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Buch lesen: «Die Liebesbriefe der Marquise», Seite 11

Braun Lily
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Mit bezaubernder Grazie haben Sie verstanden, während unserer Ritte das Gespräch von dem Thema abzulenken, auf das ich es zu richten suchte. Heute, holde Frau, wo die Freude über das Glück Ihrer Genesung mir jede Zurückhaltung unmöglich macht, können Sie mich nicht hindern, Ihnen zu sagen: wären Sie gestorben, auch ich lebte nicht mehr.

Johann von Altenau an Delphine
Paris, den 3. November 1778.

Den grauen Novembernebel, der heute noch schwer auf meinem Herzen lag, hat Ihr Atem weggeweht, teuerste Marquise. Ein Blick in Ihr Antlitz zeigte mir, was ich Ihren Versicherungen nicht glauben wollte: nicht nur die Wunde auf Ihrer Stirne heilt, sondern auch die Ihres Innern. Ich vermag Sie mit meinen Zweifeln nicht mehr zu quälen, seit ich Sie wiedersah –, so wiedersah: schlank und blaß, zwei Augen wie glühende Kohlen unter der weißen Stirn mit der schmalen roten Narbe, um die sehnsüchtig geöffneten Lippen ein süßes Lächeln, der Körper, der noch matt in der Causeuse lag, in weiße Seide gehüllt, und die ganze Gestalt vom Feuer des Kamins übergossen. »Er sagt, der Knabe wird gesund«, flüsterten Sie und streckten mir beide Hände entgegen, »dann werde ich frei sein, ganz frei – für ein neues Leben!«

Sie sind wie ein gläubiges Kind. Wer hätte den grausamen Mut, ihm zu sagen: Der Gott, zu dem du betest, existiert nicht! Ich will von nun an mit Ihnen glauben. Am Tage der Entscheidung – Sie sprachen vom 21. Dezember? – werde ich vor Ihrem Hause die Nachricht erwarten. Bis dahin ergebe ich mich wieder in meine Verbannung.

Was ich über den Herrn Marquis erfuhr, wollen Sie jetzt nicht wissen. »Es ist mir jetzt so gleichgültig,« meinten Sie. Aber wenn einmal Ihre Freiheit von der Kenntnis dieser Dinge abhängt, dann vergessen Sie nicht, daß ich zu Ihrer Verfügung stehe.

Graf Guy Chevreuse an Delphine
Paris, den 20. Dezember 1778.

Sie ließen mich zu sich bitten, schönste Delphine, Sie lachten über all die Geschichten, die ich vor Ihnen auskramte und an denen die Welt nicht arm wird, obwohl die Menschen vor lauter Eifer, Gott und die Könige zu entthronen, für den Unsinn keine Zeit mehr zu haben behaupten.

Hat der famose Dr. Mesmer Ihr gelähmtes Herzchen wieder zum Schlagen gebracht oder war es die Erschütterung des Sturzes, die es aus der Lethargie aufrüttelte? Jede einzelne Ihrer rosigen Fingerspitzen ließen Sie mich küssen; »aber nicht als Liebhaber!« drohten Sie. Fast wäre ich darüber schwermütig geworden, wenn ich nicht inzwischen für meinen schrecklichen Kummer um Sie eine Trösterin mir hätte suchen müssen. Besinnen Sie sich? Sie sahen die kleine Thévenin kurz vor Ihrem unseligen Ritt in der Oper; sie war die jüngste der Nymphen im Ballett La rose, hatte nichts als ein rosa Wölkchen um die Hüften, die schönsten goldenen Haare auf dem Kopf und ebenholzschwarze an anderer Stelle.

Bitte: bedecken Sie den Mund nicht mit der Hand, ich weiß trotz Ihrer entrüsteten Blicke, daß Sie lachen!

Ich bin der Marquise Delphine sprechender Papagei, dem alles zu sagen erlaubt ist, vorausgesetzt, daß es die Herrin amüsiert! Und Sie sind ja im Augenblick allein, ohne den schrecklich ernsthaften Hausphilosophen, und ganz gewiß ohne den Herrn Marquis. Soll ich weitere Proben meiner Künste zeigen?

Herr von Genlis überraschte neulich Mademoiselle Justine, seine niedliche Mätresse, im zärtlichen Tête-à-Tête mit dem Marquis Löwenstein. »Was wollen Sie, mein Herr«, sagte sie, als er ihr Vorwürfe machen wollte; »ich gebe mir die größte Mühe, den Herrn Marquis für Ihre Tochter zu interessieren –« Und schon am nächsten Tage war die kleine Genlis glückliche Braut. Haben Sie ihr nicht auch eine innige Gratulation zukommen lassen?!

Madame Chamans fand ihre siebzehnjährige Tochter vertieft in die Lektüre der Lettres du chevalier de Saint-Ilme. Sie riß ihr entrüstet das Buch aus der Hand. »Retif de la Bretonne«, sagte sie, »hat keine schlimmeren Bücher geschrieben.« Die Tochter starb fast vor Lachen. Der Roman ist nämlich von ihr!

Die Herzogin d'Anville wollte ihren Liebhaber, der an Leidenschaft manches zu wünschen übrig ließ, mit ihren Beziehungen zu Herrn d'Alembert eifersüchtig machen. »Er ist ein Gott!« schwärmte sie. »Ach, Madame, wenn er ein Gott wäre,« antwortete der Liebhaber gelassen, »so würde er damit angefangen haben, sich zu einem Manne zu machen.«

Und nun noch ein hübscher Spaß, der Paris während Ihres Krankseins tagelang amüsierte: Ein paar polnischen Edelleuten mit besten Empfehlungen erteilte der Graf Artois die Erlaubnis, seinen Pavillon de Bagatelle besichtigen zu dürfen. Vor einer Marmorbüste brachen sie in Tränen aus: »Wie gleicht sie unserer verstorbenen Schwester!« Zuvorkommend, wie er ist, machte der Graf die Büste noch am selben Nachmittag den Herren zum Geschenk. Sie wiederholten das gelungene Manöver bei einer Reihe unserer Mäzene und waren, ehe man den Schwindel entdeckte, mit ihrer reichhaltigen Kunstsammlung verschwunden.

Wenn Sie wieder lachen wollen, reizende Marquise, erinnern Sie sich meiner, der Vorrat ist unerschöpflich und mein Bestreben, mich Ihnen unentbehrlich zu machen, um so eifriger, als ich in der Ferne bereits die Rüstungen unserer heimkehrenden Kriegshelden klirren höre und leider weiß, wie oberflächlich alle Frauen sind: sie schwärmen für blutbespritzte Röcke und übersehen dabei die im stillen blutenden Herzen.

Übrigens bringen sie einen Harem bronzefarbener Indianerinnen mit, und ich sehe es kommen, daß ihre Toilette, – drei Federn auf dem Kopf und zwanzig Ringe durch die Ohren –, die große Mode der nächsten Saison sein wird. Sie würde Ihnen, Holdseligste, zum Entzücken stehen!

Vergessen Sie Ihr Versprechen nicht: übermorgen treffen wir uns auf dem Maskenball!

Johann von Altenau an Delphine
Den 21. Dezember.

Kniefällig bitte ich Sie: lassen Sie mich ein! Nach dieser Nachricht dürfen Sie nicht allein bleiben.

»Alles ist vorbei. Ich fahre morgen mit dem Kinde nach Hause, um mich mit ihm zu vergraben.« Dieser gräßliche Zettel kommt mir in die Hand. Sie dürfen nicht fort. Sie müssen dem Schicksal trotzen, nicht sich ihm ergeben. Ich weiche nicht von Ihrer Schwelle, und werde mich den Pferden in die Zügel werfen; hören Sie denjenigen, den Sie selbst Ihren einzigen Freund nannten.

Graf Guy Chevreuse an Delphine
Am 21. Dezember.

Sie halten sich allzulange mit der Toilette auf, Sie wollen zu schön sein, reizende Frau; nur darum, nicht wahr, lassen Sie mich warten? Bekomme ich keine Antwort durch meinen Jäger, so bin ich in einer Stunde bei Ihnen und entführe meine Schöne mit Gewalt.

Johann von Altenau an Delphine
Paris, am 22. Dezember 1778.

Es ist geschehen. Ich war es. Sie, die einzige, die es wissen, können mich als den Mörder Ihres Kindes verfolgen lassen und noch unter dem Galgen würde ich schwören, daß es die beste Tat meines Lebens war. Ich habe, barmherziger als die Mutter, einem armen Idioten eine Kugel in die Schläfe gejagt, und eine Frau, die sich selbst zum Tode verurteilen wollte, dem Leben zurückgegeben.

Daß ich in der Nacht, als ich zum Zimmer des Kindes schlich, dem Grafen Chevreuse begegnete, hat meine Freude gedämpft. Sie ließen ihn zwar abweisen, aber er schien zu seinem Kommen ein Recht zu haben. Ich bedauere Ihre voreilige Wahl, aber ich habe mich durch meine Tat aller Ansprüche der Freundschaft, also auch der, zu warnen, begeben.

Leben Sie wohl, Delphine. Werden Sie glücklich!

CAGLIOSTRO

Baron Ferdinand Wurmser an Delphine
Petersburg, am 2. Juli 1779.

Verehrte Cousine! Sie werden sich des blassen Jünglings kaum mehr entsinnen, der vor Jahren in Etupes die reizendste Nymphe dem kühnsten Schäfer vergeblich zu entreißen versuchte. Prinz Friedrich-Eugen blieb Sieger, und auf seine Stirn neigte sie sich zum Weihekuß, während ich im stillen Boskett meine Niederlage beweinte und tagelang den düsteren Gedanken erwog, nächtlicherweile im schwarzen Schwanenteich zu verschwinden.

Der plötzliche Tod meines älteren Bruders zwingt mich, meine Stellung am Hofe des Großfürsten Paul aufzugeben, um mich der Verwaltung unserer Güter zu widmen. Ich reise in diesen Tagen ab, und wenn der Schmerz, meine gütige Herrin, die Großfürstin, verlassen zu müssen, durch die Freude auf die Rückkehr in die Heimat gemildert wird, so trägt der Gedanke an Sie, deren Schönheit und liebenswürdige Gastfreundschaft ich oft genug rühmen hörte, viel dazu bei.

Aber ich wäre vielleicht nicht so unbescheiden, meine Ankunft in Straßburg jetzt schon anzukündigen, wenn nicht die Großfürstin mich beauftragt hätte, Ihnen in Erinnerung an die schöne Zeit gemeinsamer Jugendtage in Montbéliard und Etupes die herzlichsten Grüße zu übermitteln. »Sagen Sie der Marquise, daß Sie meinen scheidenden Kammerherrn als meinen Freund empfangen möchte,« war sie gütig genug, mir aufzutragen. Sie hofft, in nicht zu ferner Zeit während des lange geplanten Besuchs in Frankreich die Beziehungen zu Ihnen wieder anzuknüpfen. Mit aufrichtigem Bedauern hörte sie von dem Schicksalsschlag, der Sie, teure Cousine, betroffen hat.

Mir war es besonders schmerzlich, erst nach dem entsetzlichen Ende Ihres Kindes von seinem Leiden erfahren zu haben. Wäre ich doch imstande gewesen, Ihnen den richtigen Arzt zu empfehlen. Vielleicht haben Sie schon von der außerordentlichen Erscheinung gehört, die plötzlich hier auftauchte, ohne daß jemand zu sagen vermocht hätte, woher sie kam, welches ihr Ursprung war. Ich spreche vom Grafen Cagliostro. Er geht umher und heilt Kranke, wie Christus; verteilt Geld unter die Armen, wie Harun-al-Raschid, und zwingt Verstorbene, aus der Tiefe ihres dunklen Grabes an das Licht seiner mystischen Lampe.

Sie werden ihm sicherlich noch begegnen, denn er ist überall.

In fünf bis sechs Wochen hoffe ich im Elsaß zu sein, um Ihnen meine Aufwartung machen zu können. Empfehlen Sie mich, bitte, unbekannterweise dem Herrn Marquis, den mein Bruder mir als das Vorbild des Edelmannes der alten Schule geschildert hat.

Graf Guibert an Delphine
Paris, am 25. August 1779.

Die Begegnung mit Ihnen, teuerste Marquise, hat mich wie ein erschütternder Traum, der uns auch am Tage nicht los läßt, von Spa hierher verfolgt.

Keiner der Eindrücke der Reise, – und sie waren stark genug –, vermochte das rührende Bild der zarten, von schwarzen Schleiern verhüllten Gestalt zu verwischen, aus deren marmorweißem Antlitz der Blick dunkelglühender Augen mich bis ins Innerste traf. Sie waren gekommen, um in dem berühmten Bade Heilung zu suchen.

»Der Marquis hat es gewünscht,« sagten Sie mit einem bitter-schmerzlichen Lächeln. Der Marquis?! wiederholte ich im Stillen erstaunt; wußte ich doch, was alle wußten. Sollte die Tragödie Ihres Kindes mit ihrem rätselhaft schauerlichen Schluß zwei Getrennte wieder zusammengeführt haben? – aber noch ehe ich zu Ende gedacht hatte, bekam ich die Antwort: der Marquis trat herzu, – ein alter Mann mit gebeugtem Rücken und eingefallenen Zügen, – ich hätte ihn fast nicht erkannt! Einen Augenblick lang erinnerte ich mich erschrocken der dunklen Gerüchte, die mir von den großen mißglückten Spekulationen des Herrn von Saint-James, an denen der Marquis ebenso wie der Kardinal Rohan stark beteiligt sein sollen, vor kurzem zu Ohren gekommen waren. Aber bald sah ich, welch andere Sorgen ihn bedrückten. Sorgfältig wie ein Vater hüllte er Sie in den Mantel und begrüßte mich mit einer Herzlichkeit, die ich nicht begriff, – hatten wir uns doch mehr als fern gestanden.

»Wie freue ich mich Ihrer Anwesenheit«, versicherte er mir immer wieder. Als ich dann mit ihm allein war, kannte ich ihn vollends nicht mehr: Die Angst um Sie ließ ihn jede Form vergessen; ich sah plötzlich einen Menschen, wo ich bisher nur einen vollendeten Aristokraten gesehen hatte. Er bat mich, Ihnen Gesellschaft zu leisten, Sie zu zerstreuen, Sie den Interessen des Pariser Lebens wieder zuzuführen.

Hätte es eine schönere Aufgabe für mich geben können? Sie wissen, mit welchem Feuereifer ich sie auf mich nahm, aber Sie ahnen nicht, wie sich an jedem Blutstropfen, der langsam in Ihre Wangen stieg, wenn ich meine Redekunst, meinen Witz, meine Phantasie anpeitschte wie der Reiter das Rennpferd, die Glut meines Herzens neu entzündete, wie jeder Schatten eines Lächelns, der Ihre Lippen teilte, alte, unerfüllte Wünsche stürmisch in mir aufsteigen ließ.

Eine Order des Kriegsministers, so sagte ich Ihnen, verlange meine Rückkehr nach Paris. Ich habe gelogen; ich wollte sogar die Lüge aufrecht erhalten. Erst jetzt, wo ich fern von Ihnen bin, fühle ich, daß ich die Wahrheit sagen muß.

Vor zwei Jahren warb ich um Ihre Gunst; Ihr Besitz wäre mir im Kranz meines Ruhmes als eins der kostbarsten, goldenen Lorbeerblätter erschienen. Keinen Augenblick störte mich der Gedanke an den rechtmäßigen Besitzer dieser entzückenden Frau; der Marquis Montjoie, an dessen Existenz in Ihrem Hause kaum etwas erinnerte; der Marquis Montjoie, der mit überlegen-ruhiger Kühle der reizenden Delphine gegenüberstand; der Marquis Montjoie, der die Hinterzimmer der Madame Gaillard dem Schlafgemach seiner Gemahlin vorzog, – die er freilich auch nur, als erfülle er eine peinliche Pflicht, mit ernst-gelangweiltem Gesicht zu verlassen pflegte –, dieser Marquis Montjoie war das geringste Hindernis auf dem Wege zu Ihnen. Aber selbst wenn ich gewußt hätte, daß er mehr für Sie fühlte, als für irgend ein besonders wertvolles Stück seines Haushalts, ich hätte die Hoffnung nicht fahren lassen. Solange ein Mann im Kampf um ein Weib einen ebenbürtigen Rivalen, – und wäre es der eigene Gatte seiner Schönen –, vor sich hat, so lange gab die Natur selbst ihm das Recht, um ihren Besitz mit ihm zu ringen. Nicht Stärke – nein, nur Schwäche entwaffnet vor dem Angriff.

Darum mußte ich jetzt von Ihnen fliehen. Ich hätte nicht wunschlos neben Ihnen leben und nicht als Mann von Ehre um Sie ringen können. Der alte kranke Marquis ist kein Rivale mehr.

Und doch: Wenn Ihr Herz einmal freiwillig entschiede!! Schönste Delphine, ich fange an, zu begreifen, daß Sie nicht nur ein goldenes Blatt in der Siegeskrone, sondern der Rosenkranz selber sind, mit dem das Leben seine Lieblinge krönt.

Darf ich nun zum Lohn für meine Entsagung, die ich mir nicht zum zweiten Male aufzulegen imstande wäre, nachdem die Kraft, sie zu tragen, schon jetzt nicht ausreicht, den Faden unseres letzten Gesprächs weiterspinnen? Darf ich hoffen, daß Sie ihn aufgreifen und er allmählich zu einem starken Bande zwischen uns wird?

Mit jener genialen weiblichen Güte, die uns sogar sachliches Interesse vorzutäuschen vermag, haben Sie an dem Schicksal meiner kriegswissenschaftlichen Arbeit Anteil genommen. Sie hat inzwischen die öffentliche Aufmerksamkeit in höherem Maße erregt, als ich es erwarten durfte. Seit dem großen Erfolg von Glucks Iphigenia schienen unsere großen Geister, – ich wäre fast geneigt, das »groß« in Anführungsstrichen zu schreiben –, wieder im musikalischen Krieg ihre Kräfte zu erschöpfen; eine Erscheinung, die nur in einem Lande möglich sein kann, wo man den Bürger als ein unmündiges Kind behandelt und seine tätige Teilnahme am politischen Leben mit der Bastille belohnt.

In der Verteidigung meiner Ideen war ich mit Herrn von Mesnil-Durand in eine sehr lebhafte Diskussion geraten, und ich war gezwungen, nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen den Herzog von Broglie, meinen alten Freund und Wohltäter, kritisch vorzugehen.

Beide verteidigten sich persönlich, wo ich sachlich angegriffen hatte; ganz Paris wurde zu ihrem Echo, das mich der gröbsten Undankbarkeit zieh. Der Herzog von Broglie verschloß mir sein Haus. Ein trauriges Zeichen für die Gesinnungslosigkeit der Bürger Frankreichs, die im Grunde von mir verlangten, die Tugend der Vaterlandsliebe der Tugend persönlicher Dankbarkeit unterzuordnen. Ich teilte in diesem Fall das Schicksal meines Freundes Condorcet, der wegen seiner Kritik der Finanzpolitik des Herrn Necker auf das schärfste getadelt wurde. »Wie kommen sie dazu, sich zum Richter des Ministers aufzuwerfen?« frug man ihn entrüstet. »Soll ich mich auch noch verteidigen müssen, weil ich mich mit öffentlichen Angelegenheiten beschäftige?« antwortete er. »Das ist das Recht, ja die Pflicht jedes Bürgers, der keiner besonderen Mission bedarf, um Rechte des Volks zu verteidigen oder Maßnahmen zu bekämpfen, die ihm entgegenstehen.«

Der korrumpierten Gesellschaft von Versailles, die keine anderen Gesetze kennt, als die der Hofetikette, die von der Vortrefflichkeit aller Einrichtungen überzeugt ist, wenn die Hofschranzen ihre Pensionen, die Bankiers ihre guten Köche haben, erscheinen Auffassungen, wie die unseren, nur als eine Lächerlichkeit. Als ob es keine anderen Leiden gäbe, als die, die uns persönlich verletzen! Als ob die Natur selbst, die uns den Mut gab und ein fühlendes Herz, uns nicht zu Hütern des öffentlichen Wohles berufen hätte!

Wir haben es erleben müssen, daß der Aufruhr der Ballettänzer der Oper das öffentliche Interesse mehr in Anspruch nahm, als die Verluste des französischen Handels, die Einnahme von Pondéchery, die unglückliche Expedition der Sainte-Lucie. Hätte ich nicht kurz vorher den frenetischen Jubel mit erlebt, mit dem die Pariser die heimkehrenden Helden des amerikanischen Freiheitskrieges begrüßten, ich würde an all meinen Hoffnungen irre geworden sein. Es war ein momentaner Ausbruch tiefgewurzelten Hasses gegen den Feudalstaat; eines Hasses jedoch, der nicht mehr ist, als ein Gefühl, denn als der Marquis Lafayette und der Prinz Montbéliard, ohne sich einen Augenblick Ruhe zu gönnen und des Triumphes zu genießen, der ihnen überall bereitet wurde, der französischen Marine für den Kampf gegen England ihre erprobten Waffen zur Verfügung stellten, verstand sie niemand.

Kurz vor seiner Einschiffung hatte ich übrigens noch Gelegenheit, den Prinzen zu sprechen. Ich freute mich, auch in ihm einen jener seltenen Patrioten kennen zu lernen, die sich selbst nicht als Einzelnen, sondern als Teil des Ganzen fühlen. Er war sehr niedergeschlagen über das, was er vorgefunden hatte. »Amerika hat mir die Augen für Frankreich geöffnet,« sagte er. »Dort ein Volk, das mit Hingabe aller Mittel und Kräfte für die Freiheit kämpft, hier eines, dessen einzelne Glieder den Boden ihres Vaterlandes betrachten wie erobertes Gebiet, das jeder nach besten Kräften für eignen Vorteil zu plündern sich berechtigt glaubt. Dort Männer, von denen jeder sich als Vaterlandsverteidiger fühlt, hier Offiziere, deren Schlafzimmer den Boudoiren der Kurtisanen gleichen und die einander durch nichts eifriger zu übertreffen begehren, als durch die Kostspieligkeit ihrer Mätressen.«

Im Laufe unserer langen Unterhaltung war ich versucht, auch Ihrer, teuerste Marquise, zu erwähnen und des merkwürdigen Zusammenhangs zwischen dem Namen des Prinzen und Ihrem gefährlichen Sturz, aber meine Diskretion siegte über meine Neugierde. Oder fürchtete ich am Ende im geheimen, einem ebenbürtigen Rivalen gegenüberzustehen?

Graf Guibert an Delphine
Paris, am 21. Juli 1780.

Kaum hätte ich noch auf einen Brief von Ihnen, teuerste Marquise, zu hoffen gewagt, und ich weiß nicht einmal, ob ich mich freuen darf, daß ich ihn endlich doch erhielt. Er ist kurz und kühl; ich würde darnach glauben, daß nur die Höflichkeit ihn diktiert hat, wenn er nicht so viel Fragen als Sätze enthielte, – Fragen, die sichtlich nicht bloßer Neugierde entstammen, sondern hinter denen eine Empfindung lauert, wie geheime Angst.

Kein Zweifel, die Zeiten sind ernst, Frau Marquise. Aber meine Reise von Spa nach Paris, die mich über die Kohlengruben von Anzin und Fresnes geführt hat, ließ mich schaudernd erkennen, für wen sie wahrhaft ernst sind: ich sah Kinder, sah werdende Mütter in den schwarzen Erdhöhlen, und das im Zeitalter Rousseaus! Ich sah Aufseher mit der Peitsche hinter ihnen, und das im Zeitalter der Befreiung Amerikas! Wer diesen Eindruck mit sich nimmt, lächelt geringschätzig über die Klagen jener »Notleidenden«, die heute in seidenen Westen mit Diamantboutons in den Vorzimmern der Minister über die schlechten Zeiten jammern. Sind sie nicht selbst daran Schuld, daß die Landarbeiter dem Frondienst auf ihren Gütern sogar die Arbeit unter der Erde vorziehen?

Wenn man Ihnen die Finanzpolitik Herrn Neckers als Ursache der allgemeinen Bedrängnis angab, so hat man Sie falsch berichtet. Er ist unschuldig – im Guten, wie im Bösen. Seine Einschränkungen des königlichen Haushalts treffen natürlich den Hof empfindlich, – so sind eine Reihe Schloßoffiziere, deren ganze Aufgabe darin bestand, den Küchendienst zu überwachen und dafür zu sorgen, daß die Braten rechtzeitig aufgetragen wurden, zur Marine kommandiert, wo man wahrscheinlich, dank ihrer Vorkenntnisse im Kommandieren toter Gänse und Schweine, Wunder an Tapferkeit von ihnen erwartet; – aber diese kläglichen Maßnahmen sind nur ein verzweifelter Versuch, die öffentliche Meinung zu beruhigen, sie nützen so wenig, wie es etwas nützen würde, einen Urwald mittels eines Bratenmessers in fruchtbares Land verwandeln zu wollen. Die Steuern, die Necker sonst noch teils aufhebt, teils ausschreibt, sind ebensolche Sisyphus-Arbeit: sie stopfen ein Loch zu und reißen daneben ein anderes auf. Ich wiederhole: er ist unschuldig, und die ungeheure Schuld der Vergangenheit wird auch kein größerer als er zu tilgen vermögen.

Sie sagen: »Ich fürchte mich nicht, aber der Marquis ist krank und die Sorgen um finanzielle Katastrophen bedrücken ihn, darum möchte ich klar sehen.« Ich wußte, daß Ihr Stolz keine Furcht aufkommen läßt, aber ich weiß auch, daß das Riesenvermögen des Herrn Marquis selbst durch die gewagten Spekulationen des Herrn von Saint-James nicht in dauernde Gefahr geraten kann. Ängstlich ist im Augenblick alles, denn vom Ausgang des Krieges hängt außerordentlich viel ab. Vorläufig können wir von wesentlichen Erfolgen Frankreichs nicht sprechen, und der Lorbeerkranz, den der Admiral d'Estaing in der Oper entgegennahm, war dem Ort entsprechend nur Theater für das Volk. Wir haben uns, seit dem Zeitalter des großen Königs, der Siege so entwöhnt, daß wir geneigt sind, jeden kleinen Erfolg zu einer Heldentat aufzubauschen. Der König ist besonders überschwenglich bei solcher Gelegenheit, aber Orden und Titel, die er freudig ausstreut, vermögen den Epigonen nicht die Größe ihrer Ahnen zu verleihen.

Sie fragen nach der Stimmung des Hofs. Ich habe mich so viel als möglich zurückgezogen, kann also aus eigener Anschauung nur wenig berichten. Wenn man nach der Menge der Feste und Empfänge urteilen könnte, müßte sie sehr rosig sein, aber da Feste um so weniger ein Ausdruck des Vergnügens sind, je mehr sie zur alltäglichen Gewohnheit werden, so sind sie kein Gradmesser für die Laune der Fürsten.

Ich traf die Königin im Juni in Ermenonville, wohin ich der Einladung der liebenswürdigen Madame de Girardin gefolgt war. Ein göttlicher Landsitz! Rousseau selbst hätte sich für seine ewige Ruhe keinen schöneren Ort aussuchen können. An seinem Grabe auf der Pappelinsel, wo die hohen Bäume in lichtem Hoffnungsgrün prophetisch gen Himmel weisen, wo Trauerrosen sich liebevoll wie weinende Frauengesichter um das Denkmal schmiegen und die kleinen Wellen des Flusses nur leise miteinander flüstern, als wollten sie die Stille nicht stören, predigt alles die Seligkeit der Rückkehr zur Natur.

Die Königin war sehr verstimmt. Am Morgen hatte sie von der Absicht einer neuen Einschränkung der Zahl ihrer Dienerschaft erfahren, nachdem sie schon kurz vorher gezwungen worden war, ihre Wünsche für den Theaterbau von Trianon erheblich einzuschränken. »Man mißt, wie es scheint, den Hofhalt des Königs von Frankreich an dem bourgeoisen Budget des Herrn Necker,« sagte sie. Ihre weichen Züge, die ich bisher nur von einem Lächeln verklärt sah, bekamen dabei den harten Ausdruck, der ihrer kaiserlichen Mutter besonders eigentümlich ist. »Würden Sie sich von Ihrem Hausknecht das Menü Ihrer Tafel bestimmen lassen?« frug sie mich. »Von meinem Hausknecht – nein!« entgegnete ich; »wohl aber von meinem Verwalter, der für die geregelte Wirtschaftsführung verantwortlich ist.«

Bei dem Rundgang durch den Park kamen wir am Grabe des Unsterblichen vorüber. Die Königin streifte es durch ihre Lorgnette mit einem eisigen Blick, und sagte dann mit hochmütig zurückgeworfenem Haupt, – einer Bewegung, der nur die Tochter Maria Theresias fähig ist –: »die Trauerrosen in Trianon blühen üppiger.« Darauf raffte sie ihr Kleid, als dürfte es den Boden nicht berühren, und schritt vorüber. Beim Souper machte ich der Gräfin Polignac mein Kompliment über die geschmackvolle Toilette der Damen: »Sie tragen weiche Schuhe ohne Hacken, große Strohhüte auf natürlich fallenden Locken, weiße, schlichte Musselingewänder – nennt man dies reizende Ensemble nicht eine Kleidung à la Rousseau?!« – »Mademoiselle Bertin, die sie schuf, nennt sie Roben à la reine,« rief die Königin über den Tisch hinweg mir zu, und geruhte darnach, mich nicht mehr zu bemerken.

Ein paar Wochen später war ich beim Grafen von Provence auf Schloß Brunoy. Wer nichts weiter kennt, als diesen Palast eines Krösus, muß glauben, ganz Frankreich schwämme in Gold. Zu einem jener beliebten Herrenfeste, das unsere reizendsten Priesterinnen Terpsychorens durch pikante Tänze und noch pikantere Couplets so besonders anziehend zu machen pflegen, wurde der König erwartet. In der Nacht, ehe er kam, improvisierten die Kavaliere einen Raub der Sabinerinnen –, die Erzählung von dieser Posse, die in einem Bacchanal endete, amüsierte den König mehr als die wohlvorbereiteten Aufführungen. Er ist, wie Sie wissen, nur unfreiwillig tugendhaft.

Es gab dann noch eine Jagd auf wahrhaft hoffähige Hirsche: sie schienen den Tod durch eine königliche Kugel als eine besondere Auszeichnung anzusehen.

Zum Schluß hatte der König eine Privatkonferenz mit dem Grafen. Er schied außerordentlich befriedigt.

Ein paar Tage später waren die Straßen von Versailles voll betrunkner Schweizer, – ihre gestundeten Gehälter waren ihnen bar ausgezahlt worden, – die Marställe voll englischer Pferde, und in Trianon wurde der unterbrochene Theaterbau fortgesetzt. »Geschäfte zu machen, ist so gemein,« sagten Sie mir in Spa mit einer unvergleichlichen, wegwerfenden Handbewegung. Aber Könige adeln alles, – nicht wahr, Frau Marquise?

Ich lese eben Ihre Zeilen noch einmal, und plötzlich scheint mir, als ob der leise Wunsch, nach Versailles zurückzukehren, zwischen ihnen stünde. Ich wäre trostlos, wenn ich ihn unterdrückt, statt angefacht hätte. Aber warum hüllen Sie auch Ihr Innerstes immer in tausend schimmernde Schleier? Sollten Sie wissen, daß das Geheimnis, zu langweilen, darin besteht, alles auszusprechen?

Kardinal Prinz Louis Rohan an Delphine
Versailles, am 30. August 1780.

Verehrteste Frau Marquise, die liebenswürdige Aufnahme, die Sie mir in Froberg bereiteten, der sympathische Eindruck, den ich, – Sie gestatten einem Priester die offene Bemerkung –, von der Erneuerung freundlicher Beziehungen zwischen Ihnen und dem Herrn Marquis gewonnen habe, treibt mich zu diesem Brief.

Sie entsinnen sich unseres langen Gesprächs im Anschluß an die höchst merkwürdigen Mitteilungen des Baron Wurmser über den Grafen Cagliostro, seine Heilungen und Prophezeiungen. In Erinnerung an die schmerzlichen Erfahrungen, die Sie, teure Marquise, mit Herrn Dr. Mesmer gemacht haben, erklärten Sie von vornherein alles für Schwindel, was Wurmser zu berichten wußte. Auch ich war skeptisch, obwohl ich als gläubiger Christ die Möglichkeit neuer Wunder niemals leugnen werde und überzeugt bin, daß grade so unruhige, von Hoffnungen und Erwartungen schwangere Zeiten besonders geeignet sind, verborgene göttliche Kräfte in einzelnen begnadeten Menschen hervorzulocken.

Sie werden sich daher denken können, daß ich nicht zögerte, die Bekanntschaft des mysteriösen Grafen zu suchen, der sich im Augenblick in Paris aufhält. Er hat meine kühnsten Erwartungen weit übertroffen. Ich kam zu später Stunde in bürgerlicher Kleidung und vollkommen maskiert zu ihm. Ohne einen Augenblick zu zögern, begrüßte er mich mit tiefer Verbeugung als den Kardinal Rohan und hatte, ehe ich noch ein Wort zu sagen vermochte, meinen Charakter, meine Wünsche und Neigungen, ja die geheimsten Ereignisse aus meiner Vergangenheit so detailliert beschrieben, wie ich sie mir selbst kaum je einzugestehen gewagt hatte. Diese Beweise seiner phänomenalen Fähigkeiten hätten schon genügt, meine Zweifel zu zerstreuen; aber was ich dann noch erlebte, machte mich zu seinem Adepten. Ich traf am nächsten Tage die Gräfin Bethune bei ihm, und ich sprach mit ihr, als wäre sie niemals taub gewesen; ich sah mit meinen eigenen Augen einen armen gelähmten Bettler, den er gehen hieß wie einen leichtfüßigen Jüngling, und ein blindes kleines Mädchen, dem er mit einem Hauch seines Mundes die Augen öffnete. Als ihn am Abend die Menge der Kranken verlassen hatte, – ihr heißer Dank war der einzige Lohn, den er annahm! –, hielt er mich noch zurück.

Im Lichte einer einzigen bläulich flackernden Flamme, die ohne Lampe und Docht mitten in seinem, von Phiolen und duftenden Essenzen gefüllten Laboratorium zu schweben schien, hatten wir ein denkwürdiges Gespräch, das die Gegenwart und die Zukunft Frankreichs umfaßte. Was er sagte, muß Geheimnis bleiben zwischen uns, es hat mich tief erschüttert, und die Rolle, die er mir in der Flut kommender Ereignisse zuwies, erfüllte mich mit einem so heißen Dank gegen Gott, daß ich in Gebet versunken in die Kniee sank.

Das Geräusch knisternder Funken weckte mich erst aus der frommen Entrücktheit. Das ganze Gemach war erfüllt von Glut; ich wollte schon um Hilfe rufend zum Fenster stürzen, als eine Stimme, dröhnend wie die eines Erzengels, mich zurückhielt. Ich sah den Grafen vor mir stehen, und doch war er es nicht, denn eben erst war er mir wie ein Mann von kaum fünfzig Jahren erschienen, und jetzt war er ein Greis, dessen Alter niemand hätte bestimmen können: Die braune Haut spannte sich straff über die Knochen, tief in den Höhlen lagen die Augen, die mageren Hände griffen in die glühende Luft, die uns umgab, und wo sie hinfaßten, verdichtete sie sich zu rotem Golde, zu schimmernden Edelsteinen. Äffte mich ein Spuk der Hölle?! Ich riß das Kreuz von meiner Brust und streckte es beschwörend dem Grafen entgegen. Mit demütiger Gebärde drückte er die Lippen darauf! –