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Seitenblicke auf die französische Sprachgeschichte

Akten der Tagung Französische Sprachgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München (13.-16. Oktober 2016)

Sektionen: Interne Sprachgeschichte, Sprachwissenschaftsgeschichte, Kreolsprachen, Okzitanisch, Semicolti / Peu-lettrés, Französisch außerhalb Frankreichs – Sprachkontakt

Barbara Schäfer-Prieß / Roger Schöntag

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

ePub-ISBN 978-3-8233-0101-1

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Inhalt

  Vorwort

  Roger Schöntag/Barbara Schäfer-Prieß: Einleitung. Seitenblicke auf die französische Sprachgeschichte

  Roger Schöntag: Aktueller Forschungsstand zur französischen Sprachgeschichte: Ein selektiver Überblick

 Interne SprachgeschichteThomas Krefeld: Tacitus, der linke Niederrhein und die Etymologie von fra. bourg, ita. borgo usw.Benjamin Meisnitzer / Bénédict Wocker: Grammatikalisierung in der neueren französischen Sprachgeschichte: die Entstehung von ModalpartikelnBarbara Wehr: Zur Syntax des Subjektpronomens im ältesten Französisch (9.–12. Jh.)Hildegard Klöden: Farbbezeichnungen im Neufranzösischen

 SprachwissenschaftsgeschichteRoger Schöntag: Die Sprachauffassung von Julien Offray de La Mettrie in seinem Traktat L’homme machine (1748)Corina Petersilka: Die Grammaire française von Jean Jacques Meynier aus Erlangen. Eine hugenottische Französischgrammatik des 18. JahrhundertsGabriele Beck-Busse: Enseigner le français aux non-grammatisés: Christian Gottfried Hase et la Grammaire des Dames dans les pays de langue allemande

 KreolsprachenSilke Jansen: L’Histoire naturelle des Indes (« Drake manuscript », ca. 1600) à la croisée des langues de l’Amérique coloniale

 OkzitanischKathrin Kraller: An der Schwelle zur Volkssprache. Eine kommunikationsgeschichtliche Untersuchung überwiegend lateinischer Notarurkunden aus Südfrankreich

 Semicolti/Peu-lettrésStephanie Massicot: Nähesprachliche Elemente in Texten von semicolti? Untersuchung eines französischen Briefkorpus des 19. JahrhundertsHarald Thun: Substandard und Regionalsprachen. Das Corpus Historique du Substandard Français, die écriture populaire und die écriture alternative (1789–1918)Joachim Steffen: Antistandard als politisches Manifest. Umgangssprache, Argot und Normabweichung in Briefen der Pariser Anarchisten von 1892

 Französisch außerhalb Frankreichs – SprachkontaktGerda Haßler: Lokale, personale und temporale Deiktika in französischen privaten Briefen in Nordamerika (18./19. Jahrhundert)Jürgen Lang: Die französischen Lehnwörter im WolofPhilipp Burdy: Zum Französischen in Genf im Zeitalter der ReformationJessica Stefanie Barzen: Die Rolls of Parliament: eine Untersuchung zur Franzisierung anglonormannischer Skripta anhand von Parlamentstexten aus der Zeit Eduard II. (1307–1327)Nelson Puccio: La France hors de France – eine Typologie der französisch induzierten Toponymie in DeutschlandBarbara Schäfer-Prieß: Wälschen ist Fälschen. Sprachpurismus und Nationalismus bei Friedrich Ludwig JahnFrank Paulikat: Romanisches in der Carmina Burana. Untersuchungen zu CB 118Matthias Schöffel: Französische Bittschriften von Untertanen an Therese Kunigunde aus Bayern. Vorstellung des Korpus und exemplarische AnalyseMatthias Waldinger: Gallizismen im Bairischen. Gibt es spezifisch bairische Gallizismen?Aurelia Merlan: Frankophilie und Frankomanie in den rumänischen Fürstentümern im 19. Jh. und deren Repräsentation in KomödienInmaculada García Jiménez: Sobre galicismos y “zarramplines” en el Diccionario (1855) de Rafael María Baralt

Vorwort

Der vorliegende Sammelband vereinigt ausgewählte Beiträge, die aus der Tagung Französische Sprachgeschichte hervorgegangen sind, die vom 13.–15. Oktober 2016 an der LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT in München stattgefunden hat. Es sei an dieser Stelle nochmals allen Vortragenden und Gästen für ihr reges Interesse an der Veranstaltung gedankt, für die angenehme Atmosphäre und die konstruktiven Diskussionen zu den vielfältigen Themenbereichen. Des Weiteren gilt Dank der LMU und insbesondere dem INSTITUT FÜR ROMANISCHE PHILOLOGIE für die Unterstützung bei der Planung und Organisation sowie bei der Bereitstellung der Räumlichkeiten und technischen Ausstattung. Für den reibungslosen Ablauf sei auch den zahlreichen Hilfskräften gedankt, die uns tatkräftig zur Seite standen, sowie Marie Wieselsberger für ihre akribische redaktionelle Arbeit bei der Korrektur der Manuskripte und Claire Chesnais für die Durchsicht der französischen Resümees. Schließlich sei für die finanzielle Unterstützung dem INSTITUT FRANÇAIS, der UNIVERSITÄTSGESELLSCHAFT der LMU sowie Andreas Dufter (Lehrstuhl Sprachwissenschaft, Romanistik) an dieser Stelle ebenfalls Dank ausgesprochen.

München im Dezember 2017

Barbara Schäfer-Prieß (LMU München)

& Roger Schöntag (FAU Erlangen)

Einleitung

Seitenblicke auf die französische Sprachgeschichte

Roger Schöntag/Barbara Schäfer-Prieß

Der vorliegende Sammelband zur französischen Sprachgeschichte reiht sich insofern in die bisherige Forschung ein, als er, basierend auf einer Tagung mit zahlreichen Beitragenden und weiteren Gästen, wichtige Themen der historischen Betrachtung der französischen Sprache vereint. Der Titel Seitenblicke ist dabei programmatisch zu verstehen: Zum einen wurde im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen bewusst auf eine thematische und chronologische Einengung bzw. die Reduzierung auf einen Aspekt der Sprachgeschichte verzichtet, um eine möglichst breite Streuung der bearbeiteten Felder zu erzielen und damit zumindest einen Einblick in die Bandbreite aktueller wissenschaftlicher Tätigkeit auf diesem Gebiet zu geben. Zum anderen sollten hier spezifische Einzelperspektiven zusammengeführt werden, die womöglich ansonsten keine Repräsentation auf den gängigen einschlägigen Tagungen gefunden hätten und verstreut publiziert worden wären. Die Seitenblicke beanspruchen daher, unprätentiös aber dennoch im Sinne der Beiträger selbstbewusst, die mögliche Vielfalt und Breite der sprachgeschichtlichen Forschung zum Französischen darzustellen.

Entsprechend den einzelnen Sektionen der Tagung sind auch die folgenden Beiträge verschiedenen thematischen Sektionen zugeordnet, wobei die Themenblöcke eher als ineinandergreifend als streng voneinander abgrenzend zu verstehen sind: I: Interne Sprachgeschichte, II: Sprachwissenschaftsgeschichte, III: Kreolsprachen, IV: Okzitanisch, V: Semicolti/Peu-lettrés, VI: Französisch außerhalb Frankreichs – Sprachkontakt.

Die erste Sektion Interne Sprachgeschichte beginnt mit einem Beitrag von Thomas Krefeld, der sich mit einem etymologischen und gleichzeitig toponomastischen Problem beschäftigt, nämlich der Frage der Herkunft von frz. bourg (it. borgo etc.), für die er mit Hilfe einer präzisen Lektüre des Tacitus, des Abgleichs verschiedener Sprachkontaktszenarien sowie aktueller archäologischer Erkenntnisse neue Lösungsansätze konzipiert.

Der Artikel von Benjamin Meisnitzer und Bénédict Wocker widmet sich der Entstehungsgeschichte französischer Modalpartikeln, einer Wortart, die in den romanischen Sprachen verglichen mit dem Deutschen weniger ausgeprägt ist, dennoch kaum negiert werden kann. Der Beitrag zeichnet den Grammatikalisierungsprozess von quand même, bien und donc im 19. und 20. Jh. anhand einschlägiger Textbelege nach.

In der folgenden Untersuchung von Barbara Wehr zur Syntax des Subjektpronomens in den frühen altfranzösischen Texten (9.–12. Jh.) wird die These vertreten und durch eine Analyse der ältesten Texte belegt, dass entgegen verbreiteter Ansicht im Altfranzösischen seit Beginn der Überlieferung die Setzung des Subjektpronomens der Normalfall war und dass die Nichtsetzung festen Regeln folgte, die auffällige Parallelen in den mittelalterlichen germanischen Sprachen finden, weshalb ein Adstrateinfluss für plausibel erachtet wird.

Hildegard Klöden zeigt einige Entwicklungen moderner Farbbezeichnungen in den Bereichen rose, violet und orange auf und setzt diese mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in Bezug. Dabei rekurriert sie auf die im Rahmen der Basic Color Theory entworfenen Stadien der Entwicklungen der Farbbezeichnungen und beleuchtet auch die Wortgeschichte einzelner Termini und den sich wandelnden Gebrauchskontext.

Die folgende Sektion Sprachwissenschaftsgeschichte beginnt mit einem Beitrag von Roger Schöntag zur Sprachphilosophie von La Mettrie, der als radikaler Aufklärer am Hofe Friedrichs II. von Preußen Zuflucht fand. In seinem Traktat Lʼhomme machine (1748) räsoniert er über einige der gängigen Themengebiete der zeitgenössischen Sprachbetrachtung wie die Frage nach dem Sprachursprung oder dem Verhältnis von tierischer und menschlicher Kommunikation. Vor dem Hintergrund seiner konsequent materialistischen und atheistischen Weltanschauung bekommen seine diesbezüglichen Ausführungen eine besondere Brisanz.

Corina Petersilka widmet sich in ihrer Forschung den aus Frankreich geflohenen Hugenotten, die in Erlangen angesiedelt wurden und der dortigen Neugründung zu Wohlstand verhalfen. Die in diesem Kontext entstandene Grammaire française (1767) von Jacques Meynier, dem ersten Französischlektor der noch jungen Universität, ist nicht nur ein Zeugnis der bilingualen Sprachsituation, sondern vor allem ein bisher noch nicht untersuchtes Werk, welches zeitgenössische Lehrmethoden mit wissenschaftlicher Erkenntnis verbindet. Meynier war nicht nur ein äußerst produktiver Verfasser von verschiedensten Lehrwerken, sondern gab auch eine kommentierte Fassung der Grammatik von Port-Royal heraus.

In ihrem Artikel zur Grammaire des Dames von Christian Gottfried Hase erläutert Gabriele Beck-Busse das Konzept einer im deutschsprachigen Raumverbreiteten französischen Grammatik für „Ungelehrte und Frauenzimmer“, wie es Hase selbst formuliert. Anhand der im Original als Philosophische Anweisung zur französischen, italiänischen und englischen Sprache (1750) titulierten Grammatik zeigt Beck-Busse schlüssig die zeitgenössisch übliche Gleichsetzung von non-grammatisés/Dames in Opposition zu grammatisés/lettrés auf, wobei erstere Kategorie oft noch durch die Attribuierung von non-latinisants ergänzt wurde. Mit Hase liegt der für die Forschung besondere Glücksfall einer „doppelten“ Grammatik vor, insofern als in dieser zwei manuels enthalten sind, wobei eine Lehranweisung sich explizit an Gelehrte richtet und die andere an Ungelehrte und Frauen, was eine entsprechend andere Methodik und Versprachlichung zur Folge hat.

Im Rahmen der folgenden Sektion Kreolsprachen referiert Silke Jansen über ihre erstmalige Auswertung des sogenannten Drake manuscript für die sprachwissenschaftliche Forschung. Die in dieser Handschrift enthaltene Histoire naturelle des Indes von ca. 1600 ist eine Darstellung eines anonymen Autors der Fauna und Flora des neuen Kontinents sowie der Lebensumstände der indigenen Bevölkerung und der dorthin transportierten afrikanischen Sklaven in den spanischen Kolonien. Die lexikalische Analyse des dort vorzufindenen Spezialvokabulars zeitigt eine Mischung aus französischen (auch dialektalen) und spanischen Lexemen sowie solchen aus verschiedenen lokalen amerikanischen Sprachen. Dies dokumentiert einerseits die sprachliche Situation französischer Reisender jener Zeit, in der das Spanische die lingua franca dieses kolonialen Kontextes war, andererseits wird hier bereits eine erster Eindruck einer später sich herausbildenden langage des îles und schließlich eines französischbasierten Kreols geliefert.

In der Sektion Okzitanisch, die wie die vorherige Sektion bewusst in die Französische Sprachgeschichte inkorporiert wurde, um auch den „Grenzbereichen“ ein breiteres Forum zu bieten, berichtet Katrin Kraller über die Sprachverwendung in südfranzösischen Urkunden. In ihrer Analyse dreier Notariatsurkunden aus dem 12. Jh. zeigt sie auf, dass der Ablöseprozess des Lateinischen als Sprache schriftsprachlicher Distanz in diesem Bereich durch die romanischen Sprachen bzw. hier konkret zunächst das Okzitanische keineswegs linear verlief, sondern kommunikativ-pragmatischen Kriterien unterworfen war. Ein wichtiger Aspekt war dabei der der kommunikativen Reichweite, also der Verständlichkeit auch für illiterate Volksschichten. Demgegenüber stand das Bedürfnis nach Fachtermini, um die spezifischen juristischen Belange ausdrücken zu können, aber auch um an Rechtstraditionen anzuknüpfen. Die Wahl der Varietät (latin, latin farci, occitan), aber auch der jeweiligen konkreten Art der Versprachlichung (okz. vs. lat. Fachwortschatz) wurde maßgeblich durch die Kommunikationssituation determiniert.

Die anschließende Sektion wurde durch das Begriffspaar semicolti/peu-lettrés charakterisiert, in dem bereits ein Teil der in den folgenden Beiträgen anklingenden Problematik einer adäquaten Beschreibung von Schriftzeugnissen wenig geübter Schreiber, die in der Regel als Substandardsprecher zu identifizieren sind, angedeutet wird.

Stephanie Massicot wirft in einer Untersuchung zum Französischen des 19. Jhs. die Frage nach der oft postulierten konzeptionellen Nähesprachlichkeit in semicolti-Schriftzeugnissen auf. In ihrer Analyse von Bittbriefen von bagnards bzw. deren Angehörigen aus den Archives nationales d’outre-mer (ANOM) in Aix-en-Provence zeigt sie im Rahmen eines kommunikativ-pragmatischen Ansatzes, dass zwar durchaus nähesprachliche Elemente auftreten, diese aber weitaus differenzierter eingeordnet werden müssen und eine reine defizitorientierte Perspektive auf einzelne sprachliche Charakteristika zu kurz greift und ein Blickwinkel, der die gesamte Textgestaltung sowie den beabsichtigten Kommunikationsakt berücksichtigt, bestimmte Strategien und Verfahren der Schreiber ans Licht bringt.

Im daran anschließenden Beitrag stellt Harald Thun eine erste größere Analyse aus seinem Projekt des Corpus Historique du Substandard Français (CHSF) vor, welches 65.000 Textdokumente aus verschiedenen Archiven Frankreichs aus der Zeit von 1789 bis 1918 umfasst. Die meist (aber nicht immer) von Substandardsprechern stammenden, von ihm als „deviante“ Texte bezeichneten Schriftzeugnisse decken ein breites Spektrum sprachlicher Variation ab, das nicht nur das Französische und seine regionalen Ausprägungen umfasst, sondern auch die Regionalsprachen mit einschließt. Thun bezeichnet diese in zahlreichen Dokumenten, die den unterschiedlichsten Textsorten (Privatbrief, Bittschreiben, Beschwerde, Soldatenbrief etc.) zuzuordnen sind, sich widerspiegelnde Art des Schreibens als écriture populaire bzw. in Bezug auf die langues régionales als écriture alternative und postuliert damit eine bisher vernachlässigte Varietät einer „zweiten“ französischen Schriftsprache.

In seiner Untersuchung zur Sprache der Anarchisten in Frankreich rekurriert Joachim Steffen ebenfalls auf das Kieler Korpus zum Substandard (CHSF) und arbeitet die sprachlichen Merkmale und Kommunikationsabsichten der anarchistischen Droh- und Beleidigungsbriefe heraus, in denen ganz bewusst mit Normabweichungen vom bon usage gespielt wird. Der Verstoß gegen die Regeln in äußerer Textgestaltung, Orthographie, Textgliederung und diskurstraditioneller Versprachlichung sowie die Verwendung von gruppenspezifischem Vokabular (argot) geht dabei immer nur so weit, dass die Botschaft (d.h. die Drohung) noch verstanden wird, d.h. die Kommunikation nicht abbricht. Dieser Anti-Standard ist dabei Teil der politischen Haltung, deren sprachlicher Reflex nur vor dem Hintergrund einer ausgeprägten Norm funktionieren kann.

Die letzte Sektion beinhaltet die Themengebiete Französisch außerhalb Frankreichs und damit einhergehende Sprachkontakte. Der erste Beitrag in diesem Bereich ist eine Untersuchung von Gerda Haßler zu lokalen, personalen und temporalen Deiktika in Privatbriefen aus dem kolonialen Nordamerika des 18. und 19. Jahrhunderts. Die festgestellte hohe Dichte derartiger deiktischer Elemente ist dabei auf die Relevanz der Origo-Verortung des Schreibers in seiner Korrespondenz mit einem Leser in einem anderen Lebenskontext (Frankreich) zurückzuführen. Auch die Beschreibung der „neuen“ Lebensumstände als thematischer Schwerpunkt in den Briefen sowie emotionale Bindungen erklären wohl eine Häufung der deiktischen Ausdrucksmittel.

Im folgenden Artikel widmet sich Jürgen Lang einer afrikanischen Sprachkontaktsituation. Die hauptsächlich im Senegal sowie auch in Gambia und Mauretanien gesprochene Sprache Wolof, eine westatlantische Sprache, hat im Laufe der kolonialen und postkolonialen Sprachkontaktsituation mit dem Französischen eine nicht unerhebliche Anzahl an Lehnwörtern übernommen, die hier nach verschiedenen Bereichen aufgeschlüsselt werden. Des Weiteren wird die Art der lautlichen und grammatischen Integration der Lehnwörter diskutiert, ist doch das Wolof als sogenannte Klassensprache einer anderen typologischen Gruppe zuzuordnen. Die Untersuchung auf Basis des Dictionnaire wolof-français zeigt auch, dass es nicht nur Entlehnungen gab, um Bezeichnungslücken zu schließen, sondern auch zahlreiche französische Wörter ins Wolof eingingen, die in Konkurrenz zu einheimischen Lexemen standen und diese gegenbenenfalls auch verdrängten.

Der Beitrag von Philipp Burdy beschäftigt sich mit dem Französischen zur Zeit der Reformation (16. Jh.) im ursprünglich frankoprovenzalischen Sprachraum. Die Analyse der Registres du Consistoire de Genève, in der die Arbeit des von Calvin gegründeten Konsistoriums zur sittlichen und religiösen Überwachung der Genfer Bürger dokumentiert ist, zeigt zum einen, dass erst mit der Reformation das Französische in größerem Umfang als Schriftsprache in der Westschweiz Verwendung findet und die frankoprovenzalische Scripta ablöst und zum anderen, dass die Grundlage der heutigen regionalfranzösischen Varietät der Suisse romande auf dem regionalen français écrit dieser Epoche beruht. Die in den registres vorgefundenen sprachlichen Spezifika, die auf einzelne frankoprovenzalischer Subvarietäten bzw. der mittelalterlichen Scripta zurückgehen, werden sorgsam aufgelistet.

Jessica Barzen setzt sich in ihrem Artikel zum Anglonormannischen mit dem Einfluss des kontinentalen Französischen auf diese in England entstandene Varietät des Altfranzösischen auseinander. Anhand von drei bekannten phonographischen Besonderheiten der anglonormannischen Scripta diskutiert sie den Prozess der Franzisierung, der sich in den Rolls of Parliament zu Beginn des 14. Jahrhunderts widerspiegelt. Diese Veränderungen im Anglonormannischen können dabei auch Anhaltspunkte für eine Periodisierung dieser Varietät geben, die vom 11. bis zum 14. Jh. die Sprache der englischen Oberschicht und neben dem Lateinischen die Sprache der Verwaltung und Justiz war.

In seinem Beitrag zu französisch inspirierten Ortsnamen in Deutschland eröffnet Nelson Puccio ein besonderes Panorama des Sprach- und Kulturkontaktes zwischen beiden Nachbarländern. Die erstmalige Systematisierung makro- und mikrotoponomastischer Gallizismen (u.a. Siedlungsnamen, Schlossnamen, Straßennamen, Hotelnamen, u.a.) nach Bildungsmuster und spezifischer Entlehnungssituation in direktem Sprachkontakt oder durch allgemeinen Kulturkontakt zeigt eine vielschichtige Durchdringung im Bereich der Namensgebung und die damit verbundenen Konnotationen auf.

Die im deutschsprachigen Raum früher omnipräsente französische Sprache und Kultur ist auch Thema des Beitrages von Barbara Schäfer-Prieß, die sich den sprachpuristischen Ausführungen des „Turnvaters Jahn“ widmet. In einer Analyse zum Verhältnis von Nationalismus und Sprachpurismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts werden beispielhaft die beiden Schriften Deutsches Volksthum (1810) und Merke zum deutschen Volksthum (1833) von Friedrich Ludwig Jahn untersucht, dessen als Sprachpatriotismus zu kategorisierende Einstellung auf einer Idealvorstellung der unvermischten Nationen und Völker und dementsprechend auch Sprachen beruht. Seine Abneigung richtet sich dabei nicht unbedingt rein gegen die im Deutschen jener Zeit reichlich vertretenen Gallizismen, sondern allgemein gegen Sprachmischung sowie elitäre Sprachverwendung. Ein Ausblick zeigt, wie sich der Sprachpurismus im Verlauf des 19. Jh. in verschiedenen Facetten noch steigert und dann im 20. Jh. nach einer Phase relativer Toleranz im Nationalsozialismus zunächst einen neuen Höhepunkt erreicht, dann aber zugunsten einer ideologischen Internationalisierung und einer Abwendung von dem alten Konzept der Einheit von Sprache und Nation wieder zurückgefahren wird.

Frank Paulikat unterzieht den Text der in der Abtei Benediktbeuern von Andreas Schmeller entdeckten 1803 und 1847 erstmals editierten, berühmten Dichtung der Carmina Burana einer eingehenden Analyse bezüglich der dort vorkommenden romanischen Elemente. Der Codex Buranus (CB), so wie er uns überliefert ist (Bayerische Staatsbibliothek, clm 4660), entstand wahrscheinlich in Südtirol um 1230 und weist nach heutiger Erkenntnis zwei Schreiber auf (h1, h2). Inhaltliche Anspielungen und sprachliche Eigenheiten weisen auf ein nicht erhaltenes französisches Original hin. Die Analyse der Passagen CB 95, CB 204, CB 218 und vor allem CB 118 zeigt, dass der Schreiber h2 wahrscheinlich aus dem norditalienischen Sprachraum stammte und bei der Abschrift derfranzösischen und okzitanischen Stellen der ursprünglichen Fassung seine Muttersprache mit einfließen ließ, was die italienischen Elemente erklärt.

Einen Beitrag zum Französischen am bayerischen Hof liefert Matthias Schöffel, der Bittschriften an die Gattin von Herzog Maximilian II. untersucht. Es sind Schreiben von Untertanen niedriger sozialer Schichten an Therese Kunigunde (1676–1730), in denen um eine Anstellung bei Hofe oder um finanzielle Unterstützung nachgesucht wurde. Die aus Polen stammende zweite Frau des bayerischen Kurfürsten sprach wie zu jener Zeit üblich Französisch und lernte das Deutsche nie wirklich, was die Untertanen wohl dazu nötigte, ihr Anliegen in der lingua franca des europäischen Adels vorzutragen. Die orthographische und syntaktische Analyse einiger dieser Bittbriefe zeitigt gängige semicolti-Phänomene, da die Verfasser das Französische wohl hauptsächlich mündlich erworben bzw. zumindest praktiziert hatten. Das Spektrum der unterschiedlich ausgeprägten Schreibkompetenz ist dabei erheblich und liefert ein lebendiges Bild von den Französischkenntnissen außerhalb Frankreichs jenseits der Oberschicht.

Dem Sprach- und Kulturkontakt zwischen Bayern und Frankreich widmet sich auch die Untersuchung von Matthias Waldinger, der einen Versuch unternimmt, die Gallizismen im Bairischen daraufhin zu prüfen, ob sie nur in dieser Varietät vorkommen oder auch in anderen Dialekten des Deutschen bzw. in der Hochsprache. Der größte Teil der im Bairischen vorhandenen Entlehnungen aus dem Französischen geht auf die sogenannte Alamode-Epoche zurück, als der Einfluss des Französischen am stärksten war. Sie „sickerten“ wohl meist als Lehnwörter über die deutsche Standardsprache, vor allem die Schriftsprache, im Sinne eines indirekten Kulturkontaktes ins Bairische, aber auch Entlehnungen über Nachbardialekte oder durch direkten Sprachkontakt von einzelnen Migranten bzw. Migrantengruppen (z.B. Savoyards) können prinzipiell nicht ausgeschlossen werden. Dementsprechend zeigt die Analyse, dass die allerwenigsten der bairischen Gallizismen letztlich plausibel als „spezifisch bairisch“ charakterisiert werden können; allerdings fehlt hierzu wie auch zu anderen deutschen Dialekten noch eine umfassende Dokumentation über Vorkommen und Entlehnungswege.

Um Gallizismen geht es auch im folgenden Beitrag von Aurelia Merlan, die den Einfluss des Französischen auf das Rumänische des 19. Jh. untersucht. Anhand der Komödien dreier Dichter, Costache Facca (ca. 1801–1845), Vasile Alecsandri (1821–1890) und Ion Luca Caragiale (1852–1912), verdeutlicht sie die unterschiedliche Intensität der rumänischen Frankophilie (bis hin zur Frankomanie), die bereits im 18. Jh. begann (Moldau, Walachei) und nicht unerhebliche Auswirkungen auf die rumänische Gesellschaft hatte. Man kann diesen französischen Kultureinfluss in drei Etappen unterteilen: 1780–1830, 1830–1863/66 und nach 1863/66. Die dem Realismus zuzuordnenden Komödien eignen sich deshalb besonders gut als Untersuchungsgegenstand, weil sie als ein Spiegelbild der Art der Verbreitung der Gallizismen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Regionen fungieren. Die Studie liefert zudem ein wichtiges Inventar an literarisch belegten Lehnwörtern.

Im letzten Beitrag wird der Einfluss des Französischen in Bezug auf eine ganz andere Sprachkontaktsituation und deren lexikographischen Aufarbeitung beleuchtet. Inmaculada García Jiménez setzt sich mit der Kritik an dem Diccionario de galicismos (1855) des Venezolaners Rafael Maria Baralt auseinander, die vor allem seitens des venezolanischen Universalgelehrten und Grammatikers Andrés Bello und des französischen Philologen Henri Peseux-Richard laut wurde. Ein weiterer Aspekt des Beitrages gilt den von Baralt kritisierten traductores zarramplines, die für zahlreiche französische barbarismos in der spanischen Sprache verantwortlich seien. Wer sich hinter den von Baralt nicht genannten „unfähigen“ Übersetzern verbirgt, war bisher nicht bekannt, doch vorliegende Untersuchung zeigt, dass zumindest zwei von ihnen mit einer gewisser Plausibilität ausgemacht werden können, nämlich Antonio de Capmany und José de Covarrubias.

Ergänzend zu den hier von den Herausgebern gelieferten Kurzvorstellungen der einzelnen Beiträge des Sammelbandes sei auch auf die von den jeweiligen Autoren selbst verfassten abstracts auf Französisch verwiesen, die den auf Deutsch verfassten Artikeln vorangestellt sind.

Genres und Tags

Altersbeschränkung:
0+
Umfang:
833 S. 23 Illustrationen
ISBN:
9783823301011
Rechteinhaber:
Bookwire
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