Drug trail - Spur der Drogen

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Meinst du wirklich?

Es war gerade einmal sechs Wochen her, dass der Vizepräsident der Vereinigten Staaten, Logan Winston, in einem feierlichen, weltweit ausgestrahlten Trauerakt zu Grabe getragen worden war. Staatsmänner aller Nationen, hohe Würdenträger aus Politik, Wirtschaft und Religion hatten dem Verstorbenen die letzte Ehre erwiesen.

Als wäre der Verlust des zweithöchsten Vertreters der USA nicht schon Schicksalsschlag genug, riss die Reihe der Hiobsbotschaften für Präsident Bob Thompson nicht ab. Über die Vereinigten Staaten von Amerika rollte eine Welle wie eine todbringende Walze, die sowohl in ihrem plötzlichen Auftreten als auch in ihrer Dimension nicht vorherzusehen war. Eine Welle von Drogentoten. Nur wenige Wochen nach dem Ableben des Vizepräsidenten häuften sich die Meldungen über Todesfälle durch Drogenkonsum in solchem Ausmaß, dass die Presse inzwischen von einer „Epidemie der Toxic Drugs“ sprach.

Bob Thompson stand am Fenster des Oval Office und kehrte seinen engsten Vertrauten den Rücken zu. In Gedanken versunken schweifte sein Blick durch den Garten des Weißen Hauses, ohne dabei die kahlen Bäume, die noch auf die Zeit der zarten Knospen des Frühlings warteten, wahrzunehmen.

„Was ist deine Meinung, William?“

„Ich schließe mich Julia an“, antwortete William Baker. „Das Problem liegt auf der Hand: Es sind vergiftete harte Drogen im Straßenhandel, die täglich bis zu tausend Tote fordern. Bislang sind – ohne die Dunkelziffer – mehr als 14.000 Tote zu verzeichnen. Woher die verunreinigten Drogen stammen, konnten unsere Geheimdienste noch nicht mal ansatzweise herausfinden. Es ist wie verhext; nicht nur das Wie, ebenso das Warum ist unklar. Wenn das so weitergeht, haben wir bis zu den Wahlen mehr Drogentote als Verkehrsopfer.“

„Und was schlagt ihr vor?“ Bob Thompson drehte sich um und sah erst Julia, danach Robert, dann William direkt in die Augen.

„Wenn du mich fragst“, führte William weiter aus, „plädiere ich für ein konsequentes Vorgehen. Betrachte es mit den Worten Nixons: ‚war on drugs‘. Du musst mehr investieren, um noch härter durchgreifen zu können. Undercover wie auch mehr bewaffnete Fahnder auf die Straße schicken. Wir sind im Krieg und das amerikanische Volk erwartet von seinem Präsidenten, dass er diesen gewinnt.“

„Wie soll ich einen Krieg gewinnen, wenn ich noch nicht einmal den Feind kenne?“ Bob Thompson geriet in Rage. „William, dort draußen sterben Menschen, Mütter verlieren ihre Kinder. Und wir? Wir stochern im Nebel! FBI, CIA, NSA, DIA, Julia, du weißt besser als ich, wer nicht noch alles beteiligt ist. Und das Ergebnis …?“

„Früher oder später werden wir die Quelle der Toxic Drugs finden“, verteidigte sich Julia. „Unsere Geheimdienste arbeiten auf Hochtouren, drehen jeden Stein herum, unter dem ein Giftmischer sitzen könnte. Du musst Besonnenheit und Stärke ausstrahlen. Und bedenke eines, Bob: Das Volk hat Angst. Und mit Angst, das weißt du ebenso gut wie ich, gewinnst du Wählerstimmen, aller Schichten, aller Rassen.“

„Genauso wie die Republikaner“, entgegnete Bob. „Versteht ihr: Dieser Krieg erscheint mir aussichtslos, abgesehen davon, dass er seit Jahrzehnten Milliarden an Steuergeldern verschlingt, ohne dass wir jemals Aussicht auf Erfolg hatten. Da können wir auch gleich die vielen Milliarden nehmen und sie diesen Kartellen in den Rachen schieben.“ Der Blick des Präsidenten wanderte durch die Runde.

„Vielleicht sollten wir genau das tun, Mr. President“, hörte Robert sich sagen.

Bob Thompson zog fragend die Brauen nach oben, während William seinen Sohn entgeistert anstarrte. „Könntest du mir bitte erklären, was das soll?“, fragte er verwirrt, da er nicht im Geringsten begriff, worauf sein Sohn hinauswollte.

Robert neigte den Kopf seitlich, richtete den Blick auf Julia Hobbs, als suche er nach der passenden Begründung. „Nur ein Gedanke, den Julia und ich vor ein paar Tagen diskutierten. Tatsächlich ist es so, wie Sie es, Mr. President, gerade ausgeführt haben: Seit Jahrzehnten schlagen wir der Hydra einen Kopf ab, wo umgehend zwei neue nachwachsen. Der Kampf scheint aussichtslos. Schauen wir uns die Geschichte der Prohibition der zwanziger und dreißiger Jahre an – den 18. Zusatzartikel, der ein vollkommenes Alkoholverbot vorschrieb. Und was hat er gebracht? Getrunken wurde trotzdem – nur illegal. Und wer hat davon profitiert? Ausschließlich das organisierte Verbrechen. Durch die Aufhebung der Prohibition war das Problem gelöst.“

„Robert, wir sprechen hier nicht von einem Schluck Whiskey, sondern von harten Drogen. Es wäre ein Unding, wenn du mich fragst, hieran auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Gerade jetzt, wo Rauschmittel auch noch mit giftigen Substanzen gestreckt werden. Der Vorschlag ist irrwitzig.“ William schien verärgert über den voreiligen Vorstoß seines Sohnes.

„Nein, nein, lass ihn, William“, schaltete sich nun Bob Thompson ein. „Ganz so von der Hand zu weisen ist der Gedanke nicht. Überlegt doch mal. Mehr als die Hälfte der Bundesstaaten hat den privaten Genuss von Marihuana legalisiert. Über fünfzig Prozent der Wähler befürworten dies mittlerweile. Wenn nun auch harte Drogen legal wären, hätten wir zumindest die Möglichkeit, deren Konsum zu steuern. Gleichzeitig würde der illegale Handel damit unattraktiv werden.“

„Bei aller Liebe, Bob“, erwiderte William. „Wie stellst du dir das vor? Amerika als Land der Junkies? Wir reden hier nicht von Alkohol oder Cannabis. Damit treibst du deine Wähler direkt in die Arme der Republikaner. Keine Amerikanerin, kein Amerikaner wird es gutheißen, wenn sich deren Kinder legal Koks in die Nase ziehen oder an der Nadel hängen. Wo willst du die Grenze setzen? Kokain und Heroin ja – Chrystal Meth nein? Ganz zu schweigen davon, dass wir solch einen Vorschlag weder im Senat noch im Repräsentantenhaus durchbekommen würden.“

Der Präsident schürzte nachdenklich die Lippen. „Meinst du wirklich?“

Ich hab schon zu viel gequatscht

„Ich und Drogen, spinnst du?“

„Dann ist’s ja gut, Robert. Die sterben ja wie die Fliegen wegen dem Giftpanschen! Da hat euer Präsident ja mal richtig ins Klo gegriffen, so kurz vor der Wahl, meine ich.“

„Das kannst du laut sagen, Phil. Fehlt bloß noch, dass das mit dem Vize …“ Robert brach mitten im Satz ab.

„Willst du damit sagen, dass …“

„Philipp, ich hab schon viel zu viel gequatscht. Behalt das für dich, ja? Sonst bin ich meinen Job los und werde wegen Vaterlandsverrat hingerichtet.“

„Gleich so schlimm?“, fragte Philipp lächelnd.

„Wie läuft deine Kampagne bei British Tobacco?“ Schnell wechselte Robert das Thema.

„Bin gerade bei der Erhebung und Ausarbeitung von Datenmaterial.“

„So weit schon? Dann hast du den Auftrag?“

„Noch nicht, aber ich hab das Ding sicher im Sack.“ Philipp lachte auf. „Nur weiß British Tobacco das selbst noch nicht.“

„Und wie geht’s Mom?“

„Sie ist mehr bei ihrem Pferd im Stall als zu Hause. Bin heute bei ihr zum Abendessen.“

„Grüß sie von mir, ja? Vergiss es nicht.“

„Versprochen. Wir melden uns.“

Der Stoff des Vizepräsidenten

Oliver verließ das Gebäude der Washington Post und lief, den Trenchcoat unter den Arm geklemmt, die Straße hinunter zu seinem geparkten Wagen. Gerade als er den Schlüssel ins Schloss des BMW stecken wollte, hörte er dicht hinter sich seinen Namen.

„Mr. Konecki? Sie sind doch Mr. Konecki?“

Als sich Oliver umdrehte, stand ein Mexikaner vor ihm, der sichtlich nervös wirkte. „Ja, kann ich Ihnen helfen?“

Der Latino sah sich hektisch nach allen Seiten um, zog, ohne ein Wort zu verlieren, einen Zettel hervor und schob ihm diesen unauffällig in die Handfläche. Oliver spürte etwas Raues an seinen Fingern, als sein Blick auf den Verband an der Hand des Mannes fiel.

„Was …?“ Noch ehe Oliver weitere Fragen stellen konnte, machte der Fremde auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Menge der Passanten.

Erstaunt blickte Oliver dem Mexikaner hinterher. Er überlegte kurz, ihm zu folgen, entschied sich dann aber doch dagegen, öffnete die Fahrertür und stieg in den Wagen. Neugierig lehnte er sich in dem durchgesessenen Fahrersitz des BMW zurück, faltete das Papier auseinander und las die gekritzelten Druckbuchstaben auf dem zerknitterten Zettel: „23:00 Uhr, Buzzard Point, Ecke First Street SW. Allein!“

Vage erinnerte sich Oliver an das Areal. Dort, am Buzzard Point, trafen die beiden Flüsse Anacostia River und der Potomac aufeinander und bildeten eine Halbinsel südwestlich von Washington. Vor einigen Jahren hatte man in der Nähe des Buzzard Point die Leiche einer jungen Studentin gefunden. Hatte dieser Mexikaner etwa darauf abgezielt? Soweit Oliver wusste, wurde der Mord an jener Studentin niemals aufgeklärt. Noch während er vor sich hin grübelte, breitete sich ein unwohles Gefühl in seiner Magengegend aus, so als hätte er zu viel und zu schnell Fettiges in sich hineingestopft. Sollte er tatsächlich allein einen Wildfremden nachts auf diesem abgelegenen Territorium Washingtons treffen? Und wozu?

Mit einer kleinen Taschenlampe leuchtete er auf das Ziffernblatt seiner Armbanduhr. Es war bereits 23:10 Uhr. Somit harrte er bereits über eine halbe Stunde im Dunkel des grauen Betonklotzes, direkt am Ufer des Anacostia Rivers aus. Das Gebäude, das die Ausmaße eines Fußballstadions besaß, wirkte im nächtlichen Mondlicht bedrohlich massiv.

„Verdammt“, fluchte Oliver vor sich hin. Fröstelnd trat er aus dem Schatten der Fassade und wandte sich zum Gehen, als er plötzlich eine Präsenz ganz in seiner Nähe spürte. Er blickte nach rechts und sah eine Gestalt, die mit großen Schritten zielstrebig auf ihn zugelaufen kam.

 

Oliver erkannte den Mexikaner erst, als dieser direkt vor ihm stand. „Was soll das Ganze?“, zischte er, während seine Linke den Elektroschocker in der Hosentasche fest umschlossen hielt. 500.000 Volt Leistung gaben ihm ein spärliches Gefühl von Sicherheit.

„Kommen Sie, Mr. Konecki“, bedeutete ihm der Mexikaner in starkem Akzent.

„Moment mal, Mister. Ich gehe nirgendwo hin. Was soll diese Heimlichtuerei? Wer sind Sie überhaupt?“

„Mein Name ist Rodrigo. Das tut jetzt aber nichts zur Sache. Ich muss dringend mit Ihnen sprechen.“

„Gut, dann sprechen wir, aber hier. Oder besser noch, Sie kommen morgen in mein Büro. Ich spendiere sogar einen Kaffee. Was soll diese Geheimniskrämerei?

„Jetzt kommen Sie schon, bevor uns jemand sieht.“ Rodrigo zupfte Oliver ungehalten am Ärmel.

„Wer soll uns sehen? Was …“

Ohne weiter auf Oliver einzugehen, huschte Rodrigo im Schatten der Fassade entlang, um zum anderen Ende des Buzzard Point-Gebäudes zu gelangen. Kurz haderte Oliver, doch dann gewann seine journalistische Neugier die Oberhand und so folgte er dem Heimlichtuer. An der Ostseite des Baus bog der Mexikaner links ab und eilte etwa 200 Meter weiter in Richtung Anacostia River, an dessen Ufer einige kleine Motorboote vor Anker lagen. Ehe sich Oliver versah, kletterte dieser Rodrigo auf eines der Boote und kauerte sich ins Dunkel. Vorsichtig folgte Oliver dem Latino, während das sanfte Schaukeln des Kahns seinen Adrenalinpegel noch weiter anheizte.

„Also, was wollen Sie von mir, Rodrigo?“, flüsterte Oliver, der nun, um die Gesichtszüge des Mexikaners im Dunkeln erkennen zu können, ebenfalls kniete.

„Meine, meine Freundin ist gestorben“, begann Rodrigo mit brüchiger Stimme.

„Die Studentin, die man hier gefunden hat?“, hakte Oliver ein, während sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und er die Mimik seines Gegenübers nun halbwegs wahrnehmen konnte.

„Nein, nein.“ Rodrigo verstummte für einen Moment. „Meine Freundin Catalina …“

„Ich weiß nicht mehr, wie sie hieß, aber wir sprechen doch von der Studentin, deren Leiche man hier vor einigen Jahren entdeckt hat, richtig?“

„Ich weiß nichts von einer Studentin. Jetzt hören Sie mir doch endlich einfach nur zu“, zischte Rodrigo. „Kurz vor Weihnachten habe ich ein Tütchen mit nach Hause gebracht. Koks. Ab und an haben meine Freundin und ich etwas geschnupft, hat uns angeheizt. Nur, an diesem Abend ist Catalina zusammengebrochen, im Badezimmer, während ich noch unter der Dusche stand. Ich hab sie gleich ins Krankenhaus gefahren, doch …“, er stockte kurz, fuhr dann aber fort, „doch sie hat nicht überlebt.“

„Ja, und?“, schnitt Oliver ihm ungeduldig das Wort ab, biss sich jedoch gleich darauf auf die Zunge, als ihm bewusst wurde, wie unsensibel die Anmerkung war.

„Sheriffs vom MPDC haben mich aus dem Krankenhaus abgeführt. Ich hab’s nicht so richtig mitbekommen. Die Schwester im Hospital hatte mir ein Beruhigungsmittel gespritzt. Als ich dann am nächsten Morgen in der Zelle aufgewacht bin, ist mir erst klar geworden, woran Catalina gestorben ist.“

„Woran ist sie gestorben?“, fragte Oliver.

„Plötzlich kamen Beamte, Mr. Konecki. In schwarzen Anzügen. Das waren keine Sheriffs des MPDC, die waren von irgendeiner Bundesbehörde, verstehen Sie? Die haben mir eine Kapuze über den Kopf gezogen, mich in einen Wagen verfrachtet und irgendwohin verschleppt.“

„Wohin?“

„Keine Ahnung. Spielt auch keine Rolle. Die wollten unbedingt wissen, was ich weiß.“

„Ich kann Ihnen nicht folgen, Rodrigo. Was genau?“

„Na, das Koks“, antwortete Rodrigo mit sich überschlagender Stimme. „Das Scheißkoks, an dem Catalina verreckt ist.“

„Catalina, also Ihre Freundin, ist an einer Überdosis gestorben? Und die Beamten haben Sie verschleppt, um herauszufinden, wo Sie das Koks gekauft haben? Hört sich abenteuerlich an.“ Langsam schwand das Interesse Olivers an der Geschichte dieses Mexikaners.

„Ich habe das Koks nicht gekauft, das ist es ja. Ich fand es im Jackett aus der Reinigung. Und deswegen haben die mich ausgequetscht und gequält.“

Voller Ungeduld fasste Oliver Rodrigo am Arm. „Jetzt komm zum Punkt, Rodrigo. Was für eine Story soll das sein? Welches Jackett?“

„Das aus dem Four Seasons. Das von diesem Logan Winston, dem Vizepräsidenten“, zischte Rodrigo.

„Das Koks war aus der Jacke Logan Winstons?“, entfuhr es Oliver, der noch immer den Oberarm Rodrigos umschlossen hielt.

„Ja doch. Der Scheißkerl hat meine Catalina auf dem Gewissen.“

Irgendetwas passte an der Geschichte nicht. Warum sollten Bundesbeamte einen x-beliebigen Latino verschleppen?

„Woher wollen Sie wissen, dass es die Jacke des Vizepräsidenten war?“

„Weil ich sie aufgebügelt habe, als ich noch im Four Seasons gearbeitet habe. Shit, Beamte des Secret Service haben sich das Jackett aus der Reinigung geholt, es sich von mir geben lassen. Und dann, am nächsten Morgen, wurde ich verschleppt.“

„Was genau wollten die von Ihnen erfahren?“

„Woher ich das Koks habe. Immer wieder haben sie mich das gefragt und immer wieder habe ich geantwortet, ich hätte es auf der Straße gekauft; ich sei ein Scheißjunkie, der Koks auf der Straße kauft.“

„Und, haben Sie?“, fragte Oliver.

„Hören Sie mir überhaupt zu, Mr. Konecki? Catalina hat den Stoff des Vizepräsidenten gezogen und ist verreckt. Die haben mich gefoltert, um herauszubekommen, was die Wahrheit ist.“

„Gefoltert?“, hakte Oliver ungläubig nach.

Rodrigo rückte ein wenig zur Seite, wodurch das fahle Mondlicht seine rechte Körperhälfte erhellte. Dann hob er die Hand und zog am Verband, der um seine Finger gebunden war. Als er diesen komplett abgewickelt hatte, sah Oliver auf einen entzündeten, rot gefärbten Stumpf, an jener Stelle, wo sonst der Mittelfinger seinen Platz hatte. Entsetzt starrte Oliver auf das fehlende Glied.

„Die haben Ihnen den Finger abgeschnitten?“

Rodrigo gab keine Antwort.

„Okay, angenommen, ich glaube Ihnen. Außer Ihrer Story und der Wunde an der Hand habe ich nichts. Was soll ich Ihrer Meinung nach mit der Information anfangen?“

Rodrigo neigte den Kopf zur Seite, als hätte er die Frage nicht verstanden. Dann griff er in die Tasche seines Blousons und zog ein Plastiktütchen hervor. „Das … haben sie nicht gefunden“, flüsterte Rodrigo, während er das Päckchen geheimnisvoll gegen das Mondlicht hielt. „Sie haben zwar die Wohnung durchsucht und alles auf den Kopf gestellt, aber …“

„Was ist das?“, unterbrach Oliver.

„Das, Mr. Konecki, ist der Stoff des Vizepräsidenten. Und ich verwette meinen Arsch, dass Logan Winston ebenso daran verreckt ist wie meine Catalina.“

Oliver runzelte die Stirn. „Und warum kommen Sie gerade zu mir?“

„Sie sind Chefredakteur der Washington Post. Mann, Mr. Konecki, stellen Sie sich so blöd oder muss ich Ihnen alles haarklein aufs Butterbrot schmieren? Tausende von Junkies sterben plötzlich auf unseren Straßen. Nicht an Überdosen, sondern an Toxic Drugs. Ihr Presseleute berichtet tagtäglich darüber und argumentiert, die Epidemie, an der mehr Menschen verrecken als in den Achtzigern an Aids, sei wegen eines Drogenkriegs des organisierten Verbrechens ausgebrochen. Jetzt zählen Sie doch endlich eins und eins zusammen. Und? Was fällt Ihnen dabei auf?“

„Sie meinen, es existiert eine Verbindung der Drogenmafia zu Regierungskreisen?“

„Bingo“, flüsterte Rodrigo. „Ich habe mir nächtelang den Kopf zerbrochen, Mr. Konecki. Weswegen geht eine Bundesbehörde ein derartiges Risiko ein, mich zu verschleppen und zu misshandeln? Doch nicht allein des Verdachts wegen, ich hätte ein Päckchen Drogen aus einem Jackett geklaut! Mit Sicherheit ist es denen auch scheißegal, dass Catalina gestorben ist. Nein, dahinter stecken andere Motive. Und der einzige Grund, der mir hierzu einfällt, ist …?“ Rodrigo schnippte mit den Fingern seiner linken Hand und runzelte fragend die Stirn.

„Irgendjemand von ganz, ganz oben hängt da mit drin. Jemand, der die Macht hat, eine Bundesbehörde zu beauftragen. Jemand aus der Regierung.“ Oliver senkte nachdenklich den Kopf, während seine Synapsen auf Hochtouren liefen.

„Wieder bingo“, flüsterte Rodrigo. „Überlegen Sie doch mal. Ständig berichtet ihr in euren Artikeln, dass es Drogenkartelle sind, die neuerdings ihren Krieg auf offener Straße austragen, indem sie vergiftete Drogen in Umlauf bringen. Auf dem Rücken der Junkies. Warum sollten die das machen? Würden Sie Ihre Kunden vergiften, und damit das Risiko eingehen, Ihr Geschäft zu ruinieren? Sägen Sie an dem Ast, auf dem Sie sitzen? Nein, nicht wirklich, oder? Das ist kein Machtkampf irgendwelcher Dealer um die Ecke. Da steckt ein ganz anderes Kalkül dahinter. Welches, das müssen Sie herausfinden. Ich sage Ihnen nur eines: Die Drogenkartelle haben ihre Finger überall drin. Wie Tentakel. In Banken, in der Wirtschaft, in der Politik – ja, sogar in kirchlichen Organisationen. Das ist ein Milliardenmarkt. Und ich will, dass Sie, Mr. Konecki, einen Stachel in das System treiben. Was glauben Sie, was Sie lostreten werden, wenn die Welt erfährt, dass der Vizepräsident der Vereinigten Staaten Drogen genommen hat und durch Toxic drugs vergiftet wurde? Ich garantiere Ihnen, die Lawine, die über das Land hereinbricht, wird gigantische Ausmaße haben. Vielleicht beginnt dann der eine oder andere unruhig auf seinem Stuhl zu rutschen. Wenn das passiert, haben Sie womöglich den Startschuss dafür gegeben, diesen Drogensumpf trockenzulegen.“

Presseschlagzeile

Mitte März – 237 Tage vor der Präsidentschaftswahl

Säugling jämmerlich verhungert

Rettungskräfte fanden in den Randbezirken die Leichen einer jungen Mutter und ihres Säuglings. Die Mutter ist anscheinend ein weiteres Opfer der seit Monaten kursierenden Toxic Drugs. Ihr Kind hatte allein keine Chance und ist wohl langsam und qualvoll verdurstet.

Bislang gibt es über 35.000 Todesfälle durch Gift in Drogen. Präsident Bob Parker gerät immer weiter unter Druck. Unzufriedene und besorgte Bürger demonstrieren inzwischen täglich vor dem Weißen Haus und fordern von Politikern und staatlichen Behörden wirksame Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung.

Einfacher als gedacht

Seit Wochen beherrschten Tausende von Drogentoten die Schlagzeilen sämtlicher Tageszeitungen. Kräftig wurde darüber spekuliert, wer hierfür die Verantwortung zu übernehmen hatte. Drogenkartelle und deren Machtkampf, so wurde zumindest vermutet, wären die Delinquenten. Doch das eigentliche Problem sei die Machtlosigkeit der Regierung und ihrer Vertreter. Präsident Bob Thompson stand unter immensem medialem Beschuss.

Und morgen würde auf Seite eins der Washington Post eine Schlagzeile prangen, deren Ausmaß einem unter dem Kapitol gezündeten Sprengsatz gleichkam.

Die Recherche rund um den Drogentod des Vizepräsidenten Logan Winston gestaltete sich einfacher als von Oliver angenommen.

Im George Washington Hospital bestätigte der behandelnde Arzt die Geschichte des Mexikaners Rodrigo Ramirez. Der Mediziner habe in der besagten Nacht die MPDC informiert, da der Exodus der jungen Mexikanerin aller Voraussicht nach nicht allein auf den Konsum von Drogen zurückzuführen war. Sein Verdacht einer Vergiftung traf zwar nicht in der vermuteten Form zu, doch das Ergebnis der Laboruntersuchungen in den darauffolgenden Tagen rechtfertigte die Entscheidung des Arztes. Exzessive zerebrale Blutungen, hervorgerufen durch einen Wirkstoff namens Epinephrin. In kleinen Dosen ein wirksames Medikament, in der im Körper der jungen Frau nachgewiesenen Menge jedoch absolut tödlich. Weitere Auskünfte könne er nicht geben, da er als behandelnder Arzt schon mehr preisgegeben habe, als die Schweigepflicht zulasse. Ausführlichere Details waren für Oliver zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr vonnöten.

Währenddessen knöpften sich Jenny und Qualle den Sheriff des MPDC vor. Zuerst mauerte der Cop unter dem lapidaren Vorwand, er könne sich nicht an jeden einzelnen Gefangenen erinnern. Doch eine Einladung zum Abendessen mit Jenny löste die Zunge des Sheriffs.

Schon seit Jahren gingen ihm die Jungs des Secret Service auf die Eier, fluchte der Sheriff, nachdem ihm der vierte Scotch serviert wurde. „Blasierte Arschlöcher sind das, die meinen, was Besseres zu sein. Ja, sie haben diesen Latino mitgenommen.“

 

Je später der Abend, desto redseliger wurde der Sheriff. Er wisse nicht, wohin sie den Latino gebracht hätten, aber der Secret Service habe reges Interesse an dem Mexikaner gezeigt. Zuerst wollte er die Jungs in ihren Anzügen schmoren lassen. Die waren ja in seinem Hoheitsgebiet, seinem Office. Doch nachdem er die Verfügung gelesen hatte, die eigenhändig von der Direktorin der CIA ausgestellt war, gab er schließlich klein bei und händigte den Mexikaner an die Agenten aus.

Ein zweites Date am darauffolgenden Abend und Jenny besaß eine Kopie der Verfügung. Unterzeichnet von Julia Hobbs. Bingo!

Die Rückschlüsse, die Oliver hieraus zog und für die nächste Zeitungsausgabe in seinen Computer hackte, nämlich dass zu den Drogenopfern auch der Vizepräsident Logan Winston zählte, des Weiteren, dass hochrangige Mitarbeiter des Secret Service, mehr noch, dass Politik und Wirtschaft hinter dem tausendfachen Sterben, der Seuche, der Drogenepidemie stecken könnten, sollte Wellen nicht gekannten Ausmaßes schlagen. Und er, Oliver, würde sich mehr Feinde machen als Napoleon zu Zeiten seines Feldzugs nach Ägypten.