Gender@Wissen

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Gender@Wissen
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vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich

Christina von Braun, Inge Stephan (Hg.)

Gender@Wissen

Ein Handbuch

der Gender-Theorien

3. überarbeitete und erweiterte Auflage

BÖHLAU VERLAG

KÖLN WEIMAR WIEN · 2013

Christina von Braun ist Professorin am Institut für Kulturwissenschaft an der HU zu Berlin.

Inge Stephan ist Professorin em. am Institut für deutsche Literatur der HU zu Berlin.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich

unter www.utb-shop.de.

Umschlagabbildung:

Ricarda Roggan, Triptychon (Detail). Zwei Stühle und ein Tisch.

Stuhl, Tisch und Kasten. Stuhl, Tisch und Stellwand, 2001.

C-Print, je 100 x 125 cm, © Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin,

VG Bildkunst Bonn, 2013.

3. Auflage 2013

2. Auflage 2009

1. Auflage 2005

© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien

Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes

ist unzulässig.

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Satz: synpannier. Gestaltung & Wissenschaftskommunikation, Bielefeld

Druck und Bindung: AALEXX Buchproduktion GmbH, Großburgwedel

Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier

Printed in Germany

UTB-Band-Nr. 2584 | ISBN 978-3-8252-3926-8 | ISBN 978-3-8463-3926-8 (ePub)

Über dieses eBook

Der Böhlau Verlag steht für Tradition und Innovation – wir setzen uns für die Wahrung wissenschaftlicher Standards in unseren Publikationen ein. So sollen auch unsere elektronischen Produkte wissenschaftlichen Anforderungen genügen.

Deshalb ist dieses eBook zitierfähig, das Ende einer gedruckten Buchseite wurde in Form von Text-Hinweisen kenntlich gemacht. Inhaltlich entspricht dieses eBook der gedruckten Ausgabe, auch das Impressum der gedruckten Ausgabe ist vorhanden.

Ein spezielles Editing-Team wirkt gezielt an der Produktion unserer elektronischen Produkte mit – dort wo eBooks technische Vorteile bieten, versuchen wir diese funktional nutzbar zu machen.

So wurde das Inhaltsverzeichnis zu einer Navigationsplattform. Die Zwischenüberschriften der einzelnen Beiträge wurden eingeblendet, die Viten der Beiträger sind direkt erreichbar. Das elektronische Inhaltsverzeichnis beschränkt sich auf das einfache, schnelle Navigieren.

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Ihr Böhlau Verlag

Inhaltsverzeichnis

Cover

Impressum

Über dieses eBook

Vorwort zur 3. Auflage

Vorwort zur 2. Auflage

1 Einführung

Gender@Wissen (Christina von Braun und Inge Stephan)

Wissensordnung und symbolische Geschlechterordnung

Die Auslagerung von geschlechtlichen Codes aus der Wissenschaft: Kanon und Reinheit

Die Einlagerung von Geschlechtercodes in die Wissenschaft: Sexualisierung und Entsexualisierung

Metaphysik und Wissenschaft

Corpus fictum und organischer Körper

Das heilige Gen

Geschlecht als Wissenskategorie

Bibliographie

2 Themenfelder

Identität (Claudia Breger)

Einleitung

Das ,andere Geschlecht‘ auf dem Weg zur Subjektwerdung: Simone de Beauvoir

Auf der Suche nach (weiblicher) Identität: Die neue Frauenbewegung

(Weibliche) Differenz: Der ,französische‘ Feminismus

Differenzen, oder: Zur Genealogie der Identität. Gender Trouble

Identität, ,postdekonstruktiv‘? Reformulierungen und Perspektiven

Bibliographie

Körper (Irmela Marei Krüger-Fürhoff)

Einleitung

Entwicklungsgeschichte des Begriffs

Einordnung in die Wissenschaftsgeschichte

Anbindung an allgemeine politische und wissenschaftliche Debatten

Querverbindungen zu anderen politischen Feldern

Bibliographie

Zeugung (Bettina Bock von Wülfingen)

Einleitung (vom Zeugen und Schaffen)

Zeugung in der Naturforschung von der Antike bis zur Moderne: Flüsse und Ökonomie

Naturforschung im 19. und 20. Jahrhundert: Das gezeugte Geschlecht

Zeugung des Lebens aus sich selbst heraus als Akt des Widerstands: Urzeugung, Autopoiese und Parthenogenese in der Moderne

Zeugung jenseits der sterblichen Körper: Re- / Produktion und Biokapital

Bibliographie

Reproduktion (Bettina Mathes)

Einleitung

Die Fruchtbarkeit der Medien

Die Reproduktion des Geschlechtskörpers

Bibliographie

Sexualität (Heike Jensen)

Einleitung

 

Die Erforschung der Sexualität im Abendland

Ausblick

Bibliographie

Geld (Christina von Braun)

Drei Formen der Gelddeckung

Die sakrale Gelddeckung

Der menschliche Körper im Opferritus

Das Geschlecht des Opfers

Geld und Alpha

Christliche Religion und Geld

Die moderne Opfer- und Inkarnationslogik des Geldes

Das Geld und die Psyche

Versuch eines Fazits

Bibliographie

Gewalt / Macht (Christine Künzel)

Einleitung

Anfänge in den Sozialwissenschaften

Gewalt in Ehe und Familie

Sexuelle Gewalt

Perspektiven der (feministischen) Politikwissenschaften

Kriminologie und Rechtswissenschaften

Aspekte der Männerforschung

Ausblick

Bibliographie

Rassismus (Claudia Bruns)

Begriff und Geschichte des Rassismus

Interrelationen zwischen race und gender

Bibliographie

Globalisierung (Heike Jensen)

Begriffsbestimmung und Abgrenzungen

Globalisierung als Gegenstand der Geschlechterforschung

Die Ideologie der Globalisierung und das „glokale“ Denken

Ökonomische Globalisierung im Blick der Geschlechterforschung

Globalisierung und progressive Geschlechterpolitik

Bibliographie

Performanz / Repräsentation (Dagmar von Hoff)

Entwicklungsgeschichte der Begriffe

Einordnung in die Wissenschaftsgeschichte und Anbindung an allgemeine und wissenschaftliche Debatten in den Gender Studies>

Querverbindungen zu künstlerischen Produktionen und ihre Analyse

Querverbindungen zu anderen theoretischen Feldern

Bibliographie

Lebenswissenschaften (Kerstin Palm)

Was sind Lebenswissenschaften?

Geschichte der Lebenswissenschaften

Genderforschung zu einzelnen Bereichen der Lebenswissenschaften

Schluss

Bibliographie

Natur / Kultur (Astrid Deuber-Mankowsky)

Man kommt nicht als Frau zur Welt

Die Benennung der Natur

Die Sexualisierung der Natur

Kultur und Mutter Natur

Differenz und / oder Egalität

Das niemals verschwindende Verlangen nach Artikulation

Bibliographie

Sprache / Semiotik (Lann Hornscheidt)

„Das habe ich doch nur so gesagt …“ oder alles nur Worte?

Sprache als Abbild und als Herstellung von Wirklichkeit

Die strukturalistische Sprachsicht

Konkretisierungen des Zusammenhangs von Sprache und Gender vor dem Hintergrund einer strukturalistischen Sprachsicht

Eine konstruktivistische Sprachsicht

Konkretisierungen des Zusammenhangs von Sprache und Gender auf dem Hintergrund eines konstruktivistischen Sprachverständnisses

Ausblick: Die Begrenzungen einer Fokussierung auf Sprache

Bibliographie

Gedächtnis (Claudia Öhlschläger)

Begriffsgeschichte und Tendenzen der Gedächtnisforschung

Topographie (Raum) und Bild

Gedächtnis und Geschlecht. Körpergedächtnis

Erinnerungsspuren: Freud – Benjamin – Warburg

Geschlecht und Geschichte: Erinnerung und Repräsentation – Geschlechtermythen und Geschichtsschreibung

Bibliographie

Mythos / Mythen (Inge Stephan)

Einleitung

Schlüsselmythen

Ausgewählte mythische Figuren

Ausblick

Bibliographie

3 Abgrenzungen / Überschneidungen

Postmoderne (Dorothea Dornhof)

Postmoderne im Zeichen globaler Differenz

Repräsentationskritik – Interventionen in die symbolische Ordnung der Geschlechter

Differenz – Machtkritik – virtuelle Räume

Bibliographie

Queer Studies (Sabine Hark)

Einleitung

Queer – Das politische Projekt

Queer – Das akademische Projekt

Queer und Feminismus: Die Frage der Sexualität

Butler und die Folgen: Deutschsprachige Queer Studies

Queer time: Der Moment der Artikulation von queer

Heteronormativitä

Normalisierungskritik

Zur Genealogie von queer

Herausforderungen: Queer Studies und die Frauen- und Geschlechterforschung

Bibliographie

Postcolonial Theory (Gabriele Dietze)

Postkolonialität – Terminus und Gegenstandsbereich

Politische Genealogien von Postkolonialität und Gender

Theorien von Postkolonialität

Postkoloniale Theorie und Feminismus

Interventionen I – Third-World- und Transnationaler Feminismus

Interventionen II – Queer of Diaspora Critique

Interventionen III – Dekolonialer Feminismus

Schlussbemerkung

Bibliographie

Media Studies (Kathrin Peters)

Begriffsbestimmunge

Unbestimmbarkeit von Medien

Gender und Medien

Bild – Apparat – Geschlecht

Wissen – Körper – Technologie

Bibliographie

Cultural Studies (Claudia Benthien und Hans Rudolf Velten)

Cultural Studies und Kulturwissenschaft(en)

Geschichte, Gegenstände und Konzepte der Cultural Studies

 

Schnittstellen von Gender Studies und Cultural Studies

Bibliographie

Zu den AutorInnen

Claudia Benthien

Bettina Bock von Wülfingen

Christina von Braun

Claudia Breger

Claudia Bruns

Astrid Deuber-Mankowsky

Gabriele Dietze

Dorothea Dornhof

Sabine Hark

Dagmar von Hoff

Lann Hornscheidt

Heike Jensen

Irmela Marei Krüger-Fürhoff

Christine Künzel

Bettina Mathes

Claudia Öhlschläger

Kerstin Palm

Kathrin Peters

Inge Stephan

Hans Rudolf Velten

Rückumschlag

Vorwort zur 3. Auflage
Gender@Wissen

Wir freuen uns, dass Gender@Wissen in Forschung und Lehre weiterhin auf große Zustimmung stößt und der Verlag mit der Bitte an uns herantrat, eine dritte Auflage vorzubereiten. Für diese neue Auflage sind die meisten Beiträge – wie bereits im Falle der zweiten Auflage – kritisch durchgesehen und z. T. ergänzt worden. Darüber hinaus haben wir uns entschlossen – zusätzlich zu der umfangreichen gemeinsamen Einleitung – zwei eigene Beiträge zu den Themen „Geld“ und „Mythos“ aufzunehmen, die das Profil des Bandes erweitern sollen. Auch der neu eingeworbene Beitrag zum Thema „Rassismus“ von Claudia Bruns stellt eine wichtige Vertiefung des bisherigen Themenspektrums dar. Die nunmehr fünfzehn Themenfelder geben zusammen mit der Einführung und den fünf übergreifenden Interdependenz-Kapiteln einen kompakten Überblick über die gegenwärtigen Genderdebatten, von dem wir uns auch für die Zukunft Impulse für Forschung und Lehre erhoffen.

Die organisatorische und technische Betreuung der dritten Auflage hat auch diesmal Julia Eckhoff übernommen, der wir an dieser Stelle ebenso herzlich danken möchten wie unseren BeiträgerInnen für ihr Engagement in allen bisherigen Auflagen.

Christina von Braun, Inge Stephan

Berlin im April 2013 [<< 7] Seitenzahl der gedruckten Ausgabe

Vorwort zur 2. Auflage
Gender@Wissen

Seit seinem ersten Erscheinen im Jahre 2005 hat sich Gender@Wissen zu einem Standardwerk entwickelt, das Studierenden einen Überblick über zentrale Themenfelder der Gender-Theorien vermittelt. Zusammen mit der umfangreichen Einführung in das Verhältnis von Wissensordnungen und symbolischer Ordnung und der Bedeutung von Geschlecht als Wissenskategorie sowie fünf Übersichtsbeiträgen, in denen die Interdependenzen der Gender-Studien mit anderen Disziplinen aufgezeigt werden, bietet der Band mit seinen ursprünglich elf Themenfeldern, die von „Identität“ bis zu „Gedächtnis“ reichen, eine kompakte Einführung in einen Wissenschaftsdiskurs, der sich in Forschung und Lehre inzwischen etabliert hat.

Für die zweite Auflage konnten wir eine weitere Beiträgerin gewinnen, die den Bereich „Zeugung“, der in den letzten Jahren in unterschiedlichen Disziplinen in neuer Weise prominent geworden ist, unter wissenschaftsgeschichtlichen und gendertheore­tischen Fragestellungen präsentiert und damit das Themenfeld „Reproduktion“ aus der ersten Auflage in spannender Weise aufnimmt und auf neue naturwissenschaftliche Verfahren und Debatten hin öffnet.

Alle Beiträge sind für die zweite Auflage gründlich überarbeitet bzw. kritisch durchgesehen worden. Für die Endkorrektur danken wir sehr herzlich Julia Eckhoff, die mit großer Akribie für die notwendigen Vereinheitlichungen gesorgt hat. Wie für die erste Auflage hat uns Ricarda Roggan auch für die zweite Auflage großzügigerweise ein Foto aus ihrem Zyklus „Zwei Stühle und ein Tisch, Stuhl, Tisch und Kasten, Stuhl, Tisch und Stellwand“ (2001) für das Titelblatt zur Verfügung gestellt. Wir haben Ricarda Roggan im Künstlerhaus Wiepersdorf kennen gelernt, wo wir die erste Auflage von Gender@Wissen vorbereitet und die damalige Einführung für den Band geschrieben haben.

Christina von Braun, Inge Stephan

Berlin im Juni 2009 [<< 9] Seitenzahl der gedruckten Ausgabe

1 Einführung

Gender@Wissen
Christina von Braun und Inge Stephan
Wissensordnung und symbolische Geschlechterordnung

Ausgangspunkt des Buches ist die Frage nach dem Verhältnis von Wissen / Wissenschaft und Geschlecht. Die Aufsätze geben, in unterschiedlichen Varianten und bezogen auf ihre jeweiligen Themenfelder, Auskunft darüber, dass die Beziehung zwischen der Wissens- und der Geschlechterordnung unter dem Zeichen der Dichotomie Natur / Kultur oder Geist / Körper stand und steht – einer Dichotomie, die ihrerseits ein hierarchisches Verhältnis zwischen der gestaltenden Kultur und der zu domestizierenden oder gestalteten Natur implizierte. Diese Zweiteilung wurde wiederum ‚naturalisiert‘, indem in der symbolischen Geschlechterordnung den beiden Polen je ein Geschlecht zugewiesen wurde: Männlichkeit repräsentiert Geistigkeit und Kultur, während die Natur und der Körper als ‚weiblich‘ codiert wurden – eine Zuordnung, die sich bis weit in die Moderne hinein fortgesetzt hat und noch heute prägend bleibt für die Art, wie über ‚weibliche Irrationalität‘, Unberechenbarkeit und davon abgeleitet ‚Unwissenschaftlichkeit‘ gesprochen wird. Aber diese Dichotomie bildet nur den Ausgangspunkt unserer Überlegungen und der historischen Beziehung zwischen Wissens- und Geschlechterordnung. Auf diese erste ‚Setzung‘ folgte eine Entwicklung, die in den letzten zweihundert Jahren besonders deutlich zutage tritt und zu radikalen Umwälzungen auf beiden Gebieten führte. Eine der Grundannahmen unseres Buches ist die These, dass sich diese Gleichzeitigkeit der Veränderung nicht dem Zufall verdankt, sondern dass vielmehr eine enge historische und inhaltliche Verbindung zwischen dem Wandel der Wissensordnung und dem Wandel der symbolischen Geschlechterordnung besteht.

Die ‚traditionelle‘ Dichotomie Kultur versus Natur wurde in der Wissenschaft der Moderne zunehmend durch eine Spaltung in Natur- und Geisteswissenschaft überlagert – eine Spaltung, die ihrerseits auch in der symbolischen Geschlechterordnung ihren Ausdruck fand, gelten doch die Naturwissenschaften einerseits als hard sciences, andererseits aber auch als vornehmlich ‚männliche Fächer‘, während die Geisteswissenschaften gerne als ‚weiblich‘ gehandelt werden und in ihnen die Frauen sowohl unter den Lehrenden als auch unter den Studierenden tatsächlich stärker vertreten [<< 11] Seitenzahl der gedruckten Ausgabe sind als in den Naturwissenschaften. Dass es sich bei dieser ‚geschlechtlichen‘ Aufteilung der Fächer nicht etwa um geschlechterspezifische Begabungen oder Interessen handelt, sondern um eine symbolische Zuordnung, geht freilich aus der Tatsache hervor, dass sich Frauen, als ihnen Anfang des 20. Jahrhunderts endlich der Zugang zu akademischer Bildung gewährt wurde, mehrheitlich für Medizin oder ein naturwissenschaftliches Fach entschieden, während die Geisteswissenschaften – etwa vertreten durch die Philosophie oder die Geschichte – am längsten zögerten, Frauen Zugang zu ihrem Wissen zu gewähren. Schon wenige Jahrzehnte später ist es genau umgekehrt. In den Naturwissenschaften stellen Akademikerinnen heute eher die Ausnahme dar, aber sie sind gut vertreten in den Geisteswissenschaften. Mit Begabungen lässt sich eine solche Entwicklung nicht erklären, eher mit geschlechtsspezifischen Codierungen der Wissensordnung. Ein ähnlicher Wandel vollzog sich später noch einmal mit der Informatik. Als das Fach in den 1960er-Jahren an einigen Universitäten eingerichtet wurde, gab es zunächst wenige Frauen. Ab Anfang der 1980er-Jahre begann der Anteil rasch zu wachsen, um den für ein Ingenieurstudium ungewöhnlich hohen Frauenanteil von über 20 Prozent zu erreichen, bevor er gegen Ende der 1980er-Jahre wieder sank. Empirische Untersuchungen zu diesem Phänomen haben gezeigt, dass sich solche Schwankungen weder mit einer erworbenen oder angeborenen technizistischen Defizienz von Frauen erklären lassen noch mit unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen der Geschlechter.1 Vielmehr, so scheint es, haben sie mit der Wissensordnung selbst zu tun – und deren wechselhaften geschlechtlichen Codierungen.

Betrachtet aus dem Winkel der ‚ursprünglichen‘ Dichotomie der Wissensordnung impliziert die ‚Vermännlichung‘ der Naturwissenschaften und die ‚Verweiblichung‘ der Geisteswissenschaften, dass sich eine komplette Umkehrung der alten Ordnung, die Männlichkeit mit ‚Geistigkeit‘ und Weiblichkeit mit ‚Naturhaftigkeit‘ gleichsetzt, vollzogen hat, erscheint doch Männlichkeit nun in Zusammenhang mit Natur, während die ‚Kultur‘ als ‚weiblich‘ daherkommt. Man könnte diesen Wandel mit einer generellen Aufhebung symbolischer Zuordnungen von Wissensgebieten an die beiden Geschlechter erklären. Aber dagegen spricht die Tatsache, dass symbolische Zuordnungen weiterhin stattfinden – nur eben unter umgekehrten Vorzeichen. So besteht die Erklärung für den Wandel vielleicht eher darin, dass den Begriffen ‚Natur‘ und ‚Kultur‘ (oder Körper und Geist) eine neue Stellung in der Wissensordnung eingeräumt wurde. Dass sich ein solcher Wandel auch tatsächlich vollzogen hat, ist unübersehbar. Noch [<< 12] bis ins 17. und 18. Jahrhundert galt an den europäischen Universitäten die theologische Fakultät als die wichtigste, wenn nicht gar die ganze Universität aus der Theologie bestand. Von der Theologie gingen die Grundsätze aus, nach denen die Wissenschaft zu funktionieren und ihre Erkenntnisfortschritte zu erzielen hatte. Nach dem Beginn der Neuzeit und vor allem mit der Aufklärung ging diese Aufgabe zunächst auf die Philosophie und die Geschichtswissenschaft über – diese beiden großen Fächer, in denen über den ‚Sinn‘ und die Sinngebung der nationalen Gemeinschaften reflektiert wurde. Fragt man heute, welche Fakultäten und Fächer der Universität als ‚Leitwissenschaften‘ zu betrachten sind, so wird ein naturwissenschaftliches Fach wie die Biologie oder die Medizin genannt. Der Grund dafür ist paradox: Einerseits sind diese Fächer zu Leitwissenschaften geworden, weil es sich um hard science handelt, das heißt, um Disziplinen, die mit quantifizierbaren und (jedenfalls meistens) verifizierbaren bzw. falsifizierbaren Methoden arbeiten. Andererseits sind sie aber auch deshalb zu Leitwissenschaften geworden, weil das alte Projekt der Unsterblichkeit – das einst der Theologie vorbehalten blieb, dann als Phantasie vom ‚Weltgeist‘ auf die Philosophie oder als Topos der ‚unsterblichen Nation‘ auf die Geschichte übergegangen war –, weil also das Projekt der Unsterblichkeit heute mit Vorliebe auf die natur- und medizinwissenschaftlichen Erkenntnisse setzt. Am deutlichsten lässt sich das erkennen an den Genwissenschaften, bei denen nicht nur die Metaphorik, sondern auch die der Wissenschaft selbst zugrunde liegenden Paradigmen eine bemerkenswerte Analogie zu christlichen Denktraditionen aufweisen.

Die ‚Verweiblichung‘ der Geisteswissenschaften ließe sich auch mit der Verdrängung dieser Fächer ins Abseits erklären – und diese Erklärung ist auch immer wieder zu hören. In der Tat ist zu beobachten, dass Frauen zunehmend Aufnahme in den Gebieten finden, die ihre ‚Macht‘ über den öffentlichen Diskurs verloren haben; wie umgekehrt auch aus Gebieten, die von Frauen ‚besetzt‘ werden – etwa die Pädagogik und das Lehramt – ein Exodus von Männlichkeit stattfindet. Befriedigend ist diese Deutung allerdings nicht, liefert sie doch keine Erklärung dafür, warum zeitgleich ein Wandel der ‚Wissenshierarchie‘ überhaupt stattgefunden hat, der von der Theologie über die Geschichte / Philosophie bis zu den Naturwissenschaften führte. Geht man zudem davon aus, dass jede geschlechtliche Zuordnung nicht nur die Folge neuer wissenschaftlicher oder medialer Paradigmen ist (die Medien sind deshalb so wichtig, weil sie über die Speichersysteme und damit auch über die Trennung zwischen Wissen und Nicht-Wissen bestimmen), sondern auch der Naturalisierung der Wissensordnung zu dienen hat, so stellt sich die Frage nach der geschlechtlichen Zuordnung der Wissensfelder auf ganz andere Weise. Denn dann ist danach zu fragen, welcher Art die ‚Ordnung‘ ist, die hier naturalisiert werden soll, und in welcher Weise dies geschieht. [<< 13]