Drug trail - Spur der Drogen

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Drug trail - Spur der Drogen
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Matthias Kluger

(Nach einer Idee von

Peer-Holger Stein)

DRUG TRAIL

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2021

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Copyright (2021) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Titelbild: Gemälde von Matthias Kluger (2014)

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Exodus

„Fuck!“

Vor seinen weit aufgerissenen Augen begann sich der Raum samt Interieur zu drehen. Bedrohlich wölbte sich der Boden unter seinen Füßen nach vorn und erschwerte ihm so das Gehen und die Balance zu halten. Der braune Teppich schien über eine Felsklippe hinweg in die Tiefe zu stürzen.

Er taumelte, stolperte zur Badezimmertür und krallte seine Finger in das Holz des Türrahmens, ohne zu bemerken, dass dabei zwei der erst kürzlich manikürten Fingernägel abbrachen.

Sein Herz raste wie der Kolben einer Dampfmaschine und drängte das Blut in kurzen, heftigen Stößen durch das Adergeflecht hinauf in seinen Kopf. Schweißperlen traten auf seine Stirn, rannen ihm über das Gesicht und färbten den Kragen des weißen Hemdes dunkel.

Während Tausende imaginäre Nadeln auf seine Kopfhaut einstachen, spürte er den aufsteigenden Schwindel. Sein Blickfeld verengte sich bis zur Größe eines Stecknadelkopfes – dann wurde es vollends schwarz um ihn herum. Es war eine beängstigende Finsternis, die sich über ihn senkte, und doch keine Bewusstlosigkeit. Als wäre er Teil einer in Zeitlupe abgespielten Filmsequenz, versagten schlagartig beide Knie ihren Dienst, er kippte vornüber und seine knapp neunzig Kilo knallten auf die kalten Fliesen des Badezimmers.

Er röchelte leise und seine Hände fühlten die Kühle des Bodens, während anhaltend ein Dampfhammer auf die Windungen seines Gehirns einzuschlagen schien. Durst! Unbändiger Durst! Das maßlose Verlangen nach Flüssigkeit! Jedes Molekül seines Körpers schrie verzweifelt danach. Doch er war nicht fähig zu schreien. Vielmehr füllte seine angeschwollene Zunge die gesamte Mundhöhle aus und presste sich gefühllos gegen den ausgetrockneten Gaumen. Fortwährend pulsierte sein Herz – nein, es tobte wie verrückt und verursachte ein bebendes Inferno vom Haaransatz bis zu den Zehen. Im Versuch, kriechend den Waschtisch zu erreichen, mobilisierte er die letzten Kräfte. Zitternd gelang es ihm, sich aufzustützen. Noch immer umgab ihn ein Schleier wabernder, undurchdringlicher Schwärze. Direkt vor ihm, nur wenige Schritte entfernt, müsste sich das Waschbecken mit dem erlösenden Wasserhahn befinden. Seine Hand tastete wie die eines Blinden, als sich augenblicklich die Muskeln verkrampften und seinen ganzen Körper wie einen Zitteraal vibrieren ließen. Gleichzeitig schien eine kräftige imaginäre Faust seine Eingeweide zusammenzuquetschen, was ihn ungewollt dazu zwang, eine gekrümmte Haltung wie die eines Fötus einzunehmen. Übersäuerter Mageninhalt, der gallig durch die Speiseröhre nach oben quoll, tropfte zu beiden Seiten aus den Mundwinkeln. Als zerrte eine zweite, extrem starke Hand an seinen Haaren, riss er ruckartig den Kopf in den Nacken und übergab sich in einem Schwall. Sekunden später lag er mit dem Gesicht inmitten seines Erbrochenen. Speisereste verklebten Mund und Nasenlöcher, doch davon bekam er nichts mehr mit. Es war der Augenblick, an dem sich auch sein Herzmuskel das letzte Mal zusammenzog, um gleich darauf bleiern zu erschlaffen.

Der Anruf

„Phil? Phil, kannst du mich hören?“

Robert presste das iPhone an sein kaltes Ohr und lauschte.

„Shit, Phil, ich kann dich nicht verstehen. Bist du noch dran?“

Nichts, außer einem Rauschen in der Leitung, durchbrochen von gelegentlichem Knacken.

„Wenn du mich hörst, Phil, ich leg jetzt auf. Ruf mich gleich zurück, hörst du!“

Robert war so auf das erfolglose Telefonat mit seinem Zwillingsbruder konzentriert, dass er einen Fuß auf die Straße setzte, ohne den Verkehr zu beachten. Das laute Hupen eines Kleinwagens riss ihn abrupt in die Realität zurück und ließ ihn mit einem Satz auf den Bürgersteig zurückspringen. Zur Entschuldigung hob er die linke Hand, während seine rechte das Handy in die Manteltasche steckte. Fröstelnd stülpte Robert den Kragen seines dunklen Mohair-Mantels nach oben und wandte sich zur Fußgängerampel rechts von ihm. Washington D.C. war in dicke Schneeflocken gehüllt, die sich zart wie Wattebäuschchen auf seinem blonden Kurzhaarschnitt und den Schultern des Mantels türmten. Inmitten geschäftigen Trubels gehetzter Stadtmenschen, die zwei Tage vor Weihnachten noch die letzten Geschenke für ihre Liebsten aufzutreiben versuchten, schlug Robert den Weg in Richtung Capitol ein. Er wich gerade einer entgegenkommenden älteren Dame mit enorm beladenen Einkaufstüten aus, als sein iPhone klingelte. Robert nestelte das vibrierende Gerät aus den Tiefen seiner Manteltasche und drückte es sich an die Ohrmuschel.

„Endlich, Phil. Wo bist du?“

„Im Treppenhaus vor meiner Wohnung. Sorry, ich musste vorhin auflegen. Irgendwelche Idioten sind bei mir eingebrochen und haben einen irrsinnigen Saustall hinterlassen. Zwei von der Streife besichtigen gerade das Chaos.“

„Eingebrochen?“, fragte Robert, als hätte er das eben Gesagte nicht korrekt verstanden. „Fehlt irgendwas?“

„Zirka 900 Euro, aber die Uhr, die mir Vater letztes Jahr geschenkt hat, haben sie liegen lassen.“

„Fuck. Wie sind die reingekommen?“

„Meine Haustür scheint ein Witz zu sein. Der Polizist meint, Profis knacken das Schloss in null Komma nix. Muss heute Nacht gewesen sein, als ich bei meiner Perle war.“

„Perle? Welche Perle?“, hakte Robert nach.

Philipp grinste ins Telefon. „Nix Ernstes.“

„Und jetzt?“, wollte Robert wissen.

„Na ja, der oder die hatten es nur aufs Bargeld abgesehen. Der von der Streife meint, dass es sich meist um Einzeltäter handelt. Nicht selten Junkies, die Kohle für Drogen brauchen. Hier in Berlin haben die Cops laufend damit zu tun und kommen kaum hinterher. Ist eine richtige Seuche. Der Polizist hat mir vorgerechnet, dass so ein Junkie im Durchschnitt hundert bis zweihundert Euro am Tag braucht. Das sind locker mal über fünfzigtausend im Jahr.“

„Da muss ’ne alte Oma lange für stricken. Sonst ist aber alles okay, oder?“

„Außer, dass es arschkalt ist und regnet“, entgegnete Philipp.

„Bei uns schneit es“, brüllte Robert nun, da ein rumorender Truck auf seiner Höhe lautstark von einem Gang in den anderen schaltete. „Wann kommst du?“

„Deswegen habe ich dir gestern schon aufs Band gesprochen. So wie es aussieht, wird das nichts über die Weihnachtstage. Mutter hat für die Feiertage ein volles Programm aufgelegt und die aktuelle Kampagne lässt mir kaum Luft zum Atmen. American-British-Tobacco hat den Relaunch vorgezogen und mein Boss ist kurz vorm Kollabieren.“

„Shit, Alter. Hätte mich gefreut, dich über Weihnachten zu sehen. Was mach ich jetzt mit den beiden Hasen, die ich uns gebucht habe?“ Robert feixte in den Hörer.

„Dir wird schon was Passendes einfallen, Bruderherz. Zur Not halte sie bis zum Frühjahr warm. Wie geht’s Vater?“

„Wie soll’s Dad ein knappes Jahr vor der Präsidentschaftswahl schon gehen? Ich seh ihn mehr im Oval und im Kongress als zu Hause. Das Auftreiben von Spendengeldern kostet ihn Jahre seines Lebens. Aber er hat ja mich.“ Robert lachte auf. „Spaß beiseite. Dad geht es so weit gut. Er wird sicher ungehalten sein, wenn ich ihm sage, dass du nicht kommen kannst. Ich treffe ihn …“ Robert zögerte einen Augenblick. „Warte kurz, ich bekomm gerade noch ein Gespräch rein.“

Robert presste den Makeln-Knopf und lauschte dem zweiten Anrufer. Dann, nach etwa einer Minute, wechselte er wieder die Leitung: „Phil, ich muss Schluss machen. Ich melde mich. Sag Mom noch einen Gruß von mir.“

Noch bevor Philipp antworten konnte, hatte Robert aufgelegt und einem der vielen Yellow Cabs, die sich schleichend den Weg durch den verschneiten Verkehr bahnten, Zeichen gegeben.

„Zum Capitol“, wies Robert den Taxifahrer an, nachdem er sich den Schnee vom Mantel geschüttelt hatte und eingestiegen war. „Und zwanzig Dollar extra, wenn wir es in zehn Minuten schaffen!“

Reporteralltag

„Komm schon, Sue. Du hattest die Kleine über Ostern. Da werde ich sie doch zwei Tage über Weihnachten bei mir haben können.“

Sue, die eigentlich Sophia hieß, strich sich eine Strähne ihres langen schwarzen Haares aus der Stirn. Sie war eine äußerst attraktive Mittdreißigerin, die ihre italienischen Wurzeln nicht verhehlen konnte.

„Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du die Schlampe auf deinem Schreibtisch gefickt hast.“

„Sue, das ist vier Jahre her. Was hat das jetzt damit zu tun?“

Sophia verdrehte die Augen, um sich nicht anmerken zu lassen, wie ihr die Vorstellung von Oliver mit diesem Flittchen noch immer einen Stich versetzte.

„Eve wird Weihnachten und Silvester mit mir bei meinen Eltern verbringen. Basta. Danach kannst du sie gerne übers Wochenende haben. Vorher nicht.“

 

„Dein letztes Wort?“, fragte Oliver, dem das Gespräch wieder einmal aus dem Ruder gelaufen war.

„Du zahlst“, war die lapidare Antwort seiner Exfrau, die im Begriff war aufzustehen.

„Warte, warte, setz dich bitte wieder. Ich lade dich ein und wir trinken noch einen, okay?“

Widerwillig stand Sophia am Bistrotisch, strich ihren figurbetonten Rock glatt, überlegte einen Moment und ließ sich dann sichtlich genervt auf den Stuhl zurücksinken.

Das Brown Bag am Franklin Square, in dem sie gerade saßen, lag unweit der Washington Post, wo Oliver arbeitete, und glich im Inneren einer überfüllten Bahnhofshalle. Dicht gedrängt standen diejenigen Gäste, die keinen der begehrten Sitzplätze ergattern konnten, aufgeheizt, Schulter an Schulter, in dicken Mänteln und Daunenjacken, was die Scheiben des Restaurants feucht beschlagen ließ.

„Hör zu, Sue. Was hältst du davon, wenn ich an einem Tag bei deinen Eltern vorbeikomme und wir gemeinsam feiern?“

„Dio mio, bist du jetzt völlig übergeschnappt?“ Sophia wedelte mit der Hand vor ihrer Stirn, als wäre sie ein Scheibenwischer. „Wir sind Sizilianer, hast du das vergessen? Noch bevor du einen Schritt über die Türschwelle gemacht hast, steckt das Messer meines Vaters zwischen deinen Rippen.“

„Ach was“, entfuhr es Oliver. „Lorenzo hat mich immer gemocht, das weißt du!“

„Klar, bis zu dem Tag, als er mitbekommen hat, dass sein Schwiegersohn seinen Schwanz nicht im Griff hat.“

„Sue, es war ein Mal. Ein Mal und – ach, vergiss es …“ Oliver beschloss mit einem übertriebenen Seufzer, nicht weiter zu bohren. Es hatte keinen Sinn, alles von Neuem aufzuwärmen. Sie waren jetzt vier Jahre getrennt und ihre gemeinsame Tochter Eve würde nächstes Jahr sechs werden. „Okay, Sue, gut. Lass uns nicht streiten und noch nen Drink nehmen. Eine Bitte hätte ich dennoch: Würdest du nachher noch schnell mit rüber zur Redaktion kommen? Ich hab ein Geschenk für Eve … und für dich“, fügte er etwas leiser hinzu.

„Dann lass uns gleich gehen“, bat Sophia. „Und ich warte unten.“ Sie zog eine Braue in die Höhe. „Ich habe nämlich keine Lust, in deinem Büro irgendwelchen langbeinigen Blondinen über den Weg zu laufen, die hinter meinem Rücken tuscheln, welchem Hengst ich aufgesessen bin.“ Sophias Miene strahlte noch immer Verärgerung aus.

Nachdem sie gezahlt und sich zum Ausgang gedrängt hatten, blies ihnen von draußen die kalte Dezemberluft Schneeflocken ins Gesicht. Als Oliver den Arm um Sophias Schulter legte, um sie so durch das Schneetreiben zu führen, zauderte sie zuerst abweisend, ließ es dann aber doch geschehen.

Wenig später gelangten sie zum großen Zeitungsgebäude an der 1301 K Street NW und Oliver hielt Sophia die mächtige Glastür zur Eingangshalle der Washington Post auf. Sie waren noch damit beschäftigt, sich stampfend und klopfend vom Schnee auf den Schuhen und der Kleidung zu befreien, als Oliver eine merkwürdige Anspannung auffiel, die in der Luft lag. Das übliche hektische Treiben im Empfangsbereich schien noch intensiver als sonst, so als seien sämtliche der Anwesenden in irrsinniger Eile. Handys waren gezückt, man rief sich quer über die Köpfe hinweg unverständliche Sätze zu, während hin und her gelaufen wurde, um scheinbar irgendein fiktives Ziel als Erster zu erreichen. In dem Augenblick, da sich ihre erstaunten Blicke trafen, hörten sie durch das Stimmengewirr hindurch Olivers Namen.

„Oliver, shit, Oliver.“ Im Stechschritt kam „Qualle“, Olivers Assistent und ein wahres Computergenie, auf ihn zugelaufen. Eigentlich hieß er Ronny, doch angesichts seines schwabbelig gedrungenen Körperbaus nannten ihn alle nur bei seinem Spitznamen. Es schien ihn auch keineswegs zu stören.

„Verdammt noch mal. Wo warst du die ganze Zeit? Hast du dein Handy nicht gehört?“

Oliver verzog entschuldigend das Gesicht: „Sophia, das ist Qualle. Qualle, Sophia.“

„Ja, ja, hi Sue“, begrüßte Qualle die Ex seines Chefs in scheinbarer Vertrautheit. Dann zog er Oliver am Ärmel zur Seite. „Sie haben Winston gefunden“, platzte es aus ihm heraus.

„Winston? Wo?“, fragte Oliver mit zusammengekniffenen Lippen.

„In einer Suite im Four Seasons.“

„Und?“

„Ja, was und?“ Qualles Nasenflügel bebten. „Der Vice President ist tot.“

„Tot? Wann? Wer hat ihn gefunden?“

„Die Meldung kam erst vor ner halben Stunde, so in etwa. Einer seiner Bodyguards fand ihn im Badezimmer. Mehr wissen wir noch nicht.“

„Wer von uns ist im Four Seasons?“, fragte Oliver hektisch.

„Frank und Jenny. Na und du, will ich hoffen.“ Qualle blaffte seinen Chef regelrecht an, bereute jedoch im selben Atemzug den ungestümen Vorwurf in seiner Stimme.

Oliver spürte das Adrenalin durch seine Adern rauschen. Für einen kurzen Moment wurde ihm wieder bewusst, warum er Reporter geworden war.

„Okay. Ähm, Sue“, Oliver stammelte sichtlich erregt, „also, du verstehst doch …“

„Hau schon ab.“ Ihr kurzes Lächeln war für Oliver wie eine Offenbarung. Warum hatte er diese Frau nur so beschissen behandelt? Er gab Sophia zum Dank einen Kuss auf die Wange und wandte sich zum Gehen.

„Warte kurz“, hielt sie ihn zurück. „Das Geschenk für Eve. Ich will nicht ihre Enttäuschung unterm Weihnachtsbaum sehen, dass ihr Dad mal wieder …“

„Klar, das Geschenk. Äh, Ronny“, wies Oliver seinen Assistenten im Gehen an, „lauf bitte in mein Büro. Die große blaue Tüte mit den drei Päckchen. Und ich melde mich, ja?“

Wenn sein Boss ihn nicht mit seinem Spitznamen ansprach, dachte Qualle, musste ihm die Angelegenheit mit der Geschenktüte wirklich am Herzen liegen. Er zwinkerte der attraktiven Sophia zu und bat die Italienerin, kurz auf ihn zu warten.

Weißes Pulver

Der Taxifahrer benötigte trotz starken Schneetreibens und des damit verbundenen Verkehrstrubels nur neun Minuten, bis er seitlich des James A. Garfield Memorials am Ende der Maryland Ave SW zum Stehen kam. Die in Aussicht gestellten zwanzig Dollar extra hatte er sich durch waghalsige Überholmanöver redlich verdient. Als Robert zu den Bürogebäuden rechts des Capitols lief, war dessen über achtzig Meter hohe Kuppel der dicken Schneeflocken wegen kaum auszumachen. Über den Aufzug des Kongress-Bürokomplexes Rayburn House gelangte Robert in den siebten Stock und stand wenige Minuten später im Vorzimmer seines Vaters William Baker.

William Baker war seit vielen Jahren Kongressabgeordneter der Demokraten und zählte zum Kreis der engsten Berater, dem sogenannten Inner-Circle, des Präsidenten.

Mia, die Sekretärin, bedeutete Robert mit einem Kopfnicken zur Tür, dass er bereits erwartet wurde.

„Hi, Dad. Was genau ist passiert?“, platzte es beim Eintreten in das geräumige Arbeitszimmer aus Robert heraus.

„Schließ die Tür“, wies sein Vater ihn an. „Genaues wissen wir noch nicht. Der Präsident wurde erst vor wenigen Stunden darüber informiert, dass Sicherheitskräfte Winston leblos in einer Suite des Four Seasons gefunden haben.“

„Ist es sicher, ich meine …?“

„Noch wissen wir nichts Näheres über die Umstände, aber …“

In diesem Moment klingelte das Telefon. William Baker ging um den mächtigen Mahagonischreibtisch herum und griff zum Hörer.

„Baker.“ Gespannt lauschte der Abgeordnete in den Hörer, während er seinen Sohn stirnrunzelnd musterte. Nach etwa einer Minute angespannten Zuhörens antwortete Baker in den Apparat: „Sind schon auf dem Weg, Bob. Bis gleich.“ Er legte auf und drückte zeitgleich den grünen Knopf der Gegensprechanlage: „Mia, lassen Sie bitte den Wagen vorfahren.“

Robert zog fragend die Augenbrauen in die Höhe. „Ins Weiße Haus?“

William nickte, während er sein Jackett vom Kleiderhaken nahm, es sich überstreifte und die Krawatte zurechtrückte. „Bob hat eine Krisensitzung einberufen. Wir treffen uns im Oval.“

Dreißig Minuten später betrat Robert mit seinem Vater William Baker das Oval Office im Westflügel des Weißen Hauses. Neben dem Präsidenten Bob Thompson waren die Direktorin der CIA, Julia Hobbs, sowie Verteidigungsminister Ashton Brown anwesend.

„Ah, William, Robert. Gut, dass ihr da seid. Julia wollte gerade beginnen, uns Genaueres über die Umstände von Winstons Ableben zu berichten. Schreckliche Sache. Verflucht, er war ein verdammt guter Mann.“

William und Robert begrüßten die Anwesenden mit Handschlag – dann nahmen sie auf dem Sofa gegenüber der Direktorin Julia Hobbs und dem Verteidigungsminister Platz.

„Bevor ich auf die brisanten Details eingehe …“, Chief Hobbs legte eine bedeutungsschwangere Pause ein, „will ich eines klarstellen: Auf mein Anraten hin hat der Präsident bewusst den Rahmen der einzuweihenden Personen auf das notwendige Minimum beschränkt. Alles, was ihr hier und jetzt von mir erfahrt, bleibt in diesen vier Wänden. Keine Informationen nach draußen, weder an Mitglieder des Kongresses noch, Gott bewahre, an die Presse. Habt ihr das verstanden?“

Allgemeines Kopfnicken schien der Direktorin auszureichen, denn sie fuhr umgehend fort: „Unser Vice President, Logan Winston, wurde durch einen meiner Beamten im Badezimmer seiner Suite des Four Seasons um exakt 10:17 Uhr aufgefunden. Der Exodus musste nur kurz zuvor eingetreten sein. Fremdeinwirkung derzeit ausgeschlossen. Alle lebenserhaltenden Sofortmaßnahmen bis zum Eintreffen der Sanitäter waren umsonst. Der hinzugezogene Arzt konnte nur noch den Tod feststellen. Das Brisante hierbei ist, dass die Todesursache – zumindest deutet derzeit alles darauf hin …“ Abermals legte die Direktorin der CIA eine Pause ein, um den nun folgenden Worten mehr Gewicht zu verleihen: „Vermutlich hat Logan eine Überdosis irgendeiner noch nicht näher untersuchten Substanz zu sich genommen. Auf dem Bettlaken wurde ein weißes Pulver gefunden, ebenso Spuren an seiner Nase und Oberlippe. Wir gehen von Kokain aus, es könnte aber auch irgendein anderer synthetischer Dreck sein. Genaueres werden wir in ein paar Stunden aus dem Labor sowie nach der Obduktion erfahren.“

„Versteht ihr jetzt, warum ich diese Scheiße in kleiner Runde besprechen musste?“

Etwas erstaunt über die derbe Wortwahl hefteten sich alle Augen auf den Präsidenten.

„Wenn durchsickert, dass der Vizepräsident der Vereinigten Staaten durch Drogenkonsum gestorben ist – ihr könnt euch vorstellen, wie die Aasgeier im Kongress und die Presse über uns herfallen werden. Und das so kurz vor den Wahlen. Einen schlechteren Zeitpunkt, so makaber das jetzt klingen mag, hätte sich Logan kaum aussuchen können.“

„Was gedenkst du zu tun?“, wandte sich Verteidigungsminister Ashton Brown an Julia.

„Nun, egal, was die Obduktion ergibt, es wird unter Verschluss bleiben. Offiziell wird das Statement lauten, dass Winston an einem Herzversagen gestorben ist.“

„Wir sind hier zu fünft“, schaltete sich William ein. „Sanitäter vor Ort, der Notarzt, das Obduktionsteam sowie deine Leute von der CIA und dem Secret Service. Da zähle ich schon mindestens weitere acht bis zehn Personen. Wird schwierig mit der Geheimhaltung, meinst du nicht auch, Julia?“

„Meine Jungs halten dicht. Sie haben einen Eid auf die Verfassung geschworen, vergiss das nicht, William. Alle anderen lass meine Sorge sein.“

„Okay“, entgegnete William, „ich schlage dennoch vor, einen Notfallplan auszuarbeiten, nur für den Fall der Fälle, dass doch an irgendeiner Stelle etwas durchsickert. Was meinst du, Bob?“

William blickte zum Präsidenten, der mit verschränkten Armen und besorgter Miene am Resolute Desk, dem reich verzierten Schreibtisch, einst Geschenk der britischen Königin Victoria, lehnte und nickte.

„Natürlich, William hat recht. Wir sollten vorbereitet sein. William, Robert, kümmert euch bitte darum.“

Es war das erste Mal, dass Robert in seiner kurzen Amtszeit als jüngster Berater des Präsidenten von diesem direkt um etwas gebeten wurde. Auch wenn die Bitte nicht allein an ihn, sondern gleichzeitig an seinen Vater gerichtet worden war.

„Julia, Ashton“, fuhr der Präsident fort, „ich hätte euch beide nachher gern an meiner Seite. Wir werden um 20:00 Uhr vor die Presse treten. Lasst ein Statement vorbereiten. Lebenslauf von Logan, Verdienste, das ganze Programm eben.“