Buch lesen: «Adolf - Alles, was Recht(s) ist»

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„Was ist das?“

„Das ist blaues Licht.“

„Und was macht es?“

„Es leuchtet blau.“

John Rambo aus: Die Spektralfarben des Lichts bei der Brechung am Prisma unter Berücksichtigung des Einfallswinkels

Inhalt:

1. Dosenbier und irre Gefühle

2. Was bin ich? – Jetzt ohne Robert Lemke

3. @Adolf – gez. Arschloch

4. Was ein rechter Deutscher nie tun würde (eigentlich)

5. Adolfs Helfer

6. Schmetterlinge im Hundekuchen

7. Freiheit – aber ohne Bier?

8. Warum um alles in der Welt Schamhaarfrisur?

9. Fifty Shades of Bones

10. Salemaleikum, verdammte Ratten!

11. Triumph des Willens – zumindest ein bisschen

12. Doitsche doch müsse zusamme halte!

13. Da, wo es weh tut

14. Und jetzt die Belohnung!

15. Dieser Weg wird kein leichter sein

16. Nicht alle Helden sterben jung

17. Die Wörter, hinter denen eine kleine Zahl steht

18. Über den Autor – Was für eine abenteuerliche Geschichte!

1. Dosenbier und irre Gefühle

Da liegt auf einmal dieses ganz besondere Etwas in der Luft. Ich spüre es sofort. Es ist ein Gefühl wie – tja, wie soll ich sagen, wir Männer tun uns etwas schwer beim Beschreiben von Gefühlen. Aber es überfällt dich plötzlich wie eine Stucka aus heiterem Himmel - dieses „Boah ey“, dieses „Hammer!“, ihr wisst schon, was ich meine.

Gerade eben trottest du nichts ahnend dahin, Blick auf den Boden, Sinne eingeschaltet, mal sehen, was los ist im Revier, und im nächsten Moment hat es dich erwischt. Wusch, trifft dich ein tausend Volt starker Gefühlsblitz ohne Vorwarnung und du weißt im ersten Augenblick gar nicht, was über dich gekommen ist. Doch sogleich spürst du dieses Kribbeln, das aufkommende Hochgefühl, die Gewissheit: Sie ist es! Sie ist gekommen, nur für dich! Eine von 80 Melon’, oder wie das in dem Lied heißt. Hab ich rein zufällig aufgeschnappt, müsst ihr mir glauben, sonst läuft solcher Weicheier-Gefühlsschmus nicht bei uns, aber aus irgendeinem Grund ist das bei mir hängen geblieben. Da war so ein Typ, der inmitten tausender und abertausender Menschen lebt, sie kommen und gehen an ihm vorbei, und genau die Eine trifft er. Eine einzige aus dem ganzen deutschen Volk, die perfekt zu ihm passt, die geht nicht an ihm vorbei und er weiß sofort, dass sie füreinander bestimmt sind.

Wahnsinn!

Dass die sich überhaupt begegnet sind! Kaum zu glauben, dass so was in echt passiert. Denken sich die Dichter nur aus, weil es so schön schnulzig klingt, meint Kevin.

Aber haargenau so passiert es bei mir. Als ich mich dem Baum nähere, merke ich gleich, dass diesmal etwas anders ist. Schon so oft hier gewesen, im Sommer kommen wir fast jeden zweiten Tag in den Park, den Baum hatte ich dutzendfach markiert. Mein Revier, damit das gleich mal klar ist und sich weder der blöde Pinscher aus der Kaulsdorfer noch Theo, das schwarze Schwein, etwas einbilden von wegen Gebietsansprüchen. Dieser Pinscher sowieso! So etwas dürfte gar nicht als Hund zählen, von arisch ganz zu schweigen! Ich hab ihn tatsächlich schon beobachtet, wie er sich auf die Vorderpfoten stellt, Handstand am Baum macht und allen Ernstes glaubt, wenn sein Strahl weiter oben den Stamm trifft, geht er als großer Kerl durch. Lächerlich! Also wenn ihr mich fragt, dann gehört so was an die Wand…, ähm, naja, oder zumindest nicht in unsere schöne Wuhlheide. Jawoll, dazu stehe ich: Wir sind doch hier nicht bei den Hottentotten!

Okay, ich bin etwas abgeschweift. Zurück zum Thema: Da hängt diese ganz besondere Markierung in der Luft, die ich sofort aus allen anderen Zeichen herausschnuppere. Obwohl wenn ich noch ein paar Längen von dem Baum entfernt bin. Ich meine, ich bin zwar kein ausgewiesener Schweißhund, aber auch ein Deutscher Schäferhund wie ich hat einen Sinn für alles Schöne. Und natürlich für das Weibliche, Mann, ich könnte schmachten!

Wie schon gesagt: Wahnsinn!

„Musste schon wieda?“, nörgelt oder vielmehr nuschelt Kevin. Die Zigarette im Mundwinkel behindert ihn beim Sprechen. Seit er sich die Dinger aus Kostengründen selber dreht und dabei ein Geschick an den Tag legt wie ein Pekinese beim Katzen jagen, muss er ständig aufpassen, dass ihm seine Kippen nicht gleich im Mund auseinander fallen. Rauchen muss sein, klar, verstehe ich, das ist deutsche Leitkultur, wenn sie mir auch ziemlich auf die Nase geht, aber wir sind nun mal keine Neger, die Bambusblätter kauen. Manchmal wäre es allerdings ein Segen, wenn sich mein Herrchen ordentliche Räucherstäbchen leisten könnte. Ist bei Hartz IV aber nicht drin, weil dieser Scheißstaat alles für die Ausländer ausgibt, die ihm dann die Arbeit wegnehmen. Hat mir Kevin bereits mehrfach erklärt. Wenn er den vierten oder fünften Hopfenkübel vernichtet hat, dann durchschaut er die Welt mit all ihren Gemeinheiten.

„Manchennesmal gloob ick, du vastehsjedes Wort von mir! Jedes–sss hick!“, sagte er mir neulich und blickte mich dabei an wie ein Dackel, der den Eingang des Fuchsbaus nicht mehr findet.

Na klar, was denkt der denn! Sehe ich aus wie ein blöder Hamster oder ein Karotten fressendes Karnickel? Hey, ich bin ein Deutscher Schäferhund, schon vergessen? Das Wort „deutsch“ nimmst du doch sonst so gerne in den Mund! Wir sind vom selben Volksstamm und da wundert ihr Zweibeiner euch, wenn wir eure Sprache verstehen? Da fällt mir echt nichts mehr ein dazu. Wobei, unter uns, der hellste Stern an Wotans Himmel ist mein Herrchen nicht unbedingt. Nicht einer der hellsten, soviel steht fest, aber dafür einer der deutschesten, das muss man ihm zugute halten.

Fünf Jahre ist es her, dass er mich vom Polen-Markt weggekauft hat. Obwohl er das gar nicht vorhatte, wie er seinen Kameraden gegenüber betonte. Vor allem aber seiner Mutti, bei der er auch heute noch wohnt und die damals ihre Hände über dem Kopf zusammenschlug, als er mich – neben seinen Zigaretten und den neuen Springerstiefeln, die er sich beim Fidschi geholt hatte – stolz und zugleich ein wenig verschämt präsentierte.

„Ein echter deutscher Schäferhund, schau dir nur seinen Blick an!“, sagte er und seine Stimme wurde auf einmal ganz weich. Und ein bisschen kleinlaut. Ich bemühte mich, meinen Blick den aus seinen Worten wachsenden Erwartungen anzupassen, doch seine Mutter ignorierte meine aufrechten Bemühungen. Sie schüttelte fortwährend den Kopf und sagte nur immer wieder „Um Gottes Willen!“

„Aber den Dreck machst du weg, wenn er in die Stube macht!“, rief sie noch, bevor sie sich wieder vor den Fernseher setzte. Dort lief nämlich gerade die investigative Bildungssendung „Vera am Mittag“, die sie nicht verpassen durfte. „Warum sind Sie denn damals nach Bangladesh gegangen? Nur der Arbeit wegen?“, fragte soeben die Moderatorin und beugte sich beängstigend nah zu ihrem Gesprächspartner.

„Nun ja“, antwortete dieser und kratzte sich etwas verlegen den Schorf hinterm Ohr ab, „ich wollte schon immer mit Kindern arbeiten, und da war dann diese Aufseher-Stelle in einer Textilfabrik frei. Die legen dort viel Wert auf deutsche Tugenden wie Gründlichkeit und Pünktlichkeit.“

Vor Schreck lief mir direkt ein Tröpfchen auf den Vorsaal-Teppich und meinem frisch gebackenen Herrchen entfuhr ein gänzlich undeutsches „Fuck!“

Ja, fast fünf Jahre ist das her, eine kleine Ewigkeit, wenn man bedenkt, dass das ungefähr ein Drittel Lebenszeit bedeutet, und wir sind immer noch ein Team. Ein Dreamteam, würde ich normalerweise sagen. Das ist jetzt keine bierselige Verklärung meinerseits, sondern Kevin, mein Herrchen, sieht das exakt genau so.

„Adolf, mit dir würd’ ick bis nach Stalingrad ziehen! Du bist ein rechter Deutscher!“

Das hat er tatsächlich so gesagt und mir dabei ganz tief in meine schwarzbraunen Augen – so, wie angeblich auch die Haselnuss ist – geblickt. Ich wedelte eifrig mit dem Schwanz, bleckte meine Zähne und hoffte auf ein Leckerli. Das gab’s dann auch: einen tiefen Schluck aus seiner Bierdose. Lecker! Genau das Richtige für einen deutschen Schäferhund, wie mein Herrchen aus sicherer Quelle weiß.

Dummerweise zählt neben der Vorliebe für ein ordentliches Bier auch die Pünktlichkeit zu den deutschen Tugenden. Deshalb lässt mir mein Herrchen nun leider keine Zeit, in dem Duft der neuen, aufregenden Markierung an meiner deutschen Lieblingseiche im Park zu schwelgen.

„Hey, nein, so warte doch, was soll denn diese jüdische Eile?“, grunze ich verzweifelt, während das Halsband an meiner Kehle zerrt und ich wohl oder übel Kevin folgen muss. Dieser, immer noch mit seinem miserabel gedrehten Zigarillo im Mundwinkel, knurrt mich an: „Nun komm schon, die Kameraden warten. Bei Fuß, Adolf!“ Ein kräftiger Ruck mit der Leine und ich löse den Druck auf meine Vorderpfoten, mit denen ich mich entschlossen und zu beinahe allem bereit in den harten Rasen gestemmt hatte. Was soll’s – der Klügere gibt nach!

Eines muss ich an diesem Punkt klarstellen: Den Spruch „Ich glaube, der versteht jedes Wort!“ würde ich auch gerne mal bei einem Zweibeiner gebrauchen. Gerade bei meinem Herrchen. Aber das kannste vergessen. Was das betrifft, da ist Polen echt verloren. Kriegt der überhaupt etwas mit, frage ich mich immer wieder!

Aber anders herum: Los, Adolf, komm, Adolf, bei Fuß, Adolf, sag mal, kannst du nicht hören, Adolf, blablabla, Adolf. Wehe, ich verpasse auch nur einen Befehl, aber dann fahren die Affen Panzer, das kann ich euch sagen! Na gut, Befehlsverweigerung wurde früher sofort an die Wand gestellt, das ist mir natürlich klar, aber wenn der Befehl mehr gelallt wird und der Oberbefehlshaber beim dritten Versuch der klaren Artikulation nach vorne auf die Fresse kippt, dann bräuchten wir verdammt viele Wände!

Wir trotten also weiter über den kurz geschorenen englischen Rasen. Kevin auf seine Zigarette schimpfend, die ihm auseinander zu fallen droht; ich enttäuscht die Nase am Boden haltend und ab und zu den Kopf drehend, um die aufregende Spur nicht zu verpassen. Verflucht, die Markierung war so frisch, die Torte ist garantiert noch in der Nähe! Ich renke mir fast den Hals aus, aber ich kann sie nirgendwo entdecken. Was ich an Artgenossen zu Gesicht bekomme, ist einfach enttäuschend. Eine Pudeldame, der man die Arthrose schon von weitem ansieht, so wie sie mit den Hinterläufen stelzt; eine Promenadenmischung, die erst in meine Richtung knurrt und es sich dann schnell anders überlegt, als ich meine Rute aufstelle und aufmerksame Kampfbereitschaft signalisiere. Eine dumme Dogge, die mich betont auffällig ignoriert, weil Doggen sich stets für etwas Besseres halten.

Natürlich nehme ich unseren Trupp wahr, den wir schon bald an der Holzhütte treffen. Diese liegt an einer etwas erhöhten Stelle im Park, zwischen niedrigem Gebüsch und mir bleibt die Sicht auf den Platz lange Zeit versperrt. Doch ein Hund sieht bekanntlich mit der Nase mehr als mit den Augen und so genügen mir wie stets einige wenige Schnüffler, um festzustellen, wer alles da ist. Kanu, der Mischlings-Rottweiler von der langen Evi, der kleine Jack Russell namens Irvin, den ich eigentlich nicht ausstehen kann, aber das nicht zeigen darf, weil sein Herrchen Paule und Kevin dicke Kumpels sind. Firo darf natürlich nicht fehlen, der blasierte Riesenschnauzer, der sich unwahrscheinlich viel auf seine edle Herkunft einbildet, nur weil er von einem deutschen Züchter abstammt. Die übliche Versammlung also.

Während ich noch versuche, die Spur meiner unbekannten Angebeteten in dem Potpourri neuer Düfte zu verfolgen, werden wir, Kevin und ich, mit großem Hallo begrüßt. Paule packt mich vertraulich am Genick, schüttelt mich ein paar Mal hin und her, während ich versuche, nach seiner freien Hand zu schnappen. Das übliche Begrüßungsritual unter Männern.

„Hey, ich glaube, Adolf braucht erst mal einen ordentlichen Schluck, dem hängt ja die Zunge fast bis zu den Eiern“, grunzt Petri, einer aus der Runde ohne Hund. Sein eigenes Bier würde er dafür bestimmt nicht investieren, der alte Geizhals, so gut kenne ich ihn.

„Na los, Adolf: Mit deutschem Gruß!“, fordert mich Paule auf, während ich noch versuche, in Richtung der Parkallee zu peilen. Ob sie vielleicht dort wartet und eine neue Markierung setzt in der Hoffnung, dass ein richtiger Kerl ihre Botschaft versteht?

„Hey, ich hätte demnächst Lust auf einen straffen Quickie und ich stelle jetzt keine allzu speziellen Ansprüche bei der Partnerwahl“, habe ich aus ihrer Botschaft heraus gerochen. Außerdem ist sie erst drei Jahre alt und hat noch nicht geworfen. Die braucht es aber auch so was von – warum sonst würde sie solche eindeutig unzweideutigen Nachrichten verschicken?

Für solche Dinge habe ich ein Näschen. Die Menschen wissen zwar, dass wir Hunde exzellent riechen können, aber dennoch wundern sie sich immer wieder, welche Nachrichtenvielfalt wir aus der Baumpost herauslesen können. „Der riecht bestimmt, dass da vorhin schon ein Hund da war, hihihihi“, bemerkte gestern eine albern kichernde Zahnspangenträgerin, als sie mich an einer Markierung schnüffeln sah.

Was glaubt die denn? ‚Der riecht bestimmt, dass da vorhin schon ein Hund da war!’

Absoluter Wahnsinn, was es nicht alles gibt! Solche Scharfsinnigkeit haut den stärksten Eskimo vom Schlitten. Wenn die ignorante Schnepfe jetzt noch dahinter käme, dass ein Hund sogar bellen kann, dann wäre ich aber total von den Socken.

So eine Markierung ist für uns wie ein Buch. Oder besser noch: wie eine Zeitung, aber mit Facebook-Funktion. Der neueste Klatsch und Tratsch, Eigentumsansprüche, Nachrichten und wichtige persönliche Daten wie Alter, Geschlecht, Paarungsbereitschaft, aber auch die blanke Wichtigtuerei im Stile von „Ich war hier!“ Wie ich gehört habe, pflegen die Menschen ganz ähnliche Bräuche. Bloß eben nicht, indem sie an einen Baum strullen, sondern sie nehmen dazu ein Klappmesser und ritzen diese Botschaft in die Baumrinde. Und während sie ihr Messerchen zusammenfalten und blöde grinsend ihren Spruch anstarren, der wirklich keine Sau interessiert, erzählen sie was von wegen Umweltschutz und dass ein kleines Hundehäufchen auf der Wiese die Natur verschandele. Woran man mal wieder sieht, dass der Mensch als solcher auf einer relativ niedrigen Stufe der Evolution steht. Obwohl ein gewisser Sockrattes oder so ähnlich – ich habe den Namen nur gehört, im Entziffern menschlicher Verständigungszeichen bin ich nicht viel besser als Kevin im Verstehen der Hundesprache, aber es war auf alle Fälle irgendwas mit Ratte – schon vor tausenden Hundeleben die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis, verbunden mit der Selbstreflexion, als grundlegende menschliche Eigenschaft beschrieben haben will. Muss wohl ein Science-Fiction-Autor gewesen sein, dieser alte Grieche, oder er hat Seinesgleichen Eigenschaften aus der Tierwelt angedichtet. Fabel nennt man so etwas. Den Mund könnt ihr übrigens wieder zuklappen. Ich schaue öfters fern, wir haben zu Hause Full HD, welches sämtliche Farbtöne der Natur von allen Graunuancen bis hin zu blau und rot gestochen scharf zeigt. Einen glasklaren Sound hat die Kiste obendrein. Kevin behauptet zwar, es gäbe sogar noch mehr Farben, aber da bin ich jetzt ein bisschen außen vor, was er damit meint. Gut, er denkt ja auch, dass Hunde ausschließlich schwarz-weiß sehen.

Wer hat aufgepasst, wo liegt der Fehler im Satz? Er denkt…

Außerdem höre ich gern Radio. Vom ausgezeichneten Gedächtnis eines Hundes habt ihr vielleicht schon gehört. Also kein Grund, in Ehrfurcht zu erstarren, wenn ich solche Dinge weiß.

Natürlich hatte ich die Nachricht an der Baumrinde sofort verstanden: Hier ist jemand neu im Revier, jung und mit Sinn für alles Schöne, kennt noch niemanden und würde sich über einen netten, aufgeschlossenen Freund freuen. Das Wichtigste an der Botschaft: Dieser Jemand ist weiblich und er signalisiert: ‚Nicht mehr lange, dann ist meine Zeit gekommen! Ich will mich schon mal ein bisschen umschauen, wer für mich alles in Frage kommt.’

Da will ich den Zweibeiner-Kerl sehen, dem nicht die Zunge über die Mundwinkel hängt bei solchen Angeboten! Ich weiß, bei den Mädels muss man den richtigen Moment abpassen, sonst läuft gar nichts. Wenn sie nicht wollen, dann spielen sie nur mit dir, bringen dein Blut in Wallung, um schließlich die Rute zwischen die Hinterläufe zu klemmen und mit einem frechen Grinsen das Feld zu räumen. Das kenne ich aus Erfahrung und es ist immer ein bisschen, wie soll ich sagen – na, eben unbefriedigend, so etwas zu erleben. Ehrlich gesagt, ich könnte immer! Anfangs dachte ich, mit mir wäre irgendwas nicht in Ordnung und ich müsste mich dafür schämen oder eine Therapie machen. Bis ich erfahren habe, dass alle meine Geschlechtsgenossen, ob nun zwei-, vier- oder sonst wie viel beinig, so empfinden. Es ist halt der Wille der Natur und da geht es den Hunden wie den Leuten und, wie ich von Kevin weiß, den Menschen nicht viel anders.

„Also los, Adolf, mit deutschem Gruß, dann gibt’s ein Bier!“

Die erneute Aufforderung reißt mich aus meinen sehnsuchtsvollen Gedanken. Ich kann nun mal schlecht nein sagen bei den Kumpels und ein bisschen hebt der zu erwartende Applaus auch mein Selbstwertgefühl. Ich setze mich also auf die Hinterläufe, tariere kurz meinen Schwerpunkt aus und strecke dann meine rechte Vorderpfote schnurgerade und leicht nach oben geneigt von mir – ein typischer Adolf-Move eben.

„Höhöhö, a-ha-ha-ha, ja, so ist’s richtig“, erklingt es reihum voller Anerkennung. Kevin packt mich zärtlich am Hals, krault mich und schaut mit einem Stolz auf mich herab, als hätte er selbst dieses Kunststück gezeigt. Hat er aber nicht, obwohl er es ebenfalls kann, ich habe ihn schon mehrmals dabei beobachtet. Scheint auch für ihn nicht ganz einfach zu sein in Sachen Gleichgewicht, denn meistens schwankt er dabei gehörig.

Tscherry hält mir eine Büchse hin und kippt sie leicht nach vorn. Ich platziere meine lange Zunge darunter, lasse das Bier darüber laufen und schlürfe genüsslich. Etwas lauwarm, genau wie ich es am liebsten mag. Ein kräftiger Rülpser, das muss so sein beim Bier trinken, und ich bette meinen großen Kopf behaglich auf die Vorderpfoten.

„Wer zuviel säuft, stirbt“, mault Irvin beleidigt, weil er nichts abbekommen hat.

„Säufste zu wenig, stirbste och“, brummt Kanu zur Antwort.

Er streckt mir seine rechte Pfote hin, ich stupse meine linke dagegen, anschließend stoßen wir die Stirnseiten unserer Häupter gegeneinander. Firo schüttelt seinen Kopf leicht. Ich kann mir nicht helfen, es sieht irgendwie tuntig aus. „Euer Abklatschritual finde ich so was von affig, um nicht zu sagen, menschlich, da fällt mir einfach nix dazu ein“, spielt er den Empörten. „Möchte mal wissen, wo ihr das her habt.“

„Kannste auch nicht wissen, hat nix mit dir zu tun – das machen nur richtige Kerle“, gebe ich ihm sein „menschlich“.

Angesichts der gemütlichen Runde unter Freunden und des wohligen Biergenusses rutscht die weibliche Botschaft, die mich dermaßen in Aufregung versetzt hatte, ein ganz kleines bisschen aus dem innersten Fokus meines Interesses. Ich begebe mich in meine Wohlfühl-Stellung.

„Guck mal, der leckt sich die Eier“, kickert auf einmal die dralle Christel, stupst ihren Freund an und zeigt auf mich. Ich schaue kurz hoch. Ist irgendwas?

„Na, der hat’s gut“, brummt Wanne mit einem Blick zuerst in meine Richtung, um dann demonstrativ zu Christels gewagtem Ausschnitt herum zu schwenken.

„Pff, mach’s dir doch selber“, keift diese zurück und dreht ihre einladende Auslage von ihm weg.

Paule lacht dröhnend. „Wenn Wanne sich tatsächlich selbst die Eier lecken könnte, glaubst du, dann bräuchte er noch dich?“

Jetzt lachen alle und ich wette um fünfundzwanzig saftige Markknochen, dass die Dicke ihre despektierliche Bemerkung über meine Ansicht von Entspannung bereits heftigst bereut.

„Warum er das wohl macht?“, versucht Kevin seinerseits, einen philosophischen Touch in das Gespräch einfließen zu lassen und blickt nachdenklich auf mich. Seine letzte Paarungszeit liegt bereits ein Weilchen zurück, versuche ich mich zu erinnern. Doch zeitgenaue Rückbesinnung gehört nicht gerade zu den Kernkompetenzen eines Hundes, auch wenn sich unser Gedächtnis im Allgemeinen sehen lassen kann. Wir merken uns eher Ereignisse und Vorfälle, weniger deren exakten Zeitpunkt. Ist aber jedenfalls schon lange her, das weiß ich genau.

„Na weil er’s kann!“, grunzt Wanne als Erwiderung auf Kevins Frage.

„So ein Tausendsassa aber auch“, staunt Kevin seinerseits und schüttelt dabei den Kopf, als könne er nicht wirklich glauben, dass ich ein Tausendsassa bin.

„Können das alle Hunde?“, will jetzt Biene wissen. Sie scheint sich ehrlich für das Thema zu interessieren.

Herr im Himmel – am liebsten würde ich ihr mit einer Gegenfrage antworten: „Keine Ahnung, aber was meinst du, ob der Papst wohl katholisch ist?“

Zweibeiner.

Das ist echt ein Völkchen für sich.

Warum sollte ich das denn nicht machen? Ist da irgendetwas seltsam dran? Ich kenne keinen Rüden, der das nicht macht und außer den Menschen findet wirklich niemand etwas komisch dabei. Ich lege doch auch nicht den doppelten Staunemann aufs Parkett, wenn sich die Weibchen der Zweibeiner ihre Möpse zurechtrücken und die Männchen sich am Sack kraulen. So ist nun mal die Rollenaufteilung und der liebe Gott, Wotan oder wer auch immer wird sich schon was dabei gedacht haben, als er das so einrichtete. Nur die Menschen haben da ’ne lange Leitung. In Blitzkrieg sind sie ganz klar schneller.

Ich lege mich der Länge nach hin, die Rute entspannt am Körper und genieße die Frühlingssonne. Was für ein herrliches Wetter! Der Boden angenehm kühl, das gleicht die Wärme der Sonne aus und ich brauche nicht einmal zu hecheln. Das Bier tut allmählich seine Wirkung zu meinem Wohlbefinden und das Universum um mich herum verschwimmt nach und nach zu einem einheitlichen, romantischem sanften Grau. Dafür formen sich die erspürten Düfte zu lebhaften Bildern. Ein Mädchen, jung und noch ein bisschen unerfahren, ungefähr meine Größe, steht an meiner Eiche im Park. Anmutig hebt sie leicht ihren rechten Hinterlauf. Nicht so stolz und weit ausgestreckt wie wir Männer das tun, sondern eher diskret. Manche Mädels vermeiden sogar gänzlich das Anheben eines Beines, aber dann wird der Strahl mehr versprüht als gezielt und zweckdienlich verspritzt. Vermutlich schweifen ihre Blicke unauffällig in die Umgebung – die Girls sind doch immer neugierig, ob sie auch beobachtet werden und ihre Bemühungen um eine astreine Haltung nicht ins Leere laufen.

Natürlich musste sie wahrgenommen haben, wer vor ihr an dieser Stelle seine Spuren hinterlassen hat – und damit kennt sie auch mich! Zweifellos sind ihr meine diversen Markierungen aufgefallen und das konnte sie nicht davon abhalten, ihre Botschaft zu formulieren. Oh, unbekannte Schöne, wärest du nur einen Augenblick später gekommen, dann hätten wir uns persönlich kennen gelernt! Oder hätte mein Herrchen nicht so viel Zeit vertrödelt beim Drehen seiner Arme-Leute-Kippe, der verfluchte Stümper! Rrrr, wenn ich daran denke, um was mich sein Ungeschick gebracht hat - es ist zum Katzen ausraufen!

Die Emotionalität meiner Rückbesinnung muss sich wohl in meiner Körpersprache widergespiegelt haben.

„Hey, Adolf, was is los, musste ma scheißen?“, fragt Kevin plötzlich und zieht prophylaktisch an der Leine, die er beiseite gelegt hatte.

Nein, muss ich nicht, das mache ich später auf dem Heimweg, vielleicht in der Straßenbahn. Natürlich deutet er meine Regung wieder einmal falsch. Das hätte ich auch gar nicht anders erwartet. Wie gern würde ich ihm von meinen Empfindungen, meinen Träumen und Plänen erzählen, ihn teilhaben lassen an allem, was mich bewegt! Aber dieser nur eingeschränkt kommunikationsfähige Klotz versteht mich einfach nicht. Okay, alles gut, Adolf, reg’ dich nicht auf, du bist auch nicht mehr der Allerjüngste und denke einfach daran: Er ist nun mal nur ein Mensch!

Also strecke ich mich wieder ganz entspannt aus, nähere meinen Kopf seinem Schoß und die Welt ist in Ordnung. So halbwegs jedenfalls, abgesehen von meinem unerfüllten Schmachten. Was nur, wenn die schöne Unbekannte nicht wiederkommt oder sie immer nur dann kommt, wenn ich nicht da bin? Oder anders herum? Da ist Kevins Kraulen an meinem Bauch zwar ganz nett gemeint und auch keinesfalls unangenehm, aber längst kein vollwertiger Ersatz für das leidenschaftliche Bespringen einer rassigen Hundedame.

Da geht es ihm schließlich nicht anders. Als er neulich extra seinen geistreichsten Anmachspruch auspackte und dem Weibchen in den hochhackigen Schuhen ein kontaktfreudiges „Hey, Süße, gloobste eijentlich an Liebe uff den ersten Blick oder soll ick noch mal bei dir vorbei loofen?“ hinterher raunzte, da schmetterten ihm die High Heels ein vernichtendes „Nee, lass mal, ich will dich nicht überfordern“ entgegen. Ich legte tröstend meinen Kopf an seinen Oberschenkel, denn wir Männer müssen doch zusammenhalten, aber er knurrte nur enttäuscht: „Scheiße, Mensch, jetzt krieg ick ’nen Hundekopp statt der ihre Handynummer. Einjebildete Zicke!“

Der Rest des Tages vergeht ohne besondere Vorkommnisse. Ich balge mich ein bisschen mit einem mir persönlich unbekannten Golden Retriever, mit dem die Hackordnung noch nicht eindeutig geklärt war. Leider fährt, bevor wir uns einigen können, sein Herrchen dazwischen und giftet meines an, warum „dieser Bluthund“, wie er mich allen Ernstes bezeichnet, nicht angeleint sei im öffentlichen Verkehrsraum. Nicht nur ich, auch mein Rivale muss über eine solche Hysterie schmunzeln. So etwas gehört nun einmal zum Kennenlernen, auch wenn der Kollege freilich ein wenig im Nachteil ist wegen seiner Schnappleine.

Eine Labrador-Mischlingshündin kann ich leider nur von weitem etwas anflirten und eine gar nicht mal so unsympathische Terrierdame hätte ich beinahe erfolgreich ins Gebüsch gezerrt, aber auch da kommt uns deren Frauchen in die Quere.

„Pfui, Edana, um Gottes Willen, ich komme dir zu Hilfe – und Sie nehmen gefälligst Ihren Kampfhund weg, oder Gnade Ihnen Gott, wenn der meiner Edana etwas antut!“

Während sich Edana mit leicht traurigem Blick retten lassen muss, grinst mich Kevin an. „Adolf, det is sexistisch, wat du da machst. Sei bloß froh, dat du’n Hund bist!“

Das tue ich dann prompt und wir gehen weiter nach Hause. Ist irgendwie nicht mein Tag, wenn da nicht diese prägende Bekanntschaft gewesen wäre. Aus irgendeinem Grund lässt sie mich nicht mehr los.

In der folgenden Nacht träume ich. Nicht etwa von der spitzen Edana, auch nicht von der eingebildeten und dabei nicht mal rassereinen Labradordame, sondern von ihr, die ich noch gar nicht persönlich kennen gelernt habe. Ihr Bild begegnet mir so deutlich, als ob wir uns bereits seit Jahren kennen. Mehrmals schrecke ich vor Aufregung aus dem Schlaf und muss mir erst einmal eine Weile die Eier lecken, bevor ich erneut Ruhe finde. Meine Güte, ich kenne wahrlich genug Mädels und ich denke, dass die, die mich näher kennen lernen durften, bisher auch immer zufrieden waren. Na gut, die Kleene aus dem Nachbarblock möglicherweise nicht ganz so rundum, aber dass ich die kleine Spanielin unter Umständen doch etwas zu hart rangenommen habe, wurde mir erst hinterher klar, als sie beim Röcheln die Augen so komisch verdrehte. Aber wenn in Liebesdingen einmal das Temperament mit mir durchgeht… War ’ne Erfahrung, die man abhaken muss und sie hat es überlebt, also was soll’s, tut mir leid, aber es ist nun mal, wie es ist.

Davon abgesehen ziehen sich durchaus einige sehr schöne Erlebnisse mit der holden Weiblichkeit wie eine Perlenschnur durch mein bisheriges Leben. Doch noch nie habe ich erlebt, dass mich eine der Süßen so intensiv in meinen Träumen verfolgt. Dabei ist es bislang nur etwas rein Platonisches. Obendrein eine Fernbeziehung, wir kennen uns nicht mal von Hundeschnauze zu Hundeschnauze! Wer weiß – eventuell steigert sich die Sehnsucht parallel zur Entfernung, die zwischen einem Liebenden und seiner Angebeteten liegt.

Wahnsinn, das muss wirklich Liebe sein! Oder auch das Alter, das kann man so pauschal nicht ausschließen. Immerhin bin ich ein Hund in, naja, noch nicht gerade den „besten Jahren“, wie es die Menschen gern ausdrücken, wenn sie alt werden, aber immerhin im fortgeschrittenen Alter. Noch kein graues Haar, stark und durchtrainiert, die Sinne scharf wie eh und je – vor allem die, die sich mit dem weiblichen Geschlecht beschäftigen! -, aber ein jugendlicher Heißsporn längst nicht mehr. Irgendwann möchte ich mal kleinen Adolfs oder auch Josephs, Heinrichs oder von mir aus Trudes und Evas begegnen, um ihnen sagen zu können: So, nun passt mal auf, Papa zeigt euch jetzt die schönsten Bäume und die heißesten Treffs in der Wuhlheide und wer aus der Reihe tanzt, da gibt’s was auf die Lefzen!

Familie!

Kevin meint zu dem Thema immer: „Weiber“, und damit ist bei ihm alles gesagt. Auch, das er nicht so einfach eine abbekommt zum Bespringen. Bei den Menschen funktioniert das Ganze ein wenig umständlicher als es bei uns üblich ist. Er als Mann muss den ersten Schritt tun, klar, so weit kommt ein Hund noch mit. Aber dann muss sie zunächst ablehnen, er muss zeigen, dass er charmant und einfühlsam ist, aber sie lässt ihn trotzdem nicht, damit sie sicher sein kann, dass es ihm nicht nur ums Bespringen geht. Wenn sie in dieser Hinsicht Gewissheit erlangt hat, lässt sie ihn ran zum Bespringen. Er darf, kurz gesagt, erst dann das tun, worum es ihm eigentlich geht, wenn er ihr erfolgreich das Gefühl gegeben hat, dass es ihm nicht nur darum geht. Damit sie ihm hinterher in 50 Prozent der Fälle sagen kann: Hey, wir hatten Spaß, das war okay, aber bilde dir nicht ein, dass du deshalb gleich der Typ bist, der später mal für meine Kinder Unterhalt zahlen und sie an einem Wochenende im Monat zu sich nehmen darf!

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