Die Busfahrt zurück nach Portland machte sich Vivian einige Gedanken zu dem alten Mann, den sie bis in die graue Vorstadt verfolgt hatte. Das konnte definitiv kein Agent des SNB sein, es sei denn er hatte die fast perfekte Tarnung. Die ganze Fahrt über machte sie sich die verschiedensten Gedanken und entwarf in ihrem Kopf ein paar mögliche Szenarien. Trotzdem musste sie davon ausgehen wieder jemanden verfolgt zu haben, der nur einen kleinen Auftrag erledigte. Die erste Verfolgung führte sie auch nur zu Tiana die, wie sie selbst einige Aufträge für das SNB erledigen durfte. An die Organisation war scheinbar kein herankommen.
In der Innenstadt wischte sie die negativen Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf ihren Auftrag. Sie betrat das Verwaltungsgebäude und nahm den Fahrstuhl bis in die 14. Etage. Dort wandte sie sich nach links und folgte dem Gang bis zur Feuertreppe an der Außenseite. Dort war der Kasten des Wasserschlauchs, dessen Verschluss bereits geöffnet war. Noch einmal blickte sie sich um, ob sie niemand beobachtete, aber niemand beachtete die junge Frau. Vivian öffnete den Kasten und sah das in hellblauen Plastik eingeschlagene Paket darin liegen. Sie nahm es in die Hand und ließ es unter ihrer dünnen Jacke verschwinden. Mit dem Oberarm presste sie es unter ihre Achsel und ging zurück zum Aufzug. Erst dort verstaute sie das Päckchen in ihrem hinteren Hosenbund. So verließ sie das Bürogebäude und ging hinüber zu dem Restaurant, in dem sie schon den halben Tag auf der Lauer lag. Dieses Mal nahm sie sich einen Tisch im Innenraum. Den Kellner ließ sie nur ein Erfrischungsgetränk bringen.
Als es vor ihr auf dem Tisch stand, nahm sie einen tiefen Schluck aus dem Glas. Dann stand sie auf und verschwand auf der Toilette. Vivian schloss sich in einer Kabine ein und befreite das Paket. Sie setzte sich auf den Thron und betrachtete das Päckchen in ihrer Hand. Es war nicht besonders groß und wog auch nur einige hundert Gramm. Sie wollte endlich wissen, was sie da transportierten, wenn sie schon nicht herausfinden konnten, wer hinter der Organisation steckte. Mit feuchten Händen zog sie die dicke Plastikfolie auf die Seite. Heraus kam ein weißer Block in der Größe einer Handypackung, der erneut mit einer durchsichtigen Zellophanhülle umhüllt war. Das innere sah aus wie grobes Meersalz, was man zu einem Block zusammengepresst hatte. Sofort schoss ihr ein unangenehmer Gedanke in den Kopf. Sie und ihre Freundin transportierten Drogen für eine angebliche Bundesbehörde durch die Stadt.
Sie konnte dieses Päckchen nicht einfach blindlings abliefern, als ob sie nichts gesehen hätte. Aber würde man sie aus den Augen gelassen haben? Wer immer auch dahintersteckte, musste ein Interesse daran haben, dieses Paket an seinen Bestimmungsort zu bringen und den Kurier wahrscheinlich überwachen. Vivian brauchte auf der Stelle einen Ausweichplan. Sie entschied sich dafür, das Päckchen im Spülkasten des Restaurants zurückzulassen und ein Kaufhaus in der Innenstadt aufzusuchen, um dort einen Ersatz zu erwerben, den sie dann abliefern konnte. Ohne das Paket weiter mit sich herumzutragen setzte sie sich wieder an ihren Tisch. Aus den Augenwinkeln achtete sie auf die Personen um sie herum.
Nach einiger Zeit, ihr Getränk war bereits leer war sie sie sicher nicht beobachtet zu werden. Vivian bezahlte und verließ das Restaurant. Sie nahm Kurs auf einen großen Supermarkt, immer darauf achtend, dass niemand ihr folgte. Mehrfach sah sie sich unsicher um. Aber je mehr Menschen sie auch beachtete, konnte sie niemanden ausmachen, der ihr folgte. In dem Verkaufshaus angekommen steuerte sie die Abteilung mit den Gewürzen an. Sie brauchte etwas Vergleichbares zu dem Pulver in der Packung. Grobes Meersalz war ihr deutlich zu teuer, denn die Menge, die sie benötigte, würden ihre finanziellen Möglichkeiten deutlich überschreiten. Nach einigem Umsehen fand sie ein Süßungsmittel mit der gleichen Textur. Zu ihrem Glück war dieses Pulver auch noch im Angebot. Für kleines Geld kaufte sie sich zwei Packungen davon. Das nächste Ziel war die Zubehörabteilung um Plastikbeutel zu erstehen. Alles, was sie dann noch brauchte, war bläuliche Plastikfolie. Die gab es zum Glück überall zu kaufen.
Mit den ausgesuchten Sachen steuerte sie die Kasse an und bezahlte sie ordnungsgemäß. Zusätzlich steckte sie alles zusammen in eine Tragetüte und machte sich auf den Weg zu ihrer Wohnung. Immer wieder blickte sie sich deutlich nervös um, aber es war niemand zu sehen, der ihr folgte. Erst als ihre Wohnungstür hinter ins Schloss fiel und sie die Kette vorlegte, fühlte sie sich sicher. Ohne Umschweife setzte sie sich an ihren Küchentisch und präparierte das abzuliefernde Päckchen, wie sie es im Restaurant zurückgelassen hatte. Als sie damit fertig war, steckte sie es wieder in den hinteren Hosenbund und verließ ihre Wohnung zum vorgeschriebenen Lieferort.
Nach einem langen Tag im Büro hatten es sich die beiden Mütter Leonie und Dolores gemütlich gemacht. Die beiden Mädchen tollten wie gewöhnlich in ihrem Pool herum. Michael war noch unterwegs, um einige Besorgungen zu machen. Es war erst früh am Nachmittag, aber Dolores wusste, was noch auf sie warten würde. Diese Woche musste sie wieder auf ihrem privaten Schießstand bestehen. Sie hatte, mit Michael ausgemacht ihre Probleme zu beseitigen. Dazu gehörte ein extremes Fitnessprogramm und Lektionen was den Umgang mit Waffen unter Stress betraf. In den letzten Wochen war sie jeden Tag viele Kilometer an der Seite des ehemaligen Bodyguards gerannt, hatte Gewichte gestemmt und sich immer wieder völlig verausgabt. Sie hätte nie gedacht, dass der eher übergewichtige Michael in so einer Form sein konnte. Er hatte jede Übung mit ihr mitgemacht und doch noch zu Scherzen aufgelegt.
Valeria und ihre Halbschwester waren schon die halbe Woche bester Laune. Während sie bei ihren geliebten Pferden weilte, durfte ihre Halbschwester unter Aufsicht im Garten auf Gemüse und Früchte anlegen. Die Mütter wechselten sich ab mit den beiden. Emilia hatte viele Tipps von ihrer Mutter übernommen und wurde immer besser. Michael hatte sich für heute etwas Besonderes für seine Tochter ausgedacht. Da Valeria die meiste Zeit auf einem immer wieder wechselnden Pony verbrachte, hatten die Eltern zusammen entschieden, ihr eine Reitbeteiligung zu kaufen. Micha hatte sich bereit erklärt alles dafür in die Wege zu leiten und Angebote einzuholen. Entscheiden musste dann die kleine Valeria alleine. Sie wollten ihr nicht vorschreiben, auf welchem Pony sie reiten sollte. Die kleine musste mit dem Gaul auch zurechtkommen. Letzten Endes war es ihre Entscheidung.
Die beiden nackten jungen Mädchen warteten bereits ungeduldig auf ihren Vater. Als er endlich mit zwei dicken Einkauftüten durch die Tür kam, waren die beiden nicht mehr zu halten. Seit sie ihre Hobbys hatten, denen sie fast täglich exzessiv nachgingen, mussten sie auch fast nicht mehr in der Küche helfen. Mittlerweile fehlte es ihnen schon ein bisschen, was sie natürlich nicht zugeben wollten. Aber es war ausgemacht, dass sie zusammen mit Valeria in den Reitstall fahren würden, wenn Michael die Einkäufe weggeräumt hatte. Dolores Tochter hatte mit ihrer Schwester verabredet so gut sie konnten zu helfen, damit sie so schnell wie möglich in den Reitstall kam. Die Begrüßung fiel trotzdem wie immer aus. Die beiden kleinen Mädchen umarmten ihren Vater, der jedes Mal extra auf die Knie ging und den beiden einen dicken Kuss gab.
»Hallo ihr beiden Zaubermäuse. Ihr könnt es wohl kaum noch erwarten endlich hier wegzukommen«, lachte er als er die beiden im Arm hatte.
Natürlich waren die beiden nicht mehr zu halten. Sie hatten schon den halben Tag auf exakt diesen Moment gewartet. Dementsprechend machten sich die drei auch gleich daran, die Lebensmittel wegzuräumen. Die beiden Mütter beobachteten lachend wie die beiden Mädchen die Tüten ausräumten und Michael alles anreichten, der es dann in den Schränken verstaute. Die beiden Mädchen hatten bereits schon nach dem Frühstück ihre Kleider bereitgelegt, die sie am Nachmittag anziehen wollten. Valeria hatte natürlich ihre Reiterausrüstung bereitgelegt. Emilia begnügte sich mit einem kurzen Sommerkleid. Nachdem die beiden Tüten leer waren, rannten die beiden in ihr Zimmer und zogen sich an.
Währenddessen informierte Michael seine beiden Frauen über eine kleine Änderung in ihren Plänen. Nachdem er sich die Preise einer Reitbeteiligung auf den verschiedenen Ponys angesehen hatte, kam er zu dem Schluss, dass sich das nicht im Geringsten rechnete. Stattdessen hatte er sich nach Ponys zum Kaufen umgesehen und einige gefunden, die gar nicht so teuer waren. Davon wusste Valeria natürlich noch nichts. Statt einer Reitbeteiligung bekam sie ein eigenes Pferd und durfte selbst Reitbeteiligungen anbieten. Valeria erfuhr das allerdings erst, als sie schon unterwegs waren. Sie kannte den Weg zu ihrem Reitstall schon im Schlaf und merkte sofort, dass Michael nicht dahin fuhr. Sie beschwerte sich lautstark, weil sie nicht länger warten wollte.
Erst dann erklärte ihr Michael, dass er ein eigenes Pony für seine Tochter kaufen wollte, statt jeden Monat eine Reitbeteiligung zu finanzieren. Die paar Tausend Dollar die er dafür ausgeben musste würden sich schon nach kurzer Zeit amortisieren. Außerdem hatte Valeria so immer ihr eigenes Pferd, auf dem sie reiten konnte, wann sie wollte. Emilia freute sich für ihre Halbschwester, denn sie bekam ebenfalls eine Überraschung, wie ihr Michael versprach. Dolores hoffte, dass ihre Tochter lange genug brauchen würde, sich ein Pony auszusuchen. Je länger ihre Kleine dafür benötigte, umso weniger Zeit würde für sie und Michael auf dem Trainingsgelände übrig bleiben. Das war allerdings vergebens, denn gleich das erste Pony, was sie sich anschaute, gefiel der Kleinen so gut, dass sie am liebsten direkt darauf sitzen geblieben wäre.
Das Pony würde erst am nächsten Tag in den Stall auf dem Reiterhof gebracht werden, was bedeutete, dass Valeria heute noch ein letztes Mal auf einem Übungspony Platz nehmen musste. Leonie würde heute bei ihr bleiben während Micha und Dolores zu Hause trainierten. Ihre nächste Lehrstunde bei François Pierlot in Lyon würde erst nächsten Monat stattfinden. So lange trainierte sie alleine im Garten hinter dem neu gebauten Haus der Familie. Michael setzte die beiden am Reiterhof ab, wünschte ihnen viel Spaß und machte sich dann mit Emilia und Dolores wieder auf den Rückweg. Die Kleine bohrte bei ihrem Vater nach, was er sich als Überraschung für sie ausgedacht hatte. Er bat sie zu warten bis sie zu Hause waren. Sie geduldete sich noch die paar Minuten. Dolores war nicht gerade so begeistert. Sie hatte gehofft, dass diese Aktion deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen würde.
Als der Motor des großen SUV auf dem Parkplatz vor ihrem Haus erstarb, drehte sich Michael zu seiner Tochter um und bat sie nicht sofort ins Haus zu rennen. Er stellte sich vor den Kofferraum, drückte seiner Tochter den Schlüssel in die Hand und sagte, »Dein Geschenk liegt im Kofferraum. Du machst ihn auf und darfst dir dann dein Geschenk nehmen.«
Die kleine bekam leuchtende Augen und Dolores machte ein überraschtes Gesicht. Sie hatte ebenso wie Leonie keine Idee, was er sich hatte einfallen lassen. Emilia drückte auf den Knopf der Fernbedienung. Die Heckklappe fuhr nach oben und im Gepäckraum des Fahrzeugs kam ein schwarzer Plastikkoffer zum Vorschein. Emilia griff sofort zu und rannte damit ins Haus. Als sie verschwunden war, fragte Dolores, »Was ist da drin?«
Micha begann zu lachen, »Ich habe bei François eine Kleinigkeit für sie bestellt. Es ist eine Sonderanfertigung für Emilia. Eine Faustfeuerwaffe, die exakt die gleichen Kügelchen verschießt wie ihr Luftgewehr. Allerdings ist der Rückstoß wohl noch ein bisschen zu stark für ihre zarten Hände und auf eine gewisse Entfernung ist das Dingen sogar tödlich, wie er sagte. Kam bereits vor drei Tagen hier an und ich habe es erst heute abgeholt. Leonie weiß auch noch nichts davon.«
»Du bist völlig verrückt, mein Schatz«, grinste sie ihn an und gab ihm einen Kuss.
Michael nahm Dolores in den Arm und flüsterte, »Natürlich bin ich verrückt. Das sollte eigentlich niemanden mehr überraschen. Wer mit gleich vier Frauen unter einem Dach lebt, muss total verrückt sein!«
Dolly versetzte ihm einen kleinen Schlag auf den Oberarm und ging mit ihm ins Haus. Emilia hatte den Koffer bereits auf dem Sofa abgelegt und geöffnet. Sie konnte nicht glauben, was ihr Vater da für sie besorgt hatte. Die Pistole sah fast genauso aus wie die Dienstwaffen der Agenten. Der Lauf war natürlich entsprechend des Kalibers deutlich kleiner, aber es sah fast aus wie eine Echte. In dem Koffer lagen sogar noch vier Magazine für die Waffe, die sie erst laden musste. Allerdings funktionierte die Waffe nur mit einem gewissen Luftdruck. Dafür brauchte sie hinten am Verschluss eine Gaspatrone, die allerdings nicht eingepackt waren. Michael wusste das und hatte extra noch ein paar davon besorgt. Das Training, was Dolores noch bevorstand, wurde eher zum Training für Emilia, die mit der Waffe in der Hand die gleichen Übungen wie die beiden Erwachsenen absolvieren durfte.
Allerdings war der Rückstoß für die kleine Emilia schwer zu kontrollieren. Bei ihrem Luftgewehr fing das ihre schmale Schulter auf, aber bei der Faustfeuerwaffe mussten ihre Arme das alles abfedern. Nach nicht einmal einer Stunde musste sie unter Tränen aufhören. Ihr taten furchtbar die Arme weh und sie konnte einfach nicht mehr damit feuern. Micha musste seine Tochter trösten und ihr versprechen, dass er mit ihr üben würde, damit sie länger damit schießen konnte. Dolores ging zurück ins Haus und nahm die extra gekaufte Knallwaffe mit nach draußen. Damit konnte sie zumindest mit den beiden trainieren, was ihr bedeutend mehr Spaß machte als Dolores. Aber auch sie erkannte einen Vorteil für sich darin. Da Emilia mit den beiden unterwegs war, fiel ihr Training nicht ganz so hart aus.
Nach etwas mehr als drei Stunden beendeten sie das Schießtraining. Micha hatte sich aber für den Abschluss noch etwas Besonderes für die jüngste ausgedacht. Zum ersten Mal durfte sie mit der Waffe ihres Vaters auf ein extra aufgestelltes Ziel schießen. Dazu legte sie sich auf der Terrasse auf eine Unterlage und richtete die Glock 17 ihres Vaters nach vorne. Micha kniete sich mit den beiden Beinen neben den kleinen Körper und lehnte sich nach vorne. Da Emilia den Rückstoß einer echten Waffe auf keinen Fall halten konnte, stützte er ihre kleinen Hände. Sie musste zielen und alleine abdrücken, er würde nur den Rückstoß abfedern.
Für seine Tochter war das ein absolutes Highlight. Das erste Mal, mit einer scharfen Waffe auf eine Zielscheibe anzulegen war etwas Besonderes. Michael zog ihren Gehörschutz, den sie alle trugen auf die Seite und gab ihr einige Tipps. Sie durfte insgesamt fünf Schüsse abfeuern. Micha übernahm nur das Abfedern für seine Tochter. Sie war begeistert. Die Schüsse, die sie abfeuerte, trafen allerdings nicht das aufgestellte Ziel, sondern landeten deutlich daneben. Eine echte Waffe war eben doch etwas anderes als ihre Übungswaffen. Trotzdem wollte sie gar nicht mehr damit aufhören. Micha ließ sich nicht erweichen ihr mehr als fünf Versuche zu genehmigen.
Während die Erwachsenen hinter ihr die beiden Dienstwaffen reinigten, durfte sie mit ihrem Luftgewehr üben. Emilia kam wirklich nach Leonie. Am liebsten würde sie abends ihr Gewehr mit ins Bett nehmen. Allerdings bestanden ihre Eltern darauf, die Waffen ungeladen in ihrem eigenen Waffenschrank einzuschließen. Den Schlüssel musste sie jeden Abend abliefern bevor sie ins Bett ging. Aber da der Schrank in ihrem Kinderzimmer stand, hatte sie ihre Schätze die ganze Nacht im Auge. Valeria hatte extra ein Regal bekommen, in dem ihre Reitsachen einen eigenen Platz hatten. So hatten beide Mädchen das wichtigste immer im Blick, wenn sie in ihrem Zimmer waren.
Als Leonie anrief um sie und Valeria vom Reiterhof abzuholen nahm sich Dolores die Autoschlüssel und machte sich auf den Weg. Micha würde in der Zwischenzeit anfangen zu kochen. Völlig unerwartet half ihm seine Tochter beim Kochen. Das war ihre Art sich noch einmal bei ihrem Vater zu bedanken. Obwohl sie es eigentlich nicht musste und mochte, half sie ihrem Vater in der Küche. Als Dolly mit den beiden anderen Familienmitgliedern ankam, hatten sich Vater und Tochter ein bisschen Musik angemacht und tanzten durch die Küche. Es roch bereits nach frisch gekochtem Essen. Leonie hatte schon auf der Fahrt erfahren, was Emilia bekommen hatte und wollte sich die neue Waffe unbedingt anschauen.
Die von François hergestellte Handfeuerwaffe sah einer Dienstwaffe der Agenten täuschend ähnlich und glänzte in schwarzem Lack. Eigens für die jüngste besaß sie mehrere Gravuren mit den Buchstaben EK. Selbst der Griff war auf beiden Seiten damit verziert. In dem Koffer lagen die vier Magazine, die jeweils 40 der kleinen Stahlkugeln fassen konnten und ein Zertifikat. Es war ein Einzelstück und extra für die kleine Emilia hergestellt. Leonie fragte bei ihrer Tochter nach, ob sie es ihr erlaubte einige Stahlkugeln daraus abzufeuern. Natürlich stimmte ihre Tochter zu und folgte ihrer Mutter nach draußen. Leonie legte ein Magazin ein und gab einige Schüsse daraus ab. Es fühlte sich fast an wie ihre Dienstwaffe, nur der Rückstoß war deutlich kleiner als bei einer echten Waffe. Trotzdem hatte die kleine Stahlkugel, die aus dem Lauf flog, so viel kinetische Energie, um jemanden ernsthaft zu verletzen. Nachdem Emilia auch noch erzählte aus der Dienstwaffe ihres Vaters einige Schüsse abgegeben zu haben war Leonie sichtlich stolz auf ihre Tochter.
Beim Abendessen gab es unterschiedliche Themen am Tisch. Valeria freute sich wie an Weihnachten über ihr neues Pony, das ab morgen im Stall stehen würde. Michael musste sein Versprechen Emilia zu trainieren noch einmal bestätigen. Für die beiden Mädchen war der Tag unvergesslich. Wieder einmal hatten sie beide etwas Einzigartiges bekommen. Leonie hatte allerdings noch eine Idee für den Abend. Sie warf die Idee in den Raum, die beiden Mädchen einige Kugeln aus einem ihrer Gewehre abfeuern zu lassen. Emilia war sofort Feuer und Flamme, während Valeria nicht so begeistert war. Sie hatte einfach keinen Spaß an Waffen und wollte das auch nicht. Allerdings wollte sie ihrer Halbschwester diese Möglichkeit auch nicht verwehren. Dolly machte den Vorschlag, dass Emilia einige Kugeln aus einem Gewehr ihrer Mutter abfeuern durfte und Valeria dafür einen Wunsch bei ihren Eltern freihaben würde. Die beiden Mädchen steckten sofort wieder die Köpfe zusammen und sprachen über diese Idee. Es war schön zu sehen wie die beiden miteinander harmonierten und sich absprachen. Es war ihnen ins Blut übergegangen, alles zu besprechen, was beide betraf.
Sie waren mit dem Vorschlag einverstanden. Leonie nahm ihre Tochter an die Hand und brachte sie zu ihrem Waffenschrank, der deutlich größer war. Sie durfte sich eine davon aussuchen, mit der sie schießen wollte. Die erste Rückfrage von Emilia war, welche davon den kleinsten Rückstoß hatte. Sie machte sich Sorgen um ihre Schulter. Nachdem ihre Hände schon wegen der neuen Waffe weh taten, wollte sie das nicht auch noch an ihrer Schulter erleben. Leonie gab zu, dass sie das nicht aushalten würde, egal welche davon sie sich auch aussuchte. Allerdings war die Lösung ganz einfach. Die Mutter würde das Gewehr an ihrer Schulter andrücken und Emilia würde zielen und feuern wie vorher schon bei Michaels Dienstwaffe. Emilia suchte sich dann das für Leonie personalisierte Gewehr aus.
Leonie verhakte ihr Gewehr mit der integrierten Auflage in den Platten der Terrasse und presste ihre Schulter dagegen. Emilia legte sich neben ihre Mutter und machte große Augen als sie einen Blick durch das Zielfernrohr warf. Das war ein deutlich besseres als sie auf ihrem Luftgewehr montiert hatte. Aber Leonies Gewehr war auch auf weitere Entfernungen ausgelegt. Diese Strecken würde Emilias Luftgewehr niemals erreichen. Die Tochter von Micha und Leonie durfte eine einzelne Patrone einlegen und dann auf ein beliebiges Ziel anvisieren. Leonie zwang sich nicht zu überprüfen wie ihre kleine Tochter anlegte. Sie ließ sich überraschen. Emilia dirigierte das Fadenkreuz auf die Position, die sie treffen wollte und drückte dann den Abzug durch. Das Projektil durchschlug das anvisierte Ziel und Emilia warf die kleinen Arme in die Luft. Das war für sie das bis dahin beste Erlebnis ihres jungen Lebens.
In Zukunft durfte sie mit ihrem Vater und Dolores trainieren und dann auch öfter mit den Dienstwaffen der beiden schießen. Die beiden Mädchen konnten nicht glücklicher sein. Sie waren auf der ganzen Insel einzigartig. Sie hatten einen Vater, der für die beiden alles Erdenkliche möglich machte und sie vergötterte. Und sie waren die einzigen Kinder, die gleichzeitig zwei Mütter als ihr eigen bezeichnen konnten. Die anderen Kinder aus dem Kindergarten waren etwas neidisch auf die beiden Mädchen. Ihr Elternhaus funktionierte tadellos und immer war jemand für sie da. Während der Ferien durften die beiden auch deutlich länger aufbleiben als ihre Freundinnen aus der täglichen Erziehungsanstalt.
Die anderen wussten nicht, was die Eltern der beiden Mädchen arbeiteten, aber sie waren immer erreichbar. Viele Eltern hatten das Problem, dass sie nicht einfach von der Arbeit zu ihren Kindern eilen konnten. Nur ab und an waren weder die Mütter noch der Vater einige Wochen nicht zu sehen. Stattdessen hatten sie entweder den Vater von Damien dabei oder eine junge Frau, die sich um sie kümmerte. Trotzdem waren sie äußerst beliebt bei ihren Freunden im Kindergarten. Nur die Erzieherinnen hatten ein kleineres Problem mit den beiden Kindern. Wann immer sie etwas besprachen, was die Erwachsenen nicht mithören sollten, wechselten sie in eine andere Sprache, die niemand verstehen konnte. Beide sprachen Englisch, aber auch Deutsch und Spanisch, was die Erzieherinnen immer wieder zur Weißglut brachte.