Martin Luthers theologische Grundbegriffe

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Abgott

1. Wesen: Ein Idol oder Abgötterei ist nichts anderes als ein menschlicher Wahn und Gedanke, der vom Teufel unter dem Namen des wahren Gottes ins Herz eingebildet wird (16, 348, 22–24). Die Heiden machen ihren eigenen erdichteten Dünkel und Traum von Gott zum Abgott und verlassen sich auf dieses bloße Nichts. Die Abgötterei besteht nicht allein darin, dass man ein Bild aufrichtet und anbetet, sondern im Herzen Hilfe und Trost sucht bei den Kreaturen, Heiligen oder Teufeln und sich um Gott nicht kümmert (30I, 135, 6–16; 28, 621, 12f.). Aller Unglaube ist Abgötterei (10I.1, 684, 7). Denn was ohne Glaube und ohne Bezug auf Christus geschieht, ist Götzendienst. Da nur Gott durch Glaube, Liebe, Hoffnung verehrt wird, ist alles andere, was geliebt, gehofft und besessen wird, ein Abgott. Also gibt es so viele Abgötter wie geliebte Dinge (1, 70, 15–17). Die Liebe zur Bequemlichkeit und die Furcht vor Strafe sind Laster und Arten von Abgötterei, da nur Gott Liebe und Furcht gebührt (2, 469, 6f.). Götzendienst ist das feste Vertrauen auf die Werke (13, 4, 2). Jede Religion, in der Gott ohne sein Wort und seinen Befehl verehrt wird, aus eigener Andacht, ist Götzendienst. Je heiliger und geistlicher sie dem Ansehen nach ist, desto schädlicher und giftiger ist sie, denn sie wendet die Menschen vom Glauben an Christus ab und macht, dass sie sich auf ihre eigenen Kräfte, Werke, Gerechtigkeit verlassen (40II, 110, 14f.). Jede Gottesverehrung ohne Bezug zu Christus ist Götzendienst (40II, 111, 15f.). Götzendienst ist, einem anderen als allein Gott zu vertrauen (31II, 54, 29f.). Es gibt keine größere Sünde des Götzendienstes, als die Verheißung Gottes für eigene Zwecke zu missbrauchen und den Glauben an sie auszulöschen (6, 516, 27–29).

2. Es gibt zwei Arten von Götzendienst: äußeren und inneren. Der äußere geschieht, wenn der Mensch Holz, Steine, Tiere, Sterne anbetet. Dieser ist vom inneren Götzendienst bestimmt, durch den der Mensch aus Furcht vor Strafe oder aus Liebe die äußere Verehrung des Geschöpfes aufgibt, aber innerlich die Liebe und das Vertrauen zu ihm behält (1, 399, 11–17; vgl. 14, 593, 4; 16, 462, 18–463, 2). Aus dem inneren Götzendienst, dem Unglauben, erwächst der äußere, der die Ehre, die nur dem einen Gott gebührt, irgendwelchen Geschöpfen gibt. Auch wenn die Menschen nicht immer Bilder von Geschöpfen anbeten, haben sie doch dieses Ehrgefühl ihnen gegenüber, das die Quelle des Götzendienstes ist (5, 103, 33f.; vgl. 14, 618, 27f.).

3. Ursache: Allein das Trauen und Glauben des Herzens macht beide, Gott und Abgott (30I, 133, 4). Wenn einer von dem ersten Gebot abfällt, richtet er einen Abgott und ein Werk auf, darauf er vertraut (28, 574, 20f.). Die Missachtung des ersten Gebots führt dazu, statt dem wahren Gott den Götzen der eigenen Weisheit und Gerechtigkeit zu verehren (1, 426, 18). Ohne Glaube sind alle Werke und guten Vorsätze gottloser |8|Götzendienst (8, 334, 8). Der Hochmut, der im ersten Gebot verboten wird, ist der Anfang der Sünde und ist Abfall von Gott durch Selbstvergötzung. Die größte Sünde ist es, sich selbst zu genügen und einen anderen Gott in sich selbst zu verehren. Seit Adam gab es niemand, der nicht diesen Götzendienst in sich pflegte (1, 518, 13–19). Der Grund für den Götzendienst liegt im Abfall vom Glauben und im Vertrauen auf die eigenen Kräfte, wie die Vernunft, auch wenn eine Kenntnis von Gott und Christus vorhanden ist (40II, 110, 31f.). Durch das Vertrauen auf die eigene Gerechtigkeit sollen die Sünden getilgt und Gnade und ewiges Leben erlangt werden (40II, 111, 14f.). Der freie Wille schafft einen Götzen, weil er sich göttliche Macht anmaßt (13, 39, 4f.). Wer sich durch eigene Vernunft und freien Willen glaubt von Sünden fernhalten zu können, richtet in sich einen Abgott seines Herzens auf (8, 553, 2–5; vgl. 8, 171, 29–34). Der durch das Fleisch bestimmte alte Mensch, der noch nicht durch den Geist erneuert ist, baut auf den Götzen seiner eigenen Weisheit (4, 136, 30–32). So muss die Vernunft Abgötter machen (10I.1, 240, 22–25). Wenn nicht die Kenntnis Gottes allen Menschen unauslöschlich eingepflanzt wäre, wäre niemals der Götzendienst erfunden worden (5, 392, 37f.). Diese Gotteserkenntnis ist aber ein bloßer Formalbegriff von Gott, da sie die Wahrheit Gottes in Lüge verkehrt und den wahren Gott in den Geschöpfen sucht und umgekehrt (5, 393, 5–11).

4. Der Götzendienst ist als solcher nur denen erkennbar, die an Christus glauben, da er den Schein der Heiligkeit hat (40II, 111, 20f.).

5. Beispiele für Götzendienst sind das Mönchsleben mit Fasten und Beten (40II, 110, 28f.; vgl. 6, 439, 7–39; 8, 619, 3; 13, 229, 12), das Priestertum der Papstkirche und die von ihm als Opfer verstandenen Messen (8, 417, 36–38; vgl. 6, 564, 28; 8, 489, 19; 30II, 307, 31–34; 38, 197, 23), erst recht die Privatmesse (40II, 111, 26f.). Denn sie haben in dem Sakrament nicht einen wahren Gott, sondern machen und erdichten sich einen Abgott ihres Herzens, der zornig und zu versöhnen sei (8, 518, 29–33). Wenn der Papst die Kirche ohne das Wort Gottes regiert, ist er ein Götze gegen Christus (7, 131, 2f.; vgl. 2, 670, 30f.; 5, 456, 2f.). Die Heiligen werden zu Götzen gemacht, wenn man sich von ihnen Hilfe verspricht (1, 411, 13f.; vgl. 418, 37). Allerdings soll die Kritik an der Heiligenverehrung nicht zum Bildersturm veranlassen, da auch im Alten Testament die rechten Abgötter nicht schaden, wenn nur der rechte Gott mit dem Herzen angebetet wird, obwohl man sie äußerlich anbetet (18, 79, 20–22). Selbst das Wort Gottes kann zum Götzen werden, wenn es durch den menschlichen Geist verfälscht wird, so dass es nicht mehr dazu dient, die Seele zu erheben, sondern zum Irrtum zu verführen (1, 620, 23–25; vgl. 4, 318, 11–14). Selbstvergötzung ist die höchste Verkehrtheit, nämlich sich selbst zu genügen und sich selbst zu genießen in seinen Werken und sich selbst als Götzen abzubeten (1, 358, 5–7). Gott nicht zu glauben und die Wahrheit bei sich selbst zu suchen, bedeutet, Gott zu verneinen und sich selbst in seinem Herzen zum Götzen zu erheben (7, 54, 12–15). Sich selbst nicht als Sünder zu verstehen und zu zweifeln, dass Gott an uns Gefallen hat, bedeutet, Gott zu einem Lügner zu machen und sich selbst zur Wahrheit, also die größte Abgötterei (1, 187, 37–39; 2, 460, 24–27; 6, 211, 25–29). Das irdische Wohlergehen und irdische Güter werden zu Götzen, wenn man sein Herz daran hängt (30I, 133, 18–25; vgl. 7, 593, 17f.).

|9|📖 Albrecht Peters, Kommentar zu Luthers Katechismen, Band 1, 1990, 109–137. Uwe Rieske-Braun, Glaube und Aberglaube, in: LuJ 69 (2002) 21–46.

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Ablass

→ Buße

Das Wort Ablass bedeutet bei Luther wie schon vor ihm allgemein das Ablassen, Nachlassen, Erlassen von etwas, dann spezifischer den Nachlass von Schuld und schließlich terminologisch den Nachlass von Sündenstrafe.

1. Wesen: Der Ablass erlässt Werke der Genugtuung und versöhnt den Menschen äußerlich mit der Kirche (1, 243, 12–14; 2, 714, 13f.). Er ist kein gutes Werk, sondern der Erlass guter Werke um eines geringeren Werkes willen. Auch wenn das gute Werk, für das der Ablass gewährt wird, verdienstlich wäre, ist deshalb der Ablass nicht verdienstlich, da das von ihm erlassene Werk nicht weniger, ja sogar mehr verdienstlich wäre. Der Ablass ist vielmehr schädlich, da er gute Werke erlässt (1, 570, 2–7). Er kann höchstens kirchliche Strafen nachlassen, nicht jedoch göttliche (1, 233, 18f.; 234, 15–18; 235, 1–4). Denn alles, was Gott auferlegt, ist zuträglich den Christen und bessert sie (1, 245, 3f.). Der Ablass verspricht missbräuchlich auch Nachlass der Schuld (30II, 282, 15–17). Der Ablass ist eine schändliche, verfluchte Abgötterei (50, 76, 2; vgl. 30II, 284, 32).

2. Ursache: Die römische Kirche schöpft die Erteilung des Ablasses aus dem Schatz der Kirche, der in den überschüssigen Verdiensten Christi und der Heiligen besteht (1, 605, 34–36). Dann wäre der Ablass kein Ablass, da er nicht gnädiger Nachlass wäre, sondern die Anwendung fremder Genugtuung (1, 606, 1f.), die Übertragung fremder Werke auf andere (1, 608, 38f.).

3. Wirkung: Die Seelen sollen durch den Ablass aus dem Fegfeuer gezogen werden. Aber das Fegfeuer ist wie die Verzweiflung oder die Hölle, aus der die Seelen weder durch Fürbitten noch durch Ablässe gebracht werden können, außer durch das Gebet der Kirche (5, 204, 28–31).

4. Folgen: Der Ablass mindert die Buße, er verhindert die Bereitschaft zur Genugtuung, er hält von guten Werken ab. Thomas, Bonaventura und ihre Anhänger sagen beständig und übereinstimmend, dass gute Werke besser sind als Ablass (1, 609, 10f.). Wer sich auf den Ablass verlassen hat, der hat damit den Heiland Jesus Christus fahren lassen, verleugnet und vergessen und keinen Trost an ihm (30III, 309, 7–10). Die wahrhaftige Reue sucht und liebt die Strafen; die Fülle der Nachlässe aber erlässt sie und lehrt sie zu hassen (1, 235, 16f.; 244, 38f.). Ablass nimmt nicht die Sünde ab, sondern die Strafe der Sünde. Nun ist niemand so närrisch (ausgenommen der Papst und seine Schmeichler), der da meine, dass Nachlassung der Strafe jemand bessere, sondern Auflegung der Strafe mag jemand zu bessern, wie Vernunft, Erfahrung, Schrift lehren (7, 401, 11–16).

5. Das Evangelium befreit vom Ablass (30II, 281, 25–29; 50, 209, 14–22). Der Friede der Christen ist die Herrlichkeit des Gewissens, die nicht durch Ablässe, sondern durch Vergebung der Schuld allein durch die Gnade zustandekommt (1, 314, 12f.). Gott allein vergibt die Schuld durch Gnade, die nicht durch Ablass erlangt werden kann (2, 29, 9–11).

 

|10|6. Auch will Augustin in seinen vielen Schriften gegen die Donatisten auf nichts anderes hinaus, als dass die Sünden von Gott allein vergeben werden (1, 539, 8–10). Der Irrtum über den Ablass bei Bonaventura, Thomas von Aquin, Alexander von Hales u.a. ist durch Aristotelesrezeption bedingt (1, 611, 21–612, 23).

📖 Heinrich Bornkamm, Thesen und Thesenanschlag Luthers. Geschehen und Bedeutung, 1967. Hannegreth Grundmann, Die theologische Grundlage von Luthers Kritik am Ablass, in: Rainer Rausch, Hg., Gnade – Sonst nichts! 2014, 83–113. Berndt Hamm, Die 95 Thesen, in: ders., Der frühe Luther, 2010, 90–114. Bernd Moeller, Die letzten Ablaßkampagnen. Luthers Widerspruch gegen den Ablaß in seinem geschichtlichen Zusammenhang, in: ders., Die Reformation und das Mittelalter, 1991, 53–72. Thomas Schirrmacher, Der Ablaß, 2005. Wolfgang Thönissen, Luthers 95 Thesen, in: Meilensteine der Reformation, 2014, 89–99. 259–261.

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Affekt

→ Angst, Freude, Fühlen, Glaube, Herz, Hoffnung, Liebe, Zorn

Luther verwendet das lateinische „affectus“ sehr häufig für eine emotionale Gestimmtheit oder eine Ausrichtung des Willens, während die deutsche Form Affekt nur selten vorkommt.

1. Wesen und Arten: Der Affekt ist die Bestimmtheit des Herzens. Die Menschen sind von ihren Affekten gefangen, denen sie folgen, sie hören nicht andere Ratgeber (20, 167, 25f.). Aber der Affekt gehört zum guten Handeln dazu: Was ohne den guten Affekt des Herzens geschieht, das geschieht vergeblich und ist sündhaft (7, 766, 14f.). Aus den Affekten entstehen die Werke des Menschen (38, 646, 10–12). Die Menschen sind mehr am Affekt zu messen als an ihrer Rede (18, 644, 15f.). Religiös gilt: Der Affekt bildet mehr als der Verstand (3, 186, 4). Deshalb bedarf auch die Theologie der Affekte (18, 669, 4–6). Der Mensch besitzt gute Affekte, wie Barmherzigkeit, Wohlwollen, Geduld, Milde nicht von Natur aus, sondern nur durch die Gnade Gottes in Christus (1, 263, 20–22). Christus ist die Quelle aller guten Affekte (1, 341, 3–12). Durch Christus weichen die bösen Affekte den guten: Wenn man hört, dass er für uns gelitten hat, und glaubt, entsteht das Vertrauen auf ihn und die süße Liebe, und so vergeht jeder Affekt, der sich an unnütze Dinge hängt (1, 399, 32–34). Das Gesetz kann die Affekte nicht zum Guten verändern, sondern nur die Gnade und der Glaube (9, 355, 14f.; 426, 3f.; 431, 11f.). Die Affekte Hass und Liebe liegen allen anderen zugrunde (5, 139, 29f.). Das Gebot, den Nächsten zu lieben wie sich selbst, setzt die Selbstliebe voraus. Nichts ist im Menschen tiefer verankert als dieser Affekt: sich selbst zu lieben (57II, 41, 17f.). Die Gottesbeziehung wird durch die Affekte bestimmt: Gott verändert sich, je nachdem unser Affekt ihm gegenüber sich verändert (14, 608, 26f.). In bezug auf Gott ist der Affekt, der ihm Ehre gibt, der höchste und erste aller anderen Affekte (5, 198, 5). Der Affekt der Liebe zu Gott lässt die Menschen wollen und lieben, was der Verstand und der Glaube sie verstehen lässt (56, 239, 10–13). Das erste Gebot fordert zwei grundlegende Affekte Gott gegenüber: Furcht und Vertrauen (30I, 59, 27f.). Für die christliche Ethik ist die Eintracht der Menschen untereinander der grundlegende Affekt (7, 484, 13f.). Dieser Affekt ist die innere Bewegung des Herzens zum Nächsten hin (7, 484, 18f.). Aber dieser Affekt kann auch die Einheit |11|der Kirche gefährden, wenn er zu konkurrierender Gruppensolidarität führt (7, 484, 21–23). Deshalb gilt: Wieviel Affekte, soviel Herzen, die sich aber alle im Namen Christi rühmen (7, 484, 26f.).

2. Der Affekt bestimmt das Verhältnis zu Christus: Wenn sich das Herz Christus durch den Glauben ergibt, dann wird davon das Herz süß, fröhlich, getrost, unerschrocken und hat Friede vor allem Jammer (7, 190, 23–36). Die heilige Schrift ermahnt mehr zur Betrachtung der Passion Christi mit dem Affekt als mit dem Verstand (1, 343, 28f.). Denn der Verstand kann nicht begreifen noch die Sprache sagen, was es bedeute, dass Christus gelitten hat, sondern nur der Affekt kann es erfassen. (1, 344, 9–11). Aber niemand ergreift Christus, es sei denn, sein Herz sei leer von allen irdischen Affekten (9, 519, 22–23). Denn das Herz soll sich nicht an endliche Güter hängen.

3. Der Affekt soll durch den Glauben bestimmt werden: Aus dem Glauben geht sofort frei der süßeste Affekt des Herzens hervor, durch den der Geist des Menschen erweitert und geöffnet wird, das ist die Liebe, die durch den heiligen Geist in Christus geschenkt wird, damit er zu Christus gezogen und ein gänzlich anderer und neuer Mensch wird (6, 515, 29–33). Die Schau Gottes bedeutet, sich mit Verstand und Affekt abzuwenden von allem Sichtbaren und sich hinzuwenden zum Unsichtbaren und Göttlichen. Die Seele wird nicht anders umgewandelt als durch Affekt und Verstand, was durch den Glauben geschieht (4, 107, 30–34). Wer an Christus glaubt, der ist wiedergeboren oder neu geboren. Bleibt er nun in diesem Glauben, so ist der heilige Geist da, gibt Glauben und neuen Verstand ins Herz, er erweckt auch heilige und neue Gedanken und Affekte, damit man anfängt, Gott zu lieben (47, 14, 8–16). Luther kann auch den Glauben als einen Affekt bezeichnen, aber als einen, der nicht aus den eigenen Kräften des Menschen kommt, sondern vom heiligen Geist (2, 458, 26f.; vgl. 5, 460, 2). Glaube, Hoffnung und Liebe sind eigentlich die besten und göttlichen Affekte (5, 460, 18f.). Der Affekt des Glaubens muss in den Glaubensartikeln geübt werden, nicht der Verstand der Philosophie (39II, 5, 39f.). Wenn die Liebe durch den Glauben bestimmt ist, dann ist sie nicht mehr ein der menschlichen Natur entspringender Affekt (2, 578). Also muss der Affekt frei sein von aller unserer Weisheit und Gerechtigkeit und sich nur auf Gott verlassen und sich nichts rühmen (9, 103, 35–37). Gott kann geglaubt werden, dass er gütig und gnädig sei, auch wenn er selbst sich anders stellt und alle Sinne und alles Fühlen anders dächten. Denn damit wird das Fühlen getötet und geht der alte Mensch unter, damit lauter Glauben an Gottes Güte und kein Fühlen in uns bleibe (17II, 66, 26–30). Will einer ein Christ sein und nach dem Fühlen sich richten, so verliert er Christus (32, 34, 20f.).

4. Der böse Affekt: Niemand kann sich rühmen, ein reines Herz zu haben, weil das Fleisch, das ist der Affekt des Fleisches und die Begierde, die der Grund des alten Übels ist, den ganzen Menschen verdirbt (2, 415, 11–13). Nicht nur die niederen Affekte sind im sündigen Menschen von der Sünde beherrscht, sondern auch und gerade die höheren, wie Vernunft und Wille, also der ganze Mensch (18, 742–783). Eine Sünde zu vollbringen bedeutet, dem Ansporn und Affekt der Sünde zu folgen (20, 700, 38). Die Affekte des Fleisches sind Furcht, Hoffnung, Freude, Traurigkeit. Sie entstehen aus Hass und Liebe. Durch diese Affekte wird der Mensch daran gehindert, zu Christus zu gelangen, weil er durch sie den zeitlichen Gütern anhängt (4, 102, 7–11). Gottes Wort strebt immer gegen menschliche fleischliche Affekte und Gedanken (17II, 282, 1f.). |12|Aber vom menschlichen Wort gilt, dass die Affekte immer stärker sind, als es Worte sein können (20, 22, 35).

5. Der Psalter ist nichts anderes ist als eine Schule und Übung der Affekte (5, 46, 15–19).

📖 Günther Metzger, Gelebter Glaube. Die Formierung des reformatorischen Denkens in Luthers erster Psalmenvorlesung, dargestellt am Begriff des Affekts, 1964. Birgit Stolt, Gefühlswelt und Gefühlsnavigierung in Luthers Reformationsarbeit, 2012. Karl-Heinz zur Mühlen, Art. Affekt II. 6 Luther, in: TRE 1, 605–612. Ders., Die Affektenlehre im Spätmittelalter und in der Reformationszeit, in: ders., Reformatorisches Profil, 1995, 101–122. Johann Anselm Steiger, Hg., Passion, Affekt und Leidenschaft in der Frühen Neuzeit, 2005.

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Allegorie

→ Analogie, Buchstabe, Geheimnis, Geschichte, Sinn

1. Wesen: Allegorie ist eine fortgesetzte Metapher (38, 539, 34). Die Allegorie gibt etwas anderes vor in den Worten und bedeutet etwas anderes im Sinn (2, 551, 7–10). Die Neigung zur Allegorie ist dem menschlichen Geist natürlicherweise zu eigen (5, 505, 16). Die Allegorien erzeugen keine sicheren Beweise in der Theologie, sondern sie schmücken und beleuchten die Sache wie Bilder (40I, 657, 13–22; vgl. 25, 141, 36; 44, 109, 13–18). Was Paulus Allegorie nennt, nennen Origenes und Hieronymus den geistlichen Sinn (2, 551, 16f.). Die Unterscheidung zwischen Literalsinn und allegorischem Sinn deckt sich nicht mit der zwischen Buchstabe und Geist (2, 551, 23–34). Denn der Literalsinn kann Geist, die Allegorie toter Buchstabe sein (7, 655, 27–29; 22, 219, 14–17). Durch Allegorien und Gleichnisse wird der gewöhnliche Mensch stark angesprochen. Deshalb verwendet sie auch Christus häufig. Sie sind nämlich wie Bilder, die den einfachen Menschen die Dinge wie vor Augen gemalt zeigen und die deshalb die Gemüter sehr bewegen, besonders der Ungebildeten (40I, 652, 33).

2. Umgang: Es ist nicht erlaubt, in der Schrift mit Allegorien zu spielen, es sei denn, dass die Allegorie durch andere Stellen der Schrift unwiderleglich erwiesen ist (5, 541, 16f.). Diejenigen, die die heilige Schrift studieren und Prediger werden wollen, sollen sich hüten vor den geistlichen Deutungen oder Allegorien (16, 67, 24–26; vgl. 43, 667, 4–10). Nach Paulus gelte, dass wer heimliche Deutungen einführen will, der sehe zu, dass er sie deute auf den Glauben, dass sie sich zum Glauben reimen (16, 68, 11–28). Paulus war der beste Meister im Umgang mit den Allegorien, da er sie auf die Lehre vom Glauben, auf die Gnade und auf Christus bezog, nicht auf das Gesetz und die Werke, wie es Origenes und Hieronymus taten. Wer nicht die vollkommene Erkenntnis der christlichen Lehre hat, kann die Allegorien nicht sinnvoll behandeln (40I, 653, 14–20; vgl. 14, 500, 14f.; 16, 275, 15–18; 25, 240, 10f.). Aber die Befestigung des Glaubens besteht nicht in Allegorien (31II, 97, 23). Aus der Geschichte ist der Glaube aufzubauen, in dem allein wir verharren sollen und nicht so leicht auf Allegorien verfallen (31II, 242, 24–26). Der Allegorie geht immer das Fundament der Geschichte voraus (16, 579, 30). Die Allegorie ist schädlich, wenn sie nicht mit der Geschichte übereinstimmt (43, 667, 4f.). Der Umgang mit Allegorien ist recht, wenn in ihnen der Dienst des Wortes und der Lauf des Evangeliums und des Glaubens |13|gefunden werden (14, 500, 18f.; vgl. 11, 665, 13; 16, 255, 7). Wer eine Allegorie in der Schrift finden will, bemühe sich, dass er alles auf Christus beziehe (14, 306, 20f.). Die Glaubenden können mit Allegorien erbaut werden, den Ungläubigen hingegen kann durch sie nichts bewiesen werden. Andererseits verstehen die Ungebildeten durch Ähnlichkeiten, Gleichnisse, Allegorien mit Vergnügen (2, 550, 13f.). Man soll aber beim grammatischen und historischen Sinn bleiben (31II, 243, 16; vgl. 25, 113, 11–14), dem wahren Kern und Saft der Schrift. Dann kann man das Geheimnis hinzufügen (16, 72, 1f.). Die sich unter Vernachlässigung der Geschichte an Allegorien erfreuen, die gewinnen nur Nichtiges. Zweck der Allegorien ist nur, dass sie als Ornamente und Veranschaulichungen benutzt werden, im Kampf aber nützen sie überhaupt nichts. Die Geschichten aber leisten einen großen Beitrag zur Vermehrung und Befestigung des Glaubens (25, 225, 21–25; vgl. 31II, 89, 11f.; 97, 13–23). Luther hat seit der Zeit, als er begann, den historischen Sinn hochzuschätzen, die Allegorien verschmäht und sie nicht gebraucht, es sei denn, der Text selbst wiese sie auf oder die Deutungen könnten aus dem Neuen Testament entnommen werden (42, 173, 26–29; vgl. 666, 36–667, 3). Die Allegorien sollen nicht grundsätzlich verdammt werden, da Christus und die Apostel sie auch gebraucht haben nach der Analogie des Glaubens, so dass sie die Lehre schmückten und die Gewissen trösteten (42, 367, 32–40). Denn die Allegorie muss den Glauben nähren (43, 582, 20f.).

3. Gegenstände: Alle geschaffenen Ordnungen sind Masken Gottes, Allegorien, durch die er seine Theologie rhetorisch malt: alles soll Christus in sich fassen (40I, 463, 9–464, 1). Alles Sichtbare kann verstanden werden als Figuren und Allegorien unsichtbarer Dinge. Aber Figur oder Allegorie sind keine Sakramente (6, 550, 21f.). Das Abendmahl ist keine Allegorie, die meint, das Brot bedeute des Herrn Leib, so Luther gegen Zwingli (26, 390, 27–29).

 

📖 Gerhard Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung, 1942. Timothy H. Maschke, The understandig and use of allegory in the lectures on the Epistle of Saint Paul to the Galatians by Doctor Martin Luther, 1993. Hans Wernle, Allegorie und Erlebnis bei Luther, 1960.