Buch lesen: «Eringus, der Drache vom Kinzigtal», Seite 2

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Magda hat aufgehört zu weinen. Weinte sie doch auch nicht wegen des Schlages, sondern wegen der bösartigen Lüge des jungen Grafen. Du bist so dumm, schimpft Magda in Gedanken mit sich selbst. Was hast du erwartet? Dachtest du, er würde laut jubeln und dich zum Weibe nehmen? Sicher bin ich nicht die Einzige, mit der er sich vergnügte. Was nun?

„Herr, euer Sohn lügt!“, platzt es aus ihr heraus. Magda sucht ihr Heil im Angriff. Nichts mehr hat sie zu verlieren. „Er war hier und eure Frage hat er nicht richtig beantwortet.“ Das hat sie wohl bemerkt, doch setzt sie das Argument falsch und erklärt es nicht weiter.

Damit hat sie des Grafen Gedanken jäh unterbrochen. „Was soll das noch, dummes Balg?“ Zornig steht Graf Guntbert auf und geht auf das immer noch kniende Kind zu. „Mein Sohn lügt nicht. Doch du willst nicht einsehen, dass ich dich und deine Frechheiten durchschaut habe. Ich weiß nun, was ich mit dir tun werde. Der Zufall will´s und ein Mönch ist hier auf der Durchreise auf dem Weg nach dem Kloster droben gen Uulthaha. Dort mag man dich erziehen und Gehorsam und Ehrfurcht lehren. Erst dann sollst du wieder zu mir zurück kommen, damit du deine Schuld abarbeitest.“

„Herr, er hat nicht gesagt, dass er nicht hier war!“, versucht Magda trotzig erneut. Starke Hände heben sie vom Boden und schleppen Sie zur Tür. Auf des Grafen Wink haben Diener das Mädchen gegriffen und bringen es nun in Verschluss.

„Morgen wirst du uns verlassen, um geläutert zurück zu kehren. Mögen die Brüder ein gutes Werk vollbringen.“, ruft er ihr ärgerlich hinterher.

* * * * *

Des Abends hat sich die gräfliche Familie zu Tisch versammelt. Die Dienerschaft bringt die Speisen aus der Küche, die genau unter diesem Raum ist, damit die Hitze des Herdfeuers auch darüber noch für behagliche Wärme sorgt. Eine Auswahl an Fleisch und Fisch und Käse und auch Eintöpfen wird gereicht.

„Mein Sohn, du schuldest mir noch eine Antwort.“, beginnt Graf Guntbert. Sein Mund ist noch nicht ganz leer und er hat die angebissene Hasenkeule in der Hand, die er in Richtung Hermann neigt.

„Was meint Ihr, Vater?“ Auch der Sohn spricht mit vollem Mund.

„Lehrt man dies bei den Boudingern?“, fragt seine Mutter, Gräfin Hildgard, eine zarte und schlanke Frau. Sie trägt einen leinenen grünen Hemdrock mit weiten Ärmeln, die schön verziert sind. Eine dunkler gefärbte Schnur gürtet sie. Ihr strohblondes Haar bekundet ihre nordische Abstammung. Es ist zu einem dicken Zopf gebunden, der über ihre linke Schulter auf die Brüste fällt. Hermann bedenkt sie mit einem gequälten Blick, den sie beschwichtigend mit ihren graugrünen Augen erwidert.

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„Wegen des Bauernmädchens. Warst du hier zum Frühlingsfest?“ Der Vater bleibt hartnäckig.

„Vater, wenn ich in Buodingen war, wie kann ich dann hier gewesen sein?“, erwidert Hermann erneut ausweichend. Hilfesuchend schaut er zu seiner Mutter.

„Auch das ist keine Antwort. So sage mir klar: Wo warst du zur Zeit des letzten Frühlingsfestes? Bedenke bei deiner Antwort, was sich für einen Edelmann, der du werden sollst, geziemt.“ Der Graf hat nun die Keule aus der Hand gelegt und greift mit beiden Händen nach seinem Bier, damit es ihm nicht aus den fettigen Händen rutscht.

„Lass doch die Sache ruh´n.“, mischt sich nun Gräfin Hildgard ein und steht damit ihrem bedrängten Kind zur Seite. „Willst du wegen einer kleinen Bauerndirne so ein Aufheben machen? Wenn er sagt, er war es nicht, dann glaube ihm doch. Oder ist so ein dummes kleines Ding ehrenhafter als dein eigener Sohn? Sie ist das Bruderkind eines unfreien Bauern, dein Eigentum. Selbst wenn Hermann Gefallen an ihr fände, so ist sie doch nur ein Spielzeug. Er kann ihr doch nicht verpflichtet sein. Der zukünftige Herr und die kleine Hure. Wo kommen wir denn da hin?“ Ihr ist das Thema zu wider. Für den Ehrenkodex ihres Mannes hat sie kein Verständnis. Unfreie und Leibeigene sind für sie keine Menschen. Notwendiges Übel, die die Arbeit zu erledigen haben und am Besten alles abgeben, ohne selbst etwas zu benötigen. Dummes Vieh! Ohne eigenen Willen, wenn es nach ihr ginge. Dreckiges Pack und weniger Wert, als die fahrenden Spielleute. Die gingen irgendwann wieder, wenn man sie nicht vorher weg jagte. Die Bauern blieben und machten, wie man jetzt wieder sah, nur Probleme. Sollten sich doch andere darum kümmern.

„Natürlich ist er höheren Wertes. Und doch sollte er wissen, dass er solches nicht tun sollte, auch wenn sie uns gehören.“ Graf Guntbert beharrt auf seinem Standpunkt der Ehrhaftigkeit. Die unfreien Bauern waren abhängig von ihnen, aber sie auch von den Bauern. Er hatte zum Einen keine Lust, sich selbst auf das Feld zu stellen und die schwere Arbeit zu tun und zum Anderen waren es auch Menschen, wenn auch von geringem Stand. Selbst ein gequältes Tier versucht sich zu wehren, wenn es in die Enge getrieben oder in Not gebracht wird. „Es gibt genug Huren, die ihm gerne zu Diensten wären. Doch bei den eigenen Bauern, frei oder unfrei, mag solch Verhalten zu Unruhe und Zorn führen. Wie leicht kann er erschlagen werden, treibt er sich doch so oft allein in der Gegend herum. Des Menschen Stolz ist nicht abhängig vom Stand. Der einfache und dumme Mensch ist oft unverständig. Und vielleicht deswegen auch sehr gefährlich.“ Seine letzten Worte betont er über deutlich. „Selbst dein Großvater hat das zu spüren bekommen, mein Sohn. Du kennst die Geschichte, als sich damals die Leibeigenen gegen ihn erhoben.“

Mit dieser Mahnung lässt der Graf die Sache ruhen. Seine Frau hat den Sohn schon immer in Schutz vor allem genommen. Sicher ist der Junge deswegen auch so verzogen. Der Graf hat es immer weniger vermocht, Einfluss auf seinen Sohn zu nehmen. Zunehmend hat die Gräfin sich um die Erziehung gekümmert und sogar ihn, den Vater, immer mehr verdrängt. Bald schon würde der Junge wieder nach Buodingen gehen. Dort, so hofft die Gräfin, würde er edles Benehmen lernen und eine junge Frau aus gutem Haus finden oder der Familie zu mehr Ansehen bei Hof verhelfen. Dort hegt man gute Beziehungen zu König Chlothar II. Bah, der Wanderkönig und sein Hofstaat. Jeder war froh, wenn die wieder weg waren. Guntbert sah den König bisher nur einmal. Als kleiner Junge wurde seinem Vater die Grafenwürde verliehen und ein gutes Stück Land am Lauf der Chynzych zu Lehen gegeben. Damals war Sigibert I König in seinen letzten Tagen. Ein König kostet nur Geld. Von hohem Ansehen würde er, der Graf, auch nicht reicher werden. Das würde bestimmt nur noch mehr Geld kosten.

Zu später Stunde lässt der Graf noch einen Brief an die Boudinger schreiben und übergibt ihn seinem Meier, er möge ihn baldigst nach dort bringen lassen. Das Verhalten von Frau und Sohn wird zunehmend seltsamer und abweisender ihm gegenüber.

* * * * *

Tage später macht sich Hermann wieder auf den Weg nach Buodingen. Am Vortag bereits hatte sein Vater, in Begleitung von zwei Knechten, die Motte verlassen. Er sei auf der Jagd, hatte er gesagt. Die Satteltaschen des jungen Herren sind gepackt und aufgelegt. Er sitzt schon im Sattel und winkt seiner Mutter zu, als der Meier angerannt kommt. „Junger Herr!“, ruft er im Laufen. „Junger Herr, da wäre noch ein Schreiben eures Vaters. Ich fand bis heute leider keinen, der ihn bringt. Wäret ihr so freundlich, ihn mitzunehmen?“

„Wenn es denn sein muss.“, ist die missmutige Antwort. Wie jeden Brief, den sein Vater bisher nach Buodingen schickte, würde er auch diesen zuvor der Gräfin bringen. Seine Mutter sorgt dann schon dafür, dass ihr Sohn auch weiterhin sein fröhliches Leben genießen kann. Die Vorstellungen und Pläne des Vaters waren noch niemals die der Mutter gewesen. Ehrhaftes Verhalten ist etwas für Narren, doch niemals für jene, die hoch hinaus wollen. Einfluss und Macht bekommt man nicht dadurch, dass man seine Bauern gut behandelt und gute Geschäfte macht. Härte und Strenge für die Niederen, Intrige und Niedertracht den Gleichen und tückische Demut den Hohen, so war ihre Lehre für ihn gewesen. Und danach lebt er auch, wenn er auch nicht wirklich den Sinn von allem versteht.

Nach den Plänen seiner Mutter soll er dereinst großes Ansehen am königlichen Hofe haben. Mehr noch, als Graf Buodo, der sich zwar eigentlich, wie Graf Guntbert, einen Dreck um diese Beziehungen kümmert. Zum Glück denkt seine Frau anders darüber. Ihr ist es wichtig, wie man bei Hofe denkt. Also hat sie eigens zur Lehre des höfischen Lebens einen Lehrer für ihren Sohn in Dienst genommen. Dies hat sich Hildgard zu Nutzen gemacht und lässt Hermann ebenfalls dort lernen, gegen eine geringe Beteiligung an den Kosten. Ist Hermann erst einmal der Graf und nutzt, unterstützt durch seine Mutter, seine Beziehungen, wird das Ansehen steigen und damit lassen sich dann Macht und Einfluss ausdehnen. Findet der Junge dann noch eine Frau aus gutem Hause, mag das den Vorteil nur noch erhöhen. Ehrbares und rücksichtsvolles Verhalten, so hat ihm die Mutter beigebracht, sind dabei fehl am Platze.

So hört Hermann in Buodingen, wie er sich benehmen sollte, doch seine Mutter erklärt ihm, wie er dies zu seinem Nutzen einzusetzen hat. Na gut, was er mit Magda, diesem Bauernkind getan hat, war nicht von Nutzen, doch von sehr hohem Vergnügen. Und das ist Hermann zurzeit immer noch am wichtigsten. Ihm muss man zu Diensten sein, andernfalls nimmt er sich halt, was er begehrt.

„So gebt schon her, Meier.“ Mürrisch greift der junge Graf nach dem gereichten Schreiben. Als er den Brief in Händen hält tut er so, als fiele ihm noch etwas ein. „Oh, das will ich noch.“, spricht er scheinbar zu sich selbst, gilt es doch mehr dem Meier. „Halte das Pferd“, sagt er zu dem Stallknecht, der schon bisher das Tier hielt und steigt wieder vom Pferd. Zügig geht er, vorbei am Meier, zurück ins Haus zu seiner Mutter.

Dabei übersieht er das leichte Grinsen in des Meiers Mundwinkeln. Hatte der doch genau dies erwartet. Er wusste, was hier vor sich ging. Jeden Brief ersetzt die Gräfin durch einen eigenen. Jedes Mal das gleiche Spiel. Dieser junge Fant bildete sich wer weiß was ein. Irgendwann würde er es dem Burschen schon zeigen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Gräfin ihm den Auftrag erteilen würde und der Graf wäre nicht mehr. Wie damals mit der Amme. Diese dumme Alte dachte ein Geschäft machen zu können. Nicht mit denen von Lanczengeseze. Nach angemessener Zeit würde er dann die Gräfin zum Weibe nehmen und Herr über die Ländereien und die Bauern sein. Dann gäbe es für den Jungen nichts mehr zu lachen, oder zumindest nicht mehr für lange. Doch das war dann seine, des Meiers, Sache. Nur durfte er darüber noch nicht reden. Er durfte noch gar nichts. Noch musste er sich fügen. Keiner sollte je davon gewahr werden. Die Gräfin konnte man schon erziehen und falls nicht, … Das Grinsen auf seinen Zügen fror ein. Auf jeden Fall weiß man sich bis dahin Nächtens miteinander zu vergnügen.

„Sicher willst du wissen, was Vater hier wieder zu schreiben hat.“; sagt Hermann und reicht den Brief seiner Mutter Hildgard.

„Ach, als hätte ich es mir nicht gedacht. Ich bin mir sicher, er will immer noch erforschen, wo du zum Frühlingsfest warst. Wie kann er sich darüber nur so unnötig erregen. Das ist die Sache doch nicht wert.“ Sie ist gespielt entrüstet, weiß sie doch schon, dass es dieses Schreiben gibt. Schnell ist der Brief geöffnet. Im Gegensatz zu ihrem Mann hat sich die Gräfin der Mühe unterzogen und von dem Priester auf dem Hofe Lesen und Schreiben gelernt. Guntbert tat immer nur so als sei er dieser Kunst mächtig und es fiel keinem auf, wenn er die Papiere falsch herum hielt. Sie brauchte keinen, der ihre Geheimnisse dadurch erfuhr, dass ihm diktiert wurde. Deshalb hatte sie schon von dem Brief und seinem Inhalt gewusst und den Meier angewiesen, ihn zum Schein auf genau diese Weise weiter zu leiten. So konnte ihr Sohn nichts verraten, der von diesen Abmachungen ebenso wenig wusste, wie sein Vater. Der Junge würde noch früh genug erfahren, wie man im Leben weiter kommt. Bis dahin war er erst einmal nur Mittel zum Zweck. Im Übrigen hatte sie die nötigen weiblichen Mittel zur Verfügung, sich Leute gefügig zu machen. Dies hatte auch Didericus, der Priester, am eigenen Leib erfahren. Nun ist er ihr verfallen und hörig. Manchmal machte dies sogar auch noch Spaß.

„Lieber Buodo!“, liest sie laut. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass zum letzten Frühlingsfest mein Sohn nicht an eurem Hof weilte, sondern hier in der Gegend gesehen worden sein soll. Da hier eine Klage vorgebracht wurde und ich es für meine Pflicht halte, dies eingehend zu prüfen, bitte ich euch, mir entsprechendes mitzuteilen. Ich danke euch für eure Bemühungen und grüße euch herzlichst.

Guntbert von Lanczengeseze“.

Die Gräfin lässt das Schreiben sinken und schaut ihren Sohn an. „Er ist dumm wie seine Bauern, nur reicher.“ Ist es Hass, der aus ihren Worten spricht? Gräfin wurde sie durch Guntbert, doch nun ist ihr Gemahl nur noch ein Hindernis für ihre Pläne und fast zu nichts mehr für sie nütze. Die Vermählung mit dem Grafen war nur einer ihrer Schritte auf dem Weg nach ganz oben. An des Königs Hof will sie. Zuerst glaubte sie, ihren Mann zu solchem Ehrgeiz bringen zu können. Doch dieser war dem König abgeneigt. Nun will sie mittels ihres Sohnes des hehre Ziel erreichen. Wer und was ihr auf diesem Weg in die Quere kommt, wird gnadenlos beseitigt. Gräfin Hildgard ist jedes Mittel recht und jeder wird zu ihrem Werkzeug, der sich von ihr verstricken lässt.

Geliebt hat sie ihren Mann nie. Nur durch Lug und Trug war sie zu seiner Frau geworden. Gut, dass der dumme Kerl damals die frühe Geburt geglaubt hat. Seine Ehre gebot es ihm dann, sie zum Weib zu nehmen. Es hatte sie gutes Geld gekostet, die Amme zu bestechen. Doch das hatte sie sich wieder geholt, als die Alte tot war. Feist, der Meier, hatte ihr diesen Dienst erwiesen. Damit wurde er zwar zu einem kleinen Problem, doch es wird sich sicher noch einer finden, der dies gerne für sie lösen wird. Hermann war nicht Guntberts Sohn. Doch auch das wusste der einfältige grundehrliche Narr von einem Grafen nicht. Und so würde es auch bleiben, dafür würde sie sorgen. Es gab auf dem Hof Männer, die sie wirklich verstanden und die auch gerne taten, was sie verlangte. Eventuell mal die eine oder andere Nacht geopfert war nicht schlimm. Mit deren Hilfe würde schon bald sie über die Ländereien und Bauern herrschen. Mit strenger Hand. Was ihr Mann als Abgaben verlangte, war in ihren Augen viel zu wenig. Die Leute hatten noch viel zu viel Zeit zu feiern. Ihr Sohn würde dann der Graf werden und brav tun, was Mutter ihm sagt. Mit seiner Hilfe soll der königliche Hofstaat in greifbare Nähe rücken. Sie wollte nur noch den rechten Zeitpunkt abwarten, um sich unauffällig des Grafen zu entledigen. Graf Buodo war Guntberts Saufkumpan und seine Beziehungen zum König durfte sie nicht außer Acht lassen. Würde der Verdacht schöpfen und läge der Makel eines Mordes auf ihr, wären all ihre Bemühungen vergebens gewesen. Es durfte keine Nachforschungen geben und nichts, was auf sie hindeuten könnte. Mit der Zeit würden dann auch ihre Helfer irgendwie das Schicksal des Grafen teilen. Es lässt sich immer ein Weg finden. So alt war sie nun auch noch nicht und sicher ließe sich noch so ein junger reicher Emporkömmling im Hofstaat finden, der sie heiraten würde. Den könnte man sich schon erziehen und dann hätte sie noch mehr Geld und Macht. Doch jetzt galt es erst einmal, diesen Schwachsinn zu klären und auch weiterhin die Beziehungen der Grafen zu unterbinden.

Wie jedes Mal nimmt sie Pergament und Feder und schreibt anstatt des Buodingers die Antwort für ihren Mann. Noch nie hatte ein Brief der Männer den anderen erreicht. Dank der Aufmerksamkeit des Meiers.

„Mein bester Guntbert,“, spricht sie während sie schreibt, „wie freue ich mich, von dir zu hören. Es betrübt mich, dass Klage über deinen Sohn Hermann geführt wird. Es ist an dem, dass die jungen Burschen natürlich gerne einmal aus sind, zu jagen. Doch, wie ich mich erinnere, hielten meine Bauern just zu dieser Zeit selbst ein Frühlingsfest, an dem die jungen Herren ein wenig zu tief in die Krüge schauten. Seid versichert, mein lieber Guntbert, jegliche Klage ist eine Lüge. Möge Gott der Herr den Kläger strafen.

So gehabt euch wohl mit Gottes Segen.

Euer Buodo“

Die Gräfin legt die Feder zur Seite und verschließt den Brief. Dann reicht sie ihn Hermann. „Sende dieses Schreiben nach deiner Ankunft nach hier. Dein Vater wird, wie bei den anderen Briefen, glauben, er stamme von seinem Saufkumpanen. Wie gut, dass die Kerle sich nicht mehr sehen können. Buodos Frau weiß wie ich, dies zu verhindern. Nur hat sie sicher andere Gründe als ich.“ Sie lächelt, bei dem Gedanken an das geheime Treffen der Frauen. Sie waren sich einig geworden, dass es nicht zur neuen Religion passe und nicht erlaubt sei, wenn sich die Männer der Trunksucht weiter ergeben würden. Dies musste man verhindern. Gerne hat Buodos Frau ihr zugestimmt, fürchtete jene doch um ihr Ansehen am königlichen Hofe. Das kam Gräfin Hildgard sehr zu pass. Jedes Schreiben zwischen den Männern wurde von Hildgard abgefangen und beantwortet. So war es den Frauen gelungen dafür zu sorgen, dass sich die Grafen seit nunmehr fast vier Jahren nicht mehr gesehen hatten. Es gab ja so viele gräfliche Verpflichtungen, die man genau dann wahrzunehmen hat, wenn der Freund um ein Treffen bittet.

Zufrieden mit ihrem Werk entlässt sie Hermann nach Boudingen in der Sicherheit, alles unter Kontrolle zu haben.

* * * * *

Es dauert doch noch zwei Tage, bis der Mönch sich nach des Grafen Urteil wieder auf den Weg macht. Bis dahin hat Magda auf dem Hof arbeiten müssen. Fegen, Stall ausmisten, Unrat weg schaffen, Jauchegrube lehren und all die Arbeiten, die man nicht gerne macht. Natürlich unter strenger Aufsicht des Meiers, der es sichtlich geniest, sie zu schikanieren. Es gibt für sie keine Möglichkeit, fort zu laufen. Aber wohin denn auch. Ins Dorf kann sie nicht zurück. Ihre Familie würde sie davon jagen. Sicher war auch schon in den anderen Siedlungen das Gerede über sie los gebrochen. Trotz großer Entfernungen gingen Gerüchte um wie ein Lauffeuer. Wovon hätte sie auch leben sollen. Es gibt noch nicht sehr viel in Wald und Flur, das man hätte essen können. Also wartet sie darauf, mit dem Mönch nach Uulthaha zu gehen.

Servatius nennt sich der Bruder. Er ist zu Fuß unterwegs, das Heil zu verkünden und im Auftrag des Bischofs zu Moguntia Orte für neue Klostergründungen zu suchen. Seine braune Kutte ist so staubig, dass selbst Flöhe wohl einen Hustanfall bekommen hätten. Und sie ist so weit, dass sie trotz der Schnur, die sich der Mönch um die Hüften gebunden hat, um den hageren Körper herum schlabbert. Sicher war ein früherer Besitzer weitaus kräftiger im Umfang gewesen, als Servatius. Die Sandalen sind auch bald nicht mehr zu gebrauchen. Das Leder ist spröde und rissig.

Die Sonne steht schon hoch und es ist sehr heiß. Magda schwitzt sehr und auch der Mönch ist nass im Gesicht. Die Kapuze hängt auf seinem Rücken. Die Fliegen sind in dieser Jahreszeit im oft sumpfigen Chynzgebiet ein ständiger Begleiter. In Schwärmen summen sie um die Menschen herum und saugen ihnen das Blut aus. Magda fragt sich, wie schon so oft, was diese Mücken fressen, wenn keine Menschen des Weges kommen.

Das alles bringt Servatius nicht aus der Ruhe. Fröhlich singt er verschiedene Lieder über Gott und Engel und Paradies. Magda hört nicht zu. Sie ist müde und erschöpft. Viel zu essen hat ein Mönch nicht. Ab und zu kann er an einer Hütte klopfen und einen Kanten Brot oder eine Schale Brei erbetteln. Dazu Wasser aus der Chynz und was sich halt so am Wegesrand essbares finden lässt. Dabei ist er nicht wählerisch. Es darf auch schon einmal ein Wurm oder ein Käfer sein. Vielleicht bin ich noch nicht hungrig genug, denkt sich Magda, die es immer wieder überläuft, wenn sie nur an das Knacken der Käfer im Munde des Mönches denkt. Eklig.

„Hast du eine Ahnung, wo wir hier eigentlich sind?“, fragt der Mönch.

Magda blickt sich automatisch um, obwohl sie sich hier überhaupt nicht mehr auskennt. Sie sieht nur Bäume und Sträucher, wie schon die ganzen letzten Tage, seit sie wandern. Früher war sie nie so weit aus dem Dorf gekommen. Wie sollte sie da wissen, wo sie waren. Außerdem hatten sie nur selten die große Handelsstrasse benutzt. Vielmehr waren sie auf vielen Umwegen gewandert, schließlich suchte der Mönch ja nach Orten für eine Niederlassung.

Magda weiß nicht, was für sie schöner wäre. Hier durch den Wald zu laufen oder zu Hause auf dem Feld zu arbeiten. Die Anstrengungen der Bauernarbeit ist sie gewohnt. Das lange Laufen aber tut ihren Füßen weh. Und dazu noch der Singsang des Mönches. Oder seine Vorhaltungen und Ermahnungen ob ihrer bösen Tat.

Sie hat nichts Böses getan. Nur die Wahrheit gesagt. Aber das darf man als Unfreie nicht. Als sie Servatius ihren Standpunkt klar machen will, meint er nur: „Es ist Gottes Wille, dass wir uns in Demut üben, wie es sein Sohn Christus tat. So nimm deine Strafe hin und danke dem Herrn.“

Damit aber stößt er natürlich bei Magda auf Unverständnis. Sie weiß kaum etwas über die Lehre Christi. Das bisschen, das sie bisher gehört hat, erscheint ihr nicht verlockend. Dann lieber die alten Götter der Ahnen.

„Eigentlich“, so meint Servatius, „sehe ich für dich auch keine Strafe. Dein Herr hat es doch sehr gut mit dir gemeint. Natürlich wirst du auch im Kloster schwer arbeiten müssen, so lange du es vermagst. Du wirst vor dem Kloster bei den Bediensteten leben, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang deinen Aufgaben nachkommen, aber du bist auch versorgt. Die Arbeiten dort kennst du schon von deinem Onkel und seiner Frau. Schwere Feldarbeit und Vieh hüten und versorgen. Nichts Neues für ein Bauernkind. Oder, weil du eine Frau bist, in Küche und Haushalt helfen. Waschen, nähen, putzen; alles was du auch bisher schon machen musstest. Sicher wird dort ein Medicus zu finden sein, der dir bei der Entbindung beistehen kann. Du wirst dort viel lernen können über Kräuter oder feine Gemüse und Blumen im Garten. Vielleicht kannst du auch ein wenig Rechnen, Lesen und Schreiben lernen. Damit kann aus dir bestimmt sogar noch etwas werden. Wie wäre es für dich, du gäbest dein Kind an andere Eltern und gingest in ein Frauenkloster? Für´s Leben wohl behütet und versorgt, in Gottes Nähe, stets bereit Gutes deinen Mitmenschen zu tun. Das ist doch sicher ein besseres Leben als das, das du als Unfreie bei deinem Herren je hättest erwarten können. Sieh es doch mal von der Seite und denke darüber nach. Wirklich, Kind, ich glaube, dein Herr will dir mehr helfen, als dass er dich strafen will.“

Magda ist erstaunt. Kann das sein? Ihr Herr will ihr helfen? Wofür? Warum? Ja, es ist richtig; schwer arbeiten ist sie gewohnt. Und auch die Hausarbeiten sind ihr bekannt. Von ihrer Großmutter hat sie auch schon so manches Kraut kennen und nutzen gelernt. Doch was hat der Mönch gestern erklärt, als sie fragte, warum er so oft bete? >Ein frommer Mönch ist ein Vorbild für die Menschen. Ein Leben in Christi heißt Armut und Verzicht und Frömmigkeit. Täglich sieben Gebete, eines des Nachts und sechs tagsüber, seien Pflicht.< Das gilt dann sicher auch für die Nonnen. Auch das mit dem Fasten gefällt ihr nicht so besonders. Wenn es schon was zu essen gibt, braucht sie keinen Fastentag oder zwei in der Woche. Dann will sie jetzt essen; morgen hat vielleicht ein Anderer es weg gegessen.

Aber Magda hatte wieder einmal nicht richtig zugehört. Als Servatius dies erzählte, sprach er von den Regeln für die Mönche. Diese galten aber nicht vollständig für die Bediensteten. Nein, war ihr Schluss, der Herr hatte es bestimmt nicht gut mit ihr gemeint. Bestimmt will der Mönch nur, dass sie auf der langen Wanderschaft keinen Ärger macht, weil sie sich auf ihr neues Leben freut. Nein, ins Kloster will sie nicht. Überhaupt nicht. Schläge wegen Ungehorsam oder Regelbruch bekam sie überall. Dafür braucht sie kein Kloster.

Schweigend gehen sie weiter bis zum Abend. Servatius glaubt, ihr das Leben im Kloster gut dargelegt zu haben, während Magda froh ist, endlich keine wohlgemeinten Sprüche mehr hören zu müssen. Die kommen nun beim Nachtlager.

„Morgen werden wir bei Steinaha sein. Dann haben wir schon ein gutes Stück des Wegs geschafft. Sicher freust du dich schon darauf, ins Kloster zu kommen, doch gedulde dich noch ein wenig. Es wird noch ein schwerer Gang. Immer weiter hinauf in die Höhen.“

Magda gibt keine Antwort und kaut still auf dem alten Brot herum.

„Die Menschen wissen gar nicht, in welch gefährlichen Zeiten sie leben. Dabei gibt Gott der Herr ständig seine Zeichen für alle sichtbar an den Himmel. Da war zum Beispiel vor rund hundert Jahren, es muss wohl zu Beginn von Kaiser Justinian I von Rom gewesen sein, eine Erscheinung am Himmel, die man Pogonia nannte. Kaum nahm Gott dies Zeichen weg, erbebte in Mösien die Erde so heftig, dass sie aufriss und sogar Berge gespalten wurden. 24 Kastelle wurden damals in kurzer Zeit vernichtet. Welche irdische Armee könnte dies vollbringen?

Keine zwanzig Jahre später sendet Gott das Zeichen Lampadia ans Firmament und siehe, in Ancona bricht eine große Hungersnot aus. Bald darauf schickt Gott sein Zeichen nach Gallien und, was soll ich dir sagen, es fällt blutroter Regen. Noch lange danach waren die Hauswände mit Blut befleckt und die Pocken brachen aus.

Im Nordwesten“, er fuchtelt mit seinem Arm in die vermutete Richtung, „haben sie am Himmel eine Lanze gesehen und es dauert nicht lange und es folgt ein Gewitter, wie es vorher noch keine Menschenseele je erlebt hat. Nur zwei Jahre später steht die Lanze über dem Himmel von Konstantinopel und die Erde bebt zehn Tage lang. Danach hat es einen so strengen Winter, dass der zurzeit von König Theudebert I harmlos erschien. Damals war es so kalt, dass die Leute die Vögel mit der Hand fangen konnten. Die Tierchen wollten nicht mehr fliegen. Der Winter war so unsäglich kalt, dass sogar die große und mächtige Donau zufror und Zaberga, dieser Ungläubige, seine Hunnen nach Mösien und Thrakien, ja zum Schluss auch noch bis zu den Hellenen führen konnte.

Gott ist allmächtig. Er sendet seine Warnzeichen und keiner achtet sie. Ist Christus denn umsonst gestorben? Haben die Menschen immer noch nicht gelernt? Die Mönche und Gläubigen, die darum beten, hat der Herr beschützt.“ Voller Inbrunst predigt Servatius.

„Später, Papst Johannes III ist erst wenige Jahre in Amt und Würde, da bricht in der Lombardei und Gallien die Beulenpest aus. Alle Römer und nur die Römer erkranken daran, bis an die alemannischen und bojoarischen Grenzen. Ja, Gott liebt seine Kinder. Er setzt ihnen ein Zeichen, drei Nebensonnen und ein ganzes Jahr lang steht ein Schwert am Himmel, damit sie sich retten können. Dann stürzt er einen Berg in die Rhone, dass das Wasser weit ins Land fließt. Wer trotzdem bleibt, ist nach drei Tagen tot. Es trat eine Stille im Land ein, die es nicht mehr gegeben hat, seit dort Menschen lebten. Die Trauben hingen noch an den Rebstöcken, als die Blätter schon abgefallen waren.

Auch die Westgoten hat der Herr heimgesucht. Ich denke da nur an die Zeit, als eine Leuchterscheinung in Tours mit so lautem Knall explodierte, dass es unvorstellbar weit zu hören war. Es folgt ein Erdbeben und viele Scheunen geraten von selbst in Brand. Ich kann die Liste beliebig fortsetzen, von Wölfen, die wie betäubt in die Stadt rennen und sich tot schlagen lassen, von wilden Stürmen, die Mensch und Tier und größte Bäume und Häuser fort reißen, selbst die Heuschreckenplage, wie zu Zeiten Pharaos, schickt Gott erneut. Auch Überschwemmungen, starken Regen mit Hagel und und und. Stets aber hat Gott der Herr seine Zeichen an den Himmel gestellt, um seine Kinder zu warnen und zu beschützen. Über zehn Jahre währt die Not und nur wenige achten darauf. Wer Augen hat, der sehe, wer Ohren hat, der höre. Welch wahre Worte doch in der Bibel stehen, Magda. Magda?“

Magda ist fest eingeschlafen.

Am frühen Morgen sind sie wieder aufgebrochen. Servatius ist immer noch etwas eingeschnappt, weil Magda ihm am Abend bei seiner doch so wundervollen Predigt nicht zugehört hat und bis jetzt hat er noch kein Wort gesprochen. Selbst seine Gebete verrichtet er in Stille. Wo er doch sonst immer laut betete, damit Magda ihn höre. Was hätte sie das Gerede gestern aber auch interessieren sollen? All die fremden Orte, so weit, und die fremden Namen, die ihr nichts sagten. So lange vor ihrer Zeit. Ach sollte doch dieser Christengott tun, was er wollte. Ihre Götter waren bestimmt stärker. Konnten die doch sogar Riesen besiegen. Und Blitzen und Donnern konnten die auch. Wenn die mal einen Hammer schmissen, bebte die Erde auch und ganze Gebirge stürzten ein. Sie hatte an Göttern, was sie brauchte.

Jetzt fängt der schon wieder an, denkt sie sich, denn Servatius berichtet wieder gar schaurige Geschichten. Doch Magda achtet überhaupt nicht auf das, was der Bruder alles so erzählt. Das hätte sie aber wohl besser tun sollen, denn er spricht von merkwürdigen und absonderlichen Geschehnissen in dieser Gegend. Er sagt, die Menschen hier erzählten von wundersamen Wesen, von Teufeln und Hexen, sogar von einem menschenfressenden Drachen würde gesprochen. Schon unzählige Menschen seien hier in der Nähe in einem Zauberwald verschwunden und niemals mehr wieder gesehen worden. Vom Berg kämen ganz fürchterliche Geräusche, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließen.

All das nimmt Magda nicht zur Kenntnis. Die fürchterliche Vorstellung des Klosterlebens zwingt sie dazu, sich Gedanken über die Zukunft zu machen. Nein, ins Kloster will sie nicht. Die Aussicht auf vielleicht regelmäßiges Essen wird von der Vorstellung der harten Erziehung und Arbeit mehr als aufgewogen. Nein, nein und abermals nein. Doch wo will sie hin. Kein freier Bauer wird sie aufnehmen. Eine vagabundierende Fremde, gar vom fahrenden Volk und in ihrem Zustand. Da gäbe es bald noch ein Balg mit durch zu füttern. Und die Zeiten waren hart für die freien Bauern. Da ging es den Unfreien sehr viel besser. Doch die Herren hier in der Gegend kannten sich und hatten Beziehungen zueinander. Da spräche sich schnell zu ihrem Herren herum, wo sie sich versteckt hielte. Und was ihr dann blühen möge, will sie sich nicht vorstellen. Nein, das kann sie nicht machen. Vielleicht doch auf fahrendes Volk warten. Für einige Zeit könnte sie sich wohl im Wald ernähren. Sie hatte von Großmutter gelernt, was alles essbar war. Bestimmt käme schon bald ein Trupp von Schaustellern, Gauklern oder Musikanten vorbei. Hier war die große Handelsstrasse nach irgendeiner ganz großen Siedlung. Viele von der anderen Seite des Maynes aus Franconovurd fuhren dort hin, um Handel zu treiben. Oft hatte sie aus der Ferne ganze Gruppen von großen vollbeladenen Wagen gesehen. Es waren immer viele Menschen dabei, aus Angst, Räuber würden die reichen Händler überfallen. Oh, was, wenn sie nun bösen Räubern in die Hände fiele? Was würden die mit ihr machen? Gut, wenn sie ihnen vielleicht dienen könnte. Kochen oder so. Schlecht, wenn sie ihr ein Leid antun würden. Auf den Festen in den umliegenden Siedlungen wurde viel erzählt. Manche sollen sogar kleine Kinder auf fressen. Frauen Gewalt antun, war oft noch das harmloseste. Andere wieder sagen, dass das nur ganz arme Kerle seien, die vielleicht zu Unrecht von den Herren verfolgt würden, weil sie angeblich etwas Böses getan hatten. War es etwas Böses, wenn man sich aus dem Teich eines Herren einen Fisch oder aus dem Wald eines Abtes einen Hasen gejagt hat, nur weil man vor Armut Frau und Kinder nicht mehr ernähren kann? Das Recht war bei den Herren und die sagten, dass es etwas Böses ist.

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