Vor dem Morgengrauen

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Aus der Reihe: Gefallene Vampire #1
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KAPITEL ZWEI

Kate schaffte es in Rekordzeit zur Schule. Normalerweise wurde sie früher oder später von Madison überholt, aber sie war so wütend gewesen, dass sie es in weniger als fünfundvierzig Minuten geschafft hatte.

Schweiß lief ihr über den Rücken, als sie ihr Fahrrad in den Unterständen neben dem Parkplatz abschloss. Sie war sich verlegen bewusst, dass ihr Gesicht knallrot und fleckig sein musste.

In dem Moment hielt ein Auto auf dem Platz neben ihr und Tony sprang heraus.

"Oh Gott," murmelte Kate laut.

Tony war ihr Schwarm. Er spielte im Football-Team, hing mit den coolen Kids ab und trotz alldem war er ein wirklich liebenswerter Mensch. Er war die Art von Junge, der für Jeden Zeit hatte. Er sah die Leute an der Highschool nicht durch die Linse ihrer Cliquen. Kate war für ihn keine Außenseiterin – sie war einfach Kate Roswell. Manchmal hatte Kate das Gefühl, dass er der einzige war, der sie nicht im Vergleich zu ihrer schöneren, beliebteren, lustigeren Schwester sah.

"Kate," sagte er und schlug die Autotür zu. "Wie geht's?"

Kate fühlte sich unbehaglich. Sie wünschte sich sie würde hier nicht schwitzend und so erschöpft aussehend stehen.

"Gut," sagte sie, das einzige, was ihr einfiel.

"Hey," sagt er mit einem leicht verwirrten Blick. "Du siehst heute anders aus. Du hast was mit deinen Augen gemacht."

"Mascara," erwiderte sie und fühlte sich noch unbehaglicher.

"Sieht gut aus," stellte er nüchtern fest. "Vorher war mir nicht aufgefallen, wie blau deine Augen sind."

Kates Herz machte einen Satz. Falls er nicht die Absicht hatte mit ihr zu flirten, dann gelang ihm das nicht sehr gut.

"Hey, habe ich recht, wenn ich denke, dass heute dein Geburtstag ist?" fügte er hinzu.

Sie konnte nicht anders, als dahinzuschmelzen. Woher wusste er das? Sie konnte sich nicht erinnern ihm das erzählt zu haben.

"Ähm, ja, ist es," sagte sie.

Tony lächelte und zeigte seine schönen, perlweißen Zähne. "Herzlichen Glückwunsch."

Er lehnte sich zu ihr und zog sie in eine Umarmung. Kate stand stocksteif da. Ihr ganzer Körper vibrierte voller Elektrizität. Sie wollte ihn auch umarmen, aber sie hatte Angst, dass sie Schweißflecken so groß wie Teller zeigen würden, falls sie Arme hob.

Tony ließ sie los und machte einen Schritt zurück.

"Danke," murmelte sie und fühlte sich wie der größte Depp auf Erden. Sie wünschte sich sie könnte cool bleiben. Madison wäre nicht ausgeflippt, wenn ihr Schwarm sie umarmt hätte.

"Hör zu," sagte Tony, dessen Augen zum Football-Team flackerten, das auf den Parkplatz kam. "Ich muss los. Hab einen schönen Geburtstag, okay?" Er ging bereits und sprach dabei über seine Schulter. "Wenn ich dich beim Mittagessen sehe, dann kaufe ich dir einen Cupcake." Dann war er weg und joggte zu seinen Freunden.

Kate umklammerte fest ihre Tasche, während ihr schmerzhaft bewusst wurde, dass sie die ganze Unterhaltung versaut hatte. Es war der Kommentar über ihre Augen gewesen, der sie aus der Bahn geworfen hatte. Sie konnte nicht anders, als sich zu fragen, ob Tony mit ihr geflirtet hatte. Vielleicht gab es einen winzigen Teil in ihm, der auch für sie schwärmte?

"Kate!" rief jemand und als sie sich umdrehte, sah sie ihre drei besten Freundinnen auf sich zulaufen.

Dinah Higgins, Nicole Young, und Amy Tan waren Kates beste Freunde seit sie sich alle in der neunten Klasse kennengelernt hatten. Dinah war eine Afro-Amerikanerin und kam aus einer großen, warmherzigen Familie, die mehr Zeit für Kate zu haben schien als ihre eigene. Sie trug ihr Haar in Cornrows mit weißen und roten Strähnen hineingewebt. Nicole lebte nur mit ihrem Vater; ihre Mutter war an Krebs gestorben, als sie noch klein war. Sie war durch und durch Kalifornierin, aber versuchte es unter Lagen von schwarzen Kleidern und Motorradstiefeln zu verstecken. Weil ihre Haare von Natur aus blond waren, färbte sie sie oft in alle möglichen Farben. Im Moment waren sie leuchtend orange. Amy war das Mädchen, dem sich Kate am nächsten fühlte. Ihre Eltern waren beide Chinesen, die nach Amerika gezogen waren um ihr und ihrem Bruder bessere Chancen zu ermöglichen. Daraus hatte sich ein großer kultureller Unterschied zwischen Amy und ihren Eltern ergeben. Sie sahen sie als eine Kuriosität, mit ihrer Liebe zur Pop-Kultur, ihrer Besessenheit von Reality-TV und ihrer albernen Persönlichkeit. Darum waren Kate und Amy sich so nahe. Amy fühlte sich auch wie ein Außenseiter in ihrer Familie.

Die drei Mädchen schnappten sich Kate und zogen sie in eine Gruppenumarmung.

"Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!" riefen sie alle.

Viele der cooleren Leute auf dem Parkplatz sahen abschätzig zu ihnen herüber – so verhielt man sich einfach nicht in der Öffentlichkeit. Aber Kate war es egal. Sie liebte ihre Freunde und wie sie ihr das Gefühl gaben etwas Besonderes zu sein; trotz der Tatsache, dass sie gewöhnlich und langweilig im Vergleich zu Madison war.

"Wir haben Geschenke!" Dinah strahlte, zog ein schlecht verpacktes Geschenk aus ihrer Tasche und drückte es Kate in die Hände.

"Mach meins zuerst auf", rief Nicole und hielt ihr eine kleine Schachtel entgegen.

"Nicht raten was drin ist," sagte Amy und reichte ihr ein Buchförmiges Paket.

Kate war von den Geschenken überwältigt. "Danke, Leute," strahlte sie. "Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll."

"Mach sie einfach auf!" rief Nicole.

Sie setzten sich auf die Wiese neben dem Tennisplatz. Kate öffnete all ihre Geschenke – eine Schachtel mit Schokolade von Dinah, Totenkopfohrringe von Nicole und eine gebrauchte Ausgabe von Romeo und Julia. Kate liebte Shakespeare und sie liebte romantische Tragödien. Sie würde all ihre Nächte damit verbringen sie zu lesen, wenn sie könnte.

"Ihr seid die Besten," sagte sie und umarmte jede von ihnen.

Amy stupste sie an. "Also … was hat das Mutter-Monster heute Morgen gesagt? Hast du Glückwünsche bekommen?"

Kate schüttelte den Kopf. "Nein." Dann erinnerte sie sich an die Karte von Max. "Max war der einzige, der daran gedacht hat."

Sie zog die Karte aus der Tasche. Sie war ein wenig zerknittert worden. Sie öffnete den Umschlag und sah eine glitzernde pinke Karte mit einer Blume darauf. Es war die Art von Karte, die man einer Vierjährigen geben würde, aber sie war trotzdem dankbar. Max musste sein Taschengeld dafür genommen haben; ihre Mutter hätte ihm auf keinen Fall etwas geliehen.

Im Inneren der Karte stand: "Für meine Schwester an ihrem Geburtstag." Er hatte keine Nachricht geschrieben, nur "Kate" am oberen Ende und "Max" weiter unten. Bei dem Anblick der einfachen Karte zog sich ihr Herz zusammen und sie erinnerte sich an den schmerzhaften, enttäuschenden Morgen. Bevor sie es verhindern konnte, fing ihre Unterlippe an zu zittern.

"Kate!" rief Dinah und schlang die Arme um ihre Freundin. "Was ist los?"

Kate versuchte zu sprechen, aber die Tränen überwältigten sie. Die drei Mädchen wussten wie schwer sie es zu Hause hatte – sie hatten ihr bereits durch drei Jahre der Qualen geholfen und ihr zugehört – und sie hatten großes Mitgefühl für ihre Freundin.

"Mom hat gesagt," begann Kate und schluchzte schwer, "sie hat gesagt, dass ich nicht aufs College gehen kann. Dass ich arbeiten muss, um mit Madisons Studiengebühren zu helfen."

Amy fiel die Kinnlade herunter. Dinah warf Kate einen gequälten Blick zu. Nicole drückte ihren Arm.

"Das kann sie nicht machen!" rief Amy.

"Das ist so unfair," sagte Nicole und runzelte die Stirn. "Du kannst jederzeit bei meiner Familie bleiben, wenn du aus dem Haus rauskommen musst."

"Oder bei meiner," fügte Dinah hinzu. "Meine Mutter liebt dich. Das weißt du.

"Danke," murmelte Kate. "Aber ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn ich nicht aufs College kann. Das war mein Fluchtplan, wisst ihr?"

Die Mädchen nickten. Sie hatten sich oft über Colleges unterhalten und sogar geplant auf das gleiche zu gehen, damit sie zusammenbleiben konnten.

"Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll," fügte Kate hinzu und fing wieder an zu weinen.

"Ich nehme an Madison hat sich nicht für dich eingesetzt," sagte Amy. Sie hassten Madison dafür, dass sie Kate nicht half und versuchte Kate immer dazu zu bringen, dass sie ihrer Schwester nicht so viel Freiraum gab. So wie Amy es sah, sollte Madison ihre Mutter darauf ansprechen, wie schlecht sie Kate behandelte, anstatt einfach unschuldig all ihre Komplimente und ihre Aufmerksamkeit anzunehmen.

"Nein," erwiderte Kate düster.

"Hey," sagte Nicole und drückte ihre Freundin. "Das wird schon wieder. Du hast uns, wir passen auf dich auf. Es passiert schon etwas, das alles wieder in die richtige Bahn bringt. Ich verspreche es."

Kate wusste nicht, wie sie sich da so sicher sein konnte. Nicole sprach immer davon, wie Dinge sich verändern und letzten Endes gut werden würden, aber es schien, als würden sie sich für Kate immer nur zum Schlechten wenden. Das Trinken ihres Vaters war schlimmer geworden, der Griff ihrer Mutter um ihr Leben stärker und Madison distanziert sich immer weiter, je höher ihr Status als das goldene Kind stieg. Kates Leben folgte einer Abwärtsspirale und die Möglichkeit zu verlieren aufs College zu gehen war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Nicole redete noch immer. "Der Abschlussball steht an," sagte sie gerade. "Wer weiß, was da passiert."

"Oh, bitte," erwiderte Kate. "Jungs sind gerade das Letzte was mich beschäftigt."

"Ach wirklich?" sagte Amy mit hochgezogener Augenbraue. "Denn ich glaube, dass ich gesehen habe, wie ein gewisser Tony Martin einer gewissen Kate Roswell auf dem Parkplatz eine Umarmung gegeben hat."

Trotz ihrer Traurigkeit tröstete der Gedanke Kate ein wenig. Sie fühlte wie ein Lächeln an ihren Lippen zog. "Ja. Er, ähm, er hat gesagt meine Augen sehen gut aus mit Mascara."

 

"Oh mein Gott!" rief Dinah. "Der steht total auf dich!"

Kate lachte und schüttelte den Kopf. "Da bin ich mir nicht so sicher. Er ist zu allen nett."

"Ja, nett," sagte Amy, "aber er flirtet nicht mit jedem!”

Nicole sah sie triumphierend an. "Habe ich dir nicht gesagt, dass die Dinge wieder besser werden?"

Kate winkte ab und versuchte die Begeisterung ihrer Freundin zu dämpfen.

"Ich glaube wirklich nicht, dass das so ist," sagte sie.

"Vielleicht lädt er dich zum Abschlussball ein," quietschte Dinah.

Der Gedanke sorgte für Schmetterlinge in Kates Bauch. Gab es eine Chance, dass er sie fragen würde? Da erinnerte sie sich daran, dass sie Mascara trug und geweint hatte.

"Oh Gott, bin ich verlaufen?" fragte sie panisch.

"Nein, keine Panik," erwiderte Dinah. "Du siehst gut aus. Aber ich werde dich beim Mittagessen noch ein wenig aufhübschen, als ein Geburtstagsgefallen!"

Dinah liebte Make-up. Wegen ihrer großen Familie konnte sie nicht all die Klamotten und Schuhe kaufen, die sie haben wollte, um mit den Trends mitzuhalten. Deshalb war sie ständig dabei ihre Anziehsachen selber zu verändern und verschiedene Make-ups auszuprobieren. Sie war unglaublich kreativ geworden. Sie versuchte die anderen immer zu ermutigen mehr aus ihrem Aussehen zu machen. Nicole war die einzig andere, die sich immer um ihr Aussehen bemühte. Amy versuchte neutral zu bleiben, um ihre Familie nicht zu beunruhigen, auch wenn sie Miniröcke und kniehohe Stiefel trug, wann immer sie Gelegenheit dazu hatte.

Kate war hatte bisher noch nie versucht ihre Identität durch Mode auszudrücken. Sie hatte das Gefühl, dass sie ihre Entscheidungen traf nur um ihre Mutter zu verärgern. Seit sie aufgehört hatte die seidenen, gerüschten, Pastell-Kleider ihrer Mutter zu tragen und zu Schönheitswettbewerben zu gehen, war sie ziemlich burschikos geworden. Aber sie wusste nicht, ob das wirklich ihr Stil war, oder ob sie sich nur so anzog, weil sie wusste, dass es ihre Mutter aufbrachte.

Kate lächelte. Falls auch nur die geringste Möglichkeit bestand, dass Tony sie zum Abschlussball einlud, dann konnte sie ruhig versuchen das Beste aus sich zu machen und ihre Chancen erhöhen. Sie fühlte sich bereits Tausend Mal besser als während ihrem wütenden Fahrradritt am Morgen. Sie wusste, dass ihre Freunde für sie da waren.

"Und selbst wenn Tony mich nicht fragt, dann ist das auch keine große Sache," fügte Kate hinzu. "Wir können alle zusammen gehen."

"Ich bin so froh, dass du das sagst," erwiderte Amy. "Ich glaube nicht, dass meine Eltern mich mit einem Jungen gehen lassen würden!"

Sie lachten alle. Es fühlte sich gut an zu wissen, dass sie für einander da waren, dass sie nicht auf Jungs angewiesen waren, um Spaß auf dem Abschlussball zu haben.

Als es schellte standen die Mädchen auf und gingen in verschiedene Richtungen. Amy und Kate hatten beide Mathe, also gingen sie Arm in Arm den Flur entlang.

Plötzlich fühlte Kate wie Amy ihre Hand drückte. Sie sah auf und bemerkte, dass Madison mit ihren Cheerleader-Freundinnen bei den Schließfächern stand. Sie stand mit dem Rücken zu Kate und Amy und, ohne zu wissen, dass sie hinter ihr standen, gab sie eine Geschichte zum Besten, die die anderen Mädchen lauthals lachen ließ.

"Und dann war Mom so 'Junge Dame, du wirst eine Putze, so wie ich, damit Madison aufs College gehen kann.' Könnt ihr das glauben? Und ich war so 'Oh mein Gott, sie verwandelt meine Schwester in eine Sklavin!' Und das alles an ihrem Geburtstag! Ich meine, ich habe ein Auto zum Siebzehnten bekommen. Und sie bekommt, irgendwie, nichts."

Sie lachte laut auf und die anderen Mädchen taten es ihr gleich. Kates Magen fiel ihr in die Kniekehlen. Wie konnte Madison sich so über sie lustig machen? Sie wusste, dass Madison sich zu Hause nicht wirklich für sie einsetzte, aber sie hatte nicht gedacht, dass sie über ihr Unglück mit ihren Freunden tratschte.

Amy klammerte sich an Kates Arm, versuchte sie zu stützen und sie im Gleichgewicht zu halten. Sie half Kate an Madison und der Grupe gemeiner Mädchen vorbeizugehen. Kate wusste, dass Madison sie erkennen und begreifen würde, dass sie sie gehört hatte.

Sie sah über ihre Schulter zurück zu ihrer Schwester. Ihre Augen trafen sich und Madison sah sie leicht entsetzt an. Aber davon abgesehen, gab es keinen Hinweis darauf, dass ihr bewusst war, wie sehr sie Kate verletzte hatte. Dann brach sie den Augenkontakt und wandte ihre Aufmerksam wieder voll ihren Freunden zu.

Kate ging schweren Schrittes zu ihrem Unterricht und fühlte sich schlechter als jemals zuvor.

KAPITEL DREI

Kate schaffte es durch die ersten beiden Klassen, auch wenn sich ihre Stimmung nicht hob. Sie war erleichtert, als es zur Mittagspause läutete und sie sich wieder mit ihren Freunden treffen konnte.

Kate stand mit ihren Freunden in der Schlange in der überfüllten Cafeteria und versuchte sich die Essensauswahl nicht zu genau anzusehen. Die war ziemlich grässlich. Nicole, als Vegetarierin, hatte immer Probleme etwas zu finden, das sie essen konnte. Heute gab es für sie Kartoffelwaffeln und Bohnen, während Dinah und Amy mit Chicken Tikka Masala und Reis ein klein wenig besser dran waren. Kate dachte, dass das Curry etwas zu fettig aussah, aber Dinah, leicht größer als der Durschnitt, machte es nichts aus, weil sie groß und gut proportioniert war. Amy war spargeldürr und schien alles essen zu können, was sie wollte, ohne zuzunehmen. Nicole auf der anderen Seit blieb anscheinend einfach durch ihre Pingeligkeit dünn.

Am Ende entschied Kate sich für einen Salat. Obwohl sie wusste, dass die Sticheleien ihrer Mutter über ihr Gewicht unbegründet waren, konnte sie nicht verhindern, dass sie das Gefühl hatte ihre Mutter würde vielleicht etwas weniger hart sein, wenn sie ein paar Pfund abnahm.

"Mädchen," sagte Dinah, als sie ihren Teller sah, "erzähl mir nicht, das ist alles was du isst. Verdammt, es ist dein Geburtstag! Du solltest wenigstens ein Dessert nehmen!"

Kate ließ sich auf ihrem Platz nieder.

"Tatsächlich hat Tony gesagt, er würde mir einen Cupcake kaufen, falls er mich beim Mittagessen sieht," sagte sie.

Die drei anderen Mädchen grinsten und sahen sich an. Kate fühlte sich albern, weil sie es erwähnt hatte.

"Oh mein Gott," sagte Nicole plötzlich.

Alle hörten auf zu kichern und drehten sich um, damit sie sehen konnten, was Nicoles Aufmerksamkeit erregt hatte.

Ein traumhafter Junge war gerade in die Cafeteria gekommen.

"Oh," sagte Kate und drehte sich wieder um. "Das ist Elijah. Ist ein Neuer im letzten Jahr, hat vor etwa einem Monat angefangen. Ich habe Madison über ihn reden gehört."

"Dieser göttliche Mann läuft seit einem ganzen Monat in dieser Schule herum und das ist das erste Mal, dass ich ihn sehe?" sagte Nicole mit leichter Bitterkeit in der Stimme. Sie starrte ihn an, als könne sie die Augen nicht von ihm abwenden.

Dinah schien er ebenfalls zu gefallen.

"Oh, yeah! Er hat diese Leonardo DiCaprio in Titanic Art an sich."

"Aber melancholisch," murmelte Nicole. "Düster und melancholisch."

Kate sah noch einmal hin. Elijah war wirklich äußerst attraktiv. Aber soweit sie gehört hatte, als Madison mit ihrer Mutter darüber sprach, war Elijah ein Einzelgänger. Er schien nie mit jemandem abhängen zu wollen. Madison hatte versucht ihn in ihre Gruppe zu integrieren, als er angefangen hatte, aber er war widerstrebend gewesen, was sie als Beleidigung aufgefasst hatte. Seitdem hatte sie entschieden, dass er ein Freak war und ihre Aufmerksamkeit nicht wert.

Er schien recht ausweichend zu sein. Tatsächlich war es wahrscheinlich das erste Mal, dass Kate ihn in der Cafeteria gesehen hatte. San Marcos war eine große Schule, aber jemand wie Elijah war nicht der Typ, der in der Menge unterging. Sie fragte sich, warum sie ihn nicht schon öfter gesehen hatte.

"Wisst ihr noch, was wir über den Abschlussball gesagt haben?" meinte Nicole. "Ich nehm's zurück. Ich würde euch drei ohne zu blinzeln sitzen lassen, wenn ich dafür mit ihm gehen könnte!"

Alle lachten. Alle außer Kate. Sie war immer noch in den Anblick von Elijah vertieft und beobachtete die Art, wie er sich durch die Menschenmenge bewegte. Er war so leichtfüßig, dass es fast aussah, als würde er schweben. Er bewegte sich grazil, als wäre jeder Schritt Teil einer Tanzpartie. Es war faszinierend.

In dem Moment schien er zu bemerken, dass ihn jemand ansah und er drehte den Kopf. Ihre Augen trafen sich über die geschäftige Cafeteria hinweg. In dem Augenblick spürte Kate eine Sensation durch sich laufen, wie sie noch keine erlebt hatte. Es war als wäre sie vom Blitz getroffen worden und jedes ihrer Nervenenden stünde in Flammen.

Eine Gruppe jüngerer Kinder ging an Kate vorbei und blockierte den Blick.

Elijah war verschwunden nachdem die Sicht wieder frei war.

Sie reckte den Hals, um zu sehen wie er durch die Tür ging, aber sie konnte ihn nicht entdecken. Er war verschwunden.

"Leute," sagte Kate zu ihren lachenden Freundinnen, "habt ihr das gesehen?"

Sie sahen sie verwirrt an.

"Was gesehen?"

"Elijah. Er war in dem einen Moment da und im nächsten komplett verschwunden."

Sie sah immer noch an die Stelle, an der er kurz vorher gestanden hatte. Er konnte auf keinen Fall die Cafeteria so schnell verlassen haben.

"Elijah," lachte Nicole und griff sich theatralisch ans Herz. Dann sah sie Kate mit vorgetäuschter Aggression an. "Ich werde um ihn kämpfen, weißt du. Fäuste, Haare ziehen, kratzende Fingernägel, mit allem Drum und Dran."

Die Mädchen lachten wieder, aber Kate stimmte nicht mit ein. Ihr Blick war starr auf die Stelle gerichtet, an der Elijah gestanden hatte. Ihre Gedanken überschlugen sich.

Was hatte sie da gerade gesehen?

KAPITEL VIER

Kate ging mit den anderen Mädchen die Flure hinunter, versunken in ihrer eigenen Welt. Ihre Gedanken purzelten durcheinander. Die anderen Mädchen schienen nicht zu verstehen, warum sie so aufgewühlt war und jedes Mal, wenn sie darauf bestand, dass Elijah sich wortwörtlich in Luft aufgelöst hatte, fanden sie einen Weg, um es zu erklären. Sie war es leid geworden zu versuchen es ihnen zu erklären und war nach dem Mittagessen beleidigt aufgesprungen.

Nach der Schule grummelte Kates Magen lautstark. Alles was sie gegessen hatte, waren ein Joghurt, ein Salat und ein paar Schokoladenstücke aus der Schachtel, die Dinah ihr gegeben hatte. Zusammen mit ihrem emotionalen Morgen, der wütenden, schnellen Fahrt und dem seltsamen Verschwinden von Elijah, sorgte es dafür, dass sie sich schwach und schwindelig fühlte.

Sie schloss ihr Fahrrad auf und begann ihren Rückweg, wobei sie sicherstellte sich nicht zu überanstrengen; sie wollte nicht vom Fahrrad fallen. Ihre Tasche, gefüllt mit Schulbüchern und den Geschenken ihrer Freunde war schwer und machte das Fahren noch anstrengender.

Die Sonne war um drei Uhr nachmittags nicht ganz so schmerzhaft und es kam eine kühle Brise vom Meer. In der Ferne konnte Kate die Berge vom Rattlesnake Canyon Park sehen. Er war einer ihrer Lieblingsorte. Sie liebte die Natur, ihre Ruhe und ihre Schönheit. Sie ging gerne an den Wochenenden dorthin und dachte über das Leben nach. Der Park erinnerte sie immer daran, dass die Welt groß war und ihr Zuhause nur ein winziger Ausschnitt dessen, was die Erde zu bieten hatte.

Aber würde sie jemals die Welt sehen? Wie sollte sie ohne College das Leben leben, das sie sich vorstellte? Sie konnte den Gedanken nicht ertragen noch ein weiteres Jahr in Kalifornien festzuhängen und wie ihre Mutter die Häuser von reichen Leuten zu putzen. Es war einfach nicht fair! Warum sollte sie das Geld für Madisons Studiengebühren verdienen? Madison war in keinerlei Hinsicht so wissbegierig wie Kate; wahrscheinlich wollte sie nur aufs College gehen, um Jungs kennenzulernen.

Kate entschied sich in dem Moment, dass sie einen Weg finden musste, um etwas von ihrem Verdienst für sich zu behalten und auf ein Flugticket an die Ostküste zu sparen, und dann würde sie eines Tages einfach verschwinden. Es schien ihr eine recht dramatische Lösung zu sein, aber welche Wahl hatte sie?

Kate war so in Gedanken versunken, dass sie die Gruppe von Leuten vor sich nicht bemerkte, bis sie fast in sie hineinfuhr. Es waren Jungs aus der Oberstufe. Sie liefen über die Straße und den Bürgersteig, riefen und schubsten in einem großen Haufen. Kate wollte gerade um sie herumfahren, als sie bemerkte, dass jemand zwischen ihnen war. Ein Junge wurde wie ein Wasserball von einem zum nächsten geschubst. Sie sah die dunklen Haare und eleganten Gesichtszüge des Jungen. Es war Elijah.

 

"Hey!" rief Kate und trat neben der Gruppe in die Bremsen. "Lasst ihn in Ruhe!"

Einer der Jungs drehte sich mit finsterem Blick zu ihr. "Mach das du weiter kommst, Kleine," sagte er böse. "Ich glaube nicht, dass dein Freund hier von einem kleinen Mädchen gerettet werden will."

Erst da konnte Kate einen richtigen Blick auf Elijah werfen. Er war niedergeschlagen. Da war ein Riss in der Schulter seines T-Shirts. Aber als die Jungs Kate ignorierten und wieder anfingen ihn herumzuschubsen, wehrte er sich nicht einmal.

"Elijah!" rief sie. "Wehr dich!"

Er sah sie an, als würde er sie erst jetzt wirklich wahrnehmen, aber ging einfach weiter. Sie konnte es nicht verstehen.

Aber Kate hatte nicht vor Elijah sich selbst zu überlassen, nur wegen dem dummen männlichen Glauben, dass Mädchen sich nicht für Jungs einsetzen durften. Sie hatte ein Fahrrad, was hieß, dass sie schneller war und es als Rammbock nutzen konnte.

Sie nahm ihren Rucksack, schwer und klumpig von ihren Schulbüchern. Sie schwang ihn und rannte auf die Gruppe von Jungs zu, wo sie einen von ihnen im Rücken traf.

"Hey!" rief der und stolperte nach vorne. "Lass mich in Ruhe, du Verrückte."

Er schien von Kate nicht zu sehr getroffen zu sein, aber sie hoffte, dass er nur versuchte vor seinen Freunden das Gesicht zu wahren.

Vielleicht war es dumm sich, nur mit ihrem Rucksack und ihrem Fahrrad bewaffnet, mit einer Gruppe von Oberstüflern anzulegen, aber Kate wurde von einer Macht überkommen, wie eine Henne, die ihr Nest beschützt. Sie wehrte sich gegen Elijahs Schläger, wie sie sich gewünscht hätte, dass Madison für sie gegenüber ihrer Mutter eintritt.

Sie setzte sich auf ihr Fahrrad und fuhr so schnell auf sie zu wie sie konnte, sodass alle aus dem Weg sprangen.

"Wer ist der Freak?" fragte einer der Jungen, als er ihr auswich.

"Ist das nicht Madisons Schwester oder so?" erwiderte ein anderer und lachte bei dem Anblick von Kate, die ihren Rucksack schwang.

"Igitt, widerlich," sagte er erste. "Aber Madison ist so heiß. Die ist adoptiert, oder?"

Angestachelt von ihren fiesen Kommentaren, hielt Kate wieder auf sie zu. Sie traf einen anderen mit ihrem Rucksack so hart, dass er in den Jungen neben sich taumelte. Sie fielen in einem Haufen auf den Boden.

Im Versuch ihr Gesicht zu wahren verstreuten sich die Schläger, wie eine Gruppe von Kindern, die ihr Eis fallen lässt, wenn sie von einer hartnäckigen Wespe heimgesucht wird. Ihnen war klar geworden, dass Kate ihnen die Attacke auf Elijah nerviger machen würde als es ihnen wert war.

Kate keuchte vor Erschöpfung und Angst, auch wenn etwas triumphierendes Adrenalin durch ihre Venen pumpte. Sie starrte den Jungs finster nach, die die Straße hinunterschlenderte, und drehte sich dann zu Elijah um.

Aber Elijah war verschwunden.

"Hey!" rief Kate laut. Das Mindeste was der Idiot hätte tun können, wäre Danke zu sagen.

Sie reckte den Hals, um zu sehen, wohin er gegangen war. Aber je mehr sie sich umsah, desto offensichtlicher wurde es, dass Elijah keine Zeit gehabt hatte so vollkommen aus ihrem Blickfeld zu verschwinden. Es gab keine Häuser oder Läden an diesem Teil der Straße, in die er hätte hineingehen können. nur ein steiniger Bergpfad auf der einen und ein steiler Abhang auf der anderen Seite, über den Dächern der darunterliegenden Straße. Wo war er hingegangen?

Sie sah sich um und kniff die Augen gegen das helle Sonnenlicht zusammen, aber er war nirgendwo zu sehen. Dann sah sie eine Gestalt ganz unten am Ende des Hügels, die auf die gleiche grazile Art lief wie Elijah. Sie hatte keine Ahnung, wie er in so kurzer Zeit so weit gekommen war. Sie wollte es darauf schieben, dass das Adrenalin sie verwirrte, aber ein beunruhigendes Gefühl erfasste sie. Genau wie in der Cafeteria. Sie war sich sicher, dass Elijah sich schneller bewegte als möglich war.

Kate war sich nicht sicher, was sie dazu brachte ihm nachzujagen. Vielleicht war es ihr Siebzehnter Geburtstag und dass sie sich nicht länger alles gefallen lassen wollte, aber sie fühlte, dass sie zumindest etwas Dankbarkeit von ihm verdiente, nachdem sie für ihn den Hals hingehalten hatte. Sie hatte die Schachtel voller Schokolade zerquetscht, während sie die Jungs angegriffen hatte. Sie verteilte klebrige, pinke Zuckerfüllung in ihrer Tasche. Und ihre Ausgabe von Romeo und Julia hatte jetzt einen großen Knick auf dem Umschlag.

Sie begann in Richtung Elijah in die Pedalen zu treten. Es war eine lange Straße und an einigen Stellen war es recht steil. Alles was Kate tun musste, war sich nach vorne zu lehnen und sich von der Schwerkraft nach unten ziehen zu lassen. Sie war normalerweise eine sehr langsame, vorsichtige Fahrerin, die nicht viel für Nervenkitzel übrig hatte, und es fühlte sich gut an den Wind in ihren Haaren zu spüren, als sie den Hügel hinunterjagte.

"Hey!" rief sie, nachdem sie in Hörweite von Elijah war.

Er drehte sich um und sah sie verwirrt an. In dem Moment, in dem sich ihre Augen trafen, schoss wieder einmal ein seltsames Gefühl durch Kate. Da war eine Intensität in Elijahs Augen, ein gequälter Ausdruck. Wenn die Augen wirklich die Fenster zur Seele waren, dann schien Elijahs Seele älter zu sein als er.

Benommen von dem Gefühl in ihrem Körper, betätigte Kate die Bremsen an ihrem Lenker. Aber sie war viel schneller als sie normalerweise fuhr, ihr Fahrrad war alt, die Bremsen abgenutzt und sie griffen nicht so schnell wie sie sich gewünscht hätte. Sie flog praktisch und raste mit unheimlicher Geschwindigkeit auf das Ende der Straße zu. Sie erkannte voller Angst, dass es die Schnellstraße war.

Kates Herz begann zu hämmern, als ihr klar wurde, dass sie nicht rechtzeitig würde anhalten können. Sie hielt genau auf die Straße zu.

Die Zeit schien sich qualvoll zu verlangsamen, als sie zu der unausweichlichen, unaufhaltbaren Erkenntnis kam, dass sie sterben würde. Ihr Fahrrad fuhr an dem Stoppschild vorbei, ihre nutzlosen Bremsen quietschten und ließen den Geruch von verbranntem Gummi um sie herum wabern. Dann flog sie über die weiße Markierung der Straße – genau in den entgegenkommenden Verkehr.

Kate sah ein Wohnmobil genau auf sich zukommen. Sie sah die Augen des erschrockenen Fahrers – und dann fühlte sie den Aufprall.

Kates Körper schlug gegen das Wohnmobil. Sie fühlte keinen Schmerz, aber sie wusste durch das ohrenbetäubende, knirschende Geräusch, dass etwas gebrochen war. Möglicherweise alles.

Die Hupe begann zu tönen, als sie gegen die Windschutzscheibe geworfen wurde, erst nach oben und dann den ganzen Weg wieder herunterrollte. Ihr Fahrrad flog durch die Luft und fiel. Sie rollte von der Haube des Wohnmobils und traf mit dem Kopf zuerst auf dem Boden auf.

Sterne tanzten vor ihren Augen. Ihr Fahrrad landete neben ihr und zerbrach in mehrere Teile auf dem harten Asphalt. Kate wurde sich der Taubheit in ihrem Körper bewusst und des metallischen Geruchs von Blut.

Aber der Schmerz kam nicht. Sie wusste, das war schlecht. Es war schlecht, dass sie sich nicht bewegte. Schlecht, dass sie nichts fühlte.

Kates Kopf fiel zur Seite und ihr Blick auf den glitzernden Ozean in der Ferne. Wie durch das Ende eines langen Tunnels konnte Kate das Geräusch von bremsenden Wagen, zuschlagenden Autotüren und rufenden Menschen hören. Sie konnte Benzin riechen, Gummi und Metall, und das etwas brannte.

Dann, durch all das Chaos, sah sie Elijahs Gesicht auftauchen und fühlte wie er sie in seine Arme hob. Er sagte etwas, aber sie konnte seine Worte nicht verstehen. Sein Ausdruck war angespannt, panisch.

Und kurz bevor ihr schwarz vor den Augen wurde, sah es so aus, als würden Reißzähne aus seinem Mund wachsen. Sie konnte sich nicht bewegen, konnte nicht einmal schreien. Aber dann spürte sie etwas Scharfes, Heißes und Nasses auf ihrem Hals und sie war sich sicher, dass sie richtig gesehen hatte.

Dann verschwamm die Welt um sie herum.

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