Naturphilosophie

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2.2 Empirismus

Die britischen Empiristen sehen den Ursprung aller Erkenntnis in der Erfahrung; seit Francis Bacon (1561–1626) berufen sie sich dabei auf die Experimente der Naturwissenschaften. Trotz der gemeinsamen erkenntnistheoretischen Überzeugung vertreten auch die Empiristen sehr unterschiedliche metaphysische Auffassungen, die vom Materialismus (Hobbes) über einen Dualismus (Locke) bis zum Idealismus (Berkeley) reichen.

Hobbes (1655) begründet den neuzeitlichen Materialismus, der an den antiken Atomismus anknüpft und sich in der französischen Aufklärung fortsetzt (La Mettrie 1748). Für die Materialisten des 17. und 18. Jhs. ist das Gehirn des Menschen |36|eine Rechenmaschine, die nach denselben mathematischen Gesetzen funktioniert wie der Weltlauf und darum zu objektiver Erkenntnis fähig ist. Locke (1689) entwickelt eine umfassende empiristische Theorie des menschlichen Verstands und seiner Fähigkeiten, in der er zwar die Lehre der angeborenen Ideen von Descartes kritisiert, aber einige rationalistische Auffassungen beibehält. Er vertritt einen Dualismus von Geist und Materie und führt einen physiko-theologischen Gottesbeweis, wonach der Mensch in den Naturwissenschaften nur so viel von der göttlichen Weltordnung erkennt, wie er benötigt, um aus der Beschaffenheit der Natur auf ihren göttlichen Ursprung zu schließen. Locke ist Atomist, wenn er auch die Existenz der Atome, weil sie prinzipiell nicht beobachtbar sind, für unbeweisbar hält. Eine monistische Gegenposition zum Materialismus stellt der Idealismus von Berkeley (1710) dar; er verbindet eine empiristische Erkenntnistheorie mit der theologischen Auffassung, die materielle Welt existiere nur in Form von Gedanken Gottes.

Erst Hume (1748) macht mit dem Empirismus Ernst, indem er sich von sämtlichen metaphysischen Auffassungen verabschiedet und eine radikale empiristische Skepsis gegenüber allen (vermeintlich gesetzmäßigen) Kausalitäten ausdrückt. Nach ihm ist die Verknüpfung von Ursache und Wirkung nicht etwas objektiv in der Natur Vorhandenes, sondern lediglich unsere subjektive Gewohnheit, regelmäßig aufeinander folgende Ereignisse zu verknüpfen; dasselbe gilt für Naturgesetze, einschließlich der Gesetze der Physik. Seine Regularitätsauffassung der Kausalität und der Naturgesetze ist bis heute einflussreich.

3. Natur als Gesetzeszusammenhang der Erfahrung: Kant

Angesichts der widerstreitenden metaphysischen Positionen seiner Vorgänger will Kant die Naturerkenntnis und ihre Tragweite vernunftkritisch absichern. Seine Kritik der reinen Vernunft (Kant 1781/1787) soll das System einer Metaphysik der Natur begründen, in dem die Grundbegriffe der Physik Newtons, nicht aber die traditionellen metaphysischen Ideen von Gott, der unsterblichen Seele und der Welt im Ganzen zu objektiver Erkenntnis führen (vgl. Mohr/Willaschek 2012).

Mit Kants Theorie der Natur gewinnt die Naturphilosophie Eigenständigkeit gegenüber der Physik. Bei ihm ist Naturphilosophie nicht mehr (wie bei Galilei, Descartes oder Newton) identisch mit Physik bzw. exakter Naturwissenschaft, sondern soll deren metaphysische Voraussetzungen klären und dabei ein begriffliches Grundgerüst für die mathematische Physik liefern (Kant 1786). Kants Naturphilosophie ist viel facettenreicher als die seiner Vorgänger; sie lässt Raum für unterschiedliche Interpretationen. Das im Folgenden dargestellte Kant-Verständnis ist geprägt durch die Auffassungen der Verfasserin dieses Kapitels (Falkenburg 2000). Kants Erkenntnisideale bleiben in vielem der Physik Newtons und dem rationalistischen Zeitgeist verpflichtet. Seine Theorie der Natur zielt aber auch darauf, das Verhältnis zwischen mathematischer und nicht-mathematischer Naturwissenschaft zu untersuchen, und dabei den Ort der Biologie im System der Wissenschaften zu bestimmen.

|37|3.1 Kants Naturbegriff

Nach Kant ist die Natur ein Gesetzeszusammenhang von Sinneserfahrungen (→ II.1). Anders als seine rationalistischen Vorgänger, und beeinflusst u.a. durch Hume, betrachtet er die Naturgesetze – etwa das Kausalprinzip, nach dem jede gegebene Wirkung eine Ursache hat – nicht als objektive Strukturen in der Natur, sondern als subjektive (Denk-)Notwendigkeit, die Einzelerfahrungen zu verknüpfen bzw. für jede in der Natur beobachtete Wirkung nach ihrer Ursache zu fragen. Das Kausalgesetz hat damit nicht mehr den Status einer Tatsachenbehauptung, sondern denjenigen eines methodologischen („regulativen“) Prinzips, nach dem wir unsere Erfahrung strukturieren und aufeinanderfolgende Ereignisse in eine objektive Zeitordnung bringen. Im Gegensatz zum Empirismus Humes tun wir dies Kant zufolge aber nicht nur aufgrund einer subjektiven, psychologisch begründeten Gewohnheit, die durch Erfahrung gelernt ist, sondern aufgrund einer Denknotwendigkeit, die konstitutiv dafür ist, dass wir überhaupt erst Erfahrungen machen können. Nach Kant treibt sie uns aber auch dazu an metaphysische Fragen zu verfolgen, die über die Grenzen der möglichen Verstandeserkenntnis hinausgehen (vgl. Abschn. 3.3–3.4). Das Kausalprinzip, der Substanzbegriff und andere Verstandeskategorien sind für Kant Bedingungen a priori der Möglichkeit von Erfahrung. Die Kritik der reinen Vernunft soll ihre Anwendungsbedingungen klären und die Grenzen des objektiven Verstandesgebrauchs abstecken.

Neu an Kants Erkenntnistheorie ist die Auffassung, dass in der Naturerkenntnis a priori zwei unterschiedliche Faktoren der Erkenntnis zusammenwirken: Anschauung und Verstand. Die Inhalte der Sinneswahrnehmung werden in die Anschauung a priori von Raum und Zeit aufgenommen und erst mittels der Kategorien (reine Verstandesbegriffe wie Einheit und Vielheit, extensive und intensive Größen, Substanz und Kausalität) zur Erfahrung zusammengefügt („synthetisiert“), wobei die Einheit des Denkens („synthetische Einheit der Apperzeption“) eine große Rolle in Kants Erkenntnistheorie spielt.

Kant bringt damit die Auffassungen seiner rationalistischen und empiristischen Vorgänger wie folgt zusammen: Aus rationalistischer Sicht beruht die Erkenntnis auf dem Verstand und bezieht ihre Gewissheit aus Methodenidealen der Mathematik; aus empiristischer Sicht beruht sie auf Sinneswahrnehmung bzw. Erfahrung. Nach Kant arbeiten Verstand und Wahrnehmungsvermögen zusammen, wobei die reinen Formen der Anschauung, Raum und Zeit, das Bindeglied bilden, welches den reinen Verstandesbegriffen Sinn und Bedeutung verleiht. Die Natur ist danach nicht vom Erkenntnisvermögen unabhängig, sondern sie wird durch unsere Erkenntnis vorstrukturiert, in Form von allgemeinen Naturgesetzen, die der Erfahrung genauso wie der mathematischen Physik zugrunde liegen.

3.2 Naturgesetze

Kants Erkenntnistheorie begründet auf diese Weise eine Theorie der Natur, nach der die gesetzmäßige Struktur der Natur grundsätzlich identisch ist mit der Struktur unserer Erfahrung (→ II.7). Sie umfasst drei allgemeine Naturgesetze: (i) den Satz von der Beharrlichkeit der Substanz, nach dem wir die Dinge als Träger von konstanten, |38|dauerhaften Eigenschaften denken; (ii) das Kausalprinzip, nach dem wir Ereignisse entsprechend dem Gesetz von Ursache und Wirkung verknüpfen, und (iii) ein Prinzip der Wechselwirkung, nach dem alles, was wir zugleich im Raum wahrnehmen, in durchgängiger Wechselwirkung steht (Kant 1781/1787: A176 ff./B218 ff.).

Diese allgemeinen Naturgesetze sind auf die mathematische Physik zugeschnitten, genauer: auf die Grundbegriffe von Newtons Mechanik, wie das Werk Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (Kant 1786) zeigt. Dort leitet Kant aus den allgemeinen Naturgesetzen der Kritik der reinen Vernunft u.a. einen Massenerhaltungssatz, Newtons Trägheitsgesetz sowie die Konstitution der Materie durch zwei Grundkräfte her. Diese Herleitung erfolgt a priori aus den formalen Aspekten von Kants Naturbegriff, d.h. aus den oben skizzierten allgemeinen Naturgesetzen und der bloßen Annahme, dass es überhaupt etwas in Raum und Zeit gibt, was Gegenstand des „äußeren Sinns“ bzw. unserer Sinneswahrnehmung ist.

3.3 Die Vernunftkritik

In der „transzendentalen Dialektik“ der Kritik der reinen Vernunft kritisiert Kant die traditionellen metaphysischen Konzepte einer unsterblichen Seele, der Welt im Ganzen und des Gottesbegriffs. Sie sind für ihn spekulative Vernunftideen, mit denen sich die Vernunft in ihrem metaphysischen Bedürfnis übersteigt, insofern sie den reinen Verstandesgebrauch in unzulässiger Weise auf erfahrungstranszendente Bereiche ausweitet. Die Bildung dieser Begriffe übersteigt die Grenzen objektiver Erkenntnis und gaukelt dem Denken Gegenstände vor, die wir prinzipiell nicht erkennen können. Dabei verwechselt die Vernunft nach Kant reine Gedankengebilde (noumena), die keine Gegenstände möglicher Erfahrung sind, mit Gegenständen der Sinneserfahrung (phaenomena) und verwickelt sich in charakteristische metaphysische Fehlschlüsse. Dies erklärt aus seiner Sicht auch, warum die metaphysischen Streitigkeiten niemals enden. Die Metaphysik seiner Zeit führte Gottesbeweise, Beweise für oder gegen die Unsterblichkeit der Seele, für die Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt in Raum und Zeit, für oder gegen den Atomismus, die Möglichkeit eines freien menschlichen Willens sowie die Existenz Gottes als eines absolut notwendigen Daseinsgrunds der Welt. Aus Kants kritischer Sicht haben diese Beweise allesamt keine Beweiskraft.

Beim Weltbegriff, und nur bei diesem, verwickelt sich die Vernunft nach Kant in echte Widersprüche („kosmologische Antinomie“). Kant hält das Konzept der raumzeitlichen Welt im Ganzen, also der Gesamtheit aller Erfahrungsobjekte in Raum und Zeit, für widersprüchlich, weil die Welt dabei zugleich als sinnlich erfahrbar und als reines Gedankending gedacht wird – als phaenomenon und noumenon, bedingt und unbedingt, relativ und absolut. (Kant 1781/1787: A293 ff./B350 ff.)

 

3.4 Der „regulative“ Gebrauch der Ideen in der Naturerkenntnis

Die kosmologische Antinomie kann nach Kant nur aufgelöst werden, indem die Vernunft den Anspruch auf die Erkenntnis der Welt im Ganzen zurücknimmt und berücksichtigt, dass wir nur endliche Ausschnitte der raumzeitlichen Welt erkennen |39|können. Die Naturerkenntnis ist aus Kants kritischer Sicht grundsätzlich endlich und kann bei Strafe des Widerspruchs prinzipiell nicht vervollständigt werden. Die spekulativen Ideen über das Weltganze haben nur eine heuristische Funktion als regulative Prinzipien oder methodologische Regeln. Sie begründen Forschungsprogramme für die Naturerkenntnis. Dabei leiten sie die Erforschung der Zusammensetzung der Materie, die Suche nach einheitlichen Naturgesetzen und einer Grundkraft der Physik, sowie die Erforschung der organischen Natur. (Kant 1781/1787: A642 ff./B670 ff.)

4. Grenzen der Mathematisierung

Zu objektiver Naturerkenntnis mit unumstößlicher („apodiktischer“) Gewissheit ist nach Kant jedoch nur die „eigentliche“ Naturwissenschaft in der Lage, und d.h. für ihn: die mathematische Physik. Alle anderen empirischen (Natur-)Wissenschaften, von der Chemie und der Biologie über die physische Geographie bis hin zur empirischen Anthropologie und Psychologie, haben für ihn nur den Charakter einer „uneigentlichen“ Naturwissenschaft oder einer „historischen“ Naturlehre, die ihre Gegenstände nur empirisch klassifiziert, anstatt sie mathematisch zu durchdringen.

4.1 Kant und die Biologie

Insbesondere ist Kant für das Diktum berühmt, es werde nie einen Newton des Grashalms geben (Kant 1790/1793; aber auch schon: Kant 1755). Nach der Kritik der Urteilskraft kann die Struktur von Organismen nur nach teleologischen Prinzipien beurteilt werden, die nicht zur objektiven Erkenntnis der Entstehung und der Funktionsweise von Organismen führen: In einem Organismus sind die Teile, d.h. die Organe, untereinander und mit dem Ganzen, dem Lebewesen, so verbunden, dass die Struktur des Ganzen als zweckmäßig erscheint. Dabei leistet es ein teleologisches Urteil nach Kant nur, diese Struktur so zu beurteilen, als ob sie auf Zweckmäßigkeit angelegt sei. Diese teleologischen Urteile sind aber vereinbar damit, die Funktionsweise einzelner Organe, wie etwa der Muskeln, die zur Beugung eines Gelenks führen, kausal und mechanistisch zu erklären. Die kausalen Mechanismen, nach denen die einzelnen Organe arbeiten, sind dabei den telelogischen Prinzipien unterstellt, die im Organismus insgesamt am Werk sind; letztere sind der kausalen Erklärung entzogen. Damit zählt die Biologie für Kant nicht zur „eigentlichen“ Naturwissenschaft. Dies verbindet er mit der Auffassung, dass es den Newton des Grashalms nie geben wird, weil sich die Struktur von Lebewesen nicht nach dem Vorbild der Physik erklären lässt.

4.2 Ausblick

Was Naturphilosophie heißt, ist also von Descartes bis Kant primär auf die Möglichkeiten mathematischer Naturerkenntnis ausgerichtet. Kants Theorie der Biologie markiert hierfür die Grenzen dieses Denkens in seiner Zeit und zielt darauf, es durch |40|nicht-mechanistische Konzepte zu überwinden. Kant arbeitete in seinen späten Jahren in diese Richtung weiter, wie sein opus postumum zeigt. Dagegen ist die Mathematisierung der Biologie heute viel weiter fortgeschritten, als Kant es sich vorstellen konnte.

Im nachkantischen deutschen Idealismus entwickeln dann Friedrich W.J. Schelling (1775–1854) und Georg W.F. Hegel (1770–1831) Ansätze zu einer nicht-mechanistischen und nicht-reduktionistischen Naturphilosophie, nach der die Natur einen Stufenbau von zunehmend komplexen Organisationformen bildet. Unbelebte Strukturen sind darin die Vorstufen des Lebens, und die belebte Natur stellt eine Vorstufe und Voraussetzung des Geistes dar. Schelling konzipiert die Übergänge zwischen diesen Stufen durchaus im Sinne einer biologischen Evolution (Schelling 1799). Hegel dagegen betrachtet die Natur als das „Andere der Idee“, wobei Natur und Geist nach ihm nur in einer logischen Beziehung stehen (Hegel 1830). Die spekulativen naturphilosophischen Ansätze beider Denker richten sich gegen das zeitgenössische mechanistische Weltbild der Physik und wurden im Verlauf des 19. Jhs. zum Gegenstand scharfer empiristischer Kritik (→ I.6).

Literatur

Berkeley, George [1710] 2012: Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis. Hg.: A. Kulenkampff. Hamburg.

Descartes, René [1641] 2008: Meditationes de prima philosophia. Meditationen über die Grundlagen der Philosophie. Lat.-Dt. Hg.: C. Wohlers. Hamburg.

– [1644] 2005: Die Prinzipien der Philosophie. Lat.-Dt. Hg.: C. Wohlers. Hamburg.

Falkenburg, Brigitte 2000: Kants Kosmologie. Die wissenschaftliche Revolution der Naturphilosophie im 18. Jahrhundert. Frankfurt/M.

Galilei, Galileo [1615] 2008: Lettera a Cristina di Lorena. Brief an Christine von Lothringen. Hg.: M. Titzmann/T. Steinhauser. Passau.

– [1623] 21992: Il saggiatore. Hg.: L. Sosio. Milano. Dt. Übers.: G. Harig: Galileis „Dialog über die beiden Weltsysteme“ – alte und neue Wissenschaft im Widerstreit. In: Galilei, Galileo [1623] 1987: Schriften, Briefe, Dokumente. Bd. 2. Hg.: A. Mudry. Berlin: 247–287.

Hegel, Georg W.F. [31830] 21993: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Zweiter Teil. Die Naturphilosophie. In: ders.: Werke, Bd. 9. Hg.: E. Moldenhauer/K. M. Michel. Frankfurt/M.

Hobbes, Thomas [1655] 2013: Elemente der Philosophie. Erste Abteilung: Der Körper. Hg.: K. Schuhmann. Hamburg.

Hume, David [1748] 2015: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Hg.: M. Kühn. Hamburg.

Kanitscheider, Bernulf 2013: Natur und Zahl: Die Mathematisierbarkeit der Welt. Berlin.

Kant, Immanuel [1755] 21910: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. In: Kant’s gesammelte Schriften. Hg.: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften. Berlin: Bd. I, 215–368.

– [1781/1787] 21911: Kritik der reinen Vernunft. In: a.a.O.: Bd. III.

– [1786] 21911: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft. In: a.a.O.: Bd. IV, 465–565.

– [1790/1793] 21913: Kritik der Urteilskraft. In: a.a.O.: Bd. V, 165–485.

La Mettrie, Julien O. de [1748] 2009: Die Maschine Mensch. Frz.-Dt. Hg.: C. Becker. Hamburg.

|41|Laplace, Pierre-Simon [1814] 21996: Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeit. Hg.: R. v. Mises. Frankfurt/M.

Leibniz, Gottfried W. [1714] 2012: Monadologie. Frz.-Dt. Hg.: H. Hecht. Stuttgart.

Leibniz, Gottfried W./Clarke, Samuel [1715/16] 1991: Der Leibniz-Clarke-Briefwechsel. Hg.: V. Schüller. Berlin.

Locke, John [1689] 1975: An Essay Concerning Human Understanding. Hg.: P.H. Nidditsch. Oxford. Dt.: 41981: Versuch über den menschlichen Verstand. 2 Bde. Hg.: R. Brandt. Hamburg.

Mohr, Georg / Willaschek, Marcus (Hg.) 22012: Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Berlin.

Newton, Isaac [1687] 1999: Die mathematischen Prinzipien der Physik. Hg.: V. Schüller. Berlin.

– [1704] 21996: Optik: Oder Abhandlung über Spiegelungen, Brechungen, Beugungen und Farben des Lichts. Hg.: W. Abendroth. Frankfurt/M.

Planck, Max [1908] 1965: Die Einheit des physikalischen Weltbildes. In: ders.: Vorträge und Erinnerungen. Darmstadt: 28–51.

Schelling, Friedrich W.J. [1799] 21965: Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie. In: Schellings Werke, Bd. 2. Hg.: M. Schröter. München: 269–326.

Spinoza, Baruch de [1677] 42015: Ethik, nach geometrischer Methode dargestellt. Lat.-Dt. Hg.: W. Bartuschat. Hamburg.

[Zum Inhalt]

|42|I.4 Natur und Recht

Michael Städtler

Der verbreiteten Auffassung zufolge gibt es Begründungen von Recht aus der Natur seit der Antike (Welzel 1951; Ilting 1978). Im Allgemeinen wird darunter Folgendes verstanden: „Naturrecht ist die Gesamtheit der der Natur innewohnenden, zeitlos gültigen, vernunftnotwendigen und vom Menschen nicht geschaffenen Rechtssätze“ (Köbler 1997: 392f.). Was allerdings in den verschiedenen Epochen konkret darunter verstanden wurde, variiert erheblich (Tierney 1997: 1ff.), abhängig von Veränderungen im Naturbegriff und im Rechtsbegriff (Wolf 1984). Deshalb empfiehlt es sich, vom systematischen Verhältnis dieser Begriffe auszugehen und es in den verschiedenen Kontexten zu untersuchen.

1. Systematische Vorüberlegungen

Das begriffliche Verhältnis von Natur und Recht enthält zwei entgegengesetzte Elemente: Einerseits werden sie analog gedacht, sofern beide gesetzmäßige Ordnungen betreffen. Andererseits sind sie gerade als gesetzmäßige Ordnungen einander entgegengesetzt: Naturgesetze gelten faktisch zwingend. Die faktische Geltung von Rechtsgesetzen unterliegt aber menschlicher Willkür, sie ist ein Sollen. Recht ist im strikten Sinn nie ein Bestandteil der Natur, sondern eine Institution menschlicher Gesellschaft. Umgekehrt richten sich Rechtsnormen durchaus an Menschen auch, insofern sie Naturwesen sind, denn als solche sind sie endliche Wesen und verfolgen Interessen, die in der Ausführung kollidieren können. Solche Kollisionen regelt das Recht. Die Verfolgung von Interessen setzt, im Unterschied zum Instinkt, eine Vorstellung von Interessen und damit ein intellektuelles Wesen voraus. Recht ist damit eine gesellschaftliche Institution unter intelligenten Naturwesen.

Sobald ‚Natur‘ als philosophischer Begriff auftritt, ist sein Gegenstandsbereich als Kosmos (als sinnvoll geordnete Totalität) vom Chaos (der Vorstellung ungeordneter Totalität) unterschieden (→ I.1; II.3/Abschn. 1.3). Diese Ordnung ist regelmäßig und deshalb erkennbar. Das menschliche Handeln unterliegt der Freiheit, kann so oder anders ausfallen, und bietet daher zunächst keine regelmäßige Ordnung. Das Zusammenleben von Menschen setzt aber deren zweckmäßiges Zusammenwirken, d.h. Kooperation, voraus. Sonst zerstört jede Gemeinschaft sich selbst. Dafür müssen Regeln, Ordnungskriterien, gesetzt werden. Ihre Verbindlichkeit ist aber zunächst ein bloßer Anspruch an die Handelnden. Recht als stabile Institution setzt daher voraus, |43|dass eine Gemeinschaft von Menschen Rechtsnormen teilt, dass über deren Erfüllung irgendwie verbindlich entschieden werden kann und dass diese Entscheidung auch gegen entgegengesetzte Interessen durchgesetzt werden kann. Insofern lehnt das Recht seinen Geltungsanspruch an die Naturordnung an und begründet dann gerade aus seinem Unterschied zur Naturordnung die Legitimation, durch Institutionen den Mangel an Geltungswirklichkeit auszugleichen.