Buch lesen: «Hansen», Seite 4

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Dolci

Bonn, April 2019. Die ausgestellten Wurst- und Käsesorten in der gläsernen Verkaufstheke waren so appetitlich hergerichtet, daß ein Kunde gar nicht umhin konnte, einiges davon zu kaufen. Salvatore Contadino stand neben der Kasse und zählte Geldscheine, die er in der Hand hielt. Etwas unwirsch sah er auf, als Hinnerk sein Geschäft betrat. »Einen Moment noch.« Er ging den Stapel zum zweiten Mal durch. Befriedigt schrieb er schließlich eine Zahl auf ein Stück Papier und steckte die Banknoten ein.

»Kleiner Nebenverdienst?« fragte der Hüne freundlich.

Contadino überhörte Beleidigungen grundsätzlich, denn wenn man auf sie einging, gab es nur Ärger, und letztlich zog man den Kürzeren. Vor allem, wenn das Gegenüber so groß war wie der aktuelle Besucher seines Geschäfts. »Sie wünschen?« Sein italienischer Akzent hatte sich in den Jahrzehnten, die er inzwischen in Bonn verbracht hatte, fast völlig abgeschliffen.

»Dolci.« Hinnerk zeigte auf verschiedene kleine Stapel mit Bonbons, von denen ein jedes in buntes Papier eingeschlagen war. »Zweihundertfünfzig Gramm. Gemischt.«

Der Italiener schöpfte mit beiden Händen Bonbons ab und legte sie in die Schale einer alten Waage, die bei »238« stehenblieb. Er warf einen prüfenden Blick auf den Hünen und legte zwei Bonbons dazu. »Zweihundertvierundsechzig«, sagte er. »Einverstanden?«

Hinnerk antwortete nicht, sondern senkte den Kopf nur leicht.

Contadino ließ die Bonbons aus der Waagschale in eine weiße Papiertüte gleiten, faltete diese vorsichtig oben zusammen und schlug die beiden Ecken nach hinten um. »Sonst noch etwas?«

»Zwei Scheiben von dem San-Daniele-Schinken. Und ein Brötchen dazu, aufgeschnitten.«

Mit geübten Griffen legte der Italiener die Keule auf die Maschine und schnitt das Gewünschte ab.

Hinnerk wartete, bis alles eingepackt war, dann sagte er: »Übrigens, ich zahle heute nicht.«

Contadino sah ihn irritiert an. »Non capisco

Der Hüne wechselte mühelos ins Italienische. »Du schuldest meinem Auftraggeber siebzigtausend Euro.«

Contadino wurde blaß. Er wußte sofort, worum es ging. »Aber ich habe doch schon mehrfach gesagt, daß ich das Geld zur Zeit nicht—«

»Und mein Auftraggeber hat schon mehrfach mitgeteilt, daß er mit seiner Geduld am Ende ist.« Hinnerk sah durch die Schaufenster nach draußen. Niemand zu sehen. Nur der übliche bewegliche Verkehr: Zwei Fahrradfahrer fuhren Richtung Bahnhof; sie hatten Kopfhörer auf und bekamen von ihrer Umgebung nur das Notwendigste mit. Ein Taxi hielt kurz, ließ einen Fahrgast aussteigen und verschwand dann in der Straße gegenüber. Ein Bus kam gemächlich um die Ecke und schwankte in der Kurve leicht. Befriedigt wandte sich Hinnerk wieder Contadino zu und fixierte ihn.

»Wir können doch über alles reden, oder?« fragte der Ladenbesitzer und wand sich. »Für den Sommer habe ich inzwischen vierundzwanzig größere Cateringaufträge und—«

»Können wir nicht«, sagte Hinnerk. »Jedenfalls nicht mehr. Mein Auftraggeber—«

»Ich weiß, ich weiß.« Cantadino war verzweifelt. »Der will endlich Geld sehen.«

Fast tat er Hinnerk leid. Aber Mitgefühl hatte er sich nach seinem ersten Mord abtrainiert. Es störte nur im richtigen Leben. Und in seinem Beruf.

»Ich könnte doch eine Anzahlung leisten, die Sie dann mitnehmen.« Der Italiener war wieder ins Deutsche gewechselt, was ihm etwas leichter fiel. Er sah den Hünen bittend an.

»Wieviel denn?« Hinnerk sammelte immer Informationen. Etwas zu wissen, war nie verkehrt. Mal sehen, wieviel dem Mann sein Leben wert war.

»Zweitausend.«

»Lire?« Er konnte auch sarkastisch sein. »Oder doch Euro?«

»Bitte. Ich verspreche auch—«

»Nichts mehr.« Hinnerk zog die Pistole aus der Tasche und schoß zweimal. Die Schüsse folgten so schnell auf einander, daß Contadino, der sofort tot war, erst danach umkippte. Der Schütze lief um die Theke herum, zog das Geldbündel aus der Kitteltasche des Ermordeten, verstreute ein paar Scheine in der Theke, steckte den Rest ein und zog das Schlüsselbund von der Eingangstür ab. Dann drehte er das Schild hinter dem Türfenster auf Geschlossen / Chiuso und verließ den Laden, nicht ohne noch die Bonbons und den Schinken an sich genommen zu haben. Draußen schloß er ab und legte den Schlüsselbund auf den grauen Kasten der Telekom neben dem Geschäft. Zügig marschierte er die Quantiusstraße zurück zum Hauptbahnhof.

Derenthal wischte sich den Schweiß von der Stirn. Egal, ob es heiß war oder noch so kühl wie jetzt im April, er schwitzte immer.

»Du mußt bloß abnehmen«, sagte Roselski, der frisch und munter neben ihm ausschritt.

»Hör du bloß auf.« Derenthal zeigte anklagend auf ein kleines Bäuchlein, das sich unter Roselskis Poloshirt abzeichnete.

»Das ist für schlechte Zeiten«, sagte der jüngere der beiden Streifenpolizisten. »Etwas Fett braucht jeder Mann. Sagt jedenfalls mein Physiotherapeut. Ich bin schlank genug.«

Derenthal schwieg lieber, weil ihm keine sinnvolle Entgegnung auf die Tatsache einfiel, daß sein Kollege anscheinend regelmäßig Sport betrieb.

Die Häuser in der Königstraße hatten sie bereits abgeklappert, jedenfalls in dem Abschnitt, in dem die Kaffeerösterei lag. Niemand hatte etwas Ungewöhnliches gesehen oder gehört, das sich zur Tatzeit gestern abend ereignet haben könnte.

Roselski bog um die Ecke und ging zur Haustür eines der großen gründerzeitlichen Reihenhäuser in der Argelanderstraße. Eigentlich mochte er das Zuckerbäckerwerk der Fassaden, wie Krüger es mal genannt hatte, nicht besonders. Ihm waren zu viele Spielereien dran: Balkons, die vorne eine Reihe Säulen aufwiesen, statt normal hochgemauert zu sein, kleinteilige Fenster mit zig Längs- und Querstreben, Köpfe griechischer Helden als Schmuck, Blumenmuster und so weiter. Und stets waren die Fassaden bunt gestrichen. Rolselski schätzte eine einfache, glatte Häuserwand in Weiß entschieden mehr. Er klingelte.

Sein dicker Kollege trat schnaufend neben ihn. Er pfiff lautstark Dave Edmunds’ I hear you knocking, was es nicht ganz traf.

Nichts tat sich. Roselski sah auf seine Armbanduhr, wartete exakt eine Minute und klingelte erneut.

Schließlich öffnete eine alte Frau und sah die beiden Polizisten fragend an. »Was wollen Sie? Ich hab doch schon vor Weihnachten gespendet. Oder war das vor Nikolaus gewesen?« Sie fixierte über die Köpfe der beiden hinweg eine Stelle auf der anderen Straßenseite.

»Wir sind von der Polizei, gnädige Frau«, sagte Roselski.

Wer sagte denn heutzutage noch gnädige Frau, fragte sich Derenthal. Nur weil der Kollege das vor Jahren mal gelernt hatte, war es heute doch nicht mehr unbedingt richtig. Hallo hätte doch vollkommen gereicht.

»Das ist natürlich etwas anderes«, sagte die Anwohnerin, als klar war, daß kein Geld von ihr erwartet wurde. »Wollen Sie nicht hereinkommen?«

»Nein«, sagte Roselski. »Wir müssen nämlich noch wei—«

»Ja«, unterbrach ihn Derenthal, der auf einen Stuhl und eine Verschnaufpause spekulierte.

»Treten Sie bitte ein.« Sie drehte sich um und ging durch einen kleinen Flur in ein der Haustür gegenüberliegendes großes Wohnzimmer, das auf einen kleinen, sehr gepflegten Garten hinausblickte.

Roselski warf einen Blick auf das Klingelschild, bevor er der Dame folgte. Von Eynatten las er. Derenthal erhielt einen Ellbogenstoß in die Seite, um auch den Namen zu lesen.

»Kaffee?« Frau von Eynatten machte keine großen Worte.

»Gerne«, antwortete Roselski für beide.

Derenthal war so beeindruckt vom Interieur, daß er gar nichts zu sagen wagte. Es sah aus wie in einem teuren Antiquitätenladen oder wie in jeder Adelswohnung: Ein altes Biedermeiersofa stand mit dem Rücken zur Tür, ihm gegenüber zwei Sessel mit gleichem Blumenmusterbezug. An der Wand hingen drei großformatige Ölgemälde, die Herren in Uniform und eine Jagdszene zeigten. Eine andere Wand war mit Bücherregalen vollgestellt, Romane und Bildbände, wie Roselski sah, der nähergetreten war und die Buchrücken las. Außerdem Militärgeschichte.

Die Dame des Hauses kam mit einem Tablett wieder, auf dem drei Kaffeebecher, eine silberne Zuckerdose und ein ebensolches Milchkännchen standen. Sie stellte alles auf dem Glastisch vor dem Sofa ab und bot den Polizisten einen Platz an. Als alle saßen, fragte sie: »Was kann ich denn für Sie tun?«

Derenthal verfolgte durch das große Terrassenfenster den Flug einer Taube, die sich schließlich auf einem Gartenstuhl niederließ. Leise pfiff er Creedence Clearwater Revivals Lookin’ Out My Back Door, bis er von seinem Kollegen einen Stups erhielt.

Roselski sah sich um. »Ein schönes Wohnzimmer haben Sie, Frau von Eynatten.«

Derenthal war sich nicht sicher, ob die Dame gegenüber, die kerzengrade auf dem Sofa saß, Schleimpunkte verteilte.

Sie seufzte. »Wenn Sie wüßten, was meiner Familie mal alles gehört hat: Ländereien, Häuser, ein Schloß – alles untergegangen.«

»War wahrscheinlich ein Wasserschloß«, sagte Derenthal leise mehr zu sich selbst.

Roselski sagte hastig: »Wir sind hier, weil wir Informationen über Andreas Weyler, den Besitzer der Kaffeerösterei nebenan, benötigen.«

»Was ist denn passiert? Die Polizeiautos habe ich ja schon bemerkt.«

Derenthal sagte es ihr.

»Der arme Mann.« Gedankenverloren nippte Frau von Eynatten an ihrem Kaffee. »Aber ich habe mir schon gedacht, daß es mal kein gutes Ende mit ihm nimmt.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Nun, teure Autos, eine bestgekleidete Freundin, die Firma, sein Wohnhaus – das alles kostet Geld. Und ich kann mir nicht vorstellen, daß die Leute so viel Kaffee trinken, daß er davon leben kann.«

»Pro Kopf verbraucht der Deutsche fast sechs Kilo Kaffee im Jahr.« Roselski hatte sich mit der Frau von der Buchhaltung unterhalten und eine kleine Broschüre bekommen, die neben der Firmengeschichte auch Statistiken enthielt.

»Bei dreihunderttausend Einwohnern in Bonn sind das eintausendachthundert Tonnen Kaffee, die Weyler im Jahr verkauft.« Kopfrechnen beherrschte Derenthal, wie alle Vertreter seiner Generation.

Frau von Eynatten sah ihn strafend an. »Sie können aber nicht die Babys und Kleinkinder mitrechnen.«

Roselski grinste. »Nun ja, wenn wir die abziehen, bleibt es trotzdem bei dieser Mindestzahl – Weyler wird schon in Gesamtdeutschland Kaffee vertrieben haben und nicht bloß in Bonn.«

»Wie dem auch sei«, die Dame des Hauses änderte ihre einmal gefaßte Meinung nicht, »ich denke nicht, daß das Geld für seinen Lebensstil gereicht hat. Vielleicht hat er ja einen stillen Teilhaber gehabt.«

»Wissen Sie mehr darüber?«

»Nur, daß manchmal ein dunkelblauer BMW mit Hamburger Kennzeichen vor der Firma stand.«

»Ist doch logisch.« Derenthal war zufrieden, daß er auch einmal mit einer Information zur Unterhaltung beitragen konnte. »Der Kaffee wird doch über Hamburg importiert. War wahrscheinlich ein Geschäftspartner.«

Roselski überging die Bemerkung seines Kollegen. »Haben Sie den Fahrer denn mal gesehen?«

Frau von Eynatten schüttelte den Kopf. »Nie.«

»Wissen Sie etwas über Weylers Baupläne?« Derenthal sah sie gespannt an.

»Nur, daß er sein Lager nach rechts erweitern wollte, teilweise in unsere Gärten hinein. Aber es ging ihm nur um zwei, drei Meter auf den Nachbargrundstücken.«

»Waren Sie denn bereit, ihm ein paar Quadratmeter abzugeben?« Roselski machte sich Notizen.

»Schon, aber die Nachbarn nicht. Mir wird ja die Gartenarbeit immer schwerer.«

»Also ging es um Weyler und Sie gegen die Nachbarn?«

»Eigentlich nur gegen einen einzigen. Den anderen war das Ganze egal.«

»Wie heißt er denn, der Nachbar?«

»Diepensiefen. Der Bruder der Buchhalterin in Weylers Firma.«

Keiner wäscht reiner

Bonn, April 2019. Wie üblich meldete sich Krügers Mobiltelefon mit den Klängen von Geige und Schlagzeug. Das Wort Handy versuchte er nach Möglichkeit zu vermeiden, weil er es falsch und albern fand. Und Telefon altmodisch und korrekt mit ph zu schreiben, sah entschieden besser aus als mit ohne. Vor allem konterkarierte er damit die Möglichkeiten dieser technischen Errungenschaft, bei der das gesamte Wissen der Welt samt Bildern und Tönen jederzeit zur Verfügung stand und auf die nur ein Kunstwort des einundzwanzigsten Jahrhunderts paßte.

Miss Marple krächzte etwas, jedenfalls die Titelmelodie der Filme, was an der Tatsache lag, daß Carmen das Handy versehentlich einmal mitgewaschen hatte. Der Buchstabe e bei der Abfassung einer SMS ging seitdem nicht mehr, was Krüger jedes Mal an Georges Perecs Roman Anton Voyls Fortgang erinnerte, der vollständig ohne das E ausgekommen war, im französischen Original wie in der deutschen Übersetzung.

»Ja, ich bin’s«, sagte er etwas genervt.

Seine Kollegen, die wußten, wen sie anriefen, trieben ihn seit Jahren mit der Anfangsfrage eines Anrufs – »Krüger, bist du’s?« – zur Weißglut.

»Also, hast du etwas herausgefunden?« fragte er. Er hörte zu und schrieb mit der Rechten einige präzise Stichworte mit. Danach steckte er das Handy wieder ein.

Schneider hatte die über den Lautsprecher des Telefons gut zu vernehmende Stimme sofort erkannt. »Helfen hier Haralds heutige Herausfindungen?« fragte er gestelzt, um mit dieser sprachlichen Volte Krüger eine Freude zu machen.

Sein Freund jedoch konnte durchaus Blicke abfeuern, die einen Stapel Papier in Brand setzen würden. »Überlaß mal die guten Alliterationen den Fachleuten, Carmen als studierter Germanistin zum Beispiel. Um deine Frage zu beantworten: Hat er. Kaul findet immer etwas.« Er schwieg und trank einen großen Schluck aus der inzwischen zweiten Tasse Kaffee im »Lammé-Goedzak«. Das Herz mußte da durch, fand er. Man wuchs an seinen Herausforderungen.

Das alte Spiel mit Kunstpausen langweilte Schneider schon längst. Er sagte gar nichts, sondern wartete einfach. Irgendwann würde sein Freund wohl weiterreden.

Krüger aber füllte Zeile um Zeile im Notizbuch. Dann sah er auf und sagte: »Fünf Worte mit h hintereinander – das geht gar nicht. Haben hässliche Hasen Haßgefühle? Das ist ja noch einigermaßen sinnvoll, aber …« Er verstummte und sah an die Decke des Restaurants. »Warte mal.« Gedankenverloren steckte er die Kappe des Füllers in einen Mundwinkel und begann, darauf herumzukauen. Schließlich nahm er sie wieder heraus und fuhr fort. »Bei häßliche Hasen fällt mir die Buchhalterin—«

»Na, na«, sagte Schneider. »Das kannst du heutzutage nicht mehr sagen und denken schon gar nicht. Genderbashing und so.«

»Ich wollte dir nur meinen Einfall erklären«, verteidigte sich der Kriminalhauptkommissar und redete sich in Fahrt. »Versteh doch, wenn irgendeine der Frauen aus der Firma sich Hoffnungen auf einen Statuswechsel gemacht hat, indem sie zur Frau Weyler avanciert wäre, und wenn diese Hoffnungen sich in Staub aufgelöst hätten, sobald Weyler eine Freundin gehabt hätte, deren Existenz er der Firma verschwiegen hätte, und wenn—«

»Was ist das denn für ein Satz?« unterbrach ihn sein Freund ein zweites Mal. »Viel zu verschachtelt. Ihr Hamburger macht doch sonst nicht so viele Worte.«

Krüger lachte. »Du weißt doch, was ich meine. Mordmotiv. Eifersucht. Haß.«

»Ein-Wort-Sätze sind auch nicht besser.«

»Ich springe jetzt mal über meinen Schatten.«

Schneider sah seinen Freund neugierig an.

»Ich werde ab sofort für den Rest der Ermittlungen Grammatik-, Stil- und Ausdrucksfragen, die sich am Rande der Duden-Legalität und um mich herum bewegen, großzügig ignorieren und mich zur Gänze auf die Festnahme des Täters konzentrieren. D’accord

Der jüngere Kommissar nickte etwas nachlässig. »Das hast du die letzten drei Jahre in regelmäßigen Abständen auch gesagt. Und was ist passiert? Gar nichts. Du kannst einfach nicht hinter dem Berg halten mit deinen grammatikalen Kenntnissen.«

»Lassen wir das mal. Wir sollten uns auf das weibliche Umfeld des Opfers konzentrieren. Möglicherweise werden wir dort fündig.«

»Und wenn er die Vertreter des schönen Geschlechts nur als Alibi benutzt hat und in Wirklichkeit schwul war?«

Sein Chef war auch schon mal netter gewesen. Kaul starrte das Telefon an, bevor er es in die Halterung zurücksteckte. Dabei hatte er, der beste Computerfachmann im Polizeipräsidium – ab und zu konnte man sein Licht auch unter dem Scheffel hervorholen, fand er –, tatsächlich rasch wichtige Informationen zusammentragen können, wobei ihm wie immer die Trias aus Darknet, Internet und Tor bereitwillig zu Diensten gewesen war.

Andreas Weyler besaß wirklich eine Menge Geld, sorgfältig verteilt auf diverse Konten – ein paar in Deutschland, zwei in der Schweiz und ein besonders dickes sogar auf St. Lucia. Kaul hatte nachschlagen müssen: Die Insel lag in der Karibik und war bei Kreuzfahrtreedereien beliebt. Moment mal. Kreuzfahrten? Da war doch was gewesen. Er klickte sich durch einige Seiten auf dem Bildschirm, bis er das fand, wonach er gesucht hatte. Interessant. Das Schiff mit dem bescheuerten Namen AIDAperla fuhr von Hamburg in die Karibik und steuerte dabei, für einige Reiseteilnehmer bestimmt wichtig, die eine oder andere kleine Steueroase an.

Kaul klickte weiter und überflog die Zahlen auf Weylers Bonner Bankkonto. Hatte ihn seine Erinnerung doch nicht getrogen: Der Mann war doch tatsächlich inzwischen zweimal, 2012 und 2018, mit dem besagten Dampfer unterwegs gewesen und hatte St. Lucia besucht.

Aber wo hatte Weyler das viele Geld denn her? Zwei Komma drei Millionen lautete der letzte Saldo auf einem Konto. Haben natürlich, nicht Soll.

Nach einer weiteren halben Stunde gab Kaul auf, jedenfalls fürs erste. Weylers Konten wiesen ein Knäuel aus Bankverbindungen in alle Himmelsrichtungen und in aller Herren Länder auf – nun, nicht ganz, zumindest in mehrere Länder –, das auf Anhieb nicht zu durchschauen war. Die meisten Bewegungen trugen den Vermerk Wareneinkauf. Daß Kaffee aber beispielsweise in Rumänien angebaut wurde, war Kaul neu.

»Das riecht nach Geldwäsche«, sagte Schneider, der inzwischen den Inhalt von Kauls Anruf mit seinem Freund besprach.

»Da kann gar nichts mehr riechen«, widersprach Krüger, »falls das Geld ordentlich gewaschen worden ist.«

»Krüger!« Auch Schneider konnte drohend gucken. »Er kann’s nicht lassen, oder? Eben hast du noch gesagt—«

»Wirklich, Markus, mich mittels Filmtiteln zu diskreditieren. Ich hätte Besseres erwartet. Außerdem habe ich mich weder stilistisch, noch grammatisch, noch orthographisch geäußert. Versprochen ist versprochen.«

»Ich rede im Fortgang unserer Ermittlungen nur noch mit dir, wenn du von allem Unsinn abläßt.«

»Well, I’ll do my very best

Wider Willen mußte Schneider doch lachen. Dann wurde er wieder ernst. »Wenn wir es tatsächlich mit Geldwäsche zu tun haben, dann können die Kollegen vom KK 22 aber ihre Wochenenden vergessen.«

»Und die vom KK 21 auch.«

»Meinst du denn, daß die Mafia mit im Spiel ist, wir es also mit organisierter Kriminalität zu tun bekommen, wenn wir weiterforschen?«

»Keine Ahnung. Aber es sieht doch danach aus, oder?«

»Du meinst, wegen der Geldbeträge auf Weylers Konto?«

Krüger nickte. »Und mit Kaffee hat die Mafia sicher auch zu tun. Denk nur mal an die vielen Espressi, die sie jeden Morgen ausschenkt.«

»Du hörst einfach nicht auf, oder?« Schneider stand auf. »Ich gehe jetzt und tue noch etwas Sinnvolles.« Der Kriminalkommissar warf seinem Freund einen etwas verärgerten Blick zu und verließ das Lokal.

Krüger starrte ihm verblüfft nach.

Carmen hatte bereits den Tisch gedeckt, als der Kommissar nach Hause kam, etwas stiller als sonst, seine Lederjacke schief über einen der Küchenstühle hängte, wortlos ins Wohnzimmer ging und den Whisky aus der Bar holte. Mit zwei Fingerbreit setzte er sich auf seine Seite des Sofas und griff nach dem Guardian, den sich seine Freundin luxuriöserweise hielt. Die Titelseite beschäftigte sich mit einer weiteren Abstimmungsniederlage der Premierministerin im Parlament und hob die besondere Rolle hervor, die dem Sprecher des Unterhauses dabei zugekommen war. Krüger wünschte sich manchmal auch einen Speaker in seinem Leben, der mittels »Order. [Pause] Order!« jeden zur Räson bringen konnte.

»Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?« Carmen betrachtete ihn mitfühlend.

Krüger täuschte sich vielleicht aber auch. Wahrscheinlich war das nur die Ruhe vor der nächsten Breitseite.

Sie fixierte sein Glas. »Wolltest du sie ertränken? Die Laus, meine ich.«

Seine Laune besserte sich mit jedem ihrer Sätze. Zu zweit zu sein war doch etwas Feines. Und Breitseiten von Carmen lohnten sich, sprachlich wie inhaltlich.

Der Kommissar berichtete von dem Mord an dem Inhaber der Kaffeerösterei, vom Praktikanten und von den anstrengenden Befragungen der Angestellten. Den Besuch im »Lammé-Goedzak« ließ er lieber weg. Dann gähnte er plötzlich.

»Wieder nur Kaffee tagsüber, stimmt’s?«

Krüger nickte nur.

»Ich hab schon mal einen Salat gemacht. Dazu gibt’s Baguette. Ist alles fertig.«

Hungrig, wie er gerade war, würde Krüger alles essen, auch Carmens Vitamine, die sich merkwürdigerweise immer nur in Salaten und anderem Grünzeug aufhielten.

Beim Essen referierte seine Freundin ihren Tag im Sekretariat der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Bonner Universität, ein Tag wie jeder andere.

Ihr Freund war aber mit seinen Gedanken woanders. Unvermittelt holte er sein Notizbuch hervor und blätterte, bis er das Gesuchte fand. Dann fragte er: »Wenn du eine Menge unredlich erworbenes Geld besäßest, wo würdest du es aufheben?«

Carmen legte ihren Kopf schief. »Geld? Natürlich in der Karibik. Also nicht im Wasser, sondern—«

»Schon klar. Würdest du es auf ein dortiges Konto überweisen?«

»Nee, würde ich nicht. Dann könnte man die Transaktion doch rückverfolgen, oder?«

»Könnte man.«

»Ich würde es wahrscheinlich in bar dorthin bringen.«

Krüger notierte sich etwas.

»Und ich hätte es mir zuvor in bar geben lassen. Wegen Rückverfolgen und so.«

Die nächste Zeile folgte.

»Wenn ihr aber Kontenbewegungen in die Karibik findet, würde ich den Geldtransfer heutzutage für legal halten. So blöd ist doch niemand, daß er den Steuerfahndern ein offenes Scheunentor bietet. In der Karibik parkt doch jeder x-beliebige Strohkopf seinen Schotter.«

Carmen konnte Gedanken lesen, das wußte der Kommissar schon lange. Daher erstaunte es ihn auch nicht sonderlich, daß seine Freundin längst von Kauls Untersuchungsergebnissen wußte.

»Das heißt«, sie warf Krüger einen forschenden Blick zu, »ihr wißt von Geld und habt die Konten dazu?«

»Wissen wir und haben wir.«

»Hast du mal überprüft, ob der Röstereibesitzer alles nur geerbt hat?«

Krüger blickte überrascht auf. »Von Eltern oder anderen Erblassern war nirgends die Rede.« Sein Blick verlor sich wieder im Nirwana.

Carmen wußte, daß das ein wunder Punkt war, weshalb sie beschwichtigend eine Hand auf Krügers Unterarm legte.

Aber ihr Freund war heute nicht aus der Ruhe zu bringen. »Wie bei mir vaterlosem Gesellen«, sagte er nur. Nachdenklich sah er sie an. »Manchmal wüßte ich immer noch gerne, wer mein Vater gewesen ist. Mutter hat ja nie etwas gesagt.«

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