Buch lesen: «Wohlstand, Demokratie und weiter?», Seite 2

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Grenzen des Wachstums?

Bestimmt die populärste Kritik am Streben nach Wachstum: Aufgrund begrenzter Ressourcen sei auch das Wachstum begrenzt, so das Argument in aller Kürze. Das müsse die Menschheit berücksichtigen und sich rechtzeitig selber einschränken, sonst komme es später umso schlimmer. Der Erste, der diesen Gedanken entwickelte, war vielleicht vor ungefähr 200 Jahren der Brite Robert Malthus. Seiner Theorie nach wächst die Bevölkerung exponentiell, während die Fläche an verfügbarem Ackerland und damit die Lebensmittelproduktion nur linear zunehmen. Er folgerte, dass in der Zukunft ein Punkt erreicht würde, ab dem die Nahrungsmittelproduktion nicht mehr ausreichen und es zu schrecklichen Hungersnöten kommen würde. In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts waren es dann in erster Linie Berichte an den Club of Rome, die aufgrund begrenzter Ressourcen wie etwa Öl, die rasch weniger würden, prinzipielle Grenzen des Wachstums voraussagten, und das innerhalb von wenigen Jahrzehnten. Die konkreten Prognosen haben sich alle nicht bewahrheitet. Gerade beim Öl, dem wohl wichtigsten Treibstoff für die Weltwirtschaft in den letzten ca. 150 Jahren, wurde der sogenannte Peak-Oil, der Punkt höchster Ölförderung, vorhergesagt und dann aufgrund neuer Funde und neuer Fördermethoden immer wieder nach hinten verschoben. Wachstumsbefürworter folgern daraus, dass das Argument des begrenzten Wachstums und damit die Notwendigkeit zur bewussten Einschränkung falsch sei12. Hm, also doch bald Malediven für alle und alles andere wird auch besser? Hier lohnt es sich, die oben dargelegten Beispiele etwas genauer zu analysieren: Ohne auf Details einzugehen, wann den etwa nach Malthus die Hungersnöte einsetzen sollten: Ausgehend von den Voraussetzungen, die er machte, hat Malthus richtig argumentiert. Exponentielles Wachstum überholt lineares Wachstum immer. Aber seine Voraussetzungen stimmten nicht, er hat den technischen Fortschritt und damit die enorme Effizienzsteigerung bei der Nahrungsmittelproduktion nicht vorausgesehen. Ganz ähnlich die Situation bzgl. der Studien für den Club of Rome und Peak-Oil: Dass man gut 40 Jahre später Öl mehrere Kilometer unter dem Meeresspiegel finden und fördern würde, dass die USA aufgrund des Frackings zum größten Erdölförderer der Welt würden, hat man um 1970 herum so nicht erwartet. Daraus aber zu folgern, der Gedanke von begrenztem Wachstum und die Notwendigkeit zu einer Selbstbeschränkung der Gesellschaft seien komplett unsinnig, ist falsch. Dazu: Als ich noch Schüler war, hieß es, es werde voraussichtlich noch wenige Jahrzehnte dauern, bis die Technologie so weit ausgereift sei, dass man Kernfusion zur Energieerzeugung nutzen könne. Heute, etwa 30 Jahre später, sagt man immer noch, es wird wohl noch einige Jahrzehnte dauern, bis man mit der Kernfusion so weit ist13. Wer sucht, findet weitere Beispiele. Argumentiert man so oberflächlich wie oben gegen die Wachstumsgrenzen, so würde man hier folgern, dass es überhaupt keinen technischen Fortschritt gibt, was offensichtlich falsch ist. Nein, es geht darum, technischen Fortschritt angemessen zu berücksichtigen. Werfen wir dazu einen Blick auf die Zusammensetzung der Produktion: Die Herstellung von Gütern und Bereitstellung von Dienstleistungen ist zu einem Teil mit unerwünschten Nebenwirkungen verbunden, nämlich dem Verbrauch von Ressourcen und der Entstehung von diversen Schäden, wie Umweltverschmutzung, oder auch dem Risiko von möglichen Schäden in der Zukunft. Teil der Produktion kann es auch sein, im Rahmen der Möglichkeiten Schäden wieder zu beseitigen. Außerdem gibt es einen nebenwirkungsfreien Anteil an der Produktion, der z. B. auf Ideen, auf geistiger Arbeit beruht. Beispiele: Unterhaltung in Form von Kunst, Musik, Literatur, aber auch z. B. Computerprogramme für verschiedene Zwecke. Wachstum kann sich jetzt zum einen generieren aus einem Wachsen des nebenwirkungsfreien Anteils. Das ist prinzipiell unbegrenzt. Es lässt sich fördern, aber nicht erzwingen. Den anderen Anteil kann man steigern durch mehr Arbeit oder durch technische Entwicklungen, die mit einer entsprechenden Steigerung der Nebenwirkungen einhergehen. Technische Entwicklungen können aber auch ein besseres Verhältnis aus Produktion und Nebenwirkungen mit sich bringen, außerdem die Möglichkeit, früher verursachte Nebenwirkungen bzw. deren Folgen besser einzudämmen oder zu beseitigen. Das und die Entdeckung neuer Quellen von Ressourcen können die Situation günstiger machen. Das Problem bei der technischen Entwicklung ist nun, dass sie naturgemäß nur begrenzt planbar ist. Für die Gesellschaft geht es dann darum, das Risiko eines Versiegens von notwendigen Ressourcen sowie von Gefahren durch Schäden einzuschätzen und den Erwartungen von technischen Entwicklungen und Entdeckungen gegenüberzustellen und entsprechende Maßnahmen zur Steuerung der Produktion zu ergreifen. Dabei geht es sowohl um nachhaltige Entwicklung als auch um Gerechtigkeit und Grundrechte. Wie können solche Maßnahmen zur Steuerung aussehen? Dazu muss man sich vergegenwärtigen, dass der Nutzen eines Produktes dem Produzenten und dem Käufer in voller Höhe zugutekommt, die Nebenwirkungen aber ganz woanders anfallen können. In der Volkswirtschaft spricht man dabei von externen Kosten14. Für Produzenten und Käufer kann sich daher eine für die Gesellschaft unter dem Strich schlechte Produktion durchaus lohnen. Um dies zu verhindern, liegen zwei Möglichkeiten nahe:

Zum einen ein Verbot von Maßnahmen bei der Produktion. Empfiehlt sich, wenn die zu erwartenden Schäden in keinem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen der Produktion stehen. Wird häufig angewandt, z. B. Verbot von Asbest 1993 in Deutschland, Verbot von bestimmten Pestiziden usw.

Zum anderen eine Zahlung für die bei der Produktion entstandenen Schäden nach dem Verursacherprinzip, z. B. als Steuer. Diese hat 2 Funktionen: Zum einen als Kompensation für die Schäden, zum anderen als Steuerung, um den Produzenten zu einer möglichst unschädlichen Produktion zu bewegen (Lenkungssteuer).

Sinnvollerweise sollten nun die Zahlungen nach dem Verursacherprinzip von dem Produktionsindikator abgezogen werden, da damit ja nur Schäden ausgeglichen werden, die durch die Produktion entstanden sind. Anders ausgedrückt: So würden Abschreibungen am Wohle der Gesellschaft im Produktionsindikator berücksichtigt. Dazu ein fiktives Beispiel: Eine Diskothek und nebenan ein Kunstmuseum verzeichnen im Laufe eines Jahres gleich hohe Einnahmen. Dann tragen beide im gleichen Maße, nämlich der Höhe der Einnahmen, zum BIP bei. Tatsächlich hat das Kunstmuseum aber mehr für das Allgemeinwohl erreicht, da zum Spaß der Diskothekenbesucher die Lärmbelästigung der Anwohner kommt. Sinnvoll wäre nun, wenn die Anwohner vom Diskothekenbetreiber eine Entschädigung für die Lärmbelästigung bekommen. Für die so erfolgte Zahlung könnten sie sich irgendetwas Gutes tun, z. B. Massagen kaufen. Damit würde es ihnen insgesamt aber der Idee nach nur genauso gut gehen wie ohne Diskothek. Der Beitrag zum BIP wäre aber nach wie vor der gleiche wie ohne Ausgleichszahlungen und damit auch der gleiche wie der des Kunstmuseums, obwohl die Betreiber bzw. Beschäftigten des Museums sich ja mit den Einnahmen auch die gleichen Massagen kaufen könnten. Unter dem Strich trägt das Kunstmuseum also stärker zum Allgemeinwohl bei, da eben bei gleichen Annehmlichkeiten kein Schaden entstanden ist. In einem verbesserten Produktionsindikator sollten also die Ausgleichszahlungen des Diskothekenbetreibers an die Anwohner vom BIP abgezogen werden, um dem tatsächlichen Allgemeinwohl näher zu kommen. Wie hoch man diesen Ausgleich ansetzt, ist Ermessensache. Ebenso sollten Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung aller Art im Produktionsindikator berücksichtigt werden. Das BIP in der aktuell verwendeten Form misst nur die positive Produktion und damit in etwa den Konsum, immer noch behaftet mit einer Unschärfe, nicht aber die Schäden, was eine systematische und enorme Verzerrung des Nutzens ist. Das ist so, wie wenn ein Fußballverein nur die Tore, die seine Mannschaft schießt, zählen würde, nicht aber die Gegentore15.

Einige weitere Beispiele:

1.) Bergschäden: Ein Haus senkt sich ab und gerät dabei in Schieflage, weil unter dem Haus Kohle abgebaut wurde. Die Schieflage kann beseitigt werden, was enorme Kosten verursacht. Es ist nun Ermessenssache, ab welcher Schieflage das gemacht wird und welche Kompensationszahlung bei Nicht-Beseitigung gezahlt wird. Durch das Gerade-Richten des Hauses wird aber nur der alte Zustand wiederhergestellt. Die Kosten für das Geraderichten sollten also beim BIP vom Erlös für die Kohle abgezogen werden. Wenn weiter das Land, in dem sich das zuträgt, durch Zölle seinen heimischen Kohleabbau schützt, so sollte aber bei Voraussetzung von gleichen Löhnen das BIP durch den Kohleabbau nicht mehr gesteigert werden, als in einem anderen Land, wo Kohle nicht unter Häusern abgebaut wird und daher auch billiger verkauft werden kann.

2.) Mehrwegflaschen: Für eine bestimmte Art von Getränken, z. B. Bier oder Mineralwasser, gibt es eine Art von Mehrwegflaschen, die von den verschiedenen Herstellern gemeinsam benutzt werden. Die abgefüllten Flaschen müssen auf jeden Fall vom Abfüller zum Verkaufsort transportiert werden, nicht aber zurück, weil sie der nächstgelegene Abfüller für seine Marke benutzen kann. Jetzt gehen die Hersteller aber zunehmend dazu über, ihre eigenen, speziellen Flaschen zu benutzen, damit müssen die leeren Flaschen auch immer wieder zurück zu genau dem einen Abfüller. Das bewirkt eine Zunahme des LKW-Verkehrs, verbunden mit: Emissionen von Staub, schädlichen Gasen und Lärm, was andere Verkehrsteilnehmer und Anwohner der Straßen beeinträchtigt, Emissionen von CO2, verbunden mit dem Risiko Klimawandel, Abnutzung und schlicht Benutzung der Straßen. Letzteres erhöht die Unfall- und Stauwahrscheinlichkeit. Einschränkende Maßnahmen sind hier zum einen Abgasnormen, Vorgaben zu Arbeits- und Ruhezeiten der Fahrer, was in den Bereich der Verbote fällt, zum anderen Steuer auf den Treibstoff und Maut. Die Frage ist dann, ob gegenwärtig die Höhe der Abgaben angemessen ist oder ob der Vorteil, den die Hersteller sich erhoffen, hauptsächlich auf dem Rücken anderer getragen wird. Die Festlegung der Art und Höhe der Abgaben sowie deren Verwendung ist Sache der Politik, der Verbraucher kann dann entscheiden, ob sich der Aufpreis lohnt. Ich persönlich halte den Mehr-Komfort für sehr überschaubar, wenn ich den Markennamen nicht nur lesen, sondern auch tasten kann, aber vielleicht sehen Sie das ja anders. Spätestens bei der Bewertung von Lärm wird dabei deutlich, dass die Höhe dieser Abgaben teilweise Ermessenssache ist. Neue Entwicklungen, wie neue Erkenntnisse über die Wirkung von Lärm oder der Emissionen können dabei eine Veränderung der Abgabenhöhe nahelegen.

3.) Als Beispiele für den Begriff Gefahren seien erwähnt: Energieerzeugung durch Kernkraftwerke oder menschenverursachter Klimawandel. Mehr dazu im Kapitel Ökologie.

Halten wir hier fest:

Die Steuerung von Produktion bzw. Wachstum mit dem Ziel, Gerechtigkeit und eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten ist eine der wesentlichen Aufgaben in einer Gesellschaft. Wesentliche Möglichkeiten sind Verbote und Abgaben. Die genaue Ausgestaltung ist häufig Ermessenssache und hängt von dem jeweiligen Erkenntnisstand ab. Es ist daher notwendig, dass eine Gesellschaft sich nicht zu lange festlegt, sondern sich die Möglichkeit offenhält, auf neue Entwicklungen flexibel reagieren zu können.

Innerhalb der Grenzen, die durch den technischen Fortschritt unter Berücksichtigung von Nebenwirkungen gegeben sind, kann also auch dauerhaft Wachstum erfolgen, aber ebenso wie technischer Fortschritt auch nur begrenzt planbar. Je stärker die restriktiven Maßnahmen Verbote und Abgaben eingesetzt werden, desto schwächer wird i. A., zumindest auf kurze Sicht, das Bruttoinlandsprodukt ausfallen, was ja gegenwärtig der Erfolgsmaßstab ist. Das legt die Vermutung nahe, dass das Verursacherprinzip häufig nicht konsequent angewendet wird. Und es gibt natürlich noch weitere Maßnahmen, mit denen versucht wird, die Nebenwirkungen der Produktion zu begrenzen, insbesondere die Förderung nebenwirkungsärmerer Produktion. Mehr auch dazu im Kapitel Ökologie.

Generell wird von der Politik ja eine Steigerung statt einer Einschränkung des BIP und damit des Wachstums gewollt. Kommen wir im nächsten Abschnitt dazu, wie das geht.

Konjunktur und Schulden

Entwicklungen in der Natur laufen meistens nicht nur in eine Richtung ab, es geht mal bergauf, mal bergab, es gibt Schwankungen. Denken wir an eine Population von Vögeln. Bei gutem Wetter und entsprechend gutem Angebot an Nahrung kann sie sich stark vermehren, bei sich ändernden Umständen, etwa in Form eines harten Winters, kommt es zu einem Rückgang. Schwankungen gibt es auch in der Produktion, d. h. in der Wirtschaft, verbunden mit einem geringeren Einkommen oder gar Verlust des Arbeitsplatzes für einige. Im Sinne des Wertes Sicherheit möchte man dem entgegenwirken. Hier kommt die Theorie ins Spiel, für die Keynes in erster Linie bekannt wurde. Keynes schlug antizyklische Maßnahmen vor16: Im Falle einer Wirtschaftsflaute Förderung durch Ankurbelung des Konsums durch den Staat, was wiederum durch höhere Sozialleistungen, durch eine Verringerung von Steuern auf Konsum oder durch Prämien auf Konsum erfolgen kann. Wenn ein Staat sich mit seinen Ausgaben und Einnahmen normalerweise im Gleichgewicht befindet, führt ein solches Konjunkturpaket zu einer Verschuldung. Diese sollte dann nach Keynes umgekehrt durch erhöhte Einnahmen bei guter Konjunktur wieder abgebaut werden, heißt z. B., Steuern auf Konsum müssten dann erhöht werden. Als Gegenpol wird in der Regel Milton Friedman angeführt, der vorschlug, die Wirtschaft zu fördern, in dem das Angebot verbilligt wird, durch Senkung von Unternehmenssteuern17. Im Modell einer geschlossenen Gesellschaft und eines perfekten Marktes läuft beides auf das Gleiche hinaus, denn die Unternehmer müssten die Preise entsprechend senken, wodurch der Verbraucher mehr Kaufkraft erhält. Jetzt sind Staaten normalerweise nicht abgeschlossen und Märkte nicht perfekt, aber kommen wir zurück zu unseren Vögeln: Die kann man ja wirklich füttern und regelmäßig empfehlen Experten, das nur bei wirklich sehr harten Bedingungen zu tun, weil die Vögel sich sonst gewöhnen und die Fähigkeit verlieren, ihr Futter selber zu suchen. Man muss dann immer weiter füttern, oder die Probleme für die Vögel kommen später, vielleicht noch schlimmer. Hier zeigt sich, dass die Konjunkturhilfe durchaus unerwünschte Wirkungen haben kann und das Gießkannenprinzip ungeeignet ist. Das könnte ein Grund sein, warum immer nur die erste Hälfte von Keynes‘ Vorschlag realisiert wird: Zuerst Konjunkturpakete zur Ankurbelung des Wachstums, dadurch höhere Schulden, und wenn die Wirtschaft dann läuft, heißt es mit schöner Regelmäßigkeit, man dürfe das zarte Pflänzchen nicht abwürgen, die Schulden müssen später abgebaut werden. Ja, und bevor das Fall ist, kommt die nächste Krise, dann muss natürlich wieder gefördert werden und so weiter. Teilweise hat man von dem Aspekt der antizyklischen Förderung auch ganz abgesehen und Wachstum ganz einfach generell durch Förderung des Konsums oder des Angebotes generieren wollen. Die Theorie dahinter ist, dass eine höhere Produktion verbunden ist mit höheren Einnahmen durch Steuern, so dass die Ausgaben für die Förderung sich selber wieder einspielen. Man kann dann wieder fördern usw. Letztendlich bleibt die Quote aus Staatsschulden und Produktion immer gleich, wenn die Produktion genauso schnell wächst wie die Schulden. Wenn man dann noch einen fixen Anteil an der Produktion als Staatseinnahmen veranschlagt, bleiben damit auch Einnahmen und Schulden im gleichen Verhältnis. Nur muss das veranschlagte Wachstum eben auch eintreten. Damit erklärt sich die eingangs erwähnte Aussage, wir würden vom Wachstum leben. Das Problem ist nur, dass das erhoffte Wachstum meistens nicht im erhofften Maße bzw. nicht erhofft nachhaltig eintritt, unterm Strich bleibt meistens ein Minus. Jetzt braucht man Wachstum dann nicht mehr, um Wohlstand zu stabilisieren, sondern um die Schuldenquote im Rahmen zu halten. Dieses Wachstum wird über neue Schulden generiert … ein Teufelskreis. So haben die Schulden in Deutschland und vielen anderen Staaten absolut und relativ zum BIP über die Jahrzehnte immer weiter zugenommen. Dass man das Schuldenproblem nicht durch neue Schulden löst, hat sich mittlerweile in größeren Kreisen herumgesprochen, jetzt hofft man, das als notwendig erachtete Wachstum durch Reformen zu erreichen. Konkreter und zur aktuellen Situation im nächsten Kapitel, Abschnitt die Eurokrise. An dieser Stelle zurück zu einem oben angesprochenen Aspekt: Reale Märkte sind nicht perfekt. Abhängig von der konkreten Ausgestaltung, wer denn genau gefördert wird, kommen damit allgemein Förderungen nach Keynes zuerst den Konsumenten zugute und werden von sozial ausgerichteten Parteien bevorzugt, während andersherum in erster Linie Unternehmen von Angebotsförderungen nach Friedman profitieren, weshalb diese von wirtschaftsnahen Parteien bevorzugt werden. Eine unterschiedliche Wirkung der beiden Maßnahmen gründet auch darauf, dass Staaten, auf deren Ebene Maßnahmen wie Konjunkturpakete und Steuern ja beschlossen werden, keine abgeschlossenen Gesellschaften sind. Mehr dazu im übernächsten Kapitel.

Fortschritt und Automatisierung

Neben dem Schuldenproblem gibt es einen weiteren wesentlichen Grund für das Streben nach Wachstum: Innovation in Form von Automatisierung, früher sagte man Rationalisierung, neuerdings heißt das Zauberwort Digitalisierung. Dabei gibt es nicht nur Gewinner. Die notwendigen Umbrüche in den Unternehmen durch Verdrängung können zumindest zeitweise auch Verlierer zur Folge haben. Die Beschäftigten einer Firma, die schließen muss, stehen zunächst auf der Straße, während andere ggf. Überstunden fahren müssen. Automatisierung kann auch innerhalb von Unternehmen Arbeitsplätze wegfallen lassen. Als Ausgleich soll die Wirtschaft wachsen und so neue Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, wie auch bei Arbeitsplatzverlusten wegen Konjunkturschwankungen.

Ein Ansatz, um dem so ausgelösten Wachstumszwang zu entkommen, wären zusätzliche Regulierungen, etwa in Form von Lenkungssteuern, die den Arbeitgeber motivieren, bei gleichqualifizierten Arbeitssuchenden nicht den schon beschäftigten Arbeitnehmer länger arbeiten zu lassen, sondern den Arbeitssuchenden einzustellen. Dazu könnte für jeden Beruf bzw. für jede Qualifikation in Abhängigkeit von der Anzahl der Arbeit-Suchenden in bestimmten zeitlichen Abständen eine tägliche Soll-Stundenzahl pro Arbeitnehmer festgelegt werden, bei deren Überschreitung pro Stunde Mehrarbeit ein bestimmter Betrag zu bezahlen ist, womit der Staat die Aufwendungen für die Arbeitslosigkeit in der entsprechenden Branche ganz oder teilweise kompensieren kann. Damit bleiben Unternehmen flexibel und unverzichtbare Mitarbeiter können auch über die Soll-Stunden hinaus arbeiten, wenn das Unternehmen es für sinnvoll hält. Aber der Anreiz, grundsätzlich schon eingestellte Arbeitnehmer lieber Überstunden machen zu lassen, als neue einzustellen, könnte umgekehrt werden. Weiterhin müsste die so flexibler gestaltete Arbeitszeit bei den Löhnen und Gehältern berücksichtigt werden. Denkbar wären etwa Tarifverhandlungen über die Entlohnung nicht von festen Arbeitszeiten, sondern von den Soll-Stunden-Zahlen.

Das wäre eine konkrete Möglichkeit, andere, alternative oder ergänzende Maßnahmen, wie Weiterbildungen, sind sicher auch denkbar. Insgesamt sollte es so möglich zu sein, im Falle von Innovationen in Form von Automatisierungen der Gesellschaft insgesamt durch Verteilung der weniger werdenden Arbeit mehr Freizeit zu ermöglichen, und zwar an Stelle eines Zwangs zu mehr Konsum als Ausgleich für die wegfallende Arbeit. Auch vor dem Hintergrund, dass in vielen Berufen die Luft immer dünner wird, bzw. die Anforderungen und der Stress immer weiter steigen, obwohl die Technik den Menschen das Leben doch angenehmer machen sollte, wäre eine solche Änderung der Arbeitswelt sinnvoll. Durch die sich schnell und schneller entwickelnde Technik werden in Zukunft mehr und mehr Berufsfelder von der Automatisierung erfasst werden. Selbstfahrende Autos sind bislang noch ein Pilotprojekt, aber ihr Durchbruch scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Ärzte, Anwälte und weiteren werden voraussichtlich auch wesentliche Arbeitsschritte von Computern abgenommen werden.

Neben der Verteilung von Arbeit geht es bei einer Kompensierung der Automatisierung wesentlich auch um eine Verteilung von Erträgen. Ein etwas anders gelagerter Ansatz als der oben beschriebene sieht die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens vor18. Damit alleine würde die bisherige Problematik aber wohl nur verschoben werden. Auch jetzt hat man in Deutschland Anspruch auf die Sicherung des Existenzminimums, wenn man keine Arbeit findet. Ein höheres Grundeinkommen nimmt lediglich die Pflicht, sich um Arbeit zu bemühen, was auch ungewollte Effekte mit sich bringen kann, wie den, das unliebsame Arbeiten kaum noch jemand übernehmen will. Und für diejenigen, die trotz Grundeinkommen arbeiten wollen, etwa, um sich mehr leisten zu können oder einen höheren sozialen Status zu erlangen, bliebe das grundsätzliche Problem des Drucks durch die Automatisierung bestehen.

Es scheint also eine Änderung des Wirtschaftssystems möglich und angebracht, in der Automatisierung durch weniger Arbeitszeit ausgeglichen werden kann. Wachstum wäre dann keine Notwendigkeit zur Kompensation von Automatisierung, sondern bräuchte nur angestrebt zu werden, um das Wohlergehen insgesamt zu steigern.

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