Drug trail - Spur der Drogen

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Neues Terrain

Präsident Bob Thompson schleuderte eine Ausgabe der Washington Post auf den Amtstisch des Oval Office. Heftig schlug er mit der flachen Hand auf die Titelstory, bevor er – im Versuch, sich zu beruhigen – mit gesenktem Kopf beide Hände auf die massive Tischplatte stemmte.

„Das ist der absolute GAU! Julia, was hast du dir bei der Aktion nur gedacht?“

„Bob, der Mexikaner war der Einzige aus dem Hotel, der Kontakt zu Logans Kleidung hatte. Und die Freundin dieses Latinos starb noch am selben Abend – mit den gleichen Symptomen wie Logan.“ Julia wirkte merklich aufgebracht. „Es war zwingend nötig, herauszufinden, was dieser Mexikaner wusste.“

„Zwingend, diesen Latino zu foltern?“, brauste Bob Thompson auf. „Wer in Gottes Namen hat dieses Vorgehen autorisiert? Ich mit Sicherheit nicht!“

Die direkte Anfeindung des Präsidenten veranlasste Julia Hobbs, förmlich zu werden: „Mr. President, es obliegt meinem Verantwortungsbereich, zum Schutz Ihrer und der Sicherheit aller Amerikaner …“

Entnervt winkte Bob Thompson ab und stoppte damit Julias Rechtfertigung. „Julia, du hast eine Entscheidung getroffen. Ich respektiere das. Doch was ich in diesem Fall nicht akzeptiere, nicht akzeptieren kann, sind die Ergebnisse unserer Geheimdienste. Mir kommt es so vor, als arbeiteten FBI, CIA, NSA, und wie sie alle heißen, an ein und demselben Fall – doch ist das Zusammenwirken unserer Organisationen geprägt von … von interner Abschottung und dem Drang nach dem eigenen Machterhalt. Nur ja keine Informationen weitergeben. Von Teamarbeit sind wir Lichtjahre entfernt. Die Lorbeeren selbst einsacken, damit sich dies bei der Verteilung der Budgets positiv auswirkt.“ Bob Thompsons Gesicht war rot angelaufen. „Sag mir, wenn ich mich irre – aber sämtliche Behörden stehen sich gegenseitig im Weg. Schlimmer noch – sie feinden sich wechselseitig aus Gründen der Daseinsrechtfertigung an!“

„Ganz so trifft deine Darstellung nicht zu, Bob“, widersprach Julia. „Die Ergebnisse …“

Bob Thompson fiel Julia Hobbs unwirsch ins Wort: „Lass es gut sein, Julia. Unser Timing lässt dieses Hickhack zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu. Viel wichtiger ist, wie wir uns erklären! Seit Wochen stehen wir unter Druck, um in diesem Drogendesaster erste Erfolge vermelden zu können. Und jetzt, jetzt sind es nicht mehr nur Junkies, über deren Tod geklagt und berichtet wird, nun erreicht diese Giftkrise auch noch unsere Politebene. Mehr noch. Die Spekulationen dieses Journalisten, hinter den Syndikaten und den Giftopfern könnten hohe Regierungsmitglieder stecken … Was für eine Scheiße! Ich garantiere euch“, dabei deutete der Präsident drohend mit dem Zeigefinger in die Runde, „die Wähler werden uns dafür abstrafen. Ein jahrzehntelanger Kampf gegen die Drogen mündet im Fiasko. Wenn wir das Ruder nicht um 180 Grad herumreißen, uns der Situation nicht mit einem frischen, unschlagbaren Plan stellen – dann gute Nacht.“

Bob Thompson stemmte die Hände in die Hüften und kniff seine Augen derart zusammen, dass kleine Krähenfüße zum Vorschein kamen.

„Robert“, fuhr der Präsident fort, „ich habe über deinen Vorschlag nachgedacht. Was, wenn wir tatsächlich harte Drogen legalisieren? Was, wenn wir auf Prävention setzen, statt auf Gefängnisstrafen? Was, wenn wir Steuergelder verwenden, um Suchtkliniken einzurichten, anstatt die Süchtigen wegzusperren? Erlangen wir damit nicht zwei Lösungen auf einen Schlag: die Untergrabung des illegalen Drogenhandels bei gleichzeitig humaner Behandlung der Opfer? Damit stellen wir obendrein ein Gegengewicht her zu den untragbaren Behauptungen der Presse, Regierungsmitglieder seien der Drogenmafia verschrieben.“

Erstaunt über die plötzliche Auslegung des Präsidenten blickte Robert einen nach dem anderen im Raum an. So detailliert hatte er bis dato sein und Julias Gedankenspiel anscheinend nicht überdacht.

„Mr. President, sicher sehe ich den Ansatz, doch es bedarf massiver Recherchen sowie eines ausgefeilten Plans. Jedes kleinste Detail dieses Gedankenpuzzles muss explizit recherchiert, untermauert, statistisch fundamentiert werden. Denken sie nur an die Millionen Suchtkranken, die in Ländern leben, die die gleichen Verbote haben wie die Vereinigten Staaten. Die USA sollen kein Pilgerland für Drogenabhängige weltweit werden. Dies alles gilt es zu bedenken. Und weiter, Mr. President, sollte der Weg uns tatsächlich in dieses Terrain führen, werden wir eine Kampagne benötigen, wie sie dieses Land, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Unser Szenario kommt der Mondlandung gleich. Jeder – und damit meine ich tatsächlich jeden auf diesem Globus – wird das Augenmerk auf dieses Land, auf Ihre Entscheidung und die hierfür notwendige neue Gesetzgebung richten.“

Es war nur so aus Robert herausgesprudelt, doch jetzt wirkte er angespannt, mit hochgezogenen Brauen die Reaktion des Präsidenten wie auch die seines Vaters William abwartend.

Dieser holte tief Luft, schüttelte mürrisch den Kopf, um dann seine Meinung, die noch immer diametral anders ausfallen sollte als die seines Sohnes, kundzutun: „Bob, bei aller Liebe für die heroischen Gedanken meines Sohnes, du weißt, ich gehe mit dir durch dick und dünn, aber das hier …“, William Bakers Blick streifte fast abschätzend Robert, „das hier ist ein … ein völliges Hirngespinst. Ihr vergleicht Äpfel mit Birnen! Alkohol, Marihuana, Menschenskind, das sind weiche Drogen, die wir, mal ganz ehrlich, alle schon ausprobiert haben. Okay, der Vorstoß einzelner Bundesstaaten, Marihuana zu legalisieren, hat erste Erfolge gezeigt. Allein die Besteuerung auf diese weichen Drogen wird den Staatskassen guttun. Uns liegen aber keine Langzeitstudien vor. Wir wissen nicht wirklich, ob das Konzept aufgeht. Ganz davon abgesehen, wie die Drogenmafia hierauf reagiert.“

„Einen Schritt nach dem anderen, William“, widersprach Bob Thompson. „Ich höre schon wieder das Argument Drogenmafia. Natürlich werden die Syndikate Mittel und Wege suchen, um das drohende Fiasko abzuwenden. Doch wir haben – so sehe ich es zumindest – zwei ganz entscheidende Vorteile. Erstens: Wir werden die Lieferanten sein und somit kontrollieren, dass ausschließlich reine, geprüfte Drogen auf den Markt kommen. Zweitens: Wir drehen den Syndikaten den Hahn ab, die Gelddruckmaschine ‚Droge‘ wird für die Mafia versiegen. Das ist doch das Ziel, oder?“

„Und du glaubst tatsächlich, die Syndikate werden sich das einfach so gefallen lassen?“ William schüttelte ungläubig den Kopf.

Es war nun Julia, die sich direkt an ihn wandte: „William, der Präsident hat recht. Deine Darlegung – klar, ich habe die gleichen Befürchtungen wie du, aber deine Argumentation bedeutet doch unterm Strich, dass die Syndikate uns, die Regierung, in der Hand haben und nicht umgekehrt. Mit dem Vorstoß der Legalisierung besteht die Chance …“

„Ich bin dennoch nicht überzeugt“, unterbrach William. „Sicher, ich werde mitziehen, aber überzeugt …“ William hob resigniert die Hände, als wolle er sich ergeben.

Sekundenlang herrschte Stille im Raum.

„Wie ist deine Meinung? Bis jetzt hast du dich noch gar nicht geäußert.“ Bob Thompson sah zu seinem Verteidigungsminister Ashton Brown, der teilnahmslos der Diskussion gefolgt war.

„Müssten wir abstimmen, Bob, stünde es unentschieden. Ich schließe mich den Argumenten von William an. Ein Vergleich zwischen Prohibition und harten Drogen – ich bitte dich. Der hinkt nicht nur, er sitzt vom Kopf an gelähmt im Rollstuhl.“

Einige Augenblicke überlegte Bob Thompson, wog die genannten Für und Wider gegeneinander ab. Dann traf er seine Entscheidung: „William, ihr bekommt alle notwendigen Ressourcen. Sagt mir, was ihr braucht, was erforderlich ist, und ich werde die Budgets hierfür freigeben. Stellt euch ein Team zusammen – einen wohlgemerkt kleinen Stab vertrauenswürdiger Personen. In einem Monat will ich Ergebnisse sehen. Das Pro und Contra des Plans, bis ins Detail ausgearbeitet. Dann werden wir entscheiden. Also, verlieren wir keine Zeit. Eines noch: Das Thema ist topsecret. Bevor nicht alle Fakten auf der Hand liegen, kein Wort zu niemandem! Macht euch an die Arbeit.“

Robert nickte zustimmend und verließ daraufhin mit seinem Vater William das Oval Office. Als Julia mit Ashton den beiden folgen wollte, hielt der Präsident sie zurück: „Julia, bleib noch kurz. Wir müssen reden.“ Dabei deutete Bob Thompson mit seinem Zeigefinger auf die Titelseite der Washington Post.

Frage und Antwort

„Und, meine Damen und Herren?“ Erwartungsvoll blickte Philipp in die Runde.

Um einen Besprechungstisch saßen sechs Mitarbeiter der Marketingabteilung, gekrönt vom Marketing-Vorstand, Frau Grossmann, sowie dem CEO von American-British-Tobacco, Dr. Fischer. Bedächtiges Schweigen breitete sich in dem modern möblierten Besprechungsraum in der vierten Etage des Berliner Verwaltungstrakts aus.

Bestrebt, der Situation gerecht zu werden, faltete der CEO seine Hände, betrachtete diese, als zeichnete sich auf ihnen die Antwort ab, lehnte sich anschließend nach vorn und setzte ein charmantes, doch gekünsteltes Lächeln auf. „Herr Baker, deswegen sind Sie doch hier, um uns diese Frage zu beantworten, oder?“

„Sicher, Dr. Fischer. Aber sehen Sie nun den Zusammenhang dieser simplen Frage mit Ihrer geplanten Werbekampagne? Die perfekte Werbung kann Ihre Kunden nur dann überzeugen, wenn sie die meist unbewusst wahrgenommenen Gründe für das Rauchen wirklich trifft. Deshalb muss im Vorfeld der Grundnutzen des Rauchens geklärt werden. Denn jedem Konsumenten ist klar, dass Rauchen ungesund ist, übel riecht und viel Geld kostet. Also muss es doch Gründe geben, die für den Raucher noch wichtiger sind, und die müssen wir in der Kampagne ansprechen – sonst sind die Millionen für die Schaltung von Werbung rausgeschmissenes Geld! Anders ausgedrückt: Wenn Sie uns für eine Feldforschung beauftragen, dann können wir fundiert die relevanten Bedürfnisse ansprechen und – dessen bin ich mir sicher – Ihre Marke wieder in die Gewinnzone bringen.“

 

„Was würde diese Feldforschung Ihrer Meinung nach kosten?“ Dr. Fischer runzelte die Stirn, als wolle er die Antwort gar nicht hören.

Philipp ging um den Tisch herum zu seinem Platz, blätterte in seiner Ledermappe, bis er gefunden hatte, wonach er suchte. „Ich habe mir erlaubt, den Auftrag bereits vorzubereiten.“ Mit dem wohl freundlichsten Lächeln dieses Tages schob er das Papier vor die gefalteten Hände des CEO.

Die Furchen gruben sich noch tiefer in Dr. Fischers Stirn. „Und bis wann können wir mit einem Ergebnis rechnen, sollte ich Ihnen das hier gegenzeichnen?“ Dabei nickte Dr. Fischer in Richtung des Auftrags.

Ein Auge zusammengekniffen, betrachtete Philipp seine Armbanduhr, jene, die die Einbrecher nur wenige Monate zuvor nicht gestohlen hatten. „Sollten Sie unserer Agentur das Budget hierfür geben, dann liefern wir Ihnen die Feldstudie …“, Philipp legte eine Denkpause ein. „Wäre Ihnen nach der Kaffeepause recht?“

Nun war es an ihm, eine Augenbraue in die Höhe zu ziehen und die Reaktion Dr. Fischers abzuwarten.

„Sie meinen, Sie haben die Studie dabei?“

„Die Feldstudie, wie auch einen groben Ausblick auf die Kampagne. Voraussetzung …“ Philipp tippte auf den Auftrag.

„Was meinen Sie?“ Dr. Fischer blickte fragend in die Runde. Das beeindruckte Nicken der Mitarbeiter, vereinzelt mit einem Schmunzeln durchsetzt, gab letztendlich den Ausschlag. „Gut, Herr Baker. Sie haben uns wieder mal gewonnen – zumindest für die Ergebnisse der Feldforschung. Die Umsetzung – na, sehen Sie zu, dass Sie auch hier so überzeugend auftreten. Frau Grossmann, können wir das im Budget noch unterbringen?“ Dabei deutete Dr. Fischer auf die Endsumme des Auftrags.

Frau Grossmann drückte ein wenig ihr Kreuz durch, nahm die Schultern zurück und stupste mit dem Zeigefinger die elegante Lesebrille in Richtung Nasenwurzel.

Philipp kannte Frau Grossmann schon seit einigen Jahren und wusste, dass sie die fünfzig bereits überschritten hatte. Sollte man ihr allerdings im schummrigen Licht einer Bar begegnen, so würde man sie aufgrund ihrer schlanken, durchtrainierten Figur um mindestens zehn Jahre jünger einschätzen. Einzig feine Fältchen um Augen und Mundpartie sowie erste hellbraune Altersflecken an ihren schlanken Händen gaben Hinweise auf ihr tatsächliches Alter. Neben dem CEO war sie die „Blonde Eminenz“ des Marketings und mit erheblicher Entscheidungsbefugnis ausgestattet. Philipp wusste das und ballte seine Linke hinter dem Rücken zur Faust.

„Bekomm ich hin, Dr. Fischer“, antwortete die Marketingchefin mit einem süffisanten Lächeln.

Philipp atmete innerlich auf, schenkte Frau Grossmann sodann ein kurzes Augenzwinkern, während der CEO den Auftrag unterschrieb.

„Und jetzt, Herr Baker“, Dr. Fischer schubste Philipp den Auftrag über den Tisch, „in knappen Worten das Ergebnis der Feldstudie, bevor wir nach dem Mittagessen ins Detail gehen.“

„Okay. Im Wesentlichen, Herr Dr. Fischer, geht es um zwei zentrale Themen: Das Nikotin im Tabak wirkt beruhigend auf das vegetative Nervensystem – denken Sie an das HB-Männchen der Konkurrenz. Stress führt bei ihm zur Überforderung, das HB-Männchen geht in die Luft, um nur kurz nach dem Zug an einer Zigarette wieder herunterzukommen: ‚Komm, mein Freund, rauche, dann geht alles wie von selbst!‘“

„Aber wir können doch nicht die alten Kamellen der Konkurrenz nachahmen“, warf Dr. Fischer ein.

„Nein, natürlich nicht! Wir brauchen eine neue, zeitgemäße Umsetzung des gleichen Inhalts. Und da kommt das zweite Thema ins Spiel.“

„Und welches?“ Dr. Fischer blickte neugierig.

„Das Selbstbild des Rauchers. Faktisch sind fast alle Produkte austauschbar. Warum, Herr Dr. Fischer, haben Sie so viel für Ihre schöne Uhr ausgegeben? Eine billigere hätte die gleiche Zeit angezeigt! Verbraucher entscheiden sich bewusst für bestimmte Marken – zum Beispiel bei Uhren, Brillen, Kleidung – und auch bei Zigaretten. Und warum? Um ihr ganz individuelles, persönliches Profil zu formen. Heutzutage verkauft sich jede Person selbst als Marke und drückt dadurch ihr Image aus.“

„Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Baker, bedient Ihr Kampagnen-Ansatz nicht nur den Grundnutzen für Zigaretten, sondern darüber hinaus das Verwender-Image. Somit bieten wir eine positive Identifikationsfläche“, resümierte der CEO Dr. Fischer und nickte Frau Grossmann zu.

Der Nachmittag verlief ganz nach Philipps Geschmack. Nachdem sämtliche Themen behandelt waren, schüttelte er zum Abschied allen Anwesenden die Hand.

„Frau Grossmann, wenn Sie so nett wären und Herrn Baker zum Ausgang begleiten würden? Die Vorstandssitzung beginnt in wenigen Minuten.“

„Natürlich, Dr. Fischer. Herr Baker, folgen Sie mir bitte.“

Wortlos schritt Philipp neben der Marketingchefin den Korridor entlang zu den Aufzügen. Als sie in die Kabine getreten waren, kündigte ein „Ping“ im Stakkato an, dass sich die Türen des Fahrstuhls schlossen.

„Nochmals herzlichen Dank, Frau Grossmann. Mit Ihrer Budgetfreigabe ist mir ein Stein vom Herzen gefallen.“

„Wer hoch pokert, sollte belohnt werden, meinen Sie nicht auch, Herr Baker?“

Philipp grinste und Frau Grossmann erwiderte das Lächeln. Ihre weißen Zähne saßen kerzengerade und Philipp überlegte flüchtig, dass sie dafür gewiss ein Vermögen ausgegeben hatte.

„Herr Baker, wenn wir schon beim Pokern sind.“ Sie strich sich mit der Hand eine Strähne ihres blonden Pagenschnitts aus der Stirn. Philipp fielen die gepflegten Fingernägel auf, die mit glänzend beigem Nagellack überzogen waren. „Meinen Sie nicht, die Budgetfreigabe wäre ein Abendessen wert? Zur Feier des Tages?“

In diesem Augenblick setzte der Fahrstuhl sanft im Erdgeschoss auf. Ohne dass Philipp eine Antwort auf die Frage geben konnte, traten beide aus dem Aufzug in die futuristisch gestaltete Empfangshalle. Diese wenigen Sekunden reichten aus, dass Philipp ein Gedanke durch den Kopf schoss. War dies eben die Aufforderung zu einem Date gewesen? Oder täuschte er sich?

„Das ist doch das Mindeste, Frau Grossmann“, antwortete Philipp im Tonfall des Gentlemans. „Liebend gern und danke, dass Sie mich danach gefragt haben. Ich hätte es nicht gewagt, direkt mit …“

„Ich habe bis zirka 19:00 Uhr hier zu tun“, fiel sie ihm ins Wort. „Wenn Sie mich abholen könnten? Und das Lokal suche ich aus, einverstanden?“ Frau Grossmann schmunzelte.

„Klar. Perfekt. 19:00 Uhr hier am Eingang. Ich freue mich. Also, bis dann.“

Tall slender angel

Punkt 19:00 Uhr trat Frau Grossmann aus der gläsernen Drehtür des Verwaltungsgebäudes ins Freie. Über ihr rotes Kostüm hatte sie einen hellen Frühlingsmantel gezogen, farblich passend zu den hochhackigen Louboutin.

„Ich liebe es, wenn Männer pünktlich sind. Es gibt uns Frauen das Gefühl der Wertschätzung.“

„Aber sicher. Dann los, Frau Grossmann. Ich parke gleich hier.“ Philipp deutete auf den Parkplatz, wo sein dunkler Porsche Cayenne geparkt stand. Ganz Kavalier öffnete er der Marketingleiterin die Beifahrertür und wartete ehrerbietig, bis sie eingestiegen war. Dann lief er um den Wagen herum und startete den Motor.

„So jung und schon ein so teures Spielzeug.“ Mit hochgezogenen Brauen fuhr Frau Grossmann bedächtig über das Armaturenbrett.

„Keine Angst, Frau Grossmann, das ist ein Firmenwagen. Wohin soll’s denn gehen?“

„Kennen Sie das Horváth in Kreuzberg?“

„Klar. Glauben Sie, dass wir dort um diese Zeit ohne Reservierung einen Tisch bekommen?“

„Das lassen Sie meine Sorge sein, Philipp. Ich darf doch Philipp sagen?“

„Kein Problem“, antwortete er kurz grübelnd, ob sich dieses Privattreffen negativ auf die weitere Zusammenarbeit auswirken könnte. Doch gleich darauf verwarf er den Gedanken wieder.

Das Glück war auf ihrer Seite, als sie direkt vor dem Lokal am Paul-Lincke-Ufer eine Parkbucht fanden. Gemäß der Etikette ließ es sich Philipp abermals nicht nehmen, seiner eleganten Begleitung die Fahrzeugtür zu öffnen. Die Aprilsonne senkte sich über die Dächer von Kreuzberg, als sie das Restaurant betraten.

„Guten Abend, die Herrschaften.“ Ein junger Kellner in schwarzem Hemd und schwarzer Hose begrüßte die Gäste überschwänglich.

„Ich habe reserviert, auf Grossmann.“

„Augenblick, die Dame, ich sehe kurz nach.“ Der Kellner fuhr betont konzentriert mit dem Zeigefinger über die Eintragungen in einem ledergebundenen Kalender. „Da haben wir es. Zwei Personen für 20:00 Uhr. Gut, dass Sie rechtzeitig reserviert haben. Hach, derzeit würden wir zwei Restaurants voll bekommen. Ich zeige Ihnen Ihr wunderschönes Plätzchen. Darf ich?“ Der junge Ober lief im Stechschritt und mit ausladendem Hüftschwung durch das holzvertäfelte Lokal, vorbei an einer langen Theke bis in den hinteren Bereich des Restaurants. „Bitte sehr. Ich bringe Ihnen umgehend die Karte. Darf es ein Aperitif sein?“

Das Menü war, wie nicht anders zu erwarten, ausgezeichnet. Zur Vorspeise wurde Leindotterölvinaigrette mit Maränenkaviar serviert, gefolgt vom Hauptgang, einer Eismeerforelle mit Paprikaaromen.

Die zu Beginn etwas zurückhaltende Konversation entspannte sich nach nur wenigen Minuten, was neben dem Aperitif auch einem hervorragenden Rotwein zuzuschreiben war.

Als kurz nach elf Uhr der Nachtisch abserviert wurde, faltete Philipp seine weiße Stoffserviette zusammen und lehnte sich entspannt im Stuhl zurück: „Noch einen Kaffee oder Espresso?“

„Gern. Aber wollen wir den vielleicht woanders trinken? Ich glaube, ich brauche ein wenig frische Luft. Der Rotwein.“ Frau Grossmann lächelte und fächelte sich mit der Nachspeisenkarte zu, um ihrem Wunsch Nachdruck zu verleihen.

Philipp beglich die Rechnung und wenig später saßen sie im Wagen, dessen glänzend schwarzlackierte Motorhaube die Lichter Berlins widerspiegelte.

„Kaffee. Das war das Stichwort. Haben Sie einen besonderen Wunsch, Frau Grossmann?“

„Nur einen. Es sollte angenehm ruhig sein. Der ganze Tag heute im Büro und jetzt das volle Restaurant. Den Abend in Ruhe ausklingen lassen – das wäre perfekt, oder?

„Hmmh.“ Philipp verzog nachdenklich das Gesicht. Noch bevor er einen Vorschlag anbringen konnte, kam ihm Frau Grossmann zuvor: „Wohnen Sie nicht in dieser Ecke von Berlin?“

„Ganz recht. Keine zehn Minuten von hier. Alt-Treptow, in der Krüllstraße.“

„Hätten Sie Lust, den Kaffee bei Ihnen zu trinken? Nur wenn es keine Umstände macht. Anschließend lasse ich mir ein Taxi kommen, damit Sie nicht mehr fahren müssen.“

„Gern. Ein Kaffee im Restaurant Baker. Klingt perfekt.“

Als Philipp fünfzehn Minuten später die Dreifachverriegelung zu seiner Wohnungstür aufschloss, stand Frau Grossmann so dicht hinter ihm, dass der Hauch ihres Parfums seine Nase umspielte.

„Das ist ja wie in Fort Knox bei Ihnen.“

„Sicherheit geht vor. Kurz vor Weihnachten wurde in meine Wohnung eingebrochen. Junkies! Aber jetzt“, Philipp klopfte auf das Holz der Eingangstür, „kommt hier keiner mehr rein.“

Die Wohnung aus den sechziger Jahren besaß keinen der üblichen Eingangsflure. Alle Innenwände waren entfernt und der Statik wurde durch massive, frei stehende Betonpfeiler Rechnung getragen.

„Machen Sie es sich bequem, fühlen Sie sich wie zu Hause.“

Frau Grossmann zog den Mantel aus, winkelte ihr linkes Bein an, streifte sich den Schuh ab und ließ ihn ebenso achtlos wie den Mantel auf das Parkett fallen. Gleich darauf folgte der zweite Louboutin. Dann lief sie durch den etwa achtzig Quadratmeter großen Wohnraum und besah sich das Interieur.

„Sie beweisen Geschmack, Philipp. Aber das dachte ich mir schon. Von wem ist das Bild?“, fragte sie und deutete auf ein mächtiges, modernes Ölgemälde über der weißen Ledercouch.

„Rayk Goetze, Neue Leipziger Schule“, antwortete Philipp, der hinter der Küchenzeile stand, die in den Wohnraum integriert war. „Ich hätte noch einen Valdo im Angebot, oder doch lieber Kaffee?“

„Beides, wenn machbar“, antwortete Frau Grossmann, ohne den Blick vom Gemälde abzuwenden. Dann, als habe sie eine Eingebung, lief sie zur Küchentheke und nahm auf einem der Barhocker Platz. „Wirklich schön haben Sie’s hier, Philipp. Wohnen Sie allein in Berlin?“

 

„Nein, meine Mutter wohnt ebenfalls in der Stadt. Mein Vater und mein Bruder leben in den Staaten.“

„Sie haben einen Bruder?“

„Robert, ja, mein Zwillingsbruder. Allerdings bin ich der Hübschere.“ Philipp feixte.

„Dessen bin ich mir sicher“, entgegnete Frau Grossmann augenzwinkernd.

Philipp ließ den Korken knallen und schenkte den Prosecco in zwei Glasschalen. „Cheers, Frau Grossmann. Auf Sie.“

„Auf uns, Philipp. Wir waren heute ein unschlagbares Team. Nennen Sie mich bitte bei meinem Vornamen, wenn wir uns privat treffen. Ich heiße Heidi.“

„Heidi, angenehm, Philipp.“ Er hob die Sektschale in die Höhe.

„Wollen wir nicht aufs Sofa? Ist gemütlicher.“ Heidi lächelte, rutschte elegant vom Hocker und schlenderte am Prosecco nippend zur Couch. Philipp folgte ihr und setzte sich mit etwas Abstand neben sie.

„Ein wirklich schöner Abend, Heidi. Aber verrat mir eines: Hast du tatsächlich den Tisch im Horváth schon vor Tagen reserviert?“

„Ist dir aufgefallen?“ Heidi schmunzelte verschwörerisch.

„Klar, ich meine …“

„Pass auf, Philipp. Den Tisch habe ich natürlich im Voraus reserviert. Ebenso war mir klar – zumindest hatte ich es gehofft –, dass du genauso vorbereitet im Meeting erscheinst, wie du es getan hast. Dein Ruf eilt dir voraus und ich wollte unbedingt die Feldstudie mit deiner Agentur – oder exakt: mit dir haben.“

Erstmals an diesem Tag setzte Philipp eine verblüffte Miene auf. „Tatsächlich? Dich sollte man nicht unterschätzen.“

„Ganz sicher nicht“, entgegnete Heidi, während sie ein Bein auf dem Sofa anwinkelte, um sich draufzusetzen. Divenhaft legte sie ihren Kopf auf die Rückenlehne des Ledersofas, rieb sich mit der linken Hand den rechten Fuß und seufzte leise: „Ah, diese Schuhe. Da habt ihr Männer leichteres Spiel. Ich könnte jetzt stundenlang so sitzen bleiben. Diese Ruhe.“

„Dann lehn dich zurück und genieße. Apropos Ruhe. Etwas Musik?“ Ohne die Antwort von Heidi abzuwarten, griff Philipp nach der Fernbedienung auf dem Glastisch und drückte die Play-Taste. Sofort erfüllte angenehme Lounge-Musik den hohen Raum. „Auch noch einen Schluck Valdo?“

„Gern“, lächelte Heidi und reichte ihm das Glas.

Philipp lief an die Küchenbar und schenkte in jede der Sektschalen nach. Als er zur Couch zurückkehrte, winkte Heidi ihm mit der rechten Hand. „Stört es dich, wenn ich rauche?“

Erst jetzt sah Philipp die gedrehte Zigarette, die Heidi zwischen Zeige- und Mittelfinger hielt. „Keineswegs, ich hol dir einen Aschenbecher.“

Abermals verschwand Philipp hinter der Küchenzeile, kramte in einem der Schränke, bis er mit einem Kaffeebecher in der Hand zurück ans Sofa kam. „Mit nem Aschenbecher kann ich leider nicht dienen.“ Philipp verzog seine Lippen zu einem Schmunzeln. „Der müsste aber auch gehen.“ Er stellte den Becher auf den Glastisch.

Sichtlich mit Genuss zündete sich Heidi die Selbstgedrehte an und inhalierte den Rauch des ersten Zuges tief in ihre Lungen. Süßlicher Geruch nebelte sie ein. „Willst du auch ziehen?“, fragte sie und reichte Philipp den Glimmstängel entgegen.

„Ist das …?“

„Völlig harmlos“, beschwichtigte Heidi. „Nur ein wenig Gras. Vertreibt jeden nervigen Gedanken. Du hast noch nie, oder?“

„Ehrlich? Nein. Noch nie. Ab und an eine Gauloises.“

„Das kannst du nicht vergleichen“, meinte Heidi verständnisvoll. „Hat mit Rauchen an sich nichts zu tun. Ist wie … wenn du einen Schluck zu viel hast – gerade so, dass es angenehm ist. Sehr beruhigend. Also, ein Zug?“

Philipp langte nach dem Joint, betrachtete kurz die schwelende Glut und legte das andere Ende an seine Lippen. Erst zog er zaghaft, dann etwas beherzter. Das Eingeatmete breitete sich über die Luftröhre in seinen Lungenflügeln aus und reizte seine Atemwege. Ein Hüsteln war das Resultat, gefolgt von einer Träne, die aus dem linken Auge rann.

„Wau, da merkst du, dass ich noch nie …“, bemerkte Philipp sich räuspernd und gab den Joint dankend zurück.

„Du bist ja süß“, antwortete Heidi und zog genussvoll am Joint. „Merkst du schon, wie es wirkt?“, fragte sie neugierig, die Augen des Qualms wegen zu zwei kleinen Schlitzen zusammengekniffen.

„Hmm“, war die lapidare Antwort. Tatsächlich spürte Philipp, wie sich die Droge in seinem Körper ausbreitete. War es das Gras oder die Tatsache, etwas Verbotenes zu tun – egal, er fühlte, ja, er fühlte eine Erregung in sich aufsteigen. Sein Glied verhärtete sich, was ihn zwang, die Sitzposition zu verändern, da sein Penis ungünstig in der Unterhose eingezwickt war. Unbewusst zupfte er am Schritt, bis alles korrekt und angenehm saß.

Heidi hatte das nervös wirkende Manöver beobachtet und lachte: „Na, das ist ja wohl die beste Wirkung, die man sich erhoffen kann.“

Leichte Röte färbte Philipps Wangen, als er halblaut murmelte: „Ist das so, ja?“ Dann musste auch er lachen.

„Noch ein Zug – jetzt, da es wirkt?“ Heidi neckte ihn, während sie verführerisch mit dem Joint wedelte.

„Gib schon her, Blondie“, scherzte Philipp verspielt.

„Augenblick!“ Heidi setzte sich auf, kniete sich auf dem Sofa vor ihn, drehte den Glimmstängel in ihrem Finger und führte ihn zu Philipps Lippen. Zart umschloss er ihre Hand, während er einen tiefen Zug des Marihuanas einatmete. Dieses Mal unterdrückte er ein Husten. Just in dem Moment, da er den restlichen Rauch wieder auspustete, presste Heidi ganz sanft ihre Lippen auf die seinen und sog die ausgeblasene Wolke ein. Bevor Philipp reagieren konnte, lehnte sie sich wieder zurück.

„Angenehm, oder?“, fragte sie, wobei Philipp einen Hauch von Unsicherheit an ihr bemerkte.

„Ich würde lügen, wenn nicht“, gab er zur Antwort und lächelte sie unverhohlen an.

„Bist du schüchtern oder irritiere ich dich?“, fragte Heidi nun wieder selbstbewusster.

„Keineswegs“, flüsterte Philipp.

„Du gefällst mir, weißt du das – und ich wäre jetzt in der Stimmung …“ Sie verstummte für einen Moment. Dann spitzte sie die Lippen: „Auf mich hat das Zeug – und du natürlich – auch eine stimulierende Wirkung. Sehr sogar.“

„Tu dir keinen Zwang an“, war das Einzige, was Philipp in diesem Augenblick hervorbrachte.

Knisternde Erotik spannte sich wie ein unsichtbares Band zwischen ihnen. Was dann geschah, übertraf seine kühnsten Träume. Heidi nahm einen tiefen Zug, dann noch einen und behielt den Rauch eine gefühlte Ewigkeit in ihren Lungen. Gleichzeitig schob sie behände den roten Rock bis zur Hüfte, sodass Philipp den schmalen Streifen Stoff ihres Slips unter der hellen Strumpfhose ausmachen konnte. Ungeniert fasste sich Heidi mit der linken an das Nylon über ihrer Scham, streichelte sich sanft, während sie ein letztes Mal an dem zu einem Stumpen heruntergerauchten Joint sog.

„Ich bin feucht, Philipp“, hauchte sie und streckte ihm mit laszivem Blick die Haschisch-Zigarette hin. Behutsam nahm er den Joint und bugsierte ihn in die Kaffeetasse. Er wollte sich zu ihr beugen, ihr einen Kuss geben, doch sie wehrte ab. „Nein, erst mal zusehen. Ich liebe es, wenn ein Mann mich beobachtet. Exhibitionistisch, oder?“

Philipp starrte, war nicht in der Lage, ein Wort zu sprechen. Ohne Unterlass massierte Heidi ihren Venushügel. Dabei beobachtete sie Philipp, als wolle sie jeden seiner Blicke, jeden tiefen Atemzug ihres Gegenübers in sich aufnehmen, gleich dem Inhalieren der Droge. Während ihre Linke noch immer die Scham liebkoste, knöpfte sie mit der Rechten ihre Kostümjacke auf. Zum Vorschein kam ein weißer Spitzen-BH. Sie zog am Büstenhalter und entblößte eine ihrer Brüste. Ein kleiner Busen, wie Philipp auffiel. Die dunkle Brustwarze, deren Nippel erigiert hervorstach, zeichnete sich von der honigmilchigen Haut ab. Sichtlich erregt befeuchtete Heidi ihre Finger mit etwas Speichel, bevor sie den Nippel zwischen ihren Fingern zu kneten begann. Der im Verhältnis zum Vorhof mächtige Nippel versteifte sich zusehends. Philipp stierte auf ihre beige lackierten Fingernägel und tat einen tiefen Atemzug, als er den Nippel zur Größe eines Schnullers zwischen ihren Fingern anschwellen sah. Heidi stöhnte leise, lustvoll. Dann tastete sie nach dem Saum der Strumpfhose, zog daran und ließ die linke Hand unter ihr Höschen gleiten. Das Nylon der Strumpfhose glänzte, während sie weiter sanft masturbierte. Philipp hörte das leise Schmatzen der Feuchtigkeit, als ihre Hand sich anwinkelte und sie das Innere ihrer Vagina massierte. Sie begann heftiger zu atmen, schloss für Sekunden die Augen, um sie sofort wieder aufzureißen und Philipp anzustarren. Ihre Zungenspitze fuhr gedankenverloren über die Oberlippe, sie atmete stoßweise durch den Mund. Dann, als hätte sich ein Schalter umgelegt, hielt sie plötzlich inne, zog die Hand aus der Strumpfhose, beugte sich zu Philipp und steckte ihm den feucht glänzenden Zeigefinger in den Mund.