Buch lesen: «Economists4Future»

Schriftart:

LARS HOCHMANN (HG.)

VERANTWORTUNG
ÜBERNEHMEN
FÜR EINE
BESSERE WELT


Lars Hochmann

Wie wir wirtschaften, so leben wir auch

Über die Notwendigkeit von economists4future

#reflexivität

Silja Graupe

Biodiversität des Erkennens

Visionäre Zukunftsgestaltung braucht reflexive Freiheit

Katrin Hirte

Das doppelte Reflexionsproblem

Wie die Ökonomik ihren Gegenstand verfehlt und sich ihrer Wirkung auf ihn entzieht

Reinhard Loske

Hochschulen und die »Third Mission«

Reflexivität als Schlüssel zur sozialökologischen Transformation der Wirtschaft

#transparenz

Johanna Hopp, Stephan Panther, Theresa Steffestun

Weitblick braucht Durchblick

Über die Notwendigkeit von Transparenz in der ökonomischen Bildung

Ronald Hartz

Mehr Transparenz?!

Über die Herausforderungen einer einfachen Forderung

Jörg Müller-Lietzkow

Open oder not Open?

Am Scheideweg des Hochschul-Gründungsmanagements

#diversität

Laura Porak

Miteinander und voneinander lernen

Vielfalt in der ökonomischen Lehre

Helge Peukert

Plurale Ökonomik im Zeitalter der Ökokalypse

Die Ökonomenzunft auf dem Weg zur Großen Transformation

Stephanie Birkner, Bernd Siebenhüner

Kommunikative Substanz und substanzielle Kommunikation

Wirtschaftswissenschaften als Teil der Scientists for Future

#partizipation

Lutz Becker, Gunnar Sohn

Zukünften zugewandt lernen

Weltverbesserung wird Partizipation gewesen sein. Ein Dialog

Daniela Gottschlich

Das Wissen der Vielen

Partizipation in der Forschung

Steffen Lange, Matthias Schmelzer, Helen Sharp

Raus aus dem Elfenbeinturm!

Mit der »Third Mission« zur Wachstumsunabhängigkeit

#befähigung

Sebastian Thieme

Eine bessere Gesellschaft ausrechnen?

Zum Umgang mit Werten in der Ökonomik

Reinhard Pfriem, Lars Hochmann

Der Sinn von Wissenschaft ist Befähigung

Wie Forscher*innen die eigene Forschung verantworten

Marlen Arnold, Katja Beyer

Fortschritt als Kreislauf

Wie nachhaltigkeitsorientierte Wirtschaftswissenschaften die »Third Mission« neu aufstellen

Maja Göpel, Lars Hochmann, Uwe Schneidewind

Ausblick: Wirtschaft neu denken

Über die Verantwortung von economists4future

LITERATUR


»In demokratischen Gesellschaften hat Wissenschaft nicht die Aufgabe vorzuschreiben, in welcher Welt wir zukünftig auf welche Weise zu leben haben.

Wissenschaft kann aber Möglichkeiten aufzeigen, begründen und rechtfertigen. Und sie kann die Bedingungen benennen und verbessern helfen, unter denen diese möglichen anderen Zukünfte zu verwirklichen sind.«

Lars Hochmann
WIE WIR WIRTSCHAFTEN, SO LEBEN WIR AUCH
Über die Notwendigkeit von economists4future

Wir leben in unruhigen Zeiten, am Horizont kündigen sich Umbrüche an. Der hartnäckige Widerspruch Hunderttausender junger Menschen hat ein historisches Fenster aufgestoßen. Weltweit werden Klimaproteste, -streiks und -demonstrationen organisiert, die mehrere Millionen Menschen mobilisieren. Beharrlich fordern sie zu tiefgreifenden Veränderungen in der lokalen wie globalen Klimapolitik auf. Hier steht etwas auf dem Spiel – das scheint einer steigenden Zahl von Menschen zu dämmern. Diese Rückeroberung des politischen Raums »from below« belebt nicht nur unsere Demokratien. Der damit verbundene Aufruf – »unite behind the science«, wie Greta Thunberg es formuliert – macht diese Zeit auch bedeutsam für viele Wissenschaften, die sich mit zukunftsfähigem Leben und Zusammenleben auf diesem Planeten befassen. Im Frühjahr 2019 haben innerhalb weniger Wochen allein im deutschsprachigen Raum über 26 000 Wissenschaftler*innen verschiedener Fächer diesen klimapolitischen Willen öffentlich als Scientists for Future gerechtfertigt. Und sie haben ihn mit Bergen von Forschungsergebnissen begründet. Wissenschaft, so scheint es, hat – allen postfaktischen Unkenrufen zum Trotz – wieder eine gesellschaftlich relevante Stimme.

Das gilt nicht nur für die klimatologisch orientierten Natur- und Ingenieurswissenschaften. Auch die Wirtschaftswissenschaften, die Gesellschaftswissenschaften allgemein, sind ermuntert, sich den offenkundigen und immer drängenderen Fragen unserer Zeit zu stellen. Zeitgleich zum Entstehen dieser Zeilen mischt sich der ungeladene Gast namens »Corona« ein und fügt diesem Buch eine weitere Relevanzdimension hinzu. Die Corona-Pandemie demonstriert, wie fragil unser gesellschaftliches Zusammenleben organisiert ist und macht uns bewusst, dass dieses System verschiedentlicher Justierungen bedarf. Wir alle gemeinsam sind Zeitzeug*innen tiefgreifender Veränderungen, die viele verstummen lassen, manche gar sprachlos machen. Alte Lösungsmuster versagen, sicher Geglaubtes wird strittig, Normalität und Chaos verschmelzen, Aussagen werden zu Fragen. Was passiert? Und wie weiter? Mehr denn je brauchen wir in diesen unsicheren Zeiten Orientierung, um andere und uns selbst als Akteur*innen statt Reakteur*innen zurück ins Spiel zu bringen. Es geht um eine Aufklärung, die nicht Aufklärung bleibt, sondern in tatsächliches Tun eingelassene Hoffnung ist und die zu realen Veränderungen drängt.

Politische Forderungen, wie etwa das 1,5-Grad-Celsius-Ziel oder ein CO2-Deckel, geben in diesem Zusammenhang Halt. Sie sagen jedoch wenig über die Gesellschaften selbst und ihre Wirtschaftsformen aus, die mit solchen Zielen vereinbar sind. Wie wollen und können wir uns unter solchen Bedingungen in Zukunft mit welcher Nahrung, Energie oder Kleidung versorgen? Wie mobil sein? Wie wohnen? Es steht wohl außer Frage, dass eine »Netto-Null-Wirtschaft« – die also nur diejenige Menge an Treibhausgasen ausstößt, die sie auch wieder binden kann – nicht einfach der Status quo, nur mit weniger CO2-Äquivalenten, ist. Zukunftsbilder beinhalten neben der Kultivierung neuer Vorstellungen immer auch das Weglassen und Überwinden althergebrachter Gewohnheiten. An dieser Stelle und gerade in unsicheren Zeiten sind die Wirtschaftswissenschaftler*innen aufgefordert, ihre Expertise über die reale Vielfalt möglicher Alternativen öffentlich einzubringen.

DIE KLIMAKRISE IST EINE GESELLSCHAFTSKRISE

Es ist ein beträchtliches Verdienst insbesondere der Naturwissenschaften, auf die Unverfügbarkeit, die Begrenztheit und auch die in Teilen unwiderrufliche Zerstörung von dem hingewiesen zu haben, was wir – allen Steuerungsfantasien zum Trotz – heute noch »Natur» nennen können und wollen. Doch all ihre Befunde sind bloß Indikatoren, stehen also nicht für sich selbst, sondern deuten auf etwas hin. Und das, was sie anzeigen, ist bei genauerer Betrachtung keine Krise des Klimas. In einer Krise befinden sich nämlich nicht die klimatischen Begebenheiten, sondern die zu kalter Technik erstarrten Naturverhältnisse von immer mehr Menschen: Vermüllung und Übernutzung im einen, Überformung und Beherrschung im anderen Moment – und mittendrin die Zurichtung jener Natur, die wir Menschen selbst sind. Nein, es handelt sich nicht um eine Klima-, sondern um eine Gesellschaftskrise. Und die hat verheerende Folgen für das Klima und die Natur – für die gesamte Welt, wie wir sie heute kennen. Das Aussterben und Abtöten von Tierarten sowie Pflanzensorten, der Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur sowie all die Neben- und Folgesfolgen, die damit einhergehen, sind nicht einfach auf einen schicksalhaften Lauf der Dinge zurückzuführen. Sie haben Ursachen, bisweilen Gründe, selten Rechtfertigungen. Und die offenbaren sich darin, wie die Gesellschaften des globalen Nordens wirtschaften.

Es liegt demzufolge nahe, die Wirtschaftswissenschaften um eine kompetente Einschätzung der Sachlage sowie mögliche Auswege zu bitten. Doch fallen die anerkannten Wissenschaften des Wirtschaftens derzeit eher durch Schweigen oder Ratlosigkeit auf. Das ist kein Zufall, eben weil die klimatologischen Befunde jene Wirtschaftsformen für gescheitert erklären, die auf Naturbeherrschung angewiesen sind, die Wirtschaftswissenschaften aber auf breiter Front für sie Partei ergreifen. Doch die Klimakrise, die eine Gesellschaftskrise ist, führt glasklar vor Augen: Es irrt, wer glaubt, die beste aller Welten käme »naturwüchsig« zustande durch Gewinnstreben, unablässige Privatisierung und das lehrbuchhafte Schaffen von Märkten, durch Effizienz, Wachstum und neue (smarte, grüne etc.) Technologien der Naturbeherrschung.

Es ist historisch ausführlich belegt, dass die Wirtschaftswissenschaften an der hier verhandelten Krise bis in die Gegenwart hinein, absichtsvoll oder aus Gedankenlosigkeit, tatkräftig beteiligt waren, nachzulesen etwa bei Ivan Boldyrev und Ekaterina Svetlova. Allerdings und unbezweifelbar hat ihre auf Effizienz, Opportunismus und Nutzenkalkülen beruhende Vernunft in den vergangenen fast 300 Jahren auch materiellen Wohlstand und Wohlbefinden für zumindest einen Teil der Menschen hervorgebracht. Wir leben in Zeiten, die an Gütern und Dienstleistungen voller kaum sein könnten. Dieser Denkstil jedoch, der die Welt zum »business case« erklärt, hat en passant viel Tatendrang und Ideenreichtum in Bezug auf andere Zukünfte trockengelegt, die ein gelingendes, ein besseres Leben ermöglichen könnten. Und er kapert und durchsetzt beständig neue Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens: Wenn Bildung, Gesundheit oder Mietraum zum »Risikokapital« werden, Kunst als Ware einen Zweck bekommt, der auf dem »Kunstmarkt« gehandelt wird, wenn Professuren für »Feministische Theorie« als »Diversitymanagement« nachbesetzt werden oder ehemals »Politische Ökologie« nun als »Nachhaltigkeitsmanagement« verhandelt wird, dann ist das weder eine Spezialisierung »auf Höhe der Zeit« noch eine rein sprachliche Profilbildung, die wir feiern sollten. Es ist ein Denkmuster, das sich nur noch im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsverhältnissen bewegt, die selbst nicht als strittig betrachtet werden (können). In der praktischen Folge wird mitunter ein CO2-Preis festgesetzt und nur noch über die Höhe dieses Preises gestritten, nicht aber über das Mittel der Bepreisung, das als alleinseligmachend immer schon vorausgesetzt wird. Wir müssen diesen Denkstil vermutlich nicht verteufeln oder fallenlassen, wohl aber lernen, ihn in die Schranken zu weisen, wie ich schon in Vom Nutzen und Nachteil der Ökonomik für das Leben deutlich ausgeführt habe. Economists4future reflektieren daher ihre praktische Wirkungsmacht: #reflexivität. Sie binden diese zurück und ziehen theoretische Konsequenzen aus ihr. Ihr Denken wirkt weder manipulativ noch gleichgültig oder übergriffig, sondern bricht sich Bahn als Demut, die mit Hoffnung, Verantwortung und Trotz in eins fällt.

WIRTSCHAFT IST KEINE TATSACHE

Im alltäglichen wie im akademischen Wortgebrauch ist es normal geworden, von »Wirtschaft« zu reden, als gäbe es nur eine vernünftige – und daneben zahllose unvernünftige Varianten. Diese Setzung erklärt sich über die Annahme, dass einzelwirtschaftliche Optimierung als Gewinnstreben auch gesellschaftlich das größte Glück bringt. Dieser Glaube, dass Eigennutz zum Gemeinnutz würde, ist längst als Irrtum aufgeklärt. Sein praktisches Scheitern zeigt sich nicht zuletzt an der Klimakrise, die, wie gesagt, eine Gesellschaftskrise ist, und an all den anderen Verfehlungen, Verwerfungen sowie Zerstörungen, die unsere Zeit prägen und die zunehmend unsere demokratischen Institutionen zu unterwandern drohen. Auch gesellschafts- und demokratietheoretisch schlittert diese Annahme auf glattem Eis. Denn plurale, offene und freiheitliche Gesellschaften können nicht »richtig« in einem zeitlosen, eindeutigen Sinne sein. Es gibt keine »allgemein optimale« Ernährung, Mobilität, Kommunikation und so weiter. Im Gegenteil: Das Leben selbst ist ein ausgiebiger Akt der Verschwendung. Weil kulturelle Gepflogenheiten sich nicht rational auflösen lassen, muss jeder Versuch, welcher Zukunft mathematisch aus der Vergangenheit modellieren will, früher oder später übergriffig, am Ende gewaltvoll und gar totalitär werden. Diese Gewalt richtet sich gegen die Welt, und alles in ihr. Mit den Worten Michael Hampes:

»Ein Naturalismus, der die Suche nach dem guten Leben aufgibt, weil er die vermeintlich abtrennbaren normativen Untersuchungen fallengelassen hat, der das Leben nur noch erklären und technisch beherrschen will, statt über es zu debattieren, muss deshalb, kurz gesagt, zur Gewalt tendieren.«

Economists4future können also nicht einfach in gewohnter Manier statistische Trends aus der Vergangenheit auf die Zukunft anwenden, sondern müssen sich selbst aktiver als bislang inmitten gesellschaftlicher Debatten als Zukunftskünstler*innen begreifen. Sie forschen und lehren nicht nur quasiaußerirdisch über gesellschaftliche Produktionsverhältnisse, sondern sind Teil davon, befinden sich inmitten der Verhältnisse. Economists4future beziehen daher Betroffene ein: #partizipation. Sie integrieren und verständigen unterschiedliche praktische Parteilichkeiten und ermöglichen auf diesem Wege eine reflektierte, selbstbestimmte Praxis. Statt etwa die industrielle Fremdversorgung mit monokulturellem Ackerbau aus Effizienz- und Intensitätsgründen als unumgänglich zu betrachten und die daraus abgeleitete Ernährungskultur den Menschen regelrecht überzustülpen, wäre es demokratischer und freiheitlicher, eine Analyse der praktischen Vielfalt ernährungskultureller Orientierungen vorzunehmen und ausgehend davon nach Möglichkeiten der ernährungswirtschaftlichen Versorgung zu fragen.

In diesem Sinne kommen economists4future zwangsläufig zu unterschiedlichen Ergebnissen, denn »Zukunft« ist keine feststehende, sondern eine prinzipiell offene Angelegenheit. Nur weil sich nicht eindeutig und abschließend bestimmen lässt, wie Gesellschaften sich »richtig« mit Gütern und Dienstleistungen versorgen, bedeutet das jedoch nicht, dass Wissenschaft zum belanglosen Meinungsaustausch verkommt. Weder das Artensterben noch das Vorkommen anders wirtschaftender Initiativen – beispielsweise im Feld der Solidarischen Landwirtschaft oder des stiftungsbasierten Kreditwesens – sind Meinungsfragen. Diese Offenheit ist keine Beliebigkeit, sondern zeugt von belastbaren, begründeten und gerechtfertigten Entwicklungsmöglichkeiten. Economists4future legen daher ihre Annahmen offen: #transparenz. Sie sind bestrebt, nachvollziehbar zu machen, warum sie zu welchem Schluss gekommen sind und wie. Dabei hilft es nicht, einen Kampf der Großbegriffe zu inszenieren, der in der Regel nur dazu führt, dass sich überhaupt nichts ändert: »Kapitalismus versus Sozialismus« oder »Marktwirtschaft versus Planwirtschaft« – Schwarz-Weiß-Malerei dieser Art lähmt das Denken. Statt entlang der (historischen) Tatsachen zu argumentieren und in der Sache zu streiten, führt sie dazu, dass wolkige Chiffren im luftleeren Raum gegeneinander ausgespielt werden. Das mag als Spektakel taugen, aber nicht als Vehikel zu realer Veränderung.

Wo immer Möglichkeiten vernichtet oder verstellt sind, weil ein Sachzwang oder ein Großbegriff konstruiert und in den Vordergrund geschoben wird – in wessen Namen auch immer! –, vertrocknen Demokratien. Denn demokratische Gesellschaften blühen nur durch eine Vielzahl an Möglichkeiten und durch das Ringen, der Debatten darum. Economists4future verständigen daher unterschiedliche Perspektiven: #diversität. Sie verständigen verschiedene Zugänge, Ansätze und Gegenstände, um ein möglichst nuanciertes Spektrum an Möglichkeiten aufzutun, weil sie wissen, dass alles Denken an Standpunkte gebunden ist, von denen aus gedacht wird. Aus der theoretischen wie praktischen Sackgasse der Sachzwänge heraus führen die Fragen nach dem »Wofür?« und dem »Worauf hin?«, kurz: die Frage nach dem Sinn. Denn wer von »Nutzen« spricht, darf über den Nutzen des Nutzens nicht schweigen. Andernfalls, darauf hat Hannah Arendt wiederholt hingewiesen, entsteht Sinnlosigkeit. Die Rhetorik von ökonomischen Gesetzen und Sachzwängen ist daher der Steigbügelhalter jener Entsinnlichung, die Wirtschaft wie Wirtschaftswissenschaften heute fest im Griff hält.

Doch Wirtschaft ist kein abgetrenntes Reich der Soziophysik, in dem nur zählt, was zählbar ist, und das isoliert vom restlichen gesellschaftlichen Zusammenleben stattfindet. Wirtschaft ist, wie Reinhard Pfriem ausführt, immer schon ein Zusammenspiel kultureller Praktiken gewesen, das sich prinzipiell nicht vom Zähneputzen, Lesen oder Pizzabacken unterscheidet. Wirtschaft ist zugleich Produkt wie Produktion von Gesellschaft und kein Ding-an-sich, das immer schon so (und nicht anders) da war und immer so (und nicht anders) da sein wird. Wer über eine gewisse Kulturtechnik als »Wirtschaft« spricht, sagt nichts über das tiefere Wesen dieser Praktik aus, sondern nur darüber, so Cornelius Castoriadis, wie sie gegenwärtig gesellschaftlich reflektiert und behandelt wird. Es handelt sich um eine Frage der gesellschaftlichen Selbstthematisierung. Mit anderen Worten: Es gibt zahllose weitere Kulturtechniken der Produktion, Herstellung, Versorgung oder Beratung, die nur gegenwärtig nicht als das in den Blick geraten, was wir Wirtschaft nennen, es aber zukünftig vielleicht könnten oder sollten, etwa solidarisches Wirtschaften oder Gemeinsinnorientierung. Die Frage, welche Wirtschaftsformen sich inwiefern und wo durchsetzen, ist offen. Die Antwort hängt davon ab, welche gesellschaftlichen Kräfte sich verbünden, um einen gemeinsamen Entwurf einer anderen Wirtschaft auf den Weg zu bringen.

Die theoretische wie praktische Herausforderung für das 21. Jahrhundert liegt darin, zu einer Vorstellung von Wirtschaft zu gelangen, die sich nicht länger in der unbestimmten Produktion von Gütern und Dienstleistungen erschöpft, die im Zweifel dem alten nur neuen Schrott hinzufügt. Stattdessen geht es darum, individuelle wie kollektive Verwirklichungschancen und Möglichkeiten einer besseren Gesellschaft zu schaffen. Es geht um die Öffnung statt Schließung von Räumen für Entfaltung, Leben und Lebendiges. In demokratischen Gesellschaften ist solche Wirtschaft – und auch das Denken über sie – in sich plural verfasst und beginnt mit der Einsicht, dass die Natur nicht nur ein zweckmäßiges Dasein für die Menschen fristet, sondern auch für sich selbst existiert.

EINE ANDERE GESELLSCHAFT IST MÖGLICH

Es ist also kein Zufall, dass die etablierten Wirtschaftswissenschaften in Bezug auf die Forderungen von Fridays for Future schweigen oder gar mit Spott reagieren. Doch das muss nicht so bleiben. Denn das Gegenteil trifft zu: Mehr denn je sind nun die Wirtschaftswissenschaften aufgefordert, sich selbst neu zu erfinden. Weil sie es sind, die die Vorstellungskraft befeuern können, welche anderen Zukünfte gesellschaftlicher (Re-) Produktion unter welchen Bedingungen möglich sind. Das Augenmerkt bleibt auf der »Suche«: Zukunft bleibt stets »im Kommen« und »4future« zu sein sagt noch nicht aus, um welche konkrete Zukunft es sich für wen handelt. Fragen von Zukunftsgestaltung münden – bei aller Eindeutigkeit, in der naturwissenschaftliche Feststellungen medial vorgetragen werden – eben nicht in Tatsachen. Befunde wie das Artensterben sind reale Bedingungen, die es anzuerkennen gilt. Aber von dort aus kann es so oder anders weitergehen. Denn infrage steht nicht allein eine sichere Versorgung mit Mobilität, Nahrung, Wohnraum, Energie und so weiter. Es geht jeweils auch um einen souveränen Umgang damit. Sicherheit und Souveränität als Zusammenspiel zeigen an, dass nicht allein das Überleben, sondern mit ihm auch das bessere Leben zur Diskussion steht. Ein Ergebnis lässt sich weder abstrakt und allgemein fassen noch formal bestimmen. Es ist so vielfältig und widersprüchlich wie die Menschen, die darüber debattieren.

In diesem Zuge kommt demokratische Politik ins Spiel, die eine Verständigung dieser Vielfalt der Verschiedenen organisieren muss. Doch darf sie dort nicht stehenbleiben. Sie muss einen »realen Einfluß auf die Wünsche und Phantasien der Menschen« nehmen, wie Chantal Mouffe es fasst. Das ist fast zynisch, weil die Krisen der Gegenwart, die ganze Existenzen bedrohen, somit zu Weckrufen und Veranlassungen werden für eine neue, im deutlichen Sinne des Wortes demokratischere Gesellschaft. Dennoch: Auf dem Weg dorthin sollten neue Denkformen auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften in diese demokratische Gestaltung eingebracht werden. Economists4future ermöglichen daher eine bessere Gesellschaft: #befähigung. Sie reflektieren offen die normativen Dimensionen kultureller Orientierungen, indem sie diese Wünsche und Fantasien auf ihre Bedingungen, Barrieren und Möglichkeiten hin kritisch analysieren, die Konsequenzen in den Blick nehmen und eine Öffentlichkeit für sie schaffen. Sie begreifen Zukunft als einen gestaltbaren Raum. Das ist die Chance und zugleich die Aufgabe dieser Zeit, in der wir leben. Ob die Lösungswege zum Ziel führen, bleibt ungewiss. Gewiss hingegen ist, dass das Aussitzen gesellschaftlicher Schieflagen, wie sie durch die Klimakrise oder die Corona-Pandemie ausgelöst werden, nur dazu führt, dass jene, die gesellschaftspolitisch ohnehin bereits am längeren Hebel sitzen, weiterhin die Gestaltung der Gesellschaft übernehmen. Denn trotz aller Unverfügbarkeit und Undurchdringbarkeit von Natur wird Geschichte letztlich nicht von Sachzwängen oder abstrakten Prinzipien aus Religion, Philosophie oder Ökonomie-Lehrbüchern geschrieben, sondern von Menschen und ihrem praktischen Tun. Weil Gesellschaften sich permanent selbst gestalten, also an ihrer Gestalt arbeiten, bedarf es der Mündigkeit, sich dem auch offen zu stellen. Das gilt auch und erst recht für Wissenschaftler*innen.

Wenn ein demokratisches »4future« also einen deutlichen Sinn aufweisen soll, dann kann das im Grunde nur bedeuten, die akademische Überheblichkeit abzulegen, die darin besteht fremdes Leben zu verurteilen, bloß weil es aus einer bestimmten Blickrichtung einem willkürlich gesetzten Ideal, wie Effizienz, Gewinnstreben oder technischer Beherrschbarkeit, nicht entspricht. Statt solches Zusammenleben im Namen wissenschaftlicher Autorität zu bevormunden, wäre es würdevoller und auch demokratischer, sich der Welt mit einem Möglichkeitssinn zuzuwenden und einen Raum zu öffnen: Die Bildungs- und Einbildungskraft befeuern, wie wir als Gesellschaften unser Zusammenleben organisieren wollen und können, Möglichkeiten abklopfen, Sprachfähigkeit herstellen, zur Gestaltung befähigen – all das könnte es heißen, economists4future zu sein.

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