aber längst nicht der einzige. Immobilienblasen gab es auch woanders, insbesondere in Spanien und Irland. Außerdem sei hier an SWAP-Geschäfte erinnert, eine Art Zinswetten, durch die besonders Kommunen massive Verluste eingefahren haben, an den Hochgeschwindigkeitshandel an den Börsen, an Manipulationen des Goldpreises und des LIBOR und an Schattenbanken, die im Prinzip Banken ohne Lizenz sind. Banken haben diese z. B. benutzt, um Eigenkapitalvorschriften zu umgehen. Ein Konzern nutzt dabei seine Bank dort, wo er die Banklizenz benötigt, um etwa Kredite von der Zentralbank zu erhalten und seine Schattenbank dort, wo er nicht die Kontrolle wünscht, der Banken unterliegen.

Reaktionen und Folgerungen

Mit Blick auf die anfangs formulierten Erwartungen zu den Deregulierungen lässt sich feststellen: Die Banken sind gewachsen und mit ihnen die Einkommen der Banker. Und die Wirtschaft insgesamt ist auch gewachsen, aber nicht nachhaltig. Um einen gewaltigen Einbruch zu verhindern, sind die Staaten eingesprungen, am Ende sind die Schulden teilweise also doch wieder beim Steuerzahler gelandet. Und durch die Bankenrettung hat man sich der Gefahr ausgesetzt, dass die Banker daraus lernen: Wenn sie sich verspekulieren und zahlungsunfähig werden, werden sie wieder gerettet, vorausgesetzt, ihr Institut ist wichtig genug, also systemrelevant. Bankmanager könnten also ganz bewusst hohe Risiken eingehen: Im Erfolgsfall, oder sei es auch nur wieder bis zum Knall, kassieren sie hohe Boni, nach dem Knall übernimmt der Staat, sprich Steuerzahler. Kurz: Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren, auch als Moral Hazard29 bezeichnet.

Um sich die Situation klar zu veranschaulichen, kann man sich Geldkuriere vorstellen, die das Bargeld, was in Supermärkten anfällt, einsammeln und zur Bank fahren. Wer ständig so viel Geld in den Händen hält, denkt sicher manchmal, wäre doch schön, etwas davon für sich zu behalten. Und auch gerecht, schließlich hat man ja eine große Verantwortung. Man muss mit den Leitern der Supermärkte darüber verhandeln. Und zum Nachdruck könnte man ja die Routen ändern, eine längere Fahrzeit bedeutet ein höheres Risiko und mehr Verantwortung. Für einen einfachen Geldkurier wohl nicht realistisch, aber den Bankmanagern ist genau das gelungen. Und bei ihrem Umweg wurden sie irgendwann ausgeraubt, zu Lasten der Supermärkte.

Wie hat die Politik reagiert? In Europa wurden folgende Maßnahmen ergriffen bzw. diskutiert:

1 Zunächst einmal wurde versprochen, die Boni der Banker zu begrenzen, schließlich waren die ja offensichtlich eine wesentliche Triebfeder für die Misere. In Deutschland etwa sollten die Vorstände der geretteten Banken maximal 500 000 Euro im Jahr bekommen. Später wurde berichtet, dass man bei der konkreten Ausgestaltung die zweite Führungsebene nicht mit einbezogen hatte, die bekamen immer noch mehr. Ein Versehen? Ob wohl auch der Vertrag, mit dem man Axel Wieandt bedacht hatte, ein Versehen war? Er übernahm die Leitung der HRE nach deren Verstaatlichung in 2008. Nach eineinhalb Jahren trat er zurück, in etwa nach dem Motto - Ich kann so nicht arbeiten! - und hatte dabei Pensionsansprüche von 238 000 Euro jährlich erworben30. Auch andere Banker verdienen wieder oder noch hervorragend. So wies die auch gerettete Commerzbank für 2013 einen Gewinn von 78 Millionen Euro aus, nachdem 300 Millionen Euro an Boni verteilt wurden31.

2 Immer wieder wurden Stresstests durchgeführt, schließlich sind ja auch noch viele zweifelhafte Kredite im System. Der Finanzexperte Daniel Stelter bezifferte dazu 2014 den Rekapitalisierungsbedarf der europäischen Banken auf mindestens 800 Milliarden Euro32, im Juni 2017 wird die Höhe der faulen Kredite, die die europäischen Banken noch in ihren Büchern haben, auf rund 1 Billion Euro geschätzt33. Vor dem Hintergrund, dass z. B. 2011 die französisch-belgische Dexia Bank als Gewinner eines solchen Stresstests gekürt und einige Monate später gerettet werden musste, sowie weiterer ähnlicher Fehler sind doch Zweifel an diesen Tests angebracht. Und im Oktober 2014 meldet das ZDF-Magazin Frontal 21, dass Fehlverhalten von Führungspersonen bei den Stresstests überhaupt nicht einkalkuliert ist34.

3 Seit Langem wird eine Finanztransaktionssteuer diskutiert, insbesondere, um die Risiken durch Geschäfte mit kleinen Margen aber großen Volumen, wie den Hochgeschwindigkeitshandel, zu begrenzen. So, wie sie mittlerweile in der EU vorgesehen ist, ähnelt sie einer Börsenumsatzsteuer, wie es sie in Deutschland bis Anfang der 90er schon gab35. Der Unterschied besteht darin, dass Letztere nur auf an der Börse getätigte Geschäfte erhoben wird, während eine echte Finanztransaktionssteuer auf alle Finanzgeschäfte anfallen soll, egal wo diese stattfinden. Damit wären auch sogenannte Over-the-Counter-Geschäfte erfasst. Anscheinend handelt es sich bei der neuen Steuer um einen Etikettenschwindel, der von Großinvestoren leicht zu umgehen sein wird.

4 Unter großer Bekanntmachung wurde eine Bankenabgabe eingeführt, um in Zukunft mit diesen Mitteln und nicht durch den Steuerzahler Rettungsmaßnahmen, wenn denn notwendig, zu finanzieren. Die Höhe dieser Abgabe wurde in Deutschland zunächst auf jährlich 1 Milliarde Euro veranschlagt, die tatsächlich geleisteten Abgaben waren laut Weik und Friedrich aufgrund eines Fehlers bei der Berechnungsgrundlage im Gesetz deutlich niedriger. Zum Vergleich: Der SoFFin wurde mit einem Volumen von 480 Milliarden Euro eingerichtet, bis Ende 2014 sind Verluste von 21,9 Milliarden angefallen36. 2016 steht der deutsche Steuerzahler noch mit 225 Milliarden Euro in der Haftung37. 2013 schätzten Professoren aus dem Fachbereich die Gesamtkosten der Bankenrettung in Deutschland mit 30 bis 70 Milliarden Euro ein38. Im Rahmen der Bankenunion wird die Bankenabgabe jetzt europaweit erhoben und in einen Topf geworfen. Vor dem Hintergrund des aus der aktuellen Krise resultierenden Finanzbedarfs von 800 Milliarden Euro der Banken in Europa stellt sich die Frage, ob hier ein wirksames Instrument geschaffen wurde, oder ob eher die Demonstration entschlossenen Handelns im Vordergrund stand.

5 Beschlossen sind Erhöhungen der Anforderungen an das Eigenkapital der Banken, bekannt als Basel III. Auch hier wird die Wirkung kritisch beurteilt, weil zwar mehr Eigenkapital in Relation zur Bilanz vorgehalten werden muss, aber bei der Vereinheitlichung der Regeln, was als Eigenkapital zählt, eher schwache Standards beschlossen wurden und weil jahrelange Übergangsfristen eingeräumt wurden.

6 2016 wurden die Anforderungen an die Vergabe von Krediten zur Immobilienfinanzierung verschärft. Der Kredit darf nur vergeben werden, wenn der Kreditnehmer voraussichtlich in der Lage sein wird ihn zu bedienen, ohne die Immobilie veräußern zu müssen. Das ist eine wirksame Maßnahme gegen bestimmte Auswüchse, wie sie Praxis in den USA im Rahmen der Immobilienblase waren. Kritiker bemängeln, dass allerdings auch die häufig nach einigen Jahren notwendige Anschlussfinanzierung von Immobilien gefährdet sein kann39.

Bei den letzten drei Maßnahmen zeigt sich ein Dilemma: Je höher die Bankenabgabe und je höher die Eigenkapitalanforderungen sind, desto geringer ist der Spielraum der Banken für pure Spekulation, was dann ja gewollt ist. Aber desto geringer ist auch der Spielraum bei der Vergabe notwendiger Kredite an die Wirtschaft. Ähnlich bei der Immobilienfinanzierung. Maximale Wirtschaftsförderung und gleichzeitig Begrenzung des Risikos der Spekulation sind also nicht möglich. Das Problem mit den Banken ist nun, dass die gerne bereit sind, Kredite zu geben, wenn die Wirtschaft gerade gut läuft und gerade dann zögern, wenn die Kredite umso notwendiger wären. Bildlich: Sie bieten einen Regenschirm immer dann, wenn die Sonne scheint. Aufgabe der Politik wäre nun, Regularien einzuführen, um den dadurch ausgelösten Schweinezyklus zu durchbrechen. Dazu und zur Eindämmung sonstiger Risiken einige Vorschläge:

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