Martin Luthers theologische Grundbegriffe

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Buchstabe/Geist

→ Allegorie, Auslegung, Schrift, Sinn, Theologie

1. Auch wenn die Unterscheidung zwischen historischem und allegorischem Sinn der heiligen Schrift abgelehnt wird, muss doch an der Unterscheidung zwischen Buchstabe und Geist, buchstäblichem und geistlichem Verständnis festgehalten werden. Der Buchstabe ist das Gesetz ohne die Gnade. Jedes Gesetz ist Buchstabe, sei es allegorisch oder tropologisch verstanden, also alles, was geschrieben, gesagt, gedacht werden kann ohne Bezug auf Gnade. Allein die Gnade aber ist der Geist. Daher wird geistliches Verständnis nicht genannt, was mystisch oder anagogisch ist, wie die Gottlosen vorgeben, sondern das eigentliche Leben und die Erfahrung des durch den Finger |46|Gottes und seine Gnade in die Seele eingeschriebenen Gesetzes und die vollkommene Erfüllung dessen, was das Gesetz vorschreibt und fordert (2, 551, 27–34). Jedes Gesetz ist geistlich, wenn seine Forderung im Geist als erfüllt verstanden wird. Es ist nur dann Buchstabe, wenn die Gnade, die es erfüllt, nicht da ist. Also ist es nicht an sich Buchstabe, sondern für mich, besonders dann, wenn es so verstanden wird, dass die Gnade nicht notwendig wäre (2, 551, 37–552, 2; vgl. 7, 653, 35–654, 8). Der Buchstabe ist nichts anderes als das Gesetz ohne Gnade. Aber der Geist ist nichts anderes als die Gnade ohne Gesetz. Wo nun der Buchstabe ist oder Gesetz ohne Gnade, da ist kein Aufhören mit Gesetz zu machen, lehren und wirken. Wo der Geist Gottes ist, da ist Freiheit, da bedarf man keiner Lehre noch Gesetz, und geschieht doch alles, was geschehen soll (7, 659, 26–32).

2. Umgang: Der Apostel will, dass man den Buchstaben predige und klar mache (7, 656, 3–6). Wo man allein das Gesetz predigt und den Buchstaben treibt, wie im Alten Testament geschehen, und nicht darauf den Geist predigt, da ist Tod ohne Leben, Sünde ohne Gnade, Pein ohne Trost, da werden elende gefangene Gewissen, die zuletzt verzweifeln und in ihren Sünden sterben müssen und durch solche Predigt ewig verdammt werden (7, 657, 22–27).

3. Buchstaben und Geist hat man so verstanden aus Origenes und Hieronymus, dass Buchstabe heiße den schriftlichen Sinn und Verstand, den schriftlichen Sinn heißen sie die Erzählung einer Geschichte, wie sie da liegt in der Schrift nach den Worten und in dem Verstand, den die Worte natürlich geben. Geistlichen Sinn aber heißen sie, wenn man unter den Worten einen anderen heimlichen Verstand gibt (22, 218, 22–29). Wie sie allenthalben in der Schrift vorgeben, der Text oder Historia an ihm selbst sei nichts als ein toter Buchstabe, aber ihre Deutung sei der Geist, und haben doch solche Deutung nicht weiter geführt als auf die Lehre des Gesetzes, das doch nicht anders ist, als eben das, was Paulus den Buchstaben heißt (22, 219, 17–22). Das Wort Buchstabe heißt er alles, was da gelehrt, geordnet, geschrieben wird, so dass es bleibt Wort oder Schrift oder auch Gedanken, die man malen, schreiben, reden kann, aber nicht ins Herz geschrieben sind oder im Herzen leben, als da ist das ganze Gesetz Mose oder Zehn Gebote (22, 219, 28–32). Mit diesen zwei Worten, Buchstaben und Geist, will Paulus nun die zweierlei Predigten gegeneinander halten: Gesetz und Evangelium (22, 220, 15–19). Das alte Testament predigt den Buchstaben, das neue predigt den Geist (7, 653, 17f.; vgl. 654, 29–36). Der Buchstabe macht, dass niemand vor Gottes Zorn bleiben kann. Der Geist macht, dass niemand vor seiner Gnade verderben kann (7, 659, 3f.).

📖 Oswald Bayer, Neuer Geist in alten Buchstaben, 1994. Gerhard Ebeling, Luther, 1964.

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Bund

In der Schrift zeigen die Wörter: Bund, Vertrag, Verheißung, Testament, Bogen des Bundes, Zeichen des Bundes, Zeugnis, Kelch des neuen und ewigen Testaments gewisse Zeugnisse der göttlichen Dinge an (9, 348, 9–11).

1. Der alte Bund: Wo in der Schrift Gottes Testament durch die Propheten genannt wird, ist zu verstehen gegeben, dass Gott sollte Mensch werden, sterben und |47|auferstehen, auf dass sein Wort erfüllt und bestätigt würde, und es ist also das kleine Wörtlein Testament ein kurzer Begriff aller Wunder und Gnaden Gottes durch Christus erfüllt (6, 357, 20–27).

2. Der neue Bund: Christus spricht, es sei ein neues, ewiges Testament in seinem eigenen Blut zur Vergebung der Sünde, womit er das Alte Testament aufhebt, denn das Wörtlein neu macht das Testament des Mose alt und untüchtig, das hinfort nicht mehr gelten soll. Das Alte Testament war ein Versprechen durch Mose dem Volk Israel getan (6, 357, 28–33). Stücke in diesem Testament der Messe: Es ist zum ersten der Testator, der das Testament macht, Christus, zum anderen die Erben, denen das Testament beschieden wird, das sind wir Christen, zum dritten das Testament an ihm selbst, das sind die Worte Christi, da er sagt: das ist mein Leib. Zum vierten, das Siegel oder Wahrzeichen ist das Sakrament, Brot und Wein, worunter sein wahrer Leib und Blut zu verstehen ist, denn es muss alles leben, was in diesem Testament ist, darum hat er es nicht in tote Schrift und Siegel, sondern in lebendige Worte und Zeichen gesetzt, die man täglich wieder vollzieht (6, 359, 13–22; vgl. 8, 521). Neues Testament ist Verheißung, ja viel mehr, Schenkung der Gnade und Vergebung der Sünden, das ist das rechte Evangelium (26, 468, 32–34). Die Worte: Bund, Vertrag, Testament des Herrn, sind in der Schrift sehr geläufig, mit denen Gott anzeigt, dass er einst sterben werde. Denn wo ein Testament ist, da tritt der Tod des Gebers ein. Gott ist aber der Geber, also war es notwendig, dass er stürbe. Er konnte aber nicht sterben, es sei denn, er würde Mensch. So sind in dem einen Wort Testament sowohl die Menschwerdung als der Tod Christi kurz angedeutet (6, 514, 4–10). Seinen Bund nennt Christus nicht mehr die Zehn Gebote oder das alte Gesetz, sondern das Neue Testament, das Evangelium, darin er sich mit uns so verbindet, dass, wer an ihn glaubt, selig werden soll durch sein Blut und Leiden (30I, 417, 23–32).

3. Vor Gott sind wir ungerecht und unwürdig, so dass wir, was immer wir auch tun könnten, nichts vor ihm sind. Auch Glaube und Gnade, durch die wir heute gerechtfertigt werden, rechtfertigen uns nicht aus sich selbst heraus, wenn es nicht der Bund Gottes täte. Genau daraus nämlich, weil er ein Testament und einen Bund mit uns geschlossen hat, dass jeder, der glaubt und getauft wird, gerettet werde, sind wir gerettet. In diesem Bund ist Gott wahrhaftig und treu, und wie er verheißt, so tut er. Deshalb ist es wahr, dass wir vor ihm immer in Sünden sind, damit er selbst in seinem Bund und Testament, das er uns gelassen hat, der Rechtfertigende sei (3, 289, 1–7). Der Bund des guten Gewissens mit Gott ist nun der Glaube, kein äußerliches Werk, das du tun kannst (12, 370, 30–371, 4).

📖 Bertold Klappert, Promissio und Bund, 1976.

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Buße

→ Ablass, Bekehrung, Genugtuung, Reue, Versöhnung

Das griechische Wort metanoia bedeutet die Veränderung des Geistes und Affektes, aber nicht nur das, sondern auch die Weise der Veränderung, nämlich durch die Gnade Gottes (1, 526, 2–5). Das lateinische Wort poenitentia in der Wendung poenitentiam agere deutet eher eine Handlung an als eine Veränderung des Affekts wie im |48|griechischen metanoia (ebd. 13f.). Beichten heißt Bekennen (30III, 567, 29–31; vgl. 19, 513, 15–19).

1. Wesen: Jesus Christus wollte, als er sagte: Tut Buße, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei. Dieses Wort kann nicht von der sakramentalen Buße (d.h. der Beichte und der Genugtuung) verstanden werden. Er wollte nicht nur die innere Buße, da die innere nichts ist, wenn sie nicht außen wirkt in vielen Abtötungen des Fleisches (1, 233, 10–15; vgl. 39I, 350, 20f.). Es ist ein großer Irrtum, dass jemand meine, er solle genugtun für seine Sünde, so doch Gott dieselben allezeit umsonst aus unschätzbarer Gnade verzeiht und nichts dafür begehrt, als hinfort gut zu leben (1, 245, 21–23). Die wahre Buße fließt aus der Liebe, nicht aus der Liebe zum Vorteil oder aus der Furcht vor Strafe, sondern aus dem Affekt allein der Gerechtigkeit (7, 116, 11–13). Die beste Buße ist ein neues Leben (1, 321, 4; 538, 13). Die innere Buße ist die wahre Reue, das wahre Bekenntnis, die wahre Genugtuung im Geist, wenn der Büßende sich selbst zutiefst missfällt in allem, was er getan hat, und wirklich sich zu Gott bekehrt, seine Schuld wahrhaft einsieht und Gott im Herzen bekennt (1, 99, 1–4). Die christliche Buße besteht in den zwei Stücken Reue oder ernstliches Erschrecken wegen der Sünde und Glaube der Vergebung um Christi willen (21, 262, 7–9), entsprechend den zwei Worten der Predigt, Gesetz und Evangelium (39I, 345, 16–29). Die Buße der an Christus Glaubenden geht über die einzelnen Sünden hinaus, sie dauert an bis zum Tod das ganze Leben hindurch (39I, 350, 16f.). Es gibt in der wahren Buße zwei Dinge, die Erkenntnis der Sünde und die Erkenntnis der Gnade oder die Furcht Gottes und das Vertrauen auf seine Barmherzigkeit (40II, 317, 35–37).

2. Sakrament: Es gibt zwei Vergebungen in dem Sakrament der Buße, Vergebung der Pein und Vergebung der Schuld. Die Vergebung der Pein oder Genugtuung ist unermesslich geringer als die Vergebung der Schuld, die niemand als Gott allein vom Himmel geben kann (2, 714, 3–11). Es sind drei Dinge in dem Sakrament der Buße. Das erste ist die Absolution, das sind die Worte des Priesters, die zeigen an, sagen und verkünden dir, deine Sünden seien vor Gott vergeben. Das andere ist die Gnade, Vergebung der Sünde, der Friede und Trost des Gewissens. Darum heißt es ein Sakrament, ein heiliges Zeichen, da man die Worte hört äußerlich, die bedeuten die geistlichen Güter innerlich, davon das Herz getröstet wird und befriedet. Das dritte ist der Glaube, der da fest dafürhält, dass die Absolution und Worte des Priesters wahr sind, und an dem Glauben liegt es alles miteinander, der allein macht, dass die Sakramente wirken, was sie bedeuten, und alles wahr wird, was der Priester sagt, denn wie du glaubst, so geschieht dir (2, 715, 21–33). Man muss Buße und Sakrament der Buße unterscheiden. Das Sakrament besteht in drei Dingen, im Wort Gottes, das ist die Absolution, im Glauben der Absolution und im Frieden, das ist in Vergebung der Sünde, die dem Glauben gewiss folgt. Aber die Buße teilt man auch in drei Teile, in Reue, Beichte und Genugtuung (2, 721, 7–16). Das Sakrament der Buße entbehrt des sichtbaren und von Gott eingesetzten Zeichens und sie ist der Weg oder die Rückkehr zur Taufe. Aber auch die Scholastiker können nicht sagen, dass die Definition des Sakraments auf die Buße zutreffe, wenn auch sie dem Sakrament ein sichtbares Zeichen zuschreiben, das die Form der Sache, die unsichtbar geschieht, den Sinnen sichtbar vorhält. Aber die Buße oder Absolution hat kein solches Zeichen (6, 572, 15–19). Es ist nicht gegründet in der Schrift noch in den heiligen alten Lehrern, dass die Buße habe drei Stücke: Reue, Beichte und Genugtuung, wie die Scholastiker lehren (7, 351, 14–16; vgl. 1, 243, 4–10; |49|7, 353, 26–32; 21, 251). Die heimliche Beichte ist ein aufgetaner Gnadenschatz, worin Gott anbietet seine Barmherzigkeit und Vergebung aller Sünde (8, 166, 27–30). Es gibt dreierlei Beichte. Die erste geschieht vor Gott. Diese Beichte soll das ganze Leben eines Christen sein. Die andere geschieht gegenüber den Nächsten und ist der Liebe Beichte, wie die erste des Glaubens ist. Die dritte ist, die der Papst geboten hat, die heimlich in die Ohren vor dem Priester geschieht, diese ist nicht von Gott geboten. Also sagen wir nun von der heimlichen Beichte, dass niemand dazu gezwungen sei, aber doch ist sie geraten und gut (15, 482, 21–485, 24; vgl. 19, 513–521). Die Beichte begreift zwei Stücke in sich, eines, dass man die Sünde bekenne, das andere, dass man die Absolution oder Vergebung vom Beichtiger empfange als von Gott selbst und ja nicht daran zweifle, sondern fest glaube, die Sünden seien dadurch vergeben vor Gott im Himmel (30I, 383, 12–384, 2).

 

3. Christliches Leben: Jeder Christ tut täglich Buße, weil er täglich sündigt, nicht weil er Verbrechen begeht, sondern weil er die Gebote Gottes nicht vollkommen erfüllt (2, 408, 34–36). Das ganze Evangelium ist nichts anderes als die Predigt der Buße, also ist das evangelische Leben nichts anderes als Buße (2, 409, 34f.). Die Buße soll nicht auf die Beichte oder eine bestimmte Zeit beschränkt werden, sondern soll auf die ganze Person gehen (11, 91, 24–28). Buße heißt sich bessern, ein neues Leben annehmen, einen anderen Sinn, Mut, Zuversicht gewinnen durch Christus, den eigenen Kräften und Werken misstrauen und ganz auf Christus vertrauen (12, 602, 37–39). Die Buße muss nicht nur eine bestimmte Zeit andauern, wie die Papisten wähnen, die nur für die einzelnen Sünden eine gewisse Zeit zu büßen lehren, weil sie überhaupt nicht verstehen, was wahre Buße ist. Deshalb muss man wissen, dass der Lauf des gesamten Lebens schlechthin Buße sein und unser ganzes Leben eine andauernde Buße sein muss (39I, 395, 25–397, 30). Deshalb lernt gut zu unterscheiden zwischen der kirchlichen und der evangelischen Buße. Diese nämlich dauert durch das ganze Leben und tut für die Sünden nicht genug, sondern ergreift durch den Glauben die Genugtuung Christi und kämpft beharrlich mit der Begierde der fleischlichen Sünde. Ihre Buße aber ist voll von Irrtümern und Lästerungen gegen Christus (39I, 409, 16–20).

4. Wirkung: Die Tat der Buße ist nichts anderes als eine Gelegenheit, durch die Gott veranlasst wird seine Verheißung einzulösen (6, 158, 12–19). Das Sakrament der Beichte ist zur Beruhigung, nicht zur Verwirrung des Gewissens eingesetzt (6, 164, 13f.). Christi Meinung ist nicht, so die Buße zu predigen, dass man die Gewissen in Schrecken bleiben lassen soll, sondern dass man die, die ihre Sünde nun erkennen und reuigen Herzens sind, wiederum tröste und aufrichte. Darum knüpft er das andere Stück daran und befiehlt nicht allein Buße, sondern auch Vergebung der Sünde zu predigen (21, 258, 12–17). Die Beichte behalten und loben wir als ein nützliches heilsames Ding, denn obwohl sie nicht ein Stück der Buße, auch nicht nötig und geboten ist, so dient sie doch dazu, dass man die Absolution empfange, welche nichts anderes als eben die Predigt und Verkündigung der Vergebung der Sünden ist (21, 262, 32–36).

5. Das Wohlwollen Gottes führt zur Buße, d.h. dass man erkennt, dass das Gesetz die Kraft der Sünde ist (39I, 357, 13f.). Aus der Kenntnis des Gesetzes und aus der Kenntnis des Kreuzes Christi und des Heils kommen wir zur Buße (39I, 407, 3–8).

6. Fegfeuer: Wir glauben, dass im Himmel Friede, Freude und Gewissheit im Licht Gottes regieren, in der Hölle aber versklaven Verzweiflung, Schmerz und schrecklicher |50|Abscheu in äußerster Finsternis, das Fegfeuer aber ist die Mitte zwischen beiden, so jedoch, dass es der Hölle näher ist als dem Himmel, weil es keine Freude und keinen Frieden gibt, da keine Teilhabe am Himmel stattfindet, weil dieselbe Strafe wie in der Hölle verhängt ist, nur durch die Dauer verschieden, und daraus geht hervor, dass das Fegfeuer auch in sich selbst Verzweiflung, Abscheu, Schrecken und Schmerz ist (1, 558, 28–34). Wenn das Fegfeuer die Seelen unglücklich macht und die Furcht ihnen lästig ist, ist klar, dass ihnen die Liebe und der Geist der Freiheit abgeht und der Buchstabe und die Furcht sie besetzt hält (1, 560, 6–9). Dass ein Fegfeuer sei, kann man nicht aus der Schrift beweisen. Luther beteuert, er habe das Fegfeuer noch nie geleugnet, wiewohl er es weder aus der Schrift noch Vernunft unwidersprechlich beweisen könne (7, 451, 9–13). Nun verlassen sich viele auf das Fegfeuer und leben bis ans Ende, wie es ihnen gelüstet, und wollen danach mit Seelenmessen sich helfen lassen. Es wäre deshalb gut, dass das Fegfeuer nie erkannt wäre (10I.1, 40, 4–7). Das Rechnen mit dem Fegfeuer ist Zeichen mangelnden Glaubens, weil es sich auf gute Werke verlässt (10I.1, 111, 4–8). An das Fegfeuer nicht zu glauben, ist keine Ketzerei; denn es steht nichts davon in der Schrift. Es ist besser, nichts zu glauben, das außerhalb der Schrift ist (10I.1, 588, 21–23).

📖 Martin Brecht, Luthers neues Verständnis der Buße und die reformatorische Entdeckung, in: ZThK 101 (2004) 281–291. Berndt Hamm, Von der Gottesliebe des Mittelalters zum Glauben Luthers, in: LuJ 65 (1998) 19–44. Albrecht Peters, Kommentar zu Luthers Katechismen, Band 5, 1994, 15–91. Albrecht Beutel, Hg., Luther Handbuch, 3. Aufl. 2017, 116–120.

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Christ

→ Kirche, Priester

Wie uns Christus all das Seine gibt, so gibt er uns auch seinen Namen: darum heißen wir alle Christen von ihm, alle Gottes Kinder von ihm, alle Jesus von ihm, alle Heiland von ihm, und wie er heißt, so heißen wir auch (10I.1, 519, 4–7).

1. Wesen: Die Definition des Christen ist: Glauben, nur durch die Werke allein Christi ohne eigene Werke gerechtfertigt, von den Sünden befreit und gerettet zu werden (8, 599, 30f.). Der Christ lebt nicht in sich selbst, sondern in Christus und seinem Nächsten, oder er ist kein Christ. In Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. Durch den Glauben wird er über sich hinauf in Gott gerissen, durch die Liebe wird er unter sich in den Nächsten versetzt, wobei er dennoch immer in Gott und seiner Liebe bleibt (7, 69, 12–16). Dass wir Christen von unserem Haupt heißen und doch noch auf Erden sind, zeigt an, dass der ganzen Christenheit kein anderes Haupt ist, auch auf Erden, als Christus, da sie keinen anderen Namen hat, als von Christus (6, 295, 6–9). Die Christenheit ist eine geistliche Versammlung der Seelen in einem Glauben, und niemand wird seines Leibes halben für einen Christen geachtet, damit er wisse, die natürliche, eigentliche, rechte, wesentliche Christenheit bestehe im Geist und in keinem äußerlichen Ding, wie das genannt werden mag. Denn alle anderen Dinge mag ein Nichtchrist haben, ausgenommen den rechten Glauben, der allein Christen macht (6, 296, 5–12). Alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes und es ist unter ihnen kein Unterschied als allein des Amts halben. Das kommt daher, dass |51|wir eine Taufe, ein Evangelium, einen Glauben haben und gleiche Christen sind, denn Taufe, Evangelium und Glauben machen allein geistlich und zum Christenvolk (6, 407, 13–18). Wenn du Christus fasst als eine Gabe, dir zu eigen gegeben, und zweifelst nicht daran, so bist du ein Christ, der Glaube erlöst dich von Sünden, Tod und Hölle, macht, dass du alle Dinge überwindest (10I.1, 12, 7–10). Der ist ein Christ, der glaubt; wer glaubt, der hat den heiligen Geist. Darum hat jeder Christ die Gewalt, die der Papst, Bischöfe, Pfaffen und Mönche haben, die Sünde zu behalten oder zu erlassen (10I.2, 239, 17–20). Christsein besteht nicht im Tun oder Geben, sondern im Nehmen, im Empfangen von Christus (10I.2, 432, 1–6). Christus gibt Macht allen Christen, Richter zu sein über alle Lehre und zu urteilen, was da recht sei oder nicht (10I.2, 334, 9f.). Jeder Christenmensch ist zweierlei Natur, geistlicher und leiblicher. Nach der Seele wird er ein geistlicher, neuer, innerlicher Mensch genannt, nach dem Fleisch und Blut wird er leiblicher, alter und äußerlicher Mensch genannt (7, 21, 12–15). Die zwei Teile des Christen sind das innerliche Wesen, das der Glaube ist, und das äußerliche, das Fleisch. Als Glaubender ist er geistlich König und Priester, als fleischlicher lebt er noch in Sünde (12, 322, 26–323, 6). Der Christ ist als Glaubender Herr über alles, denn er ist geistlich von nichts Weltlichem abhängig (7, 27, 17–24). Ein Christ hat äußerlich viel Leiden und Anfechtung, aber doch kann er ein getrostes, fröhliches Herz und Mut zu Gott haben (45, 472, 40–473, 2). Der Christ muss zweifach betrachtet werden, nach der Kategorie der Relation und nach der der Qualität. Wenn er nach der Relation betrachtet wird, dann ist er heilig, wie ein Engel, durch die Anrechnung der Gerechtigkeit Christi. Aber der Christ nach der Qualität betrachtet ist voll von Sünde (39II, 141, 1–6). Wir definieren den Christen nicht als solchen, der keine Sünde hat oder nicht empfindet, sondern dem sie von Gott wegen des Glaubens an Christus nicht angerechnet wird. Diese Lehre bringt einen festen Trost den Gewissen, die in großer Angst sind (40I, 235, 15–18). Die Christenheit ist eine geistliche Gemeinde, die unter die weltliche Gemeinde nicht gezählt werden kann, so wenig wie der Glaube unter die zeitlichen Güter (6, 295, 22–24).

2. Werden: Die Christenheit wird nicht mit Menschenlehre oder Werk gebaut, sondern mit dem Wort und der Gnade Gottes allein (1, 202, 7f.; 7, 22, 3–5). Christus als eine Gabe nährt den Glauben und macht zum Christen. Aber Christus als ein Exempel übt die Werke, die machen nicht zum Christen, sondern sie gehen aus dem schon zuvor gemachten Christen hervor (10I.1, 12, 17–20). Also wird nun einer Christ nicht aus Werken und menschlichen Satzungen, sondern aus der Gnade und Gütigkeit Christi (10I.2, 438, 11f.). Wir sind Christen, wenn wir das Wort Gottes hören, es annehmen und glauben, dass das Wort gewiss und wahrhaftig sei (33, 397, 32–36).

3. Leben, Ergehen: Das christliche Leben ist Versuchung, Kampf und Auseinandersetzung (2, 584, 28f.). Christen stecken in großen Anfechtungen und Verfolgungen von Sünden und allerlei Übel, dass ihnen dies Leben sauer und hässlich wird (10I.2, 109, 30f.; 10I.2, 254, 14f.). Der Glaube bringt und gibt dir Christus zueigen mit allen seinen Gütern. Die Liebe gibt dich deinem Nächsten mit allen deinen Gütern, und in diesen zweien besteht ein lauteres und vollkommenes christliches Leben. Danach folgen Leiden und Verfolgung um solches Glaubens und Liebe willen, daraus wächst dann Hoffnung in der Geduld (10I.2, 38, 2–7). Es kann einer wohl fromm sein, aber nicht ein Christ. Ein Christ weiß von seiner Frömmigkeit nichts zu sagen, er findet in sich nichts Gutes noch Frommes, und soll er fromm sein, so muss er sich nach einer |52|anderen und fremden Frömmigkeit umsehen (10I.2, 430, 30–35). Der wahre Christ wird in Widrigkeiten erhoben, indem er Gott vertraut, im Glück niedergedrückt, indem er Gott fürchtet, er wird nicht verstört, wenn er leidet, und rühmt sich nicht, wenn er geehrt wird, er ist immer gleichmütig (2, 613, 3–6). Ein Christ tut kein Werk, als sei er dazu gedrungen, sondern mit einem fröhlichen Mut, als wäre es nicht geboten (9, 662, 6–10). Ein christliches Leben besteht darin, dass wir durch fremde Werke fromm und gerecht werden müssen, nämlich durch Christi Werke, den wir allein durch den Glauben haben können. Dieser Glaube bringt mit sich natürlich die Liebe, durch die wir unserem Nächsten tun, wie wir erkennen, dass uns Gott getan hat (17II, 297, 4–8). Glaube und Liebe sind die zwei Teile des Christentums. Der Glaube ist das Versöhnungsmittel, das die Sünden versöhnt, durch die wir schuldig vor Gott sind. Die Liebe zügelt die Sünden äußerlich, wenngleich sie durch viele Sünden vor Gott verunreinigt ist (20, 707, 15–20).

 

4. Wirken: Ein Christenmensch, der in der Zuversicht gegenüber Gott lebt, weiß alle Dinge, vermag alle Dinge, vermisst sich aller Dinge, was zu tun ist, und tut es alles fröhlich und frei, nicht um viele gute Verdienste und Werke zu sammeln, sondern dass es ihm eine Lust ist, Gott wohlzugefallen dient er umsonst Gott (6, 207, 26–30). Alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes und es ist unter ihnen kein Unterschied als des Amts halben allein, denn sie haben eine Taufe, ein Evangelium, einen Glauben, und sind alle gleich Christen, denn Taufe, Evangelium und Glauben machen allein geistlich und ein Christenvolk. Demnach werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht (6, 407, 13–23). Ein christlicher Wandel und Liebe bestehen nicht darin, dass sie fromme, gerechte, heilige Menschen finden, sondern dass sie fromme, gerechte, heilige Menschen machen, wie ein Christ nicht darum lebt, dass er reiche, starke, gesunde Menschen finde, sondern aus den armen, schwachen, kranken solche Leute mache (10I.2, 69, 14–20). Die christliche Lehre, die die Gewissen befriedet, macht die Christen zu Richtern über alle Lehren und zu Herren über alle Gesetze der ganzen Welt (40I, 236, 17–19).

5. Einigkeit: Da die Christenheit eine Taufe, einen Glaube, einen Herrn hat, besitzt sie eine geistliche Einigkeit (6, 293, 1–12).

6. Unterscheidung zwischen Christ und Weltperson: Ein Christ soll keinem Übel widerstehen, als eine Weltperson soll er allem Übel wiederstehen, so weit sein Amt geht (32, 393, 23–39). Christsein ist ein anderes Ding als ein weltliches Amt oder Stand haben (32, 394, 14–16).

📖 Friederike Portenhauser, Identität als Nichtidentität. Zum Verständnis des Christen nach Paulus, Luther und Bultmann, in: Ulrich H. Körtner, Hg., Bultmann und Luther, 2010, 209–231. Luthers Ethik, in: LuJ 76 (2010).