Buch lesen: «Teacher Leadership - Schule gemeinschaftlich führen (E-Book)», Seite 2

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Literatur

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Theoretisch- konzeptionelle Perspektiven
Teacher Leadership und Professionalität

David Frost1

Man könnte davon ausgehen, dass die Führungsaufgaben in Schulen vollständig bei den Schulleitungen liegen. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass Führung bei Stellenausschreibungen von Schulleitungen im Mittelpunkt der Stelleninserate steht. Immer mehr wird aber an Schulen die Verantwortung für Führung geteilt. Dies sieht man beispielsweise am Begriff Teacher Leadership. In diesem Beitrag möchte ich eine Vielzahl von Verwendungsmöglichkeiten des Begriffs beleuchten und die Formen der professionellen Praxis, in denen Teacher Leadership praktiziert wird, darstellen. Ich werde dies auch dort tun, wo der Begriff Teacher Leadership gar nicht verwendet wird.

Der Begriff Teacher Leadership hat seinen Ursprung in den Vereinigten Staaten. Er wurde in den 1980er-Jahren zum Merkmal der Professionalisierungsbewegung. Berichte wie «A Nation at Risk» (Gardner et al. 1983) und «Nation Prepared: Teachers for the Twenty First Century» (Carnegie Forum 1986) verdeutlichten den Bedarf an Professionalisierung und die Umsetzung von Instructional Leadership. Forschende wie Judith Warren Little (1988) und Ann Lieberman (1988) konzentrierten sich in ihren Arbeiten auf Teacher Leadership als Schlüsselfaktor für Veränderung. Funktionen und Begriffe wie leitende Lehrperson, Mentorin, Lehrpersonenberater und Meisterlehrerin verbreiteten sich und wurden als Manifestation von Teacher Leadership gesehen. Die nachfolgende Beobachtung zeigt zwanzig Jahre später das Spektrum an Aktivitäten, das, zumindest in den Vereinigten Staaten, als Ausdruck von Teacher Leadership betrachtet wird:

«Seit Mitte der 1980er-Jahre werden Lehrpersonen mit zunehmender Regelmäßigkeit als Akteure von Schul- und Unterrichtsveränderungen betrachtet. Ihre Führungskompetenz wurde auf unterschiedlichste Weise gefördert, von der Beteiligung an Entscheidungsprozessen auf Schul- und Gemeindeebene über die Schaffung spezifischer Führungsrollen im Zusammenhang mit der Professionalisierung von Lehrpersonen und der Verbesserung des Unterrichts bis hin zur Förderung informeller und kooperativer Führungsaufgaben in Teams, als Teil der professionellen Gemeinschaft der Schule und durch Initiativen zur Entwicklung verteilter Führung. Die Vielzahl an Möglichkeiten für die Entwicklung von Teacher Leadership in den letzten Jahren zeigt ein großes Vertrauen in deren Wirksamkeit zur Förderung der Professionalisierung von Lehrkräften und Schulentwicklung.» (Smylie u. Mayrowetz 2009, 277)

In dem im Zitat genannten Startjahrzehnt, den 1980er-Jahren, war Teacher Leadership sowohl in den USA als auch weltweit noch nicht sehr verbreitet. Ich war zu dieser Zeit selbst Lehrer in England und habe den Begriff damals nie gehört. Aber vielleicht ist die Frage der Terminologie gar nicht wesentlich. Produktiver ist es, sich darauf zu konzentrieren, wo und in welchem Ausmaß Lehrkräfte «mit zunehmender Regelmäßigkeit als Akteure von Schul- und Unterrichtsveränderungen betrachtet» werden, um mit Smylie und Mayrowetz zu sprechen.

Die Spannung zwischen Management und Leadership

Der aktuelle Fokus auf Teacher Leadership im internationalen Diskurs (Bangs 2017) ist aus dem Spannungsverhältnis zwischen den Konzepten von Management und Leadership hervorgegangen. Im britischen Bildungssystem gibt es seit mehreren Jahrzehnten ein recht gut entwickeltes System von Schulmanagement. Darin werden Entscheidungsbefugnisse an diejenigen delegiert, die fachbezogen formelle Positionen besetzen, wie zum Beispiel die Leitung der naturwissenschaftlichen Abteilung. In vielen Bildungssystemen konnte in den 1970er- und 1980er-Jahren die Entwicklung von Schulmanagementsystemen beobachtet werden. Beispiele dafür sind Australien (Barcan 2010), Kenia (Atebe 2009) oder Singapur (Dimmock u. Goh 2011). Bei diesen drei Beispielen mögen die kulturellen Verbindungen zum Vereinigten Königreich einen Einfluss gehabt haben. Der Trend zeigt sich jedoch verbreitet auch anderswo. Eine OECD-Studie untersuchte das Bildungsangebot in so unterschiedlichen Ländern wie Griechenland, Japan, Mexiko, Niederlande und Schweden und zeichnete die Entwicklung der Schulführung nach (Shuttleworth 2003). Die Verbreitung von Schulmanagement wird mit Ideen wie «Modernisierung» und «Professionalisierung» verbunden. In einem neueren OECD-Bericht wurden die politischen Verantwortlichen aufgefordert, Schulführungsstrukturen aufzubauen und Anreize wie Karrierestrukturen, in denen Lehrkräfte angesichts der Übernahme von mehr Verantwortung auch mehr Lohn erhalten, zu schaffen (Pont, Nusche u. Moorman 2008). In den letzten Jahrzehnten haben die Regierungen erkannt, dass der Bildung eine Schlüsselrolle für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und beim Aufbau von Nationen zukommt. Die Entwicklungen und schnellen Reformen im postsowjetischen Kasachstan veranschaulichen dies deutlich (Katsu 2014).

Natürlich haben Lehrpersonen im mittleren Management, die damals eingesetzt wurden, durchaus auch Führungs- und nicht nur Verwaltungsfunktionen übernommen. Dies war aber zumindest explizit nicht die Erwartung an sie. Die Einsicht, dass Management nicht unbedingt gleichbedeutend mit Führung ist, wuchs schließlich in den 1990er-Jahren. Beeinflusst wurde sie durch die zahlreicher werdende Literatur über Führung und insbesondere über pädagogische Führung. In den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich, aber auch in Kanada und Australien wurde dazu viel publiziert. Zu den wichtigsten Texten gehören «School Leadership: Beyond Education Management» von Gerald Grace (1995) oder die beiden Bücher von Thomas Sergiovanni (1992, 1996) «Moral Leadership: Getting to the Heart of School Improvement» und «Leadership for the Schoolhouse»2. Diese Autoren griffen auf Ideen und Konzepte zurück, die außerhalb des Bildungswesens diskutiert wurden. Dazu gehörten zum Beispiel die Idee von Servant Leadership (Greenleaf 2012) oder Führung als Kulturentwicklung (Schein 2010). Besonders relevant waren Aussagen, die ein Nachdenken über Führung ermöglichten, wenn diese zum Beispiel erschien als

«Prozess, bei dem intentionaler Einfluss auf Personen ausgeübt wird, um Aktivitäten und Beziehungen in Gruppen oder Organisationen zu lenken, zu strukturieren und zu fördern» (Yukl 2010, 21).

Auch wenn es in diesem Zitat nicht um Schulen geht, ist es dennoch hilfreich, über Führung unabhängig vom organisatorischen Kontext nachzudenken. Natürlich gab es auch Bedenken, ob Führungspraktiken, die im kommerziellen oder militärischen Umfeld funktionieren, für die Führung von Schulen ebenfalls geeignet sind. Solche Bedenken drücken sich beispielsweise im Untertitel von «Leadership for the Schoolhouse – How is it different? Why is it important?» (Sergiovanni 1996) aus. Dennoch wurden viele der Konzepte aus der nichtpädagogischen Führungsliteratur produktiv sowohl in der Forschung als auch im professionellen Diskurs eingesetzt.

Eine der wichtigsten Einsichten, die sich in der Literatur jener Zeit herauskristallisierten, war die Idee, dass das Ziel von Führung nicht einfach die Aufrechterhaltung des Status quo ist. Führung kann und soll auch zu Veränderungen führen. Dies hatte Auswirkungen auf die zunehmende Kritik am anhaltenden Fokus auf Management statt auf Leadership. Das Konzept der transformationalen Führung (Bass 1985, 1999; Bass u. Avolio 1994), das aus den Organisationswissenschaften stammt, ermöglichte die Erkenntnis, dass Führung auf Wandel ausgerichtet sein muss. Michael Fullan, ein kanadischer Wissenschaftler, der seit Anfang der 1990er-Jahre die Debatte um Führung und Wandel vorantrieb, hob in Büchern wie «Change Forces» (Fullan 1993a) und «Leading in a Culture of Change» (Fullan 2001) die Beziehung zwischen Führung und Wandel hervor. Ein anderer kanadischer Wissenschaftler, Ken Leithwood, initiierte Forschung zur Frage, wie ein transformationaler Führungsansatz das Leistungsniveau von Schülerinnen und Schülern beeinflussen könnte (Leithwood u. Jantzi 1990).

Ende der 1990er-Jahre gab es eine Reihe von Publikationen, welche die Bedeutung der Idee verteilter Führung unterstrichen. So schrieb beispielsweise der australische Forscher Peter Gronn über «verteilte Eigenschaften» («distributed properties») von Führung (Gronn 2000). Er hob die Ideen der «conjoint agency» und der «concertive action» hervor. Beides bezieht sich auf die Interaktion und Zusammenarbeit, wie sie sich in der Führung an Schulen zeigt. Dies wurde von Jim Spillane, Kolleginnen und Kollegen in den Vereinigten Staaten aufgegriffen (Spillane, Halverson u. Diamond 2004). Spillane erklärt seinen Standpunkt wie folgt:

«Eine verteilte Perspektive eröffnet eine alternative Art des Denkens über Führung in Schulen, indem sie die Führungspraxis in den Vordergrund stellt und vorschlägt, dass die Führungspraxis in den Interaktionen zwischen Führenden, Geführten und ihren Situationen konstruiert wird.» (Spillane 2006, 26)

Das Thema der verteilten Führung wurde auch in England aufgenommen. Das National College for School Leadership (NCSL), das von der Blair-Regierung Ende der 1990er-Jahre gegründet wurde, hielt es für geboten, das Phänomen der verteilten Führung zu untersuchen, und gab die Ausarbeitung einer Literaturübersicht in Auftrag (Bennett et al. 2003). Die Autoren dieser Studie fanden zwar nur wenige Quellen, die sich explizit zu verteilter Führung äußerten. Gleichzeitig fanden sie jedoch viele verwandte Begriffe wie beispielsweise «Devolved Leadership» oder «Shared Leadership». Trotz des stetigen Wachstums an Forschung und Publikationen zum Thema (z.B. Harris 2004; MacBeath 2005; Spillane 2006) blieb ein konzeptuelles Durcheinander bestehen. Ausgehend vom Bericht von Bennett, Kolleginnen und Kollegen (2003), wurde mehrfach versucht, zwischen verteilter Führung als Strategie, Verantwortung von der Schulleitung auf andere Personen zu verteilen, und verteilter Führung als Beschreibung der Funktionsweisen einer Organisation zu unterscheiden. Die aus meiner Sicht konziseste Erklärung haben Woods und Roberts (2013) in einer animierten Präsentation gegeben.

Distributed Leadership und Teacher Leadership

Das Problem hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen verteilter Führung, wie auch immer sie definiert wird, und Teacher Leadership ist, dass die Führungspraxis an vielen Schulen noch von Managementvorstellungen geprägt ist. Diese Vorstellungen wirken gegen das «Recht, die Fähigkeit und die Verantwortung der Lehrpersonen, Führende zu sein» (Lambert 2003, 422). Hartley bot eine eher zynische Analyse der Entstehung von verteilter Führung als dem dominierenden Merkmal des Diskurses über Schulleitung an, als er deren legitimierende Funktion hervorhob.

«Wie bei anderen Diskursen über Legitimation, wie ‹Empowerment› und ‹Ownership›, scheint der Begriff der verteilten Führung demokratische Prozesse zu umfassen, aber er macht dies wohl nicht (Woods 2004, 22). Verteilte Führungspersonen erreichen ihre Position nicht als Ergebnis einer Wahl – sie werden ernannt.» (Hartley 2007, 205)

Um auf die bereits zitierte Aussage von Smylie und Mayrowetz (2009) zurückzukommen, soll der Fokus auf die Bandbreite der Praktiken, in denen Lehrkräfte als «Agenten der Schul- und Unterrichtsentwicklung» agieren, gerichtet werden. In manchen dieser Praktiken wird der Begriff «Teacher Leadership» gar nicht genannt. In Russland ist es zum Beispiel üblich, Lehrkräfte, die in ihren Schulen und darüber hinaus sehr einflussreich sind, als «aktive Lehrpersonen» zu bezeichnen (Lindemann-Komarova u. Lapham 2013). Ein weiterer Kontext, in dem Lehrerinnen und Lehrer als Agenten des Wandels agieren, ist, wenn sie sich mit Forschung, insbesondere Aktionsforschung, beschäftigen (Somek 2006). Dieser Trend ist in vielen Teilen der Welt zu beobachten. Dies widerspiegelt sich in der Bandbreite der seit den frühen 2000er-Jahren im «Educational Action Research Journal» veröffentlichten Artikel und in Büchern, in denen Lehrkräfte Fallstudien im Rahmen von Aktionsforschung präsentieren. Es gibt noch viele andere Möglichkeiten, aufzuzeigen, wie Lehrerinnen und Lehrer als Agenten des Wandels agieren, sich an der Entscheidungsfindung beteiligen und selbstgesteuert handeln. Aber was in den meisten Berichten über solche Aktivitäten fehlt, ist die Vorstellung von Führung, wie sie hier skizziert wird.

Der Ausdruck «Teacher Leadership» drückt zumindest aus, dass Lehrkräfte Führung so ausüben, wie das Konzept in der Literatur diskutiert wird. Eine Übersicht über die Forschung in den USA bietet das folgende Zitat:

«Nach Aufarbeitung der gesamten Veröffentlichungen schlagen wir vor, dass Teacher Leadership der Prozess ist, durch den Lehrkräfte individuell oder kollektiv ihre Kolleginnen und Kollegen, Schulleitungen und andere Mitglieder der Schulgemeinschaft beeinflussen, um die Lehr- und Lernpraktiken zu verbessern, mit dem Ziel, den Lern- und Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler zu erhöhen.» (York-Barr u. Duke 2004, 187)

Die Schwierigkeit bei solchen Versuchen, ein Phänomen zu definieren, besteht darin, dass sie zwar alles miteinbeziehen, damit aber Gefahr laufen, die Realität, die sich aus vielen verschiedenen einander teilweise widersprechenden Praktiken zusammensetzt, zu überhöhen. Für mich ist die Schlüsselfrage, ob Teacher Leadership nur für wenige auserwählte Lehrkräfte bestimmt ist oder ob sie als eine Dimension der Professionalität jeder Lehrkraft gesehen werden muss.

Teacher Leadership oder Teacher Leaders?

Zehn Jahre vor dem Review von York-Barr und Duke schrieb Michael Fullan einen Artikel mit dem symbolträchtigen Titel «Why teachers must become change agents» (Fullan 1993b). Dieser Aufruf wurde einige Jahre später durch ein Buch mit dem aufrüttelnden Titel «Awakening the sleeping giant» von Katzenmeyer und Moller (1996) aufgegriffen. Der Nutzen von Teacher Leadership wird unter anderem darin gesehen, dass sie eine positive Wirkung auf die Teacher Leaders selbst habe, indem ihr Selbstvertrauen, ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugung und ihr Engagement für den Lehrberuf erhöht werde. Teacher Leadership hat jedoch auch positive Auswirkungen auf die anderen Lehrerinnen und Lehrer. Teacher Leadership unterstützt Lehrkräfte in der Entwicklung ihrer eigenen Fähigkeiten und bei der Verbesserung ihres Unterrichts. Und letztlich hat Teacher Leadership auch positive Auswirkungen auf die Effektivität der Schule, indem das Leistungsniveau verbessert wird (Katzenmeyer u. Moller 1996; York-Barr u. Duke 2004). In der zweiten Ausgabe des Buches von Katzenmeyer und Moller (2009) zitieren sie Linda Lambert:

«Alle Menschen haben das Potenzial und das Recht, als Führungsperson zu arbeiten. Führen ist eine anspruchsvolle und komplexe Arbeit, die von jedem Mitglied der Schulgemeinschaft gelernt werden kann. Demokratie definiert klar die Rechte Einzelner, aktiv an Entscheidungen teilzunehmen, die ihr Leben betreffen.» (Lambert 1998, 9)

Lamberts Erklärung entspricht Fullans Argument, dass Lehrpersonen Akteure des Wandels sein sollten. Dabei stellt sich die Frage, ob Teacher Leadership bedeutet, dass einige oder vielleicht alle Lehrkräfte Führung wahrnehmen können oder ob Führung durch Lehrkräfte mit einer formellen Position oder Funktion und der entsprechenden Auswahl verknüpft werden soll. Zur Klärung dieser Frage betrachte ich im Folgenden drei Ansätze: Der erste Ansatz versteht Teacher Leadership im Sinne von formellen Positionen. Damit verbunden ist auch das Phänomen der professionellen Standards. Der zweite Ansatz verfolgt die Idee von informeller Teacher Leadership, und ein dritter Ansatz basiert auf der Idee von der nichtpositionellen Teacher Leadership.

Teacher Leadership und formelle Positionen

Im Vereinigten Königreich ist der über viele Jahre etablierte Management-Ansatz immer weiterentwickelt worden. Heutzutage haben wir an Schulen nicht nur Positionen wie Abteilungsleitung und stellvertretende Abteilungsleitung, sondern auch Key-Stage-Koordinatorin, Koordinator für Alphabetisierung, Leiterin für Sonderpädagogik und viele mehr. Das National College for School Leadership (NCSL) hat ein Rahmenkonzept zur Führungskräfteentwicklung erstellt (NCSL 2001), das die Benennungen der Funktionen verändert hat: Aus «middle management» wurde «middle leadership». Zudem wurden Programme zur Entwicklung einzelner Stelleninhaberinnen und -inhaber entwickelt (Bush 2008). Das Rahmenkonzept führte auch die Idee der «emergent leadership» ein, die darin besteht, dass Personen in mittleren Führungspositionen sich auf einer Karriereleiter auf dem Weg zu einer höheren Führungsposition befinden.

Später wurde eine Reihe von Maßnahmen entwickelt, um Lehrkräfte dazu zu bewegen, sich weiterzuentwickeln. Diese Maßnahmen bestehen meist in Form verschiedener Gehaltsstufen. Wichtig dabei ist, dass das Ernennungsverfahren stets formell ist und eine transparente Ausschreibung der Stelle inner- und außerhalb der betreffenden Schule beinhaltet. Erfolgreichen Kandidatinnen und Kandidaten wird normalerweise ein unbefristeter Vertrag angeboten. Hier sind einige Auszüge aus typischen Anzeigen auf einer Rekrutierungs-Website im Vereinigten Königreich, zunächst die Ausschreibung einer Middle-Leadership-Position in einer Sekundarschule:

«Sind Sie eine leidenschaftliche Lehrperson für moderne Fremdsprachen mit den Fähigkeiten und dem nötigen Antrieb, eine wachsende Abteilung zu leiten? Eine zukunftsorientierte Sekundarschule in Hackney sucht nach einer talentierten Leitung der MFL – einer festen Vollzeitstelle –, um ein wichtiges Mitglied ihres mittleren Führungsteams zu werden. […]. Die Schule möchte Interessenten kennenlernen, die mit Selbstvertrauen das Beste von den Mitarbeitenden und den Lernenden erwarten, und die andere und sich selbst herausfordern, um nach den höchsten Standards zu arbeiten. Die Schule möchte jemanden mit einem von Natur aus starkem Gespür für Kommunikation und Organisation und einem Verständnis für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler einstellen.»

In dieser Ausschreibung wird explizit die Sprache der Führung verwendet. Fachliche Kompetenz wird vorausgesetzt. Hohe Erwartungen an andere und zwingend vorausgesetzte Führungsqualitäten werden hervorgehoben. Beachten Sie auch, dass es sich um eine Festanstellung handelt, die ein höheres Gehalt als die anderen Stellen für Lehrkräfte mit sich bringt.

Die Ausschreibung einer Middle-Leadership-Position in einer Primarschule lautete:

«Eine führende Primarschule in Brent bietet eine außergewöhnliche Stelle für eine ehrgeizige Primarschullehrperson […]. Haben Sie die Leidenschaft und den Willen, eine Rolle im mittleren Management einer hervorragenden Primarschule zu übernehmen? Verfügen Sie über fundierte Fachkenntnisse im Bereich der Lese- und Schreibkompetenz, und haben Sie den Wunsch, an einer ambitionierten Primarschule eine Rolle in der Führung und im Unterricht zu Literalität zu übernehmen? Können Sie sich vorstellen, in einer neuen Schule den Bereich Lese- und Schreibkompetenz zu leiten und begabten Kindern der 5. Klasse hervorragende Key-Stage-2-Unterrichtsstunden zu erteilen? […] Ein TLR wird angeboten, und die Schule hat das Budget, um MPS oder UPS anzubieten … Die ideale Kandidatin oder der ideale Kandidat hat eine Spezialisierung in Englisch mit einem Hauptinteresse daran, die Lese- und Schreibkompetenz in Key Stage 2 zu leiten.»

Die seltsamen Kürzel, die hier verwendet werden – TLR, MPS, UPS –, beziehen sich auf die verschiedenen Gehaltsstufen. Es handelt sich dabei um national vereinbarte Lohnansätze. Die einzelnen Schulen müssen jedoch ihre eigenen Budgets verwalten, und die Gehälter der Lehrkräfte stellen den größten Posten ihrer Budgets dar. Interessant an diesem Beispiel ist, dass der Begriff «mittleres Management» verwendet wird. Dies weicht von der gegenwärtigen Norm ab, ist aber möglicherweise ehrlicher, da die Rolle ein hohes Maß an Managementaufgaben beinhaltet. Kritische Stimmen würden sagen, dass bürokratische Prozesse der im vorliegenden Beitrag beschriebenen Art von Führungspraxis im Wege stehen kann.

Es ist wichtig zu erwähnen, dass Lehrkräfte in solch mittleren Führungspositionen in England nach wie vor unterrichten und damit der Bezeichnung «Hybrid Teacher Leadership» entsprechen, wie sie in den Vereinigten Staaten gefordert wird (Margolis 2012). Hierbei besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der Notwendigkeit, sich Zeit für Führung zu nehmen, und dem Anspruch, weiterhin eine vorbildliche Lehrkraft im Klassenzimmer zu sein.

Ein amerikanischer Forscher, der das System in englischen Schulen untersuchte, kam zu einem sehr positiven Fazit über das, was er das «Gitter der Schulleitung» nannte:

«Die Geschichte des englischen Systems der Führungskräfteentwicklung ist ein aufschlussreiches Beispiel dafür, wie man die Hebel der Politik nutzen kann, um eine Vision für die Schulleitung zu schaffen, Führung innerhalb von Schulen zu erweitern und zu formalisieren, Modelle für den Aufbau von Führungskompetenzen zu entwerfen, Anreize zur Steigerung der Nachfrage zu schaffen und sorgfältig die richtigen Akzente zu setzen, um die Schulen konstruktiv auf die wichtige Rolle der Führung zur Verbesserung des Lehrens und Lernens auszurichten. Mit diesen Schritten haben die Engländer die Schulführung in die Kernprozesse der Schulentwicklung integriert.» (Supovitz 2015, 5)

Supovitz’ Sichtweise ist auch durch das geprägt, was er aus den Vereinigten Staaten gewohnt ist: relativ flache Organisationsstrukturen mit Schulleitungen, die weiterhin die Last von Instructional Leadership tragen. In den USA variiert zwar die Praxis von einem Bundesstaat zum anderen, aber gerade in High Schools scheint es eine Praxis mit Funktionen wie Abteilungsleitungen zu geben. Es besteht jedoch wenig Klarheit darüber, welche Art von Führung mit diesen Funktionen verbunden ist. Für Supovitz war der Kontrast zwischen den Eindrücken im Vereinigten Königreich und seinen Erfahrungen in den Vereinigten Staaten äußerst aufschlussreich.

«Amerikas Schulen sind immer noch weitgehend so organisiert, wie sie es vor einem Jahrhundert waren – mit einer einzigen Schulleitung, die einer überwiegend Eierkarton-ähnlich strukturierten Abteilung3 (a largely egg-crated faculty) vorsteht […]. Historisch gesehen, haben die amerikanischen Schulen dieses Defizit an Unterrichtsunterstützung mit einem Flickenteppich aus schlecht definierten Rollen und Verantwortlichkeiten behandelt – zu wenig ausgelastete Abteilungsbeauftragte, unpassende Coaching-Modelle und informelle Teacher Leaders, denen im Allgemeinen die Ausbildung und Autorität fehlte, um die Praxis ihrer Kolleginnen und Kollegen zu beeinflussen.» (Supovitz 2015, 1)

Wie bereits erwähnt, ist der Versuch, Teacher Leadership in den Vereinigten Staaten auszubauen, nicht bei den organisatorischen Merkmalen, die Supovitz in England vorfand, stehengeblieben. Die Entwicklung war jedoch eher rollenzentriert. Seit Ende der 1980er-Jahre sind viele verschiedene Arten von Rollen geschaffen worden. In ihrem bahnbrechenden Buch «Awakening the sleeping giant» diskutieren Katzenmeyer und Moller (2009) die Vielfalt der Teacher-Leader-Rollen. Sie zitieren eine Umfrage unter Lehrkräften, die an einem Programm zur Führungskräfteentwicklung in Florida teilgenommen hatten. In dieser Umfrage konnten etwa 170 verschiedene Rollen von Teacher Leadership identifiziert werden (Hewitt-Gervais 1996, zitiert nach Katzenmeyer u. Moller 2001). Welche Art von Rollen sind das, und wie unterscheiden sie sich von denen im englischen System, das Supovitz so bewunderte? Etwa ein Drittel von ihnen waren Abteilungsleitende. Der Rest umfasst eine breite Palette von Rollen, wie zum Beispiel leitende Lehrperson, Lehrberaterin oder Master-Lehrperson. Diese Funktionen sind nicht Teil eines nationalen Systems und oft nicht einmal Teil des Systems eines Bundesstaates, sondern können von lokalen Finanzierungsquellen und lokalen Entscheidungen abhängen. Die Auffassung von Supovitz zum Patchwork-Ansatz wird auch von anderen kommentiert: So meinte beispielsweise Judith Warren Little vor vielen Jahren:

«Diese neu entstehenden Führungsrollen waren mehrdeutig, insbesondere im Hinblick auf die Erwartungen, die Klassenzimmer anderer Lehrkräfte zu betreten oder sich in irgendeiner Weise in die Arbeit einer anderen Lehrkraft einzumischen. (Mentorinnen und Mentoren in Kalifornien wurden beschrieben als Akteure in einem Stück, für das es kein Drehbuch gibt.)» (Little 1988, 92)

Diese Art von kritischen Anmerkungen legt vielleicht die Notwendigkeit einer gewissen Art von Standardisierung nahe, mit Angaben darüber, was Teacher Leaders tun sollten. Ich betrachte dies im nächsten Abschnitt zu Kompetenzen und Standards.

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327 S. 13 Illustrationen
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9783035518153
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