Lebensbilder aus dem Bistum Mainz

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Bei der Wahl am 22. Februar 1849 war als von der Regierung entsandter Wahlkommissar der Gießener Universitätskanzler Michael Franz Birnbaum anwesend, der vor der Wahl die Erwartung des Landesherrn zum Ausdruck brachte, der künftige Bischof möge das gute Einvernehmen zwischen Kirche und Staat fortsetzen und konfessionelle Toleranz üben. Angesichts der Berufung Schmids in die Erste Kammer durch den Großherzog können die vier aus der Aschaffenburger Schule hervorgegangenen Domkapitulare Kaspar Grimm, Johann Baptist Fell, Michael Schnetter und Andreas Gresser diese Äußerung Birnbaums als weiteren deutlichen Fingerzeig verstanden haben. Zumindest hatten sie wohl kein Interesse an einem weiteren Erstarken des ultramontan ausgerichteten „Mainzer Kreises“ durch die Wahl Adam Franz Lennigs, der auf sich außer seiner eigenen Stimme nur noch die des Domdekans Höfer und Johann Baptist Stratmanns vereinigen konnte. Lennig musste mit Blick auf sein erfolgreiches persönliches Engagement im Jahre 1848 sowie auf seine Vertrauensstellung, die er sich bei Bischof Kaiser bis zuletzt erworben hatte, und auf das nach langem zähen Ringen mit dem Staat endlich Erreichte, die im zweiten Wahlgang entschiedene Wahl Leopold Schmids als einen Verrat an ihm und an seinem Kampf für die Kirche erscheinen. Seine tiefe Enttäuschung hat er gegenüber seinen Kapitelskollegen wohl schon vor diesem Wahlgang deutlich geäußert. Im Vorgehen der Regierung sah er eine unzulässige Einflussnahme und wollte sich mit dem Wahlergebnis nicht abfinden. Daher suchten er und seine Anhänger, insbesondere Domkaplan Johann Baptist Heinrich, der mit Kaspar Riffel aus dessen Gießener Tagen in enger Verbindung stand, Riffel selbst sowie Christoph Moufang nach Mitteln und Wegen, eine Anerkennung der Wahl Schmids durch den Papst zu verhindern. In Schmid erblickten sie ausschließlich den Kandidaten der Regierung und in seiner Wahl einen Rückfall in das überwunden geglaubte Staatskirchentum. Nun stand für sie das Schicksal der Diözese auf dem Spiel.


Versammlung der Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz in Freiburg, i.Br. am 12. April 1853 bei Erzbischof Hermann von Vicari (Lithographie von Valentin Schärtle nach einem Gemälde von Eduard Heuss) Adam Franz Lennig (1. von li) mit Bischof von Ketteler (3. von li) und den Bischöfen der Oberrheinischen Kirchprovinz bei Erzbischof von Vicari in Freiburg

Umgehend wurde Lennigs weitreichendes Netz von Verbindungen aktiviert, in das nach und nach Bischof Peter Josef Blum von Limburg, der nassauische Legationsrat Moritz Lieber, Bischof Nikolaus Weis von Speyer, Bischof Andreas Räß von Straßburg, Karl August Graf Reisach, Erzbischof von München, dessen Generalvikar Fritz Windischmann und Ignaz von Döllinger sowie der Münchner Nuntius Carlo Sacconi und der Wiener Nuntius Michele Viale Prelà einbezogen wurden, um nur die wichtigsten Akteure zu nennen. Mit polemischen Beiträgen im „Katholik“, den „Katholischen Sonntagsblättern“ und dem „Mainzer Journal“ wurde der Konflikt zugespitzt.

Alle diese Maßnahmen, die nicht frei waren von deutlich intriganten Zügen, so auch die Einflussnahme auf Pius IX. gegen die Person Schmids, sollten schließlich ihre Wirkung zeigen. Der Papst verwarf im Breve „Ex speciali gratia“ am 7. Dezember 1849 die Wahl Schmids, der sich zuvor verschiedenen Versuchen widersetzt hatte, ihn von der Annahme seiner Wahl abzubringen. Zugleich eröffnete er dem Mainzer Domkapitel die Möglichkeit zu einer Neuwahl und deutete an, es möge einen geeigneten Kandidaten aus seinem Kreis wählen. Zwar teilte Schmid dem Domkapitel am 17. Januar 1850 mit, er nehme den päpstlichen Entscheid vorerst hin. Doch setzte er sich nun durch seine Interessensvertreter in Mainz in öffentlichen Versammlungen, Adressen an das Domkapitel und den Papst sowie den Landesherrn zur Wehr, wobei natürlich auch Angriffe auf Lennig nicht ausblieben. Die Mehrheit des Domkapitels, die gleichfalls auf ihrer Entscheidung beharrte, hatte gegenüber dem Papst nochmals den friedfertigen Sinn Schmids in konfessionellen Fragen betont und die Schärfe seiner theologischen Gedankenführung sogar über die des Thomas von Aquin gestellt, was aber dessen Argwohn nur noch bestärkte. In dem damals von der radikaldemokratischen Bewegung geprägten Mainz hatten die Anhänger Schmids am 28. Januar im Frankfurter Hof eine Protestversammlung veranstaltet, bei der heftige Attacken gegen Lennig nicht ausblieben. Dabei wurde ihm nicht so sehr sein Streben nach dem Bischofsamt vorgehalten, die Agitatoren sahen in ihm vor allem den Repräsentanten einer restaurativen geistigen, kirchlichen und politischen Ausrichtung, die sie bekämpften.

Der Protest wurde unterstützt von der liberalen „Mainzer Zeitung“ und dem „Frankfurter Journal“. Auch ein erheblicher Anteil des Diözesanklerus, der die Ausrichtung des Mainzer Kreises ablehnte, hatte für Schmid Partei ergriffen und setzte große Hoffnungen in ihn bezüglich einer Reform des kirchlichen Lebens, so etwa die Abschaffung des Zölibats. Als die Mehrheit des Domkapitels am 29. Januar abermals auf ihrer Wahl Schmids beharrte, wirkte nun, da die Verhältnisse in Mainz anarchische Züge anzunehmen drohten, die großherzogliche Regierung auf das Domkapitel ein. Inzwischen war Ministerpräsident Jaup durch den im Umgang mit radikalen demokratischen Strömungen bewährten Mainzer Regierungsdirektor von Dalwigk ersetzt worden. Die Mehrheit im Domkapitel kam schließlich mit der Minderheit dahingehend überein, sich einer erneuten Wahl zu enthalten und dem Papst drei Geistliche vorzuschlagen, die nicht der Mainzer Diözese angehörten: Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler, seit 1849 Propst von St. Hedwig in Berlin, Heinrich Förster, Domkapitular in Breslau, und Anton von Oehler, Domkapitular in Rottenburg. Der Großherzog erteilte dieser Liste am 1. März 1850 sein Plazet. Bereits am 8. Februar 1850 hatte die Regierung Professor Schmid dazu gedrängt, gegenüber der Kapitelsmajorität seine Zustimmung zu diesem Verfahren zu erklären. Mit einem Breve vom 16. März ließ Papst Pius IX. dann wissen, er habe Wilhelm Emmanuel von Ketteler als Bischof für Mainz ausgewählt. Dieses Resultat konnten Lennig und seine Anhänger als Sieg verbuchen. Zugleich war damit ein Bischof gefunden worden, der außerhalb der tief zerstrittenen Parteien stand, deren Zusammenführung und Aussöhnung die erste große Herausforderung für den am 25. Juli im Mainzer Dom zum Bischof geweihten Ketteler war.

Generalvikar Bischof von Kettelers

Zwar gab es nach Kettelers Amtsantritt noch Versuche, ihn gegen Lennig und dessen Anhänger einzunehmen, doch zeigte er sich davon unbeeindruckt. Er ging vielmehr mit großer Energie und persönlicher Opferbereitschaft daran, die kirchliche Ordnung in der ihm erforderlich scheinenden Weise wiederherzustellen, wobei er einen sehr autoritären Stil in der Leitung der Diözese entwickelte, weshalb Lennig, den er am 15. Dezember 1852 zu seinem Generalvikar berufen hatte, häufig ausgleichend wirken musste. Ketteler zog auch radikale Schritte in Betracht, wie etwa die verpflichtende Einführung der „vita communis“ für alle Kleriker, der sich aber selbst Lennig durch Rücktrittsdrohung widersetzte, was ihn aber nicht daran hinderte, 1857 den Assistenten und Dozenten für Kirchengeschichte am Priesterseminar, Heinrich Brück, in seinem Hause aufzunehmen, wo dieser bis zu Lennigs Tod wohnte.

Bei aller Schroffheit zeigte Kettler gleichwohl nicht nur ein waches Bewusstsein für die soziale Not vieler der ihm anvertrauten Menschen, sondern sorgte bald auch für deren Bekämpfung. Der großherzoglichen Regierung trat er von Anfang an selbstbewusst entgegen. Seine erste kirchenpolitisch brisante Maßnahme führte zum faktischen Ende der katholisch-theologischen Fakultät in Gießen. In Abstimmung mit seinen Beratern und dem Domkapitel verlegte er das Theologiestudium eigenmächtig nach Mainz zurück, wo die Fakultät am 1. Mai 1851 wiedereröffnet wurde. Zwar riskierte er so einen Konflikt mit der Regierung, doch ließ diese ihn gewähren, weil sie inzwischen in der katholischen Kirche einen wichtigen Bundesgenossen gegen die radikal-demokratischen Strömungen im Großherzogtum erkannt hatte. Damit war eine grundsätzliche Forderung des Mainzer Kreises erfüllt.


Adam Franz Lennig (nach 1858) mit dem hessischen Ludwigsorden

Weitere Punkte, die Ketteler zügig anging, waren die Frage der Bildung und Verwaltung der bischöflichen Dotation und damit zusammenhängend der Besetzung der Pfarrstellen, die immer noch durch staatskirchliche Verwaltungsvorschriften geregelt waren. Deshalb ersetzte er die 1830 von Bischof Burg erlassene Verordnung über die Bildung und Verwaltung der Dotationen des Bistums durch eine neue Verordnung vom 11. November 1853. Bei der Besetzung der vakanten Pfarreien Budenheim, Vendersheim und Weisenau ließ er durch seinen Generalvikar ein Pfarrkonkursexamen ausschreiben, setzte sich damit über die landesherrliche Verordnung von 1830 hinweg und schuf vollendete Tatsachen. Auch hier scheute Dalwigk einen Konflikt, wie er sich in dieser Frage etwa im Großherzogtum Baden ergeben hatte, und war um eine einvernehmliche Lösung der Fragen bemüht.

Im Juli 1854 begannen die Verhandlungen zwischen den Bevollmächtigten, Ministerialrat Franz Joseph Freiherr von Rieffel und Generalvikar Lennig, zur Klärung aller im Verhältnis von Kirche und Staat strittigen Fragen, die schließlich am 23. August 1854 in einer in ihrem Wortlaut allerdings nicht veröffentlichten „Vorläufige[n] Übereinkunft zwischen der großherzoglichen Regierung und dem Bischof von Mainz in Betreff der Regelung der Verhältnisse des Staates zur katholischen Kirche“ mündeten und durch Bischof von Ketteler und Ministerpräsident von Dalwigk gemeinsam unterzeichnet wurde. Allerdings wurde diese Vereinbarung, die neben der römischen Kurie auch den anderen Bischöfen der oberrheinischen Kirchenprovinz zur Kenntnis gebracht wurde, von letzteren scharf als Alleingang kritisiert, hatte Ketteler damit doch ein gemeinsam abgestimmtes Vorgehen unmöglich gemacht und künftige Übereinkünfte präjudiziert.

 

In Rom äußerte man gleichfalls Kritik, da die Konvention die Rechte des Bischofs nicht hinreichend berücksichtige und forderte Nachverhandlungen. Ketteler nahm die Reise anlässlich der Verkündung des Dogmas von der „Unbefleckten Empfängnis Mariens“ im November 1854 in Rom als Gelegenheit, um dort in Begleitung seines Generalvikars Lennig, der mit den römischen Verhältnissen gut vertraut war, seinen Standpunkt vorzutragen und für die Konvention zu werben. Die Gespräche verliefen allerdings nicht so wie erhofft. Der Weisung, völlig neue Verhandlungen mit der Regierung in Darmstadt aufzunehmen, widersetzte sich Ketteler aber beharrlich. Man einigte sich schließlich in einem dritten Anlauf auf einen Bestand an Änderungswünschen zu Kettelers Entwurf für eine Übereinkunft mit der großherzoglichen Regierung. Am 3. April 1855, nach fünfmonatiger Abwesenheit, erreichte er zusammen mit Lennig wieder Mainz und nahm mit Darmstadt Kontakt auf, wo man in einem Antwortschreiben vom 19. April 1856 auf nahezu alle Punkte der römischen Forderungen eingegangen war. Allerdings versagte Rom der „revidierten Konvention“ die offizielle Zustimmung. Mit ihrer Prüfung war der im Dezember 1855 zum Kurienkardinal berufenen Münchner Erzbischof von Reisach beauftragt worden, der, obgleich mit Lennig seit vielen Jahren verbunden und einst auch geistlicher Mentor Kettelers, erhebliche Kritik äußerte wegen einer zu einvernehmlichen Haltung gegenüber der großherzoglichen Regierung. In Mainz und Darmstadt befürchtete man jedoch bei erneuten Verhandlungen unter „römischer Aufsicht“ das bisher Erreichte zu verlieren. Da die revidierte, doch von Rom nicht akzeptierte Fassung der Vereinbarungen von beiden Seiten nicht ratifiziert worden war, einigten sich Ketteler und Dalwigk darauf, künftig nach der am 23. August 1854 abgeschlossenen unveröffentlichten „Mainz-Darmstädter Konvention“ zu verfahren, an deren Zustandekommen Lennig maßgeblich Anteil hatte. Sie führte für 20 Jahre zum Ausgleich zwischen Regierung und Bistum. Das bis zur Aushandlung der Konvention schwierige Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und der Staatsregierung entspannte sich nun, und Bischof von Ketteler wurde im Gegenzug zu einer der Hauptstützen des Hessen-Darmstädtischen Ministerpräsidenten von Dalwigk.

Lennig war durch anonyme Schreiben bei Ketteler kurz nach dessen Amtsantritt für den desolaten Zustand der Diözese verantwortlich gemacht worden. Zugleich hatte man den neuen Bischof gewarnt, diesen und seine Parteigänger in sein Umfeld zu lassen, da sie nur weitere unnötige katholische Vereine und Bruderschaften gründeten sowie Exerzitien, Andachten, Prozessionen und Wallfahrten durchführten, was dann eine geringe Zahl von Klerikern und Gläubigen fälschlich als ein Wiedererstarken der katholischen Kirche feiere. Doch käme das nur der Kirchenkritik des Deutschkatholizismus zustatten. Wenngleich der anonyme Autor recht genau voraussah, in welche Richtung das Wirken Kettelers, unterstützt von Lennig, dann tatsächlich gehen sollte, so war sein Urteil über die Folgen weitaus weniger zutreffend.

Als Bischof von Ketteler 1854 beabsichtigte in Mainz ein Kapuzinerkloster zu gründen, überließ Lennig ihm zu diesem Zweck ein aus eigenen Mitteln erworbenes Haus in der Himmelsgasse. Als Generalvikar setzte Lennig sich gegenüber dem zuständigen Ministerium für die Ansiedlung des Konvents ein. Dieses sah darin, zumal es sich um einen Bettelorden handelte, einen für die öffentliche Meinung inakzeptablen Rückschritt und eine wirtschaftliche Belastung für die Bevölkerung. Lennig vermochte allerdings mittels des Arguments, dass das Wirken der Kapuziner den Staat letztlich finanziell wesentlich günstiger als die Anstellung neuer Priester käme, deren Ansiedlung durchzusetzen. Die Zulassung von Orden, so auch der Jesuiten 1859 in der Mainzer Pfarrei St. Christoph, galt Lennig als Element kirchlicher Selbständigkeit. In gleicher Weise engagierte er sich für die Armen Schwestern des hl. Franziskus, die in der Betreuung von Kranken und Armen tätig waren, wobei sie insbesondere für sozial schwache Familien und deren vernachlässigte Kinder sorgten. Ihren dauerhaften Verbleib in Mainz konnte er ebenfalls unter Verweis auf ihr erfolgreiches Wirken zu wirtschaftlich ausgesprochen günstigen Bedingungen erreichen. Am Ende und insgesamt führten Lennigs Maßnahmen zur stillschweigenden Duldung der Orden im Großherzogtum seitens der Regierung.

Weniger Erfolg hatte Lennig bei der Bewahrung der Pfarrschulen gegen die gemeinsame Initiative einer Gruppe von Elementarschullehrern und liberaler, zum Teil offen antikirchlich agierender Mitglieder des Mainzer Stadtrats. Die Elementarschullehrer kritisierten die konfessionelle Ausrichtung der Pfarrschulen und dass den Schülern die Erziehung zu kritischer politischer Selbständigkeit fehle. Sie sprachen sich daher für eine weltanschaulich neutrale Schule aus. Gegenüber dem Ministerium beklagte Lennig, dass der Kirche durch die Aufhebung des Pfarrschulprinzips ihr christlicher Erziehungsauftrag erschwert werde, denn dieser Schritt führe zu einer Entfremdung der Schüler von dem für sie zuständigen Pfarrer. Die Regierung entschied sich am Ende zur Einführung von Sektionsschulen, wofür – unabhängig von den gewachsenen, auf die Pfarreien bezogenen Strukturen – neue Schulbezirke errichtet wurden.

Lennigs Einsatz für die Kirche und die Festigung ihrer Stellung in einer Gesellschaft, die sich ihr durch die politischen und kulturellen Veränderungen zunehmend entfremdete, fand die Anerkennung seines Bischofs, der ihm am 28. Februar 1856 das Amt des Domdekans übertrug. Großherzog Ludwig III. zeichnete Lennig für seinen vermittelnden Einsatz zum Ausgleich der Interessen von Kirche und Staat durch seine Ernennung zum Kommandeur des großherzoglich-hessischen Ludwigsordens am 26. Dezember 1858 aus. Schließlich würdigte auch Pius IX. seine Verdienste, als er ihn während eines Aufenthalts in Rom in einer Privataudienz am 11. April 1859 zum Geheimen päpstlichen Kammerherrn ernannte. Doch sollte Lennigs Freude über die Anerkennung seines Wirkens nicht lange ungetrübt bleiben.

Am 24. Juni 1859 war es in einer Schlacht nahe der oberitalienischen Stadt Solferino zu einer empfindlichen Niederlage Österreichs gekommen, dessen Führung sich einerseits durch das arrogante Verhalten der französisch-piemontesischen Koalition provozieren ließ und andererseits die eigene Stärke deutlich überschätzte. In der Folge kam es alsbald zu einer Schwächung der Stellung Österreichs als Schutzmacht der katholischen Kirche sowohl in Italien als auch in Deutschland. Das bot etlichen staatskirchlich gesinnten Regierungen in den Ländern des Deutschen Bundes Anlass zu neuen politischen Angriffen auf die Kirche. Lennig beklagte gegenüber Bischof Blum von Limburg, dessen Theologiestudenten man zur Rückkehr aus dem Mainzer Seminar nach Nassau durch den Entzug der staatlichen finanziellen Unterstützung zwingen wollte, die mangelnde Ge- und Entschlossenheit des kleinmütigen deutschen Episkopats, der nicht mehr zu einer gemeinschaftlichen Haltung wie im Jahre 1848 fand. Er fürchtete zusehends die Entrechtung der katholischen Kirche durch protestantische Majoritäten in den Ständekammern. Ebenso ärgerte Lennig die Gleichgültigkeit vieler Katholiken gegenüber den Angriffen auf die Kirche. So war 1861 ein Pamphlet übelster Art gegen die Oberin der Barmherzigen Schwestern im Mainzer Invalidenhaus erschienen. Von liberalen Bürgern initiiert, die auch über das „Frankfurter Journal“ Einfluss nahmen, sollte es dem öffentlichen Ansehen der katholischen Kirche schaden. Zwar wurde die Schrift verboten, die Unschuld der Schwester gerichtlich nachgewiesen und der vorgebliche Verfasser verurteilt, doch der Protest der Katholiken ließ für Lennig die angemessene Schärfe vermissen.

Im Jahr 1864 reiste Lennig wegen seiner angegriffenen Gesundheit nach Karlsbad. Der Kuraufenthalt brachte ihm jedoch nur kurzfristig Besserung, da er keine Konsequenzen für die Gestaltung seines Lebensstils daraus zog, insbesondere was seine berufliche Belastung anging. Nachdem er am 11. Dezember 1865 einen Schlaganfall erlitten hatte, von dem er sich nur langsam erholte, weilte er 1866 noch einmal zu einer Kur in Marienbad. Dort erfasste ihn nach der Niederlage Österreichs und seiner Verbündeten in der Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 gegen das militärisch aggressive Preußen eine schwere Depression, von der er sich nicht mehr erholen sollte. Zurückgekehrt nach Mainz, wo er unter großen Mühen seinen Dienst trotz aller Mahnungen wieder aufgenommen hatte, verstarb er am 22. November 1866 an den Folgen seiner gesundheitlichen Schwäche.

Lebensdaten


03.12.1803geb. in Mainz als Sohn des Tuchhändlers Nikolaus Lennig und seiner Frau Elisabeth, geb. Mentzler
1815–1820Gymnasium in Bruchsal und Mainz
1820–1831Studium in Mainz, Paris, Rom und Bonn
22.09.1827Priesterweihe in Rom, St. Giovanni in Laterano
06.07.1832Pfarrer in Gaulsheim
27.09.1839Pfarrer in Seligenstadt
05.06.1845Domkapitular, Geistl. Rat
16.08.1847Offizial
23.03.1848Gründung des Pius-Vereins
16.06.1848Erste Ausgabe des von Lennig mitbegründeten Mainzer Journals
3.–6.10.1848Generalversammlung der Katholischen Vereine in Mainz
21.10.1848Vertreter Bischof Kaisers bei der Konferenz der deutschen Bischöfe in Würzburg
15.12.1852Generalvikar
28.02.1856Domdekan
22.11.1866in Mainz verstorben, beigesetzt auf dem Hauptfriedhof

Quellen

Mainz, Dom- und Diözesanarchiv (DDAMz):

Domkapitel A.9.2 (Verhandlungen über das Verhältnis von Kirche und Staat in der Oberrheinischen Kirchenprovinz); D 5.1 (Domdekan und Generalvikar Adam Franz Lennig).

Schriften

Das heilige Schweißtuch Christi in der St. Emmeranskirche in Mainz: Predigt, gehalten am Ostermontag 1865. Sonderdruck, Mainz: Sausen, 1865.

Trauerrede auf den Hochw. Herrn Petrus Leopold Kaiser, Bischof von Mainz, vom Januar 1849. Mainz: Kirchheim, 1849.

Trauerrede auf die Großherzogin Mathilde, Friederike, Wilhemine, Charlotte Grossherzogin von Hessen und bei Rhein, … gest. d. 25. Mai 1862, gehalten in der kath. Kirche zu Darmstadt am 30. Mai 1862. Mainz: Kirchheim, 1862.

Erklärung des Bischöflichen Ordinariates in Mainz wegen einiger in der zweiten Kammer des Großherzogthums Hessen vorgekommener unrichtigen Behauptungen [Mainz, den 7. Mai 1863]. Mainz 1863.

Betrachtungen über das bittere Leiden Jesu Christi. Hrsg. von Christoph Moufang, Mainz: Kirchheim, 1867.

Betrachtungen über das heilige Vaterunser und den englischen Gruß, hg. von Christoph Moufang. Mainz: Kirchheim, 1869.

Gedruckte Quellen und Literatur

Hermann-Josef Braun u.a. (Bearb.) Necrologium Moguntinum 1802/3–2009. Mainz 2009, S. 515.

Anton Philipp Brück, Aus der Briefmappe des Bischofs Andreas Raeß. In: Elsässisch-Lothringisches Jahrbuch 19 (1941) S. 290–300.

Anton Philipp Brück, Der Mainzer Lennig-Moufang-Kreis und die Freiheit der Kirche. In: Lenhart, Idee, S. 133-151.

Heinrich Brück, Lennig, Adam Franz. In: Wetzer und Weltes Kirchenlexikon Bd. 7, 1891, Sp. 1743–1746.

Heinrich Brück, Adam Franz Lennig, Generalvicar und Domdecan von Mainz, in seinem Leben und Wirken. Mainz 1870.

Anton Diehl, Adam Franz Lennig, Domdekan und Generalvikar von Mainz (= Eine Sammlung von Zeit- und Lebensbildern 9). Mönchen-Gladbach 1914.

Eckhart G. Franz, Großherzogtum Hessen. In: Reich und Länder. Geschichte der deutschen Territorien, Bd. 2: Die deutschen Länder vom Wiener Kongreß bis zur Gegenwart, hg. von Georg Wilhelm Sante. Darmstadt 1971, S. 483–495.

 

Friedrich Hainbuch, Zur Bischofswahl Wilhelm Emmanuel von Kettelers im Jahre 1850 – Neue Dokumente. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 34 (1982) S. 355–372.

Wilhelm Emmanuel von Ketteler, Sämtliche Werke und Briefe, Abt. 2, Briefwechsel und öffentliche Erklärungen, Bde. 1–5: Briefe und öffentliche Erklärungen: Bd. 1: 1825–1850, Bd. 2: 1850–1854, Bd. 3: 1855–1860, Bd. 4: 1861–1865, Bd. 5: 1866–1870, bearb. von Erwin Iserloh, Norbert Jäger und Christoph Stoll. Mainz 1984, 1988, 1991, 1994, 1997.

Gustav Krüger, Der Mainzer Kreis und die katholische Bewegung. In: Preußische Jahrbücher 148 (1912) S. 395–414.

Ludwig Lenhart, Petrus Leopold Kaiser, der von „Glauben und Milde“ Mainzer Bischof in Sailers Geisteshaltung (1835–1848). In: Jahrbuch für das Bistum Mainz 4 (1949) S. 188–250.

Ludwig Lenhart, Der Mainzer Domherr A.F. Lennig an den Straßburger Bischof A. Raeß über die gescheiterte Mainzer Bischofskandidatur des Gießener Universitätsprofessors Dr. Leopold Schmid. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 11 (1959) S. 264–274.

Ludwig Lenhart (Hg.), Idee, Gestalt und Gestalter des ersten deutschen Katholikentags in Mainz 1848. Ein Gedenkbuch zum Zentenar-Katholikentag 1948. Mainz 1948.

Otto Pfülf, Piusverein. In: Wetzer und Weltes Kirchenlexikon Bd. 10, 1897, Sp. 77–82.

Otto Pfülf, Bischof von Ketteler (1811–1877), eine geschichtliche Darstellung, 3 Bde. Mainz 1899.

Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt auf das Jahr 1859. Darmstadt 1859, S. 17.

Karl J. Rivinius, Vorgänge um die Mainzer Bischofswahl von 1849/50. Weitere Dokumente. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 38 (1986) S. 281–324.

August Schuchert, Der erste Mainzer Katholikentag in seinem historisch-ideellen Verlauf. In: Lenhart, Idee, S. 92–113.

Christoph Stoll, Bischof Ketteler und die römische Kurie 1854–1855. Die Behandlung der Mainz-Darmstädter Konvention von 1854 in Rom nach vatikanischen Dokumenten und Briefen Adam Franz Lennigs an seinen Neffen Christoph Moufang. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 29 (1977) S. 193–252.

Uwe Scharfenecker, Die Katholisch-Theologische Fakultät Gießen (1839–1859). Ereignisse, Strukturen, Personen (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 81). Paderborn u.a. 1998.

August Schuchert, Der erste Mainzer Katholikentag in seinem historisch-ideellen Verlauf. In: Lenhart, Idee, S. 92–113.

Friedrich Schwarz, Der Mainzer Dialektdichter Lennig. Zur Wiederkehr seines Todestages (6. April 1838). In: Mainzer Zeitschrift 7 (1912) S. 112–119.

Hugo Stumm, Zwei gescheiterte Kandidaturen für den Mainzer Bischofsstuhl im 19. Jahrhundert, II: Die Kandidatur des Gießender Universitätsprofessors Dr. Leopold Schmid. In: Jahrbuch für das Bistum Mainz 4 (1949) S. 171–187.

Fritz Vigener, Die Mainzer Bischofswahl von 1849/50. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 11 (1921) S. 351–427.

Joseph Günther Weller, Bischof Peter Leopold Kaiser (1788–1848). Der Weg der katholischen Kirche im Großherzogtum Hessen-Darmstadt aus Subordination bis zum Durchbruch eines streng kirchlichen Katholizismus [phil. Diss. Mainz 1969]. Bamberg 1970.

1 Totenzettel zit. nach Der Katholik NF 2, 17 (1867), Heft 3, S. 300.

2 Vgl. Extrabeilage zum Frankfurter Journal Nr. 8 vom 9. Januar 1849.

3 So äußerte sich etwa Räß, der, weil von Burg nicht geschätzt, 1829 als Regens ans Straßburger Priesterseminar gegangen war, vgl. Alexander Schnütgen, Das Elsaß und die Erneuerung des katholischen Lebens in Deutschland 1818–1848 (= Straßburger Beiträge zur neueren Geschichte 6). Straßburg 1913, S. 113.

4 Zit. nach A. Ph. Brück, Lennig-Moufang-Kreis, S. 143.

5 Zit. nach ebd., S. 144.

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