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Aus meinem Leben. Erster Teil

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Die Katastrophe von 1866

Es ist für die Beurteilung der kommenden Ereignisse und unsere Stellung zu denselben notwendig, eine summarische Uebersicht der Vorgänge zu geben, die schließlich die langen diplomatischen Kämpfe, die Oesterreich und Preußen um die Vorherrschaft in Deutschland führten, auf dem Schlachtfeld zur Entscheidung brachten.

Durch den Tod des Dänenkönigs Friedrich VII., November 1863, tauchte von neuem die schleswig-holsteinsche Frage auf, da mit dem Tode des Königs die Oldenburger Linie erloschen war. Den neuen Dänenkönig Christian IX. erkannten die Schleswig-Holsteiner als erbberechtigten Herzog nicht an, sondern entschieden sich für den Prinzen Friedrich von Augustenburg, der denn auch seinen Regierungsantritt als Herzog Friedrich VIII. verkündete. Damit war die Zugehörigkeit der beiden Herzogtümer zu Deutschland ausgesprochen, was allgemein große Genugtuung hervorrief. Dänemark widerstand dieser Lösung. Der Bundestag mußte sich also für die Bundesexekution gegen Dänemark entscheiden, deren Ausführung er Sachsen und Hannover übertrug. Aber sie paßte nicht in Bismarcks Pläne. Er ließ durch seine Kronjuristen nachweisen, daß der Augustenburger nicht erbberechtigt sei, eine Entscheidung, die die öffentliche Meinung gegen die Bismarcksche Politik aufs äußerste erregte. Man sah in Bismarck, dem Manne des preußischen Verfassungsbruchs, nicht denjenigen, der die Frage im Sinne der Bevölkerung von Schleswig-Holstein lösen würde, man erinnerte sich auch wieder, daß es Preußen war, das an dem schmählichen Ausgang des ersten Schleswig-Holsteinschen Krieges gegen Dänemark, 1851, die Hauptschuld trug.

Der Vorstand des Nationalvereins fand daher lebhafte Zustimmung, als er bereits im Spätherbst 1863 in einem Aufruf, unterzeichnet von Rudolf v. Bennigsen als Präsident, das Volk zur Selbsthilfe aufrief. In dem betreffenden Aufruf hieß es: „Der Nationalverein fordert alle Gemeinden, Korporationen, Vereine, Genossenschaften, fordert alle Vaterlandsfreunde, die sich mit ihm zu dem großen Werke verbinden wollen, auf, ungesäumt Geld herbeizuschaffen – und Mannschaften, Waffen und alle Mittel bereitzuhalten, die zur Befreiung unserer Brüder in Schleswig-Holstein erforderlich sein werden.“

Dieser Aufruf verstieß zweifellos gegen eine Reihe Gesetze in den Einzelstaaten, aber kein öffentlicher Ankläger rührte sich. Die Volksstimmung sympathisierte mit diesem Vorgehen.

Kurz nachher veröffentlichte der Ausschuß des Nationalvereins für Schleswig-Holstein einen Aufruf, in dem es hieß:

„Wohlan! rüsten wir uns, auf daß, wenn der Augenblick zum Handeln gekommen ist, die deutsche Jugend kampfbereit zu den Waffen greifen kann…. Die vielleicht nur sehr kurze Zwischenzeit möge sie benutzen zur Uebung in den Waffen und zur taktischen Ausbildung.“

Man sieht, wie damals die liberalen Wortführer die Durchführung der Volksbewaffnung in kurzer Zeit für möglich hielten. Wehe dem Sozialdemokraten, der heute einen ähnlichen Aufruf erlassen wollte. Das ist der Fortschritt seit jener Zeit! —

Hier möchte ich einfügen, daß mit Beginn der sechziger Jahre neben der massenhaften Gründung von Arbeitervereinen auch die massenhafte Gründung von Turn- und Schützenvereinen vorgenommen wurde, die in der nationalen Bewegung jener Tage eine große Rolle spielten. Bismarck sah diesem Treiben sehr mißmutig zu. Die großen Feste, die jene Vereinigungen für ganz Deutschland abwechselnd veranstalteten, waren Massenvereinigungen, die sich in der Hauptsache mit der deutschen Frage beschäftigten. In Leipzig fand im August 1863 das allgemeine deutsche Turnfest statt, dem selbst Herr v. Beust seine Reverenz machte. Aber während dieser eine patriotische Rede auf dem Turnplatz hielt, verbot die Leipziger Polizei den Verkauf der Reichsverfassungsurkunde von 1849 an öffentlichen Orten. Ich nahm ebenfalls insofern an jenem Feste teil, als unsere Sängerabteilung, deren Vorsitzender ich nach dem Austritt Fritzsches geworden war, mit den übrigen Gesangvereinen Leipzigs die Gesangsaufführungen in der Festhalle ausführte. Im Oktober desselben Jahres fand auch die fünfzigjährige Feier der Schlacht bei Leipzig statt. Dieses Fest war in seiner Art noch weit großartiger als das Turnfest. Es wurde ebenfalls zu großen politischen Demonstrationen benutzt. Ich wirkte hier gleichfalls als Angehöriger unserer Sängerschar mit.

Es wurden von jetzt ab in ganz Deutschland Versammlungen zugunsten der Unabhängigkeit Schleswig-Holsteins veranstaltet. In Leipzig beschloß eine Arbeiterversammlung, in der alle Richtungen vertreten waren: „sie betrachte es als die Pflicht der deutschen Arbeiter, der Ehre, dem Rechte und der Freiheit des Vaterlandes in allen Fällen, wo diese bedroht seien, ihren Arm zur Verfügung zu stellen“. Im gleichen Sinne wurde in anderen Städten resolviert. Der in Frankfurt a. M. Ende 1863 abgehaltene Abgeordnetentag, der von 500 Abgeordneten besucht war, erklärte sich gegen die Annexion von Schleswig-Holstein an irgend einen deutschen Staat. Der Beschluß zielte gegen Preußen und Bismarck, für dessen Politik damals selbst diejenigen Liberalen nicht einzutreten wagten, die innerlich für eine Annexion an Preußen waren.

Natürlich war Bismarck über diese seiner Politik bereiteten Hindernisse aufs höchste aufgebracht. Er verlangte vom Frankfurter Senat die Auflösung des Sechsunddreißiger-Ausschusses des Abgeordnetentags, dessen Vorsitzender der Stadtrat Siegmund Müller in Frankfurt war. Ferner verlangte er vom Senat das Verbot der Wehrübungen der Frankfurter Jugend. Mit beiden Anträgen fiel er ab. Aber er vergaß dieses Frankfurt nicht. 1866 mußte das „Demokratennest“ dafür büßen, indem er es erst drangsalierte und dann annektierte. Schließlich fand die schleswig-holsteinsche Frage doch die von Bismarck geplante Lösung. Es gelang ihm, den Leiter der österreichischen Politik, Graf Rechberg, gründlich einzuseifen und für seine nächsten Pläne zu gewinnen. Statt der Bundestruppen, die mittlerweile in Schleswig-Holstein eingerückt waren, führten jetzt Preußen und Oesterreich den Krieg gegen die Dänen, die ihnen gegenüber bald unterlagen und genötigt wurden, im Friedensschluß Schleswig-Holstein und Lauenburg an Preußen und Oesterreich abzutreten. Oesterreich machte schließlich mit Preußen noch ein Handelsgeschäft, indem es seinen Anteil an Lauenburg für 2-1/2 Millionen Taler an Preußen verkaufte. Der Krieg war von Bismarck gegen den Willen der Abgeordnetenkammer geführt worden, die mit 275 gegen 80 Stimmen die geforderte Kriegsanleihe verweigert hatte. Man kann sich vorstellen, daß diese Art zu regieren die Stimmung für Preußen nicht stärkte, die im übrigen Deutschland noch verschlimmert wurde, als nach langen Verhandlungen zwischen Preußen und Oesterreich der Vertrag von Gastein, 14. August 1865, bekannt wurde, nach dem die Verwaltung von Schleswig an Preußen und jene von Holstein an Oesterreich fiel. Das war der zweite Meisterstreich Bismarcks, der damit den Keil zwischen Oesterreich und dem Bunde immer tiefer trieb. Allerdings bot sich jetzt der Welt das heitere Schauspiel, daß die Preußen unter Manteuffel alle Demonstrationen zugunsten des Augustenburgers in Schleswig rücksichtslos unterdrückten und überhaupt ein sehr strenges Regiment führten, wohingegen die Oesterreicher unter dem General v. Gablenz in Holstein allem freien Lauf ließen. Wie Gablenz seine Aufgabe auffaßte, zeigt seine Aeußerung: „Ich werde die bestehenden Landesgesetze beachten, damit kein Holsteiner bei meinem eventuellen Wegziehen von hier sagen kann, ich habe rechtlos regiert. Ich will hier im Lande nicht als türkischer Pascha regieren.“ Das war eine moralische Ohrfeige für Herrn v. Manteuffel.

Daß die neue Ordnung in den Herzogtümern nur ein Provisorium sein konnte, war klar. Diese Lösung war keine. Schließlich mußte die Auseinandersetzung zwischen Preußen und Oesterreich kommen, und die konnte, nachdem alle übrigen Faktoren ausgeschaltet waren, nach Bismarcks Ansicht nur durch einen Krieg erfolgen. Auf diesen arbeitete er nun systematisch hin. Auf der einen Seite suchte er sich durch dilatorische Verhandlungen, wie er sie später nannte, Napoleons Neutralität durch Versprechungen auf eventuelle Abtretung deutschen Gebiets an Frankreich zu sichern – die Rheinpfalz und das preußische Saarrevier standen bei den Unterhandlungen in Frage —, andererseits schloß er mit Italien ein Abkommen, wonach es im gegebenen Falle Oesterreich im Süden angreifen sollte, sobald Preußen von Norden losschlagen würde. Bezeichnend für die Art, wie Bismarck seine „nationale“ Politik durchzusetzen suchte, sind die Verhandlungen mit den italienischen Staatsmännern, die später der italienische Ministerpräsident La Marmora in seinem Buche „Mehr Licht“ veröffentlichte. Im März äußerte Bismarck gegen den italienischen außerordentlichen Militärbevollmächtigten in Berlin: der König habe die allzu ängstlichen legitimistischen Skrupel aufgegeben. Er hatte Bedenken, sich mit dem durch Kronenraub und Annexionen groß gewordenen Italien zu verbinden, auch wollte er aus legitimistischen Bedenken keinen Krieg gegen Oesterreich führen. In einigen Monaten, so fuhr Bismarck fort, werde er die Frage der deutschen Reform, verziert mit einem Parlament, aufs Tapet bringen, mit diesem Vorschlag Wirren hervorrufen, die dann Preußen in Gegnerschaft mit Oesterreich bringen würden, worauf es zwischen beiden zum Kriege kommen werde.

Dieses Programm wurde prompt ausgeführt.

Am 3. Juni berichtete der italienische Gesandte in Berlin, Govone, seiner Regierung, Bismarck habe ihm gegenüber geäußert: „Ich bin viel weniger Deutscher als Preuße und würde kein Bedenken tragen, die Abtretung des ganzen Landes zwischen dem Rheinufer und der Mosel an Frankreich zu unterschreiben: Pfalz, Oldenburg, einen Teil des preußischen Gebiets.“ … „Sorge mache ihm der König, der das religiöse, ja abergläubische Bedenken habe, er dürfe die Verantwortung für einen europäischen Krieg nicht auf sich laden.“

 

Die Darlegung der Zettelungen, die Bismarck mit Italien führte, um durch Anstiftung revolutionärer Erhebungen in Ungarn und Kroatien Oesterreich zu schwächen und die Heeresteile aus den erwähnten Ländern zum Abfall von der österreichischen Armee zu bringen, will ich im einzelnen nicht schildern. Diese Vorgänge zeigen, daß hoch- und landesverräterische Unternehmungen gerade gut genug waren, um Bismarck zum Ziele zu führen, und Hoch- und Landesverrat nur dann Verbrechen sind, wenn sie von unten ausgehen. Preußen und Italien verständigten sich, daß die Kosten für diese revolutionären Erhebungen von ihnen gemeinsam getragen werden sollten. Ueberflüssig zu sagen, daß Oesterreich nunmehr seine Lage erkannt hatte und Gegenmaßregeln traf. Gegen Ende März begann das diplomatische Spiel lebhaft zu werden. Man begann sich beiderseitig mit Vorwürfen zu traktieren und – rüstete. Am 9. April stellte Preußen seinen Bundesreformantrag in Frankfurt a.M. Es beantragte, die Bundesversammlung wolle beschließen, eine aus direkten Wahlen und allgemeinem Stimmrecht der ganzen Nation hervorgegangene Versammlung für einen näher zu bestimmenden Tag einzuberufen, in der Zwischenzeit aber, bis zum Zusammentritt derselben, sollten die Regierungen die Vorlagen für eine Reform der Bundesverfassung untereinander feststellen.

Diesem Reformvorschlag wurde erklärlicherweise in weiten Kreisen mit intensivem Mißtrauen begegnet. Man sagte sich: Wie kommt Bismarck dazu, sich für ein deutsches Parlament auf Grund des allgemeinen, direkten Wahlrechts zu erklären und sich als radikalen Reformator aufzuspielen, er, der in Preußen im Widerspruch gegen die klaren Bestimmungen der Verfassung regiert, der die berüchtigten Preßordonnanzen, die Führung des Schleswig-Holsteinschen Krieges wider den Willen der Kammer, die eben erst getroffene Entscheidung des Obertribunals über den Artikel 84 der Verfassung, betreffend die Redefreiheit der Abgeordneten, und vieles andere auf dem Gewissen habe? Der Widerstand, den der preußische Reformvorschlag fand, veranlaßte im April die „Kreuzzeitung“, zu erklären, es bleibe nur eine Alternative: Bundesreform oder Revolution. In Wahrheit war es Bismarck mit seinem Vorschlag eines gesamtdeutschen Parlaments nicht Ernst, wie das sein späterer Parlamentsvorschlag an den Bundestag zeigte. Aber er dachte auch nicht einmal daran, die südwestdeutschen Staaten darin aufzunehmen, wie sich nachher herausstellte, als es sich um die Gründung des Norddeutschen Bundes handelte.

Zum Ueberfluß ist dieses durch die Denkwürdigkeiten des Fürsten Hohenlohe bestätigt worden. Bismarck sah damals in der großen Mehrzahl der Süddeutschen heterogene Elemente, die ihm seine Zirkel stören könnten. Erst die Wahlen zum Zollparlament und die Aufnahme, die der Krieg von 1870/71 in Süddeutschland fand, beseitigten seine Befürchtungen.

Das Vorgehen Bismarcks in der schleswig-holsteinschen und der deutschen Frage wirkte auf die Liberalen zersetzend; sie wurden in zwei Lager getrennt. Die einen sympathisierten mit seinem Vorgehen, die anderen konnten ihm seinen inneren Konflikt in Preußen nicht verzeihen und opponierten. Twesten schrieb Anfang Oktober 1865 an den Vorsitzenden des Sechsunddreißiger-Ausschusses: „Wir – er sprach also im Namen von mehreren – ziehen jede Alternative einer Niederlage des preußischen Staates vor.“ Das hieß also: Siegt Preußen im Kampfe um die Vorherrschaft in Deutschland selbst mit Hilfe des Auslandes und unter Preisgabe deutschen Gebiets, wir stehen zu Preußen. Das war das Bismarcksche: „Ich bin mehr Preuße als Deutscher!“ Mommsen meinte: Die Differenzen in Freiheitsfragen seien kein Grund, daß man Bismarck nicht in seiner auswärtigen Politik unterstütze. Und Ziegler, der Steuerverweigerer von 1848, der des Hochverrats angeklagt, zu Festung verurteilt und als Oberbürgermeister von Brandenburg gemaßregelt worden war, erklärte kurz vor Ausbruch des Krieges vor seinen Breslauer Wählern: Das Herz der preußischen Demokratie ist, wo die Landesfahnen wehen. Ziegler war ein merkwürdiger Herr. So hatte er einige Monate zuvor in einer Rede im preußischen Abgeordnetenhaus seinen Parteigenossen ein drastisches Zitat aus einer Rede Marrasts, der im Februar 1848 Mitglied der provisorischen Regierung in Paris wurde, an den Kopf geworfen, indem er ihnen zurief: Die Perversität ist euch vom Unterleib ins Gehirn gestiegen, ihr könnt nicht mehr denken.

Der Nationalverein suchte durch eine Generalversammlung, die er für Ende Oktober 1865 nach Frankfurt a.M. berief, in seiner Art ebenfalls der Bismarckschen Politik zu Hilfe zu kommen. Er erntete freilich keinen Dank. Bismarck war über diese Absicht so aufgebracht, daß er die österreichische Regierung veranlaßte, mit ihm eine Note an den Frankfurter Senat zu schicken, in der beide das Verbot der Generalversammlung forderten, ein Schritt, den nur ein Mann unternehmen konnte, der nicht mehr Herr über seine Nerven war. Der Senat lehnte auch diese Forderung ab, und die Generalversammlung fand statt. Die Beschlüsse besagten: Der Nationalverein bestätige seine früheren Beschlüsse, wonach er eine Zentralgewalt und ein Parlament mit der Reichsverfassung von 1849 als Ziel erstrebe und die Zentralgewalt an Preußen übertragen sehen wolle. Für Schleswig-Holstein fordere er das Selbstbestimmungsrecht mit der Einschränkung, daß, solange keine deutsche Zentralgewalt vorhanden sei, es die für eine Zentralgewalt notwendigen Attribute an Preußen übertrage. Ferner solle eine Landesvertretung der Herzogtümer einberufen werden. Nach heftigen Debatten wurden diese Anträge mit großer Mehrheit angenommen. Jedenfalls lag in diesen Beschlüssen ein großes Entgegenkommen gegen Preußen. Weiter konnte vorerst der Nationalverein nicht gehen.

Als dann die Möglichkeit eines Krieges zwischen Oesterreich und Preußen immer mehr in den Vordergrund rückte, ging das Bestreben der Liberalen dahin, die Neutralität der Mittel- und Kleinstaaten durchzusetzen, denn sie sagten sich, daß diese im Kriegsfall wohl in ihrer großen Mehrheit auf österreichischer Seite stehen würden.

In Sachsen drehten die Liberalen sogar den Spieß um und machten die sächsische Regierung für den eventuellen Ausbruch eines Krieges verantwortlich; sie verlangten Abrüstung und Anschluß an Preußen. Die Leipziger städtischen Behörden schlossen sich durch Beschluß vom 5. Mai dieser Auffassung an. Dagegen protestierte eine von 5000 Personen besuchte Volksversammlung, die Professor Wuttke und seine nächsten politischen Freunde, unterstützt von den Lassalleanern Fritzsche usw., für den 8. Mai einberufen hatten, eine Einberufung, der wir uns anschlossen. Der Lassalleaner Steinert präsidierte. Wuttke hielt die erste Rede. Er protestierte gegen das Vorgehen von Stadtrat und Stadtverordneten und forderte in einer Resolution die Regierung auf, die Verteidigungsmaßregeln auszudehnen und allgemeine Volksbewaffnung zum Schutze des Landes einzuführen; ferner solle die Regierung sich schleunigst der Hilfe ihrer Bundesgenossen versichern und beharrlich jeder Sonderstellung Preußens in Schleswig-Holstein wie im übrigen Deutschland entgegentreten.

Diese Resolution war uns zu schwächlich. Ich nahm also das Wort und begründete folgende von Liebknecht und mir vereinbarte Resolution:

1. Die gegenwärtige drohende Lage Deutschlands ist durch die Haltung und das Vorgehen der preußischen Regierung in der schleswig-holsteinschen Frage provoziert, zugleich aber auch die natürliche Konsequenz der Politik des Nationalvereins und der Gothaer für die preußische Spitze. 2. Eine direkte oder indirekte Unterstützung dieser undeutschen Politik betrachten wir als eine Schädigung der Interessen des deutschen Volkes. 3. Dieses Interesse kann nur gewahrt werden durch ein aus allgemeinen, gleichen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervorgegangenes Parlament, unterstützt durch allgemeine Volkswehr. 4. Wir erwarten, daß das deutsche Volk nur solche Männer zu seinen Vertretern erwählt, die jede erbliche Zentralgewalt verwerfen. 5. Wir erwarten, daß im Falle eines deutschen Bruderkriegs, der nur dazu dienen kann, deutsches Gebiet dem Ausland in die Hände zu spielen, das deutsche Volk wie ein Mann sich erhebt, um mit den Waffen in der Hand sein Eigentum und seine Ehre zu vertreten.

Der Stadtverordnetenvorsteher Dr. Joseph versuchte Stadtrat und Stadtverordnete zu rechtfertigen, ihm antworteten scharf Liebknecht und Fritzsche. Die Wuttkesche Resolution wurde gegen eine Minorität, die meinige einstimmig angenommen.

Die Leipziger liberale Presse brachte die verlogensten Berichte über jene Versammlung, was die Arbeiter der Offizin von Giesecke & Devrient so empörte, daß sie die betreffende Nummer der „Mitteldeutschen Volkszeitung“ feierlich verbrannten. Das Leipziger Beispiel fand vielfach Nachfolge. So sprach sich unter anderem der Arbeitertag des Maingauverbandes, der am 13. Mai unter Professor Louis Büchners Vorsitz tagte, im gleichen Sinne aus.

In dieser Situation glaubte man im Sechsunddreißiger-Ausschuß des Abgeordnetentages Preußen zu Hilfe kommen zu müssen. Derselbe berief auf den ersten Pfingstfeiertag einen Abgeordnetentag nach Frankfurt a.M. Die Frankfurter Demokratie beschloß, auf denselben Tag eine Gegendemonstration zu veranstalten, zu der aus Sachsen Wuttke und ich eingeladen wurden. Der Abgeordnetentag, von zirka 250 Abgeordneten besucht, wurde vom Vorsitzenden des Sechsunddreißiger-Ausschusses eröffnet. Herr v. Bennigsen wurde Präsident. Unter den Anwesenden war auch Bluntschli, der durch sein Vorgehen in den vierziger Jahren in der Schweiz gegen Weitling keinen guten Namen hatte. Ferner war anwesend der alte Geheimrat Welcker, der, obgleich er für die preußische Spitze schwärmte, über die Bismarcksche Politik so erbittert war, daß er, wie damals die Zeitungen meldeten, die sonderbare Preisfrage gestellt hatte, wie eine verderbliche Regierung ohne das Mittel der Revolution entfernt werden könnte? Die bekannte Frage: Wie wäscht man den Pelz, ohne ihn naß zu machen?

Unter den Zuhörern der Verhandlungen befanden sich unter anderen die Achtundvierziger Amand Goegg, August Ladendorf und Gustav Struve. Letzterer war eine hagere, hoch aufgeschossene Gestalt mit einer Fistelstimme und einer merkwürdig roten Nase, obgleich er ein Gegner des Alkohols war. Ich hatte mir den ehemaligen Führer aus der badischen Revolution etwas anders vorgestellt, machte aber bald die Entdeckung, daß wie es mir mit Struve, es anderen Leuten mit mir erging, die auch ganz andere Vorstellungen von meiner Person hatten.

Dr. Völck-Augsburg, der später den Spitznamen die Frühlingslerche erhielt, weil er im Zollparlament jubilierend verkündete: es will in Deutschland Frühling werden, war Referent. Er begründete folgende Resolution der Mehrheit des Sechsunddreißiger-Ausschusses:

* * * * *

Der Sieg der Waffen hat uns unsere Nordmarken zurückgegeben. Ein solcher Sieg würde in jedem wohlgeordneten Reiche zur Erhöhung des Nationalgefühls gedient haben. In Deutschland führte er durch die Mißachtung des Rechts der wiedergewonnenen Länder, durch das Streben der preußischen Regierung nach gewaltsamer Annexion und infolge der unheilvollen Eifersucht der beiden Großmächte zu einem Zwiespalt, dessen Dimensionen weit über den ursprünglichen Gegenstand des Streites hinausreichen.

Wir verdammen den drohenden Krieg als einen nur dynastischen Zwecken dienenden Kabinettskrieg. Er ist einer zivilisierten Nation unwürdig, gefährdet alle Güter, welche wir in fünfzig Jahren des Friedens errungen haben, und nährt die Gelüste des Auslandes.

Fürsten und Minister, welche diesen unnatürlichen Krieg verschulden oder aus Sonderinteressen die Gefahren desselben erweitern, machen sich eines schweren Verbrechens an der Nation schuldig.

Mit ihrem Fluche und der Strafe des Landesverrats wird die Nation diejenigen treffen, welche in Verhandlungen mit ausländischen Mächten deutsches Gebiet preisgeben.

Sollte es nicht gelingen, den Krieg selbst durch den einmütig ausgesprochenen Willen des Volkes noch in der letzten Stunde zu verhindern, so ist wenigstens dahin zu trachten, daß er nicht ganz Deutschland in zwei große Lager teile, sondern auf den engsten Raum beschränkt werde.

Wir erblicken hierin das wirksamste Mittel, um die Wiederherstellung des Friedens zu beschleunigen, die Einmischung des Auslandes abzuhalten, durch die Heeresmacht der nichtbeteiligten Staaten die Grenzen zu decken und, im Falle der Krieg einen europäischen Charakter annehmen sollte, mit noch frischen Kräften dem äußeren Feind entgegenzutreten.

Diese Staaten haben also die Pflicht, solange ihre Stellung geachtet wird, nicht ohne Not in den Krieg der beiden Großmächte sich zu stürzen. Insbesondere liegt es den Staaten der südwestdeutschen Gruppe ob, ihre Kraft ungeschwächt zu erhalten, um gegebenen Falles für die Integrität des deutschen Gebiets einzustehen.

 

Es wird Sache der Landesvertretungen sein, wenn sie über Anforderungen zu militärischen Zwecken zu entscheiden haben, diejenigen Garantien von ihren Regierungen zu fordern, welche die Verwendung in der oben ausgesprochenen Richtung und im wahren Interesse des Vaterlandes sichern. Nur hierdurch wird sich die Gefahr abwenden lassen, aus den jetzigen Verwicklungen eine neue Aera allgemeiner deutscher Reaktion entspringen zu sehen.

Wie ein deutsches Parlament allein die Behörde ist, welche über die deutschen Interessen in Schleswig-Holstein zu entscheiden vermag, so ist auch die Erledigung der deutschen Verfassungsfrage durch eine freigewählte deutsche Volksvertretung allein imstande, der Wiederkehr solcher unheilvollen Zustände wirksam zu begegnen. Die schleunige Einberufung eines nach dem Reichswahlgesetz vom 14. April 1849 gewählten Parlaments muß daher von allen Landesvertretungen und von der ganzen Nation gefordert werden.

* * * * *

Der Schwerpunkt dieser Resolution lag in den Abschnitten 5, 6 und 7, nach denen man die Mittel- und Kleinstaaten zur Neutralität in dem Kampfe zwischen Oesterreich und Preußen verpflichten wollte. In einer sehr wirkungsvollen Rede ging der preußische Abgeordnete Julius Freese der Resolution des Ausschusses und den Rednern, die sie verteidigt hatten, zu Leibe, häufig von stürmischem Beifall der Minorität und der Zuhörerschaft im Saale unterbrochen. Ueber die den Mittel- und Kleinstaaten zugemutete Rolle äußerte er:

„Und was würde die Folge sein, wenn die beiden Staaten sich nun gepackt hätten? Wie zwei Hirsche um eine Hirschkuh kämpfen, und die Hirschkuh waffenlos und ruhig dabeisteht, so sollen Oesterreich und Preußen miteinander kämpfen, und das dritte Deutschland soll die milde, sanfte Hirschkuh sein, die dann abwartet, welchem Sieger das Ende des Kampfes sie überweist…. Und er schloß: Nur dann wird Preußen frei, wenn es in Deutschlands Dienste tritt; wenn Sie aber Deutschland in Großpreußen aufgehen lassen, dann sei Gott denen gnädig, die das Regiment sehen, welches dann über Preußen und Deutschland ergehen wird.

Diese Worte lösten langanhaltenden Beifall aus.

Aber neben der Tragik kam auch die Komik zu ihrem Rechte. Mitten in der Rede Völcks donnerten mehrere Kanonenschläge durch den Saal, so daß alles entsetzt aufsprang und nach der Decke schaute, deren Einsturz man befürchtete. Völck selbst schien zu glauben, es handle sich um ein Attentat auf ihn. Mit einem mächtigen Satze sprang er rückwärts von der Tribüne an die Wand, begleitet von einem lauten Gejohle und Händeklatschen auf der obersten Galerie. Die Frankfurter und Offenbacher Lassalleaner hatten unter Führung Oberwinders die Kanonenschläge gelegt, um auf diese Weise ihre Visitenkarte beim Abgeordnetentag abzugeben. Dem Schrecken folgte allgemeine Heiterkeit.

Selbstverständlich wurden die Resolutionen des Ausschusses mit großer Mehrheit angenommen gegen einen Antrag Müller-Passavant.

Am Nachmittag desselben Tages fand dann im Zirkus die von demokratischer Seite einberufene, von etwa 3000 Personen besuchte Volksversammlung statt. Neben anderen Rednern nahm auch ich das Wort.

In der von uns vorgeschlagenen Resolution wurde gefordert:

1. Gegen die friedensbrecherische Politik Preußens den bewaffneten Widerstand, Neutralität ist Feigheit oder Verrat. 2. Schleswig-Holstein solle auf Grund des bestehenden Rechtes seine Selbständigkeit erlangen. 3. Der preußische Parlamentsvorschlag sei unbedingt zu verwerfen, dagegen solle eine konstituierende, mit der nötigen Macht ausgestattete Volksvertretung über die Verfassung Gesamtdeutschlands entscheiden. 4. Einführung der Grundrechte und gesetzliche Einführung der allgemeinen Volksbewaffnung. 5. Das Volk solle überall in Stadt und Land in politischen Vereinen zusammentreten.

Nach Annahme dieser Vorschläge wurde ein Ausschuß niedergesetzt, der ein Programm entwerfen und eine Delegiertenversammlung nach Frankfurt einberufen solle, um endgültig das Programm zu beraten. In den Ausschuß wurden auf Vorschlag von Haußmann-Stuttgart, dem Vater des Reichstagsabgeordneten Konrad Haußmann, gewählt: Bebel, Eichelsdörfer-Mannheim, Goegg-Offenburg, K. Grün-Heidelberg, Kolb-Speier, K. Mayer-Stuttgart, Dr. Morgenstern-Fürth, v. Neergardt-Kiel, Aug. Röckel und Gustav Struve-Frankfurt, Trabert-Hanau, Krämer von Doos, Bayern. Von diesen zwölf bin ich der einzige noch Lebende, allerdings war ich auch der Benjamin der Korona.

Der Ausschuß verfaßte folgendes Programm:

A. 1. Demokratische Grundlage der Verfassung und Verwaltung der deutschen Staaten. 2. Föderative Verbindung derselben auf Grund der Selbstbestimmung. 3. Herstellung einer über den Regierungen der Einzelstaaten stehende Bundesgewalt und Volksvertretung. Keine preußische, keine österreichische Spitze.

B. 1. Wir fordern die Erhaltung des Friedens in Deutschland. Die Kriegsgefahr ist aus der schleswig-holsteinschen Sache entsprungen; beseitigt kann sie nur werden durch die sofortige Konstituierung der Herzogtümer als eines selbständigen Staates auf Grund des Rechtes und des Volkswillens. Die Stimme Holsteins im Bunde muß ohne weiteres in Kraft treten, seine Wehrkraft aufgeboten werden. Keine Verfügung über die Herzogtümer wider den Willen der Bevölkerung; keine Teilung Schleswigs. 2. Gegen die preußische Kriegspolitik ist der Widerstand Deutschlands geboten. Neutralität wäre Feigheit oder Verrat. 3. Kein Fußbreit deutscher Erde darf an das Ausland abgetreten werden. Die Gefahr des Verlustes von deutschem Gebiet und die Schmach einer Einmischung des Auslandes in deutsche Angelegenheiten werden nur dann von uns abgewendet, der Widerstand wird nur dann erfolgreich, die Gefahr eines Sieges an der Seite Oesterreichs nur dann beseitigt sein, wenn die Bundesgenossen im Kampfe keine dynastische, sondern eine nationale Politik verfolgen und ihren Bund auf die volle Wehrkraft, sowie auf die parlamentarische Mitwirkung des Volkes stützen. Die gesetzliche Einführung des Milizsystems ist vor allen Dingen zu verlangen. 4. Der preußische Parlamentsvorschlag ist zu verwerfen; nur eine aus dem Volke hervorgegangene, in voller Freiheit gewählte Nationalversammlung mit entscheidender Stimme und ausgestattet mit der nötigen Macht kann über die Verfassung des Vaterlandes endgültig entscheiden.

Die Einberufung einer Delegiertenversammlung, der dieses Programm zur Beratung unterbreitet werden sollte, mußte unterbleiben, weil mittlerweile der Krieg ausbrach. Nunmehr erließ der Ausschuß folgende Proklamation:

* * * * *

An das deutsche Volk!

Der deutsche Bruderkrieg ist entbrannt. In die Zeit des rohen Faustrechtes ist Deutschland zurückgeworfen. Dies schwerste Verbrechen an der Nation fällt jener Partei in Preußen zur Last, die ruchlos genug ist, den Bruch des preußischen Volksrechtes und des schleswig-holsteinschen Landesrechtes mit der Vergewaltigung von ganz Deutschland krönen zu wollen. In dem Augenblick, wo die staatliche Zukunft Schleswig-Holsteins endlich auf dem friedlichen Wege deutschen Rechtes und deutscher Ehre entschieden werden sollte, ist diese Partei zum Aeußersten geschritten, den ewigen Bund deutscher Stämme zu sprengen und an die Stelle des öffentlichen Rechtes und des Willens der Gesamtheit das Machtgebot des einzelnen zu setzen. In die deutschen Länder Hannover, Kurhessen, Sachsen ist sie eingebrochen wie in Feindesland, und alle deutschen Staaten, die sich ihr nicht fügen, bedroht sie mit gleicher Gewalt. In Preußen selbst stachelt sie das Volk zum Haß gegen Deutschland und spricht ihm von erdichteten Gefahren, von Demütigung, Erniedrigung, Zerstücklung, womit es von Deutschland bedroht sei.