Mit Anlauf nach Berghimmel

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Mit Anlauf nach Berghimmel
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Mit Anlauf

nach Berghimmel

Sammelband

Melanie Weber-Tilse

Deutsche Originalausgabe, 1. Auflage 2016

Ihr findet mich auf www.weber-tilse.com

https://www.facebook.com/autorin.webertilse

Email Melanie@Weber-Tilse.com

Herausgeber:

Melanie Weber-Tilse

Breslauer Str. 11, 35274 Kirchhain

© Juli 2016 Melanie Weber-Tilse

Alle Rechte vorbehalten!

Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der offiziellen Erlaubnis durch die Autorin.

Covergestaltung: Melanie Weber-Tilse

Foto: © oleksaey / Fotolia.com

Lektorat/Korrektorat: Claudia Augustinowski-Daun / http://alishamcshaw.de/

Inhaltsverzeichnis

Mit Anlauf ins „Cake Heaven“

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Mit Anlauf ins Glück

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Epilog

Mit Anlauf in die (fast eigene) Praxis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Epilog

Mit Anlauf in die zweite Chance

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Epilog

Über die Autorin

Andere Bücher der Autorin

Mit Anlauf ins

„Cake Heaven“

Erster Band der „Mit Anlauf-Reihe“

Die tollpatschige Nina kehrt, schwer enttäuscht von ihrem Exfreund, in ihr kleines Heimatdorf „Berghimmel“ zurück. Daniel, ihr bester Freund, ermöglicht ihr, ihren Traum zu erfüllen: Die Eröffnung von „Cake Heaven“, einem kleinen, aber feinen Café.

Fortan gibt es dort nicht nur die süßesten Kreationen, sondern auch den neuesten Tratsch und Klatsch. Denn die vier Klatsch-Tanten aus dem Dorf haben Ninas Café zu ihrer Zentrale auserkoren.

Es könnte wie im Himmel sein, wenn nicht Ninas Exfreund sie zurück haben wollte und herauskommt, dass Daniel sie schon lange liebt …

Kapitel 1

D

er Bass dröhnte hart in meinem Kopf. Langsam tastete ich mich an der Wand entlang. Wo war dieses verdammte scheiß Klo nur? Das schummrige Licht, der Alkoholpegel in meinem Blut und meine angefressene Stimmung halfen nicht dabei, mich besser orientieren zu können. Endlich spürte ich einen Türgriff zwischen meinen Fingern und ich drückte ihn nach unten. Helles Licht empfing mich. Ich hatte endlich die Toilette gefunden.

Ich schob mich hinein und torkelte in die erstbeste Kabine. Mit zittrigen Fingern zog ich mir meine Leggins samt Slip nach unten und ließ mich aufseufzend auf die Klobrille hinabsinken. Ah, was tat das gut. Gerade noch rechtzeitig hatte ich das Klo erreicht, sonst hätte ich mir eiskalt in die Hose geschissen. Happy Hour war wirklich nichts für mich. Der fünfte Tequila-Orange musste schlecht gewesen sein, denn er haute mir gerade den kompletten Darminhalt heraus. Uhhh, der Geruch trieb mir die Tränen in die Augen. Verdammter Alkohol. Das kam jetzt wirklich einem Giftgasanschlag nahe und ich hatte mich gerade freiwillig zu einem Selbstmordkommando gemeldet.

Jan war an allem Schuld. Hätte er mich die letzte Zeit nicht so vernachlässigt, würde ich jetzt nicht mit Magenkrämpfen auf dem Klo sitzen. Schon gar nicht in einer öffentlichen Disko. Ich schiss mir gerade die Seele aus dem Leib. Mein Magen kehrte sich einmal nach außen und ich musste immer wieder die Klospülung betätigen, sonst würde ich hier elendig an dem Geruch zu Grunde gehen.

Die Tür wurde geöffnet, die Musik drang kurzzeitig lauter an mein Ohr.

„Boah ne, was war das denn für eine Sau. Scheiße stinkt das hier. Ihh, ich kotz gleich.“

Danach war wieder die Musik lauter zu hören und schimpfend verschwand die angefressene Tussi. Gut, ich konnte sie ja verstehen. Es stank wirklich barbarisch, wobei sie noch nicht mal in die Nähe meiner Kabine gekommen war.

Gerade noch rechtzeitig fiel die Tür wieder ins Schloss, als sich mein Darm lauthals dröhnend entleerte. Ohhhh, so stellte ich mir das Kinderkriegen vor. Eine Schmerzwelle nach der anderen jagte durch meinen Körper. Ich hoffte nur, dass es beim Kinderbekommen nicht so laut zuging und schon gar nicht so eine Geruchsbelästigung herrschen würde. Das arme Kind würde doch sofort den Albtraum seines Lebens erfahren.

Nachdem ich sicher schon zehnmal die Spülung betätigt hatte, schien mein Darm leer zu sein. Es tat richtig gut, dass der Schmerz nun nachgelassen hatte. Der Gestank stand zwar noch um mich herum, aber der würde sich wohl irgendwann in der Disko abschütteln lassen. Ich griff nach rechts zum Toilettenpapier, nur um dann festzustellen, dass keins vorhanden war. Mein Kopf schnellte, so schnell es im besoffenen Zustand eben ging, nach rechts und ich schaute mit weit aufgerissenen Augen die leere Rolle an.

Mein Blick huschte in der Kabine umher, ich schaute hinter mich, aber kein Toilettenpapier war zu sehen. Das durfte jetzt echt nicht wahr sein. Nach meiner Darmreinigung saß ich nun auf diesem verschissenen Klo fest und hatte kein Papier, um mich sauber zu putzen. Was war ich doch naiv gewesen zu denken, dass der ganze Tag nicht noch schlimmer hätte werden können.

Ich nahm die leere Klopapierrolle und riss die Pappe in feine Streifen. Damit wischte ich die erste Fuhre weg. Dann zog ich die Leggins und die Unterhose aus und benutzt den String – leider hatte ich keine Frenchie an – und wischte mir, so gut es ging, den Rest noch weg. Sollte ich jetzt den Tanga ins Klo fallen lassen? Bei meinem heutigen Glück, würde jetzt auch noch das Klo verstopfen. Ich entschied mich daher dagegen und warf die Unterhose mit spitzen Fingern in den Mülleimer. Ich zog mir die Leggins wieder an und ging auf wackeligen Beinen aus der Kabine. Hier vorne roch es gar nicht mehr so schlimm. Ich wusste gar nicht, was die blöde Schnepfe vorhin hatte.

Ich wusch meine Hände, spritzte mir Wasser ins Gesicht und schaute mich dann im Spiegel an. Meine Güte, was sah ich beschissen aus. Nicht, dass ich Kack-Spritzer im Gesicht gehabt hätte, nein, das nicht. Ich war blass, hatte dunkle Ringe unter den Augen – was wahrscheinlich an der verlaufenen Wimperntusche lag – und der Lippenstift bröckelte auch langsam ab. Toll, hier neben dem Waschbecken gab es einen Papierbehälter. Wäre ich doch einfach mal aufgestanden und rausgegangen. Ich wischte mir den Rest Lippenstift ab und versuchte, so gut es ging, die wasserfeste Wimperntusche unter den Augen wegzubekommen. Schon klar, wasserfest. Das Zeug hatte sich während meiner Kacksession ohne Murren verabschiedet, jetzt dagegen, klebte es wie Scheiße an mir.

 

Nachdem ich mich einigermaßen wieder hergerichtet hatte, ging ich mit weichen Beinen nach draußen. Mir kam gerade eine andere Frau entgegen, die sicher mal auf Toilette musste.

„Ich würde da nicht reingehen“, hörte ich mich sagen. „Irgendeine Drecksau hat das ganze Klo vollgeschissen. Normalerweise müsste der Abc-Alarm ausgerufen werden. Ich hätte fast ins Waschbecken gekotzt.“

Dann ging ich weiter und klopfte mir mental auf die Schulter. Das hast du prima gemacht Nina, dachte ich stolz, immer schön von dir als Übeltäter ablenken.

Irgendwie schaffte ich es vor die Disko und winkte einem Taxi zu. Ich ließ mich zu Jan fahren. Ich korrigierte mich, zu uns fahren. Ich wohnte nun seit einem halben Jahr bei Jan. Er war der große Zeitungsboss und ich eigentlich die kleine Angestellte am Empfang gewesen. Bis wir durch Zufall einmal zusammen im Aufzug stecken geblieben waren. Solche Dinge passierten nun mal immer mir. Mich hatte es daher nicht verwundert und ich war richtig ruhig geblieben. Jan dagegen, war wie ein gefangener Puma auf- und abmarschiert, bis ich ihn angeschnauzt hatte. Woher sollte ich auch wissen, wer er war? Ich arbeitete noch nicht lange in der Firma und wusste nicht, wie er aussah. War schon blöde, wenn ich am Empfang arbeitete und nicht wusste, wie der Boss aussieht. Nun ja, trotz alledem war mehr aus unserem Abstecher, äh Abhänger, im Fahrstuhl geworden.

Seit also einem halben Jahr wohnte ich bei ihm. In dem tollen Penthouse, wo man fast ganz München überblicken konnte. Ich arbeitete sogar immer noch am Empfang, auch wenn Jan dies nicht verlangte. Aber ich wollte mich auch nicht aushalten lassen.

Im Eingangsbereich wurde ich direkt von Peter, oder war es Franz, oder …, ach keine Ahnung wer es war, empfangen. Sie sahen doch alle gleich aus, die Portiers. Namen merken war aber ansonsten auch nicht meine Stärke. Noch ein Punkt, der gegen die Arbeit am Empfang sprach.

„Guten Abend Frau Sandner.“

„Nabend“, nuschelte ich und schob mich so leichtfüßig, wie ich konnte, Richtung Aufzug.

„Herr Träger ist noch nicht zu Hause.“

„Umso besser für sein Leben“, murmelte ich noch leiserer vor mich her.

„Wie bitte Frau Sandner? Ich habe sie leider nicht verstehen können.“

„Nichts, nichts. Und nun lassen Sie mich doch bitte einfach zu diesem beschissenen Aufzug gehen.“ Fuck, hatte ich das jetzt wirklich zu Franz-Peter gesagt? Ich dreht mich beim Laufen leicht zu ihm und….

„Vorsicht!“

Aber zu spät. Diese verdammten Blumen. Palmen. Diese Riesendinger halt. Ich versuchte noch meinen Schwung zu stoppen, indem ich mich am Stamm festhielt, aber irgendwie lief jetzt alles schief. Ich wäre eine miserable Gogo-Tänzerin. Gut, der Stamm der Palme war auch etwas anderes als eine Stange, aber mein Abgang sah total beknackt aus. Ganz bestimmt. Und die Palme saß auch nicht so bombig in ihrem Blumentopf, sondern ging gleich mit zu Boden. Da lag ich nun. Auf dem Rücken, wie ein Maikäfer, und auf mir die dicke Palme.

„Oh mein Gott. Haben Sie sich wehgetan Frau Sandner?“ Franz-Peter stand neben mir und zerrte an der Palme herum. Autsch, das Mistding pikste ganz schön.

„Passen Sie doch auf, sie spießen mich gleich mit dem blöden Ding auf“, fauchte ich daher F-P an.

„Entschuldigen Sie, ich habe es gleich.“

Und tatsächlich F-P hievte die Palme von mir herunter. Sah wirklich lustig aus, wie er sie so im Arm hielt. Dafür musste ich nun zusehen, wie ich alleine wieder hochkam. Ich drehte mich daher graziös, wie ich fand, auf alle Viere und stemmte mich am Palmenkübel hoch. Na bitte, ging doch. Mein vormals weißes Oberteil hatte zwar jetzt braune Flecke von der Erde, aber das machte jetzt auch nichts mehr.

Ich ließ F-P mit der Palme einfach stehen und torkelte zu den Aufzügen. Der Vorteil in diesem Nobelschuppen zu wohnen war, dass egal wann ich hierherkam, immer ein Aufzug schon unten auf mich wartete. Wie das funktionierte, wusste ich nicht, es war mir aber auch ehrlich gesagt, total schnuppe. Ich ließ mich geschafft an die verspiegelte Wand der Kabine sinken. Morgen durften die Putzfrauen hier was zu tun haben. Keiner von den Nobel-Popel-Leuten würde sich trauen, an den Spiegel zu packen. Noch nicht einmal die Kinder hier im Haus.

Mit einem Pling fuhren die Aufzugtüren auf und ich konnte direkt in unsere Wohnung hineinfallen. Jan hatte mir erklärt, wie das Prinzip war, dass nur er und ich und gewollter Besuch bis ganz nach oben fahren konnten, andere Leute aber nicht. Denn sonst würden die direkt in unserer Wohnung stehen. Die Erklärung dazu fiel mir aber jetzt in meinem vernebelten Kopf nicht mehr ein. Ich streifte die Ballerinas von den Füßen – wie gut, dass ich keine Pumps angezogen hatte – und ging schnurstracks auf das Sofa zu. Nur kurz hinsetzen, dann würde ich ins Bett verschwinden.

Kapitel 2

W

as war das nur für ein lautes Geräusch? Und warum war mein Hintern so kalt? Wo war ich? Noch wichtiger, WER war ich?

„Guten Morgen mein Schatz!“

Ohhh, mein Kopf. Aua das war viel zu laut. „Hmmm“, brummte ich.

„War wohl ein heftiger Abend.“

„Hmmm“, immer noch bekam ich nicht mehr heraus.

„Sollte ich die Frage stellen, warum du keine Unterhose anhast?“

„Was…?“ Aua mein Kopf. Uhh, das war gar nicht gut. Ruckartig Aufrichten ging mal gar nicht. Ich ließ mich wieder vorsichtig auf das Sofa zurück sinken.

„Trink das.“

Jan hielt mir ein Glas mit einer sprudelnden Flüssigkeit hin. Ich vermutete eine aufgelöste Kopfschmerztablette.

Gierig trank ich das kalte süßliche Wasser.

„Und nun würde ich gerne wissen, warum du hier mit halb heruntergelassener Hose und ohne Slip auf dem Sofa liegst.“

Oh, ich hatte die Hose heruntergezogen? Was war nur passiert? Vorsichtig richtete ich mich auf und zog mir die Leggins hoch. Bruchstückhaft kamen die Erinnerungen wieder.

„Hmm, die Hose. Ich habe keine Ahnung, warum ich die Hose unten habe. Den fehlenden Slip dagegen, kann ich erklären. Gestern in der Disko…“

„Du hast in der Disko deinen Slip ausgezogen?“ Jan hob fragend seine Augenbraue.

„Ja, weil….“

„Möchte ich das WEIL wirklich hören?“

Ich überlegte kurz. Wollte er? Wollte ich es erzählen? „Nun ja, da war kein Toilettenpapier.“

Jan sah mich skeptisch an. „Was hat dein Slip mit fehlendem Toilettenpapier zu tun?“

„Ich musste mich doch abputzen!“

„Das bisschen Urin, hättest du doch, wenn nötig, in die Hose tröpfeln lassen können.“

„Ich habe aber nicht nur gepinkelt.“

„Du hättest doch warten können, bis jemand in die Toilette gekommen wäre. In der Disko gehen doch öfter welche aufs Klo.“

„Die Eine ist sofort geflüchtet, außerdem war es mir peinlich.“

„Warum geflüchtet?“

„Herrgott nochmal Jan. Ich hatte Durchfall. Ich habe mir die Seele aus dem Leib geschissen. Ich wäre fast selber an meinen Dämpfen erstickt und du bist daran schuld!“

In Jans Gesicht zuckte es. „Ich bin schuld?“

„Ja, weil ich wegen dir, mir fünf beschissene Tequila-Orange reingeschüttet habe und der Letzte war schlecht. Mensch Jan, das waren vielleicht Schmerzen.“

„Und was ist mit der Palme unten passiert?“

„Da ist F-P schuld. Wenn er mich nicht abgelenkt hätte…“

„Wer ist F-P?“

„Na, Franz-Peter.“

„Und wer ist Franz-Peter?“

„Der gestern Dienst hatte.“

„Ach du meinst Georg.“

„Na siehste, hört sich doch fast wie Franz-Peter an.“

„Was hat nun Georg mit der Palme genau zu tun?“

„Ich sagte doch, er hat mich abgelenkt und danach lag ich mit ihr auf dem Boden.“

Jans Wange zuckte immer mehr. Der Arsch würde doch jetzt nicht lachen. Ich sah ihn sauer an.

„Wage es dich. Ich habe gestern einen beschissenen Tag hinter mir.“

„Wortwörtlich“, murmelte Jan.

„Arsch, das habe ich gehört!“ Die Tablette wirkte endlich und ich konnte mich langsam erheben. „Ich gehe jetzt ins Bad. Ich brauche eine Dusche und muss mir dringend die Zähne putzen. Ich habe einen Pelz auf der Zunge, als ob ich die ganze Nacht am Teppich geleckt hätte. Bäh!“

Beim Weggehen meinte ich ein leises Lachen zu hören. Ich drehte mich zu Jan um, doch dieser hielt sich die Hand vor den Mund und hustete dezent. Schon klar, wollte der mich verarschen?

Grummelnd verschwand ich im Bad und schnappte mir meine Zahnbürste. Nach dem ausgiebigen Putzen fühlte sich meine Zunge ganz glatt an und der ätzende Geschmack war aus meinem Mund verschwunden. Danach ließ ich mich von dem schönen warmen Wasser aus der Dusche verwöhnen.

In einen Bademantel gewickelt und mit einem Handtuchturban, trat ich den Weg in die Küche an. Ich brauchte jetzt dringend Koffein. Jan hielt mir schon eine Kaffeetasse entgegen.

„Danke!“ Ich liebte den Geruch von Kaffee. Ohne mein Lebenselixier konnte ich nicht in den Tag starten.

Jan stand an die Küchenzeile gelehnt und beobachtete mich. Mir war klar, dass wir uns aussprechen mussten.

Seufzend stellte ich meine Tasse ab. „Ja, ich bin sauer auf dich. Nein, ich habe keine Dummheit deswegen angestellt. Dass mir der Tequila einen unverhofften Abgang bescheren würde, konnte ich nicht ahnen. Gut, und die Palme stand doof im Weg. Und F-P wollte ich auch nicht anmotzen.“

„Du hast Georg angemotzt?“

„Ich war besoffen. Ich kam aus einer Disko, in der ich mich eigentlich vergnügen wollte, stattdessen habe ich mir die Seele aus dem Leib … Na du weißt schon. Ich war mies drauf. Wegen dem Ganzen.“

„Es tut mir leid Nina.“ Jan zog mich an sich heran. „Ich möchte mich nicht mit dir streiten. Aber du musst auch verstehen, dass jetzt so kurz vor Weihnachten ein enormer Stress herrscht. Ich würde viel lieber mit dir in die Stadt gehen und Weihnachtseinkäufe tätigen und mit dir die Wohnung schmücken. Hab bitte Nachsicht mit mir, dass ich seit Jahren keine ernstzunehmende Beziehung hatte, mit der ich ein familiäres Weihnachtsfest feiern wollte. Daher hab ich die letzten Jahre auch immer am meisten an Weihnachten gearbeitet, damit andere sich für ihre Familien Zeit nehmen konnten. Es ist für mich etwas schwer, nun alle Aufgaben mit einem Mal abzugeben und umzuschichten.“ Er sah mich zerknirscht an.

„Ach, Jan. Ich verstehe das ja alles. Aber ich habe mich so sehr darauf gefreut. Bisher habe ich nur mit meinen besten Freunden zusammen gefeiert. Für mich ist es das erste Weihnachten mit einer neuen Familie. Ich möchte doch auch alles schön haben, wenn deine Eltern zu Besuch kommen.“

„Ich weiß Schatz und ich freue mich riesig, dass du dir solche Mühe gibst.“

Auf einmal sah mich Jan mit großen Augen an. „Mist, verdammter. Ich habe meine Eltern vergessen. Die wollen Morgen zum Adventkaffee vorbei kommen.“

Eins, zwei, drei … dann sprang ich auf. Für meinen Zustand waren drei Sekunden wirklich schnell, um zu reagieren. Während ich in das Schlafzimmer hastete, ging ich schon die Einkaufsliste durch. Ich zog mir die Unterhose hoch – Adventskranz -, BH und Socken an – Weihnachtsdeko -, ich zog mir Shirt und Pulli über den Kopf – Backzutaten - , jetzt musste ich nur noch die Jeans zuknöpfen – fuck, Wohnung putzen -. Im Eiltempo wollte ich gerade auf die Aufzugstür zu rennen, als mich Jans Räuspern aus dem Bad ablenkte.

Er wedelte mit dem Fön und ich griff mir an die noch feuchten Haare. Mist, ich wäre jetzt wirklich eiskalt so rausgerannt. Ich stürmte ins Bad und nahm Jan den Fön ab.

Das „Danke“ von mir, ging im Föngebläse unter. Zum Glück hatten meine Haare nur Kinnlänge, so dass ich schnell mit Föhnen fertig war. Auf Makeup verzichtete ich heute, dafür war nun wirklich keine Zeit mehr.

In Windeseile schoss ich wieder Richtung Fahrstuhl. Davor stand schon Jan mit meinen Stiefeln, meinem Mantel und der Handtasche in der Hand. Wahrscheinlich wäre ich ohne alles nach draußen gerannt und hätte dann total blöde in der Halle gestanden. Ein gefundenes Fressen für F-P. Aber Moment, der Kerl müsste heute frei haben. Immerhin hatte er die Nachtschicht übernommen.

 

Ich schlüpfte in Schuhe und Mantel und griff nach meiner Tasche. „Gehst du mit?“ Ich schaute Jan von der Seite an.

„Klar.“

Die Fahrstuhltüren öffneten sich und wir stiegen zusammen ein.

„Dich kann ich doch nicht alleine weglassen. Nicht, dass du mir nachher noch die anderen Palmen niederreißt, oder drin hockst und Georg einen Herzinfarkt bekommt.“

Empört zog ich die Luft ein und holte mit meiner Tasche aus. Gerade als ich ihm diese über den Kopf zog, öffneten sich die Fahrstuhltüren und uns schaute geschockt eine Familie an.

„Mama, warum schlägt die Frau den Mann?“

„Psst, Schatz. Lass uns ruhig einsteigen.“

Das Teufelchen auf meiner Schulter klatschte in die Hände. Ich konnte einfach nicht anders. „Der böse Onkel hier, hat mich unsittlich angefasst.“

Damit ging ich locker neben Jan weiter in die Eingangshalle hinein. Ich hörte noch, wie die Kleine, „Mama, was bedeutet unsittlich?“ ihre Mutter fragte, dann schlossen sich die Aufzugtüren.

„Du kleines Biest!“

„Strafe muss sein, mein Schatz.“ Ich grinste in mich hinein.


Drei Stunden hatten wir mit Einkaufen verbracht. Deko, Zutaten für die Kekse und sogar schon einige Geschenke waren nun in den Tüten verstaut. Jan war die ganze Zeit ohne Murren an meiner Seite geblieben und hatte Packesel gespielt.

Zu Hause angekommen, stürze ich direkt in die Küche.

„Kannst du mir bitte die Tüten mit den Lebensmitteln bringen?“ Während ich in den Schränken nach Schüsseln und Küchenmaschine kramte, stellte mir Jan die gewünschten Tüten auf die Küchentheke.

„Ach, und mach doch gleich noch Weihnachtsmusik an.“ Während ich im Schrank nach dem Spritzbeutel suchte, hob ich die freie Hand. „Ich rate dir, keinen Mucks von dir zu geben.“

Ich kannte Jan genau. Weihnachtsmusik war eigentlich gar nichts für ihn.

Nachdem ich alle Utensilien für das Plätzchenbacken zusammen getragen hatte, erklang leise aus den Lautsprechern sanfte Weihnachtsmusik. Natürlich gab es in der Küche auch ein Boxensystem, welches über die Anlage im Wohnzimmer geschaltet werden konnte, oder über Jans Smartphone. Natürlich waren die technischen Dinge hier im Appartement toll, aber mir würde auch eine kleine süße Wohnung mit zusammengewürfelten Möbeln reichen. Ich kam aus einem kleinen Dorf und meinen Eltern gehörte ein kleiner Bauernhof. Sie betrieben zwar keine Landwirtschaft mehr und auch Tiere gab es kaum noch, doch den Hof würden sie nie aufgeben. Auch wenn ich mich vor einiger Zeit dazu entschlossen hatte, in die Großstadt zu ziehen, damit ich hier einen Beruf ausüben konnte – und wenn es nur am Empfang der hiesigen Zeitung war – so fehlte mir unser Dorf doch sehr.

Meine Lehre als Bürokauffrau hatte ich im Nebenort machen können, allerdings war keine freie Stelle vorhanden, so dass sie mich nicht hatten übernehmen können. Auch in den anderen Firmen gab es keine freie Stelle. So war ich mutig nach München gezogen. Meine Eltern hatten mich am Anfang mit ein wenig Geld unterstützt, damit ich mir eine kleine Wohnung leisten konnte.

Nun aber stand ich in dieser riesengroßen, noblen und modernen Küche. Leise Musik rieselte aus den Lautsprechern und auf der riesigen Arbeitsfläche lagen meine Zutaten für die Weihnachtsbäckerei.

„Ich habe dir schon den Backofen eingeschaltet“, rief mir Jan aus dem Wohnzimmer zu. Auch dieser ließ sich mit dem Smartphone bedienen. Ich zweifelte auch nicht daran, dass der Kühlschrank seinen Inhalt selbst per Internet ordern konnte.

„Würdest du bitte schon aufräumen … ?“ Weiter kam ich nicht, denn Jan unterbrach mich sofort.

„Ich bin schon dabei. Back du die Plätzchen und überlass mir den Rest!“

Ich zog mir mein Smartphone aus der Hosentasche und suchte nach den Rezepten, die mir erst letztens meine Mutter per E-Mail geschickt hatte. Dann ging ich gutgelaunt an die Arbeit. Auch wenn man es nicht von mir dachte, aber ich liebte Backen. Kochen nicht so wirklich, da verbrannte mir schon einmal der Braten, aber Backen war ein Traum. Kuchen, Cupcakes, Muffins und auch Kekse. Eigentlich war mein heimlicher Traum immer noch ein süßes kleines Café zu eröffnen. Aber dafür fehlte mir das Kapital. Außerdem war in der Großstadt das Angebot schon so übersättigt, dass mir auch keine Bank der Welt einen Kredit geben würde. Und Jan würde ich auf keinen Fall fragen.

Leise vor mich hin summend, wog ich die Zutaten ab, mischte alles zusammen, knetete den Teig durch und stach dann die Kekse aus. Ein Blech nach dem anderen wanderte in den Backofen und wieder hinaus. Meine Weihnachtsbäckerei war in vollem Gang. Nach dem Backen erhielten meine Kekse noch verschiedene Verzierungen. Nun waren sie fast zu schade, um sie noch zu essen. Das war etwas, was ich ohne irgendwelche Pannen hinbekam.

„Wow Nina, die sehen fantastisch aus.“ Jan hielt einen Keks ehrfürchtig in der Hand.

„Probier ihn. Ich habe die Kekse nicht zum Anschauen gebacken.“

„Mmmmh, lecker“, nuschelte Jan mit vollem Mund.

„Deine Kekse sind traumhafte Kreationen. Die Küche dagegen, hat ein albtraumhaftes Aussehen.“

Erstmals nach dem Backen nahm ich die Umgebung wahr. Gut, die Kekse waren wirklich ohne Pannen entstanden, die Küche dagegen sah wie ein Schlachtfeld aus.

„Ok, Nina. Du verschwindest aus der Küche und widmest dich der Deko. Ich werde die Küche aufräumen.“

„Aber ich habe doch die ganze …“

„Raus hier!“

Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Jan hatte mir die Tüten mit den Weihnachtssachen auf das Sofa verfrachtet und so konnte ich mich nun hier weiter austoben. Nach nicht mal einer halben Stunde strahlten die Lichterketten, die kleinen Engelchen und der riesige Adventskranz um die Wette. Anscheinend war Jan in der Küche auch schon fertig, denn er trat zu mir und schaute sich mit skeptischem Blick um.

„Meinst du nicht, dass dies ein wenig zu viel des Guten ist?“

„Ich finde es genau richtig. Es verbreitet eine tolle Weihnachtsstimmung.“

„Wenn du meinst …“

Jan trat an die Anlage und schaltete die Musik aus.

„Dann darf ich jetzt aber noch ein wenig TV schauen?!“

„Ja mach ruhig. Ich werde mich langsam mal in das Bett begeben. Die letzte Nacht war für mich doch ein wenig zu kurz.“

Jan gab mir noch einen kurzen Kuss und versank dann in den Börsenbericht. Ich würde jetzt lieber Das letzte Einhorn, oder Drei Haselnüsse für Aschenbrödel schauen. Das würde jetzt viel besser zu Weihnachten und auch zu meiner feierlichen Stimmung passen. Allerdings verflüchtigte diese sich langsam, nachdem ich noch einen kurzen Blick auf den TV geworfen hatte.

Dann ging ich doch lieber ins Bett, als neben Jan die Börsenkurse, Aktien und was weiß ich noch, anzuschauen. Dabei würde ich wieder nur einschlafen und mit Rückenschmerzen nachts aufwachen. Jan war dann längst im Bett. Er hatte sich immer noch nicht angewöhnt, dass wenn er dann ins Bett ging, mich zu wecken und mitzunehmen. Stattdessen wurde ich dann wach und lag ohne Decke auf der Couch und fror, während Jan wohlig im Bett nebenan im Schlafzimmer schlief.

Daher würde ich jetzt lieber ins Bett gehen. Während ich mich im Bad abschminkte, dachte ich mit Bangen an den nächsten Tag. Wie würden Jans Eltern auf mich reagieren? Wie würden sie generell sein? Das war das erste Zusammentreffen mit ihnen und das obwohl ich schon einige Zeit mit Jan zusammen war. Ich fragte mich schon die ganze Zeit, warum ich sie in den letzten Monaten noch nicht kennengelernt hatte. Jan war nicht wirklich mit der Sprache rausgerückt. Immer gab es nur Ausflüchte. Sie seien viel eingespannt, viel unterwegs … Bla, bla, bla – mehr war das nicht. Ob er mich vor seinen Eltern geheim gehalten hatte, oder sie mich nicht kennenlernen wollten, wusste ich nicht. Ich würde es aber sicher morgen in Erfahrung bringen.

Mit diesen letzten Gedanken kuschelte ich mich unter die Decke und war kurze Zeit später eingeschlafen.